7
Wir ritten durch die Nacht, und die Totenstraße brachte uns aus dem Sumpf. Als der Morgen dämmerte, erreichten wir Norwood, trostlos und grau. Der Ort lag in Trümmern. Die Asche hatte noch immer den scharfen Geruch von Rauch, der noch eine Weile dableibt, wenn das Feuer erloschen ist.
»Der Graf von Renar«, sagte Makin an meiner Seite. »Er scheint tollkühn zu werden, wenn er ankrathische Protektorate so offen angreift.« Er schüttelte die Straßensprache einfach ab.
»Wie können wir wissen, wer einen solchen Frevel begangen hat?«, fragte Pater Gomst, das Gesicht so grau wie sein Bart. »Vielleicht griffen Baron Kennicks Männer über die Totenstraße an. Es waren Kennicks Männer, die mich in den Käfig am Galgen steckten.«
Die Brüder schwärmten in den Ruinen aus. Rike stieß den Fetten Burlow beiseite und verschwand im ersten Gebäude, das nicht mehr war als ein Gemäuer ohne Dach.
»Scheißverdammte Sumpfbauern! Genau wie im verdammten Mabberton.« Rikes Suche war so laut und ungestüm, dass sich die übrigen Worte darin verloren.
Ich erinnerte mich an Norwood an einem Festtag, mit bunten Bändern geschmückt. Mutter sprach mit dem Bürgermeister. William und ich bekamen Zuckeräpfel.
»Aber dies waren meine scheißverdammten Sumpfbauern«, sagte ich und sah den alten Gomsty an. »Es gibt keine Leichen. Dies ist Graf Renars Werk.«
Makin nickte. »Wir werden den Scheiterhaufen auf den Feldern im Westen finden. Renar verbrennt sie alle zusammen. Die Lebenden und die Toten.«
Gomst bekreuzigte sich und murmelte ein Gebet.
Wie ich schon sagte, Krieg ist etwas Schönes, und wer etwas anderes behauptet, zählt zu den Verlierern. Ich setzte ein Lächeln auf, obwohl es nicht zu mir passte. »Bruder Makin, mir scheint, der Graf hat einen Zug gemacht. Es geziemt sich, dass wir als Kollegen des Kampfes seine Kunst zu schätzen wissen. Reite und sieh dich um. Ich möchte wissen, wie er dieses Spiel gespielt hat.«
Renar. Zuerst Pater Gomst und jetzt Renar. Der Geist aus dem Sumpf schien einen Schlüssel gedreht zu haben, auf dass die Geister meiner Vergangenheit durch die Tür schritten, einer nach dem anderen.
Makin nickte und ritt los. Nicht in den Ort, sondern am kleinen Fluss entlang. Er folgte ihm zum Dickicht auf der anderen Seite der Marktwiese.
»Pater Gomst«, sagte ich mit meiner höflichsten Hofstimme, »bitte sag mir, wo bist du gewesen, als Baron Kennicks Männer dich fanden?« Es ergab keinen Sinn, dass unser Familienpriester bei einem Überfall in Gefangenschaft geraten war.
»Im Dörfchen Jessop, mein Prinz«, erwiderte Gomst. Sein Blick ging überallhin, nur nicht zu mir. »Sollten wir nicht weiterreiten? Im Heimatland sind wir sicher. Jenseits von Hanton gibt es bestimmt keine Überfälle mehr.«
Rike stürmte aus dem Haus, schwärzer als der Nubier mit all der Asche an ihm, und fuchsteufelswild. Er lief zur nächsten Tür. »Burlow, du dicker Mistkerl! Du hast mich reingelegt!« Wenn der Kleine Rikey nichts zum Plündern fand, würde jemand dafür bezahlen müssen. So war es immer.
Gomst schien für die Ablenkung dankbar zu sein, aber ich holte seine Aufmerksamkeit zu mir zurück. »Pater Gomst, du hast mir von Jessop erzählt.« Ich nahm ihm die Zügel aus der Hand.
