29

Das Telefon klingelte drei Minuten nach acht, am Freitag, dem 26. Juli. Es war Hochsommer und sehr warm, und Martin Beck hatte gleich nach Betreten des Zimmers die Jacke ausgezogen und sich die Ärmel hochgekrempelt. Er nahm den Hörer ab.

»Ja, Beck.«

»Hier Mänsson. Morgen. Ich hab das Mädchen gefunden.«

»Die Olofsson kannte?«

»Ja, genau die. Und einen anderen Zeugen hab ich auch.«

»Schön. Wo bist du denn?«

»In Kopenhagen.«

»Hast du sie dort gefunden? In Dänemark?«

»Stimmt.«

»Und was hast du aus ihr rausgekriegt?«

»Sehr viel. Olofsson war zum Beispiel am 7. Februar nachmittags hier. Aber das ist so viel, das läßt sich am Telefon gar nicht alles erzählen.«

»Dann kommst du am besten her.«

»Ja, hab ich mir auch gedacht.«

»Kannst du die Frau nicht mitbringen?«

»Glaub nicht, daß sie darauf eingeht. Wir brauchen sie auch nicht. Aber ich kann sie ja mal fragen.«

»Wann hast du sie getroffen?«

»Dienstag. Inzwischen hab ich viel Zeit gehabt, mit ihr zu sprechen, fahr jetzt raus nach Kastrup, laß mich auf die Warteliste setzen und das nächste Flugzeug nach Arlanda.«

»Fein«, sagte Martin Beck und legte auf.

Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. Mänsson schien seiner Sache bombensicher zu sein. Außerdem hatte er sich freiwillig bereit erklärt, nach Stockholm zu kommen. Wahrscheinlich hatte er wirklich was Wichtiges herausgefunden.

Mänsson kam kurz vor eins im Polizeigebäude auf Kungsholmen an. Ruhig und freundlich und braungebrannt und in leichter Kleidung - Sandalen, Khakihosen und kariertes Oberhemd.

Er hatte keine Dame mitgebracht, dafür aber ein Tonbandgerät, das er auf den Tisch stellte. Dann blickte er in die Runde und sagte: »Sind ja verdammt viele Leute hier. Guten Tag.«

Seit er vor einer halben Stunde von Arlanda aus angerufen hatte, war eine ansehnliche Schar von Kriminalbeamten zusammengekommen. Hammar und Melander und Gunvald Larsson und Rönn. Dazu die Hilfstruppen aus Västberga, also Martin Beck, Kollberg und Skacke.

»Wollt ihr nicht Beifall klatschen?«

Martin Beck litt unter dem Gedränge in dem kleinen Raum. Er überlegte, wie es der um einige Jahre ältere Mänsson wohl fertigbrachte, so sicher und zufrieden zu wirken.

Mänsson legte die Hand auf das Bandgerät und sagte: »Die Frau heißt Nadja Eriksson. Sie ist siebenunddreißig Jahre alt und Bildhauerin. Geboren und aufgewachsen in Arlöv, wohnt aber seit über zehn Jahren in Dänemark. Arlöv ist eine Kleinstadt bei Malmö. Jetzt wollen wir uns anhören, was sie zu sagen hat.«

Er ließ das Band laufen, auf dem zuerst seine eigene Stimme zu hören war:

»Gespräch mit Anna Desiree Eriksson, geboren am 6. Mai 1931 in Arlöv. Bildhauerin. Ledig. Wird Nadja genannt.«

Martin Beck lauschte. Daß Rönn gekichert hatte, konnte man verstehen, aber kicherte Mänsson auf dem Band nicht auch? Nun, er fuhr jedenfalls fort:

»Wollen wir zusammenfassen, was Sie über Bertil Olofsson wissen?«

»Sofort. Warten Sie nur einen Moment.«

Die Frau sprach mit dem Dialekt der Leute in Skäne, aber nicht mit dem üblichen winselnden Ton. Die Stimme war tief und klar und klangvoll. Es rasselte ein wenig auf dem Band. Dann sagte Nadja Eriksson:

»Ich hab ihn also vor beinah zwei Jahren kennengelernt. Traf ihn das erste Mal im September 66 und zuletzt im Februar dieses Jahres. Er kam regelmäßig, meistens am Anfang jeden Monats, blieb ein oder zwei Tage, nie länger als drei. Er kam normalerweise so am Fünften und fuhr am Siebten oder Achten wieder ab. Wenn er in Kopenhagen war, wohnte er, soviel ich weiß, immer bei mir.«

»Und warum so regelmäßig?«

»Er hatte eine Art Fahrplan, an den mußte er sich halten. Jedesmal, wenn er hier war, kam er aus dem Ausland, meistens über Malmö. Manchmal kam er mit dem Flugzeug oder mit einer Fähre aus Deutschland. Und dann blieb er zwei Tage. Er kam hierher, um jemanden zu treffen…«

»Was für einen Beruf hatte Olofsson?«

»Er nannte sich Geschäftsmann. Und das war er ja sozusagen auch. Diebe sind doch auch Geschäftsleute, wenn man so will? Im ersten halben Jahr unserer Bekanntschaft erwähnte er mit keinem Wort, was er tat oder woher er kam. Dann taute er langsam auf. So nach und nach. Er war der Typ, der einfach den Mund nicht halten kann. Er mußte angeben. Ich bin nicht besonders neugierig, und das war es gerade, weil ich nicht gefragt habe, mußte er sich mit seinen Geschäften brüsten. Schließlich, als ich immer noch nicht fragte, platzte es beinah aus ihm heraus. Soll ich erzählen, wie… verdammt heiß ist das hier…« Mänsson drehte den Zahnstocher mit der Zunge, kratzte sich ungeniert am Oberschenkel und sagte: »Hier ist eine kurze Unterbrechung. Technischer Fehler.«

Nach dreißig Sekunden Totenstille kam die Stimme der Frau zurück:

