9
»Dieser Ort«, sagte Dane halb zu den anderen gerichtet, »ist unglaublich.«
»Glaubwürdigkeit ist kein Begriff, den man auf irgendwelche tatsächlichen Ereignisse anwenden kann, sondern nur auf spekulative«, rasselte Aratak ihm zu. Sie standen in der Waffenkammer im düsteren rötlichen Vormittagslicht; der Rote Mond schien jetzt ein gutes Viertel des Himmels zu verdunkeln. »Wenn ein Ereignis tatsächlich eingetreten ist, so ist es durch sein Eintreten allein schon glaubwürdig.«
Dane kicherte. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, wie genau seine Frage durch die Translatorscheibe bei Aratak angekommen war. Er sagte: »Ich glaube, es wäre schwer, dir vorzuschlagen, man solle versuchen, vor dem Frühstück an sechs unmögliche Dinge auf einmal zu glauben?«
»Selbstverständlich ist es das Wesen einer unmöglichen Sache, daß sie sich nicht zum Glauben eignet«, begann Aratak. Dann brach er in ein rasselndes Gelächter aus. »Welches Ereignis hat deine Gläubigkeit denn jetzt auf die Probe gestellt, Marsh?«
Dane deutete auf den Rücken des Dienerroboters, der zur Tür der Waffenkammer hinrollte, und zeigte, was er in den Händen hielt. »Vor ein paar Minuten«, sagte er, »kam mir der Gedanke, ich müßte die geeigneten Dinge haben, um die Schneide des Schwertes zu pflegen. Ich sagte Diener, daß ich nicht annähme, er habe genau die Dinge, die ich benötigte, aber daß ich dankbar wäre, wenn er etwas ungefähr Vergleichbares finden würde. Kurzum, ich wollte etwas fein zerstoßenen Kalkstein – nur ein paar Unzen –, einen weichen Lappen, einen locker gewebten Lappen, einen kurzen Stock und ein Stück Seil haben. Ich erwartete, er käme mit irgendwelchem merkwürdigen Notbehelf an, aber er rollte einfach davon und kehrte mit genau diesen Dingen zurück. Mit allem, Stück für Stück.« Dane schüttelte den Kopf. »Man sollte meinen, er würde solche Wünsche jeden Tag oder zumindest jeden zweiten hören.«
»Vielleicht tut er das«, sagte Cliff. »Es kann nicht mehr als ein paar Methoden geben, etwas zu pflegen, was im großen und ganzen lediglich aus einem Stück Stahl besteht, das zufällig eine Schneidkante hat. Das Hirn der Barbaren sucht selten eigene Wege und ist nicht besonders erfinderisch.«
Dane beachtete den Mekhar nicht. Darin bekam er immer mehr Übung. Er setzte sich mit gekreuzten Beinen nieder und begann einen der Lappen zu etwas zusammenzuwickeln, was wie eine Puderquaste auf einer Stockspitze aussah. Cliff schaute ihm einen Augenblick zu, dann ging er davon und begann, seinen Schattentanz vor einem schmalen Spiegelstreifen zu üben. (Als er nach dem Sinn gefragt worden war, erzählte er ihnen, es habe einen legendären Mekhar-Kämpfer gegeben, der so beweglich geworden war, daß er sein Spiegelbild erdrosseln konnte, noch ehe es den Arm heben konnte.)
»Wenn du fertig bist«, sagte Aratak, »wäre ich dir dankbar, wenn du mir ein bißchen von deinen Fähigkeiten im unbewaffneten Zweikampf zeigen würdest. Nachdem, was du mir erzählt hast, bist du ein Experte auf dem Gebiet.«
»Weit davon entfernt«, sagte Dane. »Ich habe nie den Schwarzen Gürtel beim Karate erreicht – was bedeutet, daß ich ein gutes Stück von einem Experten entfernt bin. Aber ich kann dir einige der Grundlagen zeigen. Wir werden keine Zeit für allzu viel haben, aber ich kann einen Anfang machen.« Schon ein paar Karate-Grundlagen, dachte er, werden unseren schuppigen Freund hier zu einem Furcht erregenden Gegner machen.
