Kapitel neunzehn

Erst nach einem halben Jahr Ehe bemerkte Alice allmählich, dass Teddy sich veränderte. Inzwischen gehörte er dem Lehrkörper seines Instituts an, und sie wusste, dass er deswegen ein wenig nervös war. Doch es steckte offenbar mehr dahinter, denn sie stritten sich wegen jeder Kleinigkeit.

Nach den Flitterwochen kauften sie ein reizendes halb aus Holz bestehendes und mit Stroh gedecktes Häuschen namens Mill House, nur wenige Autominuten von Cambridge entfernt. Der Garten war verwildert, das Bächlein, das eigentlich fröhlich hätte plätschern sollen, war von Unkraut überwuchert, und die Tore des kleinen Stauwehrs waren verrostet und defekt. Doch Alice liebte das Haus, obwohl es bedeutete, dass sie jeden Tag zur Arbeit nach London fahren musste.

Sie und Teddy hatten sich geeinigt, dass sie ihre Stelle bei Professor Dixson behalten würde, doch Alice wusste, dass ihr Mann eigentlich dagegen war. Deshalb gab sie sich besondere Mühe, für ihn da zu sein, und schleppte sich oft völlig erschöpft direkt vom Bahnhof zu den gesellschaftlichen Anlässen, die mit seinem Posten an der Universität einhergingen, auch wenn die Belastung immer mehr an ihren Kräften zehrte. Allerdings bestand das hauptsächliche Problem nicht darin, sondern in Teddys Stimmungsschwankungen. Im einen Augenblick war er eifersüchtig und besitzergreifend, im nächsten nahm er ihre Existenz kaum zur Kenntnis, nur um sich dann wieder in einen aufmerksamen und leidenschaftlichen Liebhaber zu verwandeln. Die Ungewissheit, in welcher Laune sie ihren Mann antreffen würde, machte Alice reizbar und nervös. Die Bombe platzte, als sie sich eines frühen Samstagmorgens fertig machte, um den Zug zur Arbeit noch rechtzeitig zu erwischen.

»Wie stellst du dir unsere Ehe vor, wenn du sechs oder manchmal sogar sieben Tage pro Woche in London verbringst? Was, glaubst du, werden die anderen Dozenten und ihre Ehefrauen davon halten, dass ich dich bei jeder Einladung entschuldigen muss?« Gähnend setzte er sich im Bett auf und kratzte sich mürrisch am Kopf. Alice fand, dass er so niedlich aussah wie ein zerzauster Welpe.

»Es ist erst der zweite Samstag in den letzten drei Monaten«, protestierte sie und wollte ihn küssen. Doch er schob sie weg.

»Ich meine es ernst. Ist dir denn so langweilig, dass du ständig deinem tollen Professor und seinen verdammten Experimenten hinterherlaufen musst? Was ist mit unserem Haus? Oder damit, dass du mir bei meinen Forschungsarbeiten hilfst? Ich kann das doch nicht alles allein machen. Und wie soll ich Gäste bewirten, wie es von einem Dozenten am Trinity College erwartet wird, wenn du nie da bist?«

»Moment mal, jetzt wirst du aber unfair«, erwiderte Alice, erschrocken über die unerwarteten Vorwürfe. Sie sah auf die Uhr. »Liebling, können wir das nicht besprechen, wenn ich heute Abend nach Hause komme? Sonst verpasse ich nämlich meinen Zug.«

»Wenn ich dann noch da bin«, entgegnete Teddy unwirsch. Alice hatte keine Zeit, ihn zu fragen, was er damit meinte, denn vor der Tür hupte schon das Taxi. Sie war so wütend über sein unvernünftiges Verhalten, dass sie von der Fahrt nach London kaum etwas mitbekam.

Inzwischen vermisste sie es, Harry nicht einfach einen Spontanbesuch abstatten zu können. Ihre Freundin hatte sich endlich breitschlagen lassen, Roody zu heiraten. Und nach einer wunderschönen Hochzeit war das Paar nach Schottland gezogen, wo Roody inzwischen stationiert war. »Warum kann ich nicht wie Harry sein?«, dachte Alice erbittert, als sie mit den anderen Pendlern am Bahnhof Liverpool Street ausstieg. Bei ihrem letzten Telefonat hatte Harry überglücklich geklungen und es überhaupt nicht bedauert, Roody zuliebe ihren Beruf aufgegeben zu haben. Den ganzen Vormittag lang konnte Alice sich nicht auf die Arbeit konzentrieren.

»Ich denke, es ist wieder einmal Zeit für eine Tasse Kaffee«, schlug Professor Dixson mit Nachdruck vor und animierte Alice zu einer Kaffeepause. Während sie ihr Brötchen zerpflückte, erzählte sie ihm, sie und Teddy hätten ihren ersten Streit gehabt, weil er gefordert habe, dass sie ihre Stelle im Labor kündigte.

»Ich verlange wie immer viel zu viel von Ihnen«, seufzte Professor Dixson. »Rosie hat mir erst letztens deshalb die Leviten gelesen. Ich bin nun mal ein alter Egoist.«

»Nein, sind Sie nicht«, widersprach Alice, deren Wut wieder erwachte. »Und es gibt überhaupt keinen Grund, warum ich nicht mehr bei Ihnen arbeiten sollte. Wenn er, ganz gleich ob Tag oder Nacht, nach Oxford oder nach Edinburgh verschwindet, ist es ja auch in Ordnung. Aber bei mir soll das anders sein. Für mich gelten offenbar andere Regeln.« Zornig stopfte sie sich ein großes Stück Brötchen in den Mund. »Manchmal ist er so unvernünftig, dass ich losschreien könnte. Ich weiß nicht einmal, ob er da sein wird, wenn ich heute Abend nach Hause komme.« Eine lange Pause entstand, in der der Professor Alice Zeit gab, sich zu beruhigen. Die dunklen Schatten unter ihren Augen waren ihm nicht entgangen. Er legte die Hand auf Alices beringte Finger und drückte sie rasch und verlegen.

»Sie kennen ja das alte Sprichwort über wahre Liebe und verschlungene Pfade«, meinte er leise. »Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, dass unsere Wege sich trennen, mein Kind. Der Himmel allein weiß, wie ich ohne Sie zurechtkommen oder je Ersatz für Sie finden soll, doch es ist kein guter Anfang für eine Ehe, sich über die Forschungsarbeit eines alten Mannes zu streiten. Gehen Sie nach Hause zu Ihrem Mann, bekommen Sie eine Schar Kinder und werden Sie glücklich.«

Alices Augen füllten sich mit Tränen. »Aber ich will die Arbeit bei Ihnen nicht aufgeben«, schluchzte sie. Sie fühlte sich, als säße sie Onkel Ray gegenüber, der ihr predigte, eine Frau gehöre nun einmal in die Küche. Das hatte sie damals schon nicht einsehen wollten, und sie lehnte es auch heute noch ab.

»Wollen Sie wirklich Ihre Ehe wegen meiner Arbeit aufs Spiel setzen?«, fuhr der Professor fort, der Alices trotzig vorgerecktes Kinn bemerkt hatte.

»Wenn er mich lieben würde, würde er mich nicht zu dieser Entscheidung zwingen. Außerdem schaffen Sie es ohne mich sowieso nicht«, fügte sie triumphierend hinzu.

»Da haben Sie Recht, aber Sie brauchen mich nicht«, brummte der Professor, um seine Gefühle zu verbergen.

Nach einer Weile beruhigte sich Alice. Teddy hatte ihr zwar kein Ultimatum gestellt, aber sie liebte ihn und wünschte sich eine Familie. Offenbar war der Rest der Welt sich einig, dass es das Beste für sie war, ihren Beruf aufzugeben. Sie seufzte tief auf und putzte sich die Nase.

