Drei
Nebelmond
Wir tanzen und lachen in der Nacht
Die Feinde schmecken unseren Zorn
Wir sind der Tod, und Tod wir bringen
Auf unseres Bussards dunklen Schwingen
Wir tanzen auf der Feinde Leichen
Lachen und schreien mit heiseren Kehlen
Wir hören gern die Feinde stöhnen
Wenn Falkenklauen sie zerreißen
Jer: Insel Avalon
»Du wirst nun doch überleben, mon frère socier«, sprach eine Stimme.
Jer hätte nicht sagen können, woher sie kam. Er versuchte die Augen zu öffnen, doch sie waren verbunden.
Er konnte sich nicht rühren - oder vielmehr nicht feststellen, ob er sich bewegen konnte oder seinen Körper bereits bewegte. Qual bestimmte sein Dasein, und er spürte nichts von sich selbst außer dem Schmerz, der ihn zerriss.
Sein Vater hatte früher oft mit einem befreundeten Hexer über die Vorstellung von ewigen Qualen debattiert. Michael hatte die verbreitete Ansicht vertreten, dass das Opfer nach einiger Zeit aufhören würde, die Folter zu spüren - dass jegliche Art von Empfindung, sei es ekstatische Freude oder die brennende, sengende Pein, die Jer jetzt quälte, bedeutungslos werden müsse. Der Körper würde irgendwann einfach aufhören, darauf zu reagieren.
Das war vollkommen falsch.
Schmerz beginnt im Kopf, dachte Jer, und selbst mein Geist wurde verbrannt. Ich bin vollkommen und rettungslos zerstört.
Holly, rief er in seiner Verzweiflung aus, rette mich. Du kannst bewirken, dass es aufhört. Du besitzt die Macht dazu.
In einem seltsamen Delirium hatte er von ihr geträumt. Er hatte in einer Kammer gesessen, festgekettet als Lockvogel für Holly. Er hatte sie angefleht, sich von ihm fernzuhalten, wie er es auch jetzt tun sollte. Seine Familie hatte sich verpflichtet, sie zu töten.
Sie hätte eine bessere Chance, wenn Eli an seinen Brandverletzungen gestorben ist. Fantasmes Geist hat sich materialisiert und ihn gerettet, aber ich bete zu unserem Gott, dass das Schwarze Feuer ihn doch noch getötet hat... schneller, als es mich offenbar tötet.
Er ist böse, das stimmt, aber er ist mein Bruder.
Solche Schmerzen wünsche ich niemandem.
Dann flüsterte eine Stimme - dieselbe Stimme wie gerade eben - ihm ins Ohr: »Du wirst leben.«
Er kannte diese Stimme. Sie war ein Teil von ihm, ein unsterblicher Teil seiner eigenen Seele. Es war die Stimme von Jean, dem Erben des Hauses Deveraux zu jener Zeit, als die Cahors das Massaker auf Schloss Deveraux verübt hatten.
»Auch ich bin nicht gestorben«, versicherte ihm Jean. »Alle glaubten, ich sei im Feuer umgekommen, doch ich habe überlebt. Ich habe niemanden benachrichtigt. Ich bin mit einer kleinen Gruppe Gefolgsleute entkommen und habe mich versteckt gehalten.
Ich habe überlebt und mein Hexerblut durch meine Erben nach England und Montreal weitergetragen, und dann in den Wilden Westen Amerikas.
Und auch du wirst überleben und meine Liebste töten«, fuhr Jeans Flüsterstimme in Jers Geist fort. »Du wirst Isabeau töten. Dann wird sie Ruhe finden, und ich auch, weil ich endlich Rache nehmen konnte.«
Dann sagte eine andere Stimme: »Du wirst überleben«, und diese kam nicht aus Jers Innerem. »Du wirst leben und deinen Vater bei seinem Plan unterstützen, den meinen vom Thron zu stoßen.«
Das ist James, erkannte Jer. Der Erbe des Moore-Covens und Sohn von Sir William, dem Herrn des Obersten Zirkels. Unsere Familie hat sich im Geheimen mit James verschworen.
Das war der ursprüngliche Plan gewesen. Doch nachdem Jer ein Opfer der Flammen geworden war, hatte Michael Jer in Sir Williams Dienst verpfändet, im Austausch für sein Überleben. Als der Handel besiegelt war, hatte Sir William sich in einen grausigen Dämon verwandelt. Ist er ein Teufel? Hat mein Vater einen Handel mit Satan persönlich geschlossen, um mein Leben zu retten ?
Plötzlich ließ der Schmerz nach, und Jer schnappte erleichtert nach Luft.
»Es tut weh, das Schwarze Feuer, nicht wahr?«, raunte James. »Deshalb wollen wir sein Geheimnis besitzen. Der Oberste Zirkel will diese Waffe, damit wir endlich diese idiotischen Hexen des Mutterzirkels auslöschen können.«
Jer war verwirrt. Sein Vater hatte das Geheimnis doch sicher längst geteilt. Sir William würde unter keinen Umständen zulassen, dass Michael einen solchen Trumpf für sich behielt.
