7. KAPITEL

Als ich das erste Mal erwachte, war es schon dämmrig, es war, als hätte die untergehende Sonne meine Augen geöffnet. Die Wärme des Tages war von einer angenehmen kühlen Brise abgelöst worden, die den klaren Wassergeruch des Flusses mit sich trug. Ich streckte mich und verlagerte das Gewicht ein wenig, um einen Stein unter meiner rechten Gesäßhälfte hervorzuholen. Dann seufzte ich missmutig. Ich musste mal. Und es war kein Vergnügen, auf die Füße zu kommen. Ich war immer noch steif und kaputt, und der Schlaf hing an mir wie ein nerviger Zweijähriger.

Nicht weit von meinem selbst gemachten Bett entfernt schlief Epi – natürlich im Stehen, wie es sich für ein Pferd gehörte. Eine Fähigkeit, die ich auch immer haben wollte. Ich habe es einmal versucht, auf einem sehr langen Überseeflug, als ich die Krämpfe in den Beinen einfach nicht loswurde. Also hatte ich mich an den Notausgang gelehnt und versucht, ein wenig vor mich hin zu dösen. Leider mit sehr wenig Erfolg. Jedes Mal, wenn ich anfing, mich zu entspannen, rollte mein Kopf herum. Um das fehlgeschlagene Experiment zu vervollständigen, fand ich heraus, dass Schlafen im Stehen bei mir die unschöne Neigung zum Sabbern weckte. Was Epi da tat, sah ganz bequem aus. Ihr rechtes vorderes Bein war immer noch angewinkelt, aber sie war nicht nervös, also entschied ich, dass ich sie jetzt nicht mit einer Hufuntersuchung aus dem Schlaf reißen musste. Wenn sie aufwachte, würde ich versuchen, sie zu überreden, ihn noch einmal im Wasser einzuweichen, aber im Moment war ich zu müde, um mich an weitere Gedichte oder deprimierende Balladen zu erinnern.

Ich wollte einfach nur schnell pinkeln und dann wieder einschlafen.

Das nächste Erwachen war abrupt und unangenehm. Ich wedelte mit den Armen und versuchte, den Alarmknopf zu finden. Trotz der Dunkelheit war ich mir sicher, dass ich verschlafen hatte und zu spät zum Unterricht kommen würde. Sie kennen das Gefühl – heftiges Herzklopfen und die Gewissheit, dass man zu spät kommt. Und dann überkam mich totale Orientierungslosigkeit. Sogar mein schläfriges Hirn bemerkte, dass ich nicht zusammengerollt unter meiner Daunendecke in meinem antiken Eichenbett lag. Ich setzte mich auf, blinzelte ein paarmal und versuchte, meine Augen an die absolute Dunkelheit zu gewöhnen.

Das Gurgeln von über Steine plätscherndem Wasser brachte mich in die Gegenwart zurück.

„Epi?“ Erleichtert beruhigte sich mein Herzschlag, als sie ihre warme Schnauze an meine Wange drückte. Langsam konnte ich sie auch als hellen Fleck in der Dunkelheit ausmachen. Sie lag dicht neben meiner linken Seite. Ihr schläfriger Atem roch süß und grasig, als sie mein Gesicht und meine Haare erkundete.

„Geht es dir besser, Zaubermädchen?“ Ich wollte noch nicht aufstehen, also rutschte ich zu ihr hinüber und strich mit meinen Händen über ihren Hals und ihren Rücken. Ihre Beine steckten unter ihrem Körper, sodass ich den verletzten Huf nicht anfassen konnte, aber sie fühlte sich nicht übermäßig warm an und benahm sich auch nicht, als hätte sie Schmerzen.

„Ich frage mich, ob der Mond wohl bald herauskommt.“ Ich lehnte mich gegen ihren weichen Körper. Die kühle Nachtluft hatte meinen überanstrengten Muskeln nicht gerade gutgetan. „Mann, ich könnte ein schönes, heißes Bad gebrauchen.“

Mein Magen knurrte.

„Ich schätze, wir können nichts machen, bis es heller wird.“ Epi antwortete mit einem sanften Pferdeschnauben.

