1. JANUAR

Hope,

vor ungefähr anderthalb Stunden ist Deine Maschine in Newark gelandet. Jeden Moment fährt der Mietwagen Deiner Eltern vor und setzt Dich an unserer Einfahrt ab. Ich kann es kaum erwarten, dass Du vor mir stehst und ich Dir diesen Brief persönlich übergeben kann. Bis dahin schreibe ich. Und warte.

Wenn Du das hier liest, werde ich Dir schon alles erzählt haben. Alles.

Oh Mann, ich hoffe echt, Du liest diesen Brief noch. Denn das heißt, Du hasst mich nicht so sehr, dass Du ihn ohne einen Blick drauf zerreißt.

Das kann ich mir allerdings nicht vorstellen.

Ich wollte Dir den ganzen Kram mit Marcus schon viel früher erzählen. Aber ich war einfach nicht so weit. Ich hatte Angst, dass meine Beziehung zu ihm (oder was das war) meine echte Freundschaft mit Dir zerstören könnte. Ich hatte zwar überhaupt kein gutes Gefühl dabei, Dir so was zu verschweigen, aber ich konnte es Dir auch nicht auf Papier, am Telefon oder elektronisch erzählen. Das geht nur von Angesicht zu Angesicht.

Und ich kann es kaum erwarten, das jetzt zu tun.

Bis dahin schlage ich bloß Zeit tot.

Statt Vorsätze fürs neue Jahr zu fassen, denke ich über The Real World nach. Wie komisch das für die Mitspieler sein muss, sich Wiederholungen anzuschauen. Ihr Leben ist schließlich weitergegangen. Aber wenn es mal wieder ein Real-World-Wochenende gibt, müssen sie noch einmal Augenblicke durchleben, die sie sonst wahrscheinlich längst vergessen hätten, die jetzt aber für die Ewigkeit auf Video gebannt sind und Millionen Zuschauern gezeigt werden.

Wie ich mich wohl fühlen würde, wenn ich dieses Jahr meines Lebens im Fernsehen sehen müsste? Selbst gut redigiert und geschnitten wäre es noch schwer auszuhalten. Es sind so viele verrückte Sachen passiert, gute und schlechte, seit Du weggezogen bist. Ich dachte, ich kenne die Menschen um mich herum. Marcus. Hy. Scotty. Bridget. Paul Parlipiano. Pepe. Sogar meine Mutter. Und dann haben sie mich alle kalt erwischt. Und ich weiß genau, das werden sie nächstes Jahr auch tun, und übernächstes wieder. Für immer und ewig.

Eins ist mir gerade erst klar geworden: Wäre ich dieses Jahr bei The Real World dabei gewesen, hättest Du keinen einzigen Auftritt in der Sendung gehabt. Das ist doch irre, wo Du so einen riesigen Einfluss auf mein tägliches Leben hast. Natürlich wird unsere Freundschaft nie wieder so sein wie vor Deinem Umzug. Und wenn wir versuchen, das zu erzwingen, werden wir scheitern. Aber jetzt bin ich zum ersten Mal optimistisch, was die Zukunft unserer Freundschaft und die Zukunft ganz allgemein angeht.

Vielleicht, weil ich Euer Auto in der Einfahrt höre. Du bist da. Endlich da.

In Liebe, J.

 





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