»Ich kann deine Gedanken beinahe lesen«, bemerkte James gedehnt. »Irgendetwas ist schief gegangen, Jer. Dein Vater ist nicht mehr in der Lage, das Schwarze Feuer zu beschwören. Wir wissen nicht, weshalb er immer wieder versagt.«
Jer war verwundert.
»Ich glaube, es liegt daran, dass er sowohl dich als auch Eli dazu braucht - dass drei Deveraux anwesend sein müssen, um das Feuer zum Brennen zu bringen. Weil du ausgeschaltet und nicht bei ihm bist, funktioniert es nicht. Mein Vater ist anderer Meinung als ich. Er glaubt, dass dieses Miststück Holly den Erfolg blockiert. Also hat mein Vater den deinen nach Hause geschickt, damit er sie tötet.
Und was ist mit dir, Jer? Würdest du sie töten, wenn ich es dir befehlen würde? Bist du nun für mich oder gegen mich? Du wirst gesund werden, und du, dein Vater und dein Bruder werdet das Schwarze Feuer für mich beschwören.«
Eli muss noch am Leben sein, dachte Jer, und er war zugleich bestürzt und erleichtert über diesen Gedanken. Er ist mir nicht gleichgültig. Blut ist eben doch dicker als Wasser... Hexerblut jedenfalls...
»Setz dich auf«, befahl ihm James.
Magie summte durch Jer Deveraux und fügte versengte Haut zusammen, öffnete Adern, die zugeschmolzen waren, und tilgte die Narben aus seiner Lunge und seinem Herzen. Er konnte freier atmen, sog tief Luft und Magie ein, und das warme Glühen breitete sich pulsierend in seinem ganzen Körper aus, um mit jedem Ausatmen noch mehr Verletzungen auszutreiben. Ihm war schwindlig, beinahe, als wäre er high, und dann war der Schmerz fast verschwunden. Fast, aber nicht ganz.
Dann fand Jer sich in einem Rollstuhl auf einer Klippe wieder, hoch über dem Meer. Magische Energie wirbelte und wogte um ihn herum, und grüne, phosphoreszierende Fleckchen tanzten auf seiner Haut.
Seiner Haut, die schwarz, vernarbt und abstoßend war.
Voll Entsetzen starrte er auf seine Hände hinab, die schlaff in seinem Schoß lagen. Sie waren verkohlte Stümpfe, Knochen ragten durch Klumpen verbrannten Fleisches. Eine Hexe auf dem Scheiterhaufen hätte nicht übler aussehen können.
Ich bin ein Ungeheuer, wie Sir William. Vielleicht hat das Schwarze Feuer auch ihn verbrannt. Vielleicht hat mein Vater es schon vor Jahren beschworen, und Sir William trägt die Narben bis heute.
Tränen liefen ihm übers Gesicht. Sein Körper bebte vor Trauer, Wut und tiefer, verzweifelter Demütigung.
Holly darf mich nie so sehen. Sie würde vor mir zurückweichen, sich wahrscheinlich übergeben müssen. Das könnte ich nicht ertragen.
»Allmählich bekommst du einen Eindruck davon, wozu die Cahors fähig sind«, sprach Jean de Deveraux' Stimme in Jers Kopf. »Eh bien, so habe ich auch ausgesehen, nachdem meine Gemahlin mich verraten hatte. Deshalb liebe und hasse ich meine Isabeau. Und deshalb musst du die herrschende Cahors-Hexe töten, die als Holly Cathers bekannt ist. Meine Isabeau kann Besitz von ihr ergreifen, und nun hat sie uns beide betrogen. Also müssen sie sterben, die eine mit der anderen.«
»Nein«, krächzte Jer. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon nicht mehr gesprochen hatte. »Holly hat mich nicht verraten.«
»Oh doch«, beharrte Jean. »La femme Holly wusste, dass Deveraux und Cahors - pardon, on dit >Cathers< -, wenn sie miteinander verbunden sind, unberührt im Schwarzen Feuer stehen können, das deine Familie zum vergangenen Beltane-Fest beschworen hat. Wenn ihr aneinander festgehalten hättet, hättet ihr beide einen ganzen Mond lang in den Flammen stehen bleiben können, wenn das euer Wunsch gewesen wäre.
Doch sie hat sich im Feuer von dir entfernt, nicht wahr? Mon ami, sie hat dich den Flammen überlassen - wozu Isabeau sich auch gegen mich verschworen hatte -, obgleich sie wusste, dass du so leiden würdest.«
»Ihre Cousinen haben sie weggezerrt!«, krächzte Jer. »Sie konnte nichts tun.«
»Wie jämmerlich, dass du dich selbst so schlecht belügst«, erwiderte Jean verächtlich. »Sie ist die stärkste Hexe in der Cahors-Linie seit Catherine, Isabeaus Mutter. Wenn sie dich wirklich hätte retten wollen, wäre es ihr gelungen.«
»Nein...«, flüsterte Jer, doch er konnte darauf nichts erwidern; tief in seiner zischelnden, überhitzten Deveraux-Seele glaubte er Jeans Worten.