Was zum Teufel sollte ich überhaupt tun? Ich hatte keine Ahnung, wie schwer Epis Verletzung war, aber sie konnte nicht geritten werden, so viel stand fest. Und was nun? Meinen nicht sehr zuverlässigen Zeit- und Entfernungssinn nutzend, schätzte ich, dass wir ungefähr zehn bis zwölf Stunden weit geritten waren. Dann hatten wir, ich weiß nicht, vielleicht acht Stunden geschlafen? Wenn wir Glück hatten, hatten wir die Hälfte des Weges geschafft. Und wir waren hungrig. Und müde. Und verletzt.

Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu entspannen, nachzudenken, meinen Magen zu vergessen und mich warm zu halten.

Die einzig vernünftige Lösung wäre, Epi zurück zum Tempel zu bringen. Es würde nur langsam vorwärtsgehen. Vielleicht wäre jemand in einem der kleinen Häuschen bereit, Epona und der von ihr Erwählten etwas zu essen zu geben. Irgendetwas Gutes musste es doch haben, die Inkarnation einer Göttin zu sein. Mich mehrere Tage lang nur von Weintrauben zu ernähren, würde bestimmt Auswirkungen auf mein Verdauungssystem haben – die mir in den Kopf kommenden Bilder waren nicht hübsch. Ich konnte es vor mir sehen – ich würde mich in eine armselige Nymphomanin mit Durchfall verwandeln, ohne Toilettenpapier.

Also würden wir beim ersten Tageslicht aufbrechen. Ich würde versuchen, Epis Huf noch einmal zu kühlen, und dann würden wir uns auf den Rückweg machen. Bis dahin folgte ich besser Epis Beispiel und schlief noch ein wenig – es lagen lange Tage vor uns. Mich so nah wie möglich an die Stute kuschelnd, badete ich in der Hitze ihres Körpers. Mir wurde wärmer, und ich wurde schläfriger, und ich stellte mir vor, sie wäre eine große, silberfarbene, pferdige Heizung …

Anfangs beunruhigte mich das Geräusch nicht. Es war ein leises Rascheln. Nicht wie die zu kalte Brise, die durch das Laub der Bäume rauschte, und nicht wie das über Steine fließende Wasser. Es war anders.

Ein Zweig brach. Ich erstarrte und versuchte, still liegen zu bleiben, um keine Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Während ich um die Trockenheit in meinem Mund herum schluckte, fürchtete ich, dass mein schlagendes Herz laut und deutlich „Hier sind wir!“ in die Nacht telegrafierte.

Ein weiterer Zweig brach. Dieses Mal spürte ich, wie Epi sich regte. Sie hob den Kopf und wandte ihn in Richtung Wald.

Ich erinnerte mich an die Dinger. Diese Mensch-Kreaturen-Dinger. Und wie sie dem Wald mit ihren Bewegungen den Anschein gegeben hatten, er würde atmen. Wie hatte ich das nur vergessen können?

Das hier war nicht meine Welt. Hier herrschten Kräfte, die ich noch nicht einmal ansatzweise verstand. Warum war ich so beschäftigt damit gewesen, Scarlett O’Hara zu spielen und alle Probleme und Gefahren auszublenden? Ich hatte den Grund für meine Reise zur MacCallan-Burg total verdrängt. Diese Kreaturen hatten eine ganze Burg voller Menschen abgeschlachtet. Starke, mutige Männer waren nicht in der Lage gewesen, ihnen Einhalt zu gebieten. Und hier war ich, stromerte durch die Landschaft mit meiner dummen „Du schaffst das, Mädchen“-Attitüde.

Daddy zu beerdigen war eine gute Idee. Sicherzugehen, dass er auch wirklich tot war, war noch besser, aber diese Stute und mich umbringen zu lassen, während ich gute Tochter spielte, war einfach zu blöd. Dad wäre der Erste in der Reihe, um mir das zu sagen.

Im Unterholz raschelte es wieder. Irgendetwas Schweres kam in unsere Richtung. In meinen Gedanken konnte ich die Kreaturen sehen, die Flügel ausgebreitet und straff, wie sie in ihrem Gleitlaufschritt aus dem Wald brachen. Die Augenblicke der Stille zwischen den Geräuschen bekamen einen prophetischen Charakter. Für mich waren sie nur die Pausen zwischen einem schwebenden Schritt und dem nächsten. Meine Güte, was war ich doch für eine Vollidiotin. Ich würde nicht nur nicht meinen Dad beerdigen, sondern vielleicht selber ein tragisches Ende finden, das die ekligen Leichen bei CSI lächerlich aussehen ließe.

Ja, ich hätte eindeutig vorher über die ganze Sache nachdenken sollen.