»Sie haben mir sehr viel beigebracht und sind so verständnisvoll. Ich werde Sie und Rosie wirklich vermissen.«

»Ja, ja, mein liebes Kind«, unterbrach der Professor und tätschelte ihr die Schulter. Dann stand er auf und nickte. »Wir beenden die letzte Testreihe. Anschließend können Sie einen früheren Zug nehmen und Ihrem Mann sagen, dass Sie Ende der Woche bei mir aufhören.« Er fuhr sich mit der Hand durch den dichten weißen Lockenschopf. »Und falls Sie je zurückkommen wollen, wird hier immer eine Stelle für Sie frei sein.« Er errötete heftig, als Alice aufsprang und ihm – sehr zur Belustigung der übrigen Laborassistentinnen, die gerade Pause machten – um den Hals fiel.

»Ich hoffe nur, dass Teddy genug Verstand besitzt, um zu erkennen, was für ein Goldstück er geheiratet hat«, sagte der Professor, als Alice sich am frühen Abend von ihm verabschiedete. Zu Hause angekommen, stieg sie aus dem Taxi und ging langsam auf das Haus zu, während sie überlegte, wie sie Teddy die Neuigkeit mitteilen sollte. Ruckartig blieb sie stehen, als sie bemerkte, dass der leuchtend rote Austin Healey nicht an seinem angestammten Platz stand. Sie eilte hinein und las den Zettel, der in der Küche lag.

»Bin übers Wochenende bei Adrian und Monica.« Sie knüllte den Brief zusammen und schleuderte ihn durch den Raum. Dann ließ sie sich auf einen Stuhl sinken und brach in Tränen aus. Nach drei Tassen Tee und einer halben Packung Schokoladenkekse machte sie sich schließlich daran, den Garten in Angriff zu nehmen. Um zehn Uhr lag sie in der lauwarmen Badewanne und versuchte, nicht an das leere Bett zu denken, das sie erwartete, als plötzlich die Tür aufging und Teddy hereinkam.

»Ich konnte es einfach nicht«, verkündete er, bückte sich und zog den Stöpsel der Badewanne. »Ich habe den Gedanken nicht ertragen, eine Nacht bei Adrian zu verschwenden, in der ich auch leidenschaftlich über meine Frau herfallen könnte.« Mit diesen Worten hob er Alice aus der Wanne, trug sie tropfnass ins Schlafzimmer, warf sie aufs Bett und begann, sich auszuziehen. Alice wusste nicht, ob sie lachen oder wütend sein sollte, doch als sie sich in dieser Nacht liebten, war es so schön wie noch nie seit ihrer Hochzeit.

Sobald Alice ihren Beruf aufgegeben hatte, legte sich Teddys Launenhaftigkeit, und er zeigte sich wieder von seiner freundlicheren Seite, während Alice Bauarbeiter, Maler und Installateure herbeorderte, um das Haus fertig zu renovieren. Es gab nur eine Kleinigkeit, die ihr Glück trübte. Eines Tages, als Teddy spät von einem Arbeitstreffen mit einem Kollegen in Oxford zurückkehrte, nahm Alice einen Hauch von Parfüm an seinem Hemd wahr. Der Duft war so zart und mischte sich außerdem mit dem Geruch nach Zigarettenrauch, dass Alice sich zunächst fragte, ob sie es sich nur eingebildet hatte. Doch eigentlich war sie sicher, und es handelte sich eindeutig nicht um ihre Marke. Allerdings sagte sie sich in ihrer Hochstimmung – denn schließlich schritt der Umbau des Hauses unaufhaltsam voran –, dass wohl ihre Phantasie mit ihr durchging, und stopfte das Hemd in die Waschmaschine. Schließlich überschütteten sich einige der Sekretärinnen, mit denen Teddy beruflich zu tun hatte, ja förmlich mit Parfüm. Also stürzte sich Alice ins Tapezieren und Anstreichen, in das Nähen von Kissenbezügen, Vorhängen und Bettüberwürfen und in die Gartenarbeit und vergaß den Zwischenfall.

»Hast du eigentlich mal über Kinder nachgedacht?«, fragte Alice eines Frühlingsmorgens sehnsüchtig und rührte in ihrem Tee. Sie saßen gemütlich bei einem späten Sonntags-frühstück. Ihr Körper prickelte noch, weil sie sich gerade geliebt hatten. Durch das offene Fenster wehte eine leichte Brise herein, die Blumenduft herantrug und die hübschen blauen Baumwollvorhänge blähte, die Alice selbst genäht hatte. Das Summen der Bienen draußen erinnerte sie an kühle Frühlingstage in Australien.

»Das habe ich, Schatz, und zwar immer, wenn meine Schwester mit einem Besuch droht. Am angenehmsten finde ich es, wenn man die Kleinen ihren Eltern zurückgeben kann.«

»Aber fändest du es nicht schön, wenn wir eigene Kinder hätten?«, hakte Alice nach.

»Das wäre nett. Warum fahren wir nicht nach Swaffam Prior, Känga, mein Engel. Es ist so ein hübscher Tag, und ich möchte dir noch so viel zeigen. Wir könnten in einem gemütlichen Pub zu Mittag essen und anschließend auf dem Heimweg Adrian und Monica besuchen.« Liebevoll sah er Alice an. »Du kennst ihr neues Haus noch gar nicht.«

Alice verbarg ihre Enttäuschung über Teddys abrupten Themenwechsel. Doch inzwischen hatte sie gelernt, dass es zwecklos war, auf einer Fortsetzung des Gesprächs zu beharren. Stattdessen sagte sie: »Hast du dir schon mal überlegt, wann wir einmal nach Hause fahren könnten?«

»Komisch, darüber habe ich erst vor zwei Tagen mit Mutter gesprochen … Apropos: Hast du schon die Gästeliste für deinen einundzwanzigsten Geburtstag zusammengestellt? Es sind nur noch drei Monate, und Mutter möchte alles so bald wie möglich unter Dach und Fach haben.« Alice verzog das Gesicht. Dieses Thema hatten sie doch schon einmal durchgekaut.

»Ich habe dir gesagt, dass ich jetzt, nachdem unser Häuschen fertig ist, meinen Geburtstag lieber hier feiern möchte. Der Garten sieht im August sicher wundervoll aus.« Aber Teddy ließ sich wieder nicht beirren und bestand darauf, dass seine Mutter sehr enttäuscht sein würde, wenn sie für Alice keine große Party geben könnte. Sie plante sie schon seit Monaten.

»Vermutlich hat sie inzwischen halb Gloucestershire eingeladen.« Alice unterdrückte das Bedürfnis, ihm zu widersprechen. »Dann schreibe ich besser die Liste. Sonst werde ich auf meiner eigenen Party niemanden kennen«, meinte sie leicht gereizt.

»So ist Mutter nun mal«, erwiderte Teddy nickend. »Nachdem das jetzt geklärt wäre, habe ich eine Überraschung für dich. Er zauberte zwei Eintrittskarten für den Maiball des Trinity College hervor. »Um zu feiern, dass ich dich nun ein traumhaftes Jahr lang kenne.«

Alices Miene erhellte sich. »Wirst du mir wieder auf der Seufzerbrücke einen Antrag machen?«

»Nein, aber ich schenke dir das hier.« Er kramte in seiner Sakkotasche und holte eine längliche Schachtel aus blauem Samt hervor. Als er sie öffnete, war eine schimmernde Perlenkette, bestehend aus drei Strängen, zu sehen. »Ich dachte, so was trägst du vielleicht gern bei der Gartenarbeit«, sagte er mit einem jungenhaften Grinsen.

Alices schlechte Laune verflog. »Du willst mich nur bestechen«, gab sie lachend zurück, und ihre Augen funkelten spitzbübisch.

»Ja.«

»Es funktioniert prima.« – »Aber du musst dafür bezahlen«, entgegnete Teddy.

