7

 

Draußen war die Welt der Jäger kalt; der riesige, rote Mond, der einen großen Teil des Himmels bedeckt, warf ein feuriges Licht herab, das Wärme zu suggerieren schien, aber Dane war froh über die wollene Beschaffenheit der Tunika, und Cliff zitterte, noch ehe sie hundert Meter vom Gebäude entfernt waren. Katzen lieben Wärme, dachte Dane; ursprünglich waren sie alle Dschungeltiere gewesen. In dem Mekhar-Schiff war es dampfend heiß gewesen.

Der Pfad führte zwischen grünen Rasenflächen und Gärten hindurch; es war anscheinend ein riesiges Park-, Garten- oder Waldreservat. Noch bevor sie weit gegangen waren, kamen sie an einem großen Becken vorbei, dessen Inhalt wie gelber Schlamm aussah und das weithin nach Schwefel stank; kleine Blasen und Strudel auf der Oberfläche verrieten Vulkantätigkeit am Grund, und kleine, übelriechende Dampfschwaden wurden in Stößen herübergeweht. Die lange Schnauze eines Reptils ragte aus dem Schlamm, darüber waren zwei merkwürdig bekannte Augen zu sehen; dann schob sich die Kreatur hoch, und Dane erkannte Aratak.

»Sehr angenehm«, rasselte er, »wollt ihr euch mir anschließen?« Dane machte die Geste des Nasezuhaltens. »Wenn das deine Vorstellung von einem angenehmen Bad ist, alter Junge, wünsche ich dir viel Spaß damit, aber ich werde mir etwas suchen, das ein bißchen besser riecht.«

»Folgt eurem eigenen Geschmack, natürlich«, sagte Aratak, indem er sich genüßlich wieder bis zum Hals in den stinkenden, gelben Schlamm zurückgleiten ließ. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser köstliche Duft euch mißfällt. Nun, ich erfreue mich mit euch der Vielfalt der Schöpfung.«

Dane sah Cliff an: »Hab keine Hemmungen, dich ihm anzuschließen, wenn dir danach ist!«

Der Mekhar verzog sein Gesicht mit deutlichem Ekel, und sie gingen weiter. Sie kamen an einer sprudelnden Quelle vorüber, deren Wasser so eisig war, daß Dane fröstelte, als er nur vorsichtig einen Zeh hineinstreckte, und gelangten dann zu einem Platz, wo eine natürliche heiße Quelle so umgeleitet worden war, daß das Wasser in ein großes Badebecken floß, das von einer Vielzahl kleiner, steingefaßter runder Becken und Wannen umgeben war. In einer davon lag die nackte Rianna. Ihr rotes Haar war vom Dampf gekräuselt und umgab ihren Körper in sanften Wellen. Sie hob eine Hand zum Gruß und schien kaum verlegen zu sein.

Sie ist wirklich schön. Ich hatte es nicht bemerkt; ich habe nie darüber nachgedacht. Aber sie ist eine wunderschöne Frau.

Im mittleren heißen Becken badeten oder schwammen eine Vielzahl Frauen und Männer; sieben oder acht, die ebenso menschlich aussahen wie er selbst, und fünf oder sechs andere von verschiedenen fremdartigen Spezies. Dane hatte sich auf dem Mekhar-Sklavenschiff daran gewöhnt und starrte nicht länger mit verwunderten Glotzaugen auf ihre Fremdheit.

Oh ja, ganz der blasierte, aufgeklärte galaktische Reisende sagte er säuerlich zu sich selbst. Nur ein weiterer Spinnenmann, eine weitere Protokanine oder protofeline Spezies ich frage mich, wie zum Teufel die Jäger aussehen!

Auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens erkannte er zwei Wesen dicht beieinander, die ihn stark an den Mekhar an seiner Seite erinnerten. Cliff sah sie fast im selben Augenblick, und seine Klauen fuhren aufgeregt ein und aus.

»Ich muß hingehen und sehen, ob es Leute von meiner Welt sind«, sagte er und entfernte sich um das Becken herum in seinem schnellen, springenden Gang.