Epi zitterte und erhob sich. Ich stand dicht neben ihr, streichelte ihren Hals und murmelte beruhigende Worte vor mich hin. Mein Gehirn versuchte verzweifelt, einen Plan auszuarbeiten. Weder das College noch andere Ereignisse in meinem Leben hatten mich auf diese betäubende Angst vorbereitet. Als Epi und ich beobachteten, wie die dunklen Schatten sich aus dem Wald lösten und den Uferhang hinunterkamen, tat ich das, von dem ich immer gehofft hatte, es in einer solchen Situation nicht zu tun. Ich erstarrte völlig. Wie ein Reh, das darauf wartet, von einem Zwölftonner überrollt zu werden, stand ich da, überwältigt von meinem Schicksal. Ich war stolz auf Epis Mut. Sie wandte sich in Richtung der Eindringlinge, stellte die Ohren auf und pustete sanft durch ihre Nüstern. Sie zeigte keine Furcht. Pferde sind verdammt mutige Tiere. Ich fühlte mich geehrt, sie an meiner Seite zu haben, während der Tod immer näher kam …

„Lady Rhiannon?“

Die Stimme war tief und seltsam vertraut. Einen Augenblick war ich zu überrascht, um zu antworten. Diese ekligen Kreaturen hatten die gleiche Stimme wie ClanFintan?

Epis sanftes Nicken, das Wiedererkennen bedeutete, brach den Bann der Dummheit, der mich in den Fängen hatte. Zumindest für den Moment.

„ClanFintan?“

„Sie ist hier!“, rief er über die Schulter, und plötzlich wimmelte es um uns herum von dunklen Schatten, die vage wie Pferde aussahen. „Macht ein Feuer, es ist heute Nacht schwarz wie in der Unterwelt.“

Ich konnte hören, wie Äste und Steine verschoben wurden, und etwas, das sich anhörte wie das Aufeinanderschlagen von Feuersteinen. Die Sicht wurde mir jedoch nicht nur durch die Dunkelheit genommen, sondern auch durch Epi und eine große, pferdeförmige Gestalt direkt vor mir. Sie sprach und klang ziemlich verärgert.

„Sind Sie verletzt, Rhiannon?“

„Nein, ich nicht, aber Epi, sie hat sich einen Huf geprellt.“

„Epi?“

„Oh, äh, ich meine Eponas Stute.“ Zumindest hoffte ich, dass ich das meinte.

Ein paar Meter flussabwärts flammte ein Feuer auf, und als die Zentauren mehr Holz auflegten, kehrte auch mein Augenlicht zurück. ClanFintan stand vor uns, die Hände in die Hüfte gestemmt (seine, ähm, menschliche Hüfte), die Stirn in Falten gelegt.

„Welcher Huf?“ Er klang kurz angebunden und sehr geschäftsmäßig.

„Vorne rechts.“ Ich trat unter Epis Hals, bückte mich und strich an ihrem Bein entlang. „Es fühlt sich nicht geschwollen oder heiß an, also denke ich, dass sie sich nur das Strahlenpolster geprellt hat.“ (Aus dem Augenwinkel warf ich ihm einen Blick zu – er schien mich zu verstehen. Oh ja, das sollte er auch. Er war ja schließlich selber teils Pferd.) „Sehen Sie es sich an.“ Epi hob gehorsam den Huf, und er beugte sich hinunter, um ihn anzusehen. Seine starken Hände drückten auf die gleichen Punkte, die meine kleineren vorher schon untersucht hatten. Epi gab ein kleines Grunzen von sich, als er die wunde Stelle erreichte, und sofort hörte er auf zu drücken und streichelte ihren Hals. Er murmelte ihr sanfte Worte zu, die ich nicht verstehen konnte, aber es war ein angenehmer Singsang, der mich ans Gälische erinnerte. Epi entspannte sich und seufzte, als ich ihren Huf hinunterließ.

„Eine schlimme Prellung“, sagte er anklagend. „Wie ist das passiert?“

Ich richtete mich auf und trat einen Schritt näher an Epi heran. Ich hasste es, dass ich mich jetzt schuldig fühlte.

„Etwas weiter unten am Fluss hat die Böschung nachgegeben, als wir sie hinaufgeritten sind. Ihr Huf muss zu hart auf einem spitzen Stein aufgesetzt haben.“

„Sie hätte sich das Bein brechen können.“

„Das weiß ich! Ich fühle mich schon schlimm genug, da brauche ich Ihre Anschuldigungen nicht auch noch.“ Ich fühlte mich den Tränen nahe. Epi stieß mich mit ihrer Schnauze an, und ich barg mein Gesicht an ihrem Hals.

