37

Bethany nahm ab, als das Telefon läutete, und meldete sich mit einem zögerlichen Hallo.

»Miss Willis, Mr McIntyre ist hier. Soll ich ihn nach oben schicken?«

Ihr Puls beschleunigte sich. Jace war noch nicht zu Hause, dabei war es später als sonst. Vielleicht dachte Ash, dass er schon hier wäre?

»Äh, natürlich«, stammelte sie.

Nervös rieb sie mit den Handflächen über ihre Jeans, dann schalt sie sich selbst. Ash war seit der Nacht, als sie mit ihm und Jace geschlafen hatte, stets der Inbegriff von Höflichkeit und Freundlichkeit gewesen. Es bestand kein Grund, dass sie jedes Mal, wenn sie ihm gegenübertreten musste, zum Nervenbündel mutierte.

Wenige Augenblicke später ging der Fahrstuhl auf und Ash stieg heraus.

»Hallo, Bethany«, begrüßte er sie mit einem warmen Lächeln.

»Hallo, Ash. Jace ist noch nicht hier.«

Er runzelte die Stirn. »Mist. Ich dachte, er wäre schon zu Hause. Ich muss ihm dringend einen Ordner geben. Uns geht gerade ein wichtiger Deal durch die Lappen. Vielleicht ist er länger im Büro geblieben, um zu retten, was zu retten ist.«

Sie zog die Brauen zusammen. »Das klingt übel. Ist es wirklich so schlimm?«

Ash lächelte verhalten. »Wir werden es in den Griff bekommen. So was passiert ständig. Nur ein stinknormaler Tag im Büro.«

»Komm doch rein. Wo sind nur meine Manieren geblieben, dass ich dich einfach da stehen lasse? Warum setzt du dich nicht ins Wohnzimmer? Jace kommt bestimmt jeden Moment. Möchtest du einen heißen Kakao? Ich war gerade dabei, mir einen zu machen.«

»Gern«, sagte er und folgte ihr. »Trinkst du einen mit?«

Sein unverkrampfter Charme entlockte ihr ein Lächeln, und sie entspannte sich. »Ja, mach es dir gemütlich, während ich uns beiden eine Tasse hole.«

Bethany hantierte in der Küche, erwärmte zwei Becher Milch und rührte die Schokolade hinein. Sie süßte ihren Kakao, dann hielt sie inne, weil sie nicht wusste, wie Ash seinen trank. Schließlich zuckte sie mit den Achseln und bereitete ihn genauso zu wie ihren.

Sie trug die Tassen ins Wohnzimmer und reichte ihm eine.

»Danke, Bethany.«

Er schaute sie über seinen Becher hinweg an, als sie sich in den Sessel sinken ließ, der ein gutes Stück von ihm entfernt stand.

»Und, wie geht es dir?«, fragte er ruhig.

»Ausgezeichnet«, versicherte sie ihm überschwänglich.

Seine Miene drückte eindeutig aus, dass er ihr das nicht abnahm.

Bethany seufzte. »Es geht mir wirklich gut. Aber ich mache mir Sorgen um Jack. Was dumm ist, aber ich komme einfach nicht dagegen an. Wahrscheinlich fühle ich mich schuldig, weil ich nun so viel habe und er hat noch immer gar nichts.«

»Ich würde eine kostenlose Unterkunft nicht unbedingt als gar nichts bezeichnen«, wandte Ash trocken ein.

Bethany ließ die Schultern hängen. »Du hast recht. Und ich schätze, das regt mich am meisten auf. Jace ist ein hohes Risiko eingegangen. Und zwar mir zuliebe. Ich weiß, dass er das Ganze hasst, und das ist nur zu verständlich. Aber er hat es für mich getan, und auch für Jack, weil er wusste, dass es mich glücklich machen würde. Es kotzt mich einfach an, dass Jack sich so bescheuert benimmt.«

Ihre Miene war verbittert, und sie realisierte, dass sie ernsthaft wütend war. Sorge und Angst hatten sie so sehr in Anspruch genommen, dass sie sich bisher nicht wirklich damit auseinandergesetzt hatte, wie sauer sie auf Jack war, weil er dem, was Jace für ihn tat, so wenig Wertschätzung entgegenbrachte.

»Er könnte mich wenigstens wissen lassen, wie es ihm geht, verstehst du?« Bethany wurde mit jeder Sekunde ärgerlicher.

