Neun

Weidemond

Nichts vermag uns noch zu hindern

Die Welt erbebt vor unserem Zorn

Entführung, Folter, Mord und Lügen

Die Herzen finster, noch dunkler der Himmel

Wir weinen leise in dieser Nacht

Und warten auf den hellen Mond

Die Jungfrau flüstert still uns zu

Und schickt uns aus, zu morden

Holly: Seattle, im November

Holly konnte Bast nicht töten.

Also brachte sie stattdessen Hecate um.

Sie blendete alles aus, während sie es tat - den Blick, mit dem die wunderhübsche Katze zu ihr aufschaute, als sie sie in die Badewanne tauchte ...

...und wie sie zappelte.

Es war, als sei Holly gar nicht richtig da. Sie schloss sich völlig in sich ein, sah und hörte nichts mehr - und fühlte auch nichts. Etwas Hartes, Finsteres in ihrer Mitte verlieh ihr die Kraft, Nicoles Katze zu ertränken und sie dunkleren Mächten zu opfern, als sie je zuvor angesprochen hatte.

Sie antworteten. Hollys Tat gewährte ihnen Eingang, und ihre Gegenwart fuhr der Hexe wie ein kalter Wind durch die Knochen und das Herz. Von Kopf bis Fuß war sie durchgefroren, verängstigt und beschämt. Sie hatte etwas getan, das sie niemals rückgängig machen konnte, auf den Knien neben der Wanne im dunklen Badezimmer, mit einer einzigen schwarzen Kerze zur Gesellschaft.

Vor dem Haus warfen Bast und Freya die Köpfe zurück und kreischten vor Wut und Verzweiflung. Sie hätten die Toten wecken können, doch Amanda und die anderen weckte ihr Geschrei nicht, denn Holly hatte sie alle in tiefen, traumlosen Schlaf versetzt. Die Katzen warfen sich gegen die Haustür, sprangen an die geschlossenen Fenster im Erdgeschoss, fauchten vor Zorn und flehten sie an, es nicht zu tun. Mit leerer Miene und versteinertem Herzen übergab sie dem Wasser etwas sehr Kostbares. Dafür forderte sie - es war keine Bitte - von den Mächten der Finsternis, ihren Coven zu schützen und ihr die Kraft zu verleihen, Kialish und Silvana zu retten.

Als es vorbei war, war sie verändert, und sie wusste, dass sie nie wieder dieselbe sein würde. Ihr Blick war fester, ihr Lächeln weniger lieblich. Ehrgeiz und Entschlossenheit hatte ihre Warmherzigkeit verdrängt. Jetzt besaß sie Zielstrebigkeit und Leidenschaft, doch sie wusste nicht recht, ob sie noch liebenswert war.

Als Hecate tot war, taumelte Holly in ihr magisch stark geschütztes Zimmer und schlief dreizehn Stunden lang.

Amanda erzählte ihr später, dass sie mit jedem Zauber, den sie kannte, versucht hatte, Holly zu wecken. Schließlich hatte sie Kari und Tommy gebeten, zu Kari nach Hause zu fahren und ein paar ihrer Bücher von dort zu holen. Und sie hatte Dan angerufen, damit er herkam und ihr und Tante Cecile half.

Der Schamane und die Mambo erkannten augenblicklich, was Holly getan hatte, doch sie sagten Amanda nichts davon. Sie rieten ihr nur, nichts zu unternehmen und Holly schlafen zu lassen.

Hollys Träume waren unruhig und aufgewühlt, voll mit Flammen und dunklen Wassern, Ungeheuern, die aus ihrem eigenen Herzen krochen, und Dämonen, die ihre Seele verschlangen. Sie träumte von ihren Eltern, die im Wasser gestorben waren. Sie träumte von Barbara Davis-Chin, die noch immer dem Tode nahe im Krankenhaus lag. Von allen, die sie liebte, trennte sie eine Barriere aus glänzendem Schwarz. Alle, die sie hasste, zeigten mit dem Finger auf sie und lachten.

Dann starrte Hecate sie aus der Erde an, die Holly im Garten hinter dem Haus über ihr angehäuft hatte. Die Katze flüsterte: Mit meinem Tod hast du die Grenze überschritten. Du bist verdammt.

Immer wieder strömten die Worte durch ihren ganzen Körper und krochen durch ihren Geist: Du hast deine Seele verkauft...

Als Holly erwachte, stand Amanda verweint neben ihrem Bett. Eine Frau mit blauschwarzem Haar und mandelförmigen Augen stand neben ihr. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, von einem Rollkragenpullover aus Pannesamt bis hin zu einer schwarzen Wollhose. Ihre Haut war sehr blass, und sie war nur leicht geschminkt. Als Ohrringe trug sie silberne Mondsicheln.

