39
»Mr Crestwell, bitte entschuldigen Sie die Störung, aber ein gewisser Kaden Ginsberg versucht dringend, Sie zu erreichen. Ich sagte ihm, dass Sie in einem Meeting sind, aber er besteht darauf, sofort mit Ihnen zu sprechen.«
Jace sprang wie von der Tarantel gestochen von seinem Stuhl hoch und stürmte aus dem Büro, in dem er, Gabe und Ash gerade eine Telefonkonferenz mit einer Gruppe von Investoren für ihr Hotel in Paris abhielten. Ash und Gabe standen beide besorgt auf, als er ohne ein weiteres Wort in seinem eigenen Büro verschwand.
»Hier Crestwell«, bellte er, kaum dass er den Hörer abgenommen hatte.
»Mr Crestwell, Sie müssen so schnell wie möglich zum Roosevelt Hospital kommen«, teilte Kaden ihm ohne Vorrede mit.
Jace gefror das Blut in den Adern, und er musste sich setzen, weil seine Beine nachzugeben drohten. »Was ist passiert?«
»Es geht um Miss Willis. Ich rief sie heute Morgen an, um sie darüber zu informieren, dass Kingston in das Apartment zurückgekehrt ist. Ich habe sie selbst nach oben begleitet und bin bei ihr geblieben. Ich ging nur einmal kurz vor die Tür, damit die beiden etwas unter vier Augen besprechen konnten. Als ich wieder reinkam, lag sie bewusstlos auf dem Wohnzimmerboden.«
»Was zum Teufel?«, explodierte Jace.
»Sir, die Sache sieht nicht gut aus. Es geht ihr sehr schlecht. Vermutlich eine Überdosis«, fuhr Kaden bedrückt fort.
Jace blieb fast das Herz stehen, und Panik schoss in ihm hoch. Er konnte nicht sprechen, nicht klar denken. Eine Überdosis? Oh Gott. Hatte Bethany etwa versucht, sich das Leben zu nehmen? Hatte er sie dazu getrieben?
»Eine Überdosis?«, krächzte er. »Sind Sie sicher?«
»Nein, sicher bin ich mir nicht. Ich rief einen Krankenwagen, aber ihre Atmung war so schwach, dass ich sie kaum noch feststellen konnte. Ich hatte schreckliche Angst. Ich habe eine Mund-zu-Mund-Beatmung durchgeführt. Ihr Puls war kaum vorhanden. Als die Sanitäter eintrafen, haben sie sie intubiert und so schnell wie möglich in den Krankenwagen verladen. Wir sind gerade auf dem Weg in die Klinik. Es dürfte nur noch ein paar Minuten dauern.«
»Wir treffen uns dort«, sagte Jace knapp.
Er legte auf und hetzte los, dabei rannte er in Gabe und Ash hinein, die in der Tür standen und zugehört hatten.
»Was zum Teufel ist passiert?«, fragte Ash.
»Bethany ist auf dem Weg ins Krankenhaus. Es sieht nicht gut aus«, würgte Jace hervor. »Eine Überdosis.«
»Großer Gott«, keuchte Gabe.
»Ich muss zu ihr«, verkündete Jace und versuchte, sich an seinen Freunden vorbeizudrängen.
»Auf keinen Fall. Du bist nicht in der Verfassung, um irgendwo hinzufahren«, widersprach Ash und hielt ihn am Arm fest. »Gabe und ich bringen dich hin.«
»Es ist mir scheißegal, wer fährt. Hauptsache, ich gelange so schnell wie möglich zu ihr«, donnerte Jace.
»Ganz ruhig, Mann«, sagte Gabe. »Reiß dich zusammen. Du darfst jetzt nicht durchdrehen. Atme tief durch. Sei stark für Bethany. Wir bringen dich zu ihr. Ash, gib meinem Fahrer Bescheid. Er ist auf Stand-by. Ich wollte Mia nach unseren Meetings zum Essen ausführen, darum hält er sich bereit. Er soll den Wagen sofort vorfahren.«
»Wie soll ich mich beruhigen, wenn ich derjenige bin, der ihr das angetan hat?«, fragte Jace niedergeschlagen.