Dann hatte er eine neue Vision: Er stand mit Holly am Strand in Seattle. Die Wellen warfen sich gegen ihre Knöchel, dann gegen die Unterschenkel, über die Knie. Doch er hielt Holly fest umschlungen, sie küsste ihn innig und schmiegte den ganzen Körper an seinen. Sie begehrte ihn, hungerte nach ihm …
...und die Wellen tosten und brachen sich um sie herum. Holly hielt ihn fest und presste die Lippen auf seinen Mund. Das eiskalte Wasser zerrte und zog an ihnen.
Sie wurden aufs Meer hinausgewirbelt, davongetragen von den schäumenden Wellen und den tiefen Tälern dazwischen. Jer kämpfte darum, den Kopf über Wasser zu halten, das brauste wie eine Achterbahn. Doch Holly klammerte sich an ihm fest und zog ihn hinunter, immer tiefer; ihr Mund lag auf seinem, und er konnte nicht atmen. Sie raubte ihm den Sauerstoff. In seiner Panik versuchte er, sich zu befreien, doch er kam nicht von ihr los. Sie ertränkte ihn.
»Sie wird dein Tod sein, wenn du sie nicht zuerst tötest«, flüsterte Jean. »Isabeau wird alles tun, um mein Leben auszulöschen, auch durch dich, wenn es sein muss. Sie kann nicht ruhen, bis ich ausgelöscht bin.«
Und dann sprach James, als sei er ein Teil dieser Vision, als existiere er innerhalb wie auch außerhalb von Jers Geist: »Vergiss nicht, wer deine Freunde sind, Deveraux.«
Jean fuhr fort: »Und vergiss niemals, niemals, deine Feinde. In der Welt der Hexerei ziehen Blutfehden sich über Jahrhunderte hin. Mademoiselle Holly will dich vielleicht lieben. Vielleicht kann sie sich sogar einreden, dass sie dich liebt. Doch sie ist die lebende Verkörperung des Hauses Cahors, und sie ist dein Todfeind.«
Holly und Amanda: Seattle, im Oktober
Es war eine sehr dunkle und stürmische Nacht kurz vor Samhain, und Onkel Richard war betrunken.
Holly und Amanda waren eben vom Zirkel nach Hause gekommen. Beide hatten ihre Tarnumhänge abgelegt und ihn im Wohnzimmer vorgefunden, wo er im Dunkeln saß und die Mini-Schokoriegel aß, die sie für die Kinder für Halloween gekauft hatten. Er versuchte nicht einmal mehr, etwas zu verbergen, und trank den Scotch aus der Flasche. In den ersten Tagen nach Tante Marie-Claires Tod hatte er sich Drinks gemixt und sie immer stärker gemacht. Dann hatte er sich angewöhnt, Whisky pur aus dem Schnapsglas zu trinken. Doch da hatte er noch keinen Beweis dafür gehabt, dass Marie-Claire eine Affäre mit Michael Deveraux gehabt hatte.
Der arme Onkel Richard hatte die Wahrheit auf schrecklich prosaische Art erfahren: Marie-Claire hatte ein Tagebuch geführt, und Richard hatte es gefunden. Sie hatte äußerst detailliert über ihre Nächte mit Michael geschrieben, und Richard hatte jedes Wort gelesen.
»Daddy?«, fragte Amanda sacht und kniete sich neben seinen Sessel.
Er seufzte und warf ihr mit feuchten, blutunterlaufenen Augen einen flüchtigen Blick zu. Er hatte sich seit einer Woche nicht mehr rasiert. Und er roch.
Sie und Holly hatten Richard nicht dazu überreden können wegzuziehen. Er war offenbar fest entschlossen, sich in seinem eigenen Haus zu Tode zu saufen. Seit er nicht mehr arbeitete und sein Geschäft von Tag zu Tag, von Woche zu Woche mehr verkümmern ließ, war es besonders schwierig geworden, das Haus mit Bannen zu schützen, ohne dass er es merkte. Doch der Coven hatte es geschafft. Er war relativ sicher ... oder, wenn man ganz ehrlich sein wollte, ebenso sehr in Gefahr wie die anderen.
»Onkel Richard?«, versuchte es Holly. Sie bewegte die Hand und segnete ihn. Er schien ihre unauffällige Geste nicht zu bemerken, und offenbar bewirkte sie auch nichts.
»Ich koche dir einen Kaffee.« Amanda schob sich an Holly vorbei und ging in die Küche.
