VIERZEHNTES KAPITEL
Sam war recht zufrieden damit, daß sich seine Pläne entwickelten. Er war gesellschaftlich hoch angesehen und verfügte über einigen Einfluß in Washington. Als rechte Hand des Senators hatte er sein eigenes, elegant eingerichtetes Büro und eine eigene Sekretärin, die stets genau wußte, wo sich nützliche Informationen aufstöbern ließen.
Er plante, innerhalb von sechs Jahren die Position des Senators zu übernehmen. Die nötigen Grundlagen besaß er – jahrelange aufopfernde Arbeit im Staatsdienst, gute Kontakte in Washington, in der Geschäftswelt und bei den einfachen Leuten von der Straße.
Angesichts dieser vielen Vorteile wäre Sam beinahe schon bei der bevorstehenden Wahl angetreten. Aber er hatte erkannt, daß etwas Geduld sinnvoller war. Seine Jugend sprach im Augenblick noch gegen ihn, und nicht wenige hätten es ihm verübelt, wenn er gegen diesen alten Knacker Bushfield kandidiert hätte.
Daher richtete er seinen Blick ganz auf die neunziger Jahre. Er hatte Justine Spring, der wohlhabenden Erbin einer Warenhauskette mit tadellosem Aussehen und makelloser Herkunft, den Hof gemacht und sie geheiratet. Sie war Mitglied bei den richtigen wohltätigen Organisationen, konnte ohne eine Miene zu verziehen eine Dinnerparty für fünfzig Gäste planen und besaß zusätzlich den Vorteil, daß sie auf Fotos traumhaft zur Geltung kam.
Als Sam ihr den Ehering ansteckte, war er sich bewußt gewesen, daß er einen weiteren wichtigen Schritt geschafft hatte. Die Amerikaner hatten es lieber, wenn die führenden Männer der Nation verheiratet waren. Wenn seine Planung aufging, würde er sich als stolzer Vater seines ersten Kindes um einen Sitz im Senat bewerben, und Justine würde gerade mit dem zweiten und letzten Kind schwanger sein, was sich besonders gut in den Medien machte.
Sam sah sich ganz in der Nachfolge Kennedys – natürlich nicht, was die Politik anging. Die Zeiten hatten sich geändert. Aber die Jungenhaftigkeit, das gute Aussehen, die hübsche Frau und die kleine Familie – das paßte genau ins Bild. Und es würde funktionieren, weil er das Spiel kannte. Mit langsamen, exakt kalkulierten Schritten würde er die Leiter zum Weißen Haus emporsteigen. Zur Hälfte hatte er es bereits geschafft.
Nur eines quälte ihn – der Gedanke an die Nouvelles. Sie waren die letzten Stolpersteine, die er noch aus dem Weg räumen mußte. Ganz abgesehen davon, daß er sich auch aus persönlichen Gründen an ihnen rächen wollte. Es war wichtig, sie derart fertigzumachen, daß sämtliche Wahrheiten, die sie über seinen Charakter ausplaudern konnten, als Hirngespinste abgetan werden würden.
Er hatte reichlich Zeit gehabt, sie auf der Kreuzfahrt aus nächster Nähe zu beobachten, und während er behaglich im luxuriösen Helmsley Palace in New York saß, wo bald die Feierlichkeiten anläßlich des einhundertjährigen Geburtstags der Freiheitsstatue beginnen sollten, konnte er in Ruhe seine Eindrücke ordnen.
Der alte Mann wirkte müde. Sam wußte noch, wie blitzschnell er vor einem Jahrzehnt mit seinen Händen gewesen war, und heute? Interessant war außerdem, daß er soviel Zeit damit verbrachte, nach diesem komischen Stein zu suchen. Sam schrieb Der Stein der Weisen auf das elegante Briefpapier des Hotels und umkreiste die Worte. Vielleicht wäre es nicht schlecht, einige seiner Männer mit Nachforschungen nach diesem Stein zu beauftragen.
Lily war noch immer ganz die alte – geschmacklos, viel zu jugendlich gekleidet und noch genauso naiv. Er hatte ihr eines Tages lange an Deck Gesellschaft geleistet, wo sie sich überglücklich darüber gezeigt hatte, daß er es im Leben zu etwas gebracht hatte.