Holly erschrak, als sie eine Fremde in ihrem Zimmer sah, und richtete sich ruckartig auf.

Amanda platzte heraus: »Holly, wie konntest du nur!«

Die andere Frau legte Amanda eine Hand auf den Arm und sagte sanft: »Amanda, würdest du uns Tee kochen?«

Amanda runzelte die Stirn, nickte dann und eilte hinaus.

Die Frau betrachtete Holly einen Moment lang. Dann seufzte sie, rückte einen Stuhl ans Bett und setzte sich.

Ohne weitere Vorrede sagte sie: »Du hast die Grenze überschritten.«

Holly fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie hatte Durst und war noch ziemlich verschlafen. Sie strich sich mit den Fingern die Locken aus dem Gesicht und lehnte sich ans Kopfteil ihres Bettes.

»Wer sind Sie?«, fragte sie die Frau.

»Ich komme vom Mutterzirkel«, antwortete sie. »Ich bin Anne-Louise Montrachet. Du kannst mich Anne-Louise nennen.«

Holly blickte auf ihre Hände hinab und sah, dass sie zitterten. »Niemand vom Mutterzirkel hat je Kontakt zu uns aufgenommen«, sagte Holly. »Was immer das für ein Zirkel sein soll.«

»Wir sind ein sehr altes und bedeutendes Bündnis vieler Coven«, erklärte die Frau. »Die Gründung des Mutterzirkels war eine Reaktion auf den Obersten Zirkel der Hexer.« Sie sah Holly ernst an. »Die Deveraux nehmen in dessen Reihen eine bedeutende Stellung ein.«

Holly hob den Blick in der Hoffnung, endlich Hilfe gefunden zu haben. Sie fragte: »Wie treten wir da bei?«

Anne-Louise zuckte mit den Schultern. »Deine Familie gehörte schon immer zu unseren Mitgliedern, seit der Gründung des Mutterzirkels. Wir... bedauern sehr, dass wir nicht früher Kontakt zu euch aufgenommen haben.« Sie wurde bleich. »Wir waren völlig überlastet.«

»Wir haben hier ums Überleben gekämpft«, erwiderte Holly schlicht. »Und leider nicht immer erfolgreich.«

Anne-Louise nickte. »Unser Beileid zu euren Verlusten.« Sie verschränkte die Arme, schlug ein Bein über und fügte hinzu: »Allen euren Verlusten, auch zum Tod des Hexentiers Hecate.«

Holly errötete. Dann reckte sie das Kinn und sagte: »Zwei meiner Anhänger sind von Michael Deveraux entführt worden. Ich würde alles darum geben, sie zurückzubekommen.«

»Wir haben Maßstäbe. Wir achten Grenzen«, mahnte Anne-Louise. »Wir opfern keine Mitglieder eines Covens, auch keine tierischen Gefährten.«

Holly bewegte hilflos die Hände. »Das wusste ich nicht...«

»Mit euch Cahors hat es schon immer Probleme gegeben«, fiel Anne-Louise ihr ins Wort. »Ihr seid unberechenbar. Und skrupellos.«

»Bis vor einem Jahr wusste ich nicht einmal, dass ich eine Hexe bin«, protestierte Holly.

»In deinen Adern fließt Hexenblut«, schnitt Anne-Louise ihr das Wort ab. »Die meisten Hexen wären allerdings unfähig gewesen, einen Gefährten zu opfern. Sie hätten gespürt, wie falsch das ist.« Sie schloss die Hand zur Faust und legte sie an ihr Herz.

»Tja, es war auch falsch von euch, uns allein gegen Michael Deveraux kämpfen zu lassen«, erwiderte Holly. »Ich muss auf die Toilette. Und ich sterbe vor Durst.«

»Amanda kommt noch nicht zurück. Erst, wenn ich den Bann von deiner Tür nehme«, sagte die Frau. »Und du wirst schön hier sitzen bleiben und

mir zuhören.«

Holly funkelte sie an. Die Frau reckte das Kinn. Ihr regloses Duell dauerte ein paar Sekunden. Dann seufzte die Frau schwer.

»Also schön. Du bist nicht meine Gefangene.«

Wortlos schlüpfte Holly aus dem Bett und ging auf wackligen Beinen zur Tür. In Wahrheit war sie schockiert über die Neuigkeit, dass es überhaupt einen Mutterzirkel gab, dem sie Rede und Antwort stehen musste. Und darüber, dass diese Leute sie und die anderen so lange sich selbst überlassen hatten, ohne ihnen zu Hilfe zu kommen.

