Auf dem Stadtplan von Sundbyberg hatte Benny Skacke die acht Telefonzellen mit schwarzen Kreuzen gekennzeichnet. Dann hatte er um jedes Kreuz mit dem Zirkel einen Kreis geschlagen. Obwohl alle Zellen im Zentrum von Sundbyberg lagen und mehrere Kreise sich überschnitten, kam dabei ein Gebiet von mehr als einem Quadratkilometer heraus. Gunvald Larsson machte sich keine Illusionen, daß Skackes Suche nach einer Spur oder dem Namen des Mannes, der am 7. März die Feuerwehr alarmiert hatte, in diesem dichtbesiedelten Gebiet Erfolg haben könnte. Außerdem war es nur eine Vermutung, daß der Mann aus einer dieser acht Telefonzellen angerufen hatte. Daß er in Sundbyberg gewohnt hatte oder bestenfalls sogar noch dort wohnte, war ebenfalls nur eine Annahme. Und selbst wenn das der Fall sein sollte, so war es nicht so einfach, einen Mann zu finden, von dem man nur wußte, daß er Schwedisch mit ausländischem Akzent sprach.
Skacke machte sich mit großem Eifer an die Aufgabe. In den ersten Wochen hatten ihm die Kollegen von Sundbyberg widerstrebend geholfen; jetzt war er allein. Seine Arbeit bestand darin, alle Mieter in sämtlichen Häusern in dem eingekreisten Gebiet zu befragen, was selbst für einen jungen Mann mit guttrainierten Beinmuskeln ziemlich ermüdend war. Aber Skacke war hartnäckig. Sowohl Gunvald Larsson als auch Martin Beck hatten schon lange die Hoffnung auf ein Ergebnis aufgegeben und fragten ihn nicht mehr, wie weit er sei. Aber er machte weiter und klopfte in jeder freien Stunde an die Türen in Sundbyberg. Abends sank er buchstäblich ins Bett, zu müde für sein sonstiges Trainingsprogramm oder seine Jurastudien. Außerdem hatte er sich nicht um Monica gekümmert, und das war schlimmer.
Skacke hatte Monica vor acht Monaten kennengelernt, als beide an einem Schwimmwettkampf teilgenommen hatten. Seitdem hatten sie sich immer öfter getroffen, und obwohl sie nie direkt vom Heiraten gesprochen hatten, verstand es sich von selbst, daß sie, sobald sie eine leidlich passende Wohnung finden würden, zusammenziehen würden. Skacke hatte ein möbliertes Zimmer, und Monica, die zwanzig war und Krankengymnastikerin werden wollte, wohnte bei ihren Eltern.
Als Monica am 16. Mai abends anrief und zum siebtenmal in dieser Woche vertröstet wurde, ging sie in die Luft.
»Mußt du alle Arbeit bei dieser verdammten Polizei allein machen, oder gibt es vielleicht noch andere Leute außer dir?«
Das war das erste und bestimmt nicht das letztemal, daß Skacke dieses gefragt wurde. Die meisten seiner Vorgesetzten, an der Spitze Martin Beck, kannten diese Frage von ihren Ehefrauen und hatten schon lange aufgehört, nach einer Antwort zu suchen. Aber das wußte Skacke noch nicht.
Das einzige, was er wußte, war, daß ihm eine Aufgabe anvertraut worden war und er sie lösen würde. Deshalb sagte er: »Natürlich gibt es noch andere. Ich hab mir aber fest vorgenommen, den Mann zu finden, der von dem Telefonhäuschen aus angerufen hat. Morgen kann ich wieder den ganzen Tag über an den Türen klingeln, darum muß ich heute unbedingt früh ins Bett.«
Er hörte, wie Monica zu einer passenden Antwort ansetzte, und fügte schnell hinzu: »Sei nicht böse, Liebling, du möchtest doch auch, daß ich vorwärtskomme.«
Monica ließ sich nicht besänftigen, und schließlich warf sie den Hörer auf die Gabel, nicht ohne vorher anzukündigen, daß sie in diesem Fall den Abend mit einem Sportlehrer, der Rulle hieß, verbringen würde. Skacke kannte diesen ihm höchst unsympathischen Burschen nur zu gut; er sah nicht nur glänzend aus, sondern war ihm, Skacke, auch in den meisten Sportarten überlegen, sogar im Schwimmen. Fußball war wirklich das einzige, worin Skacke ihm überlegen war, und er träumte oft von dem Tag, an dem er den anderen auf ein Fußballfeld locken würde, hatte aber keine Ahnung, wie er das anstellen könnte. Er regte sich bei dem Gedanken, daß Monica mit diesem selbstgefälligen Lackaffen ausgehen würde, so auf, daß er zur Beruhigung zwei Glas Milch trinken mußte, ehe er sie wieder anrief.