Als Sam sich seine Eindrücke von Roxanne in Erinnerung rief, fand er es schwer zu glauben, daß sich das magere hochaufgeschossene Mädchen mit der wilden Mähne in eine solch hinreißende Frau verwandelt hatte. Man konnte fast an Zauberei glauben. Ein Jammer, daß er nicht die Möglichkeit gehabt hatte, seine Netze nach ihr auszuwerfen, ehe er Justine kennenlernte. Er hätte es genossen, sie zu verführen und all das mit ihr zu treiben, was seine hübsche, aber leidenschaftslose Frau schockierend und abstoßend fand.
Aber solche Gedanken, selbst wenn sie noch so verlockend waren, durfte er sich gar nicht erst leisten. Der Vorfall auf dem Schiff hätte um ein Haar in einer Szene geendet, die einem Mann des öffentlichen Lebens – zumal einem verheirateten Mann – schlecht zu Gesicht stand.
Womit er zu Luke kam. Immer wieder Luke. Bei ihm lag der Schlüssel zu den Nouvelles. Mouse und LeClerc waren unbedeutende Randfiguren. Sie zählten nicht. Aber Luke zu vernichten, würde den Nouvelles das Genick brechen. Außerdem wäre es ein ganz besonderer Genuß für ihn.
Die Sache mit Cobb verlief leider nicht so, wie Sam es sich erhofft hatte. Es hatte Jahre gedauert, bis er es sich finanziell leisten konnte, Detektive zu engagieren, um Nachforschungen über Lukes Herkunft anzustellen. Und es hatte ihn eine beträchtliche Summe gekostet.
Doch dann betrachtete er es als eine Investition in die Zukunft und als Baustein für seine mögliche Rache. Es war ein unglaublicher Glücksfall, daß Lukes Mutter eine alkoholkranke Hure war, aber Cobb – das war das krönende Sahnehäubchen.
Sam schloß die Augen und dachte an jene schäbige Bar am Hafen, in der die erste Begegnung stattgefunden hatte.
Es hatte nach Fisch und Urin gerochen, nach billigem Whiskey und Tabak. Am anderen Ende des Raumes knallten lautstark Billardkugeln gegeneinander, und die Männer am Spieltisch warfen mürrische Blicke zu ihm herüber.
Eine verlebte Hure saß allein an der Theke und wartete auf Kundschaft. Abschätzig hatte sie Sam gemustert, ehe sie sich wieder ihrem Whiskey zuwandte.
Sam hatte sich bewußt eine dunkle Ecke ausgewählt. Er trug einen Hut, tief ins Gesicht gezogen, und einen unförmigen Mantel, der seine Gestalt verbarg. Es war reichlich kühl in der Bar. Schneeregen trieb von draußen an die Fensterscheiben. Aber Sam schwitzte trotzdem vor Aufregung.
Er sah Cobb hereinkommen und beobachtete, wie er seinen Gürtel mit der breiten Schnalle hochzog, ehe er sich umschaute. Als er die Gestalt in der Ecke erblickt hatte, nickte er und schlenderte bemüht lässig zur Theke. Er brachte ein Glas Whiskey mit zum Tisch.
»Sie wollen was Geschäftliches mit mir besprechen?« fragte er schroff, noch bevor er seinen ersten Schluck genommen hatte.
»Ich habe ein Angebot für Sie.«
Cobb zuckte die Schultern und versuchte, gelangweilt dreinzublicken. »So?«
»Ich glaube, wir haben einen gemeinsamen Bekannten.« Sam ließ seinen eigenen Drink unberührt auf dem Tisch stehen. Er hatte mit leichtem Ekel bemerkt, daß das Glas nicht allzu sauber war. »Luke Callahan.«
Die Überraschung war Cobb deutlich anzusehen, obwohl er antwortete: »Kann ich nicht behaupten.«
»Wir wollen die Sache nicht unnötig komplizieren. Sie treiben es seit Jahren mit Callahans Mutter, selbst heute noch hin und wieder. Sie haben früher mit ihr zusammengelebt und waren so was wie – ein inoffizieller Stiefvater. Damals haben Sie sich manchmal als Zuhälter betätigt und es auch mal im Pornogeschäft probiert, wobei Sie sich auf Kinder und Halbwüchsige spezialisiert hatten.«
Cobbs Gesicht wurde rot. »Ich hab keine Ahnung, was dieser undankbare Scheißer Ihnen erzählt hat, aber ich habe ihn gut behandelt. Hab ihn ernährt und ihm gezeigt, wo's langgeht.«
»Was seine Spuren hinterlassen hat, wie ich selbst gesehen habe.« Sam lächelte so breit, daß seine weißen Zähne blitzten.