„Sie wird sich wieder erholen.“ Seine Stimme klang sanfter.

„Ich weiß!“ Zumindest jetzt wusste ich es, nachdem er es mir gesagt hatte.

„Kommen Sie mit ans Feuer. Sie sehen verfroren aus.“

Er nahm meinen Ellenbogen und sprach sanft auf Epi ein. Wie verirrte Kinder folgten wir ihm. Während er mich zu einem halbwegs bequemen Stein führte (zumindest war er schön angewärmt vom Feuer), begann er, seinen Männern/Pferden, was auch immer, Anweisungen zuzurufen. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine Decke auf und wurde mir um die Schultern gelegt. Ein paar Zentauren waren damit beschäftigt, Epi trocken zu rubbeln. Sie stand ruhig da und schien es zu genießen. Ein weiterer Zentaur machte ein paar Meter entfernt vom ersten ein zweites Feuer, und ich sah mit großer Freude, wie er Satteltaschen voller – oh schweig, mein dummes Herz – Nahrung auspackte. ClanFintan reichte mir ein schlaffes, sackähnliches Ding, und als ich es nur dümmlich anschaute, öffnete er es für mich.

„Trinken Sie, Mylady. Es wird Ihnen helfen, wieder zu Kräften zu kommen.“

Etwas in seinem Ton ließ mich denken, dass er eigentlich meinte, wieder zu Sinnen zu kommen, aber ich war in diesem Punkt zu sehr einer Meinung mit ihm, als dass ich mich auf eine Diskussion eingelassen hätte.

Der Wein war vollmundig, rot und lecker.

Ich warf einen Blick zu Epi hinüber. Einer der Zentauren hatte ihr einen Futtersack umgehängt, und sie mampfte zufrieden vor sich hin. Bei dem Bratengeruch, der mit einem Mal in der Luft hing, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Als ich einen weiteren Schluck Wein nahm, ließ mein Magen ein Rumoren ertönen, das nicht peinlicher hätte sein können.

„Sie haben nicht daran gedacht, Proviant mitzunehmen?“

ClanFintan sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, den man nur als ungläubig bezeichnen konnte. Glauben Sie mir, Lehrer erkennen Ungläubigkeit, wenn sie ihnen ins Gesicht guckt.

„Nein, ich, äh, also … nein, hab ich nicht.“ Jetzt klang ich so dumm, wie ich mich fühlte.

„Hm.“ Er drehte sich um und ging davon, als würde er sehr dringend am anderen Feuer gebraucht werden.

Ich fühlte mich unglaublich dumm und unfähig, und so machte ich mich unter meiner Decke so klein wie möglich und umklammerte meinen Weinschlauch (und versuchte, nicht daran zu denken, woraus der Schlauch gemacht war – igitt).

ClanFintan kam kurz darauf mit einer dicken Scheibe hartem Brot zurück, in der ein Stück wundervoll riechendes Fleisch steckte. Ich konnte auch den Duft von Käse wahrnehmen. Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas so Gutes gerochen.

„Hier. Sie müssen hungrig sein.“

„Danke.“ Ich bemühte mich, ihm keinen Finger abzureißen, als ich ihm das Brot aus der Hand schnappte.

Begeistert kauend beobachtete ich, wie er sich mir gegenüber auf die andere Seite der Feuerstelle setzte. Mir fiel auf, dass die anderen Zentauren – ich zählte zehn – sich um das andere Feuer versammelt hatten. Ihre fröhliche Unterhaltung war eine angenehme Untermalung des in der Dunkelheit flüsternden Flusses.

„Warum sind Sie fortgegangen?“

Seine Stimme lenkte meine Aufmerksamkeit zurück zu unserem Feuer.

Ich schluckte ein Stück Käse hinunter und nahm schnell einen Schluck Wein. „Ich muss mich um meinen Dad kümmern.“

„Warum haben Sie mich nicht gebeten, Sie zu begleiten?“

„Ich … äh … ich …“

„Ich habe von Anfang an gewusst, dass Sie unsere Verbindung nicht wollen.“ Er hob eine Hand, um mich davon abzuhalten, ihn zu unterbrechen. „Und ich weiß, dass Sie keine ehelichen Gefühle für mich hegen, aber ich habe geschworen, Sie zu beschützen und zu respektieren und Sie über allem anderen zu ehren.“ Er wandte den Blick ab und schaute über den Fluss. „Vor mir fortzulaufen war eine Kränkung, die ich nicht verdient habe.“

Oh, oh, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Männer und ihr Ego. Verdammt.