»Großer Gott«, entfuhr es Gabe erneut.
»Kommt schon, wir vergeuden Zeit«, sagte Ash.
Sie rannten zum Wagen, der im selben Moment vor dem Gebäude hielt, als sie es verließen. Gabe stieg vorn ein und instruierte den Fahrer, während Jace und Ash auf den Rücksitz glitten.
Jace war wie betäubt. Es kam ihm vor, als hätte man ihm das Herz aus der Brust gerissen. Das Einzige, was er fühlen konnte, war lähmende Angst. Sie drückte auf seine Lungen, bis er keine Luft mehr bekam. Er war komplett am Boden zerstört, konnte an nichts anderes denken als an letzte Nacht. An den Ausdruck in Bethanys Gesicht, ihre tiefe Enttäuschung und an ihren Vorwurf, dass er ihr nicht, ihr niemals vertrauen würde. An ihre Worte, dass sie das Ganze beenden und auf keinen Fall neben ihm schlafen wolle.
Erinnerungen stürmten auf ihn ein. Bethany an dem Abend, als er sie das erste Mal gesehen hatte. An ihre wunderschönen Augen, ihr atemberaubendes Lächeln. Ihre Reaktion auf seine Zärtlichkeiten. Und jetzt könnte ihm das alles in einem einzigen grausamen Moment genommen werden, weil er sich wie der hinterletzte Scheißkerl aufgeführt hatte. Er hätte das hier verhindern können. Wäre er doch nur heute Morgen bei ihr geblieben. Er hätte die Sache mit Bethany klären, sie davon überzeugen müssen, dass sie das Wichtigste in seinem Leben war. Doch das hatte er versäumt, und jetzt lag sie auf einer Trage in einem Krankenwagen und kämpfte um ihr Leben.
»Jace, Mann, du musst atmen«, ermahnte Ash ihn. »Reiß dich zusammen. Du musst stark sein für sie.«
Er hob den Blick und begegnete Ashs. Kälte und Taubheit krochen durch seinen Körper und blockten alles andere ab. »Ich bin schuld daran. Lieber Gott im Himmel, ich habe sie dazu getrieben. Du warst dabei. Du hast gesehen, was ich ihr angetan habe. Was ich euch beiden angetan habe.«
»Das kannst du nicht wissen«, fauchte Ash. »Reiß dich am Riemen, bis wir erfahren, was passiert ist.«
»Kaden sagte, dass sie kaum mehr geatmet hat. Er musste sie beatmen. Die Sanitäter haben sie intubiert. Kaden zufolge sieht alles nach einer Überdosis aus. Und jetzt behauptest du, ich hätte nichts damit zu tun, und das, obwohl du miterlebt hast, wie ich euch gegenüber die Kontrolle verloren habe, wie aufgewühlt und erschüttert sie wegen meines Verhaltens gewesen ist? Das hier geht auf meine Kappe. Ich habe sie heute Morgen allein gelassen, anstatt bei ihr zu bleiben und mich mit ihr auszusprechen. Aber ich bin gegangen, weil ich ihr Zeit zum Nachdenken geben wollte. Ich habe einem geschäftlichen Meeting den Vorzug vor ihr und dem, was sie von mir gebraucht hat, gegeben. Ich ließ sie in dem Glauben zurück, dass ich ihr noch immer nicht vertraue. Du hast sie nicht gesehen. Ihre Augen waren ganz rot und verquollen, weil sie die ganze letzte Nacht vor Kummer geweint hat. Wir gingen zu Bett, aber sie hat mir die ganze Zeit den Rücken zugekehrt. Verdammt, sie wollte gestern Abend gehen, aber ich ließ es nicht zu. Sie wollte getrennt von mir schlafen, aber auch das habe ich nicht zugelassen. Also lag sie letzte Nacht neben mir im Bett und weinte, weil ich ein arroganter Scheißkerl bin, der wegen nichts ausgerastet ist.«