»Ja, Bertil konnte einem leid tun. 'n bißchen bauernschlau, aber im großen und ganzen dumm und großkotzig; ein Mensch, der einen Erfolg nicht richtig beurteilen kann und dem schon der unbedeutendste Erfolg zu Kopf steigt. Ich meine, wenn er zum Beispiel ein bißchen Geld verdiente oder etwas erfuhr, was seiner Meinung nach kein anderer wußte. Er hatte immer große Ideen im Kopf, faselte von der großen Chance, die sich ihm bieten würde, und so 'n Zeug. Er überschätzte seine Intelligenz, und zwar nicht wenig. Als er merkte, daß ich ungefähr wußte, was er tat und was für eine Art Geschäftsmann er war, bemühte er sich regelrecht, als richtiger großer Gangster vor mir zu erscheinen, und fing an, von einem Millionencoup zu sprechen und wie er Menschen mit einer Fahrradkette erschlagen würde und solche Sachen. Tatsächlich war er, wie gesagt, alles andere als überragend.«

»Wenn man mal versucht, genau zu beschreiben, was er eigentlich tat, und annimmt, daß…«

Mänsson ließ die Worte im Raum stehen, und es dauerte einen Moment, bis sie antwortete.

»Ich glaube, ich weiß genau, was er gemacht hat. Er und noch zwei andere arbeiteten in Stockholm mit gestohlenen Autos. Manche stahlen sie selbst, andere kauften sie für billiges Geld von anderen Dieben. Dann frisierten sie die Wagen um und brachten sie auf den Kontinent, hauptsächlich nach Polen, glaub ich. Die Bezahlung erfolgte nicht mit Geld, sondern mit anderen Sachen. Meistens Schmuck oder Steinen, Brillanten oder so. Das weiß ich, weil Bertil mir einen geschenkt hat, im Herbst, als er damit rechnete, bald Millionär zu sein, und die Spendierhosen anhatte. Dies Geschäft hatten sie allerdings nicht selbst aufgebaut, sie waren nur Handlanger. Die Stockholmer Filiale, wie dieser Idiot es nannte. Deshalb mußte er auch jeden Monat nach Kopenhagen kommen. Er lieferte die Wertsachen ab, die er für die Autos bekam, und erhielt dafür Geld. Der Kerl, der das Geld brachte, war auch nur ein Laufbursche. Aus Madrid oder Paris oder irgendwoher, ich weiß es nicht richtig, denn ich hab ihn nie gesehen. Soviel Vernunft hatte sogar Olofsson. Er hat mir nie den Mann mit dem Geld gezeigt, und er hat niemandem erzählt, wo er in Kopenhagen wohnte. Er hat verdammt aufgepaßt, daß ich nicht in seine Sachen hineingezogen werden konnte. Ich glaub, das war eine Art Notausgang für ihn. Er hatte sich eine Wohnung besorgt, von der außer ihm und mir niemand was wußte. Ich hab Bertil nie mit jemand bekannt gemacht und keinen in die Wohnung gelassen, wenn er hier war. In Kopenhagen, in meiner Wohnung also. Keinen, nicht mal die Poli…« Die Stimme wurde abgeschnitten.

»Dieser Apparat ist nicht ganz in Ordnung«, erklärte Mänsson ungerührt »Hab ihn von den Dänen geliehen.«

Als die Frau wieder zu hören war, klang ihre Stimme verändert, es war aber schwer zu sagen, wieso.

»Wo war ich stehengeblieben? Nicht mal die Polizei hätte eine Chance gehabt, mich ausfindig zu machen, wenn Bertil mich nicht einige Male mit nach Malmö genommen hätte. Er mußte rüber, um seinen Partner zu treffen, einen Strolch, den sie Girre oder so ähnlich nannten. Malm hieß er wohl. Er fuhr auch mit den Autos von Stockholm nach Ystad oder Trelleborg und über die Grenze. Zwischendurch stand er in einer Werkstatt und spritzte die Wagen um und schraubte falsche Schilder an. Ich bin also vier oder fünfmal mit nach Malmö gefahren, weil ich 'n bißchen neugierig war. Aber das war immer todlangweilig. Die saßen in einem Zimmer und soffen und gaben an und spielten Karten mit verschiedenen sogenannten Geschäftsfreunden, und ich hockte in einer Ecke und gähnte. Daß Bertil über 'n Sund nach Malmö fahren mußte, war Malms Schuld. Soviel ich verstanden habe, war er blank und brauchte Geld, um nach Stockholm zurückzufahren. Und seine Dummheit, mich mitzuschleppen, beruhte wohl darauf, daß er mit mir 'n bißchen vor seinen Kumpanen angeben wollte. Ich glaub…«

Wieder eine Unterbrechung. Mänsson gähnte und nahm einen neuen Zahnstocher. »Also er wollte beweisen, daß er auch bei Mädchen Glück hatte. Nun war es allerdings so, daß Bertil Olofsson nicht zu den… Männern gehörte, die hin und wieder mal 'n Mädchen haben wollen. Malm war also der eine von der sogenannten Stockholmer Filiale. Den dritten hab ich nie getroffen. Den nannten sie Sigge. Der hat die falschen Papiere besorgt, glaub ich.«

Sigge. Ernst Sigurd Karlsson, dachte Martin Beck.

Kurze Pause. Diesmal nicht aus technischen Gründen. Die Frau schien nachzudenken, und von Mänsson war nichts zu hören, weder auf dem Band noch so.

