6. KAPITEL

Auf dem Rückweg zur Rächenden Axt lege ich einen kurzen Zwischenstopp bei einer Botenstation ein und schicke Lisutaris eine Nachricht. Darin schildere ich ihr die neuesten Entwicklungen. Außerdem schlage ich ihr vor, das Juwel umgehend neu zu lokalisieren und ihre nicht unbeträchtlichen magischen Fähigkeiten endlich wirksam einzusetzen und herauszufinden, was zum Teufel hier eigentlich vorgeht. Sieben Leichen sind eine Menge Tote für ein Medaillon, von dessen Existenz angeblich keiner etwas wissen soll.

Die Sonne steht hoch am Himmel, und es ist unerträglich heiß und staubig. Nichts regt sich, bis auf eine Horde Kinder, die in einer kleinen Fontäne herumtollen, die von dem örtlichen Aquädukt gespeist wird. Noch ein paar Tage wie dieser, dann gehen die Wasservorräte bald zur Neige. Das wird vermutlich einen Aufstand auslösen. Bei meiner momentanen miesen Stimmung hätte ich nichts gegen einen kleinen Aufstand einzuwenden. Ich male mir in den schlimmsten Farben aus, was geschehen wird, jetzt, nachdem ich meine Macht als Tribun eingesetzt habe. Ich werde einen Bericht an die Bonzen des Senats schicken müssen, und sobald der veröffentlicht wird, kann keiner mehr sagen, was passieren wird.

Mir ist völlig klar, dass es an der Innungshochschule keine ordnungsgemäße Untersuchung gegeben haben kann. Der junge Student Rabaxos hatte sein Geld nur für wenige Minuten in dem Schrank deponiert, während er zu einem seiner Tutoren gegangen ist, um seine Arbeit abzugeben. Als er zurückkam, fand er die Tür des Schranks gewaltsam geöffnet vor, und sein Geld war weg. Ich habe die Schränke überprüft. Es sind einfache Holzkisten mit einem kleinen Riegel. Jeder hätte sie in weniger als einer Minute aufbrechen können. Zwar hat niemand den Diebstahl gesehen, aber Makri wurde von verschiedenen Studenten dabei beobachtet, wie sie den Raum mit den Schränken betrat. Das muss etwa zu der Zeit gewesen sein, in der der Diebstahl sich ereignet hat. Abgesehen davon gibt es nicht den geringsten Beweis gegen sie. Was nun aber nicht etwa bedeutet, dass die Angestellten empört über ihren Verweis gewesen wären. Genauso wenig wie die Studenten. Sie sind alle derselben Meinung wie Professor Toarius. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Makris Orgk-Blut durchschlagen und sie mit dem Stehlen anfangen musste.

Normalerweise würde ich ihnen zustimmen. Orgks sind Diebe, Betrüger und Lügner. Man kann einem Orgk keine Sekunde lang trauen. Selbst ein Tröpfchen Orgk-Blut macht aus jeder Person schon ein vollkommen unzuverlässiges Subjekt. Das weiß jeder. Wenigstens in Turai. Bedauerlicherweise weiß ich aber auch, dass Makri das Geld nicht gestohlen hat. Was heißt, dass ich herausfinden muss, wer es war. Das bedeutet eine Menge Aufwand für kärgliche fünf Gurans und einen Haufen Arbeit für mich, für die ich nicht bezahlt werde. Ich schüttele den Kopf. Normalerweise halte ich mich strikt an die eiserne Regel, dass ich nicht unentgeltlich arbeite. Das ruft nur einen falschen Eindruck hervor.

Und was Lisutaris’ Juwel angeht, kann ich nur sagen, dass dieser Fall von Anfang an schief gelaufen ist. Wenn das Medaillon tatsächlich die letzte verlässliche Warnung für Turai gegen eine drohende Orgk-Invasion ist, wird es vielleicht Zeit, ernsthaft in Erwägung zu ziehen, die Stadt zu verlassen. Ganz gleich, was Lisutaris glaubt: Anscheinend wusste jemand sehr genau über dieses Medaillon Bescheid, und zwar vermutlich schon, bevor es gestohlen wurde. Man bringt nicht wegen eines Stücks Talmi einen Haufen Leute um oder brennt eine Kaschemme nieder.

