18

Als Gunvald Larsson, frisch gebadet und munter, das Polizeigebäude in der Kungsholmsgatan betrat und hinauf zu den Räumen der Kriminalpolizei fuhr, hatte er keine Ahnung, was aus dem Fall Mahn inzwischen geworden war. Es war Montag, der 25. März, und der erste Tag, an dem er wieder im Dienst war. Er hatte nach seiner Begegnung mit Max Karlsson am Dienstag den Telefonhörer nicht mehr in die Hand genommen, und in den Zeitungen hatte nach der Nachricht von Madeleine Olsens Tod keine Zeile über den Brand gestanden. Wahrscheinlich würde er demnächst eine Medaille bekommen, die Heldentat und die Tragödie waren abgeschlossene Kapitel, und die Erinnerung an den Namen Gunvald Larsson verblaßte bereits merklich. Die Welt war schlecht, es gab genügend Sensationen für die Titelseiten. Über Selbstmorde wird in den schwedischen Zeitungen nur selten berichtet, zum Teil aus ethischen Gründen, vor allem aber weil es so beschämend viele sind, und über ein Schadenfeuer mit drei Todesopfern kann man auch nicht wochenlang etwas Neues schreiben. Außerdem gab es keinen Grund, die Polizei wegen dieses einzelnen Falles immer wieder zu loben, solange sie den Rauschgifthändlern nicht das Handwerk legen konnte oder mit den ewigen Demonstrationen nicht fertig wurde und die Sicherheit auf den Straßen nicht garantieren konnte. Und so weiter.

Gunvald Larsson starrte daher verblüfft auf die eindrucksvolle Gesellschaft, die gerade von einer Besprechung bei Hammar kam. Darunter waren sowohl Melander als auch Ek und Rönn und Strömgren, gar nicht zu reden von Martin Beck und Kollberg, zwei Männern, über die er höchst ungern sprach und nur, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ. Sogar Skacke lief geschäftig hin und her und versuchte mit ernster Miene, sich dem Kreis anzuschließen, zu dem er vorübergehend als Randfigur gehörte.

»Was ist denn hier los?« fragte Gunvald Larsson.

»Hammar überlegt, ob er die Fahndungszentrale hier läßt oder nach Västberga verlegt«, antwortete Rönn kleinlaut.

»Nach wem fahndet ihr denn?«

»Einem gewissen Olofsson. Bertil Olofsson.«

»Olofsson?«

»Es ist das beste, wenn du diese Berichte hier durchliest«, mischte Melander sich ein und wies mit dem Pfeifenkopf auf einen Stapel Schreibmaschinenbogen.

Gunvald Larsson las.

Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen, und sein Blick wurde immer ratloser. Schließlich schob er die Akten beiseite und fragte mißtrauisch:

»Was soll denn das hier bedeuten? Ist das 'n Witz?«

»Leider nicht«, antwortete Melander.

»Brandstiftung kann ja sein, aber das mit dieser Bombe in der Matratze… meinst du, daß das jemand ernst nimmt?«

Rönn nickte mißmutig.

»Gibt es denn überhaupt solche Apparate?«

»Hjelm sagt ja. Die sollen in Algerien erfunden worden sein.«

»In Algerien?«

»In manchen Gegenden in Südamerika sind die weit verbreitet«, bestätigte Melander.

»Na, aber dieser verdammte Olofsson? Wo ist denn der?«

»Verschwunden«, kam es lakonisch von Rönn.

»Verschwunden?«

»Es wird behauptet, er wäre im Ausland, aber keiner weiß es genau. Nicht mal Interpol kann ihn finden.«

Gunvald Larsson überlegte und bohrte dabei mit dem Brieföffner zwischen seinen großen Vorderzähnen. Melander räusperte sich und verließ das Zimmer. Martin Beck und Kollberg kamen herein.

»Olofsson«, sagte Gunvald Larsson mehr zu sich selbst. »Der gleiche Mann, der Stoff an Max Karlsson und geschmuggelten Schnaps an Kenneth Roth geliefert hat. Und der Malms Autogeschäfte dirigiert hat.«

»Und dessen Name in dem Wagen stand, den Mahn benutzte, als er auf dem Södertäljevägen angehalten wurde«, fügte Martin Beck hinzu. »Hinter dem waren die Kameraden vom Einbruchsdezernat her, und deshalb waren sie so daran interessiert, den Malm nicht aus den Augen zu verlieren. Sie warteten darauf, daß Olofsson aufkreuzen und Mahn gegen ihn aussagen würde, um seine eigene Haut zu retten.«

»Olofsson ist also die Schlüsselfigur in dieser Sache. Sein Name taucht immer wieder auf.«

»Meinst du, daß wir das nicht gemerkt haben?« fragte Kollberg mit deutlichem Widerwillen in der Stimme.

»Dann geht doch hin und holt ihn euch, dann ist die Sache geritzt«, sagte Gunvald Larsson triumphierend. »Bestimmt hat er das Haus angesteckt.«

»Das Schwein ist spurlos verschwunden, falls du's immer noch nicht gemerkt haben solltest.«

»Warum gebt ihr sein Bild nicht an die Zeitungen?«

»Damit er verscheucht wird?« meinte Martin Beck.

»Man kann kaum einen verscheuchen, der bereits verschwunden ist.« Kollberg bückte Gunvald Larsson mitleidig an und zuckte die Achseln.

»Wie doof darf man eigentlich sein?«

»Solange Olofsson glaubt, daß wir annehmen, Mahn hätte Selbstmord begangen und das Gas wäre durch einen unglücklichen Zufall explodiert, fühlt er sich sicher«, lenkte Martin Beck geduldig ein.

»Warum versteckt er sich denn dann?«

»Das ist 'ne vernünftige Frage.«

»Ich hab eine andere Frage.« Kollberg wandte sich an alle im Raum. »Freitag haben wir mit Jacobsson vom Rauschgiftdezernat gesprochen, und der sagte, daß Max Karlsson den Eindruck machte, als ob jemand ihn durch die Mangel gedreht hätte, bevor er Dienstag hierher gebracht wurde. Ich frage mich, wer dieser Jemand wohl gewesen sein könnte.«

»Karlsson hat gestanden, daß Olofsson ihn, Roth und Mahn beliefert hat«, entgegnete Gunvald Larsson.

»Das sagt er jetzt nicht mehr.«

»So? Aber mir hat er es gesagt.«

»Wann denn? Als du ihn verhört hast?«

»Ja«, antwortete Gunvald Larsson ungerührt.