»Ein Moordorf, mein Prinz. Ein Nichts. Ein Ort, wo man Torf für das Protektorat sticht. Siebzehn Hütten und vielleicht ein paar mehr Schweine.« Er versuchte zu lachen, aber es klang zu scharf und nervös.
»Du bist also dorthin gereist, um den Armen die Vergebung ihrer Sünden anzubieten?« Ich behielt ihn im Auge.
»Nun …«
»Über Hanton hinaus bist du gereist, zum Rand des Sumpfes, der Gefahr entgegen«, sagte ich. »Du bist ein sehr heiliger Mann, Pater.«
Daraufhin neigte er den Kopf.
Jessop. Bei dem Namen regte sich etwas in mir. Eine tiefe Stimme erwachte, sprach langsam und ernst. Schicke niemanden zu fragen, wem die Stunde schlägt …
»Jessop befindet sich dort, wo die Sumpfgezeiten die Toten nehmen«, sagte ich und sah die Worte auf den Lippen des alten Lehrers Lundist, als sie von meinen eigenen kamen. »Es ist eine langsame Strömung, gewiss. Der Sumpf wahrt seine Geheimnisse, aber nicht für immer, und Jessop liegt dort, wo er sie erzählt.«
»Der große Mann, Rike, er erwürgt den Dicken.« Pater Gomst deutete zum Ort.
»Mein Vater hat dich geschickt, um nach den Toten zu schauen.« Ich ließ mich von Gomst nicht ablenken. »Er wusste, dass du mich erkennen würdest.«
Gomsts Mund formte ein »Nein«, aber alle anderen Muskeln sprachen »Ja«. Man sollte meinen, dass Priester bessere Lügner sind, wo sie doch beruflich mit Lügen und so was ständig zu tun haben.
»Er sucht mich noch immer? Nach vier Jahren!« Schon vier Wochen hätten mich überrascht.
Gomst rutschte im Sattel zurück und hob hilflos die Hände. »Die Königin erwartet ein Kind. Sageous hat dem König gesagt, dass es ein Junge sein wird. Ich sollte die Thronfolge bestätigen.«
Ah, die »Thronfolge«. Das klang mehr nach dem Vater, den ich kannte. Und die Königin? Das gab dem Tag neuen Biss.
»Sageous?«, fragte ich.
»Ein heidnischer Knochensammler, neu am Hof.« Gomst spuckte die Worte, als hätten sie einen fauligen Geschmack.
Stille folgte.
»Rike!«, sagte ich. Es war kein Ruf, aber ich sprach laut genug, damit meine Stimme ihn erreichte. »Lass den Fetten Burlow los, oder ich muss dich töten.«
Rike ließ los, und Burlow fiel als der hundertfünfzig Kilo schwere Fettkloß zu Boden, der er war. Meiner Meinung nach war Burlow der im Gesicht Violettere der beiden, wenn auch nur ein bisschen. Rike näherte sich mit ausgestreckten Händen und hielt sie so, als seien sie bereits um meinen Hals geschlossen. »Du!«
Von Makin weit und breit nichts zu sehen, und gegen den zornigen Kleinen Rikey war Pater Gomst so nützlich wie ein Furz im Wind.
»Du! Wo ist das verdammte Gold, das du uns versprochen hast?« Bei diesen Worten erschienen zwanzig Köpfe in Fenstern und Türen. Selbst der Fette Burlow sah auf und atmete so mühevoll wie durch einen Strohhalm.
Ich nahm die Hand vom Knauf meines Schwerts. Es ist ein Fehler, zu viele Bauern zu opfern. Nur ein Dutzend Schritte trennten Rike von mir. Ich schwang mich aus Gerrods Sattel, klopfte seine Schnauze und kehrte dabei dem Ort den Rücken zu.
»Es gibt mehr als nur eine Art von Gold in Norwood«, sagte ich laut genug, aber nicht zu laut. Dann drehte ich mich um und ging an Rike vorbei. Ich sah ihn nicht an. Man gebe einem Mann wie Rike einen Moment, und er nimmt ihn.
