ACHTES KAPITEL
Nicht, ich versuche gerade, mich zu konzentrieren.« Roxanne wehrte Luke ab, der über ihre Schulter spähte. Sein Atem kitzelte sie im Nacken.
»Und ich versuche gerade, dich rumzukriegen, mit mir auszugehen.«
»Du hast in letzter Zeit wahrhaftig einen Tick mit deinem Ausgehen.« Sie beugte sich wieder über den Schreibtisch ihres Vaters, auf dem sie die Pläne der Kunstgalerie ausgebreitet hatte. Sie mußten sich noch darauf einigen, wo sie einsteigen wollten. »Von oben, Callahan, das ist wirklich am besten. Die Ausstellung ist im dritten Stock, warum sollen wir also im Erdgeschoß rein und die Treppe hochsteigen?«
»Weil wir auf diesem Weg tatsächlich die Treppen hinaufsteigen können statt uns viereinhalb Meter an einem Seil hinabzuhangeln.«
Sie warf ihm über die Schulter einen Blick zu. »Ach, wirst du langsam alt?«
»Zufälligerweise bin ich jetzt Vater. Da muß ich gewisse Rücksichten nehmen.«
»Das Dach ist besser, Väterchen.«
Er wußte, daß sie recht hatte, aber er genoß diese kleine Debatte viel zu sehr, um gleich nachzugeben. »Wir müssen schließlich auch Jake irgendwie raufbringen. Und er hat Höhenangst.«
»Dann verbindest du ihm die Augen.« Sie tippte mit einem Bleistift auf die Zeichnung. »Hier, das Ostfenster im dritten Stock. Ich bin bereits drin und drehe in diesem Lagerraum Däumchen bis zum vereinbarten Zeitpunkt. Um exakt elf Uhr siebzehn gehe ich in den Überwachungsraum, wodurch ich genau eine Minute und dreißig Sekunden Zeit habe, um Kamera sechs zu präparieren, ehe der Alarm ausgelöst wird.«
»Mir gefällt der Gedanke nicht, daß du diese Arbeit übernimmst.«
»Sei nicht so überheblich. Du weiß verdammt gut, daß ich mich mit Elektronik am besten auskenne. Dann wechsle ich die Videobänder aus.« Sie strich sich das Haar zurück und grinste. »Ich wünschte, ich könnte das Gesicht des Wächters sehen, wenn er Mouses Video sieht.«
»Hier geht's nicht um einen Jungenstreich, meine Schöne.«
»Halt die Klappe, ja? Also weiter. Nachdem Jake und Mouse ihren Teil der Arbeit geleistet haben, mache ich dir das Fenster auf, und du, mein Held, kommst zu mir herein.« Sie lächelte ihm kokett zu.
»Dann bleiben uns sechseinhalb Minuten, um die Schaukästen zu öffnen, die Klunker rauszunehmen und mit unseren Imitationen zu vertauschen.«
»Und im Nu sind wir wieder weg, ohne eine Spur zu hinterlassen!« Sie strich mit der Zunge über die Lippen. »Wir beide gehen zurück in unser Hotel und treiben es wie die Wilden, ja?«
»Rox, ich liebe deine Einfälle.« Er stützte sein Kinn auf ihre Schulter. »Wir müssen aber noch mal alles genau durchkalkulieren, damit wir zeitlich auch hinkommen.«
»Wir haben ja noch ein paar Wochen.« Sie hob die Arme und schlang sie um seinen Hals. »Denk nur mal an diesen ganzen, hübschen Glitzerkram. Und er gehört ganz allein uns, Callahan.«
Luke holt tief Atem und richtete sich auf. »Das ist etwas, worüber ich mit dir reden wollte, Rox.« Er hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde, und zögerte unsicher. »Willst du einen Brandy?«
»Gern.« Sie rekelte sich genüßlich. Es war fast ein Uhr morgens. Das Haus war still und dunkel. Flüchtig überlegte sie, ob sie Luke auf der Ledercouch verführen sollte, und lächelte, als er ihr ein Glas reichte.