Gerade als er nach dem Hörer greifen wollte, klingelte das Telefon. Es war Monica, Wunder über Wunder, und sie war sehr kleinlaut und bat um Entschuldigung, und als sie über eine Stunde lang miteinander gesprochen hatten, verabredeten sie, sich am nächsten Tag, wenn Monica mit der Schule fertig war, in Sundbyberg zum Mittagessen zu treffen.
Am Freitagmorgen fuhr Skacke direkt nach seinem geliebten Sundbyberg, um seine Suche fortzusetzen. Jeden Tag strich er auf seiner Karte die Häuserblocks durch, die erledigt waren, außerdem notierte er die Wohnungen, in denen keiner zu Hause gewesen war. Das Meldeamt hatte ihm eine Liste mit allen Einwohnern Sundbybergs zur Verfügung gestellt, die nicht aus Skandinavien stammten. Er fuhr schon vor sieben los, um einige Adressen aus der Liste derer, die er nicht angetroffen hatte, erledigen zu können, ehe Leute auf dem Weg zur Arbeit waren.
Um neun waren die Namen auf seiner Liste auf die Hälfte zusammengeschmolzen, aber das war auch das einzige Ergebnis.
Benny Skacke wanderte durch Sundbyberg zu dem Wohnviertel, das an diesem Tag auf seinem Programm stand. Er kam in einen Park, der sich an einem Hang bis zu einer Gruppe von Hochhäusern hinzog, die oben auf der Kuppe standen. Der Park schien nicht als solcher angelegt worden zu sein, er sah eher aus wie ein Stück ursprünglicher Natur, das man bewußt so belassen hatte, als die Bebauung des Gebietes geplant wurde. Das Gras an beiden Seiten des Weges war frisch und grün, und weiter hinten zwischen den Fichten an einem bewaldeten Hang sah man einige graue Granitblöcke und bemooste Steine aus dem mit Nadeln bedeckten Waldboden herausragen. Der Pfad, dem er folgte, war weder aufgeschüttet noch mit Kies bestreut - er war von vielen Füßen im Laufe der Zeit ausgetreten worden und schlängelte sich zwischen den Birken und Eichen hindurch. Sonnenstrahlen fielen durch das Laub der Bäume und malten goldene Flecke auf die harte, ausgetrocknete Erde des Weges und die blankgetretenen Baumwurzeln. Skacke ging langsamer und spürte plötzlich den Duft von Tannennadeln und von der Sonne angewärmter Walderde, aber beim nächsten Atemzug roch er nichts anderes mehr als Benzingestank und den Geruch von ranzigem Fett, in dem das Grillrestaurant unten an der Straße seine Pommes frites schwenkte.
Skacke dachte an Monica. Um drei wollten sie sich treffen. Er freute sich auf sie. Es war selten vorgekommen, daß sie sich eine ganze Woche lang nicht gesehen hatten.
Im ersten Haus wurde ihm in fast jeder Wohnung geöffnet, nur an zwei Türen klingelte er vergebens. Niemand kannte einen Ausländer, und von einem Anruf bei der Feuerwehr hatte keiner etwas gehört. Im nächsten Haus traf er zwei Ausländer an, aber der eine war Finne und sprach so schlecht Schwedisch, daß kaum etwas zu verstehen war, und jedenfalls nicht mit dem Akzent, den Doris Märtensson beschrieben hatte. Der zweite war Italiener und war in der Zeit um den 7. März auf Urlaub in Mailand gewesen. Ohne danach gefragt zu werden, holte er seinen Paß und zeigte die Stempel vor. Hatten die beiden Bekannte, die Ausländer waren? Ja, viele von ihren Bekannten stammten aus fremden Ländern. Und weiter? Ja, das konnte man sich wirklich fragen.