Martin Beck nahm eine Florida, drückte das Mundstück zusammen. »Ich hab's schon öfter gesagt, und ich sag's immer wieder: Gunvald, früher oder später fällst du noch mal auf die Schnauze.«

Das Telefon klingelte, und Rönn nahm ab.

Gunvald Larsson gähnte gleichgültig. »Na, wie du meinst.«

»Ich meine das nicht nur, ich bin davon überzeugt.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Rönn in den Hörer. »Verschwunden? Das ist doch unmöglich. Nichts kann so ohne weiteres verschwinden. Klar begreife ich, daß er traurig ist… was… sag ihm, daß es zwecklos ist, wenn er sich hinsetzt und weint, nur weil es weggekommen ist. Hier ist zum Beispiel ein Mann verschwunden. Überleg doch mal, wenn ich mich einfach hinsetzen und heulen würde. Wenn eine Person oder eine Sache verschwunden ist, dann muß man… Was?«

Die anderen sahen ihn verwundert an.

»Eben, dann muß man suchen, bis man es findet«, sagte Rönn mit großem Nachdruck und legte den Hörer auf.

»Was ist denn verschwunden?« erkundigte sich Kollberg.

»Ach, meine Frau…«

»Wie?« fuhr Gunvald Larsson auf. »Ist Unda verschwunden?«

»Ach was«, sagte Rönn. »Ich hab dem Jungen vor 'n paar Tagen zum Geburtstag ein Feuerwehrauto geschenkt. 32,50 hat es gekostet. Und jetzt hat er's verbummelt. Zu Hause in der Wohnung. Und nun heult er und will 'n neues haben. Verschwunden. Ist doch Unsinn, in meiner eigenen Wohnung. So groß war es.« Er hielt zwei Finger hoch.

»Das ist außerordentlich wichtig«, meinte Kollberg spöttisch. Rönn saß immer noch mit erhobenen Fingern da.

»Wichtig? Ja, das kann man wohl sagen. Ein Feuerwehrauto. So groß. Für 32,50.«

Im Zimmer wurde es still. Gunvald Larsson starrte Rönn an und runzelte die Stirn. Schließlich sagte er leise: »Das Feuerwehrauto, das verschwand…« Rönn starrte ihn verständnislos an.

»Hat eigentlich einer mit Zachrisson gesprochen?« fragte Larsson plötzlich.

»Diesem dummen Kerl von der Maria-Wache?«

»Ja«, antwortete Martin Beck. »Er weiß von nichts. Mahn hat allein in einer Bierkneipe in der Hornsgatan gesessen, bis die um acht zugemacht haben. Dann ist er nach Hause gegangen. Zachrisson ist ihm gefolgt und hat drei Stunden da gestanden und gefroren. Er hat drei Menschen ins Haus gehen sehen, und von denen ist einer jetzt tot und ein anderer sitzt in Untersuchungshaft. Dann bist du gekommen.«

»Das hab ich mir doch gedacht«, brummte Gunvald Larsson und ging hinaus.

»Was ist denn in den gefahren?« fragte Rönn.

»Nichts, nehme ich an«, erwiderte Kollberg abwesend.

Er stand da und überlegte, wieso Gunvald Larsson Rönns Frau beim Vornamen nannte. Er selbst wußte nicht mal, ob Rönn verheiratet war. Wahrscheinlich infolge seines ganz allgemein mangelhaften Beobachtungsvermögens.

Gunvald Larsson fragte sich, wie man jemals einen verschwundenen Mörder finden wollte, wenn man nicht mal einen Polizeikonstabler auftreiben konnte.

Es war fünf Uhr nachmittags, und er hatte beinahe sechs Stunden lang nach Zachrisson gesucht. Diese Beschäftigung hatte ihn kreuz und quer durch die Stadt geführt und glich immer mehr einer Schnipseljagd. Auf der Maria-Wache sagte man ihm, daß Zachrisson gerade seinen Dienst beendet hatte. Zu Hause war er telefonisch nicht zu erreichen, und nach einer Weile fiel einem der Kollegen ein, daß er wahrscheinlich zum Schwimmen gegangen sei. Wo? Vermutlich ins Hallenbad Äkeshov, das in westlicher Richtung auf halbem Weg nach Vällingby liegt. In Äkeshov gab es keinen Zachrisson, dafür aber ein paar andere Polizisten, die hilfsbereit darauf hinwiesen, daß sie noch nie von einem Kollegen mit Namen Zachrisson gehört hatten und daß er sicherlich im Eriksdals-Bad sei, wo die Polizei auch Trainingsstunden hatte. Gunvald Larsson durchquerte noch einmal die Stadt, die grau und kalt und voller bibbernder und unfreundlicher Menschen war. Besonders unfreundlich war die Badefrau im Eriksdals-Bad, die ihn nur in die Schwimmhalle lassen wollte, wenn er sich auszog. Einige nackte Männer, die aus der Sauna kamen, behaupteten, Polizisten zu sein und Zachrisson zu kennen, sagten aber, daß sie ihn tagelang nicht gesehen hätten. Worauf er sich wieder angezogen hatte.

Jetzt stand er im Erdgeschoß eines alten, aber gepflegten Hauses in der Torsgatan und glotzte wütend auf eine tabaksbraune Tür. Über dem Briefschlitz hing ein weißes Pappschild mit Zachrissons Namen. Sehr hübsch in Blockschrift mit Kugelschreiber geschrieben und von einer eigenartigen Weinranke umschlungen, die sicherlich mit großer Sorgfalt und einem grünen Kugelschreiber gezeichnet worden war.

Er hatte geklingelt und geklopft und auch ein paarmal mit dem Fuß gegen die Tür getreten, jedoch mit dem einzigen Erfolg, daß die Nachbarsfrau den Kopf herausgesteckt und ihn wütend angesehen hatte.

Gunvald Larsson hatte sie mit so wilder Miene angestarrt, daß die alte Frau sich sofort zurückgezogen hatte. Dann hatte sie mit der Sicherheitskette gerasselt, und bald würde sie wohl anfangen, Möbel heranzuschleppen, um die Tür zu verbarrikadieren.

Gunvald Larsson kratzte sich am Kinn und überlegte, was er noch tun könnte. Einen Zettel schreiben und in den Briefkasten legen. Oder eine Nachricht direkt auf das scheußliche Pappschild schreiben?