»Ja, das könnte er«, pflichtete Ash ihr bei. »Aber, Süße, hör mir zu. Du musst aufhören, so viel emotionale Energie auf den Kerl zu verschwenden. Er ist erwachsen. Du kannst ihm seine Entscheidungen nicht abnehmen, und ganz sicher musst du dich nicht schuldig fühlen, weil du dein Leben auf die Reihe gekriegt hast und er sich weigert, dasselbe zu tun.«

»Du hast recht. Ich weiß, dass du recht hast, trotzdem ist es hart. Es fällt mir unglaublich schwer, mich um hundertachtzig Grad zu drehen, nachdem Jack viele Jahre lang die Hauptrolle in meinem Leben gespielt hat. Für mich ist es völlig normal, mich um ihn zu sorgen, denn das habe ich immer getan.«

Ash räusperte sich. »Tatsächlich gibt es da eine Sache, über die ich mit dir reden wollte. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, da wir uns unter vier Augen unterhalten können. Wir beide haben uns seit jener Nacht nur wenige Male gesehen, und es ist nicht gerade ein Thema, das ich im Beisein anderer erörtern möchte.«

Heiße Röte stieg ihr in die Wangen. Oh Gott. Er wollte über die Nacht reden, als sie zu dritt Sex gehabt hatten. Tiefe Beschämung überkam sie, und sie konnte ihm nicht in die Augen sehen.

»Süße, schau mich an«, forderte Ash sie sanft auf.

Bethany ließ ihren Kakao auf dem Couchtisch stehen, als sie aufsprang und Ash den Rücken zukehrte, um durch das Fenster auf die Stadt zu starren. Draußen begannen die ersten Lichter zu funkeln, als der Tag der Dämmerung wich.

»Bethany.«

Sie zuckte zusammen, denn seine Stimme erklang direkt hinter ihr. Ash war ihr zum Fenster gefolgt, und jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als sich der Situation zu stellen.

Er berührte ihre Schulter, woraufhin sie sich langsam zu ihm umdrehte und ihn ansah. Seine Augen blickten warm und verständnisvoll.

»Bestimmt denkst auch du, dass ich nicht gut genug für ihn bin«, sagte sie gepresst. »Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie wir uns kennengelernt haben. An jenem Abend …«

Ash legte den Finger auf ihre Lippen. »Das ist totaler Schwachsinn«, erklärte er unverblümt. »Ich muss bei dir Abbitte leisten, und das werde ich jetzt tun.«

Ihre Augen wurden groß. »Wofür solltest du denn Abbitte leisten?«

»Dafür, dass ich die Sache zwischen dir und Jace anfangs tatsächlich nicht für eine gute Idee hielt. Ich bin sein Freund, und ich war in Sorge.«

Sie nickte mit bangem Herzen. Natürlich hatte sie geahnt, dass seine Freunde nicht begeistert reagieren würden, aber es ausgesprochen zu hören, machte es irgendwie noch schlimmer, als es selbst nur zu denken.

»Ich habe mich geirrt.«

Bethany blinzelte verdattert. »Wirklich?«

»Ich war zu einhundert Prozent auf dem Holzweg. Du bist das Beste, was Jace je passiert ist. Ich habe diese Nacht nicht erwähnt, um dich in Verlegenheit zu bringen, sondern weil ich nicht möchte, dass diese Beklommenheit zwischen uns beiden weiter anhält. Jace ist wie ein Bruder für mich. Wir sind seit vielen Jahren befreundet. Ich will nicht, dass sich daran etwas ändert. Du bist ihm wichtig. Er ist mir wichtig. Damit bist auch du mir wichtig.«

»Wirklich?«, wiederholte sie leise.

Ash lächelte. »Ja, wirklich. Ich behaupte nicht, dass ich jene Nacht nicht genossen hätte. Denn das habe ich. Du bist eine bildschöne, begehrenswerte Frau. Daran kann ich nichts ändern und würde es auch nicht wollen. Du bist etwas Besonderes, Bethany. Aber Jace liebt dich über alle Maßen, und ich kann sehen, dass du seine Liebe erwiderst. Was ich mir wünschen würde, ist, dass wir diese Nacht vergessen und noch mal neu anfangen. Ich möchte, dass wir Freunde werden.«

Bethany strahlte vor Freude. »Das möchte ich auch.«

Ash streckte die Hand aus und strich mit dem Daumen über ihre Wange. »Dann sind wir es ab jetzt.«

»Was zur Hölle geht hier vor sich?«

Jace’ Stimme schlug wie eine Bombe im Wohnzimmer ein. Bethany zuckte erschrocken zusammen, und Ashs Hand glitt von ihrem Gesicht, als beide zu Jace herumwirbelten.

Bethany riss alarmiert die Augen auf, während sich Ashs vor Entrüstung verdunkelten. In Jace’ Blick loderte heller Zorn.