Als Skacke mit dem Haus auf dem Hügel fertig war, zeigte die Uhr beinahe zwölf. Er ging in eine Konditorei, die im Erdgeschoß eines der Hochhäuser lag, und bestellte Kakao und ein Käsebrot. Skacke und die Kellnerin waren die einzigen Personen im Lokal. Als sie ihm das Bestellte gebracht hatte, ging sie wieder hinter die Theke und starrte gelangweilt aus dem Fenster. Vor dem Haus befand sich ein großer Platz, wie man sie häufig zwischen den Hochhäusern in den Schlafstädten am Rande Stockholms und in der Umgebung wiederfindet und die selten einfach Platz, sondern meistens Einkaufszentrum oder noch anspruchsvoller Piazza heißen, wahrscheinlich in der krampfhaften Absicht der Stadtplaner, diesen traurigen Steinwüsten einen südländischen Touch zu geben.
Die Tür ging auf, und ein Mann trat ein. Er trug eine silberbestickte blaue Samtmütze und eine leere Tragetasche in der Hand. Langsam ging er durch den Raum und blickte Skacke dabei mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Beim Anblick der Kellnerin fingen seine brauen Augen an zu glänzen, er breitete die Arme aus und sagte mit dem singenden Tonfall der Finnlandschweden: »Ach, Fräulein, ich bin heute so schrecklich durstig, wie heißt dieses herrliche Getränk, das ich immer kaufe?«
»Tom Collins.«
»Ach ja, davon möchte ich acht Dosen haben. Aber kalt müssen sie sein. Wie ein tibetanischer Gebirgsbach.«
Er reichte ihr den Beutel, und sie verschwand in der Küche. Der Mann mit der Mütze suchte mit kummervoller Miene in seinem Portemonnaie. Skacke hörte, wie eine Kühlschranktür zugeschlagen wurde, und dann kam die Kellnerin mit der Tasche zurück, in der die Limonadendosen lagen.
»Würden Sie die wohl anschreiben?« fragte der Mann.
»Ja, das läßt sich machen. Sie wohnen ja hier in der Nähe, da… ja, das kann man schon mal machen«, wiederholte sie und sah ihn wie verzaubert an. Der Mann steckte sein Portemonnaie ein und nahm die Tasche.
»Nett von Ihnen. Dann wird es heute ein guter Tag.«
Er ging zur Tür. Dort drehte er sich um und sagte: »Sie sind wirklich ein Engel. Montag komme ich mit dem Geld. Wiedersehen.«
Skacke schob die Tasse weg und nahm seinen Stadtplan aus der Westentasche. Der sah inzwischen ziemlich abgegriffen aus, und Skacke hatte ihn an den Faltstellen kleben müssen. Er strich die Häuserblocks um den Platz herum aus. Dann sah er auf die Uhr und überlegte, ob er wohl noch die Hauser an der Straße, die an der anderen Seite des bewaldeten Hügels hinunterführte, schaffen würde, ehe es Zeit wurde, mit Monica zum Essen zu gehen. Dann hätte er ein großes zusammenhängendes Gebiet erledigt, denn die älteren Häuser am Fuße des Hügels hatte er bereits besucht. Die Häuser am Hang waren modern, aber erheblich kleiner als die oben auf der Kuppe.
Um zwanzig nach zwei hatte S kacke in allen Häusern geklingelt bis auf das Eckgebäude am Fuße des Hügels. An dieser Ecke stand eine der Telefonzellen, in der die Tafel mit der Direktnummer der Feuerwehr noch hing.
Im Eingang dieses letzten Hauses stand ein Mann und trank Starkbier. Er hielt Skacke die Flasche unter die Nase und sagte etwas, was dieser zuerst nicht begriff. Dann verstand er, daß der Mann Norweger war und behauptete, hier den 17. Mai zu feiern. Skacke zeigte dem Mann seine Dienstmarke und wies ihn mit strenger Miene darauf hin, daß es verboten war, auf der Straße alkoholische Getränke zu sich zu nehmen.