»Oh, ich weiß, Teddy, ich weiß«, antwortete Alice und sprang auf, um in den Garten zu fliehen. Doch er war zu schnell für sie.

Er nahm sie in die Arme und trug sie wieder nach oben ins Schlafzimmer.

»Was ist mit Swaffam Prior?«, protestierte Alice schwach.

»Das läuft uns nicht davon«, antwortete er und brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen.

Als Teddy und Alice von ihrem ausgedehnten Mittagessen zurückkehrten, trafen sie Dr. Monica Slade in ihrem Garten an, wo sie gerade das Unkraut zwischen den Rosen jätete. Sie war eine unscheinbare junge Frau, trug beige Bermudashorts zu einem ausgewaschenen dunkelblauen T-Shirt und schien sich in ihren Gartenhandschuhen pudelwohl zu fühlen. Das stumpfe, braune, schulterlange Haar, das sie sonst ordentlich aufgesteckt trug, hatte sie locker mit einem Stück Schnur zurückgebunden. Adrian und Monica hatten geheiratet, kurz nachdem Alice Teddy kennen gelernt hatte, doch sie hatten sich seither nur selten getroffen, denn Monica hatte in ihrer Arztpraxis in Cambridge viel zu tun.

Monica begrüßte die beiden Besucher fröhlich. Als sie sich, die Gartenschere in der Hand, mit der Rückseite ihres Handschuhs die Stirn abwischte, hinterließ sie einen dunklen Streifen Schmutz. Ein Hauch von abgestandenem Schweiß und Küchendünsten stieg Alice in die Nase.

»Adrian ist bei den Ställen. Unseren neuesten Familienzuwachs habt ihr ja noch gar nicht kennen gelernt.« Bevor sie antworten konnten, führte Monica sie um das große Haus herum zu den nagelneuen Ställen, die erst vor wenigen Tagen fertig geworden waren. Die Holzstapel und Berge von Sand und Pflastersteinen wiesen darauf hin, dass noch viel getan werden musste, und der Geruch nach Dung und Heu rief alte Erinnerungen in Alice wach. Sie schnappte nach Luft, als Adrian mit einem prachtvollen Rotschimmel am Zügel auf sie zukam.

»Teddy meinte, du wolltest ihn vielleicht mal ausprobieren«, erklärte Adrian, als Alice das Pferd ohne nachzudenken streichelte.

»Was hat er gesagt?«, rief sie aus und drehte sich überrascht zu ihrem Mann um.

Als das Pferd, gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, sie kräftig in die Schulter zwickte, schrie sie auf.

»Pass auf, du«, schimpfte sie und schob das Maul des Tieres weg. »Du hältst dich wohl für den Nabel der Welt.«

Sie strich mit der Hand über die schimmernden Flanken des Pferdes und bewunderte sein seidiges Fell. Das Tier schüttelte wiehernd den Kopf.

»Meistens«, gab Adrian zu.

»Na, steigst du jetzt auf, oder willst du mit dem Vieh nur plaudern?«, witzelte Teddy. Er plante so etwas, seit er Alice über Sherry reden gehört hatte.

»Ich bin doch gar nicht zum Reiten angezogen«, protestierte Alice und wies auf ihr geblümtes Sommerkleid und die hübschen Sandalen mit den flachen Absätzen.

»Dann reite eben im Damensattel«, schlug Adrian vor und reichte ihr die Zügel. Das Pferd pustete ihr vorne in den Ausschnitt. »Du kannst ein Paar Reitstiefel von mir haben.« Alice legte den Kopf in den Nacken und lachte auf. Sie hatte ganz vergessen, wie es war, wenn ein Pferd an einem herumstupste, insbesondere eines, das so frech und selbstsüchtig war wie dieses hier.

»Das ist nicht nötig!«, rief sie aus, schlüpfte aus ihren Sandalen, raffte ihren Rock und schwang sich, Adrians ausgestreckte Hand als Steigbügel benutzend, in den Sattel.

»Lass ihn über das Feld gehen«, meinte Adrian und wies auf das offene Gatter, hinter dem ein Feld mit verschiedenen Fässern und Stangen für Hindernisübungen lag. »Möchtest du den Braunen reiten?«, fragte er Teddy. Doch dieser schüttelte den Kopf.

»Sie braucht mich jetzt nicht. Sie braucht überhaupt niemanden. Schau sie dir an.«

Nachdem Alice das Pferd auf das Feld bugsiert hatte, ließ sie es langsam gehen. Rasch hatte sie das Tier besser kennen gelernt und trieb es erst zum Trab und schließlich zum Galopp an. Es war ein wundervolles Gefühl, wieder ein Pferd unter sich zu spüren. Sie war frei. Alle wunderschönen Erinnerungen an ihre Zeit mit Sherry kamen zurück, als sie rings um das Feld preschte. Die Tränen der Trauer, des Verlusts und des Glücks, die ihr die Wangen hinunterrannen, reinigten ihre Seele. Teddy hatte das alles geplant. Seit sie aufgewacht waren, hatte er genau gewusst, was er tun würde. Nun ergaben seine Bemerkungen, die sie zunächst nicht verstanden hatte, einen Sinn. Er war fest dazu entschlossen gewesen, sie wieder in den Sattel zu kriegen, und dafür liebte sie ihn so sehr.

»Ist sie nicht wunderschön? Ich kann nicht sagen, wer eleganter ist, Alice oder das Pferd«, seufzte Adrian und beobachtete fasziniert, wie Alice selbstbewusst und mit wehendem Rock rings um das Feld galoppierte.

»Du hast Alice heute eine große Freude gemacht, alter Junge«, begeisterte sich Teddy. »Vielen Dank.«

»Keine Ursache, mein Freund. Dieser Anblick war es wert.«

Es war die letzte Examenswoche Ende Mai. Teddy saß gerade in seinem Büro im College und korrigierte einige Arbeiten, als die Tür aufflog und Bertrand Wilbraham hereingestürmt kam. Wilbraham war Dozent für Englisch, zwei Jahre älter als Teddy und Mitarbeiter des Christ’s College.

»Teddles, alter Junge, ich habe gehofft, dich hier anzutreffen.«

Als Teddy seinen Spitznamen aus Schultagen hörte, blickte er erstaunt auf.

»Bunty! Was machst du denn in dieser Einöde? Ich dachte, du führst Aufsicht bei den Prüfungen der Zweitsemester.«

Bunty und Teddy hatten gemeinsam Harrow und Cambridge besucht. Bunty, ein ausgesprochen fähiges Mitglied des Debattierclubs von Harrow, hatte Teddy ordentlich die Hölle heiß gemacht, als dieser nach Lord Turlingtons Spende für einen neuen Bootsschuppen für die Schule eine Auszeichnung im Rudern erhalten hatte. Außerdem hatte er diese Information im Debattierclub von Cambridge gegen ihn verwendet. Doch Teddy hatte bewiesen, dass er den Preis auch verdient hatte, und hatte sich noch im Grundstudium am Trinity College einem Ruder-Achter angeschlossen. Inzwischen hatte sich ihre Rivalität aus Schüler- und Studententagen in eine gute Bekanntschaft verwandelt, da beide wussten, wie wichtig es war, die richtigen Beziehungen zu pflegen.

»Da hast du richtig gedacht, aber ich habe gerade Pause, und da ist mir das hier eingefallen.« Er drückte Teddy ein Stück Papier in die Hand. Als Teddy einen Blick darauf warf, las er die Worte »Ausschreibung einer Forschungsstelle«. Bewerbungsschluss war im März. Nachdem Teddy den Rest des Briefs überflogen hatte, gab er ihn Bunty zurück.