Aber wenn man etwas tut, was ihnen nicht passt, sind sie sofort zur Stelle.

Sie ging zur Toilette und tappte dann zurück in ihr Zimmer. Die Frau war aufgestanden und sammelte ihre Sachen ein: ein schwarzes Schultertuch, eine kleine Reisetasche, eine Handtasche.

»Du gehst schon?«, fragte Holly. »Wirst du uns denn nicht gegen Michael Deveraux unterstützen?«

»Doch. Das werde ich«, erwiderte Anne-Louise knapp. »Ich habe mir ein Zimmer in einem Hotel genommen, und ich muss meine Kräfte sammeln, Allein«, fügte sie betont hinzu. »Ich will ihn nicht merken lassen, dass ich hier bin. Er soll davon ausgehen, dass ihr immer noch auf euch allein gestellt seid.«

Holly wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Sie fragte: »Aber ihr werdet uns helfen, oder?«

Die Frau zögerte. »Soweit wir können«, antwortete sie.

Holly verschränkte die Arme und sah die andere Hexe mit hartem Blick an. »Du hast Angst vor ihm.«

»Wie jede kluge Hexe.«

Holly konnte ihre Gedanken beinahe lesen. »Du wolltest nicht hierherkommen. Du hast darum gebeten, das nicht tun zu müssen.«

Die Frau neigte den Kopf. »Auch das stimmt.« Sie räusperte sich. »Ich werde jetzt mein Hotelzimmer beziehen und mein Ritual abhalten. Ich melde mich in etwa sechs Stunden wieder.«

»Uns bleibt nur noch ein Tag«, erwiderte Holly. »Er hat gesagt, ich hätte Zeit bis zum Vollmond.« Um sie zu retten?

Oder bis sie sterben?

Die Frau stieß den Atem aus und hängte sich die Reisetasche über die Schulter. Dann ging sie zur Tür. »Ich melde mich.« Mit schwacher Stimme fügte sie hinzu: »Das ist das Beste, was ich für euch tun kann.«

»Entschuldige meine Offenheit, aber dein Bestes ist erbärmlich«, rief Holly ihr nach.

Die Frau kehrte ihr den Rücken zu und verließ das Zimmer. Sie murmelte etwas und machte eine kleine Handbewegung.

Amanda platzte ins Zimmer und ignorierte die Hexe. Holly begriff, dass Anne-Louise sich in einen Unsichtbarkeitszauber gehüllt hatte.

»Ich hasse dich, Holly!«, schrie Amanda. »Ich hasse dich dafür, dass du Hecate getötet hast! Wie konntest du das nur tun?«

Holly hatte keine Zeit, sanft und freundlich zu sein. »Wenn du Eddie dadurch hättest retten können, hättest du Hecate dann getötet?«

Amanda blieb der Mund offen stehen. Holly setzte nach.

»Michael Deveraux will Silvana und Kialish umbringen. Danach wird er sich uns vornehmen. Findest du nicht, dass das Hecates Tod wert war?«

Sprachlos starrte Amanda sie an. Holly fühlte sich zutiefst elend, gemein und hassenswert.

Aber sie fühlte sich auch stark.

Interessant, dachte Michael Deveraux in seinem Haus in Lower Queen Anne, einem Stadtteil von Seattle. Von seiner Zauberkammer aus hatte er Holly mit Hilfe eines Kristalls ausspioniert.

Sein Diener, der Wichtel, hüpfte in der Kammer herum, schwatzte den Schädeln auf dem Altar etwas vor und lachte in irrer Schadenfreude, als er in den Kristall blickte. Dann erregte irgendein anderes Objekt in der Kammer seine Aufmerksamst, und er sauste davon.

Michael hatte mit angesehen, wie sie das Hexentier geopfert hatte, und fand das verblüffend und großartig zugleich. Mir war nicht bewusst, dass sie zu so etwas fähig ist. Ihr Herz ist viel schwärzer, als ich dachte.

Außerdem hatte er ihre Seite der Unterhaltung mit der Hexe vom Mutterzirkel belauscht - deren Anteil an dem Gespräch war ihm verborgen geblieben. Doch er wusste, warum die sich jetzt einmischten. Die Frau sollte Holly gewiss ermahnen, sich der Parteilinie unterzuordnen: Keiner tötet einen von den Guten. Aber vernichtet so viele Böse, wie ihr wollt.

Als Holly sie praktisch zum Teufel geschickt hatte, hatte er ihr im Stillen applaudiert.

