Zwölf
Schnittmond
Wir bringen den Tod und ergötzen uns dran
Zerreißen die Leiber mit Zähnen und Klauen
Wir trinken das Blut und kauen das Fleisch
Kommt, esst, noch sind sie frisch und warm
Wie mächtig sind nun wir Cahors
Die Stunde des Unheils bejubeln wir
Zappelnd werden sie sich winden
Wenn wir sie mit Sensen ernten
Holly: Seattle, im November
Der Coven zog sich in Dans Haus zurück, obwohl der Schamane bald Onkel Richard nach San Francisco in Sicherheit bringen würde.
Nun saß Holly den Mitgliedern ihres Zirkels gegenüber und konnte ihnen nicht in die Augen sehen. Sie hatte etwas Entsetzliches getan. Sie spürte es wie die Last der starren Blicke, die auf sie gerichtet waren. Doch in ihrem tiefsten Innern regte sich Trotz. Sie hatte getan, was sie hatte tun müssen, was nötig gewesen war, um sie zu retten, sie alle.
Bis auf Kialish.
Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, die ihr brennend in die Augen stiegen. Kialish war tot, weil sie versagt hatte. Sie wusste zwar, dass er sich selbst dafür entschieden hatte, sich zu opfern, um sie zu retten, doch wenn sie mächtiger, stärker gewesen wäre und keiner Rettung bedurft hätte, dann wäre er jetzt noch am Leben.
Sie schloss die Augen und erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, als er gestorben war. Sie hatte einen intensiven Augenblick lang Schmerz empfunden, gefolgt von einer Kraftwelle, wie sie sie noch nie gespürt hatte. Das Wasser selbst, so schien es, wollte vor ihr zurückweichen, als sei es beeindruckt von der Energie, die unter ihrer Haut knisterte.
Holly ist durchgedreht, dachte Tommy, während er sie anstarrte. Sie schwankte leicht, und er fragte sich, was sie sehen, was sie empfinden mochte. Amanda saß neben ihm, und ihre Wut und Angst konnte er spüren. Holly hingegen war unerreichbar geworden.
Nie würde er die grauenhaften Dinge vergessen, die er in der Nacht hilflos vom Strand aus hatte mit ansehen müssen.
So sollte es nicht sein. Das ist nicht richtig.
Er blickte in die Runde und erkannte, dass die anderen das Gleiche dachten. Er wusste, dass Kari mit dem Gedanken spielte, die Gruppe zu verlassen; sie hatte es nur noch nicht laut gesagt. Er würde selbst gehen, wenn er könnte, doch er war durch seinen Eid an diesen Coven gebunden. Aber seine Loyalität galt Amanda, nicht Holly. Wenn Amanda sich dafür entschied, Holly weiterhin zu folgen, würde er es auch tun.
Anne-Louise pochte das Herz immer noch heftig in der Brust. Ihr Puls schien sich seit dem Ende der Schlacht nicht mehr beruhigt zu haben. Die Botschaft des Mutterzirkels, die sie den Cathers-Hexen zu überbringen hatte, beruhigte ihre Nerven auch nicht gerade. Die Vorstellung, Holly das beibringen zu müssen, ließ ihr Herz noch schneller schlagen.
Holly glich keiner anderen Hexe, die sie je gesehen hatte. Die Macht der jungen Frau war gewaltig, sogar noch größer, als sie selbst ahnte. Mit der Zeit würde sie lernen, diese Macht einzusetzen und zu lenken. Dann würde sie so gut wie unbesiegbar sein. Jetzt jedoch war sie noch zu wild, zu ungeübt. Sie vergeudete einen Großteil ihrer Kraft und hatte keine Ahnung, welche ungeheuren Quellen noch tief in ihr schlummerten. Anne-Louise konnte sich nur fragen, wie Holly jetzt wäre, wenn sie ebenfalls im Coven aufgewachsen wäre. Sie wäre fähiger, stärker und ganz sicher beherrschter. Und dann wäre es vielleicht nie zu dieser Katastrophe mit den Deveraux gekommen.