»Von jetzt an kann ich nur das erzählen, was ich mir selbst zurechtgelegt habe. Aber das stimmt sicher. Bertil konnte ja den Mund nicht halten, und es war nicht schwer, einiges von dem zu verstehen, was er mit Malm besprach. Na, und vom letzten Sommer an wurde Olofsson immer großkotziger, wenn er bei mir war. Er fing an, davon zu reden, daß das sogenannte Hauptgeschäft übermäßige Gewinne, wie er es nannte, machte. Darüber sprach er jedesmal, wenn ich ihn sah. Meinte, daß die Stockholmer Filiale und besonders er selbst alle Arbeit machten und das ganze Risiko trügen, die Hauptmacker aber den höheren Gewinnanteil einstreichen würden. Aber er wußte offenbar selbst nicht, wo diese vielzitierten Hauptmacker wohnten. Wenn er und diese beiden anderen Knaben, Sigge und Girre, die Stockholmer Filiale übernehmen und das Geschäft allein machen würden, könnten sie eine Unmenge Geld verdienen, sagte er. Ich glaub, das ist ihm zum Schluß zu Kopf gestiegen. Und im Dezember machte er eine ganz besondere Dummheit. ..«

»Was?« fragte Gunvald Larsson zum Staunen aller anderen, wie ein siebenjähriger Junge bei einer Vormittagsvorstellung im Kino.

»… soviel ich verstanden habe, ist er dem Kerl da, der immer das Geld brachte, nachgereist. Ich weiß nicht, wohin, Paris vielleicht oder Rom. Ich glaub, er hat schon früher ausgekundschaftet, wohin dieser Mann immer flog, und sofort nach dem Treffen hat er das erste Flugzeug dorthin, wo das nun war, genommen und da auf den Kurier gewartet, um herauszufinden, wohin der verschwand. Als er am 5. Januar hierherkam, war er jedenfalls seiner Sache sicher und sagte, daß er die Sache untersucht hätte und nach Frankreich, ja, er sagte diesmal bestimmt Frankreich, fahren würde. Aber vielleicht hat er gelogen. Wenn er wollte, konnte er nämlich ganz gut lügen. Jedenfalls wollte er auf den Kontinent fahren und den Herren ordentlich die Meinung geigen, sagte er. Er erzählte auch, daß er und Mahn und der dritte Kumpan jetzt so weit wären, daß sie Forderungen stellen könnten, und er rechnete schon fest damit, daß sich ihre Einkünfte bald wenigstens verdreifachen würden. Ich glaube, er ist wirklich hingefahren, denn als er das nächste Mal hierherkam, war er furchtbar aufgeregt und besorgt. Er sagte, daß die Konzernleitung darauf eingegangen sei, einen Unterhändler zu schicken. Wenn er von solchen Sachen sprach, benutzte er immer solche Ausdrücke, so als ob es sich um ganz normale Geschäftsverbindungen handelte. Eigenartigerweise tat er auch vor mir so, obwohl er wußte, daß ich alles durchschaute. Am 6. Februar kam er hier an. Er lief mindestens zehnmal los, um rauszukriegen, ob der Unterhändler schon in seinem Hotel angekommen war oder nicht. Ich hab nämlich kein Telefon. Er deutete an, daß nun das entscheidende Gespräch stattfinden würde und daß Mahn in Malmö auf Nachricht wartete. Am nächsten Tag, dem 7. Februar, das war ein Mittwoch, ich kann mich genau erinnern, zog er gegen 15 Uhr zum drittenmal an diesem Tag los. Und kam nie wieder, Punkt. Schluß.«

»Vielleicht können wir gleich den Teil anfügen, der Sie persönlich betrifft?«

Die Frau antwortete ohne jegliches Zögern: »Ja. Wir hatten eine Absprache. Ich bin süchtig, insofern als ich manchmal Haschisch rauche und regelmäßig bei der Arbeit spanische Fenedrintabletten nehme, Simpatina und Centramina. Ausgezeichnet beide Sorten, die völlig ungefährlich sind. Durch die verdammte Jagd nach Stoff sind diese Tabletten knapp und teuer geworden, der Preis ist um das Fünffache gestiegen. Ich kann sie mir ganz einfach nicht mehr leisten. Als ich Bertil Olofsson unten in Nyhavn kennengelernt habe, fragte ich ihn, ob er so was zu verkaufen hätte. So wie ich damals alle fragte, mit denen ich sprach. Es zeigte sich, daß er hatte, was ich suchte, und ich konnte ihm auch etwas bieten, nämlich eine Bleibe, von der keiner was wußte, zwei Nächte im Monat. Ich hab's mir erst überlegt, denn so sympathisch war er nun auch wieder nicht. Aber dann stellte sich heraus, daß er mit Mädchen nichts im Sinn hatte, und das war dann ausschlaggebend. Wir trafen ein Abkommen. Er wohnte die zwei oder drei Nächte bei mir. Jeden Monat. Und dafür brachte er meinen Monatsbedarf mit. Nachdem er verschwunden ist, hab ich keine Tabletten mehr bekommen, kaufen kann ich sie mir nicht, die sind zu teuer, wie ich schon sagte. Die Folge ist, daß ich schlechter und langsamer arbeite. Aus diesem Grund ist es schlimm, daß sie ihn erschlagen haben.«

Mänsson streckte die Hand aus und stellte das Gerät ab. »Ja«, sagte er. »Das war's.«

»Das hörte sich an wie ein Hörspiel im Radio«, bemerkte Kollberg.

»Sehr geschicktes Verhör«, lobte Hammar. »Wie hast du es denn geschafft, daß sie so frei von der Leber weg erzählt hat?«

»Ach, das war keine Kunst«, antwortete Mänsson.

»Entschuldigung, aber ich hab eine Frage.« Melander nahm die Pfeife aus dem Mund und wies mit dem Schaft auf das Tonbandgerät. »Warum hat sich die Frau nicht von allein bei der Polizei gemeldet?«

»Ihre Papiere sind nicht ganz in Ordnung. Nichts Schlimmes. Die Dänen kümmern sich nicht drum. Außerdem war ihr ganz egal, was mit Olofsson passierte.«

»Ausgezeichnetes Verhör«, wiederholte Hammar.