Ich frage mich, ob ich sie möglicherweise unterschätzt habe, dachte er. Vielleicht kann ich sie auf die dunkle Seite ziehen. Sie mir hörig machen... oder Jer, falls er wieder zur Vernunft kommt. Ihre Verbindung mit dem Deveraux-Coven würde mir die Macht über den Obersten Zirkel praktisch garantieren.

Kaum hatte er diesen Gedanken vollendet, da roch er den Gestank, der oft das Erscheinen seines Vorfahren Laurent, Duc de Deveraux, ankündigte.

Und tatsächlich, als Michael demütig niederkniete, trat der modrige Leichnam seines Ahnherrn von Charons Fähre, die mitten im Raum erschien. Schwefel vermischte sich mit dem Übelkeit erregenden Gestank der Fäulnis und erzählte von den Höllenfeuern, die Laurent verlassen hatte, um seine Reise zurück ins Reich der Lebenden anzutreten.

»Laurent, es ist lange her, dass Ihr Euch mir gezeigt habt«, sagte Michael. »Ich habe großartige Neuigkeiten. Ich habe zwei Gefangene in meiner Gewalt, und es sieht ganz so aus, als könnte ich Holly von den Cahors bald in den Tod locken.«

»Du Lügner«, sagte Laurent in mittelalterlichem Französisch. Er schlug Michael mit dem Handrücken ins Gesicht, so dass er zu Boden stürzte. »Du hast erwogen, sie zu verschonen. Cochon. Denk nicht einmal daran. Das gesamte Haus Cahors muss von dieser und allen anderen Welten getilgt werden.«

Michaels Wange schmerzte, als hätte ihm jemand ein Brandzeichen aufgedrückt. Laurent trat mit bedrohlichen Schritten auf ihn zu.

»Du willst das Schwarze Feuer wieder beschwören können, nicht wahr? Du willst den Obersten Zirkel beherrschen. Dann solltest du die Hexe lieber töten, denn sonst wirst du es nie wieder hervorbringen können.«

Michael nahm diese Worte in sich auf. Mit pochendem Herzen versuchte er, einen Rest Würde - und seinen Mut - zusammenzunehmen, ehe er sich erhob.

»Dann werde ich sie töten«, erklärte er ruhig.

Anne-Louise war eine praktizierende Hexe, seit sie zu sprechen gelernt hatte. Sie war im Mutterzirkel aufgewachsen, als Mündel des Covens. Ihre Eltern waren kurz nach ihrer Geburt ermordet worden, deshalb war der Zirkel ihr Mutter und Vater zugleich gewesen.

In ihrem Hotelzimmer meditierte sie, um Kraft zu sammeln. Der Zirkel hatte sie hergeschickt, weil Banne ihre magische Spezialität waren. Ihre weltliche war die Diplomatie, wenngleich man das nach der Konfrontation mit Holly nicht vermuten würde. Sie schauderte. Der jungen Hexe so nah zu sein, war eine unangenehme Erfahrung gewesen. Das Hexentier zu ertränken, hatte sie verdorben. Das Böse, das sie ausstrahlte, fühlte sich grässlich an.

Zwei Tränen rannen Anne-Louise langsam über die Wange. Die erste galt der Gefährtin, Hecate. Die zweite galt der Hexe Nicole, deren Katze Hecate gewesen war. Anne-Louise betete zur Göttin, dass Nicole nicht dasselbe Schicksal erleiden würde.

Sie atmete mehrmals tief durch, um ihren Geist zu reinigen und sich zu fokussieren. Sie war müde von dem langen Flug und der Begegnung mit Holly. Außerdem hatte der Bann, den sie dort über den obersten Treppenabsatz gelegt hatte, sie fast den letzten Rest ihrer Kraft gekostet. Die tiefen Atemzüge halfen ihr, sich zu konzentrieren, und sie schob die Cahors-Hexe beiseite und nahm ihre Meditation wieder auf. Cahors machten immer so viel Ärger.

London, 1640

»Töte sie«, flüsterte Luc Deveraux, der das Schauspiel beobachtete. Er hatte Cassandra Cahors verfolgt, seit er dafür gesorgt hatte, dass ihre Mutter Barbara auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Jetzt endlich würde auch Cassandra sterben, durch eine weitere gute Tradition der Hexenjagd.

Die Wasserprobe.