»Rianna hat mir etwas beigebracht«, sagte Aratak. »Ich glaube, daß Frauen auf ihrer Welt, um gegen mögliche Diebe und Vergewaltiger gewappnet zu sein, routinemäßig etwas lernen, das sie bei einem Namen nennt, der soviel bedeutet wie ›Die Kunst einen Angreifer dazu zu bringen, sich selbst zu schlagen‹. Nach dem, was sie mir gezeigt hat, ist es sehr nützlich und basiert auf einer Philosophie, die ich höchst moralisch finde: daß die Kraft eines gewalttätigen Angreifers gegen ihn selbst gewendet wird.« Er fuhr fort, die wesentlichen Züge des Judo in seiner eigenen unnachahmlichen Art zu erklären, während Dane dachte: Natürlich ist es eine normale Entdeckung. Aber es ist ein verdammtes Glück, daß Rianna dieses Training hat. Ich würde zum Himmel flehen, daß Dallith es könnte.
Durch diesen Gedanken beunruhigt, beendete er die Pflege seines Schwertes, hängte es an seinen Platz an der Wand zurück und ging Dallith zu suchen. Er fand sie damit beschäftigt, lustlos eine Sammlung unbegreiflicher und sicherlich nicht menschlicher Waffen zu betrachten. Sie nahm keine Notiz von ihm, und Dane fühlte wieder die Mischung aus Ärger und unerklärlichen Schuldgefühlen.
Irgend etwas war falsch. Etwas war von Grund auf falsch zwischen ihnen …
»Dallith«, sagte er, »hast du deine Waffe gewählt? Du mußt etwas haben, um dich zu beschützen …«
Sie drehte sich fast wütend zu ihm um und sagte: »Glaubst du, ich erwarte, daß du mich beschützt?«
Ich wünschte nur, ich könnte glauben, daß ich dazu in der Lage bin, dachte Dane, und Angst stieg in ihm hoch. Er sagte düster: »Ob du es nun erwartest oder nicht, Dallith, ich werde es tun, so gut ich kann. Aber ich bin nicht sicher. Nach allem, was ich weiß, werden sie kommen und uns, einen nach dem anderen, holen, und jeder von uns wird den Jägern allein gegenüberstehen.« Bis zu diesem Augenblick war ihm nicht klar gewesen, wie sehr die Analogie des Stierkampfes seine Gedanken beherrschte – das Bild der Arena, die Vorstellung von schreienden Zuschauern, die die Kämpfenden anfeuerten, gesichtslose Kreaturen, deren evolutionäre Abstammung er nicht einmal erraten konnte …
Als ob das Bild in seinen Gedanken sie erreicht hätte, wurde Dallith blaß. »Werden wir wirklich allein hinausgehen?«
»Ich weiß es nicht. Ich flehe zu Gott, daß wir zusammenbleiben können«, sagte er. Ich könnte aus uns vieren – nein, aus uns fünfen – eine einigermaßen schlagkräftige Kampfeinheit machen. »Wir müssen das Beste hoffen, aber auch auf das Schlimmste vorbereitet sein.«
Diese Narren, Dallith als Jagdwild auszuwählen, nur weil sie in wilder Panik wie ein Tiger kämpfte … aber wenn sie allein kämpfen mußte, würden sie sie in Stücke reißen. Schmerzerfüllt schaute er den zerbrechlichen, mädchenhaften Körper an, die blassen Wangen, die schmalen Gelenke, den Nacken, so zart, daß ihr ebenmäßiger Kopf wie eine Blume auf einem dünnen Stengel aussah. Wie konnte er sie beschützen? Sie sieht aus wie eine der Christinnen, die den Löwen vorgeworfen wurden, dachte er, doch dann schob er diese Gedanken streng beiseite – das konnte ihre Hilflosigkeit nur verstärken.