Dane war nicht traurig, ihn gehen zu sehen. Die dichte Nähe des Mekhar war verwirrend gewesen Versprechen hin, Versprechen her. Das heiße Wasser sah gut aus, und da die Luft zu kalt zum Herumwandern war, entschloß er sich, ebenfalls in dieses Becken zu gehen.

Er zögerte einen Augenblick, bevor er seine Kleidung abwarf, aber offensichtlich gab es hier keine Sittentabus. Wenn du in Rom bist, mach es wie die Römer, sagte er sich, streifte seine warme Tunika ab und ließ sie auf den Steinrand fallen. Er tauchte einen Fuß ein und stellte fest, daß das Wasser so angenehm war wie in einem geheizten Schwimmbad zu Hause. Es wurde zur Mitte hin zum Schwimmen tiefer, obwohl es an den Rändern nicht mehr als knöcheltief war. Er ging bis zur Mitte, schwamm eine Weile herum und genoß die Wärme nach der kalten Luft.

Das warme Wasser linderte die Verkrampfung der Muskeln, die durch die lange Untätigkeit schmerzten und steif waren. Ich bin nicht in Form, dachte er. Ich hoffe, ich bekomme eine Chance, mich vor der Jagd aufzumöbeln!

Er drehte sich auf den Rücken und ließ sich gleiten, als neben ihm jemand seinen Namen nannte.

»Dane?«

Er wandte sich um und sah Dallith, die neben ihm dahinglitt.

»Ich dachte, du würdest dich in einer heißen Wanne räkeln wie Rianna.«

»Das habe ich auch eine Zeit lang gemacht«, sagte sie. »Das Wasser in den kleinen Becken ist viel wärmer als dieses hier und sehr …« sie suchte nach einem Wort »… sehr behaglich. Dann fühlte ich dich kommen und schwamm hierher, um mit dir zu reden.«

Sie schwammen eine Weile Seite an Seite nebeneinander her, und Dane schaute zu dem riesigen roten Mond am Himmel auf.

»Es einen Mond zu nennen, ist nicht ganz richtig«, sagte Dallith. »Es muß ein anderer Planet sein, und zwar fast ein Zwilling von diesem hier.«

»Er sieht größer aus als die Sonne dieses Planeten«, bestätigte Dane. Die Sonne war ein verschwommener, gelblich-orangefarbener Ball von der scheinbaren Größe eines Tellers; der Mond dagegen bedeckte fast ein Sechstel des sichtbaren Himmels. »Hier muß der Mann im Mond ein Riese sein«, scherzte Dane, während er die seltsamen Markierungen auf der vollen roten Scheibe betrachtete.

Dallith sagte düster: »Wir werden bald die Männer und Frauen im Mond sein.«

»Was willst du damit sagen, Dallith?«

»Es gibt hier zwei Männer von einer Welt des Bundes«, sagte sie. »Sie kennen meine Welt und wissen von meinem Volk, obwohl sie nie da gewesen sind. Sie waren natürlich sehr überrascht, einen von meiner Rasse entfernt von unserer Heimatwelt zu sehen wenn wir reisen müssen, tun wir es in Gruppen, weil wir, wie du ja weißt, nicht allein sein können. Sie stellten mir viele Fragen und erzählten mir dafür, was sie von der Jagd wissen.« Sie deutete mit einer Hand zu der großen, roten Scheibe über ihnen. »Die Jagd findet auf dem Mond statt.«

Sie erzählte weiter. Der Planet der Jäger und der Rote Mond umkreisten einander auf einer festen Bahn, so daß es regelmäßig zu einer Sonnenfinsternis und fast ebenso oft zu einer Mondfinsternis auf der Welt der Jäger kam. Während der nächsten Sonnenfinsternis vom Mond aus gesehen würde das Jagdwild auf den Mond gebracht werden und dort, wenn das Licht zurückkam, gejagt werden. Die einzige Aufgabe des Wildes war es, bis zum Einbruch der nächsten Finsternis zu überleben. Zu diesem Zeitpunkt würde die Jagd enden. Die Jäger, die erfolgreich waren und ihre Beute getötet hatten, brachten die Körper zurück zur Welt der Jäger, wo ein großes Fest und eine feierliche Zeremonie stattfand; das Wild, dem es gelungen war zu überleben, würde Ehrungen erfahren, reich belohnt werden und eine sichere Rückreise zu einem Ort seiner Wahl gewährt bekommen.