Die Haustür wurde aufgestoßen, und eine Frau von Mitte dreißig kam herein. Sie trug zwei Papiertüten mit Lebensmitteln und ging auf die Fahrstuhltür zu, dabei schielte sie ängstlich zu Gunvald Larsson hinüber.

»Entschuldigung…«

»Ja«, sagte die Frau erschrocken.

»Ich suche einen Polizisten, der hier wohnt.«

»Ach so. Zachrisson?«

»Ja, den.«

»Den Detektiv?«

»Was?«

»Detektiv Zachrisson. Der all die Menschen aus dem brennenden Haus gerettet hat?«

Gunvald Larsson starrte sie an. Schließlich nickte er. »Ja, den suche ich.«

»Wir sind so stolz auf ihn.«

»Aha.«

»Er ist hier nämlich Hausmeister«, fügte sie erklärend hinzu. »Sehr tüchtig und zuverlässig.«

»Aha.«

»Aber streng. Paßt auf die Kinder auf. Manchmal setzt er seine Mütze auf, um sie zu erschrecken.«

»Seine Mütze?«

»Ja, er hat eine Dienstmütze im Heizungsraum.«

»In der Heizung?«

»Na, sicher. Haben Sie es da denn schon versucht? Er arbeitet oft da unten. Wenn Sie anklopfen, macht er vielleicht auf.«

Sie machte einen Schritt auf den Fahrstuhl zu, blieb aber dann stehen und blickte Gunvald Larsson lächelnd an.

»Hoffentlich haben Sie nichts auf dem Kerbholz. Mit Zachrisson ist nicht zu spaßen.«

Gunvald Larsson stand still, ohne sich zu rühren, bis der knarrende Fahrstuhl aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dann ging er schnellen Schrittes auf die Kellertür zu, stieg eine gewundene Steintreppe hinunter, bis er vor eine Eisentür kam. Mit beiden Händen faßte er die Klinke an, aber sie ließ sich nicht bewegen.

Er trommelte mit der Faust. Nichts rührte sich. Er drehte sich um und schlug fünfmal mit dem Absatz kräftig dagegen. Die dicken Eisenplatten hallten. Plötzlich hörte er etwas.

Von der anderen Seite der Schutzraumtür sagte eine Stimme gebieterisch:

»Verschwindet!«

Gunvald Larsson war von den Erlebnissen der letzten Minute noch so betäubt, daß er nicht sofort antworten konnte.

»Ihr dürft nicht im Haus spielen«, tönte die Stimme dumpf und gefährlich. »Das hab ich euch ein für allemal gesagt.«

»Mach auf«, rief Gunvald Larsson. »Sieh zu, daß du die Tür aufkriegst, ehe ich das ganze verdammte Haus in Stücke schlage!«

Zehn Sekunden Stille. Dann fing es in den schweren Eisenscharnieren an zu quietschen, und die Tür wurde aufgezogen, langsam und knarrend. Zachrisson blickte ihn erschrocken und verwirrt an.

»Oh, ach so, Verzeihung… ich konnte ja nicht wissen…«

Gunvald Larsson schob ihn zur Seite und trat in den Heizungsraum. Dort blieb er stehen und sah sich verblüfft um.

Der Raum war beispielhaft sauber. Auf dem Fußboden lag ein' bunter Plastteppich, und gegenüber dem Ölbrenner stand ein weißlackierter Tisch mit eisernem Gestell und runder Platte. Weiter waren dort zwei Korbstühle mit blau und orange karierten Kissen, eine Tischdecke mit großem Blumenmuster und eine handbemalte rote Vase mit vier roten und zwei gelben Tulpen aus Kunststoff. Außerdem ein grüner Porzellanaschenbecher, eine Flasche Limonade, ein Glas und eine aufgeschlagene Zeitung. An der Wand hingen zwei Dinge. Eine Dienstmütze der Polizei und ein eingerahmtes farbiges Bild, das Seine Majestät den König zeigte. Die Zeitung war ein Kriminalmagazin von dem Typ, der jeweils zur Hälfte nackte Mädchen und bis zur Unkenntlichkeit aufgemachte und dramatisierte Schilderungen klassischer Kriminalfälle bringt. Es lag aufgeschlagen da, und es war keine Frage, daß Zachrisson entweder den Artikel Geisteskranker Arzt zerstückelt 2 nackte Frauen in 60 Teile gelesen hatte oder beim Studium eines farbigen ganzseitigen Bildes gestört worden war, das eine rosa Dame darstellte mit mächtigen fetten Brüsten und ausgeleiertem rasiertem Geschlechtsorgan, das sie dem Betrachter einladend mit zwei Fingern auseinanderhielt.

Zachrisson hatte ein Unterhemd, Filzpantoffeln und eine dunkelblaue Uniformhose an.

Im Heizungsraum war es sehr warm.

Gunvald Larsson schwieg. Begnügte sich damit, die einzelnen Einrichtungsgegenstände eingehend zu betrachten. Zachrisson folgte seinem Blick und scharrte nervös mit den Füßen. Schließlich brachte er etwas übertrieben munter heraus: »Wenn man schon an einem solchen Platz arbeiten muß, kann man es sich ja auch ein bißchen gemütlich machen.«

»Ist das die, mit der du die Kinder erschreckst?« fragte Gunvald Larsson und zeigte auf die Uniformmütze.

Zachrisson wurde puterrot im Gesicht. »Ich verstehe nicht…«, begann er, aber Gunvald Larsson unterbrach ihn sofort.

»Ich bin nicht hierher gekommen, um mit dir über Kindererziehung oder Wohnungseinrichtungen zu sprechen.«

»Natürlich«, sagte Zachrisson kleinlaut.

»Ich will nur eins genau wissen. Als du an die Brandstelle in der Sköldgatan kamst, bevor du alle die Menschen gerettet hast, hast du doch was gesabbelt, daß die Feuerwehr schon da sein müßte. Wie hast du das gemeint?«

»Ja, ich… das war so… als ich sah…«

»Red keinen Unsinn, antworte!«

»Ich hab doch schon von der Rosenlundsgatan aus gesehen, daß es brannte, darum bin ich zurück zur nächsten Telefonzelle gelaufen. Und da sagte die Zentrale, daß sie schon alarmiert worden sei und die Feuerwehr schon da sein müsse.«

»Na, war sie denn da?«

»Nein, aber…« Zachrisson brach ab.