Zuschauer versammelten sich am Ufer, während die Hexenjäger, die für ihren Fall zuständig waren, sich auf der London Bridge aufreihten, um sie ertrinken zu sehen, und ertrinken würde sie. Der allgemeinen Überzeugung nach trieben Hexen auf dem Wasser. Deshalb wurde eine Frau, die man der Hexerei bezichtigte, oft in ein kleines Gewässer geworfen, um festzustellen, ob sie oben schwamm. Ihre einzige Möglichkeit, ihre Unschuld zu beweisen, bestand darin zu ertrinken. Allerdings nützte ihr die Unschuld dann nicht mehr viel...

Natürlich war all dieser Aberglaube unsinnig. Hexen trieben nicht auf dem Wasser. Cassandra Cahors würde ertrinken, und alle würden glauben, sie sei unschuldig und doch keine Hexe gewesen. Nichts hätte der Wahrheit weniger entsprechen können.

Er lächelte und genoss die Ironie des Ganzen.

Die gefesselte Frau zappelte unter Wasser und wurde wieder hochgezogen, für den Fall, dass sie ein Geständnis ablegen wollte. Sie sah aus wie eine ersäufte Katze. Ihre Augen waren riesig, das Haar klebte ihr unter der Haube am Kopf. Sie würde nicht mehr lange durchhalten. Schon fiel ihr das Atmen schwer, und er jubelte innerlich.

Cassandra war dem Tode nahe, und als sie den Blick über die Menge schweifen ließ, loderten die Feuer der Hölle in ihren Augen.

»Ich verfluche euch, euch alle!«, schrie sie. »Ihr werdet ertrinken, jeder Einzelne von euch! Wie ich sterbe, so sollt auch ihr sterben.«

Luc wedelte mit der Hand und murmelte ein paar Worte. Er änderte den Fluch leicht ab und warf ihn auf Cassandra zurück. Schließlich lächelte er triumphierend. »Nein, Cassandra. Doch alle, die deine Nachkommen lieben, werden sterben. Ich verfluche dein Haus für alle Zeit.

Wen eine Cahors liebt, der wird ertrinken.«

Michael und Laurent: Seattle, im November

Laurent, der mächtige Herzog des Hauses Deveraux, sah zu, wie sein Nachfahre Michael seine Angst zu verbergen suchte, als er sich aufrichtete. Rasende Wut erfasste Laurent. Dass mein Haus so tief sinken konnte - er ist ein moderner Playboy, der versucht, das Spiel so zu treiben, wie die Cahors es einst spielten...

Laurents Wildheit und Leidenschaft reichten buchstäblich über den Tod hinaus. Catherine de Cahors, seiner Rivalin zu Lebzeiten, war dieser Schritt nicht gelungen, und so trieb sie als Häuflein Asche durchs Universum.

Ihretwegen war Jean tot. Wahrhaftig tot.

Ich dulde das nicht. Ich habe die letzte lebende Cahors-Hexe gefunden, und ich will sie tot sehen.

Bisher hatte er nur Michael erscheinen und nur Michael berühren können. Doch während er kochend vor Wut in dessen Zauberkammer stand, spürte er, wie neue Kraft sein Wesen durchströmte.

Energie knisterte um ihn herum und durch ihn hindurch. Sein Kopf wurde zurückgerissen, und er fühlte sich wie vom Blitz getroffen.

Michaels Augen weiteten sich, und der Herzog erkannte, dass irgendetwas mit ihm geschah. Er blickte auf seine Hände hinab und sah zu, wie das graue, faulige Fleisch von seinen Knochen fiel und weiche, neue Haut erschien. Er berührte sein Gesicht und spürte sie auch dort.

In großen Klumpen löste sich sein alter Körper auf.

Er wurde wieder zum Mann - kraftstrotzend und lebendig.

Endlich. Endlich!

»Wow«, flüsterte Michael beeindruckt. Sein Wichtel schnatterte, zeigte mit dem Finger auf Laurent und hüpfte aufgeregt herum.

»Habe ich dir nicht gesagt, dass ich wieder als vollwertiger Mann auf dieser Ebene erscheinen würde?«, sagte Laurent tadelnd zu Michael, obwohl er selbst zutiefst schockiert war. Er hatte nicht wissen können, ob das je wirklich geschehen würde.

Er trat einen Schritt vor, dann noch einen. Seine uralte Kleidung fiel von ihm ab, und er war nackt.

Zu seinem vielfachen Urenkel sagte er: »Hol mir Kleider.«

Michael rannte los, um seinem Befehl nachzukommen, und sein Gefährte hüpfte ihm hinterher.

Laurent schloss die Augen und hob den Arm. Er flüsterte: »Fantasme.«

Der mächtige Bussard nahm Gestalt und echtes Gewicht an, als er auf dem Arm seines Herrn und Meisters landete. Seine Glöckchen klimperten, und er stieß einen leisen Schrei aus.