»Über die meisten dieser Waffen weiß ich nur sehr wenig«, sagte sie mit einer müden Geste zu den ausgestellten Stücken an der Wand, den Schwertern und Schildern, Messern und Speeren. »Meine Leute kämpfen nicht miteinander, außer hier und da bei sportlichen Wettkämpfen oder Kraftproben. Aber sogar dann sind wir … vorsichtig. Weißt du, derjenige, der einen anderen getötet hat – oder auch nur eine Verletzung in einer Kraftprobe verursacht hat –, würde die Erfahrung des Todes oder des Schmerzes mit seinem Opfer teilen …«
Die Gabe – oder der Fluch – des Einfühlens mußte natürlich verschiedene Nebeneffekte haben, und das war sicher der wichtigste. Sie hatte eine furchtsame Kultur geschaffen, zumindest was das Verursachen selbst der geringsten Schmerzen oder Leiden betraf, da der Schmerz eines jeden anderen ebenso wichtig und greifbar wie der eigene wurde …
Sie nahm eine Schleuder von der Wand und drehte sie leicht um ihren Kopf. »Ich dachte«, sagte sie zögernd, »daß ich die hier benutzen könnte. Mein Volk wendet sie manchmal an, um Schädlinge aus den Feldern und Blumengärten zu vertreiben. Manchmal schießen wir damit auch in Wettkämpfen um Preise auf bestimmte Ziele. Es ist nicht wichtig, jetzt, da meine Welt weit weg ist …« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Dane legte seine Arme um sie und sagte leise: »Was ist los, Dallith?«
Die Schleuder hing locker in ihrer Hand. Sie sagte: »Es ist nur gerecht; ich nehme an, es ist mein Schicksal … wegen einer Waffe wie dieser bin ich hier.«
Er sah sie mit fragender Verwunderung an.
Dallith sagte mit erstickter Stimme: »Ich galt als guter Schütze; zweimal hatte ich in Wettkämpfen einen seidenen Schal gewonnen. Ich war stolz auf meine Geschicklichkeit und wollte meinen … meinen Namen nicht verlieren. Einige Tage vorher übte ich mit meiner Schleuder in einem abgelegenen Teil des Gartens und war so in meine Übung vertieft, daß ich nicht merkte, wie jemand näher gekommen war. Dann hörte ich einen Schrei und fühlte … oh, solch ein Schmerz … Ich sah meine beste Freundin bewußtlos am Boden liegen.« Sie zitterte und weinte. »Ich wußte … ich wußte, daß die Schleuder töten konnte; ich war nicht vorsichtig genug gewesen. Nein, sie starb nicht, aber sie erlitt einen Schock und eine Gehirnerschütterung und war tagelang bewußtlos, und wir dachten alle, sie würde sterben. Ich liebte sie. Ich hätte mich lieber selbst getötet als sie. Sie war meines eigenen Vaters Tochter … und darum wurde ich, als sie außer Gefahr war, dazu verurteilt, für ein Jahr ins Exil zu gehen, weit weg von allen Plätzen, wo Menschen lebten.«
»Mir scheint«, sagte Dane, indem er sie liebevoll an sich drückte, »daß du schon genug bestraft worden bist.«
»Man kann nie genug bestraft werden für einen derartigen Fehltritt«, sagte Dallith zurechtweisend. »Aber da sie nicht starb und für mich sprach – sie sagte, sie sei ebenfalls unvorsichtig gewesen, da sie nicht bemerkte, daß ich mir ihrer Anwesenheit nicht bewußt war –, wurde ich nur für die Dauer einer Jahreszeit und nicht ein volles Jahr verbannt. Und während ich mich alleine am Ort meines Exils befand … kam das Sklavenschiff der Mekhar und nahm mich mit. Den Rest kennst du.«
