Blutsuppe
Dem Biermösel ist nun keine Blutsuppe, wurscht welcher Blutgruppe, fremd. Er denkt nur:
Gemetzel an den beiden Linienrichtergattinnen anno 1978 (Cordoba!) infolge einiger fragwürdiger Abseitsentscheidungen beim Derby. Da hat es auch ausgeschaut wie im Sauschlachthof, und die Anni hat vier Tage geputzt und einen 25-Liter-Kanister Meister Propper gebraucht, bis man die Mannschaftskabine wieder hat betreten können.
Er denkt nur: Die erste Gattin vom Seebachwirt, die sich am Tag nach der mit allem Pomp zelebrierten Trachtenhochzeit sofort selbst mitsamt ihrer Goldhaube in den Kampfhundezwinger geworfen hat, weil ihr schlagartig (durch einen extremen Schlag vom Seebachwirten in der Hochzeitsnacht!) klar geworden ist, dass die Eheschließung mit diesem Seelenkrüppel ein gewaltiger Fehltritt gewesen ist. Ein relativ schnelles Einsehen zwar, jedoch trotzdem zu spät. Die Kampfhunde haben ganze Arbeit geleistet, eine selbst gebastelte Höllenmaschine leistet nicht halb so eine ganze Arbeit wie diese Kampfhunde. Nur die Goldhaube haben sie wieder ausgespuckt, die war einfach nicht zum Fressen.
Er denkt nur: Der Chef von der Forstverwaltung, der nach einem dreiwöchigen All-inclusive-Urlaub in Bangkok mit 36 Kilogramm Plus auf seinen ohnehin schon stattlichen 130 Kilogramm Körpergewicht zurückgekommen ist. Wie er am darauf folgenden Montag mit der ganzen Lebensfreude von einem gut Erholten ins Büro gekommen ist und sich mit dem ganzen Fett von einem dramatisch Übergewichtigen auf den gasgefederten Schreibtischsessel gesetzt hat, war die Explosion infolge Gaskompression natürlich unausweichlich und in ihren Auswirkungen rektal fatal. Aber ohne Blutoper geht es anscheinend sowieso nicht mehr im Leben, davon ist er nach 35 Jahren im Dienst vollends überzeugt.
Oder er denkt nur, wie er jetzt die Fips zum Flachdachneubau des Schlevsky hinlenkt: Bei dem Sauwetter lässt aber auch kein normaler Mensch das Fenster offen stehen!
Ein offenes Fenster herunten im Keller ist meist schon der Bote vom Ungeheuerlichen, das gleich kommen wird. Keiner lässt bei diesen frühwinterlichen Kapriolen das Fenster aus Jux und Tollerei offen stehen!
Dazu lässt die tapsige Fußspur im jungfräulichen Schnee, die vom Kellerfenster wegführt, den Biermösel messerscharf schließen, dass hier einer keinen Schlüssel gehabt haben und durch das Kellerfenster ausgestiegen sein wird.
Als Frage notiert er im Hirn: Wer?
Als Zusatzfrage: Warum?
Als Fleißaufgabe: Wann?
Der Biermösel steuert die Triumph weiter um das Architekturerlebnis herum nach hinten zum Eingang, und was er dort vorfindet, lässt ihn gleich noch ein Spur mehr erschaudern:
Die Flachdachneubauhaustür steht auch sperrangelweit offen, und was soll das anderes bedeuten, als dass wieder etwas Immenses passiert sein muss, was denn sonst!
Darauf deuten nicht zuletzt die Reifenspuren hin, die sich da tief in den Schotter eingegraben haben, das können nur die durchdrehenden Reifen von einem Flachdachfluchtauto gewesen sein! Der Adler im Biermösel schaut einmal genauer hin und weiß sofort, dass es ein roter Ferrari mit schwachem Überdruck in den Sport-Life-M811-Stahlgürtelreifen von Semperit gewesen sein muss, soll ihm einer das Gegenteil beweisen.
Dass auch das Garagentor geöffnet ist und der besagte Ferrari vom Schlevsky fehlt, untermauert seine Theorie.
Als Frage notiert er im Hirn: Was kostet so ein Ferrari?
Zusatzfrage: Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?
Der Biermösel muss den Schlevsky jetzt umgehend informieren, dass er in Gefahr ist, wenn er Fenster und Türen so weit offen stehen lässt. Die Pflicht als Ordnungsorgan und Mitglied vom Katastrophenschutzbund gebietet es ihm obendrein, dass er den Schlevsky schleunigst über die eine oder andere Sicherheitsvorkehrung informiert, die eine Gefahr von ihm fern zu halten imstande sein wird.
