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Bei dem Wagen handelte es sich um einen blau-weißen Warszawa, Baujahr 1962. Er hatte ein Blaulicht auf dem Dach, und das Martinshorn heulte diskret und wehmütig durch die nachtleeren Straßen. In den weißen Streifen auf den Vordertüren stand in Blockbuchstaben RENDÖRSEG. Das bedeutete Polizei.

Martin Beck saß hinten, neben ihm ein Polizist in Uniform. Szluka saß vorn auf dem Beifahrersitz.

»Sie haben sich wacker geschlagen«, sagte Szluka. »Ziemlich gefährliche Jungs, die beiden.«

»Wer hat eigentlich Radeberger unschädlich gemacht?«

»Er sitzt neben Ihnen.«

Martin Beck drehte den Kopf. Der Polizist hatte einen schmalen schwarzen Schnurrbart, braune Augen und einen mitfühlenden Blick.

»Er spricht nur Ungarisch«, erklärte Szluka.

»Wie heißt er?«

»Foti.«

Martin Beck reichte ihm die Hand. »Danke, Foti«, sagte er.

»Er musste ziemlich unsanft werden«, sagte Szluka. »Hatte nicht viel Zeit.«

»Ein Glück, dass Sie zur Stelle waren«, sagte Martin Beck. »Wir sind immer zur Stelle«, erwiderte Szluka. »Außer in Karikaturen.«

»Sie haben ihren Unterschlupf in Üjpest«, sagte Martin Beck. »In einer Pension in der Venetianer üt.«

»Das wissen wir.«

Szluka schwieg einen Augenblick. Dann fragte er:

»Wie sind Sie mit denen in Kontakt gekommen?«

»Durch eine Frau namens Ari Boeck. Matsson hatte sich nach ihrer Adresse erkundigt. Und sie war mal in Stockholm. Als Wettkampfschwimmerin. Da könnte es einen Zusammenhang geben. Deshalb habe ich sie aufgesucht.«

»Und was hat sie gesagt?«

»Dass sie an der Universität studiere und in einem Museum arbeite. Und dass sie noch nie etwas von Matsson gehört habe.«

Sie waren beim Polizeipräsidium am Deäk Ferenc ter angekommen. Das Auto bog auf einen Hof mit Zementbelag und hielt dort an. Martin Beck begleitete Szluka auf sein Dienstzimmer. Es war sehr geräumig, und eine Wand war mit einem großen Stadtplan von Budapest bedeckt, im Wesentlichen aber erinnerte es ihn an sein eigenes Büro zu Hause in Stockholm. Szluka hängte seinen Jägerhut an den Haken und zeigte auf einen Stuhl. Er öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, klingelte das Telefon. Er ging zum Schreibtisch und nahm ab. Martin Beck glaubte einen Wortschwall zu ahnen, der kein Ende nehmen wollte. Szluka antwortete ab und zu einsilbig. Nach einer Weile schaute er auf die Uhr, explodierte in einer schnellen und gereizten Erwiderung und legte auf.

»Meine Frau«, erklärte er.

Er trat an den Stadtplan, studierte die nördlichen Stadtteile und wandte seinem Besucher den Rücken zu.

»Polizist sein«, sagte Szluka, »ist kein Beruf. Und ganz sicher auch keine Berufung. Es ist ein Fluch.«

Nach etwa einer Minute drehte er sich um und sagte:

»Ich meine das natürlich nicht so. Denke es mir nur manchmal.

Sind Sie verheiratet?«

»Ja.«

»Dann kennen Sie das.«

Ein Polizist in Uniform kam herein und stellte ein Tablett mit zwei Tassen Kaffee ab. Sie tranken. Szluka schaute auf die Uhr.

»Wir machen dort zurzeit eine Hausdurchsuchung. Der Bericht müsste bald vorliegen.«

»Wie kam es, dass Sie rechtzeitig zur Stelle waren?«, fragte Martin Beck.