»Warum zeigst du mir das? Ich habe den Bewerbungsschluss um drei Monate verpasst.«

»Genau das wollte ich dir ja sagen. Sie nehmen auch noch spätere Bewerbungen an. Offenbar hat sich noch kein interessanter Kandidat gemeldet, und man überlegte schon, ob man die Stelle unbesetzt lassen soll. Dann habe ich gehört, sie spielten ernsthaft mit dem Gedanken, den Posten ausgerechnet diesem grässlichen Clive soundso aus deinem Institut anzubieten. Offenbar hat er einen guten Eindruck gemacht.« Er blickte zu Teddy hinunter. »Keine Ahnung, wie er das geschafft hat. Schließlich hat er nur an der Universität Leeds studiert.«

Buntys Nachricht wurmte Teddy entsetzlich, denn es ärgerte ihn immer noch, dass Clive Parkin – ein Mann, dem nach der Auffassung von Teddy und vielen seiner Kollegen die richtige Herkunft fehlte – inzwischen eine Führungsposition bekleidete, obwohl sie gleichzeitig ins Kollegium eingetreten waren. Clive Parkin, der weder eine englische Privatschule noch Oxford oder Cambridge in seinem Lebenslauf vorweisen konnte, galt bei Teddy, Bunty und ihren Standes-genossen als unterqualifizierter Emporkömmling.

»Ach, ja?«, meinte Teddy argwöhnisch.

»Ich finde es ein wenig befremdlich, wenn ein kleiner Wichtigtuer von einer Billiguniversität versucht, einen so wichtigen Posten zu ergattern.« Als Teddy schwieg, fuhr Bunty fort: »Ich konnte mich nicht bewerben, es ist nicht mein Fachgebiet. Dann hörte ich, du wärst außer dir gewesen, als du den ersten Bewerbungstermin verpasst hattest. Hör zu, alter Junge, ich weiß, wir hatten früher unsere Differenzen, aber ich konnte so eine Absurdität einfach nicht tatenlos mit ansehen. Schließlich haben wir ja mal zusammen die Schulbank gedrückt.«

»Bunty, ich verzeihe dir alles, was du je im Debattierclub über mich gesagt hast«, erwiderte Teddy mit einer großartigen Geste. »Wie viel Zeit habe ich, falls ich beschließen sollte, mich zu bewerben?«

»Die endgültige Entscheidung fällt erst Ende August. Wenn du dich meldest, könntest du gute Chancen haben und den kleinen Mistkerl aus dem Rennen werfen.« Bunty seufzte auf und bemerkte zufrieden, wie Teddys Begeisterung wuchs. Teddy verkniff sich die Frage, woher Bunty die Information hatte, denn er verfügte nun einmal über das außergewöhnliche Talent, seinen Kollegen Wissenswertes zu entlocken. Er besaß so viel Überzeugungskraft, dass die Leute gar nicht anders konnten, als ihm zuzuhören und sich ihm anzuvertrauen. Außerdem war er ein geschickter Taktierer. Von Bunty konnte Teddy noch eine Menge lernen.

Bunty hatte Recht. Er war wirklich aufgeregt. Als er den ursprünglichen Bewerbungstermin verpasst hatte, hätte er sich für seine eigene Dummheit ohrfeigen können. Aber wenn er nun aussagekräftige Bewerbungsunterlagen einreichte, würde seinem Forschungsprojekt zur alten Seidenstraße vielleicht bald nichts mehr im Wege stehen. Vielleicht sprang ja sogar eine Ehrendoktorwürde dabei heraus. Während er Bunty fröhlich angrinste, arbeitete sein Verstand auf Hochtouren. Zufrieden klopfte Bunty mit seiner Aktenmappe auf den Schreibtisch und deutete Teddys Schweigen ganz richtig als wachsendes Interesse.

»Ich hielte es für besser, wenn du dieses Gespräch niemandem gegenüber erwähnst. In der Zwischenzeit könnte ich ja mit den richtigen Leuten sprechen. Schließlich wollen wir, dass es in der Familie bleibt.«

»Natürlich.«

»Tja, dann viel Glück. Ach, jetzt hätte ich es fast vergessen«, meinte Bunty beiläufig. »Könntest du so nett sein, das hier zurück in euer Büro zu bringen, wenn du zufällig mal Zeit hast? Offenbar hat es eine Verwechslung gegeben.« Er reichte Teddy die Mappe.

Teddy nahm sie geistesabwesend entgegen. Bunty hatte ihm Stoff zum Nachdenken geliefert. Clive galt als fleißiger Arbeiter, lieferte stets Ergebnisse und war deshalb eine ernst zu nehmende Konkurrenz. Allerdings besaß Teddy Forschungsdaten, die er vorlegen konnte, auch wenn manche davon, wie er wusste, ihre Schwächen hatten. Also musste er dafür sorgen, dass alles wasserdicht genug wirkte, um das Gremium zu überzeugen, ihn und nicht seinen ranghöheren Kollegen zu nehmen.

»Ach, und das hier hast du übrigens auch nicht von mir.« Mit einem verschwörerischen Nicken ging Bunty hinaus.

»Ich bin dir wirklich …«, sagte Teddy, doch die Eichentür war bereits hinter dem Besucher ins Schloss gefallen. Dann warf er einen Blick auf die Mappe, und sein Puls begann zu rasen, als er den Namen auf dem Einband sah. Clive Parkin. Er schlug die Mappe auf und begann zu lesen.

Cambridge wirkte in den Sommerferien seltsam menschenleer, als Alice aus Monica Slades Praxis kam und sich auf den Weg ins Trinity College machte. Die Atmosphäre hatte sich verändert, denn die Straßen, auf denen es sonst von Studenten nur so wimmelte, lagen fast verlassen da. In den normalerweise überfüllten Kneipen gab es freie Plätze, und man traf nur Ausländer, die entweder Sommerkurse besuchten oder ihren Urlaub hier verbrachten. Drei Mal war sie schon von amerikanischen Touristen angesprochen und gebeten worden, sie vor verschiedenen Colleges zu fotografieren.

Es war der Dienstag vor Alices einundzwanzigstem Geburtstag, und wie meistens im August war es bewölkt und schwül – ganz anders also als die trockene Hitze im australischen Busch. Dennoch hätte Alice sich heute sogar durch einen Zyklon gekämpft. Es war kurz vor der Mittagszeit, und sie konnte es kaum erwarten, Teddy die Nachricht zu überbringen.

Während sie die Green Street entlanghastete, überlegte sie, wie sie es ihm eröffnen sollte. Teddy steckte immer noch bis über beide Ohren in der Arbeit an seiner Bewerbung für die Forschungsstelle, sodass sie sich ein wenig würde zurücknehmen müssen, wenn sie sich zum Mittagessen mit ihm traf. Sie würde mit ihm in den kleinen Pub in einer Ecke der Kings Parade gehen und ihm bei einem Käsesandwich und einem eiskalten Limettensoda ganz ruhig die Neuigkeit berichten. Das Herz klopfte ihr vor Aufregung, als sie die abgetretene Holztreppe zu seinem Büro hinaufeilte und dabei drei Stufen auf einmal nahm. Sie wartete kurz, um wieder zu Atem zu kommen, bevor sie leise an die Tür klopfte und eintrat. Bestimmt würde es ihr nicht gelingen, ihn lange zu täuschen, denn ihre frohe Miene war einfach zu verräterisch. Der Vorraum war leer, doch Alice hörte leise Stimmen aus dem Büro seiner Sekretärin. Also nahm sie Platz und versuchte, ihre Ungeduld zu zügeln. Teddy erwartete sie, und es war Punkt ein Uhr. Wie auf ein Stichwort öffnete sich da die Tür, und Teddy kam heraus. Alice machte Anstalten, etwas zu sagen, doch er fiel ihr ins Wort.