Eine erste Ad-hoc-Mutmaßung schließlich ergibt folgenden möglichen Tathergang:
Der Biermösel kann sich gut vorstellen, dass der Schlevsky die vorige Nacht durchgemacht hat und weitschweifig ausgeschweift ist, sodass er jetzt mit einem gewaltigen Kater im Bett liegt und wahrscheinlich mit sechs, sieben Weibern dazu. Die laute Musik von einer Platte, die hörbar hängt, deutet auch auf nichts anderes hin. „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ hört der Biermösel immer wieder so einen Narren schreien, was soll denn das heißen? Da haben die Radinger Spitzbuam aber wirklich die viel besseren Hits, muss er sich gleich wieder ärgern, und wie um sich aufzumuntern, stimmt er gegen den Gesang aus dem Schlevsky seinem Flachdachneubau eine zünftige Polka an:
Warum kann denn mein Weibi
nicht einfach sein wie Bier
Es motzt nie, es schimpft nie
es schreit nie: Wasch Geschirr!
Es redt nix, es will nix
Es kauft nie teuer ein
Warum kann denn mein Weibi
nicht einfach wie Bier sein?
Naja, denkt sich der Biermösel zufrieden und klopft an die Haustür vom Schlevsky, ein Welthit halt!
Weil aber der Schlevsky, so vermutet der Biermösel, wenig überraschend bei dem ganzen Lärm und nach so einer mutmaßlich durchzechten Nacht natürlich nicht auf sein Klopfen reagiert, wagt er sich auf eigene Faust immer weiter in den grauslichen Neubau vor. Samtpfötig schleicht er sich in die Höhle vom Tiger hinein, in den Vorhof der Hölle, in den Tempel der Ausschweifungen, immer schön das Ohrwascherl an der blöden Musik.
Er erreicht die Wohnküche und findet dort die Reste von einem mutmaßlichen Würstel-Allerlei im Kühlschrank vor. Danke, denkt sich der Biermösel, die wird er sich jetzt vergönnen. Das wird ihm jetzt gut tun, er hat ja schon so einen Hunger.
Dann erreicht er das Wohnzimmer, das unbeschreiblich ist. Obwohl: Die Aussicht auf den See hinunter ist schon sehr gewaltig. Da könnte er sehr gut sehr lang und sehr deppert schauen.
Und wie er endlich das Schlafzimmer erreicht, hört er auf einmal abwechselnd eine sehr schwache Stimme „Ivana“ sagen, dann „Jocelyn“, und dann wieder „Ivana“, und wieder von vorne „Ivana“ und „Jocelyn“.
Was soll denn das jetzt wieder heißen?, fragt sich der Biermösel.
Das letzte „Jocelyn“ freilich hört sich schon sehr, sehr schwach an, wie der Biermösel feststellen muss. Und wie er eintritt, weiß er dann wirklich nicht, wovor ihm mehr grausen soll: vor dem fürchterlichen Bett. Oder vor dem zahnlosen Tiger, der komplett ohne Würde darauf herumliegt, schon mit mehr Blut neben dem Körper als in ihm drinnen. Gerade dabei, sich die lange Unterhose anzuziehen, wie es ausschaut, weil ihm wahrscheinlich auch sehr kalt ist. Kein Wunder aber, muss ihn der Biermösel gleich ein bisserl schimpfen, wo er ja Tür und Fenster sperrangelweit offen stehen hat lassen!
(Die lange Unterhose schaut aber wirklich tadellos aus, schweift der Biermösel beim Ermitteln kurz ein bisserl ab, warm und wohlig scheint ihm die zu sein. So eine lange Unterhose hätte er auch gerne, die täte ihm unten herum sicher sehr gut tun. Vielleicht verrät ihm der Schlevsky ja, wo er die gekauft hat, wenn er ihn fragt.)
Dann aber muss der Biermösel erkennen, dass der Tiger ja in seiner eigenen Blutsuppe liegt. Und wie der Schlevsky den Eindringling sieht, richtet er sich noch einmal – ein letztes Mal! – auf und starrt den Biermösel mit weit aufgerissenen Augen an. Er hebt langsam die eine Tatze und benetzt sich mit der Zunge noch einmal die trockenen Lippen. Er reißt die Augen immer noch weiter auf, sodass sich der Biermösel jetzt denkt, dass er vielleicht schon im Schattenreich herumwandelt, jedenfalls mehr drüben als herüben. Lange tut er es jedenfalls nicht mehr, ist sich der Biermösel sicher. Kein Mensch der Welt hält es lange ohne Lebenssaft im Körper aus, auch ein eiskalter Puffkaiser nicht. Also nähert sich der Biermösel mit seinem Ohr den Lippen vom Tiger, weil er hofft, dass er ihm doch noch verrät, wo er die lange Unterhose kaufen kann. Aber da sackt der Tiger in sich zusammen, und mit dem letzten Seufzer, den er dabei aushaucht, entfährt ihm ein abschließendes:
„Mutti“.