Dane fragte: »Wissen Sie, wie die Jäger aussehen?«

Dallith sagte: »Nein. Mir ist gesagt worden, keiner wisse dies. Sie sagten dasselbe wie der Mekhar: Der Jäger wird nur von der Beute gesehen, die er tötet.«

»Das ist lächerlich«, sagte Dane. »Einige Leute müssen doch gegen die Jäger gekämpft und so lange überlebt haben, daß sie etwas erzählen konnten.«

»Vielleicht sind sie unverwundbar«, vermutete Dallith, und sie meinte das ganz ernst. »Man sagt, daß manche Rassen es seien. Wenn sie verwundet werden, regenerieren sich einfach ihre eigenen Körperteile.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Dane langsam. »Wenn die Jagd praktisch ein religiöses Ritual ist für diese Leute, die Jäger, muß sie mit irgendeiner echten Gefahr und einem Risiko für sie verbunden sein. Die meisten Religionen messen auf die eine oder andere Weise dem Sieg über den Tod besondere Bedeutung zu. Ein Volk, das eine Religion aus der Jagd gemacht hat und solche Mühen auf sich nimmt, um wirklich gefährliches Wild zu bekommen, muß verwundbar sein. Wenn sie sich nur einen Spaß daraus machen würden, Wesen zu töten, könnten sie unter allen Sklavenrassen auswählen, aber sie zahlen enorme Summen und nehmen ungeheure Mühen auf sich, um tapfere und verwegene Leute als Beute zu bekommen. Es ergibt also kaum einen Sinn, wenn es ihnen um ein Massaker geht. Wir müssen irgendeine Chance haben vielleicht keine gute Chance, aber eine Chance irgendeiner Art, sie zu töten.«

Dallith antwortete nicht. Sie schwamm auf das Ufer zu; Dane folgte ihr. Nahe am Beckenrand überholte er sie. Sie stand bis zu den Knien im Wasser, und er sah sie zum ersten Mal völlig nackt, ohne das alles umhüllende, weite weiße Gewand ihres Heimatplaneten.

Sie ist ebenfalls schön, dachte er. Als ich sie das erste Mal sah, schien sie für mich die vollkommene Schönheit, unvergleichlich, zu sein. Aber er reagierte auf ihre Nacktheit nicht mit der direkten sinnlichen Zuwendung, die er bei Rianna gefühlt hatte. Liegt das nur an der Gewohnheit, sie zu beschützen, für sie zu sorgen und ihr alle Ängste und Sorgen aus dem Weg zu räumen? Er unterdrückte schnell die automatisch erfolgende Antwort, weil er wußte, daß sie sie mit dieser wißbegierigen, empathischen Sensitivität aus seinen Gedanken und Gefühlen ablesen würde.

Ich liebe sie. Und doch zieht sie mich sexuell nicht halb so sehr an wie Rianna. Ich schaue Rianna an, wie sie nackt in ihrem Bad liegt, und werde zum Barbaren ich könnte auf der Stelle auf sie springen, genau wie alle Protosimianer es angeblich tun. Und dabei habe ich sie nicht einmal besonders gern!