»Liebling, ich fürchte, aus dem Mittagessen wird nichts. Die Bewerbung ist lange nicht fertig, und ich habe nur noch drei Tage Zeit. Miss Freeman hat mir angeboten, mir ein paar belegte Brote zu holen, und dann arbeiten wir die Mittagspause durch.«

Während er sprach, erschien Miss Freeman, Teddys Sekretärin. Sie war eine kleine, unscheinbare Frau von unauffälligem Äußerem, die man aufgrund ihrer schlichten Art, sich zu kleiden, kaum wahrnahm. Nachdem sie Alice begrüßt hatte, hastete sie, ihre Handtasche umklammernd, hinaus. Teddy steuerte bereits auf seinen Schreibtisch zu. Alice musste gegen ihre Enttäuschung ankämpfen, als sie ihm folgte.

»Hast du nicht mal Zeit, deine Frau zu küssen?«, fragte sie, während sie rasch ihren Plan änderte. Die Nachricht war zu wichtig, um sie Teddy zwischen Tür und Angel zu überbringen. Teddy küsste sie geistesabwesend und griff zum Telefon.

»Du siehst hinreißend aus, Liebling«, meinte er. Doch schon im nächsten Moment galt seine Aufmerksamkeit dem Menschen am anderen Ende der Leitung.

»Bis heute Abend«, flüsterte sie. Teddy winkte ihr nach und warf ihr eine Kusshand zu.

»Also Plan B«, sagte sich Alice entschlossen, als sie in die schwüle Augusthitze trat und eilig ihre Einkäufe erledigte. Um sechs Uhr war das ganze Haus blitzblank. Der Tisch aus poliertem Mahagoni schimmerte wie Glas, sodass sich das weiße Wedgewood-Porzellan mit dem Goldrand, das glänzende Silberbesteck und das funkelnde Waterford-Kristall darin spiegelten. Alice hatte eingekauft, was Teddy am besten schmeckte, und sein Lieblingsgericht gekocht. Auf der Anrichte in dem winzigen Esszimmer wartete eine Platte mit Aufschnitt und Räucherlachs neben einem Teller mit seinen bevorzugten Käsesorten. Eine Flasche teurer Rotwein stand geöffnet in der Küche, um zu atmen. In einem hellgelben Sommerkleid aus Baumwolle, das ihre Haut zum Leuchten brachte, rührte Alice gerade die Sauce für den gebratenen Fasan an, als sie hörte, wie Teddys Wagen vorfuhr. Sie tat so, als hätte sie ihn nicht bemerkt, und arbeitete seelenruhig weiter. Das vertraute Geräusch des Schlüssels im Schloss und rasche Schritte, die sich der Küche näherten, ließen ihr Herz höher schlagen. Ein freudiger Schauder durchlief sie, als er ihr die Arme um die Taille schlang und sie fest auf die Wange küsste.

»Tut mir Leid wegen des Mittagessens, Schatz. Hoffentlich habe ich dir den Tag nicht verdorben.« Er schnupperte an ihren nackten Schultern. »Was ist denn bei dir so passiert?«, erkundigte er sich gespielt streng.

»Gar nichts«, log sie, ein spitzbübisches Funkeln in den Augen.

Teddy drehte sie zu sich um. »Kann sein, dass ich sentimental bin, Känga, aber ich finde, du wirst von Tag zu Tag schöner.«

»Angeblich soll eine Frau in der Schwangerschaft ja am schönsten sein«, erwiderte Alice, die ihr Geheimnis keine Sekunde mehr für sich behalten konnte, lachend. Als sie, den Kochlöffel immer noch in der Hand, Teddy um den Hals fiel, spritzte die Sauce auf den Fußboden. »Ich liebe dich so sehr, Teddy.«

»Was hast du gesagt?«

»Dass ich im dritten Monat schwanger bin, Liebling. Ich kriege ein Baby. Monica hat es mir heute Vormittag bestätigt. Jetzt hast du zwei, die du lieben kannst.« Sie wollte Teddy küssen und hielt inne, als er sich losmachte und zurückwich.

»Bist du sicher?«

»Absolut«, erwiderte Alice strahlend.

»Ich brauche was zu trinken«, sagte Teddy abrupt, verschwand im Esszimmer und kehrte mit einem Glas zurück. Festen Schrittes durchquerte er die Küche und schenkte sich ein Glas Rotwein ein, ohne das Etikett auch nur eines Blickes zu würdigen. Alice starrte ihn verdattert an.

»Wie konntest du nur so nachlässig sein, zum Teufel?«

»Sei doch nicht albern«, meinte Alice und lachte ungläubig auf. Ihr Glücksgefühl war schlagartig verflogen. »Freust du dich denn nicht?«

»Ich dachte, du nimmst die Pille. Eine schwangere Frau und Babys haben mir zurzeit gerade noch gefehlt.« Alice strich sich das Haar aus dem Gesicht, unterdrückte die aufsteigenden Tränen und zwang sich zu einem zittrigen Lachen.

»Wahrscheinlich ist es nach dem Maiball passiert. Ich hatte vergessen, mir ein neues Rezept zu besorgen, und als es mir wieder eingefallen ist, hielt ich es für besser, den nächsten Zyklus abzuwarten. Doch dazu ist es gar nicht mehr gekommen. Ich dachte, du würdest dich genauso freuen wie ich. Du hast doch immer gesagt, du würdest dir ein Kind wünschen, wenn ich davon angefangen habe.«

»So etwas habe ich nie behauptet«, zischte Teddy und lief im Raum auf und ab. »Ich kann mich an ein solches Gespräch nicht erinnern.«

Alices Ärger gewann die Oberhand über ihren Schrecken. »Das genau ist ja das Problem. Du erinnerst dich immer an nichts!«, rief sie, füllte einen Becher mit Wein und stürzte ihn hinunter. »Ich habe schon seit einem Monat die Vermutung, aber du hörst mir ja nie richtig zu.«

Mit zornig blitzenden Augen drehte Teddy sich zu Alice um. »Du weißt ganz genau, wie wichtig mir diese Forschungsstelle ist, und dann tust du mir so etwas an.«

Alice trat auf ihn zu. Sie konnte die Tränen nicht unterdrücken, die ihr über die Wangen liefen. »Aber das macht doch keinen Unterschied, Teddy, mein Schatz. Du kannst die Stelle doch trotzdem annehmen.«

Grob stieß er sie weg. »Was? Soll ich mit einem zwei Wochen alten Baby und einer Frau, die gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde, durch Asien und die Türkei reisen? Und was ist mit den Gesellschaften, die wir dann geben müssen? Hast du etwa vor, mitten in einer Cocktailparty für den Vizekanzler die Brust freizumachen? Wie konntest du so etwas tun? Wie konntest du nur so verdammt unvorsichtig sein?«

Er war noch nicht bereit, Vater zu werden. Die nächsten drei Jahre hatte er sorgfältig geplant, und nun hatte Alice alles über den Haufen geworfen.

Alice konnte es nicht fassen, dass er ihr Vorwürfe machte. Benommen versuchte sie nicht zuzuhören, als er ihr wieder dieselben Anschuldigungen entgegenschleuderte wie damals, als sie für den Professor gearbeitet hatte.

»Teddy, bitte, sag nicht so etwas!«, rief sie aus. Sie sank auf einen Stuhl und schlug, schluchzend vor Enttäuschung, die Hände vors Gesicht. Währenddessen lief Teddy weiter auf und ab.

»Ich hatte nie vor, so früh in unserer Ehe schon Kinder zu haben. Natürlich war ich einverstanden, wenn du damit anfingst, aber ich dachte, du meinst in fünf oder sechs Jahren. Du bist doch noch so jung. Wir haben so viel gemeinsame Zeit vor uns. Ich möchte dich mit niemandem teilen, nicht einmal mit unserem eigenen Kind. Manchmal kann ich es nicht einmal ertragen, wenn du mit einem anderen Mann sprichst, so sehr zerfrisst mich die Eifersucht.«

Als Alice aufblickte, drückten ihre geröteten Augen Erstaunen aus. Hastig wischte sie sich die Tränen von den Wangen und putzte sich die Nase.