In der Mitte des alten Springbrunnens steht eine kleine Statue von Sankt Quaxinius, wie er zu den Walen spricht. Das Bildnis stellt eine der vielen Großtaten unseres Stadtpatrons dar. Die Legende will wissen, dass die Wale nicht nur voller Tran stecken, sondern auch voller religiösem Wissen sind. Vielleicht wird das dadurch verdeutlicht, dass das Wasser aus dem Mund eines Wals sprudelt. Ich schiebe ein paar Kinder zur Seite und trinke einen Schluck. Dann beäuge ich Sankt Quaxinius.

»Wie sieht es aus? Willst du mir nicht helfen, aus dem ganzen Schlamassel schlau zu werden?« Der Heilige antwortet nicht. Soweit ich weiß, ist mir Sankt Quaxinius noch nie zu Hilfe gekommen. Da ich aber ein Mann bin, der die Aufrufe zum Gebet häufig versäumt, obwohl das regelmäßige Aufsagen der heiligen Verse in Turai sogar gesetzlich vorgeschrieben ist, habe ich wohl keinen stichhaltigen Grund, mich zu beschweren.

In der Rächenden Axt knurre ich Tanrose wegen dieses unwürdigen Ausbruchs von Wettfieber an, und das auch noch in einer Angelegenheit, die sich für profane Wetten keineswegs eignet, nämlich bei Thraxasbezogenen Todesfällen. Ich erwarte mitfühlendes Verständnis von der Köchin. Bedauerlicherweise hat Tanrose aber schlechte Laune und wischt meine Beschwerden einfach zur Seite. Es kommt nur sehr selten vor, dass Tanrose schlechte Laune hat. Offensichtlich hat sie sich mit Ghurd wegen der Bezahlung für Lebensmittel gestritten. Ghurd steht stocksteif am anderen Ende des Tresens und schaut in die entgegengesetzte Richtung. Aber als ich mich mit einem Bier und einem Teller Eintopf in eine Ecke des Schankraums zurückziehe, verlässt er seinen Schmollwinkel und leistet mir Gesellschaft. Er ist auch nicht gerade frohgemut.

»Du solltest niemals einer Köchin vorwerfen, zu viel für Eier und Mehl bezahlt zu haben«, rate ich ihm. »Das zieht nur Scherereien nach sich. Sie glaubt dann, dass du ihre Kochkünste nicht zu schätzen weißt.«

»Es war ein Streit wegen nichts«, protestiert Ghurd. »Tanrose hat mich einfach ohne jeden Grund angeschrien. Es muss an der Hitze liegen.«

Es herrscht einen Moment verlegenes Schweigen zwischen uns. Wir wissen beide, dass der übliche Grund für die seltenen Reibereien zwischen den beiden Ghurds Unfähigkeit ist, seine Gefühle auszudrücken. Mit dem Schwert oder der Axt kann er sehr geschickt umgehen. Es gibt kaum einen Besseren. Aber wenn es darum geht, der Köchin zu gestehen, dass er verrückt nach ihr ist, dann hat er einen Knoten in der Zunge.

»Du wirst es ihr irgendwann irgendwie sagen müssen.« Mir ist unwohl, wie immer, wenn das Gespräch auf solche Themen kommt. »Es ist nicht gut, den ganzen Tag nur liebeskrank herumzujammern wie eine niojanische Hure und sich dann über ihre Haushaltung zu beschweren, weil dir nichts Besseres einfällt.«

Ghurd schüttelt den Kopf. Wegen der unerträglichen Hitze trägt er sein graues Haar offen. Es fällt ihm bis auf die Schultern.

»Das ist nicht so einfach«, meint er nur und versinkt in stumpfes Brüten.

»Frauen sind alle verrückt«, meint Parax, der Schuhmacher. Er mischt sich ungefragt in das Gespräch ein.

Ich sage ihm, er solle Leine ziehen. »Und komm nicht auf die Idee, nach der neuesten Zahl von Leichen zu fragen.«

»Wir haben von den drei letzten schon gehört«, erklärt Parax freudestrahlend. »Macht bis jetzt sieben. Damit liege ich mit meinen zwanzig gut im Rennen.«

»Sülzax, der Metzger, hat eine Menge Geld auf zwanzig bis fünfundzwanzig gesetzt«, meint Ghurd nachdenklich. »Meinst du, dass es so viele werden könnten?«

»Ghurd, was ist in dich gefahren? Wie kannst du eine Wette darauf abschließen, wie viele Tote es bei meinem Fall geben wird?«

»Warum nicht?«, erwidert Ghurd. »Eine Wette ist eine Wette.«

Da hat er Recht.