Laurent öffnete die Augen und sah den Vogel voller Zuneigung an.

»Mon coeur«, sagte er. »Mein Herz. Komm mit mir, mein Schöner, und wir werden jagen wie in alten Zeiten.«

Der Vogel krächzte zur Antwort.

Michael kehrte mit Kleidung für ihn zurück - ein schwarzer Pullover, eine schwarze Hose und Stiefel -, und Laurent genoss das Gefühl frischer, neuer Gewänder an seinem neuen Leib. Er bemerkte, dass er hungrig war. Doch der Hunger würde warten müssen.

Er hatte eine Hexe zu töten.

Er schritt an Michael vorbei, der rief: »Wo geht Ihr hin?«

»Ich erledige deine Arbeit«, warf er über die Schulter zurück, ohne innezuhalten.

Seine starken Oberschenkel trugen ihn rasch die Treppe hinauf. Er zögerte, unsicher, wo er sich befand, doch der Bussard schwang sich von seinem Arm und flatterte einen Flur entlang. Fantasme brauchte nur eine Minute, um Laurent den Weg zur Deverauxschen Haustür zu zeigen.

Auf seinen leichten Wink hin öffnete sich die Tür. Als er über die Schwelle trat, war er versucht, das ganze Haus in ein flammendes Inferno zu verwandeln und sich Michael Deveraux ein für alle Mal vom Hals zu schaffen. Doch er hielt sich vor Augen, dass Michael trotz allem ein starker Hexer war, der die stolze Geschichte seiner Familie kannte und danach strebte, deren Ehre wiederherzustellen.

Er ist gar nicht so übel, dachte Laurent.

Er ist nur nicht ich.

Der Mond, der auf ihn herabschien, war beinahe voll. Michael hatte gut daran getan, das Treffen mit Holly Cathers auf eine Vollmondnacht zu legen, morgen Nacht. Wenn er sie dann tötete, würde seine Macht nur umso mehr wachsen.

Doch Laurent wollte nicht so lange warten.

Er schnippte mit den Fingern und rief laut: »Magnifuque!«

Wolken brodelten und schoben sich vor den gelben Mond, Sterne flackerten und bebten. Ein Flammenbogen erschien am Himmel, und darauf nahmen die gewaltigen Hufe von Laurents Schlachtross Magnifique Gestalt an. Es folgten seine Beine, dann sein restlicher Körper. Flammen schossen aus seinen Nüstern und tanzten auf seiner Mähne und seinem Schweif. Der Hengst galoppierte vom Himmel herab, stampfte mit dem linken Vorderhuf auf den Boden und neigte den Kopf vor Laurent.

»Beim gehörnten Gott, wie habe ich dich vermisst«, sagte Laurent inbrünstig. Dann stieg er ohne Sattel auf den Rücken seines Pferdes. Fantasme ließ sich auf seiner Schulter nieder, und das Trio galoppierte durch die Straßen von Michaels Stadt, Seattle.

Der Himmel brach auf, und Regen prasselte herab. Dampf stieg von Magnifiques schwerem, bemuskeltem Leib auf, und Laurent warf den Kopf zurück und lachte. Dann presste er seinem Streitross die Fersen in die Seite, und sie flogen immer schneller dahin, bis die Hufe des Pferdes den Asphalt zischelnd zum Schmelzen brachten.

Fantasme zeigte ihm den Weg. Das finstere Oberhaupt der Deveraux ritt stundenlang durch die Nacht, und dann...

... stand er vor dem Haus, das die Hexe bewohnte.

Ohne einen Augenblick zu zögern, galoppierte er durch den Vorgarten auf die vordere Veranda zu.

Er rechnete mit zahlreichen Bannen und zauberte im Reiten, um einen nach dem anderen zu brechen. Er war überrascht, als er bald alle wirkungslos gemacht hatte, denn er hätte von der jungen Frau einen härteren Kampf erwartet. Auf seine Geste hin flog die Haustür auf. Magnifique trabte über die Schwelle.

Er roch Rauch und erinnerte sich an die Nacht, in der Michael versucht hatte, das Schwarze Feuer zu beschwören, indem er Marie-Claire opferte, die einstige Herrin dieses Hauses. Wie zornig Laurent in jener Nacht geworden war! Michael hatte seinem Befehl zuwidergehandelt und die Dame in seinen Bann gezogen - diese unbedeutende Cahors, dieses geringfügige Hindernis -, obwohl Laurent es ihm ausdrücklich verboten hatte.

Hier hatte er sich materialisiert, Michael eine Ohrfeige versetzt und ihn für seine Verlogenheit verabscheut.

