Martin Beck lag in der Badewanne, als das Telefon klingelte. Er hatte das Frühstück verschlafen und vor dem Mittagessen einen Spaziergang am Kai gemacht. Die Sonne brannte heißer denn je, und sogar am Fluss hatte die Luft sich kein bisschen bewegt. Als er ins Hotel zurückgekehrt war, hatte er ein größeres Bedürfnis nach einem schnellen Bad als nach Essen gehabt und beschlossen, das Mittagessen warten zu lassen. Jetzt lag er im lauwarmen Wasser und hörte das Telefon mit kurzen, rasch aufeinanderfolgenden Signalen klingeln.
Er stieg aus der Wanne, schlug sich das große Badelaken um und nahm den Hörer ab. »Herr Beck?«
»Ja?«
»Sie müssen entschuldigen, dass ich Sie nicht mit Ihrem Dienstgrad anspreche. Wie Sie verstehen, ist dies eine reine ... ja, nennen wir es eine, tja ... Vorsichtsmaßnahme.« Es war der junge Mann von der Botschaft. Martin Beck fragte sich, wem gegenüber es eine Vorsichtsmaßnahme war, schließlich wusste man sowohl im Hotel als auch in Szlukas Umgebung, dass er Polizist war, aber er antwortete: »Ja, natürlich.«
»Wie läuft es? Sind Sie vorangekommen?«
Martin Beck ließ das Badelaken fallen und setzte sich aufs Bett.
»Nein«, sagte er.
»Haben Sie noch keine Spur gefunden?«
»Nein«, sagte Martin Beck.
Einen Augenblick lang war es still, dann fügte er hinzu: »Ich habe mit der hiesigen Polizei gesprochen.«
»Das war meines Erachtens eine ausgesprochen unkluge Maßnahme«, sagte der Mann von der Botschaft.
»Schon möglich«, erwiderte Martin Beck. »Aber mir blieb kaum etwas anderes übrig. Ein Herr namens Vilmos Szluka ist auf mich zugekommen.«
»Major Szluka? Was wollte er?«
»Nichts. Er hat mir im Großen und Ganzen wohl dasselbe gesagt wie Ihnen. Dass er keinen Anlass sieht, sich mit dem Fall zu befassen.«
»Ich verstehe. Was werden Sie jetzt tun?«
»Mittag essen«, antwortete Martin Beck. »Ich meine, in besagter Angelegenheit.«
»Ich weiß nicht.«
Wieder war es eine Weile still. Dann sagte der junge Mann: »Nun, Sie wissen, wo Sie anrufen können, wenn etwas ist.«
»Ja.«
»Dann auf Wiederhören.«
»Auf Wiederhören.«
Martin Beck legte auf, ging ins Bad und zog den Stöpsel aus der Wanne.
Dann zog er sich an, ging hinunter, setzte sich vor dem Restaurant unter die Markise und bestellte ein Mittagessen.
Selbst im Schatten unter der Markise war es brütend heiß. Er aß langsam und trank kräftige Schlucke von dem kalten Bier. Er hatte das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Den großen Dunkelhaarigen hatte er zwar nicht gesehen, trotzdem fühlte er sich ständig überwacht.
Er betrachtete die Leute um sich herum. Es war die übliche Versammlung von Mittagsgästen, vorwiegend Ausländer wie er und fast alles Hotelgäste. Er hörte vereinzelte Gesprächsfetzen, meist auf Deutsch und Ungarisch, aber auch auf Englisch und in einer Sprache, die er nicht identifizieren konnte. Plötzlich sagte hinter ihm jemand deutlich:
»Knäckebrot.«
Er drehte sich um und sah zwei Frauen, ohne Zweifel Schwedinnen, die im Restaurant am Fenster saßen. Er hörte eine der beiden sagen:
»Doch, das habe ich immer dabei. Und Toilettenpapier. Das ist im Ausland immer so schlecht. Wenn es überhaupt welches gibt.«
»Ja«, erwiderte die andere, »ich erinnere mich, wie ich einmal in Spanien ...«
Martin Beck kümmerte sich nicht weiter um diese typisch schwedische Konversation, sondern konzentrierte sich darauf, herauszufinden, wer von den Anwesenden sein Beschatter war.