»Bist du sicher, daß du mit mir reden willst?«
Er kannte diesen Blick und diesen Tonfall nur zu gut und hätte sich liebend gern auf ihr Angebot eingelassen, um dieses Gespräch zu vermeiden. »Nein, aber wir müssen. Es geht nämlich um die Beute.«
»Hmm.«
»Wir werden sie nicht behalten.«
Roxanne verschluckte sich an ihrem Brandy, und Luke klopfte ihr hilfsbereit auf den Rücken. »Herrgott, mach nicht solche schlechten Witze, wenn ich gerade was trinke.«
»Es ist kein Witz, Rox. Wir werden sie nicht behalten.«
Sie erkannte, daß es ihm ernst war. »Was redest du da, verdammt noch mal? Was für einen Sinn hat es, die Sachen zu stehlen, wenn wir sie nicht behalten?«
»Ich habe dir erklärt, daß der Raub ein Ablenkungsmanöver für das Ding bei Wyatt ist.«
»Natürlich, und dazu ein sehr einträgliches, trotz der ungeheuren Kosten.«
»Ja, aber nicht für uns.«
Sie nahm rasch einen weiteren Schluck Brandy, was ihr Unbehagen aber nicht vertrieb. »Weißt du eigentlich, daß wir schon rund achtzigtausend ausgegeben haben, damit wir sie überhaupt stehlen können, Callahan? Willst du etwa Juwelen im Wert von über zwei Millionen so einfach verschenken?«
»Wir werden sie jemandem unterschieben. Sie sind wichtige Requisiten für einen Coup, von dem ich seit fast einem Jahr träume.«
»Jetzt verstehe ich.« Roxanne stand auf und lief erregt auf und ab. »Sam. Du willst sie Sam unterjubeln. Das ist deine Rache, nicht wahr?« Ihre Augen funkelten, als sie sich zu ihm umwandte. »Das also hattest du die ganze Zeit über geplant. Deshalb bist du zurückgekommen. Um es ihm heimzuzahlen.«
»Deinetwegen bin ich zurückgekommen.« Luke war betroffen über die Bitterkeit in ihrer Stimme und spürte deutlich ihre maßlose Enttäuschung. »Ich habe dir erklärt, warum ich damals gegangen bin, Rox, und diese Jahre kann ich mir nie mehr zurückholen. Aber ich will dich nicht wieder verlieren, und ich will keine Risiken mehr eingehen, was meine Familie betrifft.« Er zögerte. Sie war imstande, ihn ohne weiteres in der Luft zu zerfetzen, aber er mußte ihr alles erzählen. »Deshalb bin ich auf dem Weg nach New Orleans erst zu Wyatt gegangen.«
»Du warst bei ihm?« Sie starrte ihn entgeistert an. »Und das nennst du keine Risiken mehr eingehen?«
»Ich habe eine Abmachung mit ihm getroffen. Ich hatte geglaubt, ich könnte ihn mit Geld bestechen und habe ihm eine Million Dollar für ein paar Monate bei euch geboten.«
»Eine Million …«
»Aber er wollte nicht darauf eingehen. Oder besser gesagt, er wollte noch mehr. Also haben wir uns auf einen Handel geeinigt.« Er griff nach seinem Glas und trank genüßlich einen Schluck Brandy. Zumindest dieser Teil der Geschichte gefiel ihm ausnehmend gut. »Er war einverstanden, mir Zeit zu geben bis kurz vor den Wahlen, unter der Bedingung, daß ich ihm bis dahin kompromittierende Fotos von Curtis Gunner beschaffe. Natürlich gefälschte, da Gunner ein absoluter Ehrenmann ist. Außerdem will Wyatt Papiere, die belegen, daß Gunner in illegale Geschäfte verwickelt ist. Ich soll dieses Material fabrizieren und ihm unterschieben.«
Roxanne atmete tief durch und ließ sich aufs Sofa sinken. Jetzt brauchte sie wirklich einen Brandy. Sie nahm einen großen Schluck. »Das war der Preis dafür, daß du zurückkommen konntest?«
»Ich weiß nicht, was er sonst mit dir, mit Max, Lily und allen anderen, an denen mir etwas liegt, gemacht hätte.« Luke schaute sie fest an. »Und nun ist da auch noch Nathaniel. Ich würde alles tun, um ihn zu beschützen, wirklich alles.«
Ein eisiger Schauder lief ihr über das Rückgrat. »Er würde Nate nichts antun. Er … doch, natürlich würde er das.« Roxanne versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. »Ich weiß, daß wir ihm ausgeliefert sind. Aber wir haben noch nie zuvor einem unschuldigen Menschen geschadet. Wir müssen uns einen anderen Weg überlegen.« Sie schaute mit entschlossenem Gesicht zu ihm auf. »Und das schaffen wir auch.«
Luke war überzeugt, daß er sie nie mehr geliebt hatte als in diesem Augenblick. Sie würde mit allen Mitteln die Menschen, die sie liebte, schützen und verteidigen und trotzdem nie ihre moralischen Prinzipien verraten.
»Jake ist bereits dabei, Dokumente zu fälschen, die ich dann zusammen mit der Beute in Wyatts Safe schmuggeln werde. Allerdings werden sie nicht ganz so sein, wie er es erwartet«, fügte er hinzu, ehe sie protestieren konnte. »Die ersten Fotos, die Jake bereits fertig hat, sind ziemlich gut, und Wyatt sieht großartig darauf aus. Besonders auf einem, das ihn in einem schwarzen Minislip aus Leder und mit Stiefeln zeigt.«
»Sam? Du machst diese Fotomontagen mit Bildern von Sam?« Ihre Lippen begannen zu zucken, aber sie unterdrückte ihr Lächeln. Du verdammter Kerl, dachte sie voller Bewunderung. Aber sie war noch nicht fertig. »Du legst ihn mit seinem eigenen Plan rein, um ihn politisch zu ruinieren?«
»Schließlich habe ich nichts gegen Gunner, aber jede Menge gegen Wyatt. Mir erscheint das mehr als gerecht. Abgesehen von den Fotos und den Dokumenten – einige davon belegen, daß Wyatt in eine Reihe von Diebstählen verwickelt ist, die dir sehr bekannt vorkommen werden – habe ich Geld auf zwei Konten in der Schweiz transferiert, die auf seinen Namen lauten.«
»Clever ausgeheckt«, nickte sie. »Aber mir hast du das alles verschwiegen.«
»Ich wollte erst sicher sein, daß du dabei bist, Roxanne. Ich dachte, der Gedanke, daß wir uns den Stein der Weisen holen, würde dich mehr reizen. Und ich hatte gehofft, daß du mir schließlich so weit vertrauen würdest, daß ich dir später alles erzählen könnte. Wenn du sauer bist, weil ich es dir verheimlicht habe, dann ist das dein gutes Recht. Solange du weiter mitmachst.«
Sie jedoch merkte, daß ihr Zorn verschwunden war. Sie verstand Luke sogar. Und nicht nur das, sie war entzückt über diesen raffinierten Plan. Er hätte direkt von ihr selbst sein können.
»Von heute an, Callahan, sind wir absolut gleichberechtigte Partner oder gar nichts.«
»Wie? Einfach so? Ohne daß du mich verfluchst oder mich wenigstens einmal beschimpfst?«
»Das hebe ich mir für andere Gelegenheiten auf.« Sie trank ihm zu. »Auf Nouvelle und Callahan.«
Er grinste und musterte sie versonnen. »Wolltest du mich nicht vorhin gerade verführen, ehe ich dich unterbrach?«
»Wenn ich es mir recht überlege …« Sie stellte ihr Glas zur Seite. »… wollte ich das tatsächlich.«
Max schaute regungslos aus dem Fenster. Luke fragte sich, was er wohl sah – die Gebäude des Viertels, die blumenübersäten Balkone, den regenverhangenen Himmel? Oder etwas ganz anderes, irgendeine lange zurückliegende Erinnerung?
Seit seinem Rückfall war Max noch tiefer in diese unbekannte Welt versunken, in die ihm niemand folgen konnte. Er sprach nur noch selten, und manchmal weinte er leise. Auch sein Körper schien sich allmählich aufzulösen, er wurde immer magerer.
Die Ärzte hatten mit allen möglichen fremd klingenden Ausdrücken von den Veränderungen gesprochen, die man in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten gefunden hatte, und welche Folgen sich daraus ergaben, aber wem half das schon? Für Luke hatte es fast wie irgendwelche unheimlichen Zauberformeln geklungen.
Roxanne hatte bereits hereingeschaut, um sich zu verabschieden, und wartete unten bei Nate. Die Koffer für ihre Reise nach Washington waren längst gepackt.
»Ich wünschte, du würdest mit uns kommen.« Luke blickte ebenfalls nach draußen. Es fiel ihm unendlich schwer, dieses leere Gesicht anzuschauen oder die verkrampften Finger, die sich unablässig bewegten, als spiele er mit unsichtbaren Münzen. »Ich würde mich wesentlich besser fühlen, wenn ich den ganzen Plan mit dir hätte besprechen können. Ich glaube, er hätte dir gefallen. Er ist nicht übel, und ich denke, ich habe an alles gedacht.« Im Geiste hörte er Max' Stimme und mußte lächeln. »Ich weiß, ich weiß, rechne mit allen erdenklichen Zwischenfällen und sei auf jede Überraschung gefaßt. Ich werde diesen Bastard büßen lassen für die fünf Jahre, die er mir und uns allen genommen hat, Max. Und ich hole dir den Stein. Ich lege ihn dir in die Hände. Falls er irgendeinen Zauber besitzt, wirst du es dann sehen.«
Luke erwartete keine Antwort, sondern schaute in diese Augen, die ihn einst förmlich gezwungen hatten, in das Jahrmarktzelt zu kommen. Sie waren noch so dunkel wie früher, aber der bezwingende Blick war verschwunden.
»Ich will dir sagen, daß ich mich um Roxanne und Nate kümmern werde. Und um Lily und Mouse und LeClerc. Rox würde natürlich auf mich losgehen, wenn sie das hörte, sie hatte bisher ja alles gut im Griff. Aber sie muß es nicht mehr länger allein machen. Nate nennt mich Dad. Du kannst dir nicht vorstellen, wieviel mir das bedeutet.« Sanft nahm er die verkrümmten, ruhelosen Hände. »Dad. Ich habe dich nie so genannt. Aber du bist mein Vater.« Luke beugte sich vor und küßte die runzelige Wange. »Ich liebe dich, Dad.«
Er gab keine Antwort. Luke stand auf und ging hinaus, um seinen Sohn zu suchen.
Max starrte weiterhin regungslos nach draußen. Doch aus seinem Auge lief eine Träne und rann langsam über die Wange, die Luke geküßt hatte.
Jake hockte in der Suite ihres Hotels vor seinem tragbaren Computer und tippte eine weitere Zahlenfolge ein. »Na bitte!« jubelte er triumphierend. »Was habe ich dir gesagt? Was habe ich dir gesagt, Mouse? Es gibt immer ein Hintertürchen.«
»Du bist drin? Du bist wirklich drin?« Voller Bewunderung beugte sich Mouse über seine Schulter. »Menschenskinder.«
»In der verfluchten Bank of England.« Jake kicherte. Er verschränkte die Finger und dehnte seine Hände, daß die Knöchel knackten. »Wetten, daß Charles und Di dort ein Konto haben? Mann, o Mann, all diese hübschen Pfund Sterling.«
»Klasse.« Mouse las eifrig sämtliche Klatschblätter und hatte eine besondere Schwäche für die Prinzessin von Wales. »Kannst du sehen, wieviel sie haben, Jake? Du solltest was von seinem auf ihr Konto überweisen. Ich glaube, er ist nämlich nicht besonders nett zu ihr.«
»Klar, warum nicht?« Jakes Finger schwebten bereits über den Tasten, als Alice sich leise räusperte.
»Ich dachte, du hättest Luke versprochen, keine krummen Sachen mit deinem Computer zu machen«, meinte sie und strickte ohne aufzuschauen weiter.
»Na ja«, erwidere Jake, dem förmlich die Finger juckten. »Ich übe ja nur ein bißchen. Ich zeige Mouse bloß ein paar Tricks, die man mit diesem Goldstück machen kann.«
»Das ist sehr nett. Ich glaube aber nicht, daß Diane es gern hätte, Mouse, wenn du dich in ihre Privatsphäre einmischst.«
»Meinst du?« Er blickte hinüber zu seiner Frau, die den Kopf hob und lächelte. »Du hast bestimmt recht.« Niedergeschlagen seufzte er. »Wir sollen das Schweizer Konto überprüfen«, erinnerte er Jake.
»Na gut, na gut.« Die Tastatur klapperte, das Modem summte. »Aber es macht mich richtig krank, das muß ich schon sagen. Ein Elend, daß Luke nicht auf mich hören will. Jetzt soll ich tatsächlich noch mal zehntausend auf das Konto dieses Schweins überweisen. Ich hab ihm erklärt, daß ich dafür leicht irgendein Konto mit Schwarzgeld anzapfen kann. Aber nein, Luke will lieber selbst bluten! So ein sturer Dickkopf.«
»Es ist eine Sache des Stolzes«, meinte Alice.
»Stolz? Hier geht es um verfluchte zehntausend Mäuse.« Jake warf ihr einen verlegenen Blick zu. »Entschuldige meine Ausdrucksweise. Es ist nur so, daß wir keinen Cent an der ganzen Sache verdienen. Nicht einen Cent! Findest du nicht, wir sollten auch was davon haben oder wenigstens unsere Unkosten wieder reinholen? Und gegen einen vernünftigen Profit wäre doch auch nichts zu sagen.«
»Die Genugtuung ist noch mehr wert«, entgegnete Mouse, was Alice maßlos stolz machte.
»Damit kannst du dir aber keine italienischen Schuhe kaufen«, brummte Jake und beschloß, nicht länger auf diesem Thema herumzureiten. Schließlich konnte er sich später ja immer noch Zugang zu einem anderen Konto verschaffen. Alice sammelte ihr Strickzeug ein und stand auf. Es war erst kurz vor zehn, aber sie war furchtbar müde. »Ich glaube, ich lasse euch beide mit eurem Spielzeug allein und gehe ins Bett.«
Mouse beugte sich zu ihr, um sie zu küssen, und strich ihr zärtlich über das Haar. »Soll ich dir noch einen Tee schicken lassen oder sonst etwas?«
»Nein.« Was für ein lieber Mensch er ist, dachte sie. Und wie dumm. Er hätte doch längst erkennen müssen, was ich hier stricke. In einem letzten Versuch nahm sie den winzigen Schuh, den sie fertig hatte, aus ihrem Korb. »Ich glaube, ich sehe mal, ob ich den anderen heute abend auch noch fertig kriege. Ist doch eine schöne Farbe, findest du nicht? So ein helles leuchtendes Grün.«
»Wirklich hübsch«, lächelte er. »Diese Fingerpuppen gefallen Nate bestimmt.«
»Das ist keine Puppe«, fuhr Alice ärgerlich auf. »Es ist ein Babyschuh, verdammt!« Sie stürmte ins angrenzende Schlafzimmer und schloß die Tür.
»Alice hat noch nie geflucht«, sagte Mouse verwundert. »Noch nie. Vielleicht sollte ich mal …« Und plötzlich traf es ihn wie ein Donnerschlag. »Ein Baby …«
»Tja, mein Lieber.« Jake grinste übers ganze Gesicht. »Da muß ich wohl gratulieren.« Er sprang auf und schlug seinem Freund auf die Schulter. »Sieht aus, als wärst du demnächst Daddy, Mouse, alter Knabe.«
Mouse wurde bleich und schien drauf und dran, umzukippen. »O Mann.« Mehr brachte er nicht heraus, während er auf die Schlafzimmertür zustolperte. Mit zitternden Händen öffnete er sie und schloß sie hinter sich.
Alice stand mit dem Rücken zu ihm und schlüpfte gerade in ihren Morgenrock. »Na, endlich hat er kapiert«, murmelte sie und begann sich das Haar zu bürsten.
»Alice.« Mouse schluckte schwer. »Bist du … kriegen wir …«
Es lag nicht in ihrer Natur, lange wütend zu bleiben. Außerdem liebte sie ihn viel zu sehr. Ein Lächeln überzog ihr Gesicht, als sich ihre Blicke im Spiegel trafen. »Ja.«
»Sicher?«
»Absolut sicher. Zwei Schwangerschaftstests und ein Frauenarzt können sich nicht irren. Wir erwarten Nachwuchs, Mouse.« Sie schwieg ein wenig unsicher und senkte den Blick. »Es ist doch okay, oder?«
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Mit unsicheren Schritten ging er zu ihr. Sanft, ganz sanft nahm er sie in die Arme und strich behutsam mit seiner großen Hand über ihren flachen Bauch.
In einer luxuriösen Wohngegend in einem Vorort von Maryland saß Sam Wyatt mit einem Glas Napoleon Brandy an seinem antiken Rosenholzschreibtisch. Seine Frau lag in ihrem großen Chippendalebett und pflegte einen ihrer berüchtigten Migräneanfälle.
Justine braucht sich gar nicht in Kopfschmerzen zu flüchten, dachte er und schwenkte die dunkle bernsteinfarbene Flüssigkeit im Glas, ehe er einen Schluck trank. Er hatte schon vor langer Zeit das Interesse daran verloren, mit einem Eisklotz zu schlafen.
Es gab andere Mittel und Wege, sexuelle Befriedigung zu finden, wenn man diskret war und genügend zahlte. Er hielt sich jedoch keine Geliebte. Geliebte neigten leider dazu, mit der Zeit ihren Charme zu verlieren und habgierig zu werden. Sam wollte nicht das Risiko eingehen, daß plötzlich irgend jemand ein Enthüllungsbuch herausbrachte, wenn er im Weißen Haus war.
Und dort würde er eines Tages residieren. Zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts würde er im Oval Office sitzen und in Lincolns Bett schlafen. Daran bestand kein Zweifel.
Sein Wahlkampf um einen Senatssitz verlief glänzend. Jede neue Umfrage zeigte, daß er immer klarer in Führung lag. Sein Gegner würde schon ein Wunder brauchen, um noch aufzuholen, und an Wunder hatte Sam noch nie geglaubt. Für alle Fälle hatte er außerdem noch ein As namens Luke Callahan im Ärmel. Wenn er dieses As kurz vor der Wahl ausspielte, war Gunner endgültig erledigt.
Es waren noch einige Wochen bis zu diesem Zeitpunkt, und das bedeutete, es lagen noch viele lange Tage und Nächte vor ihm. Er würde Babys küssen, irgendwelche Bauten einweihen, den Wählern allerlei Reden halten, die mit Versprechungen gespickt waren, Unternehmer mit seiner positiven Einstellung zum freien Unternehmertum umwerben, Frauen mit seinem Lächeln und seiner guten Figur bezaubern.
Für Sam war sein Aufstieg in die politische Machtelite ein genau ausgeklügeltes Manöver.
Wie er Luke erzählt hatte, würde er einige seiner Versprechungen halten und weiterhin die Menschen umwerben, bezaubern und Hände schütteln. Sein Image als jemand, der es ganz aus eigener Kraft geschafft hatte und danach strebte, den amerikanischen Traum zu verwirklichen, würde ihm bei der Verfolgung seines Ziels sehr zugute kommen. Ein sorgsam ausgewählter Mitarbeiterstab würde ihn zudem über Fragen der Außen- und Innenpolitik auf dem laufenden halten und ihm die nötigen Antworten liefern.
Denn ihn selbst kümmerte nur eins, und das war Macht. Bis jetzt hatte er alles erreicht, was er wollte – und nun wollte er noch mehr.
Er dachte an den Stein, der in seinem Safe lag. Nachdem er ihn erworben hatte, war ihm vieles wie von selbst zugefallen. Aber Sam glaubte nicht an Zauberei. Für ihn war es einfach ein weiterer Sieg über einen alten Feind.
Sicher, seine Erfolge hatten sich gemehrt, seitdem er ihn besaß, doch das war natürlich eher dem Glück, den Umständen und seinem persönlichen und politischen Geschick zuzuschreiben.
Er hatte sehr viel gelernt von dem beliebten, bodenständigen Senator aus Tennessee, während er sich geschickt im Hintergrund gehalten hatte – bis sich von selbst die Gelegenheit ergab, aus seinem Schatten zu treten.
Niemand wußte, daß Sam eiskalt zugeschaut hatte, wie Bushfield starb. Er hatte sich in der Öffentlichkeit tief betroffen gezeigt, eine bewegende, tränenreiche Trauerrede gehalten, die Witwe rührend getröstet und sich als pflichtgetreuer Erbe um die Erledigung der Aufgaben des Senators gekümmert. Doch vorher hatte er ungerührt dabei zugesehen, wie der Senator keuchend nach Luft gerungen hatte, während sein Gesicht sich purpurn verfärbte und er zuckend auf dem Boden seines privaten Büros lag. Sam hatte schweigend das kleine Pillendöschen mit den Nitroglyzerin-Tabletten in der Hand gehalten, während sein Mentor ungläubig und mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hände danach ausstreckte.
Erst als er sicher sein konnte, daß es zu spät war, hatte Sam sich hingekniet und dem Toten eine der Tabletten unter die Zunge gesteckt. In scheinbarer Panik hatte er danach den Notarzt gerufen, und als die Sanitäter erschienen, hatten sie ihn bei hektischen Wiederbelebungsversuchen vorgefunden. Auf diese Weise hatte er Bushfield getötet und gleichzeitig einige Anhänger unter der Ärzteschaft gewonnen.
Es war nicht so erregend gewesen wie Cobb eine Kugel zu verpassen, doch auch diese eher passive Art zu morden hatte ihren Reiz.
Er lehnte sich zurück und plante seine nächsten Schritte, wie eine Spinne, die zufrieden ihr Netz spann und auf eine unvorsichtige Fliege wartete.
Er dachte an Luke. Er hatte bislang noch nicht zugeschlagen, da es ihm Spaß machte, Luke in Sicherheit zu wiegen. Laß ihn seine Nummer abziehen, dachte Sam. Soll er ruhig versuchen, Roxanne ein zweites Mal zu erobern. Laß ihn ein wenig den Vater spielen bei seinem Sohn. Um so größer ist der Genuß, ihm alles wieder wegzunehmen.
Und das würde er. O ja, das würde er.
Er hatte die Nouvelles genau im Auge behalten und mußte Roxanne unwillkürlich bewundern. Sie war eine außerordentlich geschickte Diebin. In seinem Safe verwahrte er Unterlagen, die ihre sämtlichen Aktivitäten sorgfältig auflisteten. Das hatte ihn einiges gekostet, aber das Erbteil seiner Frau erlaubte ihm solche Freiheiten.
Es würde die Zeit kommen, wenn er diese Dokumente benutzen wollte. Luke sollte einen hohen Preis dafür zahlen, daß er ohne seine Einwilligung wieder aufgetaucht war, ja alle Nouvelles würden dafür büßen. Und falls sie auf den Gedanken kamen, noch ein einziges Mal lange Finger zu machen, würden sie ihm direkt in die Hände spielen.
Er hatte Zeit, konnte in Ruhe zuschauen und dafür sorgen, daß die ganze Familie Nouvelle bei ihrem nächsten Diebstahl gefaßt wurde.
Ein herrlicher Gedanke!
Ob sie vielleicht im Zusammenhang mit der Auktion irgend etwas geplant hatten? Ein solches Unternehmen wäre ganz nach ihrem Geschmack – und ihm käme es nur recht. Er würde geduldig abwarten, und dann, wenn sie schon glaubten, sie hätten es geschafft, die Falle zuschnappen lassen. Was wäre das für ein Triumph.
O ja, dachte Sam und lehnte sich zufrieden zurück. Seine Fähigkeit, eine Sache klar zu durchdenken, war genau die Eigenschaft, die ihn zu einem hervorragenden Staatsmann machte.