»Das ist eigentlich nur eine Zusammenfassung.«

»Hör mal zu, kann man sich auf das Frauenzimmer verlassen?«

»Absolut. Wichtiger ist aber…«

Er brach ab und wartete, bis die anderen ruhig geworden waren. »Wichtiger ist, daß wir jetzt den Beweis haben, daß Olofsson seine zeitweilige Unterkunft bei… in Kopenhagen am Mittwoch, dem 7. Februar, gegen Uhr verlassen hat, um sich mit jemand zu treffen. Dieser Jemand nahm ihn in aller Wahrscheinlichkeit mit über den Öresund, vermutlich unter dem Vorwand, daß sie gemeinsam mit Malm sprechen müßten, brachte ihn um, verfrachtete ihn in ein altes, schrottreifes Auto und brachte die Karre in den Hafen.«

»Die nächste logische Frage ist, wie kam Olofsson in den Industriehafen?«

unterbrach Martin Beck.

»Ja, eben. Wir wissen, daß der Prefect nicht fahrbereit und daß der Motor jahrelang nicht gelaufen war. Wir wissen auch, daß verschiedene Leute das Fahrzeug da draußen haben stehen sehen, aber weil heutzutage überall Autowracks rumstehen, hat sich keiner drum gekümmert. Die Verpackung stand also schon da.«

»Und wer hat dafür gesorgt?« fragte Kollberg.

»Ich glaub, das wissen wir ziemlich sicher. Schwerer zu sagen ist, wer das Auto da hingestellt hat. Es kann zum Beispiel Mahn gewesen sein. Er war ja um diese Zeit in Malmö und war telefonisch zu erreichen.«

»Na, und wie ist Olofsson in den Hafen gekommen?« fragte Hammar ungeduldig.

»In einem Auto«, sagte Martin Beck mehr zu sich selbst.

»Das stimmt genau«, bestätigte Mänsson. »Wenn er seinen Mörder in Kopenhagen getroffen hat, müssen sie beide zusammen von Kopenhagen nach Malmö gefahren sein, und das macht man mit der Fähre, wenn man nicht verrückt oder Langstreckenschwimmer ist.«

»Oder per Flugzeug«, warf Kollberg ein.

»Ja, aber das scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Also weiter: Da es nicht ganz einfach ist, Leichen auf diesen Fähren unbemerkt zu transportieren, wird Olofsson während der Überfahrt noch am Leben gewesen sein. Und außerdem müßten sie mit einer Autofähre gefahren sein. Wenn ich's richtig sehe, muß Olofssons Mörder einen Wagen zur Verfügung gehabt haben, und vermutlich hat er den aus Kopenhagen mitgebracht.«

»Also, das versteh ich nicht. Warum muß er ein Auto gehabt haben?« fragte Gunvald Larsson.

»Moment noch. Ich will dies nur noch schnell zu Ende führen. Ist nämlich schon klar. Die beiden, Olofsson und sein Mörder, fuhren an dem Abend von Kopenhagen nach Malmö, also am 7. Februar. Was ich erklären wollte, war, wie ich darauf gekommen bin.«

»Wie bist du darauf gekommen?« fragte Gunvald Larsson.

Mänsson sah ihn nachsichtig an. »Wenn er Olofsson nicht in Kopenhagen und nicht auf der Fähre umgelegt hat, muß er es in Malmö gemacht haben Wo in Malmö? Wahrscheinlich draußen im Industriehafen. Wie kam er dahin? Mit dem Auto, denn es gibt keine andere Möglichkeit. Mit welchen Auto? Natürlich ein Auto, das er aus Dänemark mitgebracht hatte. Warum? Wenn er ein Taxi oder einen anderen Wagen aus Malmö benutzt hätte, hätten wir schnell dahinterkommen müssen.«

Die Ruhe war wiederhergestellt. Alle blickten stumm auf Mänsson. Der fuhr etwas langsamer fort. »Daraufhin hab ich zwei Dinge getan. Erstens hab ich die Fähren am Nachmittag und Abend des 7. Februar überprüfen lassen. Stellte sich auch ganz richtig heraus, daß ein Kellner auf der Eisenbahnfähre Malmöhus Olofsson auf dem Bild wiedererkannte und außerdem eine brauchbare Beschreibung seines Begleiters geben konnte. Daraufhin finden meine Leute zwei weitere Zeugen, die das bestätigen können, einen anderen Kellner und den Steuermann, der auf dem Wagendeck das Aufstellen der Autos und der Eisenbahnwagen überwachte. Dieser ist ganz sicher, Olofsson auf der Eisenbahnfähre Malmöhus am Abend des 7. Februar dieses Jahres gesehen zu haben. Und zwar auf der letzten Fähre, Abfahrt von Kopenhagen um Viertel vor zehn. Ankunft in Malmö um Viertel nach elf. Diese Tour fährt das Schiff jeden Tag, und zwar schon seit Jahren. Wir wissen auch, daß Olofsson mit einem Mann zusammen war, dessen Personenbeschreibung ihr gleich hören werdet.« Mänsson nahm langsam einen neuen Zahnstocher. Er blickte Gunvald Larsson an und fuhr fort: »Wir wissen sogar, daß die beiden Erster Klasse fuhren, daß sie im Rauchsalon saßen und Bier tranken und dazu zwei belegte Brote aßen, eins mit Roastbeef und eins mit Käse, stimmt übrigens mit dem, was von Olofssons Mageninhalt noch da war, überein.«

»Na, dann isser da dran gestorben«, brummte Kollberg. »Die Brote der Schwedischen Staatsbahn.«

Hammar warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

»Wir wissen auch, an welchem Tisch er saß. Und außerdem, daß sie einen hellen Ford Taunus benutzten, mit dänischem Kennzeichen. Weitere Untersuchungen haben genau ergeben, welcher Wagen das war; im übrigen war er hellblau.«

»Wie…«, wollte Martin Beck fragen, brach dann aber ab. »Natürlich, ein Leihwagen.«