»Ich will diesmal Gnade vor Recht ergehen lassen«, schloß Skacke, »weil Sie Ausländer sind. Geben Sie die Flasche Bier her und verschwinden Sie.«
Der Mann gab ihm die halbleere Flasche, und Skacke goß den Rest in einen Gully, dann überquerte er die Straße und warf die Flasche in einen Papierkorb. Als er sich umsah, bemerkte er, daß sich der Norweger noch einmal nach ihm umdrehte und um die Ecke verschwand.
Skacke fuhr mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage und klingelte nacheinander an drei Türen. Niemand öffnete, und er schrieb die Namen mißmutig auf seine Liste. Dann ging er hinunter in das nächste Geschoß.
An der ersten Tür öffnete eine Frau mit selbstgefärbtem Haar und einer Brille mit grünem Plastgestell. Sie mußte an die Sechzig sein. Skacke mußte seine Bitte zweimal vortragen, ehe sie begriff, was er wollte.
»Ja, ich vermiete ein Zimmer. Das heißt, ich hab das bis vor kurzem getan. Ein Ausländer, sagen Sie? Anfang März? Lassen Sie mich mal überlegen. Ja, ich glaube, das war Anfang März, da wohnte hier ein Franzose. Oder war er Araber? Ich weiß es nicht mehr genau.«
In diesem Moment hätte man Skacke nur mit einer Feder anzutippen brauchen und er wäre umgefallen.
»Ein Araber, sagten Sie? Was hat er denn für eine Sprache gesprochen?«
»Schwedisch, natürlich mit Fehlern. Aber es reichte, man verstand ihn.«
»Können Sie sich daran erinnern, wann genau er hier wohnte?« Skacke hatte sich beim Klingeln das Namensschild an der Tür nicht genau angesehen; er drehte sich zur Seite, tat so, als ob er sich die Nase schnauben müßte, und schielte zu dem Schild über dem Briefschlitz. Es gelang ihm gerade noch, den Namen zu entziffern, da öffnete die Frau auch schon die Tür und fragte:
»Wollen Sie nicht hereinkommen?«
Er trat in die Diele und machte die Tür hinter sich zu.
Die rothaarige Frau ging vor ihm in die Wohnstube. Sie zeigte auf ein blaues Plüschsofa, und Skacke setzte sich. Die Frau ging an den Schreibschrank, zog ein Schubfach auf und nahm einen Ordner mit rotbraunen Schnellheftern heraus.
»Ich kann Ihnen gleich sagen, wann das war«, sagte sie und blätterte. »Ich schreib mir hier immer die Mieteinnahmen auf, und der Mann war der letzte, der das Zimmer hatte. Das ist ganz einfach… hier hab ich's schon. Am 4. März hat er im voraus für eine Woche bezahlt. Aber dann ist er schon früher ausgezogen, nach vier Tagen. Am Achten also. Das Geld für die restlichen Tage hat er nicht zurückverlangt.« Sie nahm den Hefter und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Sofa. »Das war eigenartig, fand ich. Was wollen Sie denn von ihm, hat er etwas angestellt?«
»Wir suchen nach einer Person, die uns vielleicht bei einer Fahndung helfen kann. Wie hieß denn der Mann?«
»Alphonse Lasalle.«
Sie sprach das e in beiden Namen mit aus, was darauf schließen ließ, daß sie in der französischen Sprache nicht sehr bewandert war. Skacke ging es übrigens ebenso.
»Warum haben Sie das Zimmer ausgerechnet an ihn vermietet?« fragte er.
»Wie das kam? Na, wie ich schon sagte, habe ich eine Zeitlang eins der Zimmer abgegeben. Das war, bevor mein Mann krank wurde und tagsüber zu Hause bleiben mußte. Er wollte keinen fremden Menschen in der Wohnung haben, da hab ich das der Zimmervermittlung gesagt, sie sollen uns vorläufig aus dem Register streichen.«
»Sie haben also Ihre Mieter über die Vermittlung bekommen? Wie heißt denn die?«
»Svea. Ihr Büro liegt auf dem Sveavägen. Durch die haben wir seit 1961, als wir hier eingezogen sind, unsere Untermieter bekommen.«
Skacke zog seinen Notizblock und einen Bleistift heraus. Die Frau beobachtete neugierig, was er schrieb.
»Wie sah er denn aus?« fragte er und hielt den Bleistift in Bereitschaft. Die Frau blickte zur Decke hoch.