»Was, aber?«

»Aber der in der Alarmzentrale hat das bestimmt gesagt. Wir haben einen Löschzug geschickt, sagte er. Der ist schon da.«

»Wie soll denn das gewesen sein? Ist das verdammte Feuerwehrauto unterwegs verschwunden?«

»Nein. Weiß ich nicht«, antwortete Zachrisson verwirrt.

»Du bist doch noch mal zurückgelaufen, nicht wahr?«

»Ja, klar. Als Sie… Als du…«

»Was hat der große Meister in der Alarmzentrale da gesagt?«

»Weiß ich nicht mehr. Denn diesmal lief ich zum Feuermelder.«

»Aber beim erstenmal hast du von einer Telefonzelle aus angerufen?«

»Ja, die lag näher. Ich bin hingelaufen und hab angerufen, und da sagte die Alarmzentrale…«

»… daß schon ein Löschzug da sei. Ja, ja, hab ich schon gehört. Aber was hat die Alarmzentrale beim zweitenmal gesagt?«

»Ich… ich weiß nicht mehr.«

»Weiß nicht mehr?«

»Ich war ziemlich außer Puste.«

»Wenn es brennt, wird die Polizei auch alarmiert, nicht wahr?«

»Ja, sicher… ich glaub jedenfalls… ich meine…«

»Wo ist denn der Streifenwagen geblieben, der hätte kommen müssen? Ist der auch verschwunden?«

Der Mann im Unterhemd und in der Uniformhose schüttelte resignierend den Kopf. »Weiß ich nicht.«

Gunvald Larsson sah ihn starr an und fragte kopfschüttelnd: »Wie kannst du nur so saudumm sein, daß du das der Fahndungsleitung nicht erzählt hast.«

»Was denn? Was hätte ich denen denn sagen sollen?«

»Daß die Feuerwehr schon alarmiert worden war, als du angerufen hast! Und daß das Auto verschwunden war! Wer kann das beispielsweise gewesen sein, der vor dir Alarm gegeben hat? Die Kripo hat dich doch deswegen vernommen, nicht? Und du wußtest, daß ich krank war, stimmt's? Hab ich nicht recht?«

»Doch, aber ich versteh nicht…«

»Das merk ich auch. Dir fällt nicht ein, was die von der Alarmzentrale beim zweitenmal geantwortet haben. Weißt du denn noch, was du selbst gesagt hast?«

»Es brennt, es brennt… oder so was. Ich… war ja ziemlich durcheinander. Und dann war ich so gerannt.«

»Es brennt, es brennt? Du hast wohl nicht zufällig gesagt, wo es brennt?«

»Doch natürlich. Ich glaub, ich hab gerufen, oder beinahe gerufen: Es brennt in der Sköldgatan! Ja, und dann kam ja die Feuerwehr auch.«

»Und da haben sie nicht gesagt, daß schon ein Löschzug da wäre? Als du angerufen hast?«

»Nein.« Zachrisson überlegte einen Moment. »Der war ja auch nicht da«, sagte er etwas beleidigt.

»Aber beim erstenmal doch? Als du vom Telefonhäuschen aus angerufen hast? Hast du da das gleiche geschrien? Es brennt in der Sköldgatan?«

»Nein. Als ich von der Telefonzelle aus angerufen habe, war ich ja noch nicht so aufgeregt. Da hab ich natürlich die offizielle Adresse angegeben.«

»Offizielle Adresse?«

»Ja. Ringvägen 37.«

»Aber das Haus lag doch in der Sköldgatan.«

»Ja. Aber die richtige Adresse ist Ringvägen 37. Wahrscheinlich, damit es der Briefträger leichter hat.«

»Leichter?« Gunvald Larsson zog die Stirn, kraus. »Bist du sicher?«

»Ja. Als wir bei der Maria-Wache anfingen, mußten wir alle Straßen und Adressen im zweiten Distrikt auswendig lernen.«

»Du hast also Ringvägen 37 gesagt, als du von der Telefonzelle aus anriefst, und Sköldgatan, als du zum zweitenmal Alarm geschlagen hast…«

»Ja. Ich glaub, so war's. Alle wissen, daß das Grundstück Ringvägen 37 zur Sköldgatan gehört.«

»Ich wußte das nicht.«

»Ich meine; alle, die den zweiten Distrikt kennen.«

Gunvald Larsson dachte eine Weile darüber nach. Dann sagte er: »Hier liegt ein Hund begraben.«

»Ein Hund?«

Gunvald Larsson ging zum Tisch und blickte in die aufgeschlagene Zeitung. Zachrisson schlich sich an ihm vorbei und versuchte, sie zu sich hinzuziehen, aber der andere legte seine große behaarte Hand auf das Druckerzeugnis und sagte: »Das stimmt nicht. Achtundsechzig muß es heißen.«

»Was?«

»Der Arzt in England, Dr. Ruxton. Er hat seine Frau und das Hausmädchen in achtundsechzig Teile zersägt. Und die beiden waren nicht nackt. Auf Wiedersehen.«

Gunvald Larsson verließ den Heizungsraum in der Torsgatan und fuhr nach Hause. Gewohnheitsmäßig vergaß er die ganze Angelegenheit wie alle anderen dienstlichen Dinge, als er seine Wohnung in Bolhnora aufschloß, und dachte erst wieder daran, als er am nächsten Vormittag an seinem Schreibtisch saß. Das war eigenartig. Er konnte mit der Sache nicht ins reine kommen, und schließlich wandte er sich hilfesuchend an Rönn.

»Ich weiß nicht, ich begreif das nicht ganz…«

»Was?«

»Na, die Sache mit dem verschwundenen Feuerwehrauto.«

»Das ist wirklich geheimnisvoll, mir ist so was noch nicht vorgekommen.«

»Ach, du hast auch darüber nachgedacht?«

»Na klar, hab ich das. Schon seit der Bengel gesagt hat, daß es weg ist. Und er ist doch nicht draußen gewesen, er hatte Schnupfen und durfte nicht raus. Es muß einfach irgendwo in der Wohnung sein.«

»Mann, ich rede doch nicht von irgendwelchen Kinderspielsachen.«

»Wovon denn sonst?«

Gunvald Larsson erklärte ausführlich, wovon er sprach. Rönn kratzte sich an der Nase und fragte: »Hast du mit der Feuerwehr gesprochen?«

