5. KAPITEL

Die trockenen heißen Sommer machen Turai sehr anfällig für verheerende Feuersbrünste. Glücklicherweise ist die Feuerwehr der Stadt ziemlich auf Zack. Einige halten sie sogar für die beste der ganzen zivilisierten Welt. Angesichts der Tatsache, dass der größte Teil unserer Stadt aus großen Holzgebäuden errichtet ist, die sich dicht aneinander drängen, wäre auch alles andere zu wenig. Nachdem die halbe Stadt vor etwa siebzig Jahren beinah vollständig niedergebrannt ist, gab es nachdrückliche Bemühungen, unsere Fähigkeiten zur Feuerbekämpfung zu verbessern. Dank einer ganzen Reihe von Beschlüssen des Senats müssen die Präfekten, die die Viertel regieren, eine ausreichende Zahl von Wasserkarren stellen und unterhalten. Zusammen mit der Ausrüstung und Personal, das sie bemannt. Während des letzten Krieges kam uns das gut zupass. Damals haben die Orgks Turai belagert und mit ihren Katapulten Feuerbälle über die Mauern geschleudert. Aber sie konnten die Stadt damit nicht wie beabsichtigt zerstören. Etwa um dieselbe Zeit hatte ein fähiger Ingenieur der Armee eine neue Art Wasserpumpe entwickelt, die in den Händen einer starken Mannschaft in der Lage ist, Wasser unter Druck beinah fünfzig Meter weit zu spritzen. Mit diesem Werkzeug bewaffnet haben unsere Feuerwehrmänner in den letzten Jahren heroisch ihren Dienst versehen. Sie bilden eine der wenigen Gruppierungen der Stadt, die ausnahmslos von allen Bewohnern Turais bewundert werden.

Als sich die Kaschemme leert und der Rauch aus den Fenstern dringt, werden die ersten Rufe nach der Feuerwehr laut. Eine Alarmglocke wird geschlagen, und die Leute blicken erwartungsvoll auf das Ende der Gasse. Sie erwarten, jeden Augenblick die Pferdefuhrwerke der Wehr zu sehen. Aber nichts passiert. Es kommt keiner. Als Donax, der Bruderschaftsunterhäuptling, begreift, dass sein Hauptquartier in Flammen aufgehen wird, verfällt er in eine gewisse Hektik. Er schreit seine Leute an, Wasser aus den Nachbarhäusern zu holen, und droht ihnen mit der Faust, um sie ein bisschen anzuspornen. Doch so wie die Flammen um sich greifen, bezweifle ich, dass es viel nützen wird.

Normalerweise würde es mich ja freuen, die Mehrjungfrau niederbrennen zu sehen, aber dann fällt mir ein, dass dies meinen unmittelbaren Zwecken eher abträglich ist. Ich gehe zu Donax hinüber. Er beachtet mich nicht, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, seinen Laden zu retten. Da kann er keine Sekunde für einen unwillkommenen Detektiv erübrigen. Ich packe ihn am Arm.

»Vergisst du nicht etwas, Donax?«

Ich deute auf einen jungen Mann in einem schicken Umhang, der auf der Gasse hockt. Entweder hat er Rauch inhaliert, oder er leidet noch unter dem Schock, dass er mir nichts, dir nichts aus einem brennenden Gebäude gezerrt wurde. Was wahrscheinlicher ist.

»Dein Schoßzauberer.«

»Was?«

»Orius. Oder, um seinen vollen Namen zu nennen, Orius Feuerzähmer. Dieser Name legt meiner Meinung nach nahe, dass er vielleicht in der Lage sein sollte, etwas Wirkungsvolles zu unternehmen.«

Donax verschwendet keine Zeit. Im Handumdrehen hat er den unseligen jungen Mann auf die Füße gezerrt und schiebt ihn zum Feuer.

»Mach’s aus!«, schreit Donax.

Orius sieht aus, als würde er sich lieber woanders in Ruhe um seine angeschlagene Gesundheit kümmern. Er hat Mühe, gerade zu stehen. Ich kann nicht behaupten, dass er mir sonderlich Leid tut. Ich fand es sowieso keine gute Idee von dem jungen Zauberer, sich mit der Bruderschaft einzulassen. Das Leben als Bruder lohnt sich zwar, aber manchmal kann es auch ganz schön hart sein.