»Jetzt krieg dich wieder ein«, meinte Gabe grimmig. Er drehte sich auf dem Beifahrersitz um und sah Jace mit hartem Blick an. »Du weißt nicht, was passiert ist. Keiner von uns weiß das. Solange du nicht bei ihr bist und eine Erklärung von ihr bekommst, darfst du keine voreiligen Schlüsse ziehen. Tu ihr das nicht an.«
»Sie hat kaum noch geatmet«, wiederholte Jace verbittert. »Vielleicht lebt sie schon nicht mehr, wenn ich eintreffe. Gott, ich darf sie nicht verlieren. Nicht auf diese Weise. Ich bin nicht gut für sie. Sie hat versucht, mir das zu sagen. Ich wusste, was unsere Beziehung mit ihr anstellt. Es wäre fast schon einmal passiert. Sie stand kurz davor, eine Tablette zu nehmen, als ich sie das letzte Mal enttäuscht hatte. Aber ich habe mich an sie geklammert, weil ich zu selbstsüchtig war, um loszulassen. Ich habe nur an meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse gedacht, dabei brauche ich sie dringender als die Luft zum Atmen.«
»Jetzt tritt mal auf die Bremse«, befahl Ash. »Solange wir nicht die ganze Geschichte kennen, darfst du keine dummen, überstürzten Entscheidungen treffen. Bethany braucht dich, Mann. Sie braucht dich im Moment mehr als je zuvor. Was auch immer geschehen ist, ist nicht gut, darum musst du ihr Fels in der Brandung sein und es in Ordnung bringen. Aber das kannst du nicht, wenn du dich jetzt von ihr zurückziehst und den Edelmann markierst, der eingesehen hat, dass sie ohne dich besser dran ist. Denkst du wirklich, es würde ihr auf der Straße besser gehen, zusammen mit diesem Wichser Kingston, dem sie offensichtlich völlig am Arsch vorbeigeht? Herrgott, er wollte ihr Drogen geben. Klingt das für dich nach dem Typ Mann, mit dem sie zusammen sein sollte?«
»Ich kann ihr ein besseres Leben ermöglichen. Trotzdem muss ich nicht zwingend eine Rolle darin spielen«, erwiderte Jace niedergeschlagen. »Ich habe ihr wehgetan, und das immer und immer wieder. Niemand sollte sich so etwas gefallen lassen müssen. Ich kann ihr ein besseres Leben ermöglichen und mich daraus zurückziehen. Sie ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen. Ich werde hundertprozentig sicherstellen, dass Bethany immer alles hat, was sie braucht, aber das, was sie vielleicht am allerwenigsten braucht … bin ich.«
»Ich schwöre bei Gott, dass ich dir in den Arsch trete, wenn du nicht endlich die Klappe hältst«, knurrte Gabe. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um den Schwanz einzuziehen. Sei ein Mann, und steh ihr bei. Finde raus, was passiert ist, und klär die Sache. Bethany ist sehr zerbrechlich, daher braucht sie dich umso mehr. Wir wissen nicht, was sie dazu getrieben hat. Es gibt eine Menge Fragen, auf die wir keine Antworten haben. Und bis wir diese Antworten bekommen, musst du die Schulter sein, an der sie sich anlehnen kann. Du musst zu ihr stehen. Sie unterstützen und lieben.«
Jace wurde ganz still. Er schloss die Augen und marterte sich selbst mit Visionen von Bethanys leblosem Körper. Ihr Gesicht bleich im Tod, die salzigen Tränenspuren von letzter Nacht noch immer auf ihren Wangen. Er stellte sich vor, wie sie selbst im Sterben noch glaubte, dass er sie nicht liebte, ihr nicht vertraute, dass sie nicht das Wichtigste in seinem Leben sei. Wie sie starb, ohne dass er ihr gesagt hatte, wie leid ihm alles tat und wie unendlich er sie liebte.
