16. KAPITEL
Cullen starrte Biddy an. Er sah, wie sich ihre Lippen bewegten, vernahm aber kaum, was sie sagte. Er war zu sehr damit beschäftigt zu überlegen, wie er sie davon abhalten konnte, den Weg zu ihrer Kammer fortzusetzen. Immerhin hatte er sie zumindest vorübergehend aufhalten können, indem er sie gefragt hatte, ob sie wisse, wie sich die Brandmale auf dem Boden des Wohngemachs entfernen ließen. Biddy war ihm in dieses gefolgt und hatte seitdem nicht aufgehört zu reden. Doch sie würde ihre diversen Vorschläge bald unterbreitet haben, und dann musste Cullen sich etwas anderes einfallen lassen, um sie daran zu hindern, in ihr Gemach zu gehen.
»So sollte es gehen«, beendete Biddy ihre Ausführungen und schaute dann kurz zu der Ecke hinüber, in welcher der hölzerne Kronleuchter hing, bevor sie ihren Blick abrupt löste und sich zur Tür wandte. »Ich sollte längst wieder in der Küche sein und wollte nur eben meine Schürze aus meiner Kammer holen«, verkündete sie. »Die Köchin sagte, wir hätten keine Pasteten mehr, und deshalb will ich schnell ein frisches Blech backen.«
»Nay«, sagte Cullen bestimmt und trat ihr in den Weg, als sie an ihm vorbeigehen wollte.
Biddy stockte und hob die Brauen. »Nay?«, fragte sie erstaunt.
»Nay«, wiederholte er und fragte sich verzweifelt, was er dem Nay als Erklärung folgen lassen sollte. »Ich möchte, dass Ihr mich heute zu den Comyns begleitet, Tante«, stieß er dann hastig hervor.
»Zu den Comyns?«, fragte Biddy überrascht.
»Aye«, bekräftigte er. »Jemand versucht, meine Gemahlin umzubringen, und ich möchte herausfinden, wer dahintersteckt. Ich habe einige Fragen bezüglich Jenny und Darach und hoffe, dass Ihr und Ellie Comyn mir die Antworten liefern könnt.«
Biddy zuckte zurück, als habe er sie geschlagen. Alle Farbe wich ihr aus den Wangen. Sie sagte jedoch nichts, sondern glitt an ihm vorbei in die Halle hinaus. Erschrocken stürmte Cullen ihr nach, doch die Frau war für ihr Alter erstaunlich flink. Sie hatte die wenigen Schritte bis zu ihrer Kammer bereits zurückgelegt und stieß die Tür auf, bevor er sie noch am Kleid packen konnte.
Cullen erstarrte, als die Tür aufging, und erwartete, dass Biddy aufschreien würde, doch alles, was sie sagte, war: »Dann werde ich mich reisefertig machen.«
Die Tür schlug hinter ihr zu. Cullen zögerte, unschlüssig, ob er ihr folgen sollte, doch kein Laut aus dem Innern der Kammer deutete darauf hin, dass Evelinde entdeckt worden war. Nicht einmal ein Flüstern war zu hören. Stirnrunzelnd trat er näher und presste sein Ohr gegen das Holz, und so fand ihn Biddy, als sie die Tür erneut öffnete.
Cullen richtete sich schuldbewusst auf und trat zurück.
»Hast du Angst, ich würde fliehen?«, fragte Biddy spöttisch, während sie aus der Kammer trat und ihren Umhang anlegte. Kopfschüttelnd wandte sie sich in Richtung Treppe. »Für derlei Unfug bin ich zu alt, Neffe. Es ist an der Zeit, dass alles ans Licht kommt.«
Cullen blickte ihr entgeistert nach. Bei ihren Worten war ihm ein Schauer über den Rücken gelaufen. Er hatte seine Tante Biddy immer gemocht. Diese Frau machte die besten Pasteten Schottlands, verdammt, und hatte ihm und Tralin früher, als sie klein waren, immer welche zugesteckt. Aber was sie gerade gesagt hatte, ließ ihm das Herz schwer werden. Nun bangte er tatsächlich, dass Evelindes Vermutungen berechtigt sein könnten.
Als ihm seine Gemahlin in den Sinn kam, wandte er sich erneut der Tür zu Biddys Kammer zu. Sie musste sich versteckt haben, als sie gehört hatte, wie die Tür aufging. Er dankte Gott dafür, dass Evelinde so geistesgegenwärtig gewesen war, und bevor er ihr nun die Leviten las, würde er sie aus Biddys Kammer holen und in ihr eigenes Schlafgemach schaffen, um nicht zu riskieren, dass seine Tante zurückkehrte und sie beide hier fand. Und dann würde er seine Gemahlin mit nach unten nehmen und sie Gillie und Rory überantworten, mit dem ausdrücklichen Befehl, sie nicht aus den Augen zu lassen, unter Androhung der Todesstrafe – oder zumindest irgendeiner anderen ganz fürchterlichen Strafe. Welcher, das würde er entscheiden, wenn er gleich vor ihnen stand, beschloss Cullen, während er nach dem Türriegel griff.