Gerade als es so aussieht, als würden die Flammen die ganze Kaschemme verzehren, kommt Orius wieder zu Atem und sammelt sich. Er singt eine Anrufung. Die Flammen scheinen schwächer zu werden. Er singt den Zauber erneut, und die Flammen erlöschen. Die Menge jubelt. Orius Feuerzähmer bricht auf der Stelle zusammen. Ich muss zugeben, dass dies ein sehr ordentliches Stück Zauberei war, vor allem unter diesen schwierigen Umständen.

Donax jedoch verschwendet keine Zeit damit, seinem Zauberer zu gratulieren. Er muss überprüfen, ob sein Hauptquartier noch unversehrt ist, also betritt er rasch die Kaschemme und bedeutet seinen Handlangern, ihm zu folgen. Ich schließe mich ihnen an, auch ohne ausdrückliche Einladung. Das Gebäude hat nicht zu stark gelitten. Ein Teil des Dachs ist zwar eingebrochen, aber Orius hat den Flammen Einhalt geboten, bevor sie die Substanz beschädigen konnten. Der Rauch beißt in meinen Lungen, und ich huste, während ich mich umsehe. Ich weiß zwar nicht genau, wonach ich suche, aber ich habe auch keine Chance, das herauszufinden. Donax bemerkt mich und will wissen, was ich hier mache.

»Ich wollte dir nur einen Besuch abstatten. Und eigentlich schuldest du mir etwas, weil ich dich an Orius Feuerzähmer erinnert habe.«

»Ich schicke dir eine Schachtel Pralinen«, knurrt Donax. »Und jetzt verschwinde!«

»Du willst mir nicht zufällig erzählen, wie das Feuer ausgebrochen ist?«

»Ich will dir gar nichts erzählen. Aber vielleicht möchtest du ja etwas loswerden.«

Ich schüttele den Kopf. »Ich weiß nur, dass Prätor Calvinius das Geld, das er für Feuerfuhrwerke ausgeben sollte, in die eigene Tasche steckt.«

»Und was hast du hier zu suchen? Es macht mich misstrauisch, wenn Detektive in dem Moment auftauchen, in dem mein Haus Feuer fängt.«

Donax starrt mich an und ich stiere zurück. Wir sind in der Vergangenheit einige Male aneinander geraten. Nichts wirklich Ernstes. Allerdings auch nichts, was uns zu lebenslangen Freunden machen würde. Um uns herum ersticken die Männer der Bruderschaft die letzten Flammen und tragen Kisten hin und her. Vermutlich Diebesgut, möglicherweise aber auch Donax’ Akten. Donax ist ein sehr durchorganisierter Bursche. Das sind die Häuptlinge der Bruderschaft alle. Organisiert und gewalttätig. Ich beschließe, ihm zu verraten, warum ich hier bin.

»Ich suche nach einem gestohlenen Schmuckstück. Es hat die Form eines Medaillons.«

»Und?«

»Es wurde einem Magier gestohlen. Und der hat es bis hierher verfolgt.«

»Dann hat sich der Zauberer geirrt.«

»Das bezweifle ich. Außerdem würde er sehr gut zahlen, um es zurückzubekommen. Es ist ein altes Familienerbstück.«

Noch bevor Donax antworten kann, wird er von Conax unterbrochen. Das ist einer seiner ganz harten Vollstrecker.

»Sie sind tot«, erklärt Conax.

»Wer ist tot?«

»Die drei Fremden, die zu Euch wollten. Sie sind noch oben. Aber sie sind tot.«

»Verbrannt?«, fragt Donax.

»Nein. Erstochen.«

Donax runzelt die Stirn.

»Was soll das heißen, erstochen? Hier wird niemand erstochen, außer auf meinen Befehl.«

»Das waren nicht zufällig drei Männer, die hierher gekommen sind, um dir gestohlenen Schmuck anzudrehen?«, erkundige ich mich liebenswürdig.