Jace betätigte die Ruftaste des Aufzugs, dann fuhr er vor Ungeduld kochend zu seiner Wohnung hoch. Hinter ihm lag ein katastrophaler Tag, nachdem zwei der Investoren für ihr Hotelprojekt in Paris einen Rückzieher gemacht hatten. Er hatte lange und hart daran gearbeitet, sie dafür zu gewinnen, und jetzt sprangen sie in der letzten Sekunde ab.

Gabe und er hatten den Großteil des Nachmittags am Telefon verbracht, um herauszufinden, was in Dreiteufelsnamen passiert war, deshalb war er wesentlich später als geplant aus dem Büro gekommen. Das Einzige, was er jetzt noch wollte, war, Bethany zu sehen, sie in ein hübsches Restaurant auszuführen und den Rest der Nacht Liebe mit ihr zu machen. Der nächste Morgen würde ein Albtraum werden, denn nach der Absage ihrer beiden Hauptinvestoren stand zu befürchten, dass andere ihrem Beispiel folgen würden.

Sie mussten Schadensbegrenzung betreiben, und das zügig. Selbst wenn das bedeutete, weiteres Eigenkapital in das Projekt zu stecken.

Als die Fahrstuhltüren aufglitten, fiel sein Blick auf Bethany und Ash, die im Wohnzimmer vor dem Fenster standen. Sie lächelte. Ihr ganzes Gesicht strahlte wie ein verfluchter Christbaum. Es war das erste Mal seit einer Woche, dass Jace sie mit so viel Enthusiasmus lächeln sah. Sie schaute Ash an, als hätte er ihr gerade die Sterne vom Himmel geholt.

Und dann berührte Ash ihre Wange. Es war absolut keine beiläufige Geste, und bei Jace begannen sämtliche Alarmglocken zu schrillen. Dazu dieser Ausdruck auf Ashs Gesicht. So zärtlich und voller Zuneigung.

Was war hier los?

Ihm brannten die Sicherungen durch, die Folge eines beschissenen Tages, der noch beschissener geworden war, seit er Ash in seiner Wohnung entdeckt und ihn dabei ertappt hatte, wie er Bethany berührte, während sie ihn auf eine Weise anlächelte, wie sie ihn, Jace, seit Tagen nicht angelächelt hatte. Das Einzige, woran er denken konnte, war jene erste Nacht. An Ashs Lippen auf ihrer Haut, an seinen Schwanz in ihrem Mund, ihrem Hintern. Das lustvolle Stöhnen, das Ash ihr entlockt hatte. Es raubte ihm den Verstand.

»Was zur Hölle geht hier vor sich?«, fragte er eisig.

Ash und Bethany wirbelten zu ihm herum, dabei glitt Ashs Hand von Bethanys Gesicht. Ihre Augen weiteten sich vor Bestürzung, während Ash sofort eine angepisste Miene aufsetzte. Scheiß drauf.

»Ash hat hier auf dich gewartet«, sagte Bethany leise.

»Ja, das ist nicht zu übersehen«, knurrte Jace.

»Weißt du was? Fick dich, Mann«, fuhr Ash ihn an. »Ich kann nicht fassen, dass du auf diese Weise hier reinpolterst, vor allem nicht nach unserem heutigen Gespräch im Büro. Aber noch weniger kann ich fassen, wie despektierlich du Bethany behandelst.«

»So, wie ich das sehe, bin ich derjenige, der hier despektierlich behandelt wird, und das auch noch in meiner eigenen Wohnung«, brüllte Jace.

»Ich hau ab«, verkündete Ash grimmig.

Er hielt inne und warf Bethany einen entschuldigenden Blick zu. »Es tut mir aufrichtig leid, Süße. Solltest du irgendetwas brauchen, ruf mich an, okay?«

Das brachte Jace noch mehr zur Weißglut. Die Dreistigkeit, mit der Ash suggerierte, dass Bethany ihn als Konsequenz dessen, was auch immer zur Hölle hier gerade vor sich ging, brauchen könnte.

»Mir tut es auch leid«, wisperte sie.

Die Kränkung stand ihr ins Gesicht geschrieben, und heiße Röte überzog ihre Wangen. Als Ash an Jace vorbeistolzierte, murmelte er: »Was bist du nur für ein Arschloch.« Dann verschwand er im Aufzug.

Als Jace den Blick wieder auf Bethany heftete, um eine Erklärung von ihr zu verlangen, schwammen Tränen in ihren Augen, und sie ließ niedergeschlagen die Schultern hängen. Sie sah ihn noch nicht einmal an.

Sein Magen krampfte sich zusammen, und er bedauerte augenblicklich die voreiligen Schlüsse, die er gezogen hatte. Dabei waren es noch nicht mal Schlüsse gewesen. Er hatte blind um sich geschlagen, weil er von seinem Arbeitstag wütend, frustriert und erschöpft gewesen war. Er hatte sich nichts weiter gewünscht, als einen ruhigen Abend mit Bethany zu verbringen, doch dann hatte er sie und Ash in dieser innigen Vertrautheit gesehen.