»Kommst du nun oder nicht?«
Cullen ließ die Hand wieder sinken und sah sich um. Seine Tante war nicht wie geglaubt die Treppe hinuntergegangen, sondern wartete an der obersten Stufe ungeduldig darauf, dass er ihr folgte. Er zögerte kurz, entschied dann aber, dass Evelinde auch alleine sicher zurück ins Schlafgemach gelangen würde – besonders falls seine Tante tatsächlich die Mörderin war, wonach es im Moment aussah.
Also wandte er sich von der Tür ab und folgte Biddy hinab. Er ließ sie schon vor zu den Stallungen gehen, um Gillie und Rory noch aufzutragen, über seine Gemahlin zu wachen, sobald diese nach unten käme. Dann erklärte er Fergus schnell, dass er zu den Comyns reiten werde und er, Fergus, die Verantwortung habe, bis er zurück sei. Dann folgte er seiner Tante zu den Pferden.
»Was ist das?«
Evelinde, die sich das Haar kämmte, hielt inne und drehte sich um. Als sie sah, dass ihre Magd den Brief aus ihrer Rocktasche gezogen hatte, riss sie erschrocken die Augen auf.
»Nichts weiter«, erwiderte Evelinde rasch, legte die Bürste beiseite und eilte durch den Raum, um Mildrede den Brief wegzunehmen. Nachdem sie Biddys Kammer verlassen hatte, war Evelinde ins Schlafgemach zurückgekehrt. Erleichtert hatte sie festgestellt, dass noch immer keine Wachen in der Halle warteten. Als sie am Wohngemach vorbeigekommen war, hatte sie Stimmen gehört. Sie hatte hineingespäht und ihren Gemahl im Gespräch mit Biddy gesehen. Da Evelinde mit dieser allein sein wollte, wenn sie sie mit dem Gefundenen konfrontierte, hatte sie ihren Weg zum Gemach fortgesetzt, um sich zu waschen, umzukleiden und Biddy dann zur Rede zu stellen. Bis dahin, hatte sie gehofft, würde Cullen das Gespräch beendet haben und sich seinen alltäglichen Aufgaben widmen.
Sie war gerade wieder sicher im Schlafgemach angelangt und dabei gewesen, die Schnürung ihres Gewands zu lösen, als Mildrede eingetreten war und sich darangemacht hatte, ihrer Herrin beim Umkleiden und Frisieren zu helfen. Als sie das Kleid sah, das Evelinde trug, runzelte sie die Stirn in dem Glauben, sie kleide sich nicht um, sondern an. Sofort nötigte die Magd sie, das Gewand abzustreifen, wobei sie sich ohne Unterlass darüber ereiferte, was Evelinde sich nur dabei denke, in die Kleidung vom Vortag zu schlüpfen. Hatte sie, Mildrede, diese etwa nicht gestern Abend zusammengefaltet und beiseitegelegt, nachdem sie ihrer Herrin beim Auskleiden behilflich gewesen war? Die Empörung der Magd nahm noch zu, als Evelinde ihr gestand, dass sie sich noch nicht einmal gewaschen hatte. Mildrede hatte ihr eine Predigt gehalten, sie solle doch um Gottes willen nicht die barbarische Art dieser Schotten übernehmen, und Evelinde dabei das Unterkleid abgestreift und sie zu der Schüssel mit Wasser hinübergeschoben, auf dass sie sich wasche.
Evelinde hatte kurz erwogen zu erklären, was sie getan und warum sie das Gewand vom Vortag getragen hatte, doch als ihr einfiel, was sie in Biddys Kammer gefunden hatte, war ihr nicht mehr danach zumute gewesen. Zunächst wollte sie mit Biddy sprechen. Das, fand sie, war sie dieser schuldig.
»Soll ich Euch das Haar richten?«, fragte Mildrede.
Evelinde wollte gerade bejahen, als sie es sich anders überlegte und den Kopf schüttelte. Sie hatte sich gereinigt und angekleidet, während ihre Magd sich um die Kleider gekümmert hatte. Ihr Haar, befand Evelinde, war gut, wie es war. Sie mochte jetzt keine Zeit damit verschwenden, sich zu frisieren, sondern wollte die Unterredung mit Biddy so schnell wie möglich hinter sich bringen.
»Nay«, erwiderte sie also. »Ich werde es heute nicht hochstecken.« Sie legte sich das Schleiertuch, das sie als verheiratete Frau auswies, über das zu einem einfachen Zopf gebundene Haar.
Mildrede nickte. »Dann kommt, Mylady«, sagte sie. »Ihr müsst etwas essen.«
Den Brief fest umklammert, ließ sich Evelinde bereitwillig von ihrer Magd aus der Kammer geleiten.
