19. KAPITEL
In den Gärten wird ausgiebig gefeiert. Abgesehen von der Musik, den Tänzen, den Kostümen und den köstlichen Speisen gibt es spektakuläre Lichteffekte und häufige Erscheinungen außerweltlicher Kreaturen. Die vornehmen Gäste halten sie nach wie vor für einen Teil von Lisutaris’ magischer Unterhaltung und sind fasziniert.
Mir scheint, dass nur Makri und ich die Gefahr erkennen. Makri versucht, die Kreaturen davon abzuhalten, ernsthaften Schaden anzurichten. Das beschert uns den merkwürdigen Anblick einer Frau in einer Orgk-Rüstung, die durch den Garten marschiert und der eine lange Reihe von Zentauren und Einhörnern folgen. Zentauren sind im besten Fall höchst lüsterne Kreaturen und Makris Reizen offenbar hilflos ausgeliefert. Das habe ich schon einmal im Feenhain miterlebt. Obwohl Makri mit allen Mitteln versucht, sie zu verscheuchen, folgen sie ihr, bis die Magie, die sie erzeugt hat, schwächer wird und sie sich auflösen. Warum die Einhörner ihr folgen, weiß ich allerdings nicht. Es ist schließlich nicht so, dass sie reinen Herzens wäre.
»Ich habe so etwas noch nie gesehen«, bemerkt ein eher wohlhabend aussehender Pirat zu seiner Gefährtin, als eine ziemlich gehetzt wirkende Makri mit einer langen Reihe magischer Viecher im Gefolge an uns vorbeihastet. »Lisutaris versteht es wirklich, ihre Gäste zu unterhalten.«
Ein blauer Blitz entlädt sich über unseren Köpfen.
»Sie ist die beste Zauberin der ganzen Stadt!«, meint der Pirat begeistert.
Ich suche in der Zwischenzeit nach den Medaillons. Das ist nicht so ganz einfach, weil Lisutaris’ Armband auch jedes Mal aufleuchtet, wenn eine Meerjungfrau oder eine Nymphe auftauchen. Bei so vielen falschen Signalen fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren. Als ich zwei Makris an verschiedenen Enden des Gartens entdecke, die eine mit und die andere ohne Einhörner, sprinte ich auf die einsame Gestalt zu. Ich habe das Gefühl, dass Makris Doppelgängerin mit all dem hier zu tun haben könnte. Als die Gestalt mich herannahen sieht, schlägt sie sich in die Büsche. Ich folge ihr. Und kaum bin ich im Dickicht, leuchtet mein Armband auf. Ein Mann im Kostüm eines Bischofs hockt im Schatten und hebt etwas auf. Ich springe ihn an und entwinde ihm einen Gegenstand.
»Das gehört mir!«, protestiert der Bischof.
Ich schiebe das Medaillon in den Beutel. Er gibt sich geschlagen, bedenkt mich aber mit Worten, die für einen Mann des Glaubens höchst unschicklich sind.
»Ihr werdet mir später dankbar sein«, erkläre ich und stürme weiter. Wenigstens ein kleiner Teilerfolg. Ich finde ein weiteres Medaillon in einem Brunnen voller Meerjungfrauen, und noch eines in den Händen eines Palastbonzen, der zusammenhanglos von einer Revolte stammelt, mit der er den Thron erobern will. Immerhin ist er noch nicht tot. Ich nehme ihm das Medaillon weg und lasse ihn seine Machtträume ausschlafen. Mittlerweile habe ich drei Schmuckstücke gefunden. Aber über dem Grundstück schwebt ein Komet, was bedeutet, dass ich noch einige einsammeln muss.
»Warum landen nur all diese Schmuckstücke ausgerechnet hier?«, frage ich laut. Ich bin wütend und verwirrt.