Sie schüttelte den Kopf. Das stimmte nicht. Solange es noch Deveraux und Cahors auf dieser Welt gab, würde ihre blutige Fehde weiter bestehen. Es war wirklich ein Jammer - welche Verschwendung von Zeit und Zauberkunst. Doch die Kluft zwischen den beiden Familien war so groß, dass es nicht einmal ihr gelingen würde, sie zu überbrücken. Manche Dinge konnte man mit Worten nicht in Ordnung bringen. Nicht jeder Waffenstillstand hielt, und manchmal ließ sich einfach kein Frieden schaffen.
Sie lächelte schief. Nicht, dass irgendjemand das überhaupt versuchte. Nein, die Fehde zwischen den beiden Familien wurde vom Obersten Zirkel wie vom Mutterzirkel geduldet, vielleicht sogar insgeheim befeuert. Die Macht der Häuser Deveraux und Cahors war so furchterregend, dass die beiden großen Zirkel keine andere Möglichkeit gefunden hatten, sie im Zaum zu halten, als diese Kraft in eine andere Richtung zu lenken. Solange die Deveraux und die Cahors einander bekämpften, konnte keine der beiden Familien die Macht über einen großen Zirkel erringen... oder gleich die ganze Welt.
Sie verbannte solche Gedanken aus ihrem Kopf, damit sie von niemandem gelesen werden konnten. Sie holte tief Luft. Es war an der Zeit, Holly und ihrem Coven gegenüberzutreten.
Sie passierte die Banne, ohne sie brechen zu müssen. Soweit sie wusste, war sie die Einzige in der gesamten Coventry, die diesen Trick beherrschte. Es war eine verlorene Kunst, die nur ein einziges Mal in einem uralten Text erwähnt wurde. Sie hatte fünfzehn Jahre gebraucht, um sie zu meistern. Aber diese Fähigkeit war ungemein praktisch, wenn sie unangemeldet erscheinen wollte.
Holly und ihre Gefährten starrten erschrocken zu ihr auf, als sie ihren Unsichtbarkeitsschleier lüftete und mitten unter ihnen erschien. Sie musterte die bunt gemischte kleine Truppe und stellte fest, welche Verletzungen sie erlitten hatten, körperlich wie seelisch.
Sie wünschte, sie könnte ihnen Trost bringen. Bedauerlicherweise kam sie mit dem Gegenteil.
Nicole: London, im November
Nicole musste zugeben, dass es herrlich war, endlich wieder zu baden. Sie hatten ihr ein wenig Privatsphäre gegönnt - zumindest glaubte sie das. Beim Ausziehen war sie den Gedanken nicht losgeworden, dass jemand sie heimlich beobachten könnte. Sie hatte gegen den Drang angekämpft, einfach mitsamt ihren Klamotten in die Wanne abzutauchen. Stattdessen hatte sie sich gezwungen, sich langsam auszuziehen.
Sie konnte gut genug schauspielern, um eine überzeugende Darstellung abzuliefern, obwohl ihre Hände gezittert hatten. Jetzt lag sie im dampfenden Wasser und wusch sich all den Schmutz mit einem Schwamm und Vanilleseife vom Körper. Rosenblüten trieben im Wasser.
Sie kam sich eher vor wie eine Jungfrau, die geopfert werden sollte, denn wie eine Braut. Trotz des warmen Wassers zitterte sie. Als sie sich tiefer hineinsinken ließ, musste sie daran denken, dass sie bei ihrem letzten Bad beinahe in der Badewanne ertrunken wäre. Sie erinnerte sich vage an einen albernen Schwur, nie wieder zu baden, sondern nur zu duschen. Aber da war sie auch noch nicht so schmutzig gewesen.
Sie dachte an die letzten vierundzwanzig Stunden zurück. Sir William war furchtbar wütend gewesen, als James sie ihm vorgestellt hatte. Um das zu merken, hatte sie keinerlei besondere Fähigkeiten gebraucht. Aber wohl nur halb so wütend, wie Amanda und Holly jetzt wären, wenn sie davon wüssten. Bei diesem Gedanken konnte Nicole ein schwaches, schiefes Grinsen nicht unterdrücken.
Würden sie glauben, sie hätte den Verstand verloren, oder schlimmer noch, ihr Herz? Amanda würde wahrscheinlich gleich das Schlimmste annehmen. In den guten alten Zeiten war Nicole ja schließlich auch mit Eli ausgegangen, weil sie sich von seiner finsteren Art angezogen gefühlt hatte.