»Ja. Ich hab gerade angerufen. Der, mit dem ich sprach, war wohl schwachsinnig.«

»Vielleicht hält er dich auch für schwachsinnig.«

»Ach, Quatsch.« Er verließ das Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Am nächsten Vormittag, Mittwoch, dem 20., sollte das Fahndungsresultat zusammengefaßt werden, aber man kam zu dem Schluß, daß von einem Resultat noch keine Rede sein konnte. Von Olofsson hatte man noch keine Spur, obwohl der Steckbrief bereits vor einer Woche herausgegeben worden war. Einiges über ihn hatten sie erfahren, zum Beispiel, daß er Berufsverbrecher und rauschgiftsüchtig war, aber das war schon vorher bekannt gewesen. Im ganzen Land und auch durch Interpol wurde er gesucht. Auf der ganzen Welt, konnte man sagen, wenn man Sinn für Übertreibungen hatte. Fotografie, Fingerabdrücke und Personenbeschreibung waren in Tausenden von Exemplaren verschickt worden. Es waren eine Reihe von wertlosen Tips eingegangen, aber nicht besonders viele, denn der große Detektiv, die Öffentlichkeit, war diesmal Gott sei Dank nicht durch Presse, Radio und Fernsehen an der Sache beteiligt worden. Die Kontakte zur Unterwelt hatten kaum ein Resultat ergeben. Die sogenannte interne Fahndung funktionierte nicht. Niemand hatte Olofsson seit Ende Januar oder Anfang Februar gesehen. Es hieß, er sei im Ausland. Aber im Ausland hatte ihn auch niemand gesehen.

»Wir müssen ihn fassen«, sagte Hammar mit großem Nachdruck. »Jetzt. Sofort.« Viel mehr hatte er nicht zu sagen.

»Anweisungen dieser Art sind nicht besonders originell«, meinte Kollberg. Vorsichtigerweise sagte er es erst nach der Besprechung, als er auf Melanders Schreibtisch saß und träge die Beine baumeln ließ.

Melander lehnte sich im Stuhl zurück, schlug die Beine übereinander und streckte sie von sich. Er hielt die Pfeife zwischen den Zähnen und hatte die Augen halb geschlossen.

»Was hast du denn vor?« fragte Kollberg.

»Er denkt!« sagte Martin Beck.

»Das sieht man, verdammt, aber woran denkt er?«

»An einen Kardinalfehler der Polizei«, antwortete Melander.

»Na, und an welchen von den vielen?«

»Mangel an Phantasie.«

»Und das sagst ausgerechnet du!«

»Ja. Ich leide selbst drunter«, entgegnete Melander ruhig. »Und es ist die Frage, ob diese Fahndung nicht ein Musterbeispiel für Phantasielosigkeit ist. Oder vielleicht eher für die Einseitigkeit bei der Arbeit.«

»Meine Phantasie ist in Ordnung«, behauptete Kollberg.

»Moment mal. Kannst du das mal 'n bißchen ausführlicher erklären?« fragte Martin Beck. Er stand an seinem Lieblingsplatz, direkt an der Tür und mit dem Ellbogen auf den Aktenschrank gestützt.

»Zuerst begnügen wir uns mit der Theorie, daß das Gas durch einen unglücklichen Zufall explodiert ist. Als wir dann endlich klare Beweise dafür haben, daß jemand Malm mit einer perfekt arbeitenden Höllenmaschine aus dem Weg geräumt hat, haben wir auch schon den richtigen Riecher. Wir müssen Olofsson finden. Und setzen stillschweigend voraus, daß Olofsson der Täter ist. Und dann folgen wir dieser Spur wie eine Meute Jagdhunde mit Scheuklappen. Wer weiß denn, ob wir nicht mit voller Fahrt in einer Sackgasse landen?«

»Volle Fahrt paßt genau«, warf Kollberg mürrisch ein. »Das ist eine Fehlspekulation, die immer wieder gemacht wird und schon Hunderte von wichtigen Untersuchungen hat platzen lassen. Die Polizei findet etwas und glaubt, am entscheidenden Punkt zu sein. Das Material deutet in eine bestimmte Richtung. Und dann wird die gesamte Fahndung dahin dirigiert. Alle anderen Hinweise werden beiseite geschoben oder landen ungeprüft in den Akten. Nur weil das Naheliegende meistens richtig ist, arbeitet man so, als ob es immer so sein müßte. Überall wimmelt es von Verbrechern, die wegen dieser Arbeitsweise der Polizei nicht erwischt worden sind. Überlegt doch mal, was ist, wenn Olofsson jetzt in diesem Augenblick gefunden wird. Er sitzt vor einem Restaurant in Paris oder auf dem Balkon eines Hotels in Spanien oder Marokko. Vielleicht kann er beweisen, daß er da schon zwei Monate gesessen hat. Was machen wir dann?«

»Schlägst du denn vor, daß wir uns nicht mehr um Olofsson kümmern sollen?«

fragte Kollberg zurück.

»Keinesfalls. Mahn konnte ihm gefährlich werden, und das wurde spätestens klar, als Mahn in Untersuchungshaft kam. Also liegt nahe, daß er in den Fall verwickelt ist, und wir haben durchaus gute Gründe, ihn zu suchen. Aber wir haben noch nicht an die Möglichkeit gedacht, daß er mit der Brandsache überhaupt nichts zu tun gehabt haben kann. Wenn sich dann nämlich herausstellt, daß er mit Rauschgift gehandelt und ein paar Autos mit falschen Papieren verkauft hat, hilft uns das überhaupt nicht weiter. Das ist dann ganz einfach ein Fall, der unsere Abteilung nicht betrifft.«

»Wäre verdammt komisch, wenn Olofsson in diese Sache überhaupt nicht verwickelt wäre«, meinte Kollberg.

»Hast recht. Aber manchmal passieren komische Sachen. Daß Mahn zum Beispiel zur gleichen Zeit Selbstmord begangen hat, als ein anderer ihn ermorden wollte, ist doch schon ein sehr außergewöhnlicher Fall. Ich bin bei der Untersuchung des Tatorts auch prompt drauf reingefallen. Merkwürdig ist auch Folgendes, und das ist bisher noch keinem aufgefallen: Seit dem Brand sind nun bald drei Wochen vergangen, und keiner hat seit der Zeit etwas von Olofsson gehört oder gesehen. Bestimmte Leute ziehen daraus ihre Schlüsse Aber Tatsache ist auch, daß keiner sich erinnert, Olofsson in dem ganzen Monat vor dem Brand getroffen zu haben.«

Martin Beck reckte sich und sagte nachdenklich: »Das stimmt.«

»Diese Überlegung darf natürlich nicht ohne Konsequenzen bleiben«, sagte Kollberg. Sie dachten über die Konsequenzen nach.