»Zum Teil ist es wohl meine Schuld«, antwortet eine Stimme in elegantem Hoch-Turanianisch neben mir. Sie gehört Harm dem Mörderischen, der als mystischer König der Meere verkleidet ist, mit Dreizack und allem Drum und Dran.
»Das habe ich mir gedacht.«
»Es war allerdings nicht mein ursprünglicher Plan«, gesteht mir Harm. »Als ich das Medaillon endlich in Händen hielt, wollte ich die Stadt verlassen. Bedauerlicherweise habe ich vorher ein zweites Medaillon gefunden. Da wurde mir klar, dass jemand sie verdoppelt hat. In den letzten Tagen bin ich auf einige weitere gestoßen.«
»Ihr habt dafür gesorgt, dass sie alle auf Lisutaris’ Ball erscheinen?«
»Die Idee erschien mir sehr hilfreich.« Harm lacht. »Ich wollte schon immer mit ansehen, was passiert, wenn so viele unverträgliche magische Gegenstände zusammengebracht werden. Mit etwas Glück verschwinden wir alle in einer Explosion, welche die ganze Stadt in Schutt und Asche legt. Seht nur dort oben. Selbst die Sterne am Himmel vervielfältigen sich.«
Es sieht wirklich so aus. Eine Million Lichtpunkte zusätzlich. Sie werden größer und lösen sich in einem ungeheuren Schauer von Kometen auf, die zielsicher auf uns zufliegen. Dann regnen sie in den Garten hinunter, jeder Stern winzig und bunt. Die Gäste applaudieren begeistert.
»Das ist wirklich wundervoll«, meint Harm verzückt. »Sie werden alle sterben und beklatschen es auch noch. Und Ihr habt die Aufgabe, all diese Medaillons in einem Beutel zu sammeln! Wirklich, so etwas Komisches habe ich noch nie gesehen!«
In den Büschen raschelt es, und Makri taucht auf. Vielmehr ist es eine Frau in einer orgkischen Rüstung. Ich sehe sofort, dass es sich nicht um Makri handelt. Ich raste aus, als die Frau ein Medaillon aus ihrer Tasche zieht und es mir hinhält.
»Nicht so schnell, Sarin!«, rufe ich und verpasse ihr einen Hieb, so dass sie zu Boden fällt. Ich nehme ihr das Medaillon aus der Hand und schiebe es in meinen Beutel. »Glaubst du wirklich, dass du einfach so mit einem Medaillon vor meiner Nase herumpendeln kannst?«, schreie ich sie an, reiße ihr die Maske herunter und bohre ihr meine Nase ins Gesicht. Bedauerlicherweise ist es nicht Sarins Gesicht. Sondern das von Prinzessin Du-Lackal, der ranghöchsten Frau Turais, der Dritten in der Thronfolge.
»Entschuldigung, Prinzessin Du-Lackal. Das war ein Missverständnis.«
Aber aus diesem Fettnäpfchen kann ich mich nicht herausreden. Man kann nicht einfach eine königliche Prinzessin zu Boden schlagen und kommt dann ungestraft davon. Am Ende meines Weges wartet schon eine Gefängnisgaleere auf mich.
»Ich bin mit den Delfinen geschwommen«, meint die Prinzessin. Sie wirkt noch ein wenig benommen.
Natürlich. Sie hat in das Medaillon geschaut. Ihr ist nicht klar, was passiert ist. Ein Glück, dass sie es getan hat. Das heißt, sofern sie nicht stirbt. Das wäre nicht so gut. Ich lasse sie wieder sanft zu Boden gleiten. Harm der Mörderische lacht so sehr, dass er kaum noch Luft kriegt. Da ich die Prinzessin nicht in der Nähe eines bösartigen Zauberers zurücklassen will, setze ich ihr den Helm auf, werfe sie mir über die Schulter und marschiere zum Haus.