»Ich hatte ja keine Ahnung, Teddy. Ich schwöre dir, dass du keinen Grund zur Eifersucht hast. Ich liebe dich, und du wirst unser Baby auch lieben.« Nervös knetete sie das dünne Baumwolltaschentuch zwischen den Fingern.

»Hör zu, Alice, ich hatte einen sehr anstrengenden Tag«, sagte Teddy und ließ sich in einen der mit Chintz bezogenen bequemen Sessel fallen. »Und jetzt auch noch so etwas.« Verdattert fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar.

Alice legte sich eine eiskalte Hand ums Herz. »Das Abendessen ist fertig«, verkündete sie mit gespielter Fröhlichkeit. »Ich habe dein Lieblingsessen gekocht, Räucherlachs, Fasan und einen Brombeer-Apfel-Kuchen mit Sahne.«

Für Alice schmeckte das Essen wie Sägemehl. Das Gespräch verlief steif, und sie hätten auch zwei Fremde sein können, als sie die Ereignisse des Tages erörterten und dabei das Thema vermieden, das ihnen beiden eigentlich im Kopf herumging. Schließlich schob Teddy seinen Stuhl zurück und stand auf.

»Ich habe heute noch zu arbeiten. Wir reden darüber, wenn du nicht mehr so aufgebracht bist.« Alice fühlte sich so elend, dass ihr keine passende Antwort einfiel. Wo waren die Liebe, das Glück und die Freude, die sie eigentlich zusammen hätten empfinden sollen? Das Herz lag ihr wie ein Blei-klumpen in der Brust, als sie sich ins Bett schleppte. Was gab es da noch zu bereden? Über das, was er gemeint haben könnte, wagte sie nicht einmal nachzudenken. Sie schloss die Augen, obwohl sie wusste, dass sie keinen Schlaf finden würde.

In seinem Arbeitszimmer schlug Teddy die Hände vors Gesicht. Babys. Das war ein Thema, mit dem er sich einfach nicht auseinander setzen wollte. Er hatte keine Lust, erwachsen zu werden, weder jetzt noch sonst irgendwann. Die Verantwortung war ihm zu viel. Mutter würde begeistert sein. Er hob den Kopf und starrte bedrückt in die Nacht hinaus, während sich seine Gedanken überschlugen. Alice, Babys, seine Arbeit. So etwas durfte sie ihm nicht antun. Sie hatte kein Recht, ihn derart festzunageln. Warum fühlte er sich so rasch überfordert, wenn in seinem Leben Schwierigkeiten auftraten? Er war ein guter Ehemann. Er liebte Alice. Schließlich hatte er sie noch nie betrogen. Bloß das eine Mal, und das auch bloß, weil sie sich geweigert hatte, ihre Arbeitsstelle bei dem Professor aufzugeben. Und eigentlich hatte er damit einer ehemaligen Freundin nur einen Gefallen tun wollen. Und nun setzte Alice schon wieder ihren Willen durch. Sie stahl ihm die Jugend, indem sie ihn zur Vaterschaft verdonnerte. Und dabei war sie doch so viel jünger als er. An wen sollte er sich wenden? Wer würde ihn verstehen? Die Antwort lag auf der Hand. Es war an der Zeit, seine leidenschaftliche Affäre mit der wundervoll kurvenreichen, sündig verlockenden und ganz und gar verheirateten Catalina wieder aufleben zu lassen. Sicher hielt sie sich um diese Jahreszeit in ihrem gemütlichen Londoner Stadthaus auf. Als er ihre Nummer wählte, ließ die Vorfreude seinen Puls schneller gehen.

Am nächsten Morgen wachte Alice mit Kopfschmerzen in einem leeren Bett auf. Als ihr der Geruch des gestrigen Abendessens mit Macht in die Nase stieg, musste sie sich ins Bad schleppen und sich übergeben.

Nachdem sie sich den Mund abgewischt hatte, setzte sie sich unsicher auf und wartete, bis ihr Magen sich wieder beruhigt hatte. In diesem Moment hörte sie den Wagen davonfahren. Sie taumelte in die Küche und bereitete sich eine Tasse heißen süßen Tee. Teddy hatte ihr einen hastig bekritzelten Zettel neben den Herd gelegt.

»Habe vergessen, dir zu sagen, dass ich die nächsten beiden Tage in Oxford bin. T.«

Alice sank auf einen Stuhl und brach in Tränen aus. Er wollte das Baby nicht und hatte heute Morgen kein Wort mit ihr gesprochen. Sie konnte den Schmerz kaum ertragen. Vorsichtig betastete sie ihren Bauch.

»Ich freue mich auf dich«, flüsterte sie. Dann legte sie die Arme auf die Tischplatte und vergrub das Gesicht in ihnen.

»Jemand zu Hause?«

Erschrocken hob Alice den Kopf, als eine elegante Erscheinung in der Tür auftauchte.

»Lässt du immer die Vordertür offen, damit jeder einfach hereinspazieren kann?«

»Harry!«, rief Alice aus. Zerzaust und tränenüberströmt sprang sie auf und warf sich ihrer Freundin in die Arme. »Was machst du denn hier?«

»Dich besuchen, du Dummerchen.« Harry umarmte Alice und bemerkte dabei das Durcheinander und den Zustand, in dem sich ihre Freundin befand. »Du siehst ja zum Fürchten aus. Was ist passiert?«

Rasch strich Alice sich die zerzausten Locken glatt und rückte ihren verrutschten Morgenmantel zurecht. Sie hoffte, dass sie nicht nach Erbrochenem roch.

»Du bist dafür so hinreißend wie eh und je. Was hältst du von einer Tasse Tee? Oder möchtest du ein Stück kalten Fasan?« Ihr Lachen erstarb.

»Wollen wir höfliche Konversation betreiben, oder erzählst du mir jetzt, warum du aussiehst wie frisch vom Bus überfahren?«, fragte Harry, suchte sich eine saubere Tasse und nahm einen Stapel Zeitungen vom Stuhl, damit sie sich setzen konnte. Alice ließ sich auch auf einen Stuhl sinken.

»Ich bin im dritten Monat schwanger.«

»Das ist ja wundervoll!«, rief Harry aus, sprang auf und fiel ihrer Freundin um den Hals. »Ich auch! Roody schwebt im siebten Himmel.«

»Das freut mich für euch beide«, erwiderte Alice und biss sich auf die Unterlippe.

»Ganz im Gegenteil zu Teddy«, mutmaßte Harry.

Alice nickte. »Er will das Baby nicht. Oh, Harry, ich fühle mich ja so elend«, stieß sie hervor, und Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Beschützend schlang sie die Arme um den noch nicht gewölbten Bauch.

»Am besten trinken wir jetzt eine Tasse Tee. Hast du Kekse im Haus? Ich verhungere.« Nachdem Alice die runde Keksdose geholt hatte, nahm Harry sich vier Stück. »Okay, und jetzt raus mit der Sprache.« Alice berichtete ihr von dem katastrophalen Abendessen, Teddys Reaktion, seiner geplanten Reise in die Türkei, dem Zettel und auch davon, dass er nach Oxford gefahren war, ohne sich von ihr zu verabschieden.

»Eigentlich wundert mich das nicht. Teddy ist ein Schatz, aber er hat die Angewohnheit, sich in Dinge hineinzusteigern, die ihm etwas bedeuten, und dann gibt es bei ihm kein Halten mehr. Und seine größte Leidenschaft bist nun einmal du. Von Anfang an schon wollte er dich mit niemandem teilen. Aber wenigstens hat er dir einen Zettel hinterlassen.«

»Warum musste er ausgerechnet gestern Abend noch arbeiten? Ich habe ihn bis spät nach Mitternacht telefonieren gehört.«

»Das ist seine andere große Leidenschaft, du Dummerchen. Weil er den Schock nicht verkraftet hat, hat er sich in die Arbeit geflüchtet. Seit ich ihn kenne, redet er nur über sein Forschungsprojekt. Mit seinen Ergebnissen will er die Welt verändern.«

Sie beschrieb eine großartige Geste. Alice konnte ein Lachen nicht unterdrücken.