Aber würde ich einen Mann achten, der keine Grenzen überschreitet und nichts riskiert? Wann haben die Deveraux jemals viel auf Gehorsam gegeben? Mir ist es lieber, wenn er die Initiative ergreift und Großes bewirkt, statt sich eingeschüchtert von mir zurückhalten zu lassen.

Er donnerte durchs Wohnzimmer. Die heißen Winde des Zorns wirbelten in ihm empor. Magnifiques Körper zischte und brannte, so schnell flog er dahin. Laurent genoss all diese Empfindungen lachte vor Vorfreude auf das, was er dieser kleinen Hexe antun würde. Er würde sie entweder davontragen und langsam töten oder sie niederreiten und von Magnifique zertrampeln lassen, wenn sie vor ihm davonlief.

Er ritt die Treppe hinauf und ...

Der Weg war ihm versperrt.

Ein starker Bann schimmerte zwischen ihm und dem obersten Treppenabsatz. Rosen leuchteten darin, und Lilien schwebten in der Luft wie in Kristall eingefangen.

Seine Oberlippe kräuselte sich vor abgrundtiefem Hass. Er versuchte es mit einem anderen Zauber und erschuf mit beiden Händen einen gewaltigen Feuerball, den er gegen den Bann schleuderte.

Nichts, was er tat, zeigte irgendeine Wirkung.

Der Mutterzirkel war hier. Das ist einer von ihren Bannen.

Er trieb Magnifique voran. Das Pferd bäumte sich auf, ebenso frustriert wie sein Reiter. Die mächtigen Hufe trafen auf die Barriere, und die magische Energie versetzte ihnen beiden einen Schlag. Magnifique bäumte sich immer wieder auf und drosch mit aller Kraft auf den Bann ein, aber der gab nicht nach. Fantasme hackte mit Klauen und Schnabel daran herum, doch noch immer blieb er intakt und an Ort und Stelle.

Und dann erschien verschwommen der schimmernde Umriss einer Frau in der Barriere. Sie sah ihn mit Augen an, die ihm vertraut waren, mit einem höhnischen Lächeln, das er nur allzu gut kannte...

Sie lebt noch. Davon habe ich nichts geahnt.

Das verwirrte ihn... doch er fasste sich rasch, während er die gespenstische Erscheinung seiner toten Schwiegertochter betrachtete.

»Isabeau«, sagte er, »hinfort mit dir. Weiche vor mir!«

Ihr Bild waberte, verblasste jedoch nicht. Sie starrte ihn mit glühendem Hass an, der ebenso stark war wie sein Hass auf sie. Sie mit den Zähnen zu zerreißen, wäre noch zu gut für sie gewesen.

»Du hast meinen Erben ermordet«, sagte er zu ihr. »Da ist es nur gerecht, dass ich einer Cahors das Leben nehme.«

Sie antwortete nicht, doch ein seltsames Lächeln huschte über ihre Lippen und war sogleich wieder verschwunden.

Sie hob die Hand und zeigte zur Tür. Mit dieser verächtlichen Geste verwies sie ihn des Hauses.

Laurent klatschte dreimal in die Hände ...

... und er, Magnifique und Fantasme wurden auf magische Weise wieder in Michaels Zauberkammer versetzt.

Michael wirkte verblüfft, doch die beiden jungen Leute, die gefesselt auf dem Boden lagen, waren starr vor Entsetzen. Das Mädchen begann zu schreien, der junge Mann schloss die Augen und stimmte ein Gebet an. Laurent spürte den Drang, ihn einfach in den Äther zu schicken, wie ein mildes Kribbeln auf dem Brustbein.

Er stieg ab und gab dem Pferd einen Klaps aufs Hinterteil. Fantasme stieß sich von seiner Schulter ab und glitt mit erwartungsvollem Kreischen über die beiden am Boden liegenden Gestalten hinweg. Der Vogel hatte Häppchen menschlichen Fleisches zu lieben gelernt.

»Ihr konntet nicht zu ihr Vordringen«, riet Michael.