»Ja. Der Mann in Olofssons Begleitung machte sich nicht die Mühe, von was weiß ich woher per Auto nach Kopenhagen zu kommen. Er flog natürlich und mietete das Auto bei seiner Ankunft in Kastrup. Beim Verleih gab er als Namen Cravanne an und zeigte seinen französischen Paß und seinen französischen Führerschein. Er lieferte den Wagen am Achten wieder ab. Dann flog er ab. Wohin und unter welchem Namen, wissen wir nicht. Dagegen glaub ich, daß er die Nacht in einem kleinen billigen Hotel in Nyhavn verbracht hat. Dort zeigte er allerdings einen libanesischen Paß und nannte sich Riffi. Wenn es der gleiche Mann war. Ein Mensch mit diesem Namen hat dort jedenfalls vom Siebten auf den Achten übernachtet. Die Leute in Nyhavn mögen die Polizei nicht so gern.«

»Und die Schlußfolgerung«, sagte Martin Beck, »ist, daß dieser Mann nach Kopenhagen kam, um Olofsson fertigzumachen. Sie trafen sich am Siebten, fuhren nach Malmö und… du hast gesagt, daß du noch einer Sache nachgegangen bist?«

»Ja«, erwiderte Mänsson lässig. »Ich hab noch mal den Prefect untersuchen lassen, um rauszukriegen, wie er ins Wasser gekommen ist. Wenn man weiß, wonach man sucht, findet man es leichter.«

»Was?« fragte Melander.

»Kratzer. Ich hab vorhin gesagt, daß der Prefect nicht fahrbereit war. Wie ist er dann ins Wasser gekommen? Ja, also, der Leerlauf ist eingelegt worden, und dann wurde der Wagen kräftig angeschoben, von einem anderen Auto. Sonst wäre der nie so weit von der Kaimauer weggekommen. Von hinten, sozusagen Stoßstange an Stoßstange. Kratzer sind da. Die gleichen Zeichen sind auch an dem anderen Auto zu finden.«

»Aber wer hat den Prefect in den verdammten Hafen, wie der immer heißen mag, gefahren?« fragte Gunvald Larsson.

»Der ist da hingeschleppt worden. Von einem Schuttabladeplatz. Meiner Meinung nach war es Malm. Er wohnte da, wo er immer übernachtete, und zwar schon seit dem 4. Februar.«

»Dann kann es doch genausogut Mahn gewesen sein, der…«, warf Hammar ein, aber Mänsson unterbrach ihn.

»Keine Spur. Malm besaß mehr Selbsterhaltungstrieb als Olofsson. Er ist am Morgen des Siebten Hals über Kopf nach Stockholm abgefahren. Das ist bewiesen. Ich glaube, daß Malm den Befehl erhielt, ein Auto zu besorgen, das nicht zu identifizieren war, und an einem bestimmten Platz abzustellen. Per Telefon aus Kopenhagen von diesem Cravanne oder Riffi. Malm gehorchte, merkte sofort, daß sie den Bogen überspannt hatten und daß das Spiel aus war. Außerdem wurde Mahn am Mittag des Siebten von einem Mann am Telefon verlangt, der gebrochen Schwedisch sprach. Die in der Pension haben gesagt, er sei schon abgereist. Wollt ihr die Personenbeschreibung hören? Ich hab alles auf Band gesprochen, damit ich auch nichts weglasse.«

Er legte ein neues Tonband auf und drückte auf den Wiedergabeknopf.

»Cravanne oder Riffi dürfte auf die Vierzig zugehen. Größe zwischen einsachtundsechzig und einszweiundsiebzig. Von Statur breit und kräftig, aber nicht fett. Schwarze Haare und Augenbrauen, Augen dunkelbraun. Gesunde weiße Zähne, Stirn ziemlich niedrig, Augenbrauen und Haaransatz zwei gerade, beinah parallele Linien. Die Nase kräftig gebogen, auf dem einen Nasenflügel möglicherweise eine Narbe oder eine Schramme, die inzwischen verheilt ist. Er hat die Angewohnheit, mit dem Finger über die Stelle zu streichen. Er ist ordentlich gekleidet, Anzug, schwarze Schuhe, weißes Hemd, Schlips. Auftreten zurückhaltend und höflich. Er spricht mindestens drei Sprachen: Französisch, das seine Muttersprache zu sein scheint, sein gut Englisch mit französischem Akzent und ganz gut Schwedisch.« Das Bandgerät wurde abgeschaltet. »So«, fragte Mänsson seelenruhig, »sagt euch das etwas?« Sie starrten ihn wie einen Geist an.

»Ja, also, das ist dann alles, im Augenblick. Habt ihr 'n Zimmer für mich besorgt? Verdammt heiß ist es hier. Entschuldigt mich 'n Moment.« Er ging hinaus auf den Flur.

Rönn stand auf und folgte ihm. Er hatte die meiste Zeit an etwas anderes als an Olofsson und seine Verbrecherbande gedacht. Nämlich daran, daß Mänsson Fachmann für Haussuchungen war. Er holte Mänsson ein und fragte: »Willst du heute zu uns zum Abendbrot kommen?«

»Na klar. Gern!« Er schien freudig überrascht. »Fein«, sagte Rönn.

Es war jetzt über drei Monate her, seit Mats Feuerwehrauto, das er zu seinem vierten Geburtstag bekommen hatte, abhanden gekommen war, und obwohl der Junge kaum noch danach fragte, hörte Rönn nicht auf, darüber nachzugrübeln, wie etwas so einfach spurlos verschwinden konnte. Er suchte immer noch ab und zu und war jetzt davon überzeugt, daß es keinen Millimeter in der Wohnung gab, den er nicht schon durchgekämmt hatte.