Szluka antwortete mit exakt derselben Formulierung wie im Auto:

»Wir sind immer zur Stelle.« Dann lächelte er und sagte:

»Es war Ihre Andeutung über eine Beschattung. Natürlich waren nicht wir es, die Sie überwacht haben. Warum sollten wir?«

Martin Beck griff sich ein wenig schuldbewusst an die Nase. »Die Leute bilden sich ja so vieles ein«, sagte Szluka. »Aber Sie sind Polizist, und Polizisten tun das selten. Also haben wir denjenigen beschattet, der Sie beschattet hat. Backtailing nennen die Amerikaner das, wenn ich mich recht erinnere. Heute Nachmittag entdeckte unser Mann, dass es zwei Männer waren, die Sie überwachten. Er fand das merkwürdig und schlug Alarm. So einfach war das.«

Martin Beck nickte. Szluka sah ihn nachdenklich an. »Trotzdem ging alles so schnell, dass wir mit Müh und Not hinterherkamen.«

Er trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse vorsichtig ab.

»Backtailing«, sagte er und ließ sich das Wort gleichsam auf der Zunge zergehen. »Waren Sie schon mal in Amerika?«

»Nein.«

»Ich auch nicht.«

»Ich habe mit den Amerikanern vor zwei Jahren in einem Fall zusammengearbeitet. Mit einem Mann namens Kafka.«

»Klingt tschechisch.«

»Eine amerikanische Touristin war in Schweden ermordet worden.

Hässliche Geschichte. Und eine komplizierte Ermittlung.«

Szluka schwieg eine Weile. Dann fragte er: »Wie lief die Sache damals?«

»Gut«, antwortete Martin Beck.

»Ich habe über amerikanische Polizisten nur gelesen. Sie haben eine eigenartige Organisationsstruktur. Schwer zu verstehen.«

Martin Beck nickte.

»Und sie haben viel zu tun«, sagte Szluka. »In New York passieren in einer Woche so viele Morde wie in ganz Ungarn in einem Jahr.«

Ein uniformierter Polizeioffizier mit zwei Sternen auf den Schulterklappen betrat das Zimmer. Er diskutierte mit Szluka über etwas, salutierte vor Martin Beck und verließ den Raum wieder. Als er die Tür öffnete, ging draußen auf dem Flur Ari Boeck in Begleitung einer Beamtin vorbei. Sie trug dasselbe weiße Kleid und dieselben Sandalen wie am Tag zuvor, hatte jetzt aber ein Tuch um die Schultern geschlungen. Sie sah Martin Beck mit flachem, leerem Blick an. »Die Hausdurchsuchung in Üjpest hat nichts ergeben«, sagte Szluka. »Wir nehmen jetzt das Auto auseinander. Wenn Radeberger wieder bei Bewusstsein und der andere verarztet ist, werde ich mir die beiden vorknöpfen. Da gibt es einiges, was ich noch nicht verstehe.« Er verstummte unschlüssig. »Aber das wird sich bald klären«, sagte er. Das Telefon klingelte, und Szluka war eine Weile in Anspruch genommen. Martin Beck verstand kein Wort von dem, was er sagte, außer hin und wieder »Sved« und »Svedorszäg«, was, wie er wusste, »schwedisch« und »Schweden« hieß. Szluka legte auf und sagte:

»Die Sache muss etwas mit Ihrem Landsmann Matsson zu tun haben.«

»Ja, natürlich.«

»Die junge Frau hat Sie übrigens angelogen. Sie studiert weder an der Universität, noch arbeitet sie in einem Museum. Sie scheint eigentlich gar nichts zu tun. Als Wettkampfschwimmerin wurde sie suspendiert, weil sie ihr Training vernachlässigt hat.«

»Da muss es einen Zusammenhang geben.«

»Ja, aber welchen? Naja, warten wir es ab.« Szluka zuckte mit den Schultern. Martin Beck drehte und wendete seinen geräderten Körper.

Ihm taten Schultern und Arme weh, und auch der Kopf war bei weitem nicht so, wie er sein sollte. Er war sehr müde, und das Denken fiel ihm schwer, aber er wollte trotzdem nicht in sein Hotel zurück und sich hinlegen.

Wieder klingelte das Telefon. Szluka hörte zu, die Augenbrauen gerunzelt. Dann hellte sich sein Blick auf.

»Es kommt Bewegung in die Sache«, sagte er. »Wir haben etwas gefunden. Und einer der beiden ist jetzt so weit, der Große.

Fröbe heißt er übrigens. Jetzt werden wir ja sehen. Kommen Sie mit?«

Martin Beck erhob sich langsam.

»Oder wollen Sie sich vielleicht lieber ein bisschen ausruhen?«

»Nein danke«, sagte Martin Beck.