Holly übernahm ihren Posten neben Onkel Richards Sessel. Sie legte die Hand auf seine und sagte: »Es tut mir so leid.«
Er wandte den Kopf und starrte sie an. Im trüben Mondschein sah sie, dass seine Augen furchtbar verdreht waren. Erschrocken wich sie zurück.
Doch er packte ihre Hand und hielt sie so fest, dass er ihr beinahe die Knochen brach. Worte drangen aus seinem Mund, seltsam körperlos, als er mit Michael Deveraux' Stimme sagte: »Sterbe bald, Holly Cathers. Einen grauenhaften Tod.«
Nicole: Spanien, im Oktober
Während sie die Straßen von Madrid entlangschlichen, hielt Philippe sich dicht bei Nicole. Offensichtlich wollte er in ihrer Nähe sein, vielleicht vor allem, um sie zu beschützen. Er war wie ein Fels in der Brandung, und sie war dankbar für seine Kraft und sein Interesse an ihr. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich sicher. Er sah nicht so dramatisch gut aus wie José Luis, in dessen Adern wildes Zigeunerblut floss. Er glich eher ihrer Amanda: angenehm anzusehen, aber nicht umwerfend. Die Extreme im Aussehen und in den Emotionen blieben in ihrer beider Coven anderen überlassen - in Amandas Fall war es meist Nicole, die ihr die Show stahl, in Philippes Fall José Luis.
Philippe hob sich allerdings in einer Hinsicht von den anderen Mitgliedern des Zirkels ab: Er war kein Spanier. Er stammte aus Agen, einem kleinen Ort in Frankreich.
Er wandte sich an ihren Anführer und sagte: »José Luis, wir sollten von der Straße verschwinden. Das ist gefährlich heute Nacht, sogar für uns.«
»Tienes razón«, stimmte Jose Luis zu. Er hob die Stimme, damit auch die anderen ihn verstehen konnten. »Kommt, gehen wir.«
Sie waren seit mehreren Tagen zusammen auf der Flucht von einem Unterschlupf zum nächsten - José Luis und sein zweiter Mann Philippe hatten sie vor langer Zeit eingerichtet. Sie waren Krieger, die für die Sache der Weißen Magie kämpften, und sie hatten zahlreiche Feinde. Philippe erzählte ihr, dass irgendetwas sie schon verfolgt hatte, ehe Nicole zu ihnen gestoßen war, doch Nicole hatte das Gefühl, dass sie wie ein Leuchtfeuer die Aufmerksamkeit auf den Coven zog.
Alicia, die Hexe, die Philippe stumm gezaubert hatte, hatte den Coven verlassen. Sie war eifersüchtig auf Nicole gewesen und wütend, weil Philippe sie verhext hatte, als sie sich gegen Nicole gewandt hatte.
José Luis war der größte in der Gruppe und am besten gekleidet. Er trug eine schwarze Lederhose und ein schwarz gefärbtes Seidenhemd. Das lockige Haar fiel ihm bis über die Schultern, und er band es jetzt mit einem Haargummi, den er aus der Hosentasche holte, zu einem lockeren Pferdeschwanz zurück. Seinem Gesicht nach hätte sie ihn auf etwa dreißig geschätzt, doch seine Augen wirkten älter, viel älter.
Philippe sah ein paar Jahre jünger aus. Er hatte dunkle Haut und hellgrüne Augen, was einen erstaunlichen Kontrast bildete. Er trug meistens Jeans und Pullover im kühlen Madrider Herbst, dazu teure, verzierte Cowboystiefel und manchmal einen Cowboyhut. Sein kastanienbraunes Haar war kurz und sehr stylish geschnitten - sie hatte es einmal berührt und sehr darüber gestaunt, wie seidig es sich unter ihren Fingern angefühlt hatte.
Normalerweise war er munter und jovial, jetzt aber ernst und nüchtern.
Er spürt es auch, dachte sie.
José Luis hatte ihr das älteste Mitglied seines Covens als »Senor Alonzo, unser Wohltäter, unsere Vaterfigur« vorgestellt.
Alonzo schnaubte amüsiert, streckte Nicole jedoch die Hand hin. Sie ergriff sie, und mit einer geschickten Bewegung verdrehte er ihre Hand so, dass er den Handrücken küssen konnte. Er ließ sie rasch wieder los und trat zurück. Alles an diesem Mann drückte Anmut und Eleganz aus.
Armand war ihr »Gewissen«, hatte José Luis ihr erklärt. Seine dunklen Augen funkelten, und seine Lippen bildeten einen harten, schmalen Strich. Er hatte etwas Finsteres, Gefährliches, das an einen Schurken aus einem alten Schwarz-Weiß-Film erinnerte.
Pablo war José Luis' kleiner Bruder. Er wirkte jünger als Nicole selbst, wie ungefähr vierzehn, und er war sehr schüchtern.
Als ihr alle vorgestellt worden waren, hatte sie gedacht: Was für ein kunterbunter Haufen!