Donax starrt mich an. »Es wird Zeit, sich zu verabschieden, Detektiv«, sagt er schließlich.

Ich weiß, dass ich hier nicht mehr erfahren werde, und wende mich zum Gehen. Donax ruft mich zurück. Als ich mich umdrehe, grinst er mich spöttisch an.

»Das macht sieben, wenn ich richtig gezählt habe.«

»Sieben?«

»Sieben Leichen. Willst du mir und Conax hier nicht eine kleine vertrauliche Information zustecken, hm? Wir spielen mit dem Gedanken, eine kleine Wette bei dem jungen Moxalan zu riskieren.«

Sein Handlanger Conax lacht, als wäre das der beste Witz seines Lebens. Ich versuche, meine Gefühle zu verbergen, aber ohne viel Erfolg. Jetzt weiß also schon die Bruderschaft von der Wette in der Rächenden Axt. Dann kann es nicht mehr lange dauern, bis ganz ZwölfSeen informiert ist. Vielleicht sogar die ganze Stadt. Ich werde sehr bald das Gespött der Leute sein. Diese blöde Dandelion und ihre seltsame Warnung.

Ich habe das Medaillon zwar nicht zurückholen können, aber meine Intuition sagt mir, dass diese drei Kerle, wer sie auch immer gewesen sein mögen, es bei sich hatten. Jemand hat sie deswegen umgebracht und sich damit aus dem Staub gemacht. Vermutlich hat die Person das Feuer als Ablenkung gelegt. Das war eine erstklassige Arbeit. Es ist nämlich nicht gerade ein Kinderspiel, der Bruderschaft gestohlene Ware vor der Nase wegzuschnappen.

Ich bin erleichtert, als ich die verrauchte Kaschemme verlasse. Allerdings hält sich die Erleichterung in Grenzen, als die Sonne mich mitten ins Gesicht trifft. Trotz der Aufregung, die das Feuer verursacht hat, gehen die Boahhändler in den Gassen unbeeindruckt ihren Geschäften nach.

Noch drei Tote. Das macht sieben, seit ich mit der Suche angefangen habe. Ein Blutbad? Wahrscheinlich hatte Dandelion Recht. Und möglicherweise kann sie ja tatsächlich etwas aus den Sternen lesen. Eventuell sogar mit den Delfinen reden. Auf wie viele Tote Makri wohl gewettet hat? Vermutlich setzt sie auf eine recht hohe Gesamtzahl. Sie ist schließlich Gemetzel gewöhnt. Da ich so wütend auf Makri bin, spiele ich mit dem Gedanken, die Ermittlungen wegen der Diebstahlsanklage gegen sie einfach zu verweigern. Soll sie es doch selbst klären. Ich seufze. Es würde ihr gar nichts ausmachen, wenn ich es ihr überlassen würde. Nur dass sie dann aller Voraussicht nach am Galgen endet. Ich verfluche die Frau wegen ihrer albernen akademischen Absichten und mache mich auf den staubigen Weg zur Hochschule.

Die Innungshochschule befindet sich am Rand von Pashish, einem etwas weniger abweisenden Viertel als ZwölfSeen. Die Straßen sind zwar auch hier eng, aber sauberer, und die Aquädukte sind in gutem Zustand. Es gibt weniger Gebäude, und sie haben mehr Raum. Hier und da dienen sogar kleine Parks als Erholungsstätten für die Familien der Handwerker und Minderkaufleute. Es sind die Söhne dieser Handwerker und Minderkaufleute, die die Innungshochschule besuchen. Einige bereiten sich dort auf eine Karriere im Staatsdienst vor, und einige wenige sogar auf einen Besuch der Kaiserlichen Universität.