Bethany bedeutete ihm alles, und er würde dafür sorgen, dass sie es erfuhr.
Gabe hatte recht. Ganz egal, was passiert war oder warum Bethany das getan hatte, sie brauchte ihn. Er würde sie nicht gehen lassen, solange sie ihn nicht davon überzeugte, dass sie ihn und seine Liebe wirklich nicht wollte. Und selbst dann würde er gewährleisten, dass sie immer alles hatte, was sie benötigte. Auch wenn er sich bei der Vorstellung, nicht länger Teil ihres Lebens zu sein, fühlte, als würden ihm Herz und Seele aus dem Leib herausgerissen.
»Ich werde sie so bald wie möglich heiraten«, verkündete Jace heiser. »Ich schwöre bei Gott, dass ich sie heiraten und jeden einzelnen Tag dafür sorgen werde, dass sie weiß, was ich für sie empfinde, wenn sie überlebt.«
»Das klingt schon besser«, kommentierte Ash trocken.
Jace hob seinen kummervollen Blick. »Es tut mir leid, Mann. Mehr, als du je wissen wirst. Dabei habe ich noch nicht mal geglaubt, dass du irgendwas im Schilde geführt hast. Es war einfach ein beschissener Tag, und ich bin ausgerastet, ohne nachzudenken. Ich wollte meinen Frust an jemandem auslassen, und du und Bethany hattet einfach das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.«
Ash gab ein ungeduldiges Geräusch von sich. »Wir haben das schon durchgekaut. Du hast gestern Abend gesagt, was du zu sagen hattest. Also Schwamm drüber. Ich behaupte nicht, dass ich diesen Mist noch mal tolerieren werde, aber die Sache ist vom Tisch. Jetzt musst du es nur noch bei Bethany wiedergutmachen.«
»Das werde ich«, versprach Jace leise. »Falls ich die Chance bekomme. Gott, lass sie nicht sterben. Sie muss leben. Wir müssen das schaffen. Bitte, lass sie nicht sterben.«
Der Schmerz schnitt ihm die Luftzufuhr ab, bis er zu ersticken glaubte. Er war wie ein unerträglich schweres Gewicht, das seine Brust zerquetschte. Jace durfte sie nicht verlieren. Nicht so. Bitte, nur nicht so. Er würde es nicht überleben, wenn sie starb.
»Sie wird Hilfe brauchen«, sagte Gabe leise. »Eine Therapie. Sollte es wirklich ein Suizidversuch gewesen sein, wird sie professionelle Unterstützung benötigen.«
»Sie wird alles bekommen, was sie braucht. Und zwar so lange, wie es nötig ist. Aber ich werde sie auf ihrem Weg begleiten. Sie wird nie wieder allein sein.«
Der Fahrer hielt mit quietschenden Reifen vor dem Eingang der Notaufnahme. Jace sprang aus dem Wagen und rannte ins Gebäude, wo er bereits von Kaden erwartet wurde. Er packte den wesentlich größeren Mann am Hemdkragen und brachte sein Gesicht nah an seins. »Wo ist sie?«
»Sie behandeln sie gerade«, antwortete Kaden düster. »Der Arzt kam kurz raus, um sich nach ihrer Familie zu erkundigen. Ich habe ihm gesagt, dass Sie unterwegs sind. Es war tatsächlich eine Überdosis, aber sie bekommen sie nicht wach genug, um herauszufinden, was sie genommen hat und in welcher Menge.«
»Verfluchte Scheiße!«, explodierte Jace.
Er ließ von Kaden ab, dann hielt er auf den Empfang und die misstrauisch dreinblickende Rezeptionistin zu.
»Bethany Willis«, sagte er knapp. »Ich will sofort zu ihr.«
Sie stand auf und kam um den Schalter herum, als Gabe und Ash hinter Jace auftauchten.