Und Pablo hatte leise und auf Englisch mit starkem Akzent entgegnet: »Aber wir erledigen jede Aufgabe.«
Auf ihren verblüfften Blick hin lachte Philippe leise. »Pablo hat Fähigkeiten, die uns übrigen nicht gegeben sind.« Der Junge errötete nur noch heftiger und starrte weiterhin auf seine Schuhe hinab.
»Und wer bist du?«, fragte José Luis schließlich.
Nun war sie es, die errötete. »Ich heiße Nicole Anderson. Ich bin nur... ich ... ich mache eine Spanien-Reise.«
»Du bist sehr weit weg von zu Hause«, bemerkte José, der sie kritisch musterte. »Und du hast Hexenblut. Ich bezweifle ernsthaft, dass du eine... Touristin bist, mi preciosa.«
Sie nickte, und Tränen brannten in ihren Augen. »Ich... ich stecke in Schwierigkeiten«, brachte sie mühsam heraus. »Großen Schwierigkeiten.«
»Mit einem Hexer«, half Pablo nach.
Nicole nickte. Sie hatte keine Ahnung, ob sie ihnen sagen sollte, was los war. Außerdem fürchtete sie, sie könnte diese Leute in Gefahr bringen. »Ich... ich habe solche Angst.«
José Luis beruhigte sie sofort. »Está bien. No te precupes, bruja. Bei uns bist du in Sicherheit. Du kannst dich unserem Coven anschließen.«
»Ich will aber keinem Coven angehören«, protestierte sie unwillkürlich.
José Luis lachte. »Dazu ist es ein bisschen zu spät.«
In diesem Augenblick war Philippe vorgetreten und hatte erklärt: »Ich werde auf dich achtgeben, Nicole.«
Und das hatte er seither getan. Er war es, der Banne um sie legte, die Suchzauber von ihr ablenkten. Er vergewisserte sich, dass sie genug aß, wenn sie irgendwo Pause machten. Und er wachte bei Nacht über sie, wenn sie sich hinlegte, beobachtete die Luft um sie herum und sorgte dafür, dass sie nie in der Nähe eines Fensters schlief.
Er hatte sie offensichtlich lieb gewonnen...
... und sie ihn.
Jetzt, auf den staubigen Straßen von Madrid, verstärkte sich das Gefühl, dass sie gejagt wurden, mit der Dunkelheit. Nicoles Sinne schrien ihr zu, dass jemand - oder etwas - sie schon fast eingeholt hatte.
»Philippe hat recht. Ich glaube, wir sollten gehen«, verkündete Pablo. »Hier ist es zu gefährlich geworden. Wir können uns an die französische Grenze zurückziehen. Dort haben wir Freunde.«
Die anderen begannen zu murmeln und ihm leise zuzustimmen.
Nicole schüttelte den Kopf, trat zurück und entzog Philippe ihre Hand. »Ich kann nicht mit euch kommen. Ich würde ... Ich will nur nach Hause. Ich hätte gar nicht erst weggehen dürfen.« Kleinlaut fügte sie hinzu: »Das war sehr feige von mir.«
Er nickte mitfühlend. »Das verstehe ich, aber im Moment geht es eben nicht. Wenn es für dich sicher ist, werden wir tun, was wir können, um dich nach Hause zu begleiten.«
»Bis nach Seattle?«, krächzte sie.
Sein Grinsen wurde breiter. »Ja, sogar bis nach Seattle.« Er klatschte in die Hände. »Bueno, ándale«, sagte er zum Rest des Zirkels. »La noche está demasiado peligrosa.« Die Nacht ist zu gefährlich.
Mehrere Mitglieder des Zirkels bekreuzigten sich. Nicole war erstaunt und wollte sie schon danach fragen, als die Gruppe sich in Bewegung setzte.
Einhellig schlichen sie durch die Stadtmitte von Madrid. Wie ein Mann bogen sie in Seitenstraßen ab, ohne ein Wort zu wechseln oder je zu zögern. Wie im Traum ließ Nicole sich inmitten der fünf verhüllten Gestalten mittreiben. Philippe hielt wieder ihre Hand, und sie musste halb rennen, um hinter seinen langen Schritten nicht zurückzubleiben.
Eine Stunde verging, ehe sie endlich in einer Gasse neben einem kleinen Auto stehen blieben. Nicole zögerte, während die anderen schon einstiegen. Philippe lächelte sie an.
»Wir sind in Sicherheit. Vorerst.«
Nicole nickte langsam und schaute starr von ihm zu dem Auto. Sein Lächeln erlosch allmählich, und er warf einen Blick zurück in die Schatten, aus denen sie gekommen waren.