»Es gibt einfach keine netten Frauen«, nimmt Parax den Faden wieder auf. »Mit meiner Frau kann kein Mann zusammenleben.«

Parax’ Frau wäre sicher glücklicher, wenn ihr Mann mehr Zeit damit verbringen würde, Schuhe herzustellen, und dafür weniger in Kaschemmen herumhocken würde. Aber ich halte den Mund, weil ich nicht in diese Diskussion hineingezogen werden möchte.

»Aber was sollen wir Männer schon tun?«, fährt Parax fort. »Wir müssen uns ihren Launen beugen, herumrennen und nach ihrer Pfeife tanzen. Es ist zwar verrückt, aber so ist das Leben eben.«

Mittlerweile rutscht Ghurd auf seinem Stuhl herum, als würde er geröstet. Es gefällt ihm überhaupt nicht, dass seine Probleme öffentlich von jemandem diskutiert werden, schon gar nicht von einem Schuhmacher, der für seinen Mangel an Taktgefühl berüchtigt ist.

»Sieh Thraxas zum Beispiel«, meint Parax.

Ich richte mich stocksteif auf. »Was ist mit Thraxas?«, erkundige ich mich.

»Na, wo bist du denn gerade gewesen?«

Ich sehe ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Arbeiten.«

»Nach dem, was ich gehört habe, hast du an der Innungshochschule ermittelt. Und schon wieder versucht, für Makri die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen.«

»Was meinst du mit ›schon wieder‹?«

»Komm schon, Thraxas«, höhnt Parax. »Du läufst diesem Weib doch hinterher. Das tust du schon, seit sie in Turai gestrandet ist.«

Ich sollte ihn eigentlich mit einer vernichtenden Replik in Grund und Boden stampfen, aber die schiere Unverfrorenheit von Parax’ Sätzen raubt mir einen Moment die Worte.

»Keine Sorge«, meint der verblödete Schuhmacher kichernd. »Viele Männer sind schon auf Frauen hereingefallen, die halb so alt sind wie sie. Und sie hat eine erstklassige Figur, auch wenn sie Orgk-Blut in den Adern hat. Aber sie ist trotzdem gut genug, um dich im Winter warm zu halten, was, Thraxas?«

»Parax, du bist so blöd wie ein Orgk. Verschwinde und belästige jemand anderen.«

Aber Parax ist ein abgestumpfter Unruhestifter und lässt nicht locker: »Also, wie oft arbeitest du umsonst?«

»Nie.«

»Und wie viel zahlt Makri dir, damit du ihre Probleme bereinigst?«

Meine miese Laune wird noch schlechter. In dem Moment kommt Makri durch die Vordertür und flucht ausgiebig über die entsetzliche Hitze. Ihr verschwitztes, extrem kurzes Männerwams klebt an ihr wie eine zweite Haut.

»Warst du in der Hochschule?«, erkundigt sie sich sofort.

Parax wiehert vor Lachen.

»Was ist denn so komisch?«, erkundigt sich Makri.

»Thraxas«, antwortet Parax keuchend. Aber als er bemerkt, dass ich nach meinem Schwert greife, steht er rasch auf und verlässt unseren Tisch. Makri achtet nicht auf ihn, weil sie zu versessen darauf ist zu erfahren, was in der Hochschule passiert ist.

»Professor Toarius wollte nicht mit mir reden«, antworte ich. »Er scheint dich wirklich zu hassen. Genau genommen hassen dich dort offenbar alle.«

Das trifft Makri sichtlich. Und ich bin hocherfreut.

»Aber Rabaxos glaubt nicht wirklich, dass du sein Geld genommen hast. Er hat dich auch nicht des Diebstahls bezichtigt. Professor Toarius hat einfach voreilige Schlüsse gezogen, und zwar ohne jeden Beweis, wie ich das sehe. Es ist eigenartig, dass der Professor so ungestüm vorgeht. Er muss doch wissen, dass er nicht genug Beweise hat, um meiner Untersuchung standzuhalten.«

»Sein Hass auf mich ist so groß, dass ihm das egal ist.«

»Na gut, du hast trotzdem keinen Grund zu verzweifeln. Und greif ihn bitte nicht mit der Axt an. Ich werde die Angelegenheit klären. Und du kannst deine Prüfung mittlerweile trotzdem ablegen.«