Makri ist meines Wissens nach die einzige Frau, die die Innungshochschule besucht. Sie wurde erst aufgenommen, nachdem eine anonyme, aber sehr wohlhabende Frau, genau genommen Prinzessin Du-Lackal, ihr Anliegen unterstützt hat. Sie wollte wohl etwas beweisen. Die Hochschule musste daraufhin zu ihrem höchsten Missfallen erkennen, dass in ihrer Verfassung Frauen der Besuch nicht ausdrücklich verboten wird. Und so wurden ihre Lehrer plötzlich widerstrebende Ausbilder einer gemischtblütigen Ex-Gladiatorin. Wenn ich Makri richtig verstehe, versuchen die Professoren seitdem, sie loszuwerden. Vermutlich wäre ihnen das auch längst gelungen, wenn Makri und ich letztes Jahr nicht ausgesprochen gute Arbeit für Vizekonsul Zitzerius geleistet hätten. Ich glaube, dass er daraufhin seinen Einfluss geltend gemacht und dafür gesorgt hat, dass sie weiterhin die Innungshochschule besuchen darf.

Viel Mühe für nichts, denke ich. Ich weiß nicht, was es ihr nützt, wenn sie eine gute Grundlage in den Künsten der Philosophie, der Rhetorik und der Mathematik bekommt. Ihr Traum, eines Tages die Kaiserliche Universität besuchen zu dürfen, wird immer ein Traum bleiben. Das wird nie passieren. Erstens deshalb, weil die Verfassung der Universität Frauen grundsätzlich den Besuch untersagt, und zweitens, weil es einen ungeheuren Aufschrei in Turais Aristokratie geben dürfte, falls Makri jemals durch das Marmorportal schreiten sollte. Die Schockwelle dieses Aufschreis würde selbst den Senat durcheinander rütteln. Kein Senator würde akzeptieren, dass sein Sohn in dieselbe Klasse geht wie Makri. Makri, mit ihrem Orgk-Blut, ihren barbarischen Manieren und ihrer Neigung, Dispute mit der Axt auszutragen.

Die Hochschule macht nicht viel her. Es gibt weder einen großen Campus noch einen Innenhof mit Statuen. Nicht mal ein Springbrunnen sprudelt irgendwo. Es ist ein altes, finsteres, steinernes Gebäude, das früher einmal dem Ehrenwerten Verein der Kaufmannschaft als Zentrale gedient hat, bis dieser Verein wohlhabend wurde und schleunigst in einen besseren Stadtteil umgezogen ist. Die düsteren Flure sind voller junger Studenten, die Schriftrollen unter dem Arm tragen und versuchen, gelehrt auszusehen. Einige ältere Männer in Togen, vermutlich die Professoren, stehen herum und sehen streng aus. Auch wenn eine Toga das übliche Gewand von Turais Oberschicht ist, sieht man sie südlich des Flusses nur selten.

Professor Toarius trägt eine sehr vornehme Toga. Das ist das Erste, was mir ins Auge fällt, als ich sein Büro betrete. Hineinzukommen war einfacher, als ich erwartet habe. Der Empfangschef draußen ist nicht daran gewöhnt, stattliche Detektive zurückzuweisen. Der Professor ist ein älterer, grauhaariger Mann mit Adlernase und bis zum Rand erfüllt von würdevollem Gehabe. Unter Turais Akademikern genießt er einen gewissen Ruf. Er sitzt im Vorstand der Kaiserlichen Universität, und es galt als ein großer Gunstbeweis des Konsuls für die bescheidene Innungshochschule, dass er den Professor als ihren Leiter eingesetzt hat. Soweit ich von Makri gehört habe, regiert Toarius die Hochschule auf eine ziemlich herrische Art und Weise und duldet keinerlei Widerspruch. Als ich sein Büro betrete, sieht er von einem verstaubten alten Schmöker hoch und runzelt die Stirn.

»Wer hat Euch hereingelassen?«, will er wissen.

»Keiner.«

»Wenn es um eine Angelegenheit geht, die die Ausbildung Eures Sohns betrifft, müsst Ihr Euch einen Termin geben lassen.«

»Ich habe keinen Sohn. Jedenfalls keinen, von dem ich wüsste. Da ich allerdings als Söldner weit herumgekommen bin, möchte ich die Möglichkeit natürlich nicht gänzlich ausschließen.«

Das Zimmer ist bis an die Decke gefüllt mit Büchern. Wie immer, wenn ich mit den Zeichen der Gelehrsamkeit konfrontiert werde, fühle ich mich unsicher.