»Ich spüre deutlich, dass wir nicht viel Zeit haben«, sagte er. »Wir müssen sofort gehen, wenn wir noch entkommen wollen. Fühlst du es nicht?«
Sie nickte. »Doch«, sagte sie bedrückt. »Ich fühle es auch.«
Es war, als starrte jemand aus großer Höhe auf sie herab - wie ein gewaltiges, geflügeltes Geschöpf, das sich jeden Augenblick in die Luft erheben, mit den riesigen Schwingen schlagen und sie alle mit messerscharfen Klauen packen würde. Beinahe konnte sie ein unheimliches, hallendes Kreischen vernehmen.
Der Bussard, dachte sie. Er kommt.
Philippe schob Nicole in den Wagen. »Das ist eine alte Ente«, erzählte er ihr, »ein französisches Auto. Wir nennen es >Deux Chevaux<, weil es nicht mehr als zwei Pferdestärken hat.« Er grinste. »Aber selbst eine lahme Ente schlägt alles, was sie in Spanien bauen.«
»Ten cuidado, muchacho«, sagte José Luis in gespielt bedrohlichem Tonfall.
»Tais-toil« erwiderte Philippe. Er zwinkerte Nicole zu und lächelte. »Siehst du? Sogar in einer gefährlichen Lage können wir Witze machen und uns gegenseitig beleidigen. Wir sind eine starke Gruppe, Nicole. Uns passiert schon nichts.«
Sie bemühte sich, sein Lächeln zu erwidern, doch ihre Angst stieg mit jedem Herzschlag. Sie quetschte sich zwischen José Luis und Philippe auf den Vordersitz.
»Äh, wo ist denn der Sicherheitsgurt...«, murmelte sie und tastete danach.
»Ist schon okay. Ich bin ein guter Fahrer«, erklärte Philippe mit schiefem Lächeln.
Sie nickte grimmig.
»Wir können nicht ins Haus zurück, um unsere Sachen zu holen«, sagte Philippe. »Hast du deinen Reisepass? Dein Geld und so weiter?«
Sie tastete ihre Taschen ab und nickte. »Ja.« Sie reiste ohnehin mit sehr kleinem Gepäck, aber ihre wenigen Sachen ließ sie ungern zurück. Sie fühlte sich so... nackt ohne Kleidung zum Wechseln. Und kein Shampoo. Keine Zahnbürste.
Pablo beugte sich vor und sagte etwas zu Philippe, der murmelte: »Ah, si«, und sich Nicole zuwandte. »Wir kaufen neue Sachen«, sagte er freundlich. »Sobald wir in Sicherheit sind.«
Drei Stunden später hielten sie vor einer Villa, als dahinter die Sonne aufging. Das Licht tanzte auf den weißen Mauern des niedrigen, weitläufigen Landhauses. Blumen säumten einen gepflasterten Weg zur Haustür.
Der Anblick verschlug Nicole den Atem.
Die Welt ist zu schön, um gefährlich zu sein, dachte sie, obwohl sie tief im Herzen wusste, wie unsinnig das war.
José Luis stieg aus dem Auto, und Nicole wollte ihm folgen, doch Philippe legte ihr eine Hand auf den Arm und hielt sie zurück. »Lass ihn lieber allein gehen. Er muss - wie sagt man das auf Englisch, etwas überprüfen?«
Nicole spähte aus dem Fenster und sah zu, wie ein großer Mann aus der Villa kam und José Luis entgegenging. Die beiden Männer schritten schnurstracks und ein wenig großspurig aufeinander zu. Als sie noch etwa drei Meter trennten, begannen sie einander anzuschreien. Nicole konnte die Worte nicht verstehen, doch sie klangen nicht freundlich.
Die Männer blieben erst stehen, als sich ihre Zehenspitzen beinahe berührten. Sie gestikulierten wild und schienen sich noch hitziger zu streiten. Schließlich warf José Luis den Kopf zurück und lachte. Der andere Mann lachte ebenfalls, und dann umarmten sie einander.
Als José Luis zum Auto zurückkehrte, entspannte ein Lächeln seine scharfen Gesichtszüge. Er bedeutete den anderen, ihm zu folgen, und Nicole stieg aus und schüttelte verwundert den Kopf.
»Was war denn da los?«, fragte sie ihn.
»Nur ein kleines Familientreffen«, entgegnete José Luis mit einem Blitzen in den Augen.
Nicole warf sich das Haar über die Schultern zurück und beschloss, ihm keine weiteren Fragen zu stellen. Jedenfalls nicht darüber, dachte sie. Sie reihte sich neben Philippe ein, und José Luis führte die Gruppe ums Haus herum.
Einen knappen Kilometer hinter der Villa lag eine Hütte, die offenbar ihre Zuflucht darstellte. Als sie das Häuschen erreichten, öffnete José Luis wie selbstverständlich die Tür und ließ alle herein. Die Hütte war klein, aber sauber. An den Wänden standen einfache Betten aufgereiht.
Nicole wurden plötzlich die Augenlider schwer, und die frische weiße Bettwäsche sah kühl und einladend aus.