»Ja, wie soll ich das sagen. Er war so 'n südländischer Typ. Dunkel und ziemlich klein. Dichtes schwarzes Haar, das bis tief in die Stirn wuchs. Bißchen größer als ich, ich bin einsvierundsechzig. Ziemlich große Nase, bißchen gebogen und ganz grade schwarze Augenbrauen. Recht kräftig, aber nicht fett.«
»Wie alt war er, was schätzen Sie?«
»Na, so fünfunddreißig oder vierzig, könnte ich mir denken. Schwer zu sagen.«
»Fällt Ihnen noch was zu seinem Aussehen ein? Oder etwas anderes Auffälliges?«
Sie überlegte eine Weile und schüttelte den Kopf. »Ich glaub nicht. Er hat ja auch nicht lange hier gewohnt. Er war höflich und wirkte gut erzogen. Elegant und ordentlich gekleidet.«
»Wie sprach er?«
»Mit ausländischem Akzent. Klang ganz lustig.«
»Können Sie seinen Akzent näher beschreiben? Fällt Ihnen irgend etwas Spezielles ein?«
»Eigentlich nicht. Er sagte Vrau statt Frau und Kafe statt Kaffee. Nach so langer Zeit kann man sich nur schwer erinnern, außerdem habe ich kein Ohr für Dialekte.«
Skacke überlegte, was er als Nächstes fragen sollte. Er biß in den Bleistift und blickte die rothaarige Frau an. »Was machte er hier? War er Tourist, oder arbeitete er? Wann kam und ging er so normalerweise?«
»Das ist schwer zu sagen. Er hatte nur wenig Gepäck, nur einen Koffer. Meistens ist er vormittags weg und kam erst am späten Abend nach Hause. Natürlich hatte er einen Schlüssel, deshalb hab ich nicht immer gemerkt, wann er zurückkam. Er war sehr leise und rücksichtsvoll.«
»Dürfen Ihre Untermieter das Telefon benutzen? Hat er von hier aus Gespräche geführt?«
»Wir sehen das nicht gern, aber wenn einer dringend telefonieren muß, dann erlauben wir's schon mal. Aber der Lasalle hat niemals telefoniert, soviel ich weiß.«
»Kann er telefoniert haben, ohne daß Sie es merkten? Am späten Abend zum Beispiel?«
»Spät abends sicher nicht. Ich hab noch einen Anschluß im Schlafzimmer, und abends nehm ich das Telefon immer mit rein.«
»Wissen Sie noch, wann er am 7. März nach Hause kam? Das wäre also an seinem letzten Abend gewesen.«
Die Frau nahm ihre häßliche Brille ab, sah sie an, putzte sie am Rock und setzte sie wieder auf. »Am letzten Abend? Da hab ich ihn nicht kommen hören. Ich leg mich so um halb elf schlafen. Aber ganz sicher bin ich nicht, wie es an dem Abend war.«
»Frau Borg, Sie können ja noch mal überlegen. Ich werde Sie anrufen und fragen, ob Ihnen noch was eingefallen ist.«
»Na klar, das kann ich tun «
Er schrieb ihre Telefonnummer in sein schwarzes Notizheft.
»Sie haben vorhin gesagt, daß Lasalle Ihr letzter Untermieter war?«
»Ja, das stimmt. Nur wenige Tage nachdem er ausgezogen war, wurde Josef krank. Das ist mein Mann. Ich mußte sogar einem absagen, dem ich das Zimmer schon fest versprochen hatte.«
»Darf ich mir das Zimmer mal ansehen?«
»Selbstverständlich.«
Sie stand auf und zeigte ihm den Weg. Die Tür zu dem Zimmer befand sich genau gegenüber der Wohnungstür. Der Raum war ungefähr drei mal fünf Meter groß und mit einem Bett, Nachttisch, größerem Tisch, zwei Stühlen einem Sessel, einem kleinen Schreibtisch und einem großen alten Kleiderschrank mit ovalen Spiegeln in den Türen ausgestattet.