Was Amanda und Holly wohl denken würden, wenn sie nicht nach Hause kam? Würden sie nach ihr suchen? Ging es ihnen gut? Amanda hatte versucht, ihr irgendetwas über eine Fähre zu sagen, aber Nicole hatte keine Zeit gehabt, ihr zuzuhören. Sie hat gesagt, Eddie sei tot. Nicole hatte ihn nicht so gut gekannt, dass sie um ihn trauern würde, und dennoch schauderte sie. Es konnte zu Hause nicht gut stehen. Wahrscheinlich brauchten sie sie, und jetzt konnte sie nicht mehr zu ihnen zurückkehren.
Ich lasse dich nicht einfach hängen, Amanda. Ich komme nur aus dieser Sache nicht heraus.
Sie schloss die Augen und kämpfte gegen einen hysterischen Lachanfall an. Amanda kannte sie gar nicht mehr. Nicole selbst kannte sich ja kaum.
Nein, früher hätte sie James wahrscheinlich sehr anziehend gefunden. Das gestand sie sich offen ein. Früher hatte sie »finster« mit »stark« verwechselt, ehe sie die Macht des Lichts zum ersten Mal gespürt hatte. Ehe Philippe sie im Arm gehalten hatte, während sie weinte.
Der Gedanke an ihn war wie ein Stich ins Herz. Sie war sicher, dass er versuchen würde, sie zu retten, doch sie konnte ja nicht wissen, wann. Ihre Aufgabe bestand darin, am Leben zu bleiben, bis er kam, koste es, was es wolle - und wenn sie dafür den Teufel heiraten musste.
Cathers-Anderson-Coven: Seattle, im November
»Was willst du hier?«, fragte Amanda in die Stille hinein.
Im Haus des Schamanen blickte Anne-Louise einem nach dem anderen fest in die Augen. »Euch, euch alle. Holly ist zum Mutterzirkel in Paris einbestellt worden, und alle sollen sie begleiten.«
»Warum sollten wir?«, fragte Holly.
»Weil wir euch helfen können.« Anne-Louise hielt den Raum noch einen Augenblick in ihrem Bann. Schließlich trat sie so weit wie möglich zurück, und alle begannen auf einmal zu reden.
Sie wartete geduldig mehrere Minuten lang. Als endlich alles besprochen war und Holly aufstand, kehrte Anne-Louise zu der Gruppe zurück.
»Wir werden mitkommen, aber nicht alle. Tante Cecile und Dan bringen Onkel Richard nach San Francisco. Dort können sie ihn besser schützen und sich auch um eine alte Freundin kümmern. Amanda, Kari, Tommy, Silvana und ich werden dich begleiten.«
Anne-Louise nickte und ließ sich ihre Erleichterung nicht anmerken. Dieses Gespräch war besser verlaufen, als sie sich hätte träumen lassen.
Der Privatjet stand am Flughafen bereit, und Holly konnte nicht anders, als ihn mit großen Augen anzustarren. Anne-Louise führte sie hinein,
und bald saßen alle in unglaublich weichen Ledersesseln.
»In der Bordküche findet ihr etwas zu essen und zu trinken«, erklärte Anne-Louise und zeigte dorthin. »Bitte bedient euch.«
Tommy, hilfsbereit wie immer, sprang auf und eilte hinüber. Gleich darauf kehrte er zurück, mit Softdrinks für alle und ein paar Erdnuss-Tütchen.
»Hast du schon mal daran gedacht, Steward zu werden?«, scherzte Kari.
»Reisen, interessante Begegnungen, einmalige Erlebnisse? Tut mir leid, ich glaube, davon habe ich bereits genug«, entgegnete er gutmütig.
Holly betrachtete Tommy. Der junge Mann war kein Hexer, aber er bemühte sich wirklich sehr. Als er Amanda ihr Getränk reichte, wurde sein Lächeln noch strahlender, und er streifte ihre Hand.
Holly sah nun Amanda an und fragte sich, ob ihre Cousine wusste, was Tommy für sie empfand. Wenn ja, ließ sie sich nichts anmerken. Du solltest ihm entweder das Herz brechen oder ihm ein bisschen Hoffnung machen, dachte Holly.
Als hätte Amanda sie gehört, wandte sie sich ihr zu und lächelte angespannt. Holly erwiderte das Lächeln schwach und sank dann in ihrem Sessel zurück. Es würde ein langer Flug werden.