»Kümmert euch um diese Frau«, instruiere ich einige Dienstboten. »Sie hat zu viel getrunken und muss ihren Rausch ausschlafen.«
Mittlerweile habe ich die ganze Sache vollkommen satt. Ein Ende des Wahnsinns scheint nirgendwo in Sicht zu sein. Es könnten mehr als vierzig Medaillons hier herumschwirren. Ich bemerke, dass einige Gäste etwas nervös zusehen, als eine neue Herde von Zentauren durch ein Zelt galoppiert und keinerlei Anstalten macht, sich freiwillig aufzulösen, nicht einmal, als Makri sie mit ihren Schwertern bedroht. Lisutaris taucht zwar auf und bannt sie mit einem Zauber, aber es ist offensichtlich, dass die Dinge allmählich außer Kontrolle geraten.
»Einer hat mich gebissen!«, beschwert sich ein weiblicher Gast lautstark bei Lisutaris.
Ich muss wissen, wie viele Medaillons es hier gibt. Es wird Zeit, jemand ganz Bestimmten unter Druck zu setzen. Ich sehe mich nach dem höchsten Hausangestellten um, den ich finden kann.
»Ich muss sofort Lisutaris’ Sekretärin sprechen. Welches Kostüm trägt sie?«
»Ich fürchte, das wäre eine Verletzung der Etikette …«
Ich biete ihm Geld an, aber erwirkt uninteressiert. Also packe ich ihn am Hals und drücke ihn an die Wand. Ich ignoriere die konsternierten Mienen seiner Kollegen.
»Raus damit!«
»Sie trägt ein Waldnymphenkostüm mit gelben Blumen!«
Ich überschlage kurz meine Lage: Ich habe eine Prinzessin niedergeschlagen, Lisutaris’ Angestellte bedroht und, nicht zu vergessen, Hauptmann Rallig bei der Ausübung seiner Pflicht mit einem Bann schlafen gelegt. Die Gerichte müssen sich wahrscheinlich einen neuen Strafenkatalog ausdenken, um mit meinen Verbrechen Schritt halten zu können.
Ich suche die Gärten nach einer Waldnymphe mit gelben Blumen ab. Makri sieht mich und eilt an meine Seite.
»Hast du die Medaillons schon alle eingesammelt? Nein? Du solltest dich besser beeilen. Die Sache gleitet uns allmählich aus der Hand. Überall sind Zentauren, und sie versuchen, mir meine Kleidung herunterzukauen.«
»So sind Zentauren eben. Irgendwelche Todesfälle?«
»Ein oder zwei. Soll ich für deine Wette mitzählen?«
»Nein. Ich wollte nur wissen, wie die Dinge so stehen. Aber da du es erwähnst, zähl ruhig mit. Ich suche nach Avenaris. Ich denke, sie kann mir sagen, wie viele von diesen Schmuckstücken es gibt.«
»Lisutaris wird sich auf dich stürzen wie ein Böser Bann, wenn du ihre Sekretärin belästigst.«
»Ich habe ihre Räume bereits durchsucht.«
»Das hast du getan?«
»Allerdings. Und ich habe einige Dinge gefunden, die auf Barius hinweisen. Sie hat eine Affäre mit Professor Toarius’ Sohn. Und sie hat ohne Zweifel seine Boah-Sucht finanziert, nachdem sein Vater ihn aufs Trockene gesetzt hat.«
Ich erzähle Makri von Prinzessin Du-Lackal. Es ärgert Makri, als sie erfährt, dass eine königliche Prinzessin sich als orgkische Gladiatorin verkleidet hat.