»Sir, sie wird gerade behandelt. Sie müssen hier draußen warten.«
»Den Teufel werde ich tun! Bringen Sie mich auf der Stelle zu ihr. Ich muss bei ihr sein. Sie wird nicht mutterseelenallein sterben. Ich muss sie sehen.«
Die Frau schaute Hilfe suchend zu Gabe und Ash, als hoffte sie, dass sie ihn beschwichtigen würden. Dankenswerterweise taten sie das nicht, sondern starrten die Frau wortlos in Grund und Boden, um ihr zu zeigen, dass Jace ihre volle Unterstützung hatte.
»Belinda, lassen Sie ihn nach hinten«, sagte ein älterer Arzt, der einige Schritte entfernt stand.
Jace wandte sich sofort an ihn. »Ist sie okay?« Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und er schwankte so stark, dass er Mühe hatte, aufrecht stehen zu bleiben. Eiskalte Furcht packte ihn. Was, wenn der Arzt herausgekommen war, um ihm mitzuteilen, dass Bethany tot war?
»Kommen Sie mit«, forderte der Arzt ihn leise auf.
Jace folgte ihm mit bangen, angsterfüllten Schritten. Er wurde in ein Zimmer geführt und sah Bethany blass und still in einem Bett liegen. Eine Horde Ärzte und Krankenschwestern scharte sich um sie. Sie hatte einen Schlauch im Hals und einen zweiten in der Nase, in den sie gerade irgendein bedrohlich aussehendes Mittel injizierten.
»Ist sie … noch am Leben?«, würgte Jace hervor.
»Wir konnten sie stabilisieren, aber sie ist noch immer nicht bei Bewusstsein«, erklärte der Arzt. »Da wir nicht wissen, was und wie viel sie genommen hat, müssen wir sie im Blindflug behandeln. Wir haben versucht, sie aufzuwecken, damit sie uns sagt, was passiert ist, aber bisher leider ohne Erfolg. Vielleicht gelingt es Ihnen ja, eine Reaktion von ihr zu bekommen.«
Jace hastete zum Bett, und eine der Schwestern trat beiseite, um ihn zu Bethany vorzulassen.
Er nahm ihre schlaffen Finger und legte beide Hände darum. Dann hob er sie an seinen Mund und presste die Lippen darauf. Ihm stiegen die Tränen in die Augen, aber er schluckte sie runter und atmete tief durch, um nicht die Fassung zu verlieren.
»Bethany, Baby, du musst aufwachen«, flehte er sie an.
»Sie müssen lauter sprechen«, ermahnte ihn der Arzt. »Ich weiß, dass Ihnen der Instinkt rät, sanft zu sein, aber sie muss unbedingt zu Bewusstsein kommen.«
Jace beugte sich über sie und küsste sie auf die Stirn, dabei streichelte er mit einer Hand über ihr wirres Haar. »Bethany, kannst du mich hören? Du musst aufwachen und mit uns sprechen. Wir sind krank vor Sorge, Liebling. Komm bitte zurück. Bitte, komm zu mir zurück.«
Er brach ab, als ein Schluchzen in seiner Kehle hochstieg. Bethany zeigte noch immer keine Reaktion. Überall waren Schläuche.
»Was ist mit dem Schlauch in ihrer Kehle?«, blaffte Jace. »Sie wird in Panik geraten, wenn sie aufwacht. Wie soll sie mit dem verdammten Ding sprechen?«
»Im Moment kann sie nur so atmen«, erklärte ihm die Krankenschwester sanft. »Sobald sie zu sich kommt, werden wir ihn entfernen. Aber wir müssen unbedingt herausfinden, was sie genommen hat und in welcher Menge.«
Jace schloss die Augen, als die Tränen ungehindert über seine Wangen liefen.
»Baby, bitte«, presste er hervor. »Wach auf und rede mit mir. Du musst zu mir zurückkommen. Ohne dich bin ich verloren.«
Er legte die Stirn auf ihre, und seine Tränen rannen über ihre Haut.