Scheiße. Er hatte es schon wieder getan. Er hatte die Klappe aufgerissen, ohne nachzudenken, und jetzt kämpfte Bethany mit den Tränen. Er hatte sie gedemütigt und im gleichen Atemzug seinen besten Freund vergrault. Er schien es sich allmählich zur Gewohnheit zu machen, sich wie ein Arschloch allererster Güte aufzuführen.

»Bethany«, sagte er leise und trat zu ihr.

Sie zuckte zurück, als er sie zu berühren versuchte. Dann wandte sie den Kopf ab, damit er ihre Tränen nicht sah. Das machte ihn noch wütender. Nicht auf sie, sondern auf sich selbst. Weil er es wieder mal verbockt hatte.

»Du vertraust mir noch immer nicht«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. »Ich weiß nicht, warum wir es überhaupt noch versucht haben. Ich kann das nicht, Jace. Ich kann nicht mit einem Mann zusammen sein, der fortwährend das Schlimmste von mir denkt, obwohl ich nichts tue, um diesen Argwohn zu verdienen. Ich habe dir alles geschenkt, was ich besitze. Mein Vertrauen, mein Herz. Du magst mir materielle Dinge gegeben haben, aber nichts, was wirklich zählt.«

»Meine Liebe zählt also nicht?«

Jetzt wandte sie ihm doch ihren tränenverschleierten Blick zu. Ihr Gesicht war eine starre Maske der Entschlossenheit, und sie hatte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst.

»Du kannst dich nicht hinstellen und behaupten, mich zu lieben, wenn du gleichzeitig so gering von mir denkst. Du magst mich begehren, vielleicht bist du sogar in mich verknallt. Aber du liebst mich nicht.«

»Sag mir nicht, dass ich dich nicht liebe!«

Sein Puls toste in seinen Ohren, und die Panik schnürte ihm die Kehle zu. Natürlich liebte er sie, und das Schlimmste war, dass er ihr auch vertraute. Nachdem er sich beruhigt hatte, war ihm sofort klar geworden, dass Bethany und Ash ihn niemals hintergehen würden. Er vertraute ihr, und ganz sicher vertraute er auch seinem besten Freund. Keiner von beiden würde ihn jemals betrügen.

Doch er hatte emotional reagiert und seinen Frust an den beiden Menschen ausgelassen, die ihm am wichtigsten waren. Weil er ein jähzorniger Hitzkopf war, der dazu neigte, die Personen, die ihm nahestanden, anzugreifen.

Gott, er musste sich in den Griff bekommen. Und auf der Stelle damit anfangen.

»Du sagst, dass du mich liebst, aber dein Verhalten spricht eine andere Sprache«, fuhr Bethany mit leiser, resignierter Stimme fort. »Worte allein haben keine Bedeutung. Deine Aktionen und Reaktionen sind das Einzige, worauf es ankommt. Was stimmt nicht mit dir? Du hast noch nicht mal gefragt, warum Ash hergekommen ist. Was er hier wollte. Das Einzige, was du gefragt hast, und das mit dieser harten, anklagenden Stimme, war, was zur Hölle hier vor sich geht. Dabei wolltest du noch nicht mal wirklich eine Antwort auf die Frage. Es war mehr ein Aha! Ich hab euch in flagranti erwischt!«

Jace schloss die Augen. »Es tut mir so leid, Baby. Ich weiß verdammt genau, dass ich euch nicht bei irgendwelchen Heimlichkeiten ertappt habe. Ich wusste es auch vorhin schon. Ich war in mieser Stimmung, weil ich einen beschissenen Tag hatte, und das habe ich an dir und Ash ausgelassen.«

»Entschuldige dich bei ihm«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Du hast ihm eine entsetzliche Kränkung zugefügt. Er ist dein bester Freund. Ihr seid seit zwanzig Jahren beste Freunde. Mich kennst du erst seit ein paar Wochen, darum kann ich dir vermutlich nicht mehr Vertrauen abverlangen. Aber was du von ihm gedacht hast, war das Allerletzte.«

»Ich weiß, Baby, ich weiß. Und ich werde mich definitiv bei ihm entschuldigen, aber zuerst muss ich das mit dir in Ordnung bringen.«

»Das kannst du nicht in Ordnung bringen«, entgegnete sie bekümmert. »Du kannst hundertmal behaupten, dass du mich liebst und mir vertraust, dadurch wird es nicht wahrer.«

»Was soll das heißen?«, fragte er und war vor Angst wie gelähmt.