Ein paar Türen weiter auf dem gleichen Flur trat Rönn in Larssons Zimmer.

»Mir ist gestern abend eine Geschichte eingefallen.«

»Na?«

»Vor ungefähr zwanzig Jahren hab ich für 'n paar Monate in Skäne gearbeitet. In Lund. Warum, weiß ich nicht mehr.« Er machte eine Pause und sagte mit Nachdruck: »Das war furchtbar!«

»Was?«

»Skäne.«

»Ach so. Und das ist dir also eingefallen?«

»Nur Kühe und Schweine und Felder und Studenten. Und eine Hitze. Man hätte tot umfallen können. Aber da war noch was anderes. Während ich da unten war, brach ein großes Schadenfeuer aus. Eine Fabrik brannte mitten in der Nacht ab. Nachher hat sich rausgestellt, daß ein Nachtwächter aus Versehen die Anlagen angesteckt hat. Er schlug selbst Alarm, war aber so durcheinander, daß er die Feuerwehr in Malmö angerufen hat. Da stammte er nämlich her. Und während die Fabrik in Lund abbrannte, stand die Feuerwehr mit Löschzug und Sprungtuch und allem Drum und Dran in Malmö und glotzte in die Gegend.«

»Meinst du etwa, daß Zachrisson so verrückt war und von Söder aus die Feuerwehr in Nacka angerufen hat?«

»Irgend so was vielleicht.«

»Das hat er jedenfalls nicht gemacht. Ich hab alle Polizeiwachen in der Stadt und in der Umgebung angerufen. In der Nacht ist keine wegen eines Feuers alarmiert worden.«

»Ich an deiner Stelle würde die verschiedenen Feuerwehren auch noch anrufen.«

»Du an meiner Stelle würdest jetzt wahrscheinlich auch von Brandgeschichten die Nase voll haben. Außerdem kann man bei der Polizei immer noch die besseren Auskünfte bekommen.«

Rönn ging zur Tür.

»Du, Einar?«

»Ja.«

»Wozu brauchten sie denn das Sprungtuch? Bei einer Fabrik, die mitten in der Nacht brannte?«

Rönn überlegte. »Weiß ich nicht«, antwortete er schließlich. »Vielleicht ist meine Phantasie zu lebhaft.«

»Meinst du?«

Gunvald Larsson zuckte die Achseln und fing wieder an, sich mit dem Brieföffner in den Zähnen zu bohren.

Aber am nächsten Vormittag rief er doch die verschiedenen Brandwachen in Stockholm und Umgebung an. Die Lösung kam überraschend schnell.

»Jajaja«, sagte ein übertrieben kollegialer Beamter der Feuerwache Solna-Sundbyberg. »Selbstverständlich kann ich mal nachsehen.« Und nach zehn Sekunden: »Ja, wir hatten einen blinden Alarm zum Ringvägen 37 in Sundbyberg in der fraglichen Nacht. Kam 23.10 Uhr, um genau zu sein. Per Telefon. Noch was?«

»Die Polizei hat davon nichts gesagt. Muß nicht die Polizei auch alarmiert werden?«

»Natürlich war auch ein Streifenwagen da. War ja komisch sonst.«

»Kam der Anruf über die Alarmzentrale Stockholm oder direkt zu Ihnen?«

»Wahrscheinlich direkt hierher. Aber das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Hier steht nur: Alarm per Telefon. Anonym. Falsch.«

»Und was machen Sie, wenn so ein Anruf kommt?«

»Wir rücken natürlich aus!«

»Das kann ich mir vorstellen. Aber leiten Sie die Meldung weiter?«

»Klar. An die Polente hier draußen.«

»An wen, sagten Sie?«

»Die Polente. Und dann benachrichtigen wir die Alarmzentrale. Verstehst du, wenn da irgendwo ein großes Feuer ist, wenn man's also weit sieht, dann rufen Leute von überallher an. Wir könnea Dutzende von Anrufen bekommen. Hunderte wählen 112 oder schlagen die Scheiben der Feuermelder ein, ist immer ein Mordsaufstand. Und deswegen melden wir sofort, wenn wir ausrücken, gibt sonst 'n großes Durcheinander.«

»Ich verstehe«, sagte Gunvald Larsson kühl. »Wissen Sie noch, wer das Gespräch angenommen hat?«

»Klar. Eins von den Mädchen. Heißt Märtensson. Doris Märtensson.«

»Wo kann ich die erreichen?«

»Nirgendwo, guter Mann, die ist gestern auf Urlaub gefahren. Nach Griechenland.«

»Nach Griechenland?« fragte Gunvald Larsson voller Abscheu. »Ja. Ist denn da was dabei?«

»Was Schlimmeres kann's gar nicht geben!«

»Red doch nicht so dumm! Das hätte ich ja nun nicht erwartet, daß so 'n Schnüffler von der Kripo sich hinsetzt und für die Kommunisten Propaganda macht. Ich bin selbst auf der Akropolis, oder wie das da heißt, gewesen, vorigen Herbst. Große Klasse. Alles wunderbar in Ordnung. Und die Polizei erst, tadellos. Solltet ihr euch mal 'ne Scheibe von abschneiden!«

»Halt die Schnauze, Idiot«, brüllte Gunvald Larsson und warf den Hörer auf die Gabel.

Eine wichtige Frage hatte er nicht stellen können, aber er konnte auch nicht länger warten. So ging er zu Rönn und bat: »Würdest du mir den Gefallen tun und die Feuerwache in Solna-Sundbyberg anrufen und fragen, wann die Telefonistin Doris Märtensson aus dem Urlaub zurückkommt?«

»Natürlich kann ich das. Aber was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als ob du jeden Moment einen Schlaganfall kriegen würdest?«

Gunvald Larsson antwortete nicht. Er marschierte zurück in sein Arbeitszimmer, setzte sich an den Schreibtisch und wählte die Nummer der Polizeiwache auf dem Räsundavägen in Solna. War ein Abwasch, das auch noch zu erledigen, solange er in Form war.

