Prolog

 

In der Wüste läutete ein Telefon.

Das ist kein schlechter Anfang für einen Roman, außerdem stimmte es. Flimmernde Hitze über rostroten Sanddünen, hoch oben das glühende Sonnenauge, von links drängte eine berittene Gestalt ins Bild. Und das Telefon läutete. Mir egal, ich achtete nur auf den Reiter. Als er näherkam, sah ich, dass es sich um eine Reiterin handelte. Sie war barhäuptig, und nicht nur das. Sie war bar jeglicher Kleidung. Im Prinzip trug sie nichts als ein Lächeln auf den Lippen. Der Rappe, den sie zwischen ihre Schenkel nahm, hatte wenigstens sein Geschirr an. Ich war wie geblendet vom Glanz ihrer spiegelglatten Haut. Nur das Telefon störte.

»Gleich«, dachte ich. »Einen Moment noch.«

Dunkel gelocktes Haar wehte im Wüstenwind. Sie ritten in Zeitlupe: Langsam zog der Rappe seinen Vorderfuß an den Körper, setzte ihn langsam wieder auf. Und im gleichen sanften Rhythmus hob sich die Hüfte der Frau vom Pferderücken, glitt behutsam zurück. Hob sich, glitt zurück. Das Funkeln ihrer Brustwarzen hinterließ zwei parallele Sinuskurven in der Luft. Ich streckte meine Hand aus, in das Wüstenpanorama hinein, um dem Rappen in die Zügel zu greifen. Endlich gelang es, ich zog das Tier zu mir heran, kletterte mühsam auf seinen Rücken, hinter die kleiderlose Dame. Ihre Locken kitzelten mich in der Nase.

»Ist das Ihr Telefon, Herr Koller?«, fragte sie. Ihre Haut glühte.

»Ich habe kein Telefon«, sagte ich müde und schlang meine Arme um ihre Taille.

»Das ist Ihr Telefon, das da läutet.«

Ich schloss die Augen, lehnte meinen Kopf an ihren warmen Nacken. Er war so schwer, dieser Kopf, ich fühlte, wie er langsam zur Seite rutschte, ich konnte ihn nicht halten, hörte die Dame lachen, den Rappen wiehern, mein Kopf rutschte, die Schultern hinterher … das verdammte Telefon hörte nicht auf zu läuten, und dann plumpste der Kopf mit allem, was daran hing, auf den Boden.

Mühsam rappelte ich mich auf. Der Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, war umgekippt, ich mit ihm, meine gute alte Kamelhaardecke noch über den Beinen. Der Fernseher lief. Eine leere Flasche Bier rollte langsam über den Boden und kam mit leisem ›Klack‹ an der Küchentür zum Stillstand.

Das Telefon läutete.

Ich schüttelte die Decke von den Beinen und stand auf. In der Glotze brachten sie einen haarsträubenden Bericht über einen Gorilla aus dem Heidelberger Zoo, der auf der Flucht erschossen worden war. Dazu eine orientalisch anmutende Musik. Gorillas leben nicht in der Wüste. Nackte Reiterinnen auch nicht. Ich ging zum Schreibtisch und griff nach dem Telefonhörer. Das Freizeichen. Gleichzeitig läutete es immer noch, irgendwo in meiner Bude. Ich legte den Hörer wieder auf, sah mich suchend um und fand mein Handy schließlich im Bücherregal. Letzten Sommer, nach meinem ersten größeren Fall, hatte ich es mir zugelegt.

»Koller.« Mir fiel ein, dass ich noch nie geritten war.

»Endlich!«, brüllte jemand, heiser vor Erleichterung. »Ich dachte schon, du wärst nicht da.«

»Ich bin da«, sagte ich.

»Kannst du kommen, Max? Sofort?«

»Wie, sofort?«

»Es hat eine Tote gegeben. Hier liegt eine Leiche, verstehst du? Wir brauchen dich dringend. Es geht um jede Minute.«

Ich nahm das Handy vom Ohr, blickte es prüfend an, hielt es wieder ans Ohr. Am Gerät lag es nicht.

»Hallo?«, sagte ich. »Das bist schon du, Marc, stimmts?«

»Natürlich bin ich das«, schrie der Anrufer. »Hast du nicht kapiert? Es muss schnell gehen. Gleich wird die Polizei im Haus sein.«

Marc Covet. Mein alter Freund, Journalist und Snob in einer Person, an normalen Tagen die Ruhe selbst, ein Mann, dem es gelingt, jeglichen Stress in den Tiefen schottischer Whisky-Seen zu versenken. Heute schien kein normaler Tag zu sein.

»Um was für eine Tote geht es?«

»Um Bernds Freundin. Bernd Nagel, du kennst ihn. Verdammt, Max, wir können nicht ewig quatschen. Tu mir den Gefallen, ich flehe dich an. Komm, so schnell du kannst. Bevor die Bullen anrücken. Nimm den Haupteingang, wir warten vor Bernds Zimmer.«

Mein Blick fiel auf den Fernsehapparat. Die Nachrichtensprecherin zwinkerte mir zu. Wahrscheinlich amüsierte sie sich prächtig über das Telefonat eines schlaftrunkenen Privatermittlers, gespielt von Max Koller, mit einem nicht im Bild befindlichen hysterischen Kumpeldarsteller.

»Ich könnte schon kommen«, sagte ich. »Wenn du mir noch …«

»Danke, Max«, rief Covet. »Vielen Dank! Und beeil dich.«

Gespräch beendet.

Kopfschüttelnd steckte ich das Handy ein. Zog mich an, schaltete den Fernseher aus, versuchte der leeren Bierflasche einen letzten Tropfen zu entlocken. Mein Freund Covet hätte sich wahrscheinlich ein stringenteres Vorgehen gewünscht, doch mich hielt das Gespinst aus Traum, Fernsehprogramm und Telefonat noch gefangen. Erst mal wach werden. Die Kälte draußen würde es schon richten. Außerdem musste ich nachdenken. Hatte Marc mit einem Sterbenswörtchen erwähnt, wo er sich gerade befand? Hatte er nicht.

Ich holte mein Rennrad aus dem Keller – es sollte ja schnell gehen, nicht wahr? –, schwang mich auf den Sattel und fuhr stadteinwärts. Es war lausig kalt. Nach 50 Metern sah ich eine gefrorene Pfütze im Licht der Straßenlampen glänzen. Keine Zeit mehr zu bremsen. Ich rutschte und flog hin, Gesicht voraus. Etwas knackte in meiner Brusttasche: das Handy.

Verwünschungen gegen Covet ausstoßend, sprang ich auf. Immerhin, nun war ich endgültig wach.

 

Schlussakt
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