»Dass ich meine Sachen packen und gehen werde. Und, nein, ich werde mich nicht irrational verhalten und einfach weglaufen. Aber ich kann hier nicht bleiben. Jetzt nicht mehr. Ich werde in das andere Apartment zurückkehren. Jack benutzt es sowieso nicht. Anschließend überlege ich mir, wie es weitergehen soll.«

Sie wollte sich ins Schlafzimmer zurückziehen, doch er hielt sie am Arm fest und zog sie ungestüm an seine Brust.

»Nein, du wirst nicht gehen«, sagte er mit wilder Entschlossenheit. »Du gehst nirgendwohin. Wir hatten dieses Thema doch schon, Baby. Du bleibst und kämpfst. Bewirf mich mit Dingen. Schrei mich an. Tu, was immer du tun musst. Aber du wirst bleiben und um das, was wir haben, kämpfen.«

Ihr Blick war tief betrübt, als sie ihn direkt ansah.

»Was soll es mir bringen zu kämpfen, wenn du es nicht auch tust?«

Jace schnappte nach Luft. Dann verstärkte er den Griff seiner Hände an ihren Schultern und presste die Finger gegen ihren Körper, damit sie nicht zitterten.

»Du gehst heute Nacht nirgendwohin«, wiederholte er grimmig. »Es ist kalt, und es schneit. Du bleibst hier, wo du in Sicherheit bist.«

Bethany schloss die Augen und wandte seufzend das Gesicht ab. »Na gut. Ich werde auf der Couch schlafen.«

»Den Teufel wirst du tun.«

Er griff an das Halsband und schnippte gegen den Diamanten.

»Du schläfst in meinem Bett. Das ist nicht verhandelbar. Du wirst auf keinen Fall auf der verflixten Couch schlafen.«

Ihre Schultern sackten noch tiefer, dann befreite sie sich aus seinem Klammergriff. Wortlos verschwand sie im Schlafzimmer und ließ Jace, der sich von Sekunde zu Sekunde mehr über sich selbst ärgerte, zurück.

Verdammt. Er musste Ash erwischen, bevor diese Sache außer Kontrolle geriet. Er hatte sich wie der letzte Vollidiot aufgeführt. Er würde Bethany eine Verschnaufpause gönnen, unterdessen Ash aufspüren, sich bei ihm entschuldigen und hierher zurückkehren, nachdem sich die Gemüter beruhigt hatten. Anschließend würde er katzbuckeln und bei allem, was ihm heilig war, schwören, in Zukunft seine verdammte Klappe zu halten.

Er zog sein Handy heraus und wählte Ashs Nummer.

»Was zum Teufel willst du?«, fragte Ash barsch.

Seine Stimme klang so aufgebracht, dass Jace zusammenzuckte.

»Bist du weit weg?«

»Ich steige gerade in den Wagen.«

»Tu das nicht. Lass ihn Runden um den Block drehen. Ich bin sofort unten. Wir treffen uns in der Lobby.«

»Fick dich.«

»Tu es einfach, Ash«, bat Jace ihn. »Wir wissen beide, dass ich mich wie ein Arschloch benommen habe. Ich lasse nicht zu, dass du so angepisst nach Hause fährst.«

»Zu spät«, fauchte Ash.

»Ich bin in zwei Minuten unten.«

Er unterbrach die Verbindung und hoffte, dass Ash nicht so angefressen war, dass er sich weigern würde, wieder nach drinnen zu kommen. Er fühlte sich schon jetzt wie der größte Trottel auf Erden.

Jace hastete in den Aufzug und fuhr nach unten in die Lobby. Dort angekommen positionierte er sich so, dass er es mitbekommen würde, falls Bethany zu türmen versuchte. Er schaute zum Eingang, dann fiel ihm ein riesiger Stein vom Herzen, als sein Freund wieder durch die Tür kam.

Ash entdeckte Jace, und sein Gesicht verfinsterte sich merklich, während er auf ihn zuhielt.

»Was ist eigentlich dein verdammtes Problem, Mann?«, zischte er. »Ich kann einfach nicht glauben, was für eine beschissene Nummer du da eben abgezogen hast. Abgesehen davon, dass du mich tierisch beleidigt hast, musstest du auch noch Bethany fertigmachen. Eine Frau, die nichts weiter verbrochen hat, als dich zu lieben und deine ständigen Ausraster zu erdulden. Möchtest du vielleicht noch mal drüber reden, was für ein Arschloch du neulich warst? Oder lieber über die Scheiße, die du gerade über uns ausgekübelt hast?«