»Vielleicht hast du ja Recht«, räumte Alice ein und putzte sich die Nase. Dank Harrys Erklärung hatten sich einige ihrer Befürchtungen gelegt. »Aber warum fühle ich mich trotzdem nicht besser?«

»Weil du schwanger bist, du Gänschen. Wir beide sind schwanger, und unsere Hormone schlagen Purzelbäume. Vor zwei Wochen habe ich Roody eine Riesenszene gemacht, weil er sich geweigert hat, um zwei Uhr morgens loszugehen, um mir ein Glas Essiggurken zu kaufen.«

Trotz ihrer Tränen musste Alice kichern. »Und nach dem zu urteilen, was du mir gerade erzählt hast, hättest du dir keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können, liebe Freundin«, fuhr Harry fort. »Er betrachtet dieses Baby offenbar als die ultimative Bedrohung für sein neuestes Projekt.«

»Niemand kann mich zwingen, meinem Baby etwas anzutun, nicht einmal Teddy«, gab Alice zurück und starrte Harry finster an. Ihr Körper war stocksteif. »Ich habe das nicht so geplant.«

»Natürlich nicht, aber Männer können manchmal schrecklich dämlich sein«, sagte Harry und drückte sie aufmunternd an sich. Alice sank in sich zusammen.

»Ich habe solche Angst vor einem Streit, falls er irgendwann bereit sein sollte, darüber zu sprechen«, murmelte sie. »Vielleicht bedeutete das das Ende unserer Ehe.« Ihre Stimme war kaum zu hören. Harry nahm sich den letzten Schokoladenkeks.

»Dann tu es nicht«, meinte sie trocken, den Mund voller Krümel.

»Was soll ich nicht tun?«

»Darüber reden. Soll er doch Panik schieben. Du besprichst es einfach nicht mit ihm.«

Alice starrte ihre Freundin fragend an. »Wie meinst du das?«

Grinsend zuckte Harry die Achseln. »Achte einfach nicht auf seine dämlichen Bemerkungen. Lass ihn kreuz und quer in der Gegend herumfahren und Pläne schmieden. Irgendwann beruhigt er sich schon wieder. Wahrscheinlich denkt er sich allen möglichen Unsinn aus, wie zum Beispiel, du könntest bei der Geburt sterben. Oder er befürchtet, als Vater wäre er kein begehrenswerter Mann mehr. Möglicherweise glaubt er sogar, dass für die nächsten zwölf Monate oder Jahre bei euch nichts mehr im Bett laufen wird. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass seine Eltern ihn je richtig aufgeklärt haben. Lady T. ist so mit ihrem Reitverein beschäftigt, dass sie vermutlich vergessen hat, wie es funktioniert. Und Lord T. ist viel zu sehr Gentleman, um etwas derart Vertrauliches zu erörtern. Außerdem musste er wahrscheinlich jedes Mal um Erlaubnis fragen und wäre deshalb sowieso keine große Hilfe.« Die letzte Bemerkung sorgte dafür, dass die ohnehin schon aufgewühlte Alice hysterisch zu lachen anfing.

»Ach, Harry, bei dir sieht das Leben immer gleich viel einfacher aus«, seufzte sie und wischte sich die Augen. »Warum bist du eigentlich hier?«

»Das ist meine zweite Nachricht. Roody ist auf einen Luftwaffenstützpunkt ganz hier in der Nähe versetzt worden, und ich bin auf der Suche nach einem Haus. Also können wir zusammen dick und fett werden. Und jetzt ziehst du dich an, und wir gehen Babysachen kaufen«, befahl Harry. »Ich besorge etwas für einen Jungen und für ein Mädchen, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Hast du übrigens Silberzwiebeln da?«, fügte sie hinzu. Als Alice die Treppe hinaufging und es Harry überließ, die Speisekammer zu durchwühlen, fühlte sie sich schon viel besser.

Da Alice den schönsten Tag seit Wochen verbracht hatte, blieb sie bemerkenswert ruhig, als Teddy anrief und ihr mitteilte, er werde am Mittwoch direkt ins College fahren und bis zum Wochenende auch dort schlafen, um seine Bewerbung fertig zu stellen. Sie erzählte ihm von Harrys Überraschungsbesuch und davon, dass sie darauf bestanden hatte hier zu übernachten. Fest entschlossen, sich nicht in einen Streit verwickeln zu lassen, schlug Alice dann vor, am Donnerstag mit Harry zu seinen Eltern zu fahren, damit er ungestört arbeiten könne. Teddy schien mit ihren Plänen zufrieden und versprach, am Samstagabend um halb sieben nachzukommen. Es war fast, als hätte er das Baby vergessen und wüsste auch nicht mehr, dass Alice Geburtstag hatte.

Nachdem Harry am Abend Roody angerufen und ihm alles erzählt hatte, unterhielten sie und Alice sich bis spät in die Nacht hinein.

»Wissen deine Schwiegereltern von dem Baby?«, fragte sie, als sie in ihrem eleganten weißen Lotus Elan, einem Hochzeitsgeschenk von Roody, nach Bedford aufbrachen.

Alice schüttelte den Kopf. »Nur du und Teddy seid im Bilde.«

»Ausgezeichnet! Dann verkünden wir es, wenn alle zusammen sind. So wird Teddy nichts anderes übrig bleiben, als den glücklichen Vater zu spielen.«

»Oh, Harry, ist das nicht gemein ihm gegenüber?«, wandte Alice zweifelnd ein.

»Es geschieht ihm ganz recht. Schließlich hat er sich einfach abscheulich benommen. Er hat es verdient, dass man ihn in die Enge treibt.« Sie bog in die Hauptstraße ein und gab Gas.

»Natürlich hast du Recht. Ich werde mein Herz verhärten. Hey, hast du vergessen, dass wir zu viert im Auto sitzen?«, meinte Alice lachend.

»Nein. Ist es nicht wundervoll?«

»Und Roody hat sicher nichts dagegen, zwei Tage lang Strohwitwer zu sein?«

»Der ist froh, dass er Ruhe vor mir hat. Weißt du, was mein liebender Ehemann gestern Abend zu mir gesagt hat? Dann geht und kotzt ein bisschen zusammen.« Sie lachte.

Lady Turlington begrüßte Alice und Harry freundlich, war aber zu sehr mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt, um neugierige Fragen zu stellen. Die Mädchen plauderten, halfen mit den Blumenarrangements und sahen zu, wie auf dem großen Rasen hinter dem Haus ein gewaltiges Zeltdach errichtet wurde. Dabei versuchten sie, Lady Turlington nicht im Weg herumzustehen, die hin und her hastete, die Kellner anwies, Kartons mit Weingläsern, Geschirr und Besteck herbeizuschaffen und Tische aufzustellen, und sich vergewisserte, dass auch genug Champagner und Essen vorhanden waren. Wo sie sich gerade befand, erkannte man an ihrem schrillen Gelächter oder an dem ihrer Freundinnen, die ihr bei den Vorbereitungen zur Hand gingen. Die einzige Aufgabe, die sie Alice und Harry zutraute, war, durch halb Gloucester zu fahren, um einen ganz bestimmten Käse zu besorgen. Dieser war bei Harrods bestellt und von einer Freundin abgeholt worden, die sie schließlich in der Nähe von Chipping Norton aufstöberten.