»Ihr seid spät dran«, erklärte Mildrede, während sie die Treppe hinuntergingen. »Alle anderen haben ihr morgendliches Mahl bereits beendet. Wünscht Ihr an der Tafel zu sitzen oder mir am Kamin beim Sticken Gesellschaft zu leisten?«
Evelindes Blick glitt zur aufgebockten Tafel, von der aus Gillie und Rory ihr entgegensahen. Dann sah sie zu den beiden Stühlen am feuerlosen Kamin. Sie musste nicht lange nachdenken.
»Ich setze mich gern zu dir an den Kamin, aber ich hole mir mein Mahl selbst, Mildrede«, sagte sie. »Ich wollte ohnehin mit Tante Biddy reden.«
Mildrede nickte schweigend und ging zum Kamin, während Evelinde auf die Küche zuschritt. Sie stieß die Tür auf und trat in den stickigen Raum in der Erwartung, wie üblich Biddy dort vorzufinden, doch diese war nicht da.
»Oh, Mylady! Ihr wollt sicherlich etwas essen.«
Evelinde sah zur Köchin hinüber und lächelte. Die Frau hatte ein rotes Gesicht, schwitzte und wirkte erschöpft, aber so hatte sie stets ausgesehen, seit Evelinde sie zum ersten Mal gesehen hatte. Biddy schien wahrlich ein besseres Händchen für die Leitung der Küche zu haben als die Köchin selbst, für die diese Aufgabe eine ständige Belastung zu sein schien.
»Setzt Euch draußen an die Tafel, ich schicke Euch eine Magd mit allem Nötigen«, beschied die Köchin und wedelte Evelinde auf die Tür zu.
»Ich danke dir«, murmelte Evelinde, ließ sich aber nicht sofort vertreiben. »Wo ist Lady Elizabeth?«, fragte sie, anstatt zu gehen.
Die Köchin runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern. »Beim morgendlichen Mahl hat sie noch davon gesprochen, dass sie ihre köstlichen Pasteten backen will, aber seitdem hab ich sie nicht mehr gesehen. Sie taucht schon wieder auf, da bin ich sicher.«
Evelinde nickte und verließ die Küche. In der Halle fielen ihr Gillie und Rory ins Auge. Wenn die beiden dort saßen, seit Cullen nach unten gegangen war, mussten sie wissen, wohin Biddy gegangen war. Zugleich wunderte sie sich, dass ihre Wachen hier unten auf sie gewartet hatten, anstatt nach oben zu kommen und ihr zuzusetzen. Evelinde fragte sich, ob ihr Gemahl ihr tatsächlich einmal zugehört hatte, als sie ihn dafür gescholten hatte, seine Männer anzuweisen, auch dann im selben Raum mit ihr zu bleiben, wenn sie intime Dinge zu erledigen hatte, wie zu baden oder den Abort aufzusuchen. Sie hatte eigentlich nicht den Eindruck gehabt, dass er ihren Worten Bedeutung geschenkt hatte. Er hatte sie einfach so lange geküsst, bis sie vergessen hatte, dass sie ihm grollte, und dann hatte er ihre Aufmerksamkeit mit allerlei angenehmen Ablenkungen in Beschlag genommen.
Und heute Morgen hatte er ihr dann eröffnet, dass er sie liebe, rief sie sich ins Gedächtnis, was ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
Einer der Männer am Tisch lachte auf und riss Evelinde aus ihren Gedanken. Sie besann sich wieder auf das, was sie sich vorgenommen hatte – sie musste Biddy finden und mit ihr reden, und je früher, desto besser. Also straffte sie die Schultern und schritt hinüber zur Tafel. Dort saßen nicht länger nur Gillie und Rory; während Evelinde in der Küche gewesen war, hatte sich auch Fergus zu den beiden gesellt. Als Evelinde auf sie zuging, hörte sie die drei erneut über irgendetwas lachen.
»Habt ihr Lady Elizabeth gesehen?«, fragte Evelinde ohne Umschweife, als sie den Tisch erreicht hatte.
Die drei Schotten wandten sich ihr zu.
»Sie hat den Wohnturm kurz vor dem Laird verlassen«, erwiderte Gillie eilfertig.
Evelinde bedachte das Gesagte noch, als sie Fergus leise sagen hörte: »Heute ist Jennys Tag.«
Fragend hob Evelinde die Brauen. Als sie sah, dass die drei neugierig den Brief in ihrer Hand betrachteten, trat sie unbehaglich von einem Bein aufs andere. »Jennys Tag?«, fragte sie unsicher.
»Heute jährt sich der Todestag ihrer Schwester Jenny«, erklärte der alte Krieger und wandte den Blick vom Brief ab, um Evelinde anzusehen. »Lady Elizabeth legt an diesem Tag immer Blumen an Jennys Grab nieder.«
»Oh, ach so, danke«, murmelte Evelinde und wandte sich ab, um zu den Stühlen am Kamin zu gehen, wo sie Mildrede zuletzt gesehen hatte. Doch die Magd war nicht mehr dort. Da ihr Stickzeug aber noch da lag