Als Rönn vor einiger Zeit zum hundertfünfzigstenmal den Deckel des Wasserbehälters hinter der Toilette hochgehoben hatte, fiel ihm eine Bemerkung von Mänsson ein. Vor etwa einem halben Jahr hatte man eine Seite aus einem Bericht vermißt, und Martin Beck hatte gefragt, ob jemand auf Hausuntersuchungen spezialisiert sei. Mänsson, der damals aus Skäne heraufgekommen war, um an der Suche nach einem Massenmörder teilzunehmen, hatte gemeint: »Überlaßt mir das. Wenn es etwas zu finden gibt, dann finde ich das auch.« Er hatte dann auch wirklich die Seite aus dem Bericht zum Vorschein gebracht.

Dieser Kunst hatte es Mänsson also zu verdanken, daß er die Gelegenheit bekam, Unda Rönns außergewöhnlich gute Küche kennenzulernen. Mänsson aß gern etwas Gutes. Er war wählerisch und wußte eine gut zubereitete Mahlzeit zu würdigen.

Schon nach dem leicht angebratenen Schabefleisch vom Ren mit Rührei, das gerade so cremig geschlagen war, wie er es selbst machte, seufzte er vor Wohlbehagen, und als eine Schüssel mit knusprig gebratenen Schneehühnern auf den Tisch kam, beugte er sich genießerisch schnuppernd vor. »Das ist wirklich was Feines. Wo kriegt ihr denn um diese Jahreszeit solche Delikatessen her?«

»Die kommen von meinem Bruder aus Karesuando«, antwortete Unda. »Er ist Jäger, und von ihm bekommen wir auch immer das Renfleisch.«

Rönn reichte ihm die Schale mit Ebereschengelee und sagte erklärend: »Wir haben ein ganzes Ren in der Kühltruhe. Noch vom Herbst.«

»Aber doch nicht mit dem Geweih und alldem?« fragte Mänsson, und Mats, der so lange gedrängelt hatte, bis er mit am Tisch sitzen durfte, fing lauthals an zu lachen.

»Hahaha. Hörner kann man doch nicht essen. Die macht man doch ab.« Mänsson strich dem Jungen übers Haar. »Du bist 'n ganz heller Bursche. Was willst du denn werden, wenn du groß bist?«

»Feuerwehrmann!« Er rutschte vom Stuhl und verschwand durch die Tür, laut tutend wie ein Feuerwehrauto.

Rönn benutzte das Stichwort, um von dem verschwundenen Feuerwehrauto zu erzählen.

»Hast du unter dem Ren nachgesehen?« fragte Mänsson.

»Ich hab überall gesucht. Es ist ganz einfach weg.«

Mänsson wischte sich den Mund ab. »Das gibt's nicht. Wir werden's schon finden.«

Als sie gegessen hatten, scheuchte Unda sie aus der Küche ins Wohnzimmer. Rönn holte eine Flasche Cognac hervor.

Mats lag im Schlafanzug auf dem Fußboden vor dem Fernseher und sah sich interessiert eine Gruppe von Männern an, die auf einem halbrunden Sofa saßen und diskutierten. Ein junger Mann mit wichtiger Miene nahm das Wort: »Ich bin der Meinung, daß Scheidungen von Ehen, aus denen Kinder hervorgegangen sind, unmöglich gemacht oder vom Gesetzgeber zumindest stark erschwert werden, sollten. Kinder, die von einem Elternteil aufgezogen werden, sind später anfälliger für Alkohol oder Rauschgift«, sagte er und löste sich in einen hellen Punkt auf, als Rönn den Apparat ausschaltete.

»Unsinn«, meinte Mänsson. »Sieh mich an. Ich hab meinen Vater erst kennengelernt, als ich vierzig war. Meine Mutter hat mich allein aufgezogen, und bei mir stimmt alles. Jedenfalls fast alles.«

»Hast du deinen Vater nach so langer Zeit besucht?«

»Ach wo. Was hätte das für 'n Sinn gehabt? Nein. Wir haben uns ganz zufällig in dem staatseigenen Spirituosengeschäft am Davidhallstorg getroffen. Ich war damals schon Oberkonstabler.«

»Was hast du dabei empfunden? Als du deinem Vater so gegenübergestanden hast?«

»Ehrlich gesagt gar nichts. Ich stand in einer Schlange, und in der Neben-Schlange stand ein grauhaariger Mann von meiner Größe. An die Siebzig und anscheinend gut in Form. Er kam auf mich zu und sagte: ›Guten Tag. Ich bin Ihr Vater, Oberkonstabler. Ich hab öfter vorgehabt, Sie zu begrüßen wenn ich Sie auf der Straße gesehen habe. Aber daraus ist dann nie was geworden.‹ Dann fuhr er fort: ›Ich hab gehört, daß es Ihnen gut gehen soll.«

»Und was hast du geantwortet?«

»Ich wußte nicht recht, was ich sagen sollte. Dann hab ich dem Mann die Hand hingestreckt, und er hat ›Jönsson‹ gesagt. ›Mänsson‹, hab ich gesagt, und wir haben uns die Hände geschüttelt.«

»Habt ihr euch seitdem wieder getroffen?«

»Ja, wir sehen uns ab und zu, und dann grüßt er jedesmal genauso freundlich.«

Unda kam herein und holte Mats, der auf Rönns Knie beinahe eingeschlafen war. Nach kurzer Zeit kam sie zurück und sagte: »Er will, daß ihr kommt und ihm gute Nacht sagt.«

Der Junge schlief schon, als sie in das Zimmer traten. Mänsson sah sich aufmerksam um, ehe sie wieder hinausschlichen und die Tür schlössen.

»Da drin hast du wohl nachgesehen, nehm ich an?« fragte er.

»Und ob! Ich hab das ganze Zimmer auf den Kopf gestellt. Die anderen übrigens auch. Aber du kannst dich ja noch mal umsehen. Ich hab vielleicht was übersehen.«

Das hatte er nicht. Zusammen gingen sie durch die ganze Wohnung, und Mänsson konnte keinen Winkel finden, in dem Rönn nicht schon mehrmals gesucht hatte. Sie gingen zum Kaffee, zum Cognac und zu Unda zurück.

»Ist doch komisch. So klein war es schließlich nicht«, meinte sie.