»Ich bin wegen Makri hier.«

Der Professor versteift sich sichtlich auf seinem Stuhl. »Raus aus meinem Büro!«, befiehlt er.

»Welche Beweise habt Ihr gegen sie?«

Professor Toarius erhebt sich ein wenig aus seinem Sitz und zieht an einer Klingelschnur hinter sich. Der Angestellte aus dem Vorzimmer stürzt herein.

»Ruft unsere Sicherheitskräfte«, ordnet Toarius an.

Das entwickelt sich schlimmer, als ich angenommen habe. Ich bin überrascht, dass Toarius sich weigert, das Thema zu diskutieren, und noch überraschter darüber, dass dieser Laden tatsächlich einen Sicherheitsdienst hat.

»Ihr könnt Makri nicht einfach so von der Hochschule verweisen, Professor.«

»Das habe ich bereits getan. Es war ohnehin ein Fehler, sie diese Hochschule besuchen zu lassen, und da sie jetzt einen Diebstahl begangen hat, bleibt mir keine Wahl, als sie für immer von der Hochschule zu verweisen.«

Die Tür hinter mir fliegt auf, und zwei kräftige Individuen in groben, braunen Tuniken stürmen herein. Ich ignoriere sie.

»Ihr habt nicht verstanden, was ich meine, Professor. Ihr könnt Makri nicht einfach hinauswerfen, weil ich es nicht erlauben werde.«

Das amüsiert Toarius. »Ihr werdet es nicht erlauben? Und wie wollt Ihr das verhindern?«

»Indem ich die Angelegenheit vor den Senat bringe. Erlaubt mir, mich vorzustellen. Ich bin Thraxas, Tribun des Volkes.«

»Tribun? Dieses Amt ist seit über einem Jahrhundert verwaist.«

»Bis es von Vizekonsul Zitzerius vor kurzem wieder besetzt wurde. Mit mir. Und ich habe die Macht, jede Art von Ausschluss eines jeden Bürgers von Turai zu verhindern, bis die Angelegenheit nicht vor einem Senatsausschuss diskutiert worden ist. Wollen wir nicht ein bisschen darüber plaudern, bevor ich gezwungen bin, die Angelegenheit öffentlich zu machen?«

»Glaubt Ihr etwa, dass der Senat auch nur das geringste Interesse an dem Schicksal einer orgkischen Diebin zeigen wird?«

Makri ist eigentlich kein Orgk. Sie hat nur ein Viertel Orgk-Blut in sich, und dazu ein Viertel Blut von Elfen. Da sie in den orgkischen Gladiatorsklavengruben aufgewachsen ist, hasst sie die Orgks wie die Pest. Wenn man sie eine Orgk nennt, ist das eine tödliche Beleidigung. Ich verstehe jetzt allmählich, warum sie unter dem Professor so gelitten hat.

»Der Senat wird Interesse zeigen müssen. So lautet das Gesetz. Und Zitzerius ist ein Pedant, wenn es um die genaue Auslegung des Gesetzes geht.«

»Ich bin viel besser mit Vizekonsul Zitzerius bekannt, als Ihr es seid.« Der Professor lässt sein Buch sinken. Und die Falten auf seiner Stirn vertiefen sich. »Seid Ihr derselbe Thraxas, der letztes Jahr dem Senat wegen seiner Rolle in dem Skandal gemeldet wurde, den es um das verschwundene Elfentuch gab?«

»Genau der. Ich wurde übrigens später von jeglicher Schuld freigesprochen.«

»Zweifellos«, antwortet der Professor trocken. »In dieser Stadt werden nur wenige Schuldige verurteilt. Und jetzt behauptet Ihr, dass Ihr ein Repräsentant der Regierung seid? Davon ist mir nichts bekannt.«

»Ich hänge das nicht gern an die große Glocke. Reden wir über Makri. Welche Beweise habt Ihr dafür, dass sie das Geld genommen hat?«

Professor Toarius hat offenbar nicht die Absicht, darüber zu disputieren. Er befiehlt seinen Männern wütend, mich hinauszuwerfen.

Die zögern.