Eine ganze Weile hatte er stark einen älteren Mann in Verdacht, der in einiger Entfernung mit dem Rücken zu ihm saß und ab und zu über die Schulter in seine Richtung blickte. Der Mann erhob sich jedoch nach einiger Zeit, stellte einen kleinen Hund auf die Erde, der einem Knäuel Putzwolle glich und verborgen auf seinem Schoß gesessen hatte, und verschwand mit dem Tier im Gefolge um die Ecke des Hotels.
Als Martin Beck mit dem Essen fertig war und eine Tasse dieses starken Kaffees getrunken hatte, war es bereits später Nachmittag. Es war flirrend heiß, trotzdem ging er ein Stück in die Innenstadt, wobei er sich stets im Schatten zu halten versuchte. Er hatte festgestellt, dass das Polizeipräsidium lediglich ein paar Häuserblocks von seinem Hotel entfernt war, und er fand ohne Mühe hin.
Auf der Treppe, wo laut Szluka der Schlüssel gelegen hatte, stand ein Polizist in blaugrauer Uniform und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Martin Beck ging um das Polizeipräsidium herum und auf einem anderen Weg zurück, immer noch mit demselben unangenehmen Gefühl, beobachtet zu werden. Für ihn war das etwas völlig Neues. Während seiner dreiundzwanzig Jahre als Polizist hatte er viele Male selbst verdächtige Personen beschattet oder den Auftrag dazu gegeben. Erst jetzt verstand er voll und ganz, was es hieß, observiert zu werden. Zu wissen, dass man die ganze Zeit beobachtet und überwacht wurde, dass ein anderer jede Bewegung registrierte, die man machte, dass sich ständig jemand irgendwo in der Nähe verbarg und jeden Schritt, den man tat, verfolgte. Martin Beck ging auf sein Zimmer und blieb den Rest des Tages in dessen relativer Kühle. Er saß am Tisch, hatte ein Blatt Papier vor sich und einen Stift in der Hand und versuchte, irgendwie zusammenzufassen, was er über den Fall Alf Matsson wusste.
Schließlich zerriss er das Blatt in kleine Fetzen und spülte sie die Toilette hinunter. Was er wusste, war so wenig, dass es ihm lächerlich vorkam, es aufzuschreiben. Er brauchte sich nicht anzustrengen, es im Gedächtnis zu behalten. Im Grunde, dachte Martin Beck, hätte das, was er wusste, in einem Garnelenhirn Platz gehabt.
Die Sonne ging unter und färbte den Fluss rot, die kurze Dämmerung ging unmerklich in eine samtweiche Dunkelheit über, und mit der anbrechenden Nacht wehten die ersten kühlen Lüftchen von den Bergen herab über den Fluss. Martin Beck stand an seinem Fenster und sah, wie die Wasseroberfläche von einer leichten Abendbrise gekräuselt wurde. An einem Baum schräg unter seinem Fenster stand ein Mann. Eine Zigarette glühte auf, und er glaubte, den großen Dunkelhaarigen zu erkennen.
Irgendwie war es eine Erleichterung, ihn dort zu sehen, und nicht nur das vage, schleichende Gefühl zu haben, dass er in der Nähe war.
Er zog seinen Anzug an, ging ins Restaurant hinunter und aß zu Abend. Er aß so langsam wie möglich und trank zwei Barack Palinka, bevor er wieder auf sein Zimmer ging.
Die Abendbrise hatte sich gelegt, der Fluss war schwarz und blank, und die Wärme draußen war ebenso stickig wie die im Zimmer.
Martin Beck ließ das Fenster und die Läden offen stehen und zog die Gardinen zurück. Dann zog er sich aus und legte sich in das knarrende Bett.