Jace hob abwehrend die Hände. »Es tut mir leid, Ash. Ich weiß, dass zwischen euch nichts läuft. Wirklich. Daran zweifle ich nicht ansatzweise. Ich muss auch nicht erfahren, was zwischen euch vorgefallen ist, denn ich bin ganz sicher, dass es völlig harmlos war. Ich hatte einen beschissenen Tag, darum wollte ich nur noch heim zu Bethany, aber als ich reinkam und sah, dass du sie berührst und sie dich anlächelt … Gott, mich hat sie seit Tagen nicht mehr so angelächelt. Sie hat übers ganze Gesicht gestrahlt, sie sah so glücklich und atemberaubend schön aus, dass es wehtat, sie anzuschauen. Da bin ich einfach ausgerastet. Das war dumm von mir. Ihr hattet das beide nicht verdient. Ich habe meinen Ärger und meinen Frust an euch ausgelassen.«

Ash starrte ihn einen langen Moment wortlos an. »Diese Scheiße muss aufhören«, sagte er schließlich. »Das war das zweite Mal, dass du mich auf diese Weise attackiert hast. Ein drittes Mal lasse ich dir nicht durchgehen.«

»Das verstehe ich voll und ganz.«

»Was sollte das bloß, Mann? Dachtest du wirklich, sie würde dich hintergehen? Oder ist es einfach nur deine kranke Art, uns dafür zu bestrafen, dass wir in jener ersten Nacht Sex miteinander hatten? Weil sie das nämlich nicht verdient hätte. Bethany hat nichts weiter getan, als das Angebot, das wir ihr offeriert haben, anzunehmen, trotzdem lässt du sie seitdem in einer Tour dafür büßen. Wenn du schon jemandem die Schuld geben musst, dann gib sie dir selbst. Wärst du von Anfang an ehrlich gewesen, hätte diese Nacht nicht stattgefunden und du müsstest dich, wenn du sie ansiehst, nie daran erinnern, wie ich sie genommen habe.«

Ashs schonungslose Feststellung schlug Jace gewaltig auf den Magen, doch sein Freund hatte recht. Zu hundert Prozent sogar. Die Sache war vielleicht etwas komplizierter, trotzdem hatte Ash etwas erkannt, das Jace erst jetzt klar wurde. In gewisser Weise ließ er Bethany tatsächlich für etwas büßen, das sie noch nicht mal selbst verschuldet hatte. Er ertrug es nicht, sie und Ash zusammen zu sehen, weil es ihn an jene Nacht erinnerte. Zwar hatte er heute in seinem Büro mit Ash darüber scherzen können, aber das lag nur daran, dass Bethany nicht dabei gewesen war.

»Nein, ich glaube nicht, dass sie mich hintergehen würde«, sagte Jace ruhig. »Und du hast recht. Sie verdient das nicht. Du verdienst das nicht. Ich konnte dich nicht heimfahren lassen, ohne mich bei dir zu entschuldigen. Ich möchte nicht, dass diese Sache noch länger zwischen uns steht.«

»Wenn du das nicht möchtest, dann musst du Kompromisse eingehen, Jace. Weil Bethany und ich nämlich darüber hinweg sind. Wir haben unseren Frieden mit dem, was geschehen ist, gemacht und sehen nach vorn. Allerdings ist es ihr noch immer entsetzlich peinlich, wodurch das, was du getan hast, noch schlimmer wird. Wir haben uns ausgesprochen. Das war es, was wir getan haben, als du reingestürmt kamst und dich wie ein Steinzeitmensch aufgeführt hast.«

Jace zog die Brauen zusammen. »Was meinst du damit, ihr habt euch ausgesprochen?«

»Ich habe ihr gesagt, dass sie sich in meiner Gegenwart nicht unbehaglich fühlen muss und dass ich möchte, dass wir Freunde werden. Ich weiß, wie sie mich ansieht, wenn wir uns begegnen, wie unangenehm ihr das ist. Ihr beide seid jetzt ein Paar, darum fand ich es wichtig, diese Sache aus der Welt zu schaffen, damit die Situation zwischen uns so normal und locker wie möglich wird. Das war es, wobei du mich ertappt hast, Jace. Und nicht dabei, wie ich deine Freundin angrabe.«

Jace rieb sich die Schläfen. »Es tut mir leid. Ich habe es mal wieder verbockt. Das scheint momentan das Einzige zu sein, was ich kann.«

»Und warum bist du jetzt hier unten, um dich bei mir zu entschuldigen, obwohl du eigentlich Bethany um Verzeihung anflehen müsstest?«

Jace atmete bedächtig aus. »Sie ist sauer auf mich.«

»Verständlicherweise.«

»Ja, absolut.«

»Also, warum bist du dann nicht bei ihr?«, ließ Ash nicht locker. »Sag mir nicht, dass du sie aufgibst. Denn solltest du das tun, verspreche ich dir hier und jetzt, dass ich deinen Platz einnehmen und mich nicht wie das letzte Arschloch aufführen werde.«