Na bravo, denkt sich der Biermösel. Was soll denn das jetzt wieder heißen?
Der Biermösel schaut sich die Leiche von hinten bis vorne und von oben bis unten an. Und was er bei der ersten Ad-hoc-ruck-zuck-Leichenanalyse sehen muss, macht ihn fast sicher, dass der Schlevsky nicht von alleine gestorben ist. Ebenso täte er seinen gesamten Besitz darauf verwetten, dass er auch nicht am in der Gegend weit verbreiteten Selbstmord zugrunde gegangen ist. Die ganzen blauen Flecken hinten und vorne bringt sich nicht einmal ein biegsamer Chinese selbst bei, da muss schon was anderes passiert sein.
Froh ist er jetzt, der Biermösel, dass er doch noch ein bisserl Zeit bei der Anni und anschließend am Seeufer vertrödelt hat und erst zum buchstäblich letzten Seufzer vom Tiger eingetroffen ist. So ein Todeskampf ist nämlich auf den leeren Magen gar nicht schön anzuschauen. Außerdem hat der Biermösel oben in Linz in der Gendarmerieschule die lebensrettenden Sofortmaßnahmen weder begriffen noch verinnerlicht, sodass der Tiger sowieso gestorben wäre, auch wenn er sich seiner angenommen hätte, vielleicht sogar ein bisserl früher.
Der Biermösel sieht in der Folge anhand der Ad-hoc-ruck-zuck-Tatortanalyse sofort, dass der Schlevsky vermutlich das Opfer von einem gewaltigen Liebesdrama geworden ist, weil nur das Liebesdrama ein solches Blutbad anzurichten imstande ist. Da müsste ihn schon seine 35-jährige Erfahrung einen ganzen Blödsinn gelehrt haben, wenn hinter dem ganzen Schlamassel nicht eine Frau steckt, die bis oben hin angefüllt war mit einem schönen Haufen voll rasender Eifersucht. Aus einem noch zu klärenden Grund, kombiniert sich der Biermösel jetzt was zusammen, muss die betreffende Dame keine andere Möglichkeit mehr gesehen haben, als dem Schlevsky ihre Liebe dadurch zu beweisen, dass sie (oder ein Komplize, oder ein gedungener Killer) ihn mir nichts dir nichts von hinten bis vorne erschlagen hat. Im Groben, wagt der Biermösel also eine erste gewagte Ad-hoc-ruck-zuck-Gesamtanalyse des Tatherganges, im Groben wird und muss es sich also ungefähr so abgespielt haben:
Das Opfer Schlevsky hat sich bei einem Pfingsttanz (ev. Ostertanz, ev. Maibaumumschneiden) im heurigen Frühjahr (ev. Spätfrühjahr, ev. Frühsommer) eine Einheimische (ev. eine aus Goisern) angelacht, mit der er sich unter zahllosen falschen Versprechungen (Lügen, hinhaltenden Vertröstungen, was die Scheidung von der Gattin anbelangt, und so weiter) ein Verhältnis angefangen hat, das er an seiner entsprechenden Gattin vorbei hier herunten in seinem Puffkaiserferienflachdachneubau gepflegt hat, mit Schwerpunkt Sex und Ausschweifung. Die einheimische und anfangs sicher sehr blauäugige Episode wird in der Folge erkannt haben, dass sie vom Puffkaiser keine Liebe erwarten kann (sondern nur Sex und Ausschweifung). Daraufhin wird sie, weil sie die Chancen für ihr Leben davonschwimmen hat sehen, ihren Bruder (ev. Onkel, ev. Vati) über ihr unglückliches Leben informiert haben. Der wird die Schande, die auf seiner Schwester (ev. Nichte, ev. Tochter) gelastet hat, mit einem Holzschlögel bereinigt haben, um die Spur auf eine Frau zu lenken. Anschließend Kellerfenster und Eingangstür geöffnet (das ev. könnte auf ein Tätergespann hindeuten!). Dann Flucht im Ferrari vom Schlevsky; hinter mir die Sintflut; schau nicht zurück; wen interessiert, was gestern war; und so weiter und so fort.
