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Während des Abendessens bei
Kendrick berichtete ich von meiner Unterhaltung mit Zitaras. Das
Einzige, was ich vorsätzlich ausließ, waren seine Erklärungen über
die Reinheit des Heroins, das Sarah genommen hatte. Es hätte nichts
mehr genutzt, es Kendrick jetzt zu sagen.
»Glauben Sie Zitaras’ Behauptung, dass Michael
Carmody das Mädchen getötet hat?«
»Barry McGann hat es mir inzwischen bestätigt.
McGann behauptet außerdem zu wissen, wo Lena begraben liegt. Er
wollte aus irgendeinem Grund sogar, dass ich Michael Carmody
treffe.«
»Da wäre ich vorsichtig.«
»Das war ich. Aber ich habe eingewilligt, McGann
morgen früh zu treffen. Und einmal mehr wäre ich dankbar, wenn Sie
mir den Rücken freihalten würden.«
»Natürlich. Sagen Sie, dieser Michael Carmody –
wie sieht er aus?«
»Schwarze Locken, nicht unähnlich meinen eigenen.
Rundliches, weiches Gesicht. Kleiner Schmollmund. Züge, die ich bei
einem Kleinkind attraktiv finden würde, aber nicht bei einem
erwachsenen Mann.«
»Hm. Ich glaube, ich habe ihn an dem Abend, an dem
ich Zitaras’ Leuten nachgeschlichen bin, in der Bar gesehen. Er hat
sie begrüßt, als er zur Tür hereinkam, und einer von ihnen hat
seinen Namen gesagt.«
Das war der Abend gewesen, an dem Michael mit mir
vom Crabshell in die Stadt spaziert war. Er hatte gesagt, er würde
noch auf einen Drink gehen.
»Hat er sich mit Zitaras’ Männern
getroffen?«
»Nein. Er hat sich allein an die Bar gesetzt. Und
die ganze Zeit, die er dort saß, hat er mir schöne Augen
gemacht.«
»Sie meinen, er ist schwul?«
»Jede Wette.«
Laut Barry McGann war Michael auf Lena scharf
gewesen. Und in der Polizeiakte stand, dass er ihr das Armband
geschenkt hatte. Warum gab man sich solche Mühe, ihn als
heterosexuell hinzustellen?
Kendrick räumte unsere Teller ab und holte eine
Packung Schokoladeneis aus dem Kühlschrank.
Während wir das Eis aßen, bemerkte ich, dass mein
Handy blinkte. Ich hatte es auf stumm gestellt.
»Was ich Sie noch fragen wollte«, sagte Kendrick
und kratzte den letzten Rest Eiscreme aus seiner Schüssel. »Was war
mit den anderen Inschriften in der Höhle, von dem Ogam abgesehen?
Können Sie sich an die noch erinnern?«
»Damit habe ich kein Problem, denn es war die
übliche Art von Formulierung auf Steinmonumenten jener Zeit.«
»Zum Beispiel?«
»Ich zeige es Ihnen.«
Ich stellte meine Schale beiseite, holte
Skizzenbuch und Stift hervor und begann zu schreiben. »Das hier war
an der Decke, neben einem Kreuz.« Ich hielt es ihm hin.
»DNE?«
»Ja. Und die hier fanden sich an der rückwärtigen
Wand der Höhle.« Ich schrieb OR DO CDHE.
»Ich versuche es lieber nicht auszusprechen. Was
bedeutet das?«
»Es ist ein bisschen wie SMS, unter gleichzeitiger
Verwendung von Latein und Irisch.«
»Und was sagt es uns?«
»DNE ist eine Zusammenziehung von ›Domine‹, ist
gleich ›Herr‹, es ist also ein Gebet zu Gott. OR ist kurz für
›Oroit‹, was ›beten‹ bedeutet, und DO heißt ›für‹. Die Inschrift
fordert uns also auf, für die Person zu beten, die im dritten Wort
des Satzes genannt wird.« Ich deutete auf die Buchstaben CDHE. »Ich
bin mir fast sicher, das lässt sich zu CAOIDHE strecken, dem
Heiligen, nach dem Kilkee benannt ist – ›Kil‹ bedeutet ›Kirche‹,
und ›Kee‹ ist die englische Version seines Namens.« Ich schrieb den
Satz aus: ORoit DO CaoiDHE.
»Betet für Kee«, sagte Kendrick. »Ganz
exakt.«
»Was ich wirklich interessant finde, ist, dass nie
Reste einer Kirche oder eines Klosters, die mit dem
Gründungsheiligen in Zusammenhang stehen, in der Gegend gefunden
wurden.«
»Bis jetzt jedenfalls.«
Ich legte den Block beiseite und aß mein Eis auf.
Während Kendrick Tee machte, warf ich einen Blick auf mein Handy.
Es gab mehrere Anrufe von Muriel Blunden.
»Entschuldigen Sie mich kurz«, rief ich Kendrick
zu.
»Was treiben Sie«, sagte Muriel zur Begrüßung.
»Ich versuche die ganze Zeit, Sie zu erreichen.«
»Ich sitze gerade mit jemandem beim
Abendessen.«
»Da haben Sie es besser erraten als ich. Bei mir
ist es bei einem Drink geblieben. Beim zweiten Glas Wein fing er
an, vom mangelnden Interesse seiner Frau an Sex zu sprechen. Also
habe ich ihn zu ihr nach Hause geschickt. Wie sich herausstellte,
kannte er jedoch die Namen der Investoren, die diese Ferienhäuser
am George’s Head gebaut haben – und eine Menge anderer an der
Westküste, wie es aussieht.«
»Aha.«
»Sie waren zu fünft in der HFH-Partnerschaft. Drei
der Namen sagten mir nichts, aber zwei kannte ich sehr wohl. Und
das waren – passen Sie auf – Theo Mahon und Gus Carmody.«
Bumm. Es traf mich wie ein gut gezielter
Faustschlag.
»Na, das ist mal eine Überraschung. Oder auch
nicht. Danke für die Mitteilung, Muriel. Ach ja, da ist noch etwas,
das Sie wissen sollten. HFH hat diese Plakette auf dem Hügel nie
angebracht. Sie werden sie das sicherlich korrigieren lassen. Ich
bin wie gesagt in Gesellschaft, deshalb mache ich für den
Augenblick Schluss.« Ich schaltete das Handy aus.
Theo Mahon und Gus Carmody. So, so.
Ich sah es deutlich vor mir. Nicht zwei namenlose
Männer, die sich an einem Tisch verschwören, sondern der Eigentümer
des Restaurants, der einen Plan mit seinem besten Kunden schmiedet.
Es würde erklären, warum Lena Morrison gezögert hatte, sie zu
nennen. Der eine war ihr Arbeitgeber und der andere dessen
Schwager.