Gwen: Auf dem Atlantik, 1666
Seit Tagen tobten Stürme um das Schiff. Überall lagen kranke und sterbende Menschen. Giselle, die sich jetzt Gwen nannte, hatte mit ihren drei Kindern London verlassen. Der Mutterzirkel war furchtbar zornig auf sie, und sie wollte mit den anderen nichts mehr zu tun haben.
Unter Deck legte sie Schutzzauber auf ihre Zwillingssöhne Isaiah und David und auf ihre Tochter Marianne. Sie alle vier waren noch gesund, der Göttin sei Dank. Die Menschen brauchten frische Luft, und die Enge tat ihnen nicht gut. Endlich verkündete einer der Matrosen, dass der Regen aufgehört hatte.
Sie sammelte ihre Kinder ein und ging hinauf an Deck. Das Meer war noch immer aufgewühlt, doch ein blasser Sonnenstrahl drang durch die Wolken. Sie atmete tief durch und drängte ihre Kinder, es ihr gleichzutun.
Marianne hüpfte über das Deck. Gwen hielt sie nicht zurück. Das Kind brauchte Bewegung, ein wenig Freiheit.
Als Marianne jedoch an die Reling trat und auf das Wasser hinunterspähte, schlug Gwen das Herz auf einmal bis zum Hals.
»Komm da weg!«, rief sie.
Doch es war zu spät.
Eine riesige Welle fegte über die Seite des Schiffes hinweg und riss das Kind mit sich ins Wasser hinab.
Gwen stürzte kreischend zur Reling. Der Kapitän hatte alles beobachtet und hielt sie auf, indem er sich zwischen sie und die Reling drängte.
Zwei Matrosen rannten herbei und starrten ins dunkle Wasser hinab. Dann richteten sie sich langsam auf und schüttelten grimmig die Köpfe.
»Es tut mir leid, Madam. Sie ist fort«, sagte der Kapitän mit barscher Stimme. Doch seine Augen glänzten mitfühlend.
Sie schrie und versuchte, ihrer Tochter hinterherzuspringen. Vielleicht konnte sie sie noch retten. Zumindest konnte sie mit ihr gehen.
»Madam! Denken Sie an ihre anderen Kinder!«
Diese Worte brachten sie zur Besinnung. Sie wandte sich schluchzend ab und rannte zu ihren beiden kleinen Jungen zurück. Sie blickten ängstlich zu ihr auf. Gwen drückte sie fest an sich und weinte.
Als die Wälder des neuen Landes in Sicht kamen, hatte sie sich mit Mariannes Tod abgefunden. Ihr Herz war gebrochen, doch sie war eine Cahors, und gebrochene Herzen spielten kaum eine Rolle, wenn es darum ging, was getan werden musste.
Jetzt sind wir nur noch zu dritt, wir »Cathers«. Ich habe keine Tochter, die unsere Linie fortsetzen könnte, die Jungen haben zumindest etwas magische Begabung. Womöglich ist es besser so. Vielleicht will die Göttin mir damit bedeuten, dass das Haus Cahors nun wahrhaftig untergegangen ist... und dass die Magie mit mir sterben sollte.
Gwen aus dem Hause Cahors blickte auf ihre Söhne hinab und empfand nichts als Liebe für sie. Sie sollten heranwachsen und nichts als Liebe kennen. Und Frieden. Nein, sie würde sie nicht in Magie unterweisen. Sie würde ihnen nichts von der Göttin erzählen oder von ihren Todfeinden, den Deveraux.
Alles würde mit ihr enden. Mit ihrem Tod würde der ewige Kreislauf endlich abbrechen.
Ihre Tochter war das letzte Opfer. »Das Erbe unserer Familie soll nie wieder jemanden das Leben kosten«, schwor sie sich.
Sie zog ihre Söhne an sich und trat mit ihnen an die Reling.
»Schaut, Kinder. Wir betreten gleich eine neue Welt. Eine neue Stadt. Der Ort heißt Jamestown.«
Ein Schatten fiel auf ihre Freude.
Jamestown war nach König James benannt, dem Monarchen, der Hexen so sehr verabscheut hatte.
Das ist mir gleich, sagte sie sich. Mit alledem ist es jetzt vorbei.