Ich bin so müde, dachte sie. Ich bin es leid, davonzulaufen. Mir ständig Sorgen zu machen.
Matt setzte sie sich auf einen Stuhl und zog sich die schweren Schuhe aus. Ihre Jeans war staubig. Philippe hatte ihr ein Sweatshirt mit dem Aufdruck UNI DE MADRID gegeben, und auch das war inzwischen schmutzig. Sie hatte ein pelziges Gefühl im Mund - als José Luis zu einem kleinen Schrank ging, eine Flasche Wein herausholte und sie herumgehen ließ, nahm sie dankbar einen Schluck und spülte sich damit den üblen Geschmack aus dem Mund. Dann merkte jemand an, dass es im Bad Seife und Shampoo gab.
»Mujer«, sagte Philippe zu ihr, »möchtest du, wie sagt man, ein Bad nehmen?«
Der Wein war ihr zu Kopf gestiegen. Sie fühlte sich ein wenig benommen, platzte aber begierig heraus: »Es gibt hier eine Badewanne? Wirklich? Bist du ... geht das in Ordnung?«
Er wies zur Decke. »Das Haus ist stark geschützt. Vielleicht ist das für längere Zeit deine einzige Chance auf ein Bad.« Er grinste sie an und fügte hinzu: »Eine schöne Frau wie du braucht ihre sinnlichen Freuden.«
Sie blinzelte. Wärme breitete sich in ihrem Unterleib aus, und sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. Er nahm ihre Hand und führte sie an die Lippen.
Er stellt sich vor, wie ich in der Wanne liege, dachte sie.
Pablo, der sich gerade die Stiefel auszog, schaute zu ihr auf, errötete und wandte rasch den Blick ab.
Er auch.
Nicht zum ersten Mal wurde ihr sehr deutlich bewusst, dass sie jetzt die einzige Frau im Coven war. Die andere Hexe, Alicia, war von Anfang an nicht sonderlich willkommen gewesen, und es hatte den anderen nicht leidgetan, sie gehen zu sehen. Und doch waren diese Männer eigentlich keine Hexer, nicht auf die gleiche brutale, harte Art wie Eli und sein Vater. Sie waren männliche Hexen.
Sie sind eher wie Eddie und Kialish und sein Vater, dachte sie. Das ist etwas ganz anderes. Was Holly und Amanda wohl davon halten würden? Vielleicht ist Jer auch eine männliche Hexe. Vielleicht konnte er sich deshalb als Deveraux nie so richtig einfügen.
Es war seltsam. Sie wusste, dass sie noch vor nicht allzu langer Zeit diese Gelegenheit weidlich genutzt und sich in der Aufmerksamkeit von fünf Männern gesonnt hätte. Sie merkte, dass sie wieder errötete, und warf einen verstohlenen Blick auf Philippe. All das schien ihr so lange her zu sein. Jetzt gab es nur noch einen Mann, dessen Aufmerksamkeit sie sich wirklich wünschte.
Armand, der stille, ernste Mann, kramte in einem Schrank herum und sagte etwas zu José Luis, der Nicole daraufhin mit fragend geneigtem Kopf ansah.
»Armand möchte wissen, ob du katholisch bist.«
»Nein.« Sie sah ihn stirnrunzelnd an und blickte an ihm vorbei zu Armand hinüber. »Seid ihr denn katholisch?«
»Wir sind Spanier.« Er kicherte. »Bueno, Philippe ist Franzose, aber si, wir sind alle katholisch. Armand nennen wir unser >Gewissen<, weil er früher für das Priesteramt studiert hat. Er möchte eine Messe für uns lesen.« José Luis lächelte beruhigend, als sie erstaunt den Mund öffnete. »Eine weiße Messe, keine schwarze.«
»Aber...« Sie zögerte. »Wir beten zur Göttin.«
José Luis zuckte mit den Schultern. »Das ist alles ein und dasselbe, Nicolita. Aber ich denke, es wäre vielleicht besser, wenn du dein Bad nimmst. Wir Gläubigen halten inzwischen unsere Messe ab.«
»Äh... also gut.«
Senor Alonzo hob den Zeigefinger und sagte etwas zu José Luis. Er wirkte etwas verwirrt.
Philippe sagte: »Handtücher«, und die anderen nickten. Er wandte sich an Nicole und erklärte: »Sie haben überlegt, wie das englische Wort lautet.« Er lächelte sie an. »Sie wollten dir sagen, dass im Bad frische Handtücher liegen.«
»Danke. Gracias«, versuchte sie es schüchtern. Alle lächelten sie an.
Verlegen ging sie ins Bad. Sie fand einen Lichtschalter links an der Wand und drückte darauf.
Rechts von ihr stand eine wunderschöne Wanne auf Klauenfüßen, und in einer Nische sah sie eine Toilette und ein Waschbecken. Die Handtücher, dunkelviolett, fand sie in einem Schränkchen über der Toilette, außerdem eine Flasche, die offenbar Shampoo enthielt, und ein dickes, duftendes Stück Seife, in Papier eingewickelt, auf das ein Bild von einer Flamencotänzerin geprägt war.