Entschlossen trocknete sie ihre Tränen. »Und darum scheint mir«, sagte sie, »wenn eine Schleuder fast meine liebe Freundin und Schwester töten konnte, sie auch gegen die Jäger nützlich sein sollte. Da ich mich entschlossen habe zu leben, ergibt es keinen Sinn, wenn ich mich jetzt von ihnen umbringen lasse.«
»Es müßte gehen«, sagte Dane nachdenklich. War nicht die Attraktion in der römischen Arena der Anblick eines Schleuderwerfers von den Balearischen Inseln gewesen, der einem Mann mit Netz und Dreizack gegenüberstand? Natürlich hatten sich die Römer, die die Gladiatorenkämpfe ausrichteten, nicht immer Mühe gegeben, besonders gerecht zu sein – die Hauptsache schien das Blutvergießen zu sein – aber die meisten von ihnen wollten auch keine Massaker. Es waren Leute, denen es mehr Spaß machte, einen Kampf zu sehen, in dem die Teilnehmer einigermaßen zusammenpaßten, wenn auch nur, damit das Spiel länger dauerte und man mehr Blut fließen sehen konnte. Und dann gab es noch die Geschichte von David und Goliath. »Aber wie genau kann man mit einer Schleuder schießen? Ich bin nicht sehr vertraut damit.«
Dallith hob die Schleuder auf und paßte eine kleine, runde Kugel ein. Sie sah aus wie ein gewöhnlicher Kieselstein. »Schau her«, sagte sie und zeigte auf eine kleine, blasse Markierung an der Wand der Waffenkammer, ein vorspringendes Stück Mauerwerk. Es war nur acht oder zehn Quadratzentimeter groß und ungefähr hundertzwanzig Meter entfernt. Sie wirbelte die Schleuder um ihren Kopf und ließ sie los; fast gleichzeitig traf etwas die helle Markierung mit einem Laut wie ein Gewehrschuß, und das vorstehende Stück Stein brach ab und bröckelte zu Boden.
»Wenn das der Kopf eines Mekhar gewesen wäre«, meinte Dallith, »hätte er, glaube ich, nicht mehr viel herumzuschnurren gehabt.«
Dane wußte, daß sie recht hatte. Sie konnte sich besser verteidigen, als er es für möglich gehalten hätte. Natürlich wußten sie nicht, wie die Jäger aussahen; wenn es große, stumpfsinnige Kreaturen wie manche Saurier waren, würde ihr Kügelchen nicht viel nützen, aber das war nur einer der Zufälle, mit denen sie alle rechnen mußten, und Dallith wußte das wahrscheinlich genauso gut wie er.
»Trotzdem«, sagte er grimmig, »glaube ich, daß du etwas über die Anwendung eines Messers lernen solltest. Für den Fall … nun, für den Fall, daß du etwas für den Nahkampf benötigst.«
Eine Grimasse der Abwehr glitt über ihr Gesicht, aber sie sagte düster: »Ich vermute, du hast recht. Rianna hat sich entschlossen, Messer zu benutzen, und vielleicht passen solche Techniken besser zu einer Frau.«
»Wahrscheinlich. Und sie hat ernsthaft trainiert«, sagte Dane. In jedem Fall würde es Riannas Technik verbessern, wenn sie Dallith unterrichtete, und er würde ein verdammt sorgsames Auge auf beide haben.
Wenn sie nur zusammenbleiben konnten …
Er verbrachte den größten Teil dieses Tages damit, zu beobachten, wie Rianna Dallith die Art der Ausbildung demonstrierte, die sie im Nahkampf mit dem Messer genossen hatte; (Dallith war ein bißchen erschrocken bei dem Gedanken an einen Vergewaltiger, und Dane überlegte, daß dies für eine Frau auf einer Welt von Empathen kein Problem war.)