»Das geht? Wieso?«

»Ich habe meine Macht als Tribun eingesetzt, um den Verweis aufzuheben. Das bedeutet, die Angelegenheit muss erst im Senat diskutiert werden, was Wochen dauern kann. Und da du so lange noch Studentin bist, kannst du die Prüfung termingerecht ablegen. Das heißt in drei Tagen.«

Makri ist dankbar, auch wenn man es ihr nicht anmerkt. Sie murmelt ein kaum hörbares »Danke«. Noch eine Person, die in der Öffentlichkeit ungern Gefühle zeigt, es sei denn, ihre Wut treibt sie dazu. Parax sitzt am Nebentisch und kichert. Ich stehe auf.

»Ich gehe ermitteln«, sage ich und steuere auf die Treppe zu. Ich habe mich kaum an meinen Schreibtisch gesetzt, als ein Bote an der Außentür auftaucht. Er hat eine Nachricht von Lisutaris bei sich.

Ich habe meine Nachforschungen ausgedehnt, steht in der Nachricht. Und ich glaube, dass das Juwel jetzt in die Taverne Zum Blinden Klepper nach Kushni gebracht worden ist. Macht Euch unverzüglich dorthin auf den Weg.

Ich schüttele den Kopf. Der Blinde Klepper in Kushni. Ich hätte es ja kaum für möglich gehalten, dass sich das Niveau der Kaschemmen verschlimmern könnte, aber es ist so. Der Blinde Klepper fällt unter die Sorte Kaschemme, bei der man sich glücklich schätzt, wenn man lebendig herauskommt. Wenn die Gäste einen nicht umbringen, erledigt das der Kleeh. Bei dem zweifelhaften Ruf meines nächsten Ziels ziehe ich es vor, mir ein paar Zaubersprüche ins Gedächtnis zu legen. Das ist eine mühsame Angelegenheit. Meine magischen Fähigkeiten, die immer schon eher schwach waren, lassen von Tag zu Tag nach. Ich werbe zwar immer noch damit, dass ich ein magischer Detektiv bin, um überhaupt Aufträge zu ergattern, aber meine Zauberkräfte sind mittlerweile beinah gegen Null gesunken. Bevor ein Zauberer einen Zauber wirken kann, muss er sich jedes Mal den Bann einprägen, und mittlerweile fällt mir das sehr schwer. Plötzlich wummert die Tür unter nachdrücklichen Faustschlägen.

Ich reiße sie ärgerlich auf. Donax, der Unterhäuptling der Bruderschaft, marschiert herein, ohne sich lange bitten zu lassen. Missbilligend nimmt er mit einem kurzen Rundblick den Dreck wahr, was er, wenn ich mich richtig erinnere, auch schon beim letzten Mal gemacht hat.

»Diese Bude wird immer schlimmer.«

»Wenigstens ist sie nicht bis auf die Grundmauern niedergebrannt.«

Donax lächelt. »Wir haben die meisten wichtigen Dinge gerettet. Möchtest du mir nicht verraten, aus welchem Grund mein Hauptquartier angezündet worden ist? Eigentlich sollte ich das wissen. Schließlich bin ich der wichtigste Verbrecherhäuptling in unserem Viertel.«

»Klar, so was ist sicher schlecht für deinen Ruf.«

»Sehr schlecht. Also, wer war es?«

»Woher soll ich das wissen?«

Donax’ Augen funkeln bösartig. »Thraxas, ich stelle dir nur eine freundliche Frage. Und ich bin dir wohlgesonnen, weil du die Geistesgegenwart gehabt hast, meinen nutzlosen Zauberer daran zu erinnern, dass er das Feuer löschen kann. Andernfalls wäre ich hier mit einem Dutzend Männer aufgetaucht. Wenn es dir lieber ist, dass ich mit einem Dutzend Männern herkomme, dann mache ich das. Mir wäre es jedoch lieber, wenn du mir einfach verraten würdest, was hier los ist. Wie ich hörte, hast du dich in der Pickelkeule nach irgendwelchem Schmuck umgehört. Anschließend wurden vier Tote gefunden, und die Garde hat dich stundenlang verhört. Sie haben dich freigelassen und du kamst zur Mehrjungfrau. Im nächsten Moment brennt die Mehrjungfrau bis auf die Grundmauern nieder, und drei Männer liegen erdolcht drin, die zufällig gerade gestohlenen Schmuck verkaufen wollten. Was mich zu der Überzeugung kommen lässt, dass du offenbar einem sehr wertvollen Schmuckstück auf der Spur bist.«