Nicole sog den köstlichen Duft ein, brachte alles zur Badewanne und drehte die Wasserhähne auf. Die Wanne war gereinigt - wahrscheinlich hielt der Mann, der José Luis auf so seltsame Weise begrüßt hatte, diesen Unterschlupf sauber. Dafür war sie dankbar. Und doppelt dankbar war sie für Philippes fürsorglichen Vorschlag mit dem heißen Bad.
Fürsorglich? Sie belächelte sich selbst. Sei ehrlich, Nicki. Da ist mehr, und ihr spürt es beide.
Auf dem Boden der Wanne lag ein Gummistöpsel. Sie steckte ihn in den Abfluss und ließ das Wasser einlaufen. Während sie wartete, wurde ihr Kopf schwer, und sie dachte: Ich muss aufpassen. Sonst schlafe ich da drin noch ein.
Aus dem anderen Zimmer hörte sie eine Männerstimme einen leicht monotonen Gesang anstimmen. Die anderen wiederholten den Singsang. Dann sang wieder die erste Stimme, und die anderen antworteten.
Sie beten.
Tief in ihrem Innern erkannte uraltes Blut den Rhythmus, die traurigen, sanften Melodien. Ein Teil von ihr kannte diese Worte, diese Klänge - ein Teil ihres Blutes, ihres Geistes und ihrer Seele.
Die Cahors haben früher in einem katholischen Land gelebt. Reicht mein Geist so weit zurück in die Vergangenheit wie Hollys?
Nachdenklich schälte sie sich aus den schmutzigen Kleidern und stieg vorsichtig in die Wanne. Während sie ihren erschöpften Körper in das warme Wasser hinabsinken ließ, stöhnte sie leise, als sich schmerzende Muskeln entspannten. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt richtig entspannt hatte.
Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und lauschte dem Choral. Ihre Gedanken begannen zu treiben... Sie dachte an glücklichere Zeiten, als Mom noch gelebt hatte und sie beide gerade die Magie für sich entdeckt hatten. Sie hatten damit begonnen, jeden Abend die Familie zu segnen, und Nicole hatte gehofft, dass ihre Mutter die Affäre mit Michael beenden würde; dass sie, Nicole, einen Funken zwischen ihren Eltern erwecken könnte, damit sie einander wieder liebten.
Und dass ich Eli zu einem besseren Menschen machen könnte...
Ich habe ihn geliebt.
Tränen rannen ihr übers Gesicht, als sie endlich ihre Anspannung losließ und sich erlaubte, ihre Trauer richtig zu fühlen. Ihre Mutter war tot.
Ich vermisse Amanda. Und Holly. Und meine Katze. Ach, wie sehr ich Hecate vermisse.
Und dann trieb sie dahin... trieb und schaukelte ... auf dem Wasser... einen Fluss entlang. Sie war die Herrin der Insel, und sie durfte es nicht wagen, den dort Gefangenen anzusehen. Wenn sie ihn betrachtete, würde sie den Verstand verlieren, weil er so abscheulich war...
»Nicki...«, hörte sie eine Stimme. »Nicki, wo bist du? Mein Vater schickt den Bussard nach dir aus. Lass mich dich vorher finden.«
»Eli?«, nuschelte sie. Ihre Glieder waren so schwer, und ihr Kopf wog eine Tonne. Ihr war bewusst, dass sie tiefer ins Wasser glitt, in den wunderschönen Fluss, der an der Insel vorüberzog... auf der... Jer ...
»Nicki?«
Sie versank ganz langsam, wie Ophelia mit Lilien und Stechpalmenzweigen im Haar. Noch tiefer hinab, bis das Wasser ihr Kinn liebkoste. Und noch weiterstieg, an ihre Unterlippe ...
Sie trieb vor sich hin, während irgendwo Männer heilige Worte sangen und Eli flüsternd zu ihr sprach...
Und das Wasser stieg über ihre Oberlippe. Durch die geschlossenen Augenlider wurde sie auf magische Weise einer Person gewahr, die neben der Badewanne stand und in einer Sprache, die sie nicht beherrschte, mit ihr sprach. Doch wie das bei Träumen und Zaubern oft ist, verstand sie: »Wach auf, Nicole. Wach auf, sonst stirbst du.«
Doch Nicole konnte sich nicht rühren. Eine seltsame Mattigkeit war über sie gekommen. Sie ließ sich tiefer ins Wasser rutschen... Es war so warm, so einladend ... und sie war so furchtbar müde ...
Des Lebens müde...
Die sanfte Frauenstimme sagte ängstlich in derselben melodiösen, fremden Sprache - das ist altes Französisch, erkannte Nicole - »Der Fluch ist Wasser...«