»Das beleidigt mich.«
»Darum geht es nicht. Es geht darum, dass ich der Prinzessin einen Kinnhaken versetzt habe. Wenn sie sich daran erinnert, werde ich exekutiert.«
»Wir könnten uns unseren Weg freikämpfen.«
»Das müssen wir vielleicht auch. Und jetzt hilf mir bei der Suche nach Avenaris.«
Mittlerweile hat sich der Maskenball zu einer fantastischen Feier mit blitzenden Lichtspielen und herumtobenden magischen Kreaturen entwickelt. Es ist eine wahrlich fabelhafte Unterhaltung. Ich würde sie mir gern in Ruhe ansehen, wenn ich nicht wüsste, dass die ganze Stadt jeden Moment in die Luft fliegen könnte. Es fällt uns nicht ganz leicht, uns durch die Menge zu drängen. Selbst unter den grell gekleideten Zuschauern erregt Makris ungewöhnliches Kostüm Aufsehen. Und meine komische Zitzerius-Maske bringt mir einige Lächler ein, wenn auch nicht von Zitzerius selbst, als ich vor dem grünen Zelt auf ihn stoße. Er starrt mich verächtlich an, und ich sehe, wie er scharf überlegt, wo er diesen stattlichen Mann schon einmal gesehen hat.
»Waldnymphe mit gelben Blumen!«, ruft Makri, und wir machen uns an die Verfolgung.
Wir fangen Avenaris in der Nähe des Obstgartens ab.
»Sei nicht zu hart mit ihr«, bittet Makri mich.
Ein greller Blitz über unseren Köpfen kündigt den nächsten Meteoritenschauer an. Sie schlagen um uns herum in den Boden ein.
»Ich habe keine Zeit für Nettigkeiten«, knurre ich, schnappe mir Avenaris, zerre sie ins Dunkel zwischen die Bäume und reiße mir die Maske vom Gesicht.
»Ich brauche Antworten, und zwar auf der Stelle!«, herrsche ich sie an.
Avenaris zuckt zurück. »Geht weg!«, fleht sie.
Ich deute auf die Lichter am Himmel. »Seht Ihr all das? Es gerät außer Kontrolle, und es wird in einer gewaltigen Katastrophe enden, es sei denn, dass ich alle vervielfältigten Medaillons rechtzeitig einsammeln kann. Also sagt mir, wie viele es gibt.«
Die Sekretärin fängt an zu weinen. Tränen strömen unter ihrer Maske heraus. Ich ziehe mein Schwert.
»Es liegen hier schon überall tote Menschen herum. Sagt mir, was ich wissen will, oder ich bringe Euch auf der Stelle um!«
»Helft mir!«, jammert Avenaris und sieht Makri an.
Makri zieht ihr schwarzes Orgk-Schwert.
»Tut mir Leid«, sagt sie. »Es wird Zeit zu reden.«
Avenaris rutscht an einem Baumstamm herunter, bis sie mit dem Rücken daran gelehnt auf dem Boden sitzt. Sie sieht aus wie ein kleines Kind, schnüffelt und nimmt ihre Maske ab.
»Ich wusste nicht, dass dies alles passieren würde. Ich habe Barius das Medaillon gegeben. Er brauchte Geld.«
»Ich weiß, für Boah. Schlechte Wahl für einen Geliebten.«
»Er hat mir versprochen, es wieder zurückzugeben. Er wollte es kopieren und die Kopie verkaufen. Ich wusste nicht, dass er so viele Kopien machen würde.«
»Wie hat er die Kopie überhaupt herstellen können?«
»Ich habe einen Zauberspruch gestohlen«, gibt Avenaris schluchzend zu. »Aus Lisutaris’ privater Bibliothek. Barius ist damit zu einem Zauberlehrling gegangen, den er kennt.«
»Ist Euch die Gefahr bewusst, in die Ihr die ganze Stadt gebracht habt?«
Avenaris wirkt zerknirscht, aber ob es wegen des Ärgers ist, den sie verursacht hat, weiß ich nicht. Vielleicht ist sie auch nur traurig wegen der Probleme, die ihr Freund hat.
»Das war sehr treulos Lisutaris gegenüber«, sagt Makri missbilligend.
Avenaris hebt den Kopf. Ein merkwürdiger Ausdruck zeigt sich auf ihrem Gesicht. Ich kann ihn nicht genau entschlüsseln, aber einen Moment lang wirkt sie beinah trotzig.
