19. KAPITEL

Der Juni war tropisch heiß. Für Cooper begannen die Sommerferien, und das Restaurant lief gut. Ein Reporter aus Atlanta schrieb einen Artikel über Miss Reva’s, und kurz darauf bekamen sie die ersten Reservierungen aus der großen Stadt.

Reva dachte darüber nach, jemanden einzustellen, um den dritten Stock fertig zu renovieren, um ein paar mehr Tische aufzustellen. Doch irgendwie kam sie nie dazu. Der dritte Stock gehörte Dean.

Mitte Juni bekam sie einen Brief mit einem Zeitungsausschnitt. Zuerst dachte sie, es wäre der Artikel übers Restaurant, weil er aus Atlantas Tageszeitung stammte. Doch es war eine kleine Nachricht darüber, dass ein Frauenhaus in der Stadt eine anonyme Spende erhalten hatte. Ein paar Tage später kam ein weiterer Ausschnitt ähnlichen Inhalts. Diesmal war ein Anti-Drogen-Zentrum mit einer großzügigen Summe bedacht worden.

Einmal kam Ben vorbei, freundlich wie immer. Doch er hatte seine gute Laune nicht mal verloren, als sie seine Einladung zum Abendessen in Cross City ablehnte. Und ausnahmsweise lobte er Dean Sinclair in höchsten Tönen. Offenbar hatte Dean es hinbekommen, dass sein Polizeirevier Geld von der Bundesbehörde bekam, um das völlig veraltete Computersystem zu modernisieren.

Reva hatte die Zeitungsausschnitte abgeheftet, zusammen mit dem Sparbuch, das eine Woche später eintraf. Diesmal hatte Dean eine Notiz beigefügt.

Ich habe alles genau überprüft. Niemand hat je Anzeige wegen des Geldes erstattet oder es als gestohlen gemeldet. Es stammt wohl aus einem Drogendeal, und ich dachte mir, es sollte zumindest einem guten Zweck zugeführt werden. Das meiste habe ich gespendet, wie Du gesehen hast, aber einen kleinen Teil solltest Du für Coopers Ausbildung zurücklegen. Ob Steuereintreiber oder Baseballspieler, der Junge braucht einen guten Start. Denk darüber nach.

Das Sparbuch war auf Cooper ausgestellt.

Sie vermisste Dean mehr, als sie erwartet hatte. Natürlich waren die ersten Wochen besonders schwer. So viele Kleinigkeiten erinnerten sie an ihn.

Trotzdem tat es ihr nicht leid, dass sie ihrem Herzen gefolgt war.

„Mom!“ Cooper kam ins Büro gestürmt, atemlos und hochrot vor Aufregung. „Komm! Das musst du sehen!“

Er drehte sich um und rannte die Treppen wieder hinunter. Zum Glück waren die ersten Gäste noch nicht eingetroffen, wenn auch schon geschäftiges Treiben herrschte. Miss Edna war aufgeregt, weil sie eine Zwölfergruppe erwartete. Eine Familie namens Taggert, die ausdrücklich um Reva als Gastgeberin gebeten hatte.

Reva folgte Cooper in den Garten. Er war schon weit voraus, blickte sich aber immer wieder zu ihr um, und blieb sogar einmal stehen, um sie zur Eile anzutreiben.

Er rannte den Bürgersteig entlang zur Kirche und durch den kleinen Park direkt zum Spielplatz. Ein schwarzer Pick-up parkte in der Nähe, sowie eine Reihe anderer Autos mit Nummernschildern aus Alabama und Georgia.

Ein weiterer Truck stand direkt neben dem Spielplatz, und vier Männer entluden Bretter und halbe Baumstämme. Cooper und Terrance standen in der Nähe und hüpften vor Aufregung auf und ab.

Als sie helles Lachen hörte, drehte Reva sich um und sah drei Frauen, die auf einer Decke im Schatten saßen, umgeben von vier Kindern. Ein dunkelhaariger kleiner Junge, ein rotblondes Mädchen im Krabbelalter und zwei Säuglinge. Zwillinge. Als Mary zu ihr aufblickte, erkannte Reva sie sofort wieder.

Sie betrachtete die Männergruppe genauer und sah Clint. Dann hob Dean den Kopf.