Donax setzt sich. »Hat das etwas mit dem Orgk-Mädchen und der Innungshochschule zu tun?«

Es begeistert mich nicht gerade zu erfahren, dass Donax so genau über mich Bescheid weiß, aber überraschen kann mich das ebenfalls nicht. Donax ist so spitz wie ein Elfenohr, und er verfügt über eine ganze Armee von informellen Mitarbeitern, die für ihn schnüffeln. Nur wenig in ZwölfSeen geschieht, ohne dass Donax davon Wind bekommt.

»Nein. Es hat mit Makri nichts zu tun. Sie hat einen Streit wegen fünf Gurans. Das ist nicht genug, dass es dich interessieren dürfte.«

»Wahrscheinlich nicht. Andererseits: Fünf Gurans sind fünf Gurans.«

Wüstes Geschrei dringt von der Straße in mein Büro. Die beiden Händler liegen sich offenbar immer noch in den Haaren.

Donax weiß offenbar bereits alles über Makris Probleme. »Einer meiner Unterführer schickt einen seiner Söhne auf die Hochschule, damit der dort seinen Abschluss macht und dann auf die Universität gehen kann. Hältst du das für eine gute Idee?«

Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht. Auf jeden Fall besser als das Leben als Verbrecher.«

»Das kommt auf das Verbrechen an. Und nimm mal an, dass der Junge auf die Universität geht und einen Posten im Palast bekommt oder im Justizdomizil und dann Bestechungsgelder von Senatoren annehmen muss. Ist das etwa nicht verbrecherisch?«

»Vielleicht bringt er es ja bis zum Professor. Ich glaube, dass dieser Berufsstand noch recht wenig in Korruptionen verstrickt ist.«

»In Turai ist keiner frei von Korruption. Aber du hast vielleicht trotzdem Recht. Bildung ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Ich habe meine Laufbahn mit sechs angefangen. Ich habe als Botenjunge für einen Buchmacher gearbeitet. Für die Schule blieb da nur wenig Zeit. Aber wenn mein Unterführer seinen Sohn auf die Hochschule schicken will, werde ich ihm keine Steine in den Weg legen.«

Er hält inne, weil ihn der heftiger werdende Streit unten auf der Straße irritiert.

»Und eben dieser Junge erwähnte, dass er nicht glaubt, dass dieses Orgk-Mädchen das Geld genommen hat.«

»Das hat sie auch nicht.«

»Es dürfte dir schwer fallen, das zu beweisen, Detektiv. In der Schule ist Professor Toarius die einzige Autorität. Der Konsul hat ihn zum Dekan ernannt, um den schwer schuftenden Bürgern von ZwölfSeen eine Gunst zu erweisen. Ich bezweifle, dass er dich besonders ernst nehmen wird.«

»Vielleicht doch.«

»Soll ich meinen Einfluss geltend machen? Der alte Toarius wird sich schnell beruhigen, wenn er feststellen muss, dass seine Leute nicht mehr so eifrig weiterarbeiten. Oder vielleicht gar nicht zur Arbeit kommen, weil sie eine geheimnisvolle Warnung erhalten haben.«

Die Bruderschaft könnte die Innungshochschule ganz sicher lahm legen, wenn sie das wollte. Kein Portier oder Lieferant würde gegen ausdrückliche Instruktion seiner Zunft zur Arbeit gehen, und die Bruderschaft besitzt einen sehr großen Einfluss innerhalb der Zünfte.

»Warum willst du mir überhaupt helfen?«

Donax zuckt mit den Schultern. »Wie gesagt, ich hätte nichts dagegen, dir einen Gefallen zu tun, Detektiv. Vorausgesetzt, du erzählst mir etwas über das Schmuckstück. Für wen versuchst du es zurückzuholen?«

»Das dürfte dich nichts angehen.«

»Das höre ich gar nicht gern«, kontert Donax. »Alles in ZwölfSeen geht mich etwas an.«

»Aber nichts von dem, was ich tue, Donax. Du hast vielleicht alle Zünfte in unserem Viertel in der Tasche, aber mich kannst du nicht erschrecken. Warum gehst du nicht einfach deiner Wege?«

»Ich würde sagen, dass es sich um ein sehr wertvolles Schmuckstück handeln muss, wenn Lisutaris dich beauftragt hat, es ihr wiederzubeschaffen. Vermutlich sogar eines mit Zauberkraft.«

Er weiß von Lisutaris? Ich bemühe mich, mir meine Überraschung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.