»Ich hätte eigentlich die Reiche von uns beiden sein sollen«, sagt sie. »Mein Vater war schließlich der Patriarch der Familie.« Dann senkt sie wieder kläglich den Kopf.
»Wie viele Kopien des Medaillons hat er angefertigt?«
»Fünfzehn. Dann hat der Zauberspruch nicht mehr funktioniert.«
»Ich habe neun Medaillons in meinem Beutel. Lisutaris hat drei. Macht zusammen zwölf. Also müssen wir noch vier einsammeln.«
»Drei«, meint Makri und zieht eines aus ihrer Tasche.
»Du hast eines gefunden? Und nicht hineingesehen?«
»Ich besitze auch Willenskraft«, erwidert Makri.
Wir eilen davon und lassen Avenaris heulend unter den Bäumen zurück. Wir müssen noch drei Medaillons suchen, die sich rasch auf zwei reduzieren, als wir über die Leiche eines jungen Mannes stolpern, der eines mit seinen Fingern umschließt. Ich schiebe es in meinen Beutel. Hoffentlich dämpft das Elfentuch ihre Wirkung wirklich so gründlich, wie Lisutaris behauptet.
»Wird die Stadt tatsächlich dem Erdboden gleichgemacht?«, will Makri wissen.
»Das ist durchaus möglich.«
»Aber ich muss morgen eine Prüfung ablegen. Und ich habe wirklich sehr hart dafür gelernt.«
Ein Einhorn trabt zwischen den Bäumen hervor. Es sind eigentlich sehr anmutige Tiere. Ich hätte nie gedacht, dass mich ihr Anblick eines Tages so anwidern würde. Es nähert sich Makri und fängt an, an ihrem Gesicht herumzulecken.
»Ich verstehe einfach nicht, warum Einhörner dich so gern haben. Schließlich bist du keine Jungfrau mehr.«
»Soll das eine Beleidigung sein?«, erkundigt sich Makri misstrauisch.
»Nein, nur eine schlichte Feststellung.«
»Ich bin sicher, dass Jungfernschaft nichts damit zu tun hat«, erwidert Makri und streichelt das Einhorn. »Es liegt wohl eher an meinem sonnigen Gemüt. Oder vielleicht auch an meinem Elfenblut. Ist das wirklich ein echtes Einhorn?«
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls macht es keine Anstalten, sich aufzulösen. Genauso wenig wie die Meerjungfrau da drüben, die gerade dabei ist, den Mann in dem Seemannskostüm zu hypnotisieren. Komm, wir müssen noch zwei Medaillons finden.«
Mein Armband glüht auf. Ich steige in den Brunnen, verscheuche die Meerjungfrau und sammle ein weiteres Medaillon ein. Jetzt fehlt uns nur noch eines.
Lisutaris nähert sich uns in ihrem prachtvollen Engelskostüm. Sie befindet sich in Begleitung einer Person, die Prinz Frisen-Lackal sein könnte. Sein Kostüm ist aufwendig genug für einen Prinzen, und außerdem ist er vollkommen betrunken, also spricht alles dafür. Als Lisutaris uns sieht, fertigt sie den Prinzen mit einigen freundlichen Worten ab und fragt uns, welche Fortschritte wir gemacht haben.