„Ich bin nicht vor Ihnen davongelaufen.“

„Wie würden Sie es nennen?“ Er sah mich immer noch nicht an.

„Ich tat, was ich dachte, tun zu müssen. Ich habe nicht geglaubt, dass Sie mich zur Burg meines Vaters bringen würden.“ Jetzt schaute er mich endlich wieder an. Er sah schockiert aus.

„Sie sind Eponas Auserwählte und meine Gattin. Selbstverständlich hätte ich Sie begleitet.“

„Nun ja, Sie wollten nicht, dass ich gehe. Genau wie Alanna“, fügte ich sicherheitshalber hinzu.

„Rhiannon, natürlich wollten wir nicht, dass Sie eine solch schmerzvolle und gefährliche Reise unternehmen, aber Sie sind Eponas Hohepriesterin. Ist Ihnen jemals etwas verwehrt worden?“

Er klang verwirrt, und ich erkannte, was für einen Fauxpas ich begangen hatte.

Ich senkte meinen Blick und zupfte an einem losen Faden meiner Decke. „Ich habe nicht klar gedacht. Ich wollte mich einfach nur um meinen Vater kümmern.“ Als ich wieder zu ihm aufsah, waren die Linien um seinen Mund ein wenig weicher geworden. „Es tut mir leid. Ich hätte zu Ihnen kommen sollen.“

Er blinzelte überrascht. Rhiannon die Große entschuldigte sich offensichtlich nicht sehr oft.

„Ich verzeihe Ihnen. Und ich bin froh, dass wir Sie gefunden haben und dass Sie unverletzt sind.“

Mein Blick suchte Epi, die ein Stück entfernt zu meiner Rechten immer noch fröhlich auf ihrem Hafer herumkaute. „Wird sie wirklich wieder ganz gesund?“

„Ja, Mylady. Sie braucht nur ein wenig Ruhe, und schon bald wird sie Sie wieder bei jeder Flucht tragen können, die Sie planen.“

„Aber ich …“ Er lächelte. Oh, das war seine Vorstellung von Humor. „Ich hatte wirklich nichts geplant. Zumindest nicht sonderlich gut.“

„Das stimmt.“

Er sah mich selbstzufrieden an, aber es war eine süße Art von Selbstzufriedenheit.

„Es tut mir leid, dass ich so viel Ärger verursacht habe.“

„Ist schon gut.“ Seine Augen glitzerten im Licht des Feuers, und die lodernden Flammen warfen hübsche Schattenspiele auf seine Brust, auf die ich immer dann einen Blick erhaschen konnte, wenn er sich bewegte und seine Lederweste ein wenig verrutschte.

Verdammt, ich musste auf mehr Appetit haben als nur auf Brot und Braten. Vielleicht färbten Rhiannons Angewohnheiten auf mich ab. Schnell widmete ich mich wieder meinem Brot und versuchte so zu tun, als ob ClanFintan mich nicht von der anderen Seite des Feuers aus betrachten würde. Nein, ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht vorhatte, aufzuspringen und mich dem ersten Mann (oder Pferd) an den Hals zu werfen, der (oder das) meinen Weg kreuzte. Es war dieser Mann (oder Pferd), für den ich, wie soll ich sagen, schlampenhafte Gefühle hegte. Oder vielleicht lag es auch nur an den vielen Weintrauben.

Im Zweifel einfach das Thema wechseln.

„Sind die Menschen aus den Dörfern in den Tempel gebracht worden?“ Gut, ClanFintan hörte mit seinen visuellen Streicheleinheiten auf und wurde wieder zu Mr. Business.