»Ich habe die Nachricht auf deinem Schreibtisch gelesen, Detektiv«, erklärt Donax.

Ich werfe einen verblüfften Blick auf meinen Schreibtisch. Dort liegt ganz offen Lisutaris’ Nachricht an mich herum. Und jetzt hat Donax sie gelesen. Ich kann einfach nicht fassen, dass ich so sorglos gewesen bin.

Er steht auf. »Weißt du, irgendwie tut mir das Orgk-Mädchen Leid. Sie schuftet hier Tag und Nacht, um ihre Kurse bezahlen zu können. Und das, obwohl sie so verdammt gut mit dem Schwert umgehen kann. Sie sollte für mich arbeiten. Lass mich wissen, wenn du Hilfe bei der Hochschule brauchst. Das geht sicherlich schneller und einfacher, als wenn du deine Macht als Tribun einsetzt. Das wird dich bald in die Bredouille bringen.«

Donax verschwindet, und ich starre auf die Nachricht auf meinem Schreibtisch. Thraxas, die unbestrittene Nummer eins, wenn es um Ermittlungen geht, wie ich gern sage. Aber nicht so gut, wenn er seine Angelegenheiten privat halten will. Ich fluche. Jetzt weiß die Bruderschaft, dass ich eine wichtige Sache für Lisutaris, Herrin des Himmels, suche, die Oberhexenmeisterin der Zauberergilde. Und keiner weiß, was sich daraus alles entwickeln kann.

Makri stürmt in mein Zimmer. Wie immer ohne anzuklopfen. Sie will wissen, wie die Ermittlungen im Fall Lisutaris stehen. Ich habe ihr schon gestern die meisten Einzelheiten geschildert. Es hat mich ein wenig überrascht, als ich vor mehreren Monaten erkannt habe, dass ich Makri mittlerweile über meine Geschäfte ins Bild setze. Es gibt zwar keinen Grund, das nicht zu tun, aber ich breche damit meine langjährige Gewohnheit, über berufliche Informationen Stillschweigen zu bewahren.

»Es wird immer schlimmer. Ich vermute, dass derjenige, der diese ganze Sache losgebrochen hat, nicht sonderlich verschwiegen gewesen ist. Entweder hat der ursprüngliche Dieb oder die Person, die ihm die Information gegeben hat, die halbe Stadt darüber informiert, wie wichtig das Medaillon ist. Und jetzt hat sich Donax auf die Fährte gesetzt.«

»Wie hat er davon erfahren?«

»Die Bruderschaft hat ihre Spione überall.«

Makri überlegt, wie viele Leute von dem Medaillon wissen können.

»Eigentlich nur sehr wenige, jedenfalls wenn man Lisutaris glauben soll. Der König, der Konsul, der Vizekonsul und vielleicht ein paar hochrangige Zauberer. Keiner von denen dürfte etwas ausplaudern, aber wer weiß schon, wer noch an diese Informationen gekommen ist und sie weitergegeben hat? All diese Leute haben Bedienstete, und Diener kann man leicht bestechen. Lisutaris’ Sekretärin kann sehr wohl von der Macht des Juwels erfahren haben. Ich würde sie gerne befragen, aber aus irgendeinem Grund verbietet mir Lisutaris das.«

»Sie beschützt ihre Sekretärin wirklich sehr«, meint Makri.

»Woher weißt du das?«

»Das hat sie mir auf dem Zaubererkonvent verraten. Als wir eine Thazisrolle geraucht haben. Avenaris ist, glaube ich, eine jüngere Verwandte von ihr. Eine Nichte oder so was.«

»Du stehst ja auf sehr vertrautem Fuß mit unserer Oberhexenmeisterin.«

»Weißt du, dass sie mich zu ihrem Maskenball eingeladen hat?«, erkundigt Makri sich strahlend.