»Bitte, komm zu mir zurück. Ich liebe dich. Wir können das schaffen, Baby. Bitte, öffne die Augen. Ich flehe dich an. Verlass mich nicht. Um Himmels willen, verlass mich nicht.«
Als er sich zurückzog, begannen ihre Lider träge zu flattern. Jace merkte ihr an, wie schwer es ihr fiel, die Augen zu öffnen. Und dann sah er das strahlende Blau und die stecknadelkopfgroßen Pupillen. Sie war vollkommen desorientiert, dann huschte ein Ausdruck von Panik über ihr Gesicht.
Von unendlicher Erleichterung übermannt drehte er sich aufgeregt zu der Krankenschwester um, aber das Team war bereits dabei, Bethanys Vitalwerte zu überprüfen, bevor die Schläuche herausgezogen wurden. Bethanys Panik verstärkte sich, sie würgte und wehrte sich. Jace nahm ihre Hand und drückte fast bis an die Schmerzgrenze zu.
»Kämpf nicht dagegen an, Baby. Gib ihnen ein paar Minuten. Ich verspreche, dass es gleich vorbei ist. Sie mussten dich intubieren, um dir beim Atmen zu helfen.«
Ihr schossen die Tränen in die Augen, dann weiteten sie sich, als sie sie auf ihn fokussierte.
»Genau so, Baby. Konzentrier dich auf mich. Sieh mich an und atme. Atme für mich«, sagte er mit brechender Stimme.
Als die Schläuche ein paar Minuten später herausgezogen waren, musste Jace vom Bett zurücktreten, bis das Team sich vergewissert hatte, dass Bethany selbstständig atmen konnte. Sie schoben eine Sauerstoffkanüle in ihre Nasenlöcher, um das Kreislaufatemgerät zu ersetzen, das mit dem Schlauch in ihrer Brust verbunden gewesen war. Dann endlich ließen sie Jack wieder zu ihr.
Bethany fiel es schwer, die Augen offen zu halten. Jace konnte sehen, wie viel Anstrengung es sie kostete. Sie blinzelte mehrere Male schläfrig, so als wollte sie zurück in die Bewusstlosigkeit driften, aber er ließ es nicht zu, sondern tat alles, damit sie wach und bei ihm blieb.
»Jace?«, wisperte sie mit kaum vernehmbarer Stimme.
»Ja, Baby, ich bin hier.«
Er nahm ihre Hand und beugte das Gesicht nahe zu ihrem, damit sie ihn sehen und fühlen konnte.
Kraftlos hob sie eine Hand und berührte seine tränenfeuchte Wange, dann runzelte sie die Stirn.
»Ich verstehe das nicht. Was ist passiert?«, flüsterte sie.
Die Verwirrung in ihren Augen war unübersehbar, als sie den Blick schweifen ließ und die Krankenhausumgebung und die vielen medizinischen Geräte in ihrem Zimmer registrierte.
»Baby, es war eine Überdosis«, erklärte er sanft. »Wir müssen wissen, was du eingenommen hast und in welchen Mengen, damit die Ärzte dir helfen können. Du musst kämpfen, Bethany. Ich kann und werde dich, besser gesagt uns nicht aufgeben. Was immer passiert ist, wir bringen es in Ordnung. Ich liebe dich. Wir können das bewältigen, das schwöre ich. Es macht für mich keinen Unterschied. Was immer geschehen ist und aus welchem Grund du es getan hast, es spielt keine Rolle. Du bist das Einzige, was zählt.«
Bethany öffnete die Augen weiter und kämpfte gegen die Schwere ihrer Lider an. Sie versuchte zu sprechen, doch dann schloss sie den Mund und fasste mit großer Dringlichkeit nach seiner Hand.