»Ich glaube, dieser Mann ist wirklich ein Volkstribun«, sagt einer schließlich. »Vor ein paar Monaten habe ich gesehen, wie er eine Räumung verhindert hat … Senator Lohdius war bei ihm …«

Die Wachen stehen verlegen herum und wissen nicht genau, wie sie reagieren sollen. Sie wollen natürlich den Professor nicht verärgern, aber sie sind auch nicht sonderlich scharf darauf, vor einen Untersuchungsausschuss des Senats zitiert zu werden, weil sie eine Regierungsangelegenheit behindert haben. Professor Toarius löst die Pattsituation auf, indem er einfach aus dem Raum marschiert und dabei etwas über die Degeneriertheit einer Stadt murmelt, die einem Mann wie mir gestattet, ungestraft herumzulaufen.

»Benimmt er sich immer so?«, frage ich die Wachen.

»Ja.«

»Ihr habt begriffen, dass ich tatsächlich ein Tribun des Volkes bin? Ihr könnt mich nicht hier hinauswerfen, solange ich eine Untersuchung durchführe.«

Die Wachen zucken gleichgültig mit den Schultern. Sie machen nicht gerade den Eindruck, als würden sie den Wünschen des Professors mit glühendem Eifer gehorchen wollen. Wahrscheinlich ist Toarius kein Mann, der Loyalität in seinen niederen Angestellten wecken kann.

»Kennt ihr Makri?«

Der größere der beiden Wächter verkneift sich ein Lächeln.

»Wir kennen sie allerdings.«

»Ziemlich heißblütiges Temperament, die Kleine«, fügt sein Gefährte hinzu.

»Sie hat mal irgendeinen armen Burschen durch das halbe Haus gehetzt, weil er eine Bemerkung gemacht hat, die ihr nicht passte. Was hat sie denn erwartet? Es ist schließlich nicht so, dass sie sich besonders schicklich anzieht.«

Ich frage sie, was sie über ihren Verweis wissen. Sie wissen nicht viel.

»Wir hatten nichts damit zu tun. Uns wurde nur gesagt, dass Geld verschwunden ist und sie es genommen hätte. Der Professor hat uns befohlen, dafür zu sorgen, dass sie das Gebäude nicht mehr betritt.«

»Habt ihr den Fall genauer untersucht?«

»Warum sollten wir?«, fragt der größere Wächter zurück. »Wir sind nur hier, um Boahhändler davon abzuhalten, die Studenten zu belästigen. Wenn der Professor jemanden von der Hochschule wirft, geht uns das nichts an.«

»Wahrscheinlich hat sie das Geld tatsächlich gestohlen«, fügt der andere Wächter hinzu. »Ich habe nichts gegen die Frau, aber sie hat Orgk-Blut in den Adern. Es war klar, dass sie früher oder später etwas stehlen würde.«

»Aber einen guten Körper hat sie«, meint sein Freund nachdenklich. »Sie hätte weiter als exotische Tänzerin arbeiten sollen.«

Ich frage die beiden, ob sie jemanden kennen, der mir etwas mehr dazu sagen kann. Sie schlagen einen gewissen Rabaxos vor.

»Es war sein Geld, das abhanden gekommen ist. Wahrscheinlich findet Ihr ihn jetzt in der Bibliothek. Es ist der kleine Kerl in dem schäbigen Wams. Er hat seine Nase immer in irgendeiner Schriftrolle versenkt. Seinem Vater gehört ein Fischerboot, aber anscheinend war der Beruf eines Fischers für seinen Sohn nicht mehr gut genug. Warum macht Ihr Euch denn eigentlich so große Umstände wegen dieses Orgk-Mädchens?«

Das ist eine gute Frage. Ich bleibe den beiden eine Antwort darauf schuldig. Es ist heiß und stickig in dem alten Gemäuer, aber mich bedrückt mehr als nur das schwüle Wetter. Ich hatte geschworen, dass ich meine Macht als Tribun auf gar keinen Fall mehr einsetzen würde. Dank Makri bin ich jetzt wieder dazu gezwungen. Und ich weiß genau, was jetzt passieren wird. Die Leute werden vor meiner Tür auftauchen und um Hilfe betteln. Und sobald die unterdrückten Massen herauskriegen, dass ich meine Macht eingesetzt habe, werden sie alle nach Unterstützung gieren. Jedes Subjekt in ZwölfSeen, das irgendeinen Grimm gegen die Behörden hegt, wird verlangen, dass ich etwas unternehme. Ich sollte besser meinen Schließzauber verstärken. Schließlich habe ich nicht vor, den Rest meines Lebens damit zu verbringen, den unterdrückten Massen von ZwölfSeen zu helfen. Ich bin selbst eine unterdrückte Masse.

