1. KAPITEL
Es ist Sommer. Es ist heiß. Und die Stadt stinkt. Ich wurde soeben vor Gericht als Lügner beschimpft und Ziel eines Schwalls von Beleidigungen, unter dem selbst eine Statue zusammengezuckt wäre. Ich bin so gut wie pleite, habe keinen neuen Auftrag in Aussicht und brauche dringend ein Bier. Das Leben im Allgemeinen und im Besonderen ist eher hart zu mir. Und es ist kein guter Moment für meine verrückte Gefährtin Makri, mir die Ohren damit vollzujammern, dass sie eine Prüfung ablegen muss.
»Gut, dir steht eine Prüfung bevor. Du wolltest doch unbedingt auf die Innungshochschule gehen. Was hast du denn erwartet?«
»Hier handelt es sich nicht einfach um eine schriftliche Klausur. Ich muss nach vorn kommen und vor dem ganzen Kurs reden. Dabei habe ich ein schlechtes Gefühl.«
»Du hast in den Gladiatorensklavengruben gekämpft. Da solltest du eigentlich an Zuschauer gewöhnt sein.«
Makri schüttelt so heftig den Kopf, dass ihre schwarze Mähne auf ihrem schmalen Rücken tanzt. Unter diesem Haarhelm verbergen sich Makris spitze Elfenohren. Die ihr häufig Schwierigkeiten einbringen.
»Das war etwas anderes. Damals habe ich Orgks niedergemetzelt. Das war längst nicht so anstrengend, wie vor einer Gruppe von Studenten reden zu müssen. Bei denen handelt es sich ausschließlich um Händlersöhne mit viel Geld und Dienstboten in ihren Villen. Sie verspotten mich immer, weil ich nur eine Kellnerin bin. Und außerdem: Wie soll ich mich ordentlich vorbereiten, wenn es in der Stadt heißer ist als in der orgkischen Hölle und stinkt wie in einem Abwasserkanal?«
Die Sommer in Turai sind nie sonderlich angenehm, und dieser Sommer verspricht genauso mies zu werden wie der letzte, als Hunde und Menschen auf den Straßen zusammenbrachen und das Hauptaquädukt von ZwölfSeen achtzehn Tage hintereinander trocken war – ein neuer Rekord.
Makri lamentiert weiter über ihre bevorstehende Prüfung, aber ich bin von meiner jüngsten Erfahrung vor Gericht noch zu sehr in Beschlag genommen, als dass ich auf sie achten könnte. Vor einigen Monaten habe ich einen Dieb am Hafen auf frischer Tat ertappt, einen gewissen Baxin. Er hat Elfenwein gestohlen. Ich habe ihn verfolgt und dingfest gemacht und ihn zusammen mit einem Haufen von Beweisen der Transportgilde überantwortet. Bedauerlicherweise hat es einen turanianischen Kriminellen noch nie daran gehindert, selbst dann mit einer ausgezeichneten Verteidigung vor Gericht aufzuwarten, wenn er in flagranti erwischt worden ist. Dieser widerwärtige Winkeladvokat in der Anwaltstoga, den Baxin angeheuert hat, konnte die Jury tatsächlich davon überzeugen, dass sein armer Mandant nur das unschuldige Opfer einer Verwechslung geworden ist. Der eigentliche Kriminelle in diesem Fall, so legte der Kerl dar, wäre der berüchtigt unzuverlässige Detektiv Thraxas, ein Mann, dessen fragwürdiger Charakter schließlich stadtbekannt wäre.
»Verdammter Mist, letzten Winter hat niemand von meinem fragwürdigen Charakter geredet, als ich die Stadt vor Schande bewahrt habe. Ganz zu schweigen davon, dass Lisutaris nur durch meine Hilfe zur Oberhexenmeisterin der Zaubererinnung gewählt worden ist. Da hieß es nur: ›Danke, Thraxas, du bist ein Held.‹«
»Na ja, wörtlich hat das eigentlich keiner gesagt«, wendet Makri ein.