»Der Junge brauchte Disziplin.« Nervös kippte Cobb noch einen Schluck Whiskey hinunter. »Ich hab ihn im Fernsehen gesehen. Ist jetzt 'ne große Nummer. Hab aber nicht erlebt, daß er mir oder seiner alten Dame wenigstens mal was zugesteckt hätte für all die Jahre, die wir für ihn gesorgt haben.«
Genau das hatte Sam gehofft – Verbitterung, Groll und Neid. »Sie finden also, er schuldet Ihnen was?«
»Verdammt richtig.« Cobb beugte sich vor, konnte aber in der dämmrigen, verrauchten Bar Sams Gesicht nur undeutlich erkennen. »Falls er Sie hergeschickt hat, damit …«
»Niemand hat mich hergeschickt. Auch mir ist Callahan etwas schuldig geblieben. Sie könnten mir ein wenig behilflich sein.« Sam griff in seine Tasche und zog einen Umschlag heraus. Cobb griff danach und glotzte auf die fünfhundert Dollar in gebrauchten Zwanzigern.
»Was wollen Sie dafür?«
»Befriedigung. Ich habe an folgendes gedacht …«
Und so hatte Cobb seine Reise nach New Orleans unternommen.
Leider hatten die Erpressungen nicht die erhoffte Wirkung gezeigt. Kommentarlos zahlte Luke die geforderten dreißig- oder vierzigtausend im Jahr. Da Sam sich genau darüber informiert hatte, welches Einkommen Luke jährlich versteuerte, wollte er nun den Einsatz erhöhen. Wenn Luke nach New Orleans zurückkehrte, würde dort schon eine schlichte weiße Postkarte auf ihn warten. Diesmal lautete die Zahl darauf zehntausend.
Nach einigen solcher Zahlungen mußte er zweifellos am Ende sein.
Wütend zerknüllte Luke die weiße Karte in der Faust und warf sie quer durch den Raum.
Zehntausend Dollar. Aber nicht die Summe an sich versetzte ihn in Panik, denn Geld hatte er genug und konnte sich leicht mehr verschaffen. Es war die Erkenntnis, daß Cobb erstens nie Ruhe geben würde und zweitens immer habgieriger wurde.
Das nächste Mal konnten es zwanzigtausend oder dreißigtausend sein.
Soll der Dreckskerl doch zu den Zeitungsfritzen gehen, dachte er. Was scherten ihn irgendwelche miesen Schlagzeilen.
DIE SCHRECKLICHE KINDHEIT
DES MEISTERZAUBERERS
Na und?
HEUTE ENTFESSELUNGSKÜNSTLER,
FRÜHER STRICHER
Und wenn schon!
DIE PERVERSE DREIECKSBEZIEHUNG
DER NOUVELLES
Zauberer hat Affäre mit
Lehrmeister
und dessen Tochter
O Gott. Luke rieb sich mit den Händen über das Gesicht und versuchte nachzudenken. Er hatte ein Recht auf sein Leben, verdammt! Das Leben, das er sich Stück für Stück erkämpft hatte, seit er aus dieser verkommenen Wohnung weggelaufen war – mit zerschlagenem Rücken und gequält von dem Gedanken an das Vergangene.
Er könnte es nicht ertragen, wenn das alles ans Licht gezerrt würde. Er wollte nicht hilflos zusehen müssen, wie die einzigen Menschen, die er je geliebt hatte, mit diesem Dreck besudelt wurden. Und trotzdem geriet er jedesmal ein Stück tiefer in den Sumpf, wenn er brav auf diese Postkarten antwortete.
Es gab natürlich eine Alternative, über die er bisher nicht nachzudenken gewagt hatte. Luke nahm eine Teetasse und betrachtete das zierliche Veilchenmuster auf dem cremefarbenen Porzellan. Geträumt hatte er davon, aber nie ernsthaft darüber nachgedacht. Er konnte nach Miami fliegen, Cobb aus seinem Loch locken und endlich das tun, wonach er sich jedesmal gesehnt hatte, wenn der Gürtel auf seinen Rücken geklatscht war. Er konnte ihn töten.