»Gestern hab ich angerufen und nach einer sehr wichtigen Sache gefragt. Nämlich ob Sie so um elf Uhr abends rum am 7. März einen Anruf wegen eines Feuers erhalten haben.«

Sagte er zur Einleitung, und der Mann in Solna antwortete: »Und ich hab Ihnen gestern schon gesagt, daß im Wachbuch nichts davon steht.«

»Jetzt hab ich aber zufällig erfahren, daß am Abend ein falscher Alarm kam, genauer gesagt zum Ringvägen 37 in Sundbyberg, und daß die Polizei wie üblich benachrichtigt wurde. Also muß ein Streifenwagen dagewesen sein.«

»Komisch. Hier ist nichts notiert worden.«

»Dann überprüfen Sie gefälligst die Beamten, die um diese Zeit im Dienst waren. Wer war das?«

»Unterwegs? Das kann ich nachschlagen, warten Sie einen Moment.« Gunvald Larsson wartete. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf der Schreibtischplatte.

»Hier hab ich's. Wagen 8. Eriksson und Kvastmo zusammen mit einem Anwärter, der Lindskog hieß, Wagen 3, Kristiansson und Kvant…«

»Das reicht. Wo sind die beiden Armleuchter jetzt?«

»Kristiansson und Kvant? Im Dienst. Die sind auf Streife.«

»Schicken Sie die beiden her. Sofort!«

»Aber…«

»Kein Aber. Ich will die beiden Idioten hier in der Kungsholmsgatan haben, spätestens in fünfzehn Minuten!«

Er legte im gleichen Moment auf, als Rönn in der Tür erschien. »Doris Märtensson kommt in drei Wochen wieder. Am 22. April fängt sie wieder an zu arbeiten. Der am Apparat war nebenbei gesagt verdammt böse. Gehört nicht grade zu deinem Fanklub.«

»Kann ich mir denken. Der wird sowieso immer kleiner.«

»Ja, das wird er wohl«, gab Rönn verlegen zu.

Sechzehn Minuten später standen Kristiansson und Kvant in Gunvald Larssons Büro. Beide waren aus Skäne, blauäugig, mit breiten Schultern und einssechsundachtzig lang. Und beide hatten bei früheren Begegnungen mit dem Mordskerl, der ihnen jetzt hinter seinem Schreibtisch gegenübersaß, schlechte Erfahrungen gesammelt. Sie zuckten zusammen, als Gunvald Larssons Blick sie traf, und standen stocksteif da, wie ein Denkmal, das zwei Streifenpolizisten in Lederjacken mit Koppel und blanken Knöpfen darstellt. Außerdem hatten sie ihre Pistolen und Gummiknüppel mitgebracht. Kristiansson hielt seine Mütze krampfhaft mit beiden Händen fest, während Kvant seine auf dem Kopf behalten hatte.

»Aha, da seid ihr also. Ihr beiden Dummköpfe.«

»Weshalb sind wir denn eigentlich . . .«, begann Kvant, brach aber ab, als der Mann hinter dem Tisch sich erhob.

»Es handelt sich nur um eine einfache Sache«, antwortete Gunvald Larsson freundlich. »Abends am 7. März, zehn nach elf, seid ihr zum Ringvägen 37 in Sundbyberg geschickt worden, weil es da brennen sollte. Könnt ihr euch daran erinnern?«

»Nein«, antwortete Kvant unwillig, »davon weiß ich nichts mehr.«

»Fangt nicht an zu lügen!« schnaubte Gunvald Larsson. »Wart ihr dort oder nicht? Antwortet!«

»Ja, vielleicht«, gab Kristiansson zögernd zu. »Wir waren . . . ich meine, ich glaub, ich kann mich erinnern. Aber…«

»Was aber?«

»Aber das war ein falscher Alarm, da war nichts los«, verbesserte sich Kristiansson.

»Sag nichts, Kalle, er legt dich nur rein«, flüsterte Kvant warnend. Dann fügte er mit lauter Stimme hinzu: »Ich kann mich nicht entsinnen.«

»Wenn einer von euch noch einmal lügt«, donnerte Gunvald Larsson, »dann kriegt er von mir persönlich einen Tritt in den Hintern, daß er bis ins Fundbüro von Skanör-Falsterbo, oder wo ihr sonst herkommt, fliegt. Lügen könnt ihr vor Gericht oder sonstwo. Aber nicht hier! Und nimm gefälligst die Mütze ab, dämlicher Kerl!«

Kvant riß sich die Mütze vom Kopf und klemmte sie unter den linken Arm, schielte zu Kristiansson und maulte: »Das war deine Schuld, Kalle. Wenn du nicht so verdammt faul gewesen wärst…«

»Du wolltest, daß wir überhaupt nicht hinfahren sollten. Du hast doch vorgeschlagen, daß wir so tun sollten, als hätten wir nichts gehört, und zur Wache fahren und Schluß machen sollten. Das Funkgerät wäre kaputt, wolltest du sagen.«

»Das ist 'ne ganz andere Sache«, erwiderte Kvant ärgerlich. »Wenn das Funkgerät nicht in Ordnung ist, kann man nichts machen. Der einfache Polizeibeamte ist dafür nicht zuständig.«

Gunvald Larsson setzte sich wieder.

»Raus mit der Sprache, schnell und ohne Umschweife.«

»Ich hab gefahren«, begann Kristiansson. »Wir erhielten eine Anweisung über Funk ..«

»Sehr schwer zu verstehen«, fügte Kvant hinzu.

Gunvald Larsson warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Jetzt nicht in der Beamtensprache, bitte. Und eine Lüge wird nicht besser, wenn man sie wiederholt.«

»Ja«, sagte Kristianssan eingeschüchtert. »Wir fuhren also hin zu der Adresse, Ringvägen 37 in Sundbyberg, und da stand schon ein Feuerwehrwagen, aber gebrannt hat es nicht. War also nichts für uns zu tun.«

»Nur ein falscher Alarm. Den ihr einfach nicht gemeldet habt. Aus Faulheit und Dummheit. Nicht wahr?«

»Ja«, murmelte Kristiansson.

»Wir waren übermüdet«, antwortete Kvant hoffnungsvoll.

»Wieso?«

»Nach langem und anstrengendem Dienst.«

»Ihr könnt mich mal… Wie oft habt ihr denn eingreifen müssen während dieser Schicht?«

»Gar nicht.«

Vielleicht nicht gerade genial, aber wenigstens ehrlich. Dachte Gunvald Larsson.

»Das Wetter war saumäßig, schlechte Sicht.«

»Wir sollten sowieso gleich zur Wache fahren. Unsere Schicht war zu Ende.«

»Siv war krank«, sagte Kvaht und fügte erklärend hinzu: »Siv ist meine Frau.«

»Und dann war ja auch nichts los«, wiederholte Kristiansson.