»Das hätten sie aber tun sollen.«
»Wenn ich mich recht erinnere, habe ich sogar einige Zauberer murmeln hören, dass du von Rechts wegen ins Gefängnis gehören würdest. Und der Vizekonsul war sehr ärgerlich, dass du am letzten Tag des Zaubererkonvents volltrunken aufgekreuzt bist. Und zudem hat auch der Konsul gedroht …«
»Ja, fein, Makri. Du musst mir die Undankbarkeit dieser Stadt nicht bis in die kleinste Einzelheit unter die Nase reiben. Gäbe es auch nur ein Fünkchen Gerechtigkeit auf dieser Welt, dann würde ich jetzt neben einem Schwimmbecken im Palast herumliegen, statt zu einer Kaschemme im schlimmsten Viertel der Stadt zurückzulatschen.«
Wir kämpfen uns weiter durch die unerträgliche Hitze. Ganze Rudel von Hunden liegen bewegungslos auf den Straßen herum. Deren Lehm wird von der Hitze gebacken. Bettler kauern verzweifelt an jeder Straßenecke. Willkommen in ZwölfSeen, dem Heim der Einwohner unseres Stadtstaats, mit denen es das Leben nicht gerade rosig meint. Seeleute ohne Schiff, Arbeiter ohne Arbeit, Söldner ohne Schlachten, heruntergekommene Huren, zwielichtige Zuhälter, schonungslose Schläger, armselige Ausreißer und der ganze Bodensatz der Unterschicht, die sich allesamt gerade so durchschlagen. Und von denen keiner härter ums Überleben kämpft als der magische Detektiv Thraxas, Ex-Palast-Ermittler, Ex-Soldat, Ex-Söldner, ständig pleite, rapide alternd, übergewichtig, ohne jede Perspektive auf Besserung, und der wirklich dringendst ein Bier braucht.
»Ich bin sicher, dass nicht alle Studenten an der Innungshochschule vor dem ganzen Kurs referieren müssen«, fährt Makri fort. Sie scheint nicht zu bemerken, dass ich mich im Moment nicht gerade brennend für ihre Probleme interessiere. »Professor Toarius zwingt mich nur dazu, weil er mich hasst. Er erträgt es einfach nicht, dass ich eine Frau bin. Und mein orgkisches Blut kann er auch nicht riechen. Seit ich mich eingeschrieben habe, hat er es auf mich abgesehen. ›Mach dies nicht! Lass das gefälligst!‹ Überall fadenscheinige Einschränkungen. ›Du darfst während der Rhetorikkurse kein Schwert tragen.‹ Oder: ›Bedrohe deinen Philosophietutor nicht mit der Axt!‹ Ich sage dir, Thraxas, er macht mir das Leben wirklich schwer.«
»Sehr schwer, Makri, wirklich. Und jetzt hör endlich auf, mir von deiner verdammten Prüfung vorzujammern.«
Von der Stadtmitte Turais bis zum Mond-und-Sterne-Boulevard ist es eine weite Strecke. Als wir endlich die Ecke des Quintessenzwegs erreichen, schwitze ich wie ein Schwein. Ich würde mir ja eine Wassermelone vom Markt kaufen, wenn ich nicht meinen letzten Guran, den ich besessen habe, bei einer gewagten Investition verloren hätte. Ich habe auf einen Wagen gesetzt, der möglicherweise das Rennen gewonnen hätte, wäre er nicht von einem Orgk-Schätzchen von Fahrer gelenkt worden, der über zwei linke Hände und einen armseligen Orientierungssinn verfügte.
In den schmalen Gassen handeln Jugendliche mit Boah. Boah ist eine sehr wirksame Droge, welche die Stadt in ihrem Würgegriff hält. Die Zivilgarde ist von der Bruderschaft entweder bestochen oder eingeschüchtert worden und drückt beide Augen zu. Die Süchtigen beäugen uns, während wir vorübergehen und überlegen, ob wir vielleicht lohnende Opfer für einen schnellen Straßenraub sein könnten. Aber beim Anblick der Schwerter an Makris Hüften und meiner stattlichen Figur lassen sie ihre Absichten schnell fallen. Es ist überflüssig, sich mit uns anzulegen, wo sie doch jede Menge leichterer Opfer finden können.