»Ungefähr dreißig Zentimeter lang«, ergänzte Rönn.

»Du hast doch gesagt, daß er 'n paar Tage nicht draußen war, nachdem er das Auto bekommen hatte. Kann er's vielleicht aus dem Fenster geworfen haben?«

»Nein«, antwortete Unda. »Du siehst ja, wir haben überall Sicherheitsketten vor den Fenstern, damit er sie nicht allein öffnen kann. Und wenn Mats in der Nähe ist, halten wir die Fenster immer geschlossen.«

»Und wenn man sie trotz der Kette aufmacht, ist der Spalt zu schmal, als daß das Auto durchfallen könnte.«

Mänsson rollte sein Cognacglas zwischen den Handflächen und fragte: »Der Mülleimer? Kann er es da reingeschmissen haben?«

Unda schüttelte den Kopf. »Nein. Der steht im Schrank mit den Waschmitteln und solchen Sachen, und da ist eine Sperre an der Tür, die er nicht aufkriegt.«

»Aha.« Mänsson nippte nachdenklich am Cognac. »Habt ihr 'n Dachboden?«

»Nein, nur einen Keller.«

Habt ihr irgendwelche Sachen runtergebracht, seit das Auto weg ist?« Rönn blickte zu seiner Frau, die den Kopf schüttelte.

»Ich auch nicht«, sagte er.

Fällt euch was ein; was aus der Wohnung weggebracht worden ist? Habt was zur Reparatur gebracht oder so? Oder Wäsche, kann das Auto im Wäschesack gelegen haben?«

»Ich wasche alles selbst«, erwiderte Unda. »Wir haben 'ne Waschküche im Keller.«

»Und er hat keine Spielkameraden hier gehabt, die es mitgenommen haben könnten?«

»Nein, er hat Schnupfen gehabt, und während der Zeit war keiner hier.« Eine Weile schwiegen sie.

»Ist irgend jemand in der Wohnung gewesen, der das Auto mitgenommen haben kann?«

»Ich hab 'n paar Freundinnen hier gehabt, aber die klauen keine Spielsachen. Außerdem war das erst, als wir schon gemerkt hatten, daß das Auto weg war. Einar hat an dem Abend, als er nach Hause kam, ja wie ein Verrückter gesucht.«

Rönn nickte ärgerlich.

»Das ist ja das reinste Polizeiverhör«, meinte Unda und kicherte.

»Warte nur, bis er den Gummiknüppel rausholt und richtig loslegt.«

»Denkt mal nach. War irgendwer hier in der Wohnung, einer, der was abgeholt oder den Stromzähler abgelesen hat, oder ein Heizungsmechaniker oder andere Handwerker?«

»Nein. Nicht, soviel ich weiß. Meinst du, einer hat das Auto gestohlen?«

»Warum nicht? Es wird so vieles entwendet heutzutage. In Malmö hatten wir einen Mann, der gab sich als Kammerjäger aus, und als wir ihn erwischten, hatte er hundertdreizehn Damenschlüpfer in seiner Schublade liegen. Das war das einzige, was er geklaut hat. Aber ich dachte eigentlich mehr daran, daß das Feuerwehrauto versehentlich mitgenommen worden ist.«

»Das müßtest du eigentlich wissen, Unda. Du bist ja tagsüber zu Hause.«

»Laßt mich mal nachdenken. Ich kann mich nicht entsinnen, daß wir Handwerker in der Wohnung gehabt haben. Der Glaser mit der neuen Fensterscheibe war doch viel früher hier?«

»Ja, das war im Februar.«

»Stimmt.« Unda biß sich nachdenklich in den Knöchel des Zeigefingers.

er Hausmeister war hier und hat die Heizungskörper entlüftet. Das war 'n Paar Tage nach Mats' Geburtstag.«

»Die Heizungskörper entlüftet? Davon wußte ich ja gar nichts!«

»Ich hab wohl vergessen, es dir zu sagen.«

»Hatte er Werkzeug bei sich?« fragte Mänsson. »Er muß doch einen Schraubenschlüssel oder eine Wasserpumpenzange gehabt haben. Weißt du noch, ob er einen Werkzeugkasten bei sich hatte?«

»Ich glaube, aber sicher bin ich nicht.«

»Wohnt er hier im Haus?«

»Ja, im Erdgeschoß, Svensson heißt er.«

Mänsson stellte das Cognacglas weg und stand auf. »Komm, Einar, wir besuchen mal deinen Hausmeister.«

Svensson war ein kleiner, sehniger Mann in den Sechzigern. Er hatte dunkle, frischgebügelte Hosen und ein blendendweißes Hemd mit Ärmelhaltern an. Mänsson hatte bereits eine große Werkzeugtasche entdeckt, die in der Diele auf einer Kommode stand, als der Hausmeister fragte: »Guten Abend, Herr Rönn, womit kann ich Ihnen dienen?«

Rönn wußte nicht so recht, wie er anfangen sollte, aber Mänsson zeigte auf die Tasche und fragte: »Ist das Ihr Werkzeug, Herr Svensson?«

»Ja«, bestätigte dieser erstaunt.

»Wie lange haben Sie es nicht gebraucht?«

»Tja… Wird wohl 'ne Weile her sein. Ich hab 'n paar Wochen im Krankenhaus gelegen, und während der Zeit hat Borg von Nummer elf mich vertreten. Aber warum wollen Sie das wissen?«

»Dürfen wir mal reinsehen?« fragte Mänsson.

Der Hausmeister stellte die Tasche auf den Tisch.

»Bitte! Aber warum…«

Mänsson öffnete die Tasche, und Rönn sah, wie der Hausmeister den Hals reckte und erstaunt hineinsah. Er trat einen Schritt vor, und zwischen all den Hämmern, Schraubenziehern und Zangen lag das Feuerwehrauto, rot und blitzblank.