Jace’ Nasenflügel flatterten. »Was soll das heißen? Also hast du doch Gefühle für sie.«

Ash schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, dass sie eine schöne, begehrenswerte, unglaublich süße Frau ist. Allein dadurch hebt sie sich schon kilometerweit von den Weibern ab, mit denen wir uns sonst vergnügen. Ich wäre absolut zufrieden damit zu sehen, wohin unsere Beziehung führt. Dass wir im Bett kompatibel sind, das weiß ich ja bereits.«

»Fick dich«, knurrte Jace.

Ash grinste verschmitzt. »Dann solltest du vielleicht deinen Hintern in den Aufzug schwingen und dafür sorgen, dass sie dich nicht in den Wind schießt.«

Jace wich seinem Blick aus. »Dieses Mal ist irgendetwas anders. Bethany wirkt nicht so sehr wütend, sondern eher … besiegt. Das jagt mir eine höllische Angst ein. In ihren Augen standen Tränen, aber sie hat versucht, das vor mir zu verbergen, als wollte sie mich nicht auf diese Weise manipulieren. Sie kam mir so resigniert, so sachlich vor. Dieses Mal bin ich zu weit gegangen, Ash. Vertrauen war schon früher ein Thema zwischen uns. Meine Zunge war mal wieder schneller als mein Verstand. Ich habe Bethany zur Schnecke gemacht und gemeine Dinge gesagt, die ich nicht so gemeint habe, und sie damit verletzt. So, wie ich sie schon neulich verletzt habe. Ich bin nicht sicher, ob sie mir dieses Mal so schnell vergeben wird.«

»Nun, das wirst du erst rausfinden, wenn du deinen Allerwertesten nach oben schaffst«, bemerkte Ash ruhig.

»Sind wir noch Freunde?«, fragte Jace leise.

Ashs Schultern hoben und senkten sich, als er tief durchatmete. »Ja, Mann, wir sind noch Freunde. Aber ich schwöre bei Gott, ein drittes Mal kommst du mit dieser Scheiße bei mir nicht durch.«

Jace nickte und reckte die Faust in die Luft. Ash stieß seine dagegen. So hart, dass Jace fast vor Schmerz das Gesicht verzog, als Ashs Knöchel auf seine krachten.

»Und jetzt kümmere dich um dein Mädchen«, befahl Ash. »Andernfalls tue ich es.«

Jace sah ihn finster an, und Ash lachte.

»Ich wusste, dass dich das motivieren würde«, bemerkte er belustigt.

Jace boxte ihn gegen den Arm, dann drehte er sich zum Aufzug um. »Bis später, Kumpel.«

»Lass mich wissen, wie es mit Bethany läuft.«

»Versprochen.«

Als Jace ins Schlafzimmer trat, stellte er fest, dass Bethany bereits im Bett lag. Sie hatte sich zu einem Ball zusammengerollt, ihr Rücken zeigte zur Bettmitte, ihr Gesicht war abgewandt.

Außerdem trug sie einen Pyjama, obwohl sie im Bett sonst nie etwas anhatte. Das war eine seiner Regeln – und die erste, gegen die sie demonstrativ verstoßen hatte.

Jace seufzte, wohl wissend, dass er sie nicht ins Gebet nehmen würde, weil sie sich seinem »Keine Kleidung im Bett«-Diktat nicht unterworfen hatte.

Er zog sich aus und glitt neben sie. Dann rutschte er näher heran, bis ihr Rücken seine Brust berührte, schlang einen Arm um sie und zog sie fester an sich.

Sie wurde stocksteif vor Anspannung.

»Wir müssen reden, Baby.«

Bethany schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht heute Nacht. Ich habe dir nichts zu sagen. Ich bin zu durcheinander, und am Ende werfen wir uns nur Dinge an den Kopf, die wir hinterher bereuen. Ist es nicht das, von dem du behauptest, dass es dir regelmäßig passiert? Dass du Sachen sagst, die du nicht so meinst? Ich würde zur Abwechslung gern mal etwas hören, das du tatsächlich so meinst. Ich bin es leid zu mutmaßen. Ich bin es leid, auf Samtpfoten um dich herumzuschleichen und nie zu wissen, wie du etwas aufnehmen, wie du reagieren oder auf welche abstruse Weise du etwas interpretieren wirst, das absolut bedeutungslos ist.«

Seufzend küsste Jace ihre Schulter, dann ließ er die Lippen auf ihrer Haut verweilen.