Die Sonne brennt unbarmherzig auf uns herab. Auf dem Marktplatz wirbeln die zahlreichen Kunden eine erstickende Staubwolke auf. Als wir endlich in der Rächenden Axt ankommen, bettle ich geradezu nach einem Bier. Ich marschiere hinein, dränge mich durch die Nachmittagstrinker und greife nach dem Tresen, wie ein Ertrinkender ein Rettungsseil umklammern würde.
»Bier. Schnell.«
Die Kaschemme gehört Ghurd, einem Barbaren aus dem Hohen Norden. An der Seite dieses Mannes habe ich auf der ganzen Welt gefochten. Deshalb erkennt er meinen verzweifelten Zustand auch sofort, verzichtet auf Höflichkeitsfloskeln und füllt mir einen Krug. Ich leere ihn mit einem Zug und schnappe mir rasch den nächsten.
»Ist es vor Gericht schlecht gelaufen?«
»Sehr schlecht. Sie haben Baxin freigesprochen. Jetzt bekomme ich nicht mal den Verurteilungsbonus. Und du wirst nicht glauben, welche Dreckskübel die Anwälte über mich ausgegossen haben. Ich sage dir eins, Ghurd: Ich habe diese stinkende Stadt bis obenhin satt. Man kann hier keine ehrliche Arbeit verrichten, ohne dass ein korrupter Bonze einen in den Schmutz zieht.«
Mein Krug ist leer.
»Was ist los? Herrscht hier etwa Biermangel?«
Ghurd reicht mir den dritten Krug und grinst mich an. Er ist um die fünfzig, und nach seinem aufregenden Leben als Söldner genießt er das friedliche Dasein in seiner Kaschemme. Früher einmal war er ein wüster Krieger, doch jetzt ist er noch gutmütiger als ich. Natürlich war Ghurd auch klug genug, so viel Geld zu sparen, dass er sich davon eine Kaschemme kaufen konnte. Ich habe meinen ganzen Sold verspielt. Oder versoffen.
Bei meinem vierten Bier beklage ich mich lauthals bei niemandem im Besonderen darüber, dass Turai zweifellos die schlimmste Stadt im ganzen Weiten Westen ist.
»Ich sage Euch, ich hab mich schon in Orgk-Dörfern herumgetrieben, in denen es zivilisierter zuging als bei uns. Wenn mich die Bonzen das nächste Mal anflehen, dass ich ihnen den Karren aus dem Dreck ziehen soll, können sie lange warten. Sollen sie sich doch woanders umsehen!«
Doch auch das Bier kann meine Stimmung nicht heben. Selbst Tanroses Wildeintopf richtet nichts aus. Als die Kaschemme sich allmählich mit Hafenarbeitern füllt, die von ihrer Nachmittagsschicht aus den Lagerhäusern hereinschauen, schnappe ich mir noch ein Bier und gehe nach oben. Ich war einmal Hoher Ermittler im Palast und lebte in einer schnuckeligen Villa in Thamlin. Jetzt hause ich in zwei schäbigen Zimmern über einer Kaschemme. Das stimmt mich nicht gerade zufrieden mit meinem Leben. Makri wohnt in einer anderen Kammer auf derselben Etage. Ich stoße fast mit ihr zusammen, als sie herauskommt. Sie hat ihr winziges, zweiteiliges Kettendress angezogen, wie immer, wenn sie ihre Schicht als Kellnerin anfängt.
»Schon bessere Laune?«, erkundigt sie sich.