Der Mutterzirkel: Paris, im November
»Man könnte beinahe von einem Wunder sprechen«, berichtete Anne-Louise der Hohepriesterin, mit der sie im Mondtempel zusammensaß. Der kreisrunde Raum war erleuchtet von strahlenden Gemälden und Hologrammen des Mondes, goldgelbem Kerzenschein und duftenden, begrünten Wasserbecken. Uralte Mosaiken der Artemis schmückten den Boden, und an den Wänden prangten Wandgemälde und heilige Schriften zu Ehren der Mondmutter, der Göttin in all ihren Erscheinungen.
Altardiener bewegten sich lautlos durch den Raum, kümmerten sich um die Flammen der vielen Kerzen und Feuerschalen und legten den Statuen der Göttin in ihren vielen Inkarnationen Rosen und Lilien zu Füßen: Hekate, Astarte, Maria von Nazareth, Kwan Yin und viele weitere.
Der Mondtempel war das Allerheiligste des Mutterzirkels.
Sie tranken Hexenwein. Anne-Louise hatte nach ihrer Rückkehr sogleich um ein Reinigungsritual gebeten. Sie war immer noch nicht sicher, ob sie wirklich ganz von Hollys Unheil reingewaschen war.
»Wunder ist ein seltsames Wort aus dem Mund einer Hexe«, bemerkte die Hohepriesterin. Sie war eine ältere Frau, immer noch sehr schön, mit langem rotem Haar, das ihr in Locken über die Schultern fiel. Sie trug das weiße Priesterinnengewand, und auf ihre Stirn war ein Mond täto- wiert. Anne-Louise trug ebenfalls fließende weiße Gewänder.
»Die Deveraux sind verschwunden«, fuhr Anne-Louise fort und gestikulierte so heftig mit der Hand, dass sie beinahe ihren Wein verschüttet hätte. »Die gesamte Streitmacht ist einfach so verschwunden.« Sie beugte sich vor. »Der Mutterzirkel muss sie schützen ... ganz gleich, was sie tut.«
Die Hohepriesterin blickte nachdenklich drein. »Aber sie ist eine Cahors - das Blut lässt sich nicht verleugnen. Dieser Junge, der ums Leben gekommen ist...«
Anne-Marie schüttelte den Kopf. »Wäre es Euch lieber, wenn sie sich dem Obersten Zirkel anschließt? Ehrgeiz und Macht sind dort immer willkommen. Was, wenn die Hexer einen Waffenstillstand zwischen ihr und den Deveraux zustande brächten?«
Die Hohepriesterin schnaubte verächtlich. »Sir William Moore würde das niemals zulassen. Sie wären eine viel zu große Bedrohung seiner Vorherrschaft.«
»Sir William hat viele Feinde«, erwiderte Anne-Louise. »Unsere einzige Hoffnung besteht darin, zu Holly zu halten und sie wissen zu lassen, dass wir ihre Freunde sind.«
Die Hohepriesterin musterte ihr Gegenüber eine volle Minute lang. Dann sagte sie schlicht: »So sei es.«
Sie hoben ihre Weingläser zu Ehren der Göttin, tranken einen Schluck und zerschmetterten die Gläser dann auf dem Steinboden.
Paris, im November
Der Saal war beeindruckend. Selbst Holly spürte seine Macht und senkte ehrfürchtig den Blick. Der Mondtempel war wunderschön, erfüllt von Licht und Frieden. Die Hohepriesterin hatte sie nur kurz begrüßt und sich dann zurückgezogen. Anne-Louise stand ein paar Schritte entfernt.
Ein halbes Dutzend anderer Frauen in dem großen Raum starrte die Neuankömmlinge an. Eine von ihnen ging auf Holly zu. Das silbergraue Haar fiel ihr bis zu den Knien.
Es war die Frau aus ihrem Traum, und sie bewegte sich in der Wirklichkeit ebenso anmutig wie in Hollys Vision. Sie trat vor sie hin und küsste Holly feierlich auf beide Wangen.
»Wer sind Sie?«
Die Frau lächelte traurig. »Mein Name ist Sasha. Ich bin die Mutter von Jer und Eli.«
Neben Holly schnappte Kari nach Luft. Sasha wandte sich ihr zu. »Und du, liebe Freundin, kennst mich als Circle Lady.«
Holly sah verblüfft zu, wie Kari die Arme um Sasha schlang und zu schluchzen begann.