»Jace …«
»Was, Baby? Sprich mit mir. Du musst kämpfen. Bitte. Tu es für mich, für uns.«
»Ich habe das nicht getan«, flüsterte sie verzweifelt. »Ich habe nichts eingenommen. Ich würde das nicht tun. Du musst mir glauben.«
Jace starrte sie schockiert an. »Liebling, du warst im Koma. Du wärst fast gestorben. Bitte sag mir, was passiert ist.«
»Ich weiß nicht, was passiert ist!«
Ihre Stimme wurde schriller, fast schon hysterisch. Sie regte sich so sehr auf, dass ein Alarm losging und eine der Schwestern ans Bett gestürzt kam.
»Sir, Sie müssen jetzt gehen«, forderte sie ihn ruppig auf. »Sie bekommt nicht genügend Sauerstoff, und ihre Vitalwerte werden schwächer.«
Er wurde zur Seite gedrängt, als das medizinische Team Bethany von Neuem umringte. Sie drückten ihr eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht, aber sie wehrte sich dagegen.
»Jace!«
»Ich bin hier, Baby. Ich bin hier!«
»Ich habe das nicht getan! Bitte glaub mir«, schluchzte sie.
Dann wurde er mit mehr Nachdruck aus dem Zimmer geschoben. Gabe und Ash, die davor warteten, zerrten ihn zurück, als er sich wieder Zutritt verschaffen wollte.
Man schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Jace drehte sich um und drosch mit der Faust gegen die Wand.
Seine Freunde bändigten ihn, bevor er ihr einen weiteren Schlag versetzen konnte. Sie drängten ihn mit dem Rücken dagegen, dann baute Gabe sich vor ihm auf.
»Beherrsch dich, Mann. Du musst Ruhe bewahren.«
Jace schüttelte sie ab und kehrte ins Wartezimmer zurück, in dem noch immer Kaden stand.
»Wo ist Kingston?«, knurrte er.
Kadens Miene verdunkelte sich. »Keine Ahnung. Ich hab mich nicht mehr um ihn gekümmert, nachdem ich Bethany auf dem Boden liegen sah. Meine einzige Sorge galt ihr. Wir verluden sie in den Krankenwagen und sind losgefahren. Da war er noch in der Wohnung.«
»Finden Sie ihn, und bringen Sie ihn her«, bellte Jace. »Es interessiert mich nicht, wie Sie das anstellen, aber schaffen Sie ihn auf der Stelle hierher!«
»Wird erledigt, Sir. Ich werde Trevor anrufen. Er wollte sich gleich auf den Weg dorthin machen, nachdem ich mit ihm gesprochen hatte. Ich stelle sicher, dass er Kingston bis zu meinem Eintreffen dort festhält.«
»Tun Sie das«, entgegnete Jace knapp.
Nachdem Kaden zügig den Raum verlassen hatte, drehte Jace sich um und entdeckte Gabe und Ash, die ihn mit verwirrten Mienen beobachteten.
»Was zum Geier hatte das zu bedeuten?«, wollte Ash wissen.
Jace kochte vor Zorn. Er spannte die Finger an und lockerte sie wieder, um seine Rage unter Kontrolle zu bringen.
»Bethany sagt, dass sie es nicht getan hat. Sie hat keine Drogen eingenommen.«
Gabe runzelte die Stirn. »Du glaubst ihr?«
»Ja, natürlich glaube ich ihr!«, brüllte Jace. »Du hast sie nicht gesehen. Als sie zu sich kam, war sie verängstigt und vollkommen verwirrt. Du hättest ihr Gesicht sehen sollen, als ich ihr von der Überdosis erzählte. Sie wurde so hysterisch, dass ihre Vitalwerte in den Keller sackten. Sie haben mich rausgeworfen. Aber sie beharrt darauf, dass sie nichts eingenommen hat. Sie wusste nicht mal, wovon ich rede. Sie hat mich gefragt, was passiert ist.«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Ash.
Jace’ Nasenflügel bebten, und er atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Er musste sich in den Griff bekommen, musste für Bethany stark sein.
»Es bedeutet, dass jemand ihr das Zeug verabreicht haben muss, wenn sie es nicht aus eigenem Antrieb geschluckt hat. Und Kingston war die einzige andere Person in der Wohnung.«