„Ja. Ich habe einige Ihrer Wachen und ein paar meiner Zentauren ausgeschickt, um die Nachricht von dem Vorfall zu verbreiten und die Menschen in Eponas Tempel zu versammeln.“

„Gibt es schon irgendwelche Anzeichen dafür, dass die Kreaturen in der Nähe sind?“

„Nein. Wir haben Brieftauben mit Warnungen an alle Stammesführer losgeschickt und die Clans gebeten, sämtliche Neuigkeiten über die Fomorianer sofort mit uns zu teilen. Alle haben geantwortet, mit Ausnahme von MacCallan.“

„Glauben Sie, die Kreaturen halten sich immer noch dort auf?“

„Ich weiß es nicht, Mylady.“

Ich schaute auf mein angebissenes Brot. „Sind Sie immer noch bereit, mich dorthin zu bringen, obwohl Sie wissen, dass diese Fomorianer sehr wahrscheinlich noch dort sind?“

„Für die Spanne eines Jahres werde ich Sie überall hinbringen, wohin Sie es wünschen. Sie müssen nur fragen.“ Sein Blick hielt meinen fest.

„Aus Pflichtgefühl.“ Während ich seinen Blick erwiderte, erkannte ich, dass ich von ihm mehr wollte als Pflichtgefühl.

„Ich haben Ihnen meinen Eid gegeben.“ Seine Stimme war hypnotisierend.

„Dann frage ich Sie: Würden Sie mich bitte zu meinem Vater begleiten, damit ich ihn beerdigen kann?“ Ich konnte nur noch flüstern, so sehr überwältigten mich mit einem Mal die Emotionen.

„Ja, Lady Rhiannon. Ich werde Sie begleiten und beschützen.“

„Und immer in meiner Nähe sein?“ Die Frage rutschte mir so raus.

„Ich werde Ihnen so nah sein, wie Sie es wünschen.“

Wow, das war mal eindeutig zweideutig. Ich überlegte, wie man ihn korrekt bat, sich in einen Menschen zu verwandeln. Außerdem hätte ich gern gewusst, wie er dabei vorging. Würde er sich kurz entschuldigen und den Raum verlassen, wie man es tut, wenn man ins Badezimmer geht, um sich sein Diaphragma einzusetzen oder ein Kondom zu holen?

Das Geklapper von Töpfen, die abgewaschen wurden, riss mich aus meinen Schlafzimmerfantasien, und beschämt bemerkte ich, dass ich rot wurde – bis ClanFintan meine roten Wangen bemerkte. Das sanfte Lächeln, das er mir schenkte, machte mich lächerlich froh darüber, dass ich schon immer leicht errötet war. Verdammt, ich fühlte mich wie ein ungelenker Teenager (auch wenn es überflüssig ist, extra auf dieses Manko hinzuweisen, denn Teenager sind immer ungelenk).

„Sie müssen müde sein.“

Nun ja, zumindest hatte ich an ein Bett gedacht, falls das auch zählt. Er lächelte, als könnte er meine Gedanken lesen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich wieder rot geworden war.

„Ruhen Sie sich aus, während ich die Zentauren über unsere Pläne unterrichte.“

„Äh, was genau sind denn unsere Pläne?“ Verdammt, sah er im Feuerschein gut aus.

Er war schon ein paar Schritte gegangen, drehte sich beim Klang meiner Stimme aber noch einmal um.

„Wir werden Sie zur Burg von MacCallan bringen.“

Das war einfach. „Und was ist mit Epi, äh, Epona?“ Beim Klang ihres Namens richtete die Stute die Ohren auf und in meine Richtung. Ich warf ihr eine Kusshand zu.

„Ich werde zwei Zentauren abkommandieren, mit ihr hier auf unsere Rückkehr zu warten. Wenn wir zurück sind, wird sie sicher wieder laufen können, wenn auch vielleicht noch nicht Ihr Gewicht tragen.“

„Wie soll ich dann zur Burg und zurück nach Hause kommen? Haben Sie ein Pferd mitgebracht?“ Außer seinen Freunden, meinte ich.

„Nein.“ Sein Lächeln wurde breiter.

„Soll ich etwa laufen?“ Das würde ja ewig dauern.

„Nein.“

Er sah aus wie die verdammte Grinsekatze.

„Also, wie dann?“ Was zum Teufel dachte er sich bloß?

„Sie werden mich reiten.“ Er verbeugte sich spöttisch, dreht sich dann um (wie ein gutes Westernpferd) und ging ans andere Lagerfeuer.

Zum ersten Mal war ich wirklich sprachlos – vollkommen unfähig, auch nur einen Ton von mir zu geben.

Ihn reiten?

Ich wusste ja bereits, dass er ein Beißer war.

Ich hoffte nur, dass er nicht auch zum Buckeln neigte.

Und ich fragte mich, wie zum Teufel John Wayne diese Situation handhaben würde.