Die Luft schlug ihm eiskalt entgegen nach dem warmen Wasser, und Dane beeilte sich, in seine warme Tunika zu kommen und sie um sich zu wickeln. Er sah auf seine nackten Beine hinunter und dachte: Es ist lustig, wie sehr unser Selbstgefühl von unserer Kleidung abhängig ist. Wenn man mich, sagen wir, vor einem Jahr danach gefragt hätte, wäre meine Antwort gewesen, daß ich mich um Kleidung nicht im geringsten schere, daß sie nur dazu da sei, die Kälte abzuhalten und die Polizisten daran zu hindern, mir wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses nachzurennen. Aber ohne Hosen zu sein, ist eine merkwürdige Sache für einen Mann aus dem Westen. Wir definieren sogar unsere Männlichkeit auf diese Weise wir sagen, daß der Mann die Hosen in der Familie anhat.

Am Rande des Beckens gesellte er sich zu Dallith. Das Licht wurde schwächer, und die anderen Schwimmer verließen das Bad. In der langen, weiten, terrakottafarbenen Tunika, mit ihrem hellen, glatten Haar, das wie ein Vorhang über ihre Schultern und fast bis zur Taille fiel, sah sie schüchtern und wunderhübsch aus.

»Es ist eigenartig zu fühlen, daß Leute mich anschauen.«

»Mir geht es genauso«, sagte Dane. »In dem Teil der Welt, von wo ich komme, badet man gewöhnlich nicht nackt, obwohl ich natürlich schon in Länder gereist bin, wo es üblich ist, und es stört mich nicht. Wir haben ein Sprichwort, das heißt: Wenn du in Rom bist Rom ist eine Stadt in meiner Welt, eine große Stadt mach es wie die Römer.«

Dallith sagte: »Wir haben ein ähnliches Sprichwort: Wenn du nach Lughar reist, iß Fisch.«

»Sicher könnte Aratak einen Spruch von der Weisheit des Göttlichen Eis finden, um es abzurunden«, sagte Dane trocken. »Die menschliche Natur scheint dieselben Wege zu gehen menschliche Natur?«

»Allumfassende Weisheit«, korrigierte ihn Dallith freundlich. »Aber du hast recht; die meisten intelligenten Wesen entdecken dieselben Wahrheiten und halten sie in ihren Sprichwörtern fest …«

Danes Mund verzog sich: »Wie passen die Mekhar da hinein?« fragte er.

Dallith sagte langsam: »Sie sind gewiß intelligente Wesen. Sie scheinen ihre eigenen strengen ethischen Vorstellungen zu haben. Aber sie haben sich dem Galaktischen Bund noch nicht angeschlossen …«

Ihre Worte erstarben, wie durch die Schwere ihrer Bedeutung, und sie schwieg. Dann sagte sie: »Bevor wir über Sprichwörter und Weisheit redeten, sagte ich, daß ich das Gefühl seltsam finde, wenn Leute mich anschauen.«

»Dann bist du es also nicht gewohnt, nackt zu baden?«

»Aber nein. Das ist üblich bei uns tatsächlich tragen wir überhaupt nur sehr selten Kleider in unserer Welt, außer es schneit, oder wir müssen in sehr nasse, dornige Wälder reisen aber wir sehen uns nur selten gegenseitig an. Es ist leichter, auf Leute meiner eigenen Art zu reagieren, wenn ich darauf achte, wie sie auf meine Gefühle wirken. Es war seltsam zu fühlen, daß Leute über meinen Körper, meine äußere Erscheinung nachdenken, anstatt darüber, wie es in mir aussieht bin ich sehr häßlich, Dane?«

Das klang ziemlich pathetisch, und Dane gab überrascht zurück: »Nein, nein. Ich finde dich wunderschön.«

»Und beurteilen die Männer auf deiner Welt die Frauen nach ihrer Schönheit?«

»Ich fürchte, ja. Manchmal. Die Vernünftigen versuchen natürlich, die Frauen nach ihren anderen Qualitäten zu beurteilen Intelligenz, gutes Benehmen, Freundlichkeit, Sanftheit, guter Charakter –, aber ich fürchte, daß zu viele Männer die Frauen danach beurteilen, ob sie gut aussehen oder nicht.«

