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Am nächsten Morgen fand Tom seinen Assistenten Shane McBride an der Führmaschine, wo er einen Quarter-Horse-Fuchs beäugte, der im Kreis herumtrottete. Shane war irischer Abstammung, kam aus South Boston und hatte in Yale studiert, sich aber dann mit Leib und Seele dem Westen verschrieben und sah nun noch mehr wie ein Cowboy aus als die Alteingesessenen. Er stapfte in Cowboystiefeln herum und trug einen buschigen Schnurrbart, einen zerbeulten Stetson mit biegsamer Krempe, ein ausgebleichtes schwarzes Halstuch, und er hatte ständig Kautabak in der Unterlippe stecken. Er kannte sich mit Pferden aus, hatte Sinn für Humor, nahm seine Arbeit ernst und war die Loyalität in Person. Für Tom war er einfach der perfekte Partner.

Shane drehte sich zu Tom um, nahm den Hut ab, wischte sich die Stirn und kniff ein Auge zu. »Was meinst du?«

Tom beobachtete die Bewegung des Pferdes genau. »Wie lange läuft er schon da drin?«

»Zehn Minuten.«

»Ostitis.«

Shane öffnete das Auge wieder. »Nein, da irrst du dich. Sesamoiditis.«

»Die Fesselgelenke sind nicht geschwollen. Und die Verletzung ist zu symmetrisch.«

»Im Frühstadium, und eine Gleichbeinentzündung kann auch symmetrisch sein.«

Tom kniff die Augen zusammen und beobachtete den Gang des Pferdes. »Wem gehört er?«

»Das ist Noble Nix, gehört O-Bar-O. Hatte noch nie Probleme.«

»Western- oder Springpferd?«

»Cutting-Pferd.«

Tom runzelte die Stirn. »Vielleicht hast du Recht.«

»Vielleicht? Da gibt's kein Vielleicht. Er hat gerade an dem Wettbewerb in Amarillo teilgenommen und einen Sattel gewonnen. Die Anstrengung in Verbindung mit der langen Fahrt im Hänger würde reichen.«

Tom stoppte die Führmaschine, kniete sich hin und tastete die Fesselgelenke des Pferdes ab. Heiß. Er richtete sich auf. »Ich sage immer noch, es ist eine Ostitis, aber ich gebe zu, dass sie möglicherweise in den Gleichbeinen sitzt.«

»Du hättest Anwalt werden sollen.«

»Die Behandlung ist in jedem Fall dieselbe. Absolute Ruhe, mit dem Wasserschlauch kühlen, DMSO-Salbe, feste Bandagen.«

»Ach, sag bloß.«

Tom klopfte Shane auf die Schulter. »Du wirst allmählich richtig gut, was, Shane?«

»So ist es, Boss.«

»Dann wird es dir ja nichts ausmachen, den Laden auch heute zu schmeißen.«

»Es ist so viel schöner, wenn du nicht da bist – kaltes Bier, Mariachis, nackte Weiber.«

»Solange du die Hütte nicht abfackelst.«

»Suchst du immer noch nach dem Mädchen, dessen Vater im Labyrinth ermordet wurde?«

Tom nickte. »Wenn ich nur dahinterkäme, was er in diesem Notizbuch aufgeschrieben hat, hätte ich vielleicht zumindest eine Ahnung, wer er war.«

»Kann gut sein.«

Tom hatte Shane alles erzählt. Sie hatten volles Vertrauen zueinander. Und obwohl Shane ein sehr gesprächiger Mensch war, konnte er so etwas für sich behalten.

»Hast du es bei dir?«

Tom zog das Notizbuch aus der Tasche.

»Lass mal sehen.« Shane nahm es und blätterte darin herum. »Was ist das? Ein Code?«

»Ja.«

Er schloss das Buch und betrachtete den Einband. »Ist das Blut?«

Tom nickte.

»Himmel. Der arme Kerl.« Shane gab ihm das Notizbuch zurück. »Wenn die Cops herausfinden, dass du ihnen was verheimlicht hast, werden sie dich einsperren und den Schlüssel wegwerfen.«

»Ich werde daran denken.«

Tom ging um das Praxisgebäude herum und sah nach den Pferden im Stall; er ging von einer Box zur nächsten, tätschelte jedes Tier, murmelte beruhigende Worte und musterte alle gründlich. Dann setzte er sich an den Schreibtisch, sah die Rechnungen durch und stellte fest, dass ein paar bereits überfällig waren. Er hatte sie nicht bezahlt, nicht, weil er kein Geld hatte, sondern aus purer Faulheit; sowohl er als auch Shane verabscheuten den Papierkram, der nun einmal dazugehörte. Er ließ die Rechnungen wieder in den Eingangskorb fallen, ohne sich weiter darum zu kümmern. Er musste endlich einen Buchhalter einstellen, der all das übernahm, aber diese Extra-Ausgabe würde sie wieder in die roten Zahlen bringen, nachdem sie ein Jahr lang hart gearbeitet hatten, um die Rentabilitätsschwelle zu erreichen. Die Tatsache, dass er hundert Millionen Dollar auf einem Treuhandkonto besaß, spielte dabei keine Rolle. Er war nicht sein Vater. Er wollte sein Geld selbst verdienen.

Er schob die Briefe beiseite, holte das Notizbuch hervor, schlug es auf und legte es auf den Tisch. Die Zahlen lockten ihn – er war sicher, dass hier drin die Lösung für das Rätsel steckte, wer der Mann gewesen war. Und was für einen Schatz er gefunden hatte.

Shane steckte den Kopf durch den Türspalt.

»Was macht der O-Bar-O-Wallach?«

»Ist versorgt und steht wieder in seiner Box.« Zögernd verharrte Shane in der Tür.

»Was ist denn?«

»Weißt du noch, als wir letztes Jahr in diesem Kloster oben am Chama River ein krankes Schaf hatten?«

Tom nickte.

»Als wir da oben waren, haben wir doch von einem Mönch gehört, der früher als Codebrecher für die CIA gearbeitet und alles aufgegeben hat, um Mönch zu werden.«

»Ja. Ich kann mich dunkel erinnern.«

»Warum bittest du ihn nicht, sich das Notizbuch mal anzusehen?«

Tom starrte Shane an. »Das ist deine beste Idee in dieser ganzen Woche.«