»Ein Medaillon fehlt noch.«
»Seid Ihr sicher, dass nur noch eines fehlt?«
»Ja.«
»Dann sind wir fertig«, verkündet die Zauberin. »Ich habe es. Ich fand es bei zwei Senatoren, die es einem Einhorn weggenommen haben. Sie stritten sich gerade darum. Glücklicherweise konnte ich rechtzeitig eingreifen, bevor ihre verdorbenen Träume sie in den Wahnsinn treiben oder sie sich umbringen konnten.« Lisutaris atmet erleichtert auf. »Ich bin froh, dass jetzt alles vorbei ist. Allmählich wurde es etwas hektisch. Ich musste eine ganze Bande Bergtrolle wegzaubern, die dabei waren, das ganze Essen aufzufressen. Und der Konsul hatte sich mit einer verärgerten Dryade angelegt. Vielleicht war es auch nur ein verärgerter Bürger. Das konnte man schwer unterscheiden.«
Wir ziehen uns in die Abgeschiedenheit einer Baumgruppe zurück. Es ist eine warme Nacht, und hinter meiner Maske rinnt mir der Schweiß über das Gesicht. Makri nimmt ihren Helm ab und wischt sich über die Stirn. Lisutaris nimmt meinen Beutel mit den Medaillons und legt diejenigen, die sie bereits hat, hinzu. Dann wühlt sie eine Weile darin herum. Nach einigen Augenblicken zieht sie ein Juwel heraus.
»Das hier ist das echte.«
»Woher wisst Ihr das?«
»Bin ich die Oberhexenmeisterin der Zaubererinnung?«
»Ihr habt Euch schon vorher von einer Nachahmung täuschen lassen.«
»Da hatte ich aber die anderen zum Vergleich noch nicht. Außerdem musste ich dem Konsul ja etwas zeigen.«
Ich nehme das echte Medaillon in die Hand und vergleiche es mit anderen aus dem Beutel. Für mich gibt es da keine Unterschiede. Aber in solchen Angelegenheiten muss man Lisutaris trauen. In Zauberfragen ist sie die Nummer eins am Platz. Ich gebe ihr den Beutel mit den Medaillons zurück.
»Glückwunsch«, ertönt eine vertraute Stimme. Sie gehört Harm dem Mörderischen. Er trägt immer noch sein Kostüm.
Lisutaris begrüßt ihn kühl. »Ich kann mich nicht daran erinnern, Euch eingeladen zu haben.«
»Ich wollte ein so schillerndes Fest auf keinen Fall versäumen. Und schon gar nicht die Chance, Makri wieder zu begegnen.«
Er verbeugt sich vor Makri, die verlegen wirkt und vielleicht sogar errötet. Hier im Schatten der Bäume ist das schwer zu erkennen. Harm betrachtet das Medaillon in Lisutaris’ Hand.
»Wisst Ihr, es hat mich viel Mühe gekostet, um all diese Schmuckstücke auf Euren Ball zu bekommen. Einige habe ich durch Zauberei erhalten … Donax zum Beispiel schien mir sein Medaillon nicht freiwillig geben zu wollen. Einige habe ich auch gekauft, was erhebliche Summen Goldes an Sarin erforderte … Andere erhielt ich, indem ich die vorherigen Besitzer… entfernte.«
»Was für ein Pech!«, mische ich mich ein. »Euer Plan ist fehlgeschlagen.«
»Mein Plan?«
»Eine so große magische Instabilität zu erzeugen, dass ein Desaster eintreten musste.«
»Ja«, stimmt Harm mir zu. »Das wäre wirklich ausgezeichnet gewesen. Allerdings war das nicht genau mein Plan. Sondern nur eine amüsante Lüge. Ich habe immer noch vor, das Medaillon Prinz Amrag in die Hände zu spielen. Nur konnte ich nicht sicher sein, welches das echte ist, solange ich nicht alle zusammen hatte. Und da es Euch, Lisutaris, bereits gelungen war, eines der Medaillons wiederzubeschaffen, schien mir Euer Ball als ein ebenso geeigneter Ort wie alle anderen, um sie zu versammeln. Und jetzt habt Ihr auch noch das richtige für mich identifiziert.«
»Eure Macht kann sich mit meiner nicht messen, Harm der Mörderische.«
»Da irrt Ihr. Sie kann es sehr wohl. Dennoch müssen wir uns jetzt nicht mehr bekämpfen. Ihr werdet mir einfach das echte Medaillon übergeben. Dann verzichte ich darauf, diese Hand voll Puder auf Euren Elfentuchbeutel zu streuen.«
»Was?«
»Es ist mein Hausrezept und lässt das Rote Elfentuch in wenigen Sekunden verrotten. Und wenn die fünfzehn Medaillons nicht mehr von der magischen Barriere des Tuchs geschützt sind, werden sie durch ihre unmittelbare Nähe zueinander meiner Meinung nach einen derartig gewaltigen magischen Vorfall erzeugen, dass wohl nur wenige Eurer Gäste am Leben bleiben dürften.« Harm sieht mich an. »Bitte unterlasst jede plötzliche Bewegung. Ich bin diesmal darauf vorbereitet. Ihr würdet sterben. Lisutaris, das Medaillon, bitte.«
Wir sind matt gesetzt. In einer solchen Situation muss man schnell reagieren und sich einen guten Plan ausdenken. Mir fällt jedoch nichts ein. Harm lässt etwas Staub durch die Finger rieseln, und das Rote Elfentuch fängt an, sich vor unseren Augen aufzulösen.