„Ganz ruhig, Reva“, redete sie sich gut zu. „Er ist nur gekommen, um das Fort zu bauen, das ist alles. Er ist nicht deinetwegen hier.“

Doch dann kam er auf sie zu, als wäre er ihretwegen hier, etwas verlegen lächelnd und mit zögernden Schritten. Er trug, wie alle anderen, Jeans, T-Shirt und Stiefel. Allerdings kein Black & Decker-Emblem diesmal, sondern das Abzeichen des Football-Teams von Atlanta.

„Was machst du hier?“, fragte sie geradeheraus.

„Meinen Picknickkorb bezahlen“, sagte er gelassen. „Ich habe mir ein paar Hilfskräfte angeheuert.“

„Das sehe ich.“ Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als er einen Arm um sie legte und mit der anderen Hand auf die arbeitenden Männer zeigte.

„Clint kennst du schon. Der, der aussieht, als wüsste er, was er tut, ist Nick, mein Schwager. Der Kerl mit den langen Haaren ist mein Bruder Boone.“ Er wandte sich den Frauen zu. „Mary hast du getroffen. Die dunkelhaarige Schönheit ist meine Schwester Shea und ihr Sohn Justin. Das hier ist Jayne“, er deutete auf die Frau, die versuchte, das rothaarige Mädchen zu bändigen, „Boones Frau mit ihrer Tochter Miranda.“

„Du hast die ganze Familie mitgebracht“, bemerkte Reva überflüssigerweise.

„Jawoll.“

„Um ein Fort zu bauen.“

Dean beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie. Diesmal zögerte er nicht, obwohl die ganze Familie sie sehen konnte. „Unter anderem.“

Er zog eine Fotografie aus der Tasche, die klein zusammengefaltet war, und reichte sie ihr wortlos. Sie faltete sie auseinander. Das Bild zeigte ein Haus, das im Stil ihrem Restaurant ähnelte. Es hatte nur zwei Stockwerke, doch ein beeindruckender Balkon lief um das ganze Obergeschoss. Ganz eindeutig musste es renoviert werden, doch es schien eine solide Substanz zu haben.

„Das Haus steht in einer kleinen Stadt in der Nähe von Atlanta“, sagte er.

„Es ist wirklich hübsch.“

„Ich habe es gekauft“, sagte Dean.

„Du hast was?“ Sie hatte gewusst, dass er nicht bleiben würde, doch in einer Ecke ihres Herzens hatte sie es doch immer gehofft. Ein Haus zu kaufen, das so weit entfernt lag, war der Beweis dafür, dass er nie nach Somerset zurückkehren würde.

„Ich habe es gekauft und bereits mit der Renovierung begonnen.“

„Also hast du doch das Zeug zum Handwerker.“ Sie versuchte, es ihrer Stimme nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht sie war.

Er nickte. „Sieht wohl so aus.“ Er zog sie in den Schatten eines alten Baumes, wo die anderen sie nicht sehen konnten. „Ich habe immer gesagt, dass ich nicht hier bleiben kann.“

„Ich weiß.“

„Und das ist auch immer noch so“, fuhr er fort. Er nahm ihre Hand und verschränkte die Finger mit ihren. „Ich bin gut in meinem Job, und auch wenn ich manchmal denke, dass ich gegen Windmühlen ankämpfe, bewirke ich doch etwas. Das kann ich nicht aufgeben, nur weil ich dachte, mir bricht das Herz, als ich die Stadt verließ.“

Sie drückte seine Hand.

„Aber vielleicht kannst du mit mir kommen.“

Reva setzte zu einer Antwort an, doch Dean fuhr bereits fort. „Das Haus, das ich gekauft habe, steht nördlich von Atlanta, etwa zwei Stunden von hier entfernt. Wir könnten jedes Wochenende herkommen, Tewanda würde das Management für das Restaurant hier übernehmen, und wenn du ein zweites eröffnen willst …“

Reva stellte sich auf die Zehenspitzen und brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen. Allein seine Lippen auf ihren zu spüren, fühlte sich an wie eine Heimkehr. Als sie sich gerade bewusst geworden war, wie sehr sie ihn vermisst hatte, löste er sich von ihr. „Die Schulen sind gut, und es gibt ein Jugend-Baseballteam. Und Fußball.“

Reva schlang die Arme um ihn. „Du hast mich doch schon überzeugt. Wir werden eine Lösung finden, mit der wir leben können.“

„Auf jeden Fall.“ Er beugte sich zu ihr hinunter und legte seine Stirn an ihre. „Ich liebe dich.“

„Und ich liebe dich.“

„Heirate mich.“

„Ja.“

Er griff in seine Tasche und zog ein kleines, samtbezogenes Kästchen hervor, öffnete es und zeigte ihr den Ring. Er war ein Solitär-Diamantring in einer antiken Fassung, und als er ihn ihr überstreifte, passte er perfekt.