»Nein, recht habt ihr, da war nichts, bis auf den Beweis für einen dreifachen Mord.« Dann brüllte er wieder los: »Raus! Zur Hölle mit euch! Verschwindet!« Kristiansson und Kvant machten, daß sie aus dem Zimmer kamen. Ihr Auftreten war jetzt weniger stolz.

»Herrgott noch mal«, keuchte Kristiansson und trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

»Also das ist jetzt das letzte Mal, daß ich das sage,.Kalle. Man soll nie was sehen oder hören, und wenn man doch mal gezwungen ist, was zu hören oder zu sehen, muß man es unbedingt melden.«

»Herrgott noch mal«, schnaufte Kristiansson.

Vierundzwanzig Stunden später hatte Gunvald Larsson den ganzen Fall genauestens durchdacht, und es war ihm sogar gelungen, alles in verständlichen Sätzen zu Papier zu bringen. Und zwar folgendermaßen:

Am 7. März, um 23.10 Uhr, wurde der Brand im Haus in der Sköldgatan bemerkt. Die offizielle Adresse des Gebäudes ist Ringvägen 37. Um 23.10 Uhr am gleichen Tag teilte eine unbekannte Person der Feuerwache in Solna-Sundbyberg telefonisch mit, daß im Haus Ringvägen 37 ein Feuer ausgebrochen sei. Da es in Sundbyberg eine Straße mit gleichem Namen gibt, fuhr die Feuerwehr dorthin. Gleichzeitig, wurde routinemäßig eine Meldung über den vermeintlichen Brand an die Polizei und die Alarmzentrale in Stockholm gegeben, um zu vermeiden, daß ein Löschzug einer anderen Brandwache zum gleichen Ort geschickt wurde. Ungefähr um 23.15 Uhr rief Konstabler B. Zachrisson von einer Telefonzelle in der Rosenlundsgatan aus die Alarmzentrale an und meldete Feuer in dem Haus Ringvägen 37 ohne nähere Ortsbezeichnung. Da das Personal der Alarmzentrale gerade die Meldung aus Solna-Sundbyberg entgegengenommen hatte, glaubte sie, daß es sich um das gleiche Feuer handelte, und teilte Konstabler Zachrisson mit, daß ein Löschzug bereits unterwegs sei und schon an der Brandstelle eingetroffen sein müßte. (Das stimmte auch, aber der war Ringvägen 37 in Sundbyberg.) Um 23.27 Uhr benachrichtigte Konstabler Zachrisson die Alarmzentrale ein zweites Mal, diesmal von einem Feuermelder aus. Da er, nach eigener Aussage, gerufen hatte: »Es brennt! Es brennt in der Sköldgatan!« war die Möglichkeit eines Irrtums ausgeschlossen! Einheiten der Feuerwehr rückten danach sofort aus und fuhren zum Ringvägen 37 in Stockholm, also zur Sköldgatan.

Es war nicht Konstabler Zachrisson, der die Feuerwehr in Solna-Sundbyberg angerufen hat.

Schlußfolgerung: Der Brand war gelegt und wurde von einem chemischen Brandsatz mit Zeitzünder ausgelöst. Der kann, wenn man den Aussagen von Konstabler Zachrisson trauen darf, spätestens um 20 Uhr in Malms Wohnung angebracht worden sein. In diesem Fall war das Uhrwerk etwa auf drei Stunden eingestellt. Während dieser Zeit hatte der Täter die Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Die einzige Person, die mit Sicherheit gewußt haben muß, daß das Feuer um 23.10 Uhr ausbrechen würde, ist die, die den Brand gelegt hat (oder, sofern Anstiftung vorliegt, die den Täter angestiftet hat). Demnach ist es wahrscheinlich, daß diese Person, mit anderen Worten, der Täter, die Feuerwehr in Sundbyberg angerufen hat.

Frage 1: Warum hat der Täter die falsche Feuerwache angerufen?

Mögliche Antwort: Weil er sich zu der Zeit in Solna oder Sundbyberg aufhielt und nur mangelhafte Ortskenntnisse von Stockholm und Umgebung besitzt. Frage 2: Warum hat der Täter die Feuerwehr überhaupt alarmiert?

Mögliche Antwort: Er wollte Malm töten, hatte aber nicht die Absicht, die übrigen zehn Personen, die sich im Haus befanden, ebenfalls zu töten oder zu gefährden. Meiner Ansicht nach ist dieser Punkt wichtig, denn er unterstreicht nochmals die genaue Planung und die berufsmäßige Art der Durchführung des Verbrechens.

Gunvald Larsson las noch einmal gründlich durch, was er geschrieben hatte. Er überlegte einige Minuten, dann strich er die drei Worte die Polizei und durch. Die Streichungen machte er mit dem Kugelschreiber so gründlich, daß man eine kriminaltechnische Untersuchung hätte anordnen müssen, um den ursprünglichen Text entziffern zu können.

»Gunvald hat eine Spur gefunden«, sagte Martin Beck.

»So?« fragte Kollberg zweifelnd. »Ein Stück Eisenbahnschiene, nehme ich an.«

»Nein. Wirklich eine wichtige Sache, der erste richtige Faden.« Kollberg las den Text durch und nickte.

»Bravo, Larsson«, sagte er. »Wirklich prima. Besonders der Satz ›oder, sofern Anstiftung vorliegt, die den Täter angestiftet hat‹. Das ist wirklich toll «

»Ehrlich?« fragte Gunvald Larsson geschmeichelt.

»Spaß beiseite«, sagte Kollberg. »Jetzt müssen wir nur noch diesen verdammten Olofsson finden und ihm nachweisen, daß er das Telefongespräch geführt hat. Aber wie sollen wir das anstellen?«

»Ganz einfach. Eine Telefonistin hat das Gespräch angenommen. Wahrscheinlich kann sie sich an die Stimme erinnern. Diese Mädchen sind oft sehr geschickt. Leider macht sie gerade Urlaub, und wir können sie nicht erreichen. Aber in drei Wochen ist sie wieder da.«

»Und bis dahin müssen wir den Olofsson ganz einfach finden«, sagte Kollberg.

»Ja«, bestätigte Rönn.

Dieses Gespräch fand am Freitag, dem 29. März, statt.

Die Tage vergingen. Monatsende. Eine Woche Beinahe zwei. Und immer noch war der Mann, der Bertil Olofsson hieß, spurlos verschwunden.