»Komm mir diesmal bloß nicht mit irgendwelchen Bauerntöchtern, du kleiner Mistkerl!«, brüllte er und folgte mir. Sollte er die Wut aus sich herausschreien. Derzeit war er nur viel Lärm, weiter nichts. »Der Scheißgraf verbrennt sie gerade auf dem Scheiterhaufen.«
Ich ging zur Mittelstraße, die von der Marktwiese zum Haus des Bürgermeisters führte. Als wir an Bruder Gains vorbeikamen, sah er von dem Kochfeuer auf, das er angezündet hatte. Er richtete sich auf und folgte, um sich den Spaß anzusehen.
Der Kornturm hatte nie viel hergegeben, und jetzt wirkte er noch kümmerlicher, verbrannt, die Steine in der Hitze geborsten. Die Getreidesäcke hatten auf der Falltür gestanden, als sie verbrannt waren. Ich fand sie nach kurzer Suche. Die ganze Zeit über knurrte und brummte Rike hinter mir.
»Öffne die Falltür.« Ich deutete auf den Ring in der Steinplatte.
Ich musste es Rike nicht zweimal sagen. Er bückte sich und hob die Platte, als sei sie federleicht. Und dort waren sie, die Fässer. Dicht gedrängt im Dunkeln standen sie.
»Der alte Bürgermeister bewahrte das Festtagsbier unter dem Kornturm auf. Alle Einheimischen wissen das. Ein kleiner Bach fließt dort unten und hält alles hübsch kühl. Wie viele sind es? Zwanzig? Zwanzig Fässer goldenes Festtagsbier.« Ich lächelte.
Rike erwiderte das Lächeln nicht. Er blieb auf Händen und Knien und ließ seinen Blick über die Klinge meines Schwerts wandern. Ich stellte mir vor, wie es an seiner Kehle kitzelte.
»He, Bruder Jorg, ich wollte nicht …«, begann er. Selbst mit meinem Schwert an seinem Hals brachte er es fertig, gemein auszusehen.
Makin kam rasselnd zu uns und blieb neben mir stehen. Ich hielt das Schwert weiterhin an Rikes Kehle.
»Es mag eine Kleinigkeit gewesen sein, aber ich bin kein Schweinehund«, sagte ich sanft, mit meiner Todesstimme. »Stimmt das nicht, Pater Gomst? Wenn ich ein Schweinehund wäre, müsstest du nicht Leib und Leben dabei riskieren, jetzt die Toten für mich zu durchsuchen, oder?«
»Prinz Jorg, überlass es Hauptmann Bortha, diesen Wilden zu töten.« Irgendwie war es Gomst gelungen, sich wieder zu fassen. »Wir reiten weiter zur Hohen Burg, und dort wird dein Vater …«
»Mein Vater kann verdammt noch mal warten!«, rief ich. Den Rest hielt ich zurück, zornig auf meinen Zorn.
Rike vergaß das Schwert für einen Moment. »Was zum Teufel soll der Scheiß mit dem Prinzen? Und was zum Teufel soll der Scheiß mit Hauptmann Bortha? Und wann kann ich endlich das Scheißbier trinken?«
Inzwischen hatten wir volles Publikum. Alle Brüder waren um uns herum versammelt.
»Nun«, sagte ich, »da du so nett fragst, Bruder Rike, werde ich es dir verraten.«
Makin sah mich an, wölbte die Braue und schloss die Hand um den Griff seines Schwerts. Ich gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass er sich beruhigen sollte.
»Der Scheiß mit Hauptmann Bortha bedeutet, dass Makin Hauptmann Makin Bortha von der Kaiserlichen Wache von Ankrath ist. Der Scheiß mit dem Prinzen bedeutet, dass ich der geliebte Sohn und Erbe von König Olidan aus dem Haus Ankrath bin. Und jetzt können wir uns das Bier vornehmen, denn heute ist mein vierzehnter Geburtstag, und wie sonst solltet ihr auf meine Gesundheit trinken?«