47
Während des Abendessens bei Kendrick berichtete ich von meiner Unterhaltung mit Zitaras. Das Einzige, was ich vorsätzlich ausließ, waren seine Erklärungen über die Reinheit des Heroins, das Sarah genommen hatte. Es hätte nichts mehr genutzt, es Kendrick jetzt zu sagen.
»Glauben Sie Zitaras’ Behauptung, dass Michael Carmody das Mädchen getötet hat?«
»Barry McGann hat es mir inzwischen bestätigt. McGann behauptet außerdem zu wissen, wo Lena begraben liegt. Er wollte aus irgendeinem Grund sogar, dass ich Michael Carmody treffe.«
»Da wäre ich vorsichtig.«
»Das war ich. Aber ich habe eingewilligt, McGann morgen früh zu treffen. Und einmal mehr wäre ich dankbar, wenn Sie mir den Rücken freihalten würden.«
»Natürlich. Sagen Sie, dieser Michael Carmody – wie sieht er aus?«
»Schwarze Locken, nicht unähnlich meinen eigenen. Rundliches, weiches Gesicht. Kleiner Schmollmund. Züge, die ich bei einem Kleinkind attraktiv finden würde, aber nicht bei einem erwachsenen Mann.«
»Hm. Ich glaube, ich habe ihn an dem Abend, an dem ich Zitaras’ Leuten nachgeschlichen bin, in der Bar gesehen. Er hat sie begrüßt, als er zur Tür hereinkam, und einer von ihnen hat seinen Namen gesagt.«
Das war der Abend gewesen, an dem Michael mit mir vom Crabshell in die Stadt spaziert war. Er hatte gesagt, er würde noch auf einen Drink gehen.
»Hat er sich mit Zitaras’ Männern getroffen?«
»Nein. Er hat sich allein an die Bar gesetzt. Und die ganze Zeit, die er dort saß, hat er mir schöne Augen gemacht.«
»Sie meinen, er ist schwul?«
»Jede Wette.«
Laut Barry McGann war Michael auf Lena scharf gewesen. Und in der Polizeiakte stand, dass er ihr das Armband geschenkt hatte. Warum gab man sich solche Mühe, ihn als heterosexuell hinzustellen?
Kendrick räumte unsere Teller ab und holte eine Packung Schokoladeneis aus dem Kühlschrank.
Während wir das Eis aßen, bemerkte ich, dass mein Handy blinkte. Ich hatte es auf stumm gestellt.
»Was ich Sie noch fragen wollte«, sagte Kendrick und kratzte den letzten Rest Eiscreme aus seiner Schüssel. »Was war mit den anderen Inschriften in der Höhle, von dem Ogam abgesehen? Können Sie sich an die noch erinnern?«
»Damit habe ich kein Problem, denn es war die übliche Art von Formulierung auf Steinmonumenten jener Zeit.«
»Zum Beispiel?«
»Ich zeige es Ihnen.«
Ich stellte meine Schale beiseite, holte Skizzenbuch und Stift hervor und begann zu schreiben. »Das hier war an der Decke, neben einem Kreuz.« Ich hielt es ihm hin.
»DNE?«
»Ja. Und die hier fanden sich an der rückwärtigen Wand der Höhle.« Ich schrieb OR DO CDHE.
»Ich versuche es lieber nicht auszusprechen. Was bedeutet das?«
»Es ist ein bisschen wie SMS, unter gleichzeitiger Verwendung von Latein und Irisch.«
»Und was sagt es uns?«
»DNE ist eine Zusammenziehung von ›Domine‹, ist gleich ›Herr‹, es ist also ein Gebet zu Gott. OR ist kurz für ›Oroit‹, was ›beten‹ bedeutet, und DO heißt ›für‹. Die Inschrift fordert uns also auf, für die Person zu beten, die im dritten Wort des Satzes genannt wird.« Ich deutete auf die Buchstaben CDHE. »Ich bin mir fast sicher, das lässt sich zu CAOIDHE strecken, dem Heiligen, nach dem Kilkee benannt ist – ›Kil‹ bedeutet ›Kirche‹, und ›Kee‹ ist die englische Version seines Namens.« Ich schrieb den Satz aus: ORoit DO CaoiDHE.
»Betet für Kee«, sagte Kendrick. »Ganz exakt.«
»Was ich wirklich interessant finde, ist, dass nie Reste einer Kirche oder eines Klosters, die mit dem Gründungsheiligen in Zusammenhang stehen, in der Gegend gefunden wurden.«
»Bis jetzt jedenfalls.«
Ich legte den Block beiseite und aß mein Eis auf. Während Kendrick Tee machte, warf ich einen Blick auf mein Handy. Es gab mehrere Anrufe von Muriel Blunden.
»Entschuldigen Sie mich kurz«, rief ich Kendrick zu.
»Was treiben Sie«, sagte Muriel zur Begrüßung. »Ich versuche die ganze Zeit, Sie zu erreichen.«
»Ich sitze gerade mit jemandem beim Abendessen.«
»Da haben Sie es besser erraten als ich. Bei mir ist es bei einem Drink geblieben. Beim zweiten Glas Wein fing er an, vom mangelnden Interesse seiner Frau an Sex zu sprechen. Also habe ich ihn zu ihr nach Hause geschickt. Wie sich herausstellte, kannte er jedoch die Namen der Investoren, die diese Ferienhäuser am George’s Head gebaut haben – und eine Menge anderer an der Westküste, wie es aussieht.«
»Aha.«
»Sie waren zu fünft in der HFH-Partnerschaft. Drei der Namen sagten mir nichts, aber zwei kannte ich sehr wohl. Und das waren – passen Sie auf – Theo Mahon und Gus Carmody.«
Bumm. Es traf mich wie ein gut gezielter Faustschlag.
»Na, das ist mal eine Überraschung. Oder auch nicht. Danke für die Mitteilung, Muriel. Ach ja, da ist noch etwas, das Sie wissen sollten. HFH hat diese Plakette auf dem Hügel nie angebracht. Sie werden sie das sicherlich korrigieren lassen. Ich bin wie gesagt in Gesellschaft, deshalb mache ich für den Augenblick Schluss.« Ich schaltete das Handy aus.
Theo Mahon und Gus Carmody. So, so.
Ich sah es deutlich vor mir. Nicht zwei namenlose Männer, die sich an einem Tisch verschwören, sondern der Eigentümer des Restaurants, der einen Plan mit seinem besten Kunden schmiedet. Es würde erklären, warum Lena Morrison gezögert hatte, sie zu nennen. Der eine war ihr Arbeitgeber und der andere dessen Schwager.
Die Opferstaette
titlepage.xhtml
dunn_9783641042578_oeb_toc_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_tp_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_epi_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c01_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c02_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c03_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c04_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c05_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c06_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c07_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c08_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c09_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c10_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c11_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c12_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c13_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c14_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c15_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c16_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c17_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c18_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c19_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c20_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c21_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c22_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c23_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c24_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c25_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c26_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c27_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c28_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c29_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c30_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c31_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c32_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c33_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c34_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c35_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c36_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c37_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c38_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c39_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c40_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c41_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c42_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c43_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c44_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c45_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c46_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c47_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c48_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c49_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c50_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c51_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c52_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_c53_r1.html
dunn_9783641042578_oeb_cop_r1.html