So und nicht viel anders wird es sich abgespielt haben, ist sich der Biermösel sicher, wie denn sonst! Braucht er eigentlich nur noch ausfindig machen, welche verzweifelte Dame aus der einheimischen Bevölkerung mit dem Schlevsky in letzter Zeit ein Verhältnis gehabt hat (ev. welche nicht?). Weiters, welche von denen einen Bruder (Onkel, Vati) hat. Und wenn er dann auch noch draufkommt, warum sie/er ihn ausgerechnet mit einem Holzschlögel erschlagen hat (Tatwerkzeuge bedeuten immer was, hat er in der Gendarmerieschule oben in Linz gelernt. Nur was, das hat er vergessen), dann ist der Fall praktisch im Handumdrehen gelöst.
Einer Erwähnung im „Der Kriminalist“ sollte dann endlich nichts mehr im Wege stehen. Und auch wenn das natürlich nicht schön anzuschauen ist hier, fragt er sich insgeheim doch: Wer weiß, ob dieses unverhoffte Blutbad nicht vielleicht die lange erhoffte Wende in seiner Karriere bedeutet? Gut täte ihm das schon.
Bevor er jetzt vom elfenbeinenen Nachttischtelefon des Schlevsky aus den Dr. Krisper anruft, um ihn von der Anni weg zum grauslichen Neubau herauf zu beordern, damit er die Leichenstarre vom Schlevsky feststellen kann, muss er noch kurz die Roswitha informieren, dass sie sich keine Sorgen machen braucht, weil er vergangene Nacht nicht nach Hause gekommen ist, und dass er heute wieder regulär und verlässlich wie immer um Viertel über sechs die Triumph gegen die Buchenscheiter lenken wird.
„Aber freilich Roswitha, darauf kannst du dich verlassen!“
Die Roswitha hat sich aber natürlich die ganze Nacht über Sorgen in Hülle und Fülle gemacht und überhaupt nichts geschlafen, weil es nach über 35 Jahren die erste Nacht war, während der ihr Bruder nicht nach Hause gekommen ist. Und außerdem hat der Ausschlag deutlich stärker genässt, weil der Biermösel sie natürlich nicht hat einschmieren können, sagt sie mit einem gewaltigen Vorwurf in ihrer Stimme, der ihn schon befürchten lässt, dass sie ihm nie wieder ein Schweinderl braten wird.
„Wo warst du denn?!“, schreit sie ihn an. „Warst du vielleicht drüben im Puff bei der Gachblonden und hast dich dort befriedigen lassen, du durch und durch ordinäres Mannsbild?“
Dem Biermösel fehlt aber augenblicklich die Zeit, die haltlosen Anwürfe auszuräumen, weil er jetzt endlich merkt, dass die Geräuschkulisse, die ihm schon die ganze Zeit so lästig im Ohr liegt, von draußen vor der Tür zu ihm ins Schlafzimmer hereinschwappt. Vom Dienstfahrzeug hinterm Haus her tönt der Lärm, von dort her, wo das CB-Funkgerät auf seiner Fips anschlägt.
Er legt also den elfenbeinenen Hörer auf und geht hinaus. Wer wird denn das jetzt wieder sein, fragt er sich, wer um alles in der Welt funkt mich denn um diese Zeit schon wieder an?
„Grasmuck Grasmuck an Biermösel Grasmuck Grasmuck an Biermösel hörst mich kruzifix hörst mich kruzifix heb ab Grasmuck Grasmuck an Biermösel Biermösel hörst mich hörst mich kruzifix heb ab heb ab Biermösel Grasmuck Grasmuck an Biermösel Biermösel hörst mich kruzifix! Grasmuck an Biermösel!“
Ah, denkt sich der Biermösel, wie er endlich die Fips erreicht. Das wird der Grasmuck sein!
Der Grasmuck schildert in der Folge, dass der heilige Christophorus, den er gerade vor ein paar Tagen in einer buchstäblichen Nacht-und-Nebel-Aktion wieder aufgestellt hat, abermals auf seiner Seite herüben in Goisern (Gott sei Dank!, denkt sich der Biermösel) im Mischwald liegt. Jedoch steht ein roter Ferrari (Obacht Obacht!, denkt sich der Biermösel) mit einer Leiche ohne Schädel auf dem Fahrersitz auf dem Biermösel seiner Seite drüben (Kruzifix!, ärgert er sich).
„Roger Roger“, sagt der Biermösel ins Funkgerät und startet die Fips.
„Ich komme.“