Aber das ist nicht das Schlimmste. Vizekonsul Zitzerius war außer sich vor Wut, als ich meine Macht im letzten Winter eingesetzt habe, vor allem, weil ich dabei Senator Lohdius geholfen habe, dem Führer der Oppositionspartei. Wenn ich jetzt schon wieder in einen ähnlichen Fall verwickelt werde, wird Zitzerius wie ein Böser Bann über mich kommen. Wenn man sich erst mal in die Politik dieser Stadt eingemischt hat, weiß man nie, was alles passiert. Es gab eine Zeit, als die Volkstribunen sich immer in die Politik eingemischt haben. Und mehr als einmal wurden sie für all ihre Mühen auch noch umgebracht oder unter fadenscheinigen Anklagen ihrer Gegner vor Gericht gezerrt. Wenn man in dieser Stadt als Politiker überleben will, dann braucht man eine Menge Unterstützung, und genau diese Menge Unterstützung fehlt mir.

Als ich mir klarmache, dass Makri nicht nur dafür gesorgt hat, dass ich meine gesetzmäßig verliehene Macht einsetze und damit praktisch sicherstelle, dass ich bei der nächstbesten Gelegenheit aus der Stadt getrieben werde, und gleichzeitig Wetten auf die Zahl der Leichen abgibt, die in den nächsten Tagen meinen Weg pflastern werden, und sie trotzdem eine Einladung zu Lisutaris’ Maskenball erhalten hat, fange ich an zu kochen. Diese verdammte Frau! Wie soll ich es in dieser Stadt zu etwas bringen, wenn ich die ganze Zeit das Kindermädchen für eine spitzohrige Ex-Gladiatorin spielen soll, die nicht weiß, wie sie sich in einer zivilisierten Gesellschaft zu verhalten hat? Es ist noch nicht lange her, da hat sie die aufrechten Bürger von Zwölf Seen damit schockiert, dass sie in aller Offenheit über ihre Menstruationsprobleme sprach. Wenn es das nicht ist, dann legt sie einen Boahhändler um und hetzt mir die Bruderschaft auf den Hals, oder sie besäuft sich so sehr auf den Elfeninseln, dass sie dem Kronprinzen auf die Sandalen kotzt. Noch mehr von solchen Kapriolen, und ich nehme das nächste schnelle Pferd in den Süden.

Als ich endlich die Bibliothek erreiche, wieder ein Zimmer, in dem sich unendliche Reihen von Büchern und Schriftrollen stapeln, bin ich ausgesprochen schlecht gelaunt. Ich will Rabaxos sehen und ignoriere die vielstimmig vorgetragene Beschwerde, doch bitte meine Stimme zu senken. Ich frage mich durch, bis mich endlich ein Student zu einem kleinen Tisch hinter einem Bücherregal führt, an dem ein kümmerlicher Kerl kauert, der sein Haar mit einem billigen Band nach hinten gebunden hat und seine Nase in eine Rolle steckt, die in der elfischen Umgangssprache geschrieben ist. Ich spreche selber Elfisch, aber ich laufe deswegen nicht rum und studiere es in Bibliotheken.

»Ich bin hier, weil ich wegen des Diebstahls Eures Geldes ermittele.«

Er versinkt geradezu in seinem Stuhl.

»Und wenn Ihr mir nicht haarklein erzählt, was passiert ist, dann sorge ich dafür, dass Ihr morgen auf einem Gefängnisschiff rudert. Es dürfte dann eine Weile dauern, bis Ihr wieder elfische Schriftrollen studieren könnt.«