Er erinnerte sich daran, was Aratak über Riannas Fertigkeit im unbewaffneten Kampf gesagt hatte. Dane hatte sich nie recht dafür interessiert, obwohl er einiges darüber wußte, wie die meisten Leute, die Karate ausübten, und er fragte sich, wie gut sie darin war. Aber als er sie danach fragte, zeigte sie ihm ihr hinterhältiges Grinsen und sagte: »Versuch es, wenn du willst.«
Er hob einen der Kendostäbe auf – er hatte Diener gebeten, ihm einen von ungefähr dem gleichen Gewicht wie das Samuraischwert zu bringen, und Diener hatte ihn so sehr beim Wort genommen, daß wahrscheinlich weniger als eine Unze Gewichtsunterschied zwischen dem Stab und dem Schwert bestand – und sagte: »Jeder, der dich angreift, wird mit Sicherheit bewaffnet sein, Rianna. Du glaubst doch nicht, daß du es mit mir aufnehmen kannst, wenn ich ein Schwert habe, oder?«
»Wahrscheinlich nicht«, entgegnete sie. »Dein großes Rasiermesser da könnte mir die Hand abhauen, noch ehe ich mein Messer herausgezogen hätte. Aber mit einem Stab werde ich sicherlich fertig. Oder mit einer Keule. Oder einem kurzen Messer. Komm her. Versuch es.«
Er sagte: »Ich möchte dir nicht weh tun. Aber du hast darum gebeten.« Nimm ihr jetzt ein bißchen von ihrer Selbstgefälligkeit und erspare ihr späteren schlimmeren Ärger, dachte er und war überrascht über seine eigene Empfindlichkeit. Er hob den Stab – er war aus einem leichten Holz gemacht, nicht unähnlich dem Bambus – und griff sie an.
Er fand nie genau heraus, was passierte, aber er wurde abrupt zurückgestoßen. Der Stab wurde fest genug in seinen Magen gerammt, um alle Luft aus ihm herauszupressen. Er erholte sich sofort, zog den Stock mit einem Ruck frei – und fand sich schon wieder dabei, ihn Riannas Händen zu entwinden. Ihr Fuß traf seinen Knöchel, und er ging fast zu Boden.
Sie trat schnell einen Schritt zurück und sagte: »Ich will dir nicht weh tun, Dane. Aber wie du sehen kannst, bin ich nicht wirklich besorgt, außer sie greifen mich mit etwas Ähnlichem wie deiner Rasiermesserschneide an.«
Dane schüttelte reumütig den Kopf; aber durch das Experiment hatte er in einer kurzen Unterrichtsstunde eine Menge gelernt. Dennoch konnte er sich nicht darauf verlassen, daß die Jäger eine bekannte Waffe oder Technik anwendeten. Es war buchstäblich notwendig, auf alles vorbereitet zu sein. Nach einigem Nachdenken fügte er seinem Schwert ein kurzes gebogenes Messer hinzu. Es war dem Dolch nicht sehr ähnlich, den ein Samurai als normale Begleitausrüstung zu seinem Schwert mit sich tragen würde – er fragte sich flüchtig, was mit dem Messer und der übrigen Ausrüstung des Samurai geschehen war –, aber im Nahkampf würde es sehr nützlich sein.
Als Dane an diesem Abend das Schwert putzte, bevor er es weglegte – er betupfte es entlang der ganzen Schneide leicht mit seiner Puderquaste mit Kalksteinstaub und rieb es vorsichtig mit dem Lappen ab –, betrachtete er die Blutflecken am gebogenen Ende der Klinge und überlegte. War es auf der Erde dazu gekommen? Oder hier …? Und das Blut welcher seltsamen Kreatur hatte dann wohl den Stahl verfärbt?
Während der nächsten paar Tage konzentrierte Dane sich darauf, alte Geschicklichkeiten und Reflexe zurückzugewinnen, und verbrachte einige Zeit damit, darüber nachzudenken, wie er sie zu einer homogenen Gruppe zusammenschweißen könnte. Natürlich war es nicht sehr sinnvoll, sich darauf zu konzentrieren, solange er nicht sicher wußte, ob man ihnen erlauben würde, zusammen hinauszugehen. Jeder von ihnen mußte zuerst die optimale Grundlage zum individuellen Überleben erreichen.