»Du hast gar nichts gegessen. Es ist noch früh.«

»Ich bin nicht hungrig«, entgegnete sie tonlos. »Bitte, Jace, lass mich einfach allein. Ich werde nicht weglaufen. Iss du etwas, oder tu, worauf immer du Lust hast, aber lass mich diese Sache allein verarbeiten.«

Er löste sich von ihr, rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke.

»Es bedrückt mich zu sehen, wie du hier liegst und leidest, weil ich dich verletzt habe, Baby.«

Bethany antwortete nicht, aber er bemerkte das leichte Beben ihrer Schultern und fluchte im Stillen. Sie weinte. Und sie wollte allein gelassen werden. Sie wollte sich nicht trösten lassen, wollte nicht, dass er sie in den Arm nahm, wollte nicht von ihm gehalten werden.

Jace kniff die Augen zu. Er hatte es dermaßen vermasselt. Schlimmer noch als beim letzten Mal. Wann würde er je damit aufhören?

Wie sollte er morgen zur Arbeit gehen, gelähmt von der Angst, Bethany könne verschwinden, sobald er außer Sichtweite war?

Er konnte so nicht weitermachen. Und er wusste, dass sie es auch nicht konnte. Er zerstörte sie mit seinem Misstrauen. Dabei vertraute er ihr doch eigentlich.

Vielleicht war das hier die Folge davon, dass ihre Beziehung erst wenige Wochen alt war. Jedes Paar musste sich erst zusammenraufen, oder? Er hatte ein schnelles Tempo vorgelegt, das wusste er. Die meisten Menschen dehnten die Ausgeh- und Kennenlernphase länger aus, als er das getan hatte. Doch wenn er etwas wollte, hatte er sein Ziel schon immer mit unbeirrbarer Entschlossenheit verfolgt. Bethany bildete da keine Ausnahme.

In dem Wissen, dass er niemals so früh Schlaf finden würde, stand Jace auf. Bethany wandte ihm weiterhin den Rücken zu, aber sie war eindeutig noch wach. Ihr Körper war viel zu steif, als dass sie eingeschlafen sein konnte.

»Ich gehe in die Küche und mache mir was zu essen«, sagte er sanft. »Ich würde mich freuen, wenn du mir Gesellschaft leistest. Ich kann dir auch etwas ans Bett bringen.«

Bethany schniefte leise, und sein Herz zog sich zusammen. Verdammt. Sie weinte noch immer.

Angst und Zerknirschung lagen miteinander im Wettstreit, als er sich umdrehte und das Schlafzimmer verließ. Er hatte gesagt, dass er ihr vertraute. Dazu gehörte auch, ihr den Freiraum zu lassen, die Dinge auf ihre Weise zu verarbeiten. Solange sie es in seiner Wohnung, in seinem Bett, in seiner Nähe tat, kam er damit zurecht. Er hatte gesagt, dass er ihr vertraute. Es war an der Zeit, ihr zu beweisen, dass er es auch so meinte.

Jace machte sich ein Sandwich, wenn auch mehr, um sich zu beschäftigen als aus Appetit. Er dachte an die Zeit zurück, als Gabe Mia schrecklich enttäuscht hatte. Sie hatte Jace damals gesagt, dass Gabe jede Hoffnung darauf, sie zurückzugewinnen, begraben könne, es sei denn, er würde einen Kniefall vor ihr machen. Und er hatte einen Kniefall gemacht. Er hatte sich vor halb New York City zum Affen gemacht, um Mia zurückzubekommen.

Jace hatte es damals nicht ganz verstanden. Er hatte Gabes Verhalten ein bisschen zu melodramatisch gefunden, aber inzwischen konnte er seinem Freund die Verzweiflung, die er empfunden hatte, nachfühlen. Auch Jace würde einen Kniefall machen. Er würde tun, was immer nötig war, um Bethany zum Bleiben zu bewegen.

Nachdem er Stunden damit verbracht hatte, sich jedes einzelne Wort, das er sagen wollte, zurechtzulegen, kehrte er ins Schlafzimmer zurück, nur um festzustellen, dass das Licht aus war. Bethany war extra aufgestanden, um das Zimmer zu verdunkeln. Als er sich ins Bett legte, konnte er ihre tiefen Atemzüge hören, aber was ihn am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass sie selbst im Schlaf noch leise hickste, was darauf hindeutete, dass sie eine ganze Weile geweint haben musste.

Jace kuschelte sich an sie und inhalierte ihren süßen Duft. Er vergrub das Gesicht in ihren Haaren, legte den Arm um ihre Mitte und schmiegte sie an seinen Körper.

Der Schlaf ließ lange auf sich warten, und als er endlich kam, war er erfüllt von gespenstischen Visionen eines Lebens ohne Bethany.