Die Tasse zerbrach in seiner Hand, aber Luke rührte sich nicht, obwohl das Blut aus der Wunde quoll. Dieses Bild hypnotisierte ihn förmlich.
Ja, er konnte ihn töten.
Ein Klopfen an der Tür brachte ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück, daß er Mühe hatte, seine Gedanken abzuschütteln, als er öffnete.
»Hallo!« Roxannes Haar war tropfnaß, und das T-Shirt klebte an ihrem Körper. Sie duftete so wunderbar wie eine regennasse Sommerwiese. »Wie wär's, hättest du Lust auf ein Picknick?« fragte sie und küßte ihn.
»Ein Picknick?« Nachdem er die Tür hinter ihr geschlossen hatte, deutete er auf den strömenden Regen draußen vor dem Fenster. »Na ja, ich nehme an, bei einem solchen Wetter gibt es wenigstens keine Ameisen.«
»Gegrillte Hähnchenschenkel«, sagte sie und hielt eine Pappschachtel hoch.
»Ach ja?«
»Und außerdem habe ich eine große Schüssel von LeClercs Kartoffelsalat aus dem Kühlschrank stibitzt. Dazu gibt es einen guten weißen Bordeaux.«
»Mir scheint, du hast an alles gedacht. Außer an den Nachtisch.«
Mit einem verschmitzten Blick kniete sie sich auf den Teppich. »Oh, daran habe ich auch gedacht. Hol du uns erst mal ein paar Gläser und … was ist das denn?« Sie hob eine zerbrochene Porzellanscherbe hoch.
»Ich – ich hab eine Tasse zerbrochen.«
Als er sich bückte, um die Scherben aufzulesen, sah sie das Blut auf seiner Hand. »Was hast du gemacht?« Mit dem Saum ihrer Bluse tupfte sie es hastig weg.
»Nur ein Kratzer, Frau Doktor.«
»Mach keine Witze.« Aber sie sah mit Erleichterung, daß es wirklich nur eine kleine Wunde war. »Deine Hände sind immerhin einiges wert – beruflich, meine ich.«
Er strich mit einem Finger über die Rundung ihrer Brüste. »Nur beruflich?«
»Ja. Allerdings habe ich zugegebenermaßen auch ein persönliches Interesse an ihnen.« Nachdem sie ihm einen Kuß gegeben hatte, setzte sie sich wieder auf den Boden. »Wie ist es nun mit Gläsern – und einem Korkenzieher?«
Er stand auf, um in die Küche zu gehen. »Zieh dir inzwischen besser ein trockenes Hemd über. Du tropfst sonst noch den ganzen Kartoffelsalat voll.«
»Nur keine Sorge.« Das durchweichte T-Shirt landete klatschend einen Schritt hinter ihm auf dem Fußboden. Luke grinste, und seine Anspannung löste sich. Scheint ein interessantes Picknick zu werden, dachte er. Hühnchen, Kartoffelsalat und eine nasse, halbnackte Frau. »Ich liebe praktisch veranlagte Frauen.«
Es war dunkel, die Luft war schwer, und es stank nach Schweiß. Von vier Seiten umgaben ihn Wände, und die Decke hing so tief herab wie der Deckel eines Sargs.
Es gab keine Tür, kein Schloß, kein Licht.
Er wußte, daß er nackt war. Die drückende Hitze lastete auf ihm wie ein tonnenschweres Gewicht. Etwas lief über ihn hinweg. Eine entsetzliche Sekunde lang befürchtete er, es seien Spinnen. Aber es war nur ein Rinnsal Schweiß.
Er versuchte ganz, ganz still zu sein, doch sein angestrengtes Atmen hallte förmlich von den Wänden wider.
Sie würden kommen, wenn er nicht still war.
Aber er konnte nichts dagegen machen, daß sein Herz so panisch in seiner Brust donnerte, und immer wieder ein ersticktes Keuchen aus seiner Kehle drang.
Seine Hände waren gefesselt. Das Seil schnitt in seine Gelenke, als er daran zerrte, um sich zu befreien. Er roch Blut und schmeckte seine Tränen. In seinen abgeschürften Handgelenken brannte der Schweiß wie Feuer.