Teddy glänzte zwar durch Abwesenheit, doch alle anderen gaben sich die größte Mühe, Alice einen schönen Geburtstag zu bereiten. Lady Turlington ließ ihr und Harry das Frühstück im Bett servieren, was auch das Beste war, da die beiden stark unter morgendlicher Übelkeit litten. Anschließend gingen sie zum Friseur. Als Roody gegen Mittag eintraf, erzählten sie ihm von ihrem Plan, ließen ihn aber schwören, kein Sterbenswörtchen zu verraten. Wieder fiel es Alice auf, wie glücklich er und Harry wirkten, wenn sie zusammen waren. Als sie in ihre Abendkleider schlüpften, war es schon fast sieben Uhr. Gerade gingen Alice und Harry durch die große Vorhalle ins Wohnzimmer, als ein zerzauster Teddy, den Abendanzug über dem einen, eine kleine Reisetasche im anderen Arm, durch die Vordertür hereingestürmt kam.

»Alles Gute zum Geburtstag, Liebling«, sagte er steif und eilte nach oben, allerdings erst, nachdem seine Mutter sich auf ihn gestürzt und eine Erklärung von ihm verlangt hatte, warum er Alice nicht von Cambridge hergefahren habe und weshalb er denn so spät käme.

»Das wird ja eine tolle Party«, dachte Alice spöttisch und beschloss, nicht auf ihn zu warten.

Das Haus füllte sich rasch mit Gästen. Lady Turlington hatte eine Kapelle bestellt, die unter dem Zeltdach spielte, und bestand darauf, dass Alice am Ehrentisch rechts neben Lord Turlington Platz nahm. Harry und Roody verschwanden irgendwo in der Menschenmenge, als alle Alice gratulierten und sie mit Geschenken überhäuften. Kellner mit weißen Fliegen und im Frack schenkten Getränke aus, und die Gäste waren bald sehr ausgelassen. Teddy kam herein, als gerade die Suppe serviert wurde. Er roch stark nach dem Rasierwasser, das sie ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, und grinste Alice über den Tisch hinweg schief zu. Sie erwiderte rasch sein Lächeln, bevor er von der ausgesprochen stattlichen und mit Perlen behängten Dame rechts von ihm in ein Gespräch verwickelt wurde. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und seine Mundwinkel zuckten, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er übermüdet war. Alice seufzte. Sie fühlte sich ausgesprochen unwohl.

Nach dem Dessert stimmte die Kapelle »Happy Birthday« an, und die Kellner rollten eine gewaltige dreischichtige Geburtstagstorte herein, auf der einundzwanzig Kerzen leuchteten. Alle jubelten, als Alice sie ausblies. Während sie die Torte anschnitt, wünschte sie sich von ganzem Herzen, Teddy möge endlich zur Vernunft kommen. Im nächsten Moment sprang er plötzlich auf und eilte aus dem Zelt. Gepolter ertönte, und alle Köpfe drehten sich um, als er einen wunderschönen roten Wallach hereinführte, dessen Fell im Kerzenschein funkelte. Alice blieb der Mund offen stehen, und ihr Messer fiel klappernd zu Boden. Es war das Pferd, das sie bei den Slades geritten hatte.

»Meine Damen und Herren, ich möchte einen Toast auf meine wundervolle …« Weiter kam er nicht, denn das Pferd warf den Kopf herum, übertönte ihn mit einem Wiehern und wich nervös zurück, sodass Champagnerflaschen und Gläser in alle Richtungen flogen. Lady Turlington, die inzwischen einiges an Champagner intus hatte, kreischte auf.

»Teddles, du bist ein Schatz.«

»Danke, Mutter. Alice, mein Liebling, alles Gute zum Geburtstag.«

Alice wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Er war so völlig anders als bei ihrem letzten Gespräch, ihr fehlten die Worte. Dann jedoch fing sie Harrys Blick auf und fasste sich wieder. Sie ging auf Teddy zu, hakte ihn unter und küsste ihn zur Freude aller anderen Gäste, die jubelten und klatschten, sodass das Pferd von dem Lärm noch ängstlicher wurde. Teddy reichte Alice die Zügel, legte ihr den Arm um die Taille und drückte sie kurz an sich.

»Es gehört dir. Ich liebe dich, geliebte Känga«, flüsterte er und machte Platz, sodass Alice allein in der Mitte des Raumes stand. Alice stieß einen leisen Schrei aus und lachte, als das Pferd sie in die Schulter zwickte. »Rede! Rede!«, riefen die Gäste. Alice streichelte dem Pferd beruhigend die Nase und wartete ab, bis Stille eingekehrt war. Dann winkte sie Harry zu sich. Obwohl sie beim Sprechen fest die Hand ihrer Freundin hielt, wurden ihr die Knie weich.

»Dieser Abend war voller Überraschungen, und ich danke euch für eure Großzügigkeit und Güte. Nun habe ich euch auch etwas Überraschendes mitzuteilen.« Sie drehte sich erst zu Teddy und dann zu Lady Turlington um. »Ich habe nicht nur meinen wundervollen Ehemann hier, sondern auch meine beste Freundin und ihren Mann. Harry und ich erwarten beide ein Kind. Ich habe es erst vor wenigen Tagen erfahren, und es ist das schönste Geschenk von allen.« Begleitet von allgemeinem Jubel küsste sie Teddy entschlossen auf den Mund. Roody trat an Harrys Seite, und alle applaudierten und beglückwünschten die beiden. Lady Georgina lachte und weinte abwechselnd, und Lord Turlington sagte: »Gut gemacht«, auch wenn man nicht genau wusste, was er damit meinte.

Als Alice in den frühen Morgenstunden in ihr Schlafzimmer kam, war die freudig aufgeregte Stimmung schlagartig verflogen. Wortlos schlüpfte sie aus ihrem Abendkleid und in ihren seidenen Morgenmantel, während Teddy sich auszog.

»Ich freue mich sehr über das Pferd«, begann sie nervös. »Hast du deine Bewerbung abgegeben?« Anstatt ihre Frage zu beantworten, überreichte Teddy ihr eine schmale rote Schatulle, die Alice mit zitternden Fingern öffnete. Darin befanden sich zwei goldene Armbänder, eines für ihr Handgelenk mit einer eingravierten Botschaft, und das andere für das winzige Ärmchen eines Babys. Ungläubig hielt Alice das Schmuckstück hoch.

»Ich habe mich in den letzten Tagen richtig gemein benommen«, sagte Teddy und betrachtete liebevoll ihr müdes, angespanntes Gesicht. »Kannst du mir je verzeihen? Ich hatte solches Lampenfieber wegen der Bewerbung, und als du mir erzählt hast, dass du schwanger bist, war es einfach zu viel für mich. Ich habe mir eingeredet, dass du nie wieder auf dem Pferd reiten würdest und dass wir nichts mehr miteinander unternehmen können. Ich hatte das Gefühl, dass alles kaputt ist. Aber nachdem ich am Morgen die verdammte Bewerbung eingereicht hatte, wurde mir klar, dass ich im Begriff war, mein Leben zu zerstören.« Seine Hand streifte ihre, in der sie das winzige Armband hielt, und sie wurde plötzlich von Sehnsucht ergriffen.

»Da wir noch nicht über Namen geredet hatten, konnte ich es nicht gravieren lassen«, sagte er leise.

Tränen der Freude und der Erleichterung traten Alice in die Augen. »Oh, Teddy, ich dachte … ich wusste nicht. Du bist so unberechenbar.«

»Psst«, flüsterte Teddy und legte die Schachtel aufs Bett. »Das gehört zu meinem Charme.« Er küsste sie auf den Mund.

»Wir können ruhig miteinander schlafen«, seufzte Alice nach einer Weile. »Ich habe Monica gefragt.«

»Alles Gute zum Geburtstag, meine wunderschöne Känga«, murmelte Teddy. Alices Ängste, er könnte das Baby nicht lieben, lösten sich in Luft auf, als er sie in die Arme nahm.