„Ich brauche aber etwas Hilfe beim Tapezieren des neuen Hauses“, sagte er verschmitzt.

Reva lachte und umarmte ihn. Er war zurückgekommen.

„Du hast die gesamte Familie mitgebracht, um mir einen Heiratsantrag zu machen“, sagte sie.

„Ich dachte mir, du solltest gleich wissen, auf was du dich einlässt“, sagte er. Er legte einen Arm um sie und betrachtete seine Verwandten. „Eine Sinclair zu sein ist keine leichte Aufgabe. Offenbar geraten wir andauernd in Schwierigkeiten.“

„Aber ihr habt euch doch alle ganz gut geschlagen“, lächelte sie.

„Ja, sieht so aus, was?“

Sie standen nebeneinander und genossen den Moment, die Sonne, die durch die Zweige schien und das wunderbare Gefühl in ihren Herzen.

Die anderen Männer arbeiteten weiter, die Frauen beschäftigten sich mit den Kindern, mit denen Cooper und Terrance sich bereits anzufreunden begannen. Nach ein paar friedlichen Minuten zuckte Reva zusammen. „Oh nein, ich muss zum Restaurant zurück. Wir haben eine große Gästegruppe, für die ich die Gastgeberin machen soll und …“

„Taggert, zwölf Personen“, sagte Dean. Er deutete auf seine Schwester. „Sie hat einen Taggert geheiratet.“

Reva zählte durch. „Fehlt noch jemand? Es sind nur elf.“

„Cooper sollte sich doch mit seiner neuen Familie bekannt machen, meinst du nicht?“

Er hatte an ihren Sohn gedacht, noch bevor sie seinen Antrag angenommen hatte.

Noch nie hatte Reva mit so einer großen Familie zu tun gehabt, und auf einmal wurde sie ein wenig nervös.

„Komm“, sagte Dean und setzte sich in Bewegung, den Arm noch immer um sie gelegt. „Lass mich dich ihnen vorstellen.“

„Jetzt?“ Reva zögerte. „Ich sollte mich umziehen, Make-up auflegen, mich kämmen …“ Doch Dean ging zielstrebig vorwärts. „Was, wenn sie mich nicht mögen?“, platzte sie schließlich heraus.

„Sie werden dich lieben, das verspreche ich dir.“

„Das kannst du doch gar nicht wissen.“

„Ich liebe dich, also werden sie es auch tun. Wenn es ein Problem gibt, weiß ich schon, wie ich sie herumkriege.“

Dean blieb stehen, umarmte sie und grinste. „Falls du es nicht bemerkt hast, gibt es in der Familie einen Jungenüberschuss. Cooper verstärkt die Männermannschaft nur noch. Jayne hat Angst, dass Miranda keine Cousinen haben wird, mit denen sie Streiche aushecken kann, und Shea und Mary verlangen dringend nach Verstärkung.“

Seine Lippen streiften ihr Ohr, als er flüsterte: „Was meinst du, sollten wir darauf hinarbeiten, Cooper eine kleine Schwester zu bescheren?“

Sie nickte lächelnd.

„Nun komm“, sagte Dean und nahm ihre Hand. „Außerdem gibt es noch einen zweiten Grund, warum alle nur zu glücklich sein werden, dich in die Familie aufzunehmen.“

„Und der ist?“

Dean grinste breit. „Ich habe ihnen gesagt, dass du dieses Jahr das Thanksgiving-Essen kochst.“

Sie lachte. „Thanksgiving ist im Oktober! Du planst langfristig, was?“

Er nickte etwas verlegen. „Jawohl. Ist das schlimm?“

Reva atmete tief durch und ging dann furchtlos ihrer neuen Familie entgegen. „Kein bisschen.

– ENDE –