Er mußte raus. Irgendwie mußte er entkommen. Aber es gab keine Falltür, keinen kunstvollen Mechanismus, kein geheimes Brett, das bei seiner Berührung zur Seite gleiten würde.
Er war ja nur ein Kind. Und es war so schwer zu denken, so schwer, stark zu sein. Der Schweiß erstarrte zu kleinen Eiskristallen auf seiner Haut, als er plötzlich merkte, daß er nicht allein in der Kiste war. Er hörte das erregte Atmen dicht neben sich, roch den sauren Gestank nach Gin.
Er heulte auf wie ein Wolf, als die Hände ihn packten, warf sich hin und her, zuckte, bäumte sich auf.
»Du tust gefälligst, was man dir gesagt hat. Du tust, was man dir gesagte hat, du kleiner Dreckskerl.«
Ein Gürtel sauste zischend auf ihn herab, er fuhr schreiend hoch, und einen Moment lang sah er nichts als Dunkelheit.
Auf seiner Haut brannte noch der Gürtelhieb – und dann griff jemand nach ihm.
Mit geballten Fäusten und gefletschten Zähnen zuckte er zurück – und schaute in Roxannes verblüfftes Gesicht.
»Du hattest einen Alptraum«, sagte sie ruhig, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug. Er sah aus, als sei er nicht bei Sinnen. »Es war bloß ein Traum, Luke. Aber jetzt ist es vorbei.«
Allmählich fand er sich wieder in der Wirklichkeit zurück und schloß stöhnend die Augen. Sie spürte sein Zittern, als sie ihn vorsichtig an der Schulter berührte. »Du hast um dich geschlagen. Ich konnte dich gar nicht wach bekommen.«
»Tut mir leid.« Fahrig rieb er sich mit der Hand über das Gesicht.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.« Sanft strich sie ihm das schweißfeuchte Haar aus der Stirn.
Er griff nach der Flasche und trank einen Schluck Wein.
»Erzählst du's mir?«
Er schüttelte nur den Kopf. Es gab Dinge, die er niemandem erzählen konnte, nicht einmal ihr. »Es ist vorbei.«
In seiner Wange zuckte ein nervöser Muskel. Roxanne strich behutsam mit einem Finger darüber.
»Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
»Nein.« Er griff nach ihrer Hand, ehe sie aufstehen konnte, und hielt sie so fest, als könne er es nicht einmal ertragen, wenn sie nur ins nächste Zimmer ginge. »Bleib einfach bei mir, okay?«
»Okay.« Sie schlang ihre Arme um ihn.
Ihre Nähe vertrieb die letzten Reste des Alptraums. Sehnsüchtig vergrub er sein Gesicht an ihrer Schulter. »Es regnet immer noch«, murmelte er.
»Hmm.« Sie streichelte seinen Rücken, der die Spuren der alten Narben trug. »Ich habe das Geräusch gern, und wenn das Licht so sanft ist und die Luft so schwer, ist es noch schöner.«
Er schaute nach draußen und sah vor der Terrassentür die leuchtenden Geranien, die sich standhaft gegen das Unwetter behauptet hatten. »Ich habe rote Blumen immer am liebsten gehabt, ohne eigentlich zu wissen, warum. Dann habe ich eines Tages erkannt, daß sie mich an dein Haar erinnern. Und da habe ich gewußt, daß ich dich liebe.«
Sie hielt inne, und ihr Herz machte vor Freude einen Satz. »Ich hätte nie geglaubt, daß du mir das jemals sagen würdest.« Mit einem unsicheren Lachen küßte sie seine Kehle. »Ich habe schon überlegt, ob ich zu Madame gehen und um einen speziellen Trank bitten soll.«
»Ich brauche keine Zaubertränke, nur dich.« Er schaute ihr in die Augen. »Ich hatte Angst, es zu sagen. Diese drei Worte sind wie ein Zauberspruch, der alle erdenklichen Komplikationen auslösen kann.«
»Zu spät«, lachte sie. »Jetzt ist er ausgesprochen worden.« Sie nahm seine Hände. »Ich liebe dich auch, und es gibt nichts, was daran etwas ändern könnte. Keine Hexerei und keine Zaubersprüche.«
»Daran soll sich auch niemals etwas ändern.«
Eines war ihm in diesem Moment klargeworden: Er würde Cobb bezahlen, sich notfalls mit dem Teufel persönlich anlegen, um Roxanne zu schützen und ihr gemeinsames Glück zu bewahren. Sie sah das rasche Aufblitzen in seinen dunklen Augen. »Ich brauche dich, Roxanne.« Er ließ ihre Hände los, um sie näher an sich zu ziehen. »Gott, wie sehr ich dich brauche.« Die Stärke seines Verlangens sprang wie ein Buschfeuer auf sie über und entzündete ihre Leidenschaft, bis eine verzehrende Hitze sie erfaßt hatte.