Laurent hätte ihn beinahe erneut geschlagen, weil er ihn vor bloßen Gefangenen zu beschämen wagte, doch er stemmte stattdessen die Hände in die Hüften. »Der Mutterzirkel ist hier. Wusstest du das?«

Michael schnaubte verächtlich. »Wen kümmert's? Ein Haufen verschrumpelte alte Weiber, deren Zauber bestenfalls wirkungslos sind.«

»Morgen wird die Hexe sterben«, erklärte Laurent und lächelte boshaft auf die beiden am Boden hinab. »Also kannst du die da ebenso gut gleich töten.«

»Sie ist eine Voodoo-Priesterin und er ein Schamane. Ich erlange mehr Macht, wenn ich sie morgen bei Vollmond umbringe.«

»Also schön«, sagte Laurent, der ihm in diesem Punkt recht geben musste. Dann legte er die Hand auf seinen Magen und erklärte: »Ich will etwas zu essen.«

Michael nickte. »Kommt mit nach oben, ich brate Euch ein Steak.«

Sie stiegen die Treppe hinauf.

Jer: Avalon, im November

Es war ein eiskalter Tag, und Jer war am Verhungern. Seine Heilung kostete unglaublich viel Energie. James hatte den Prozess in Gang gesetzt, doch Jers Genesung war noch lange nicht abgeschlossen. Er war noch immer von schrecklichen Narben gekennzeichnet.

In eine Cabanjacke gehüllt und mit einer Decke über den Knien saß er auf einer steinernen Bank und blickte aufs Meer hinaus. Er fragte sich, was Holly gerade tat und ob sie von ihm träumte. Es hätte ihn überrascht, wenn sie nicht von ihm träumen würde. Er wusste jedenfalls, dass er in seinen Träumen stets nach ihr rief.

Ich muss mir mehr Mühe geben, das sein zu lassen. Sonst bringe ich ihr noch den Tod.

Leise Schritte drangen an sein Ohr. Jer blickte auf und sah eine der Dienerinnen, die sich vorsichtig mit einem Silbertablett näherte. Schimmernde silberne Servierhauben bedeckten die Teller.

Jer bedeutete ihr, näher zu kommen. Sie fürchtete sich vor ihm, und er wusste nicht, ob das an seinem abscheulichen Aussehen lag oder daran, dass er ein mächtiger Hexer war.

Er sprach sie an. »Was möchtest du heute wissen?«

Schüchtern antwortete sie: »Wie man Geld findet.«

»Also gut.«

Sie reichte ihm das Tablett. Sie hatten einen Handel geschlossen. Sie erzählte ihm alle Neuigkeiten, die sie erfuhr, und im Gegenzug brachte er ihr einfache kleine Zauber bei.

»Was hast du für mich?«, fragte er.

»James ist zurück«, sagte sie. »Er hat ein Mädchen dabei. Eine Hexe.«

Das weckte sein Interesse. Ihm sträubten sich die Haare im Nacken, und seine Wangen wurden heiß bei dem Gedanken: Haben sie Holly entführt?

»Wie heißt sie?«, fragte er.

Sie neigte den Kopf zur Seite. »Ich will wissen, wie man Geld findet und wie ich dafür sorgen kann, dass ein Mädchen, das ich hasse, seine Brille verliert.«

An jedem anderen Tag hätte er vielleicht darüber gelacht. Doch heute wiederholte er: »Wie heißt sie?« Er hob den Zeigefinger und deutete drohend auf sie.

Sie wich zurück. »Nicole.«

Hollys Cousine. Sie war früher mit meinem Bruder zusammen.

Das konnte nichts Gutes bedeuten.

Er nickte und sagte: »Also schön. Ich zeige dir, was du wissen willst. Aber zuerst...« Er hob die Haube von einem der Teller und lächelte erfreut. Fish and Chips. Die aß er besonders gern.

Er nahm sich eine Fritte und wollte sie sich gerade in den Mund stecken, als ihm ein abscheulicher Geruch in die Nase stieg. Er erstarrte und blickte auf das Stückchen Kartoffel hinab.

Es war von grün schimmernder Energie umhüllt und in seiner manifesten Form nur ein verschrumpeltes Stück fauligen Abfalls.

Gift, erkannte er. Von Eli gesandt... oder von James?

Die junge Frau beobachtete ihn. Sie war neugierig, schien aber nicht zu wissen, dass sie ihm Essen gebracht hatte, das ihn krank machen oder gar umbringen sollte.

Er legte das Stück wieder auf den Teller. Dann sah er sie an und sagte: »Bring mir etwas anderes. Etwas, wovon du selbst gegessen hast.«

Ihre Augen weiteten sich, als sie begriff, was er damit andeutete.

Ohne ein weiteres Wort nahm sie ihm das Tablett ab und eilte davon, als fürchtete sie, er könnte ihr die Schuld geben.

Er starrte aufs Meer hinaus.

Nicole ist bei James. Erhöhen sie den Einsatz, um Holly dazu zu bringen, dass sie hierherkommt, nach Avalon?

»Tu es nicht«, sagte er laut. »Holly, komm nicht hierher.«