»Nein, wirklich?«

»Welches Kostüm soll ich anziehen?«

»Warum sollte ich mit dir über Kostüme reden? Ich bin immer noch wütend darüber, dass du Wetten auf meine Arbeit abgibst.«

»Ich habe nicht damit angefangen«, beschwert sich Makri. »Ich habe nur mitgemacht, als Moxalan angefangen hatte, Wetten anzunehmen. He, als ich in Turai angekommen bin, wusste ich nicht einmal, wie das geht. Du selbst hast es mir beigebracht!«

Da hat sie nicht ganz Unrecht.

»Ich habe dich aber nicht ermutigt, auf solche Dinge zu wetten.«

»Hast du mir nicht einmal selbst erzählt, wie du und Ghurd eine Wette abgeschlossen habt, wie lange euer kommandierender Offizier noch leben würde, nachdem ihn die Pest erwischt hat?«

»Das war etwas anderes. Es war Krieg. Und den kommandierenden Offizier mochte niemand.«

»Du bist nur gereizt, weil du nicht selbst von Anfang an daran beteiligt warst«, schließt Makri messerscharf. »Wenn du von allein darauf gekommen wärst, hättest du mich selbst losgeschickt, irgendwelche anonymen Gebote in deinem Namen abzugeben.«

»Das stimmt nicht. Wir reden hier von meiner Arbeit. Ich trage eine gewaltige Verantwortung für meine Klienten. Wie wird sich Lisutaris wohl fühlen, wenn sie erfährt, dass die dekadenten Gäste der Rächenden Axt Wetten darauf abschließen, wie viele Leute ihre Toga abgeben, bis der Fall abgeschlossen ist?«

»Moxalan bietet fünfzig zu eins für die genaue Zahl«, erklärt Makri.

»Wirklich? Fünfzig zu eins?«

»Und zwanzig zu eins für einen Tipp, der bis auf drei Ziffern an die genaue Zahl herankommt.«

»Ich bin nicht an irgendwelchen Quoten interessiert«, erwidere ich streng.

»Natürlich nicht«, meint Makri. »Es wäre sehr unethisch.

Obwohl du jemand wärst, der viele vertrauliche Informationen hätte und deshalb gewaltig im Vorteil wäre, wenn es um eine Wette bei der sehr interessanten Quote von fünfzig zu eins geht…«

Ich schüttele den Kopf. »Bisher hat mich noch nie jemand eines unethischen Verhaltens bezichtigt.«

»Das ist einfach lächerlich«, behauptet Makri. »Die Leute beschuldigen dich ständig irgendwelchen unethischen Verhaltens. Niemand in ganz Turai wird häufiger wegen unethischen Verhaltens getadelt als du. Erst letzte Woche …«

»Das reicht jetzt«, unterbreche ich Makri, bevor sie die verheerende Geschichte, die sie zweifellos auf Lager hat, auswalzen kann. Ich wechsle das Thema und frage sie, ob Ghurd und Tanrose mittlerweile Anstalten machen, sich wieder zu vertragen.

»Nein. Sie streiten immer noch.«

Das ist schlimm. Wenn die Sache kritisch wird und Tanrose die Kaschemme verlässt, werde ich ihre Kochkünste ganz schrecklich vermissen. Ich leide immer noch unter dem plötzlichen Tod von Marzipixa, der Bäckerin, letztes Jahr. Sie starb an einer Überdosis Boah. Ihre Tochter hat zwar die Bäckerei übernommen, aber es ist nicht mehr dasselbe. Marzipixa wusste wirklich, wie man Teig zubereitet. Das ist eine seltene Gabe.

Makri wirkt nachdenklich.

»Ich war Gladiatorchampion. Und ich habe eine schwächliche Elfe so gut unterwiesen, dass sie in einem Wettkampf gesiegt hat. Und ich bin die Kursbeste in jedem Fach.«

»Und?«

»Also habe ich natürliche Talente. Ich habe mir zwar nie vorgestellt, sie zur Lösung der Probleme anderer einzusetzen, aber wenn ich mich darauf konzentriere, könnte ich den beiden vielleicht helfen.«

»Mach das, Makri.«

Der Gedanke, dass Makri sich in Beziehungsberatung versucht, lässt mich schaudern. Ich zittere immer noch, als ich die Kaschemme verlasse und an den streitenden Straßenhändlern vorübergehe. Falls Makri sich in den Kopf setzt, den Bruch zwischen Ghurd und Tanrose zu kitten, dann weiß Gott allein, welches Desaster dabei herauskommt.