1. SEPTEMBER

Hope,

heute vor zwanzig Jahren ist Matthew Michael Darling gestorben. Unsere Lage ist zwar sehr unterschiedlich, aber ich weiß, Du verstehst mich.

Meine Trauer um ihn nimmt seltsame Formen an: Ich habe meine Schulanfangsklamotten anprobiert.

Und zwar zu Hause in meinem Zimmer, um zu sehen, ob ich immer noch wie ich aussehe, wenn ich sie außerhalb der Umkleidekabine trage. Die Preisschilder habe ich reingesteckt: Abschneiden hieße eine Entscheidung treffen. Und das wollte ich eigentlich nicht, weil ich das Gefühl hatte, ich würde sie nie außerhalb meines Zimmers tragen. Als ob das immer fremde Kleidungsstücke ohne dranhängende Erinnerungen bleiben würden.

Was würde meine Mutter wohl mit ihnen anfangen, wenn ich plötzlich sterbe? Ich kann sie nicht fragen. Vor allem heute nicht.

Aber gibt es für so eine Frage überhaupt einen passenden Zeitpunkt?

Jedes Jahr tragen Mädchen wie Sara am ersten Schultag ihre heißesten Herbstklamotten. Sie brezeln sich auf wie fürs September-Titelblatt der Young Miss oder der Seventeen, tragen Rollkragenpullis, Schurwoll-Minis und Stiefel, obwohl das Thermometer noch dreißig Grad zeigt. Früher habe ich immer gedacht, sie wollten bloß zeigen, wie stylish sie sind. Aber vielleicht habe ich nicht als Einzige Angst, keine Chance mehr zu kriegen, die Sachen zu tragen.

Bezweifle ich allerdings.

Ich weiß, wie dämlich das ist, aber trotzdem: Jedes Mal, wenn ich Klamotten fürs neue Schuljahr kaufe, stelle ich mir vor, damit auch gleich ein neues, besseres Leben zu erwerben. Als ob das neue T-Shirt oder der neue Lippenstift Paul Parlipiano endlich merken lässt, wie unglaublich und außergewöhnlich ich bin. Allerdings kann ich inzwischen nicht mal mehr auf Paul Parlipiano hoffen.

Und wie soll ich mich dann bitte davon ablenken, dass Du nicht mehr da bist?

Deine rätselnde J.