»Euch bleibt ja immer noch ein nachgemachtes Juwel, mit dem Ihr den Konsul täuschen könnt«, sagt Harm und streckt die Hand aus. Lisutaris hat keine Wahl. Alle hier würden sterben. Sie reicht ihm das Original. Harm verstaut das Schmuckstück in den Falten seines Kostüms und nimmt dann überraschend seine Maske ab. Er tritt einen Schritt näher an Makri heran und beugt sich ziemlich langsam vor.
Dann küsst er sie zart auf die Lippen. Makri steht da wie angewurzelt. Harm tritt wieder zurück.
»Ihr werdet eines Tages mein Königreich besuchen«, sagt er, bevor er auf dem Absatz kehrtmacht und davoneilt. Er lässt eine verlegene Makri zurück.
Aber Harm kommt nicht weit. Eine maskierte Gestalt tritt hinter einem Baum hervor. Sie hat einen kurzen Knüppel in der Hand und zieht ihn Harm über den Schädel. Harm fällt wie vom Blitz getroffen zu Boden. Gute Arbeit. Die Gestalt bückt sich und reißt Harm das Medaillon aus den Händen.
»Gute Leistung, Demanius!«, rufe ich.
Die maskierte Gestalt blickt überrascht hoch.
»Ich habe Eure Handhabung der Keule wiedererkannt. Und jetzt gebt das Medaillon Lisutaris, damit wir uns anschließend Harms entledigen können.«
Der Ermittler schiebt seine Maske hoch und zeigt sein Gesicht. »Das geht leider nicht, Thraxas. Ich arbeite für Rhizinius im Palast. Ich muss ihm das Medaillon bringen.«
»Das ist doch lächerlich.«
»Ich werde nicht dafür bezahlt, darüber zu diskutieren.«
Es ist unerträglich. Nun haben wir so viel mitgemacht, und das Medaillon ist immer noch nicht in unserem Besitz. Ich überschlage gerade in Gedanken die Konsequenzen, wenn Demanius das Medaillon tatsächlich zu Rhizinius zurückbringt, als der Ermittler sich anschickt, wegzugehen.
»Haltet ihn auf!«, ruft Lisutaris.
Demanius hat schon fast den Rand des Wäldchens erreicht, als er zurückzuckt. Ich glaube zuerst, dass Lisutaris ihn mit einem Bann aufgehalten hat. Doch als sein Körper sich dreht und zu Boden stürzt, sehe ich den Armbrustbolzen aus seiner Brust herausragen. Eine andere maskierte Gestalt taucht hinter einem Baum auf. Sie ist groß und schlank, bückt sich, greift sich das Medaillon und verschwindet sofort in der Menge. Im nächsten Augenblick ist sie nicht mehr auszumachen. Sarin die Gnadenlose. An wen sie es wohl diesmal zu verschachern versuchen wird?