Die Aufgabe, Dallith im Nahkampf zu unterrichten, war alles andere als einfach. Sie hatte furchtbare Angst davor, einem von ihnen weh zu tun und zog sich einen Sekundenbruchteil, bevor sie einen Stoß machte, zurück, sogar mit dem zerbrechlichen Bambusstock, den sie gesucht hatten, um ihr das Kämpfen mit dem Messer beizubringen. Aber als er sich daran erinnerte, wie sie plötzlich wild geworden war, als sie dem Mekhar gegenübergestanden hatte, nahm er an, sie würde wieder genauso wie damals reagieren, wenn jemand sie mit Mordgedanken angreifen würde – indem sie die Mordlust des Angreifers übernahm. Und so konzentrierte er sich darauf, ihr die Grundlagen des Angriffs einzutrichtern.
Ich kann ihr nicht die verwundbaren Punkte zeigen. Wir wissen nicht, welche verwundbaren Punkte die Jäger haben – oder ob sie überhaupt welche haben!
Während all dieser Zeit berührte es ihn seltsam, daß sie niemals nahe genug an andere Gruppen des ›Heiligen Wildes‹ herankamen, um mit ihnen üben zu können. Ob es nun ein ungeschriebenes Gesetz der Jäger war, das dies verhinderte, oder purer Zufall, darüber war Dane sich nicht im klaren. Er vermutete jedoch, daß die Jäger jeden solchen Zusammenschluß von Überlebensfähigkeiten entmutigten, und das weckte in ihm die Hoffnung, daß ihre Fünfergruppe zusammen hinausgeschickt würde, da man sie nicht getrennt und gezwungen hatte, einzeln auf die Jagd zu warten.
Manchmal hatte er den Verdacht, daß Diener – oder die Gesamtheit des Robotermechanismus, der unter diesem Namen lief – sie aus der Ferne beobachteten, daß sie zu neugierig auf andere Gefangene waren. Nach fünf oder sechs Tagen dieser unauffälligen Überwachung stellte er fest, daß er nicht einmal eine Ahnung hatte, wie viele andere Gefangene in dem riesigen Parkkomplex weilten. Er konnte nur schätzen, wie er es am ersten Tag getan hatte, indem er die anderen aus der Ferne beobachtete oder aufgrund von kurzen, unterbrochenen Begegnungen in der Waffenkammer oder den Bädern Rückschlüsse anstellte. Er kam zu dem Ergebnis, daß es zwischen einem Dutzend und dreißig menschliche Wesen sein mochten und ungefähr genauso viele zusammengewürfelte Fremde anderer biologischer Gattungen.
Es war ein paar Tage später in der Waffenkammer, als er wieder zwei Protofelinen bemerkte, die dem Mekhar sehr ähnelten (zumindest aus der Ferne und für Dane), die wieder mit einem Paar kendostabähnlichen Stöcken übten. Er fragte Cliff nach ihnen.
»Sind das die beiden, die du gewöhnliche Kriminelle genannt hast? Du sagtest doch, es sei unter der Würde deiner Art, Waffen zu benutzen. Machen diese beiden davon Gebrauch, weil sie deine Grundsätze nicht teilen?«
Cliff schaute neugierig zu ihnen hinüber. »Das sind nicht dieselben«, sagte er. »Ich glaube, ich werde hingehen und nachsehen. Wenn Mitglieder meiner eigenen Sippe hier sein sollten …«
Er sprang in seinen merkwürdig großen Schritten davon, kam aber kurze Zeit später zurück und sah erstaunt aus. Auf Danes Frage hin antwortete er: »Ich habe sie weder getroffen noch mit ihnen gesprochen.« Er schaute rasch zum anderen Ende der Waffenkammer, mit einer dieser Bewegungen, die Dane an einen gefangenen Tiger erinnerten, und sagte ärgerlich: »Dieser Raum macht mich verrückt. Spiegel, Reflexionen und Leute, die verschwinden und durch Wände gehen, wenn man versucht, sich ihnen zu nähern!« Er stolzierte davon und vermittelte Dane den Eindruck, daß er, wenn er einen Schwanz hätte (er hatte keinen), ihn ärgerlich von einer Seite zur anderen peitschen würde.