»Die Toilette liegt direkt daneben. Mein Mann und ich haben unser Badezimmer gleich neben dem Schlafzimmer.«
Skacke nickte und sah sich um. Das Zimmer wirkte unpersönlich wie ein drittklassiges Hotelzimmer. Auf dem Tisch bei dem Sessel lag ein kariertes Tuch und auf dem Schreibtisch eine fleckige Schreibunterlage. Zwei Öldrucke und ein Kranz aus Strohblumen hingen an den Wänden. Der Teppich, die Decke auf dem Bett und die Gardinen sahen dünn aus und waren ausgebleicht von allzu vielem Waschen.
Skacke ging an das Fenster zur Straße hin. Er konnte die Telefonzelle und den Papierkorb, in den er die Bierflasche des Norwegers geworfen hatte, sehen. Weiter hinten auf der Straße zeigte die große Uhr vor einem Uhrengeschäft zehn Minuten nach drei. Er sah auf seine eigene Armbanduhr. Die Zeit stimmte. Benny Skacke verabschiedete sich hastig von Frau Borg und lief die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal. Als er gerade aus dem Haus wollte, fiel ihm etwas ein. Er stürzte auf den Fahrstuhl zu und fuhr in den vierten Stock hinauf. Die Frau sah ihn verwundert an. Wahrscheinlich hatte sie ihn so schnell nicht zurückerwartet.
»Haben Sie das Zimmer saubergemacht?« fragte er atemlos. Sie hob die Augenbrauen.
»Saubergemacht? Natürlich hab ich…«
»Staub gewischt und aufgewischt? Die Möbel und alles?«
Sie zögerte mit der Antwort. »Ja also… ich mach immer erst richtig sauber, wenn ein neuer Untermieter einzieht. Lohnt sich nicht, es vorher gründlich zu machen. Das Zimmer steht tagelang leer, manchmal auch Wochen. Ich schütte die Aschenbecher aus, zieh die Bettwäsche ab und laß frische Luft rein, wenn einer ausgezogen ist. Wieso? Warum fragen Sie?«
»Lassen Sie bitte alles so, wie es ist, und fassen Sie nichts an. Wir müssen untersuchen, ob da noch irgendwo Spuren sind. Fingerabdrücke oder so.« Sie versprach, den Raum nicht einmal mehr zu betreten. Skacke verabschiedete sich zum zweitenmal und stürzte die Treppe hinunter.
Er rannte, denn er hatte sich bei Monica verspätet, und überlegte dabei, ob es ihm wohl gelungen war, eine Spur zu finden.
Als er in dem Restaurant ankam, in dem Monica bereits seit fünfundzwanzig Minuten wartete, war er in Gedanken bereits befördert und auf seinem Weg zum Polizeichef ein gutes Stück vorangekommen.
Aber in der Kungsholmsgatan fragte Gunvald Larsson: »Wie war er gekleidet?« Und zehn Sekunden später: »Was hatte er für einen Mantel an? Anzug? Schuhe? Strümpfe? Oberhemd? Schlips? Benutzte er Pomade? Wie waren seine Zähne? Rauchte er? Wenn ja, welche Marke und wieviel? Wie sah die Bettwäsche aus, wenn er darin gelegen hatte? Trug er einen Schlafanzug oder ein Nachthemd? Machte sie ihm morgens Kaffee? Zum Beispiel.«
Und nach einer weiteren halben Minute: »Warum hat dieses Weibsbild kein Meldeformular eingeschickt, wo sie doch einen Ausländer bei sich wohnen hatte? Hat sie sich seinen Paß angesehen? Hast du der Alten ordentlich eingeheizt?«
Skacke sah ihn verdutzt an, drehte sich um und wollte gehen. Gunvald Larsson hielt ihn zurück. »Halt. Einen Augenblick noch.«
»Ja?«
»Sieh zu, daß du so schnell wie möglich einen Fingerabdruckexperten hinschickst.«
Skacke ging.
»Idiot«, sagte Gunvald Larsson zu der geschlossenen Tür.
In dem Zimmer in Sundbyberg fanden sie eine Menge Fingerabdrücke. Als sie alle ausgesondert hatten, die von Frau Borg und Skacke stammten, blieben drei übrig, einer davon ein Daumen, konserviert in schönster Haarpomade.
Am Dienstag, dem 21. Mai, sandten sie Kopien der Fingerabdrücke an Interpol. Was konnte man anderes tun?