»Nein.«
»Seltsam. Normalerweise müssten doch acht oder neun Biere reichen. Was hast du denn? Du bist doch schon früher vor Gericht beschimpft worden. Wenn ich mich recht erinnere, bist du doch sogar noch letztes Jahr im Senat kritisiert worden, hab ich Recht?«
»Allerdings. Ich wurde sogar von den Besten behelligt. Ist dir eigentlich klar, dass ich mich an demselben Punkt befinde wie damals, als du vor zwei Jahren angekommen bist?«
»Du meinst, du bist betrunken?«
»Nein, ich bin pleite. Ohne einen Heller auf der Naht. Ich bin darauf angewiesen, dass Ghurd mir Kredit für mein Bier gewährt, bis irgendein Nichtsnutz durch die Tür stolziert und mich bittet, in irgendeinem Fall zu ermitteln. Zweifellos werde ich dabei meinen Hals riskieren, und das für lausige dreißig Gurans am Tag. Das ist nicht gerecht. Bedenke nur, was ich alles für die Stadt getan habe. Ich habe in den Kriegen gekämpft, habe die Niojaner zurückgehalten und die orgkischen Horden zurückgetrieben. Hat mir jemals jemand dafür einen Orden an die Brust geheftet? Kein Gedanke daran! Und wer hat die Stadt gerettet, als Harm der Mörderische versucht hat, Turai mit seinem Acht-Stadien-Terror auszuradieren? Ich. Erst letzten Winter habe ich sozusagen im Alleingang dafür gesorgt, dass eine Turanierin Oberhexenmeisterin der Zaubererinnung wurde.«
»Dabei habe ich dir geholfen.«
»Ein bisschen. Was aber nichts an der Tatsache ändert, dass ich Besseres verdient hätte, als in dieser miesen Taverne zu vergammeln. Ich sollte im Palast arbeiten.«
»Da warst du doch angestellt. Sie haben dich gefeuert, weil du getrunken hast.«
»Das unterstreicht nur meinen Standpunkt. Es gibt einfach keine Dankbarkeit. Eines kann ich dir sagen: Wenn dieser nutzlose Vizekonsul Zitzerius sich noch einmal hier blicken lässt und meine Hilfe sucht, schiebe ich ihm einen Drachenzahn in seinen Rüssel und schicke ihn in die orgkische Hölle. Sollen sie doch alle zur Hölle gehen!«
»Es ist einfach nicht fair!«, erklärt Makri.
»Damit hast du verdammt Recht!«
»Ich verstehe einfach nicht, warum ich diese mündliche Prüfung ablegen soll. Ich muss so viel kellnern, dass ich kaum Zeit für mein Studium habe.«
Für ihr Gejammer habe ich nur einen verächtlichen Blick übrig. Ich sehe das folgendermaßen: Wenn jemand, der Elfen-und Orgk-Blut sowie einen Schuss Menschenblut in den Adern hat, beschließt, seine Wächter niederzumetzeln, in die Zivilisation zu entkommen, und sich dann sofort an einer Hochschule einschreibt, hat er sich seine Probleme selbst zuzuschreiben. Makri hätte Gladiatorin bleiben sollen. Davon verstand sie wirklich etwas. Sie war unbesiegter Champion. Sie ist schlicht gesagt die wildeste Kämpferin, die ich im Weiten Westen jemals gesehen habe. Das Abschlachten von Gegnern zählt zu ihrer Spezialität. Die Innungshochschule dagegen ist eine alberne Institution, die ein langes Studium der Rhetorik, Philosophie, Mathematik und Gott weiß was sonst noch verlangt. Kein Wunder, dass Makri unter Druck steht. Diese … Frau, ich benutze einmal diesen in ihrem Fall etwas ungenauen Begriff, schwebt, selbst wenn sie gute Laune hat, am Rande des Wahnsinns. Vermutlich ist das ein Resultat ihres gemischten Bluts, ihrer spitzigen Elfenohren und ihres Glaubens, dass alle Fährnisse des Lebens im Zweifelsfall mit einigen wohlgesetzten Schwerthieben gelöst werden können. Makri geht nach unten. Ich nehme mein Bier mit in meine Zimmerflucht, schlage die Tür hinter mir zu und befreie mein Sofa von dem Müll, der sich darauf angesammelt hat. Ich habe die Nase voll. Diese Armut macht mich fertig. Es muss für einen begabten Mann wie mich doch einen Weg geben, hier in dieser Stadt weiterzukommen. Ich trinke mein Bier aus. Nach einer Weile krame ich eine Flasche Kleeh aus einer Schublade meiner Kommode und mache damit weiter. Der Kleeh rinnt mir brennend die Kehle hinunter. Das ist beste Qualität, gebrannt in den Hügeln von Turai. Die Sonne bahnt sich den Weg durch die Löcher in den Vorhängen. In meinen Räumen ist es heißer als in der orgkischen Hölle. Wie soll ein Mensch bei einer solchen Hitze nachdenken? Vermutlich werde ich meine Tage in ZwölfSeen beschließen, pleite, wütend und unbetrauert. Ich leere die Kleehflasche, werfe sie in den Müll und schlafe ein.