Einige Tage später, genauer gesagt am Dienstag, dem 30. Juli, saßen Martin Beck und Kollberg draußen in Västberga und tranken Kaffee. Dabei gingen sie den Fall noch einmal gemeinsam durch.

»Ist Mänsson nach Hause gefahren?« fragte Martin Beck.

»Ja, ist schon Sonnabend wieder abgehauen. Scheint sich in Stockholm nicht wohl zu fühlen.«

»Der Mord im Bus im letzten Winter hat ihm wohl gereicht.«

»Der Mann hat saubere Arbeit geleistet«, sagte Kollberg. »Hätte ich der Schlafmütze gar nicht zugetraut. Aber ich möchte doch wissen…«

»Was denn?«

Kollberg schüttelte den Kopf. »Irgendwas stimmte bei dem Zeugenverhör nicht. Mit dem Mädchen, meine ich.«

»Wie kommst du darauf?«

»Weiß nicht genau. Na, jedenfalls scheint der Fall nun geklärt zu sein - Olofsson und Mahn und dieser Karlsson, der der Fälscher war, wollten aussteigen und sich selbständig machen…«

»Ach so, ja, Karlsson! Wir waren bei der Versicherungsgesellschaft, bei der er gearbeitet hat. Die Sachen, die er für Fälschungen brauchte, waren alle noch da. Stempel und Papiere und all das. Er hatte alles in einem Schrank verwahrt, und sein Abteilungsleiter hat den Kram in einen großen Karton gelegt, ohne zu ahnen, um was es sich dabei handelte. Jetzt liegt das Zeug in der Kungsholmsgatan, wenn du dir's ansehen willst.«

»Der Kerl hat sehr geschickt gearbeitet. Aber zurück zu den dreien: Sie wußten einfach zuviel, und darum wurde dieser Lasalle-Riffi-Cravanne, oder wie er heißt, hergeschickt.«

»Herr Soundso.«

»Wie du meinst. Also, er fuhr nach Kopenhagen und dann nach Malmö und brachte Olofsson um die Ecke. Mahn kriegte es mit der Angst und haute ab. Dann wurde Mahn von der Polizei erwischt und…«

»Ja, sowohl er als auch Sigge Karlsson waren arbeitslos. Sie wußten oder ahnten, was mit Olofsson passiert war. Beide waren blank und übernervös, und schließlich nahm Mahn einen Wagen und wollte ihn auf eigene Faust verkaufen, um wieder flüssig zu werden. Und wurde unmittelbar darauf erwischt.«

»Und wieder laufengelassen, aber dadurch besserte sich ihre Lage nicht. Er und Sigge Karlsson warteten nur darauf, daß dieser Herr Soundso oder ein anderer kommen und sie ebenfalls um die Ecke bringen würde. Sie lebten sozusagen auf Zeit.«

»Und Herr Soundso kam dann auch wie ein Brief mit der Post. Er muß sich auf irgendeine Weise bemerkbar gemacht haben, wahrscheinlich per Telefon, oder sie haben ihn gesehen, als er ihre Adressen überprüft hat. Sigge Karlsson verliert die Nerven und erschießt sich. Kurz davor hatte er einen lichten Moment und überlegte, ob er dich anrufen solle. Aber er verwarf den Gedanken wieder.«

Martin Beck nickte.

»Mahn ist jetzt so fertig, daß er ohne jede Vorsichtsmaßnahme zu Sigge Karlsson geht, obwohl er gemerkt haben muß, daß er beschattet wird. Dort erfährt er, daß Karlsson tot ist.«

»Und er leistet sich für seinen letzten Groschen ein Glas Bier, rennt nach Hause und dreht den Gashahn auf. Aber vorher ist Herr Soundso, der mit einem speziellen Auftrag in der Stadt ist und ihn schnell hinter sich bringen will, dagewesen und hat seinen hübschen kleinen Apparat in Malms Bett gelegt. Am Tag darauf fliegt Herr Soundso wieder ab. Und wir sitzen in der Scheiße. Da muß man sich ja dämlich vorkommen, wenn ein Haufen Leute wie du und ich und Rönn und Larsson fünf Monate lang rumtappen, erst nach einem Mann suchen, der zu dem Zeitpunkt schon einen Monat tot ist, und dann nach einem Kerl, dessen Namen keiner kennt und der von Anfang an außer Reichweite ist.«

»Vielleicht kommt er wieder«, meinte Martin Beck nachdenklich.

»Optimist! Der setzt keinen Fuß mehr auf schwedischen Boden.«

»Na, da bin ich nicht so sicher. Du hast einen Punkt vergessen. Der ist wichtig für die Bande, er kann hier allerhand erledigen, weil er Schwedisch spricht.«

»Ja, verdammt, wo hat er das gelernt?«

»Irgendwann mal hier gearbeitet oder als Flüchtling im Krieg hier gewesen. Jedenfalls muß er seinen Leuten unerhört wertvoll sein, wenn die Firma ihre Stockholmer Filiale wieder aufbauen will. Außerdem hat er keine Ahnung davon, daß wir ihm auf die Spur gekommen sind. Der könnte durchaus wieder hier auftauchen.«

Kollberg hielt den Kopf schräg und überlegte.

»Hast du dir auch das überlegt, selbst wenn er zurückkommt und höchstpersönlich hier erscheint, was können wir ihm anhaben? Daß er in Sundbyberg gewesen ist, und das ist schließlich nicht strafbar.«

»Stimmt. Wegen der Brandgeschichte können wir ihm nicht an den Kragen, aber die Sache in Malmö, der Mord an Olofsson, da haben wir doch ganz handfeste Beweise.«

»Sicher. Aber das soll nicht unsere Sorge sein. Und außerdem kommt der nie wieder.«

»Ich bin immer noch nicht so recht davon überzeugt. Ich werde jedenfalls Interpol und die französische Polizei bitten, die Augen offenzuhalten. Und uns zu benachrichtigen, wenn er auftaucht.«

»Tu das nur«, sagte Kollberg und gähnte.