»Und beurteilen Frauen die Männer auf die gleiche Weise?« Plötzlich errötete Dallith und wandte sich ab, aber Dane konnte sehen, daß sie fast ebenso rot war wie ihre Tunika. Sie sagte, immer noch ohne ihn anzusehen: »Laß uns gehen und Rianna suchen. Schau, die anderen kommen aus dem Wasser.«

Dane folgte ihr. Er fühlte sich merkwürdig verwirrt und fragte sich, wie viel von seiner Unentschlossenheit und seinen sexuellen Gefühlen sie wahrgenommen hatte. Nach ein oder zwei Minuten gesellte sich Rianna zu ihnen. Ihr Haar trocknete in einer krausen, kupferfarbenen Wolke um ihren Kopf, und sie hatte ihre Tunika bis zu den Knien hochgerafft. »Aratak ist gegangen, um sich diesen scheußlichen gelben Schleim abzuwaschen«, sagte sie. »Ich glaube, er hält es für ein wertvolles Parfüm und wollte es zum Abendessen auf der Haut behalten, aber es ist mir gelungen, ihn davon zu überzeugen, daß wahrscheinlich keiner von uns viel essen könnte, wenn er den Schwefelgestank nicht ablegt. Wo ist der Mekhar?«

»Er hat ein paar Landsmänner getroffen und ist zu ihnen hingegangen.«

»Ich hoffe, er bleibt bei ihnen«, sagte Rianna nachdrücklich. »Ich traue ihm nicht. Ich konnte diese Protofelinen nie leiden. Sie sind heimtückische Schlangen, und man kann keinem von ihnen trauen, nicht mehr als man einem Mäusefänger als Haustier vertrauen kann.«

»Das ist eine sehr voreingenommene Haltung für eine Wissenschaftlerin«, sagte Dallith in ihrer ernsten Art. »Es ist genauso, als wenn du einem Protosimianer Vorwürfe machen würdest, weil er neugierig ist. Es ist ein Überlebensmechanismus. Protofelinen entwickelten sich aus jagenden Fleischfressern; Hinterhältigkeit ist für sie ebenfalls ein Überlebensmechanismus. Würde dein Hausmäusefänger zur Jagd taugen, wenn er sein Essen nicht ruhig fangen würde?«

Rianna zuckte die Schulter. »Nun ja, unser Mekhar scheint der Gesellschaft seiner eigenen Art willkommen zu sein aber wir haben nicht so viel Glück, denn da kommt er schon.«

Als sie das Gebäude, in dem sie untergebracht waren, erreichten, gesellte sich Cliff zu ihnen. Aratak rumpelte schwerfällig hinterher. Der riesige Saurier sagte: »Ich habe den Gestank abgelegt, der so schädlich für deinen Stoffwechsel war, Rianna.« Es gelang ihm, bemitleidenswert zu klingen.

Sie kicherte. »Danke, Aratak. Mir sind die Opfer bewußt, die ihr Philosophen auf euch nehmen müßt, wenn ihr mit uns hypersensiblen simianischen Typen reist.«

Cliff sah glatt und glänzend unter seiner ziegelroten Tunika aus; seine löwenähnliche Mähne und der Bart waren in weiche, vollkommen geformte Locken gekämmt. Dane sagte: »Ich hatte erwartet, daß du bei deiner Verwandtschaft bleiben würdest, Cliff.«

»Meine Verwandtschaft?« Cliff ließ ein zischendes, spuckendes Geräusch höre, halb Hohn, halb Ärger. »Gewöhnliche Verbrecher! Gewöhnliche Diebe, die um eine Krallenlange vor den Verfolgern von Mekharvin entkommen sind, hierher flohen und sich selbst verkauft haben, um den Preis für ihre Verbrechen nicht zahlen zu müssen! Das sind die Leute, die unseren Namen in der ganzen Galaxis in Verruf bringen!«

»Natürlich«, sagte Rianna mit beißender Ironie, »werden Sklavenfänger nicht mit gewöhnlichen Dieben in einen Topf geworfen!«