Nicht viel später jedoch kam er zu Dane und trug einen der Kendostäbe. Er sagte: »Ich habe bemerkt, daß du sie nicht ernsthaft als Waffen benutzt. Aber für die Fußarbeit und die Geschmeidigkeit scheinen sie eine sinnvolle Übungshilfe zu sein.« Mehr sagte er nicht, und Dane, der plötzlich und ziemlich unerwartet eine seltsame Art der Zuneigung für die Fremdheit des Mekhar empfand, sagte: »Willst du versuchen, mit ihnen zu arbeiten?«
»Es scheint eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme zu sein«, entgegnete Cliff steif, »mich emotional an den Gedanken zu gewöhnen, daß ich einem Gegner gegenüberstehen werde, der von anderer biologischer Abstammung ist als ich. Darum wärest du sicher die geeignetste Person als Gegner, um mich selbst zu testen.«
»Verdammt richtig«, stimmte Dane zu. »Für mich gilt das gleiche.« Nach allem, was er wußte, war es möglich, daß er bald einem Wesen gegenüberstand, gegen das sich zu schützen es schwerer sein würde als gegen Cliff mit seinen künstlichen Stahlspitzen auf den Klauen! Es war ein wichtiger Teil der Aufgabe, sich selbst psychologisch zu wappnen, sich selbst zum Töten zu bringen.
Dane fand die Beinarbeit Cliffs erschreckend schnell, aber dadurch kamen seine alten Karatereflexe bald wieder zurück. Es machte ihm auch klar, daß Aratak – oder ein anderer von seiner protosaurischen Spezies – ein Furcht erregender Gegner sein würde, und an diesem Abend überredete er zusammen mit Cliff den riesigen Saurier, abwechselnd mit ihnen beiden zu trainieren. Am Ende dieser Übungen hatte Dane Schrammen und Kratzer, die lange in den heißen vulkanischen Becken eingeweicht werden mußten – er nahm sogar Arataks Angebot an, einen Breiumschlag aus heißem, nach Schwefel riechendem Schlamm zu machen, und entdeckte, daß die Masse trotz ihres Gestanks bemerkenswerte Heilqualitäten hatte –, aber er fühlte sich wesentlich besser auf das Treffen mit den unsichtbaren Gegnern vorbereitet.
Sie regten dann eine ganze Serie von Übungskämpfen an. Rianna begrüßte die Gelegenheit, ihre Fähigkeiten im unbewaffneten Zweikampf gegen den Mekhar auszuprobieren, und der folgende Kampf erinnerte Dane an nichts so sehr wie an eine alte Abenteuerserie auf der Erde, in der die Furcht erregende Emma Peel mit einer Vielzahl von Gegnern, von Tigerkatzen bis zu Robotern, gekämpft hatte. Als beide eine Verschnaufpause brauchten, entschuldigte sich Cliff bei Rianna (die er mit Verwunderung und Respekt ansah) für die blutigen Kratzer an ihrem Arm. »Ich habe mich vergessen«, sagte er, indem er die Klauen mit den scharfen Stahlspitzen dehnte. »Aber ich glaube, du hast mir den Fuß verrenkt – wir sind also quitt.«
Rianna und Aratak zuzusehen, war ebenfalls eine Art Offenbarung. Obwohl der riesige Protosaurier allein durch sein Gewicht und seine Größe im Vorteil war und gelegentlich demonstrierte, daß er Rianna ein Bein stellen und sich auf sie setzen konnte, wenn alles andere versagte, war sie doch keineswegs hilflos.
Dallith war nicht zu überreden teilzunehmen, und schließlich, als er sich daran erinnerte, wie instinktiv Gewalttätigkeiten in ihr durchgebrochen waren, wurde ihm klar, daß es das war, was sie fürchtete; dies oder einen von denen zu verletzen, die sie jetzt für ihre Freunde und Verbündete hielt.
Schließlich nahm Dane Arataks Rat an, sie in Ruhe zu lassen. »Sie weiß am besten, was für sie gut ist«, sagte er. Dane befürchtete, daß es aufs neue ein Rückzug in den Wunsch zu sterben sei; aber wenn es so war, so konnte er nichts daran ändern.