Er packte ihre Hände und hielt sie fest, während er mit seinem Mund ihren Körper erforschte, und sie genoß dieses berauschende Gefühl, ganz in Besitz genommen zu werden. Mehr, mehr, war alles, was sie denken konnte.
Sie riß sich los und fiel wie besessen mit ihren Küssen über ihn her. Er zitterte unter ihren Berührungen, und das Bewußtsein ihrer Macht erhöhte noch ihr Vergnügen. Er hatte ihr alles beigebracht, sie alle Spielarten gelehrt, und nun war aus der Schülerin eine Meisterin geworden.
Mit einem tiefen, atemlosen Lachen antwortete sie auf sein halblautes Stöhnen. Sie erschien ihm wie eine verführerische Hexe.
»Roxanne«, keuchte er abgerissen. »Mach. Um Gottes willen.«
»O nein, Callahan. Ich bin noch längst nicht mit dir fertig.« Sie neckte seine Brustwarzen mit ihren Lippen und glitt tiefer über seinen Brustkorb, über seinen angespannten Bauch, bis er einen wilden Fluch ausstieß.
Sein Verlangen war wie ein rasendes Tier, das mit aller Gewalt um Befreiung kämpfte. Aber sie hielt es in Schach und verhinderte immer wieder den letzten entscheidenden Schritt.
»Du bringst mich um«, stieß er hervor.
»Ich weiß.« Genüßlich trieb sie ihn mit flinken Berührungen ihrer Zunge bis kurz vor den Gipfel und hörte dann wieder auf.
»Sag es mir noch mal.« Ihre Augen glühten. »Sag es mir jetzt, wo du mich so sehr begehrst, daß es dich fast zerreißt. Sag es mir.«
»Ich liebe dich.« Er packte mit unsicheren Händen ihre Hüften, als sie sich auf ihn setzte.
»Die magischen Worte«, flüsterte sie und nahm ihn in sich auf.
Mit geschlossenen Augen warf sie den Kopf zurück und genoß vollkommen regungslos dieses Gefühl, ihn zu spüren. Nie würde er diesen Anblick vergessen – diese sanft gebräunte Haut, ihre halbgeöffneten Lippen, die geschlossenen Augen und das wildzerzauste Haar, das wie ein feuriger Wasserfalls über ihren Rücken fiel.
Plötzlich erschauderte sie in einem raschen, ungestümen Orgasmus. Ein langsames tiefes Stöhnen kam von ihren Lippen, und mit einem versonnenen Lächeln öffnete sie die Augen wieder.
Sie griff nach seinen Händen und ritt ihn wie eine Besessene, bis sie schließlich kraftlos auf ihn hinabsank.
Der Regen hatte aufgehört, und die ersten schwachen Sonnenstrahlen erhellten das Zimmer.
»Zieh zu mir«, sagte er und strich ihr über das Haar.
Sie hob den Kopf und lächelte. »Meine Koffer sind längst gepackt.«
Er grinste und kniff sie verspielt in ihren hübschen Hintern.
»Ganz schön selbstsicher, was?«
»Und ob. Ich habe nur eine Frage.«
»Welche?«
»Wer übernimmt das Kochen?«
»Na ja.« Während er sie behutsam streichelte, suchte er nach einer guten Ausrede. »Ich lasse alles anbrennen.«
»Ich auch«, erwiderte Roxanne prompt.
»Und mit Restaurants sieht es hier in der Gegend schlecht aus.«
»Ja«, grinste sie. »Da haben wir leider Pech.«
Sie schmiegte sich wieder in seine Arme. Wenn die Frage, wie sie ihren Hunger stillen sollten, ihr größtes Problem war, konnten sie wahrhaftig zufrieden sein.