Cliff nahm sie wörtlich. »Natürlich nicht. Ich könnte mich unmöglich mit solchen Leuten zusammentun. Erstens habe ich euch mein Wort gegeben, euch kein Leid zuzufügen, da ihr meine Gefährten seid. Und zweitens erlaubt mir meine Ehre nicht, mich mit solchen Wesen zusammenzutun. Ich ziehe es vor, meinen Zorn und meine Kampfeslust für die Jäger aufzuheben.«

Ohne Sarkasmus, denn es interessierte ihn wirklich, fragte Dane: »Erlaubt deine Ehre es dir, dich mit Protosimianern und Sklaven zusammenzutun?«

»Normalerweise nicht«, antwortete Cliff, als sie das Gebäude betraten, das ihr augenblickliches Quartier war. »Aber ihr seid Wesen mit bewiesener Tapferkeit, und darüber hinaus werdet ihr, wie es scheint, meine Kameraden in der Jagd sein. Darum ist es notwendig, daß ich ein Gefühl der Freundschaft zu euch entwickle, damit wir gegen unseren gemeinsamen Feind zusammenhalten können.«

Dane murmelte: »Wir müssen zusammenhalten, sonst werden wir todsicher alle einzeln hängen.«

»Laßt uns hoffen, daß uns nicht ein derart ehrloses Schicksal erwartet«, meinte Cliff.

»Ist es euch gelungen, etwas darüber herauszufinden, welches Schicksal genau uns erwartet und warum?« fragte Aratak.

»Ich habe etwas herausgefunden«, sagte Dallith und wiederholte, was sie über die häufige Finsternis erfahren hatte und daß die Jagd auf dem Satelliten dieses Planeten, dem Roten Mond, stattfinden würde. Cliff fügte hinzu: »Wir wurden zu spät am Tag hierher gebracht, um das andere Jagdwild in der Waffenkammer zu treffen. Aber mir wurde gesagt, daß wir morgen früh dorthin transportiert werden.«

Sie wurden unterbrochen, als der Roboter, Diener, durch die hohe Tür am Ende der Halle zurückkam. Seine ausfahrbaren Arme es waren diesmal fünf oder sechs hielten mehrere bedeckte Tabletts mit Essen.

»Wenn Ihr es Euch bequem machen würdet, so wie Ihr es bevorzugt zu speisen«, informierte sie Dieners mechanische Stimme, »wird es uns ein Vergnügen sein, Euch zu bedienen.«

Der Mekhar holte ein Kissen von seiner Liege und legte es auf den Boden; nach einer Minute des Nachdenkens machte Dane es ihm nach, und alle anderen außer Aratak taten dasselbe. Der große Saurier streckte sich einfach, halb aufgestützt, auf dem Boden aus. »Es tut gut, wieder in zivilisierter Umgebung zu speisen«, sagte er.

Diener rollte geräuschlos zu Dallith hinüber. »Verehrtes Wild, Ihr wart es, die eine Speise pflanzlicher Herkunft verlangt hat. Es ist uns ein Vergnügen, Euch mitzuteilen, daß die Proteine in diesem Mahl ausschließlich vegetarischer Herkunft sind, gebacken oder gekocht, und daß die Fette aus den Samen eines Baumes gewonnen wurden.« Er streckte Dallith ein Tablett entgegen.

Dane und Rianna gab er ähnliche Tabletts, deren Inhalt ein Gemisch aus tierischer und pflanzlicher Nahrung war, wie er ihnen mitteilte. Als Dane es probierte, fand er, daß es nicht gerade das Steak war, an das er gedacht hatte, aber es war auch nicht schlecht. Es gab etwas Pilzähnliches, einen gemischten grünen Salat und eine Art Hackbraten. Außerdem einige gemischte Früchte, sehr süß. Dallith hatte dieselbe Art Früchte und Salat, aber anstelle des Hackbratens dunkelrote gebackene Körner. Cliffs Tablett roch seltsam und unangenehm, aber der Mekhar ließ ein weiches, schnurrendes Brummen der Anerkennung hören und begann, es mit den Klauen zu zerreißen. Aratak aß säuberlich mit den Spitzen seiner Klauen; sein Essen sah aus und roch für Dane fast ebenso schlimm wie der parfümierte Schlamm, der sein Entzücken war, aber Aratak glühte tatsächlich blau um die Kiemen und sagte zu Diener: »Du hast dein Versprechen gehalten, meinen Gaumen ebenso wie meinen Stoffwechsel zu erfreuen. Meinen innigsten Dank. Seit hundert Lichtjahren habe ich nicht so gut gegessen.«

Dane murmelte: »Der Todeskandidat bekommt immer eine herzhafte Henkersmahlzeit.«

Cliff zupfte an seinen Schnurrhaaren und sagte leise: »Was dem einen ein herzhaftes Mahl ist, ist Abfall für seinen Bruder.« Dane lachte und sagte, als Rianna ihn fragend anblickte: »Des einen Mahl ist des anderen Gift. Wir redeten vorhin über Sprichwörter.«

Aratak fragte Diener: »Bist du dieselbe Kreatur, die uns vorhin bedient hat?«

»Die Frage ist für uns weder von Interesse noch von Bedeutung.«

Dallith Dane saß auf Kissen zwischen ihr und Rianna murmelte: »Er spricht von sich selbst immer im Plural.«

»Ich hab es bemerkt«, flüsterte Dane. »Benutzt er jetzt den Pluralis majestatis, den Pluralis modestiae oder das Wir von Leuten mit Bandwürmern?«

Dallith kicherte. »Kann ein Roboter einen Bandwurm haben?«

»Natürlich«, sagte Rianna grinsend, »einen Parasiten, der Computerbänder frißt.«

Aratak war nachdenklich, als Diener geräuschlos davonrollte. »Ich muß darüber nachdenken. Ich habe ihn gefragt, ob er Allumfassende Weisheit hat, und er konnte oder wollte nicht antworten. Es gibt viele von diesen Dienerkreaturen, denn ich habe mindestens vier im Parkbereich gesehen. Nun ist die Frage, die sich uns im Moment stellt, diese …« Er hielt einen Moment inne, als wende er sich an ein philosophisches Seminar. »Kann ein Wesen ohne individuellen Sinn für seine Identität an der Allumfassenden Weisheit teilhaben?«

Dane war froh, über etwas anderes nachdenken zu können als über die bevorstehende Jagd. »Hängt die Weisheit notwendigerweise von einem Sinn für Identität ab?«

»Mir scheint, ja«, sagte Aratak. »Denn Weisheit entfaltet sich, wie ich glaube, wenn eine Kreatur in sich selbst das Individuum sieht und nicht mehr nur den Gruppeninstinkten seines Spezies folgt. Kurz gesagt, wenn jemand aufhört, nur Teil der Allgemeinheit zu sein, und beginnt, sich als besonderes Einzelwesen zu betrachten.«

»Ich bin nicht sicher, ob es darauf ankommt«, sagte Rianna. »Wenn Diener nur Teil einer zentralen Intelligenz ist würde dann nicht die zentrale Intelligenz, von der Diener ein Teil ist, an der Allumfassenden Weisheit teilhaben? Und wenn er für alle sprechen kann, ist dann nicht jeder beliebige von Dieners Teilen oder Körpern Teil einer solchen Weisheit?«

Aratak sah betrübt aus. »Ich habe Intelligenz immer als einen Sinn für die eigene, einzigartige Individualität definiert. Wie definierst du sie, Rianna?«

»Als die Fähigkeit zur Zeitbindung«, antwortete sie prompt. »Wenn irgendeine Spezies den Punkt erreicht, an dem sie akkumuliertes Wissen an ihre Nachkommenschaft weitergeben kann, so daß nicht jede Generation die Erfahrung der ganzen Rasse wiederholen muß, sondern in der Geschichte fortschreiten kann, dann glaube ich, daß eine Rasse ab diesem Punkt intelligent ist.«

»Hm, vielleicht«, murmelte Aratak und stocherte an seinen enormen Zähnen herum. »Cliff, wie definiert deine Rasse Intelligenz?«

Der Mekhar zögerte nicht. »Als ein Gefühl für den ethischen Ehrbegriff. Wir betrachten jede Rasse ohne einen solchen Ehrbegriff als Tiere und jede Rasse, die ihn entfaltet, als intelligent.« Er verneigte sich vor ihnen und sagte: »Natürlich betrachten wir euch alle so.«

Aratak sagte: »Und ihr, Dallith? Wie definiert deine Rasse Intelligenz?«

»Als Einfühlungsvermögen, würde ich sagen. Ich meine nicht das entwickelte Psi-Talent, sondern die Fähigkeit, sich an die Stelle eines anderen zu versetzen. Vielleicht meine ich einfach Vorstellungskraft. Kein nichtintelligentes Tier hat sie, und jede intelligente Spezies verfügt darüber.«

»Das sind alles sehr gute Antworten«, sagte Aratak. »Dane, von dir haben wir noch nichts gehört, und da du von einem Planeten mit nur einer bekannten intelligenten Spezies kommst: Hat deine Rasse überhaupt ein Konzept dessen entwickelt, was die Intelligenz ausmacht?«

Dane sagte langsam: »Das ist ein ziemlich alltäglicher Gegenstand philosophischer Spekulation. Wir haben zwei oder drei Spezies Delphine, große Menschenaffen –, die einige, wenn nicht alle Merkmale von Intelligenz besitzen, und manche haben darüber nachgedacht. Einige haben vorgeschlagen, daß die Fähigkeit, Kunst zu erschaffen, der Sinn für Ästhetik, als Kennzeichen der Intelligenz zu werten sei.« In seinen kühnsten Träumen wäre ihm nicht eingefallen, daß er einmal mit einem Echsenmann, zwei Mädchen von fremden Sternen und einem Löwenmenschen beim Essen sitzen und die mögliche Intelligenz eines Roboters diskutieren würde.

Plötzlich war ihm spaßhaft und heiter zumute. »Wahrscheinlich ist das Kennzeichen der Intelligenz«, sagte er, »nicht mehr und nicht weniger als die Fähigkeit, sich zu fragen, was das ist; kurz, die Fähigkeit, an Diskussionen über die Weisheit teilzunehmen. Das würde alles einschließen.« Er hob sein Glas, das mit einem schwach bitteren alkoholischen Getränk gefüllt war.

»Ich werde darauf trinken!«

 

Als die Sonne untergegangen war, wurde der Himmel schnell dunkel, und da es keine künstlichen Beleuchtungen in den Quartieren gab, nur das rötliche Mondlicht, begaben sich die fünf Gefangenen zu ihren Betten. Eine Zeit lang konnte Dane nicht schlafen. Einmal ging er geräuschlos zur Tür und probierte sie aus, nur um sich eine Theorie zu bestätigen. Sie war nicht verschlossen. Aber wohin konnten sie gehen? In jedem Fall würde eine Flucht zum jetzigen Zeitpunkt nur bedeuten, daß die Jäger sie sofort hetzten, nicht erst später. Und später würden sie Waffen haben, das hatte jedenfalls Cliff angedeutet, als er von Waffenkammern sprach.

Auf dem Weg zu seinem Bett kam er an den beiden schlafenden Frauen vorbei. Rianna lag ausgestreckt auf dem Rücken, nackt, nur mit einer dünnen Decke zugedeckt. Dane wandte sich schnell ab. Genau wie alle anderen Protosimianer. Ich habe wirklich genug andere Sorgen, gerade jetzt.

Dallith schlief ruhig, ihr Gesicht halb in dem langen, fließenden Haar versteckt, und Dane blieb neben ihr stehen und schaute mit einem aus Liebe und Bedauern gemischten Gefühl auf sie nieder.

Ich habe dein Leben gerettet, Dallith aber nur, um dich hierher zu bringen. Rianna hatte ganz recht. Er wandte sich hastig ab und stolperte zu seinem Bett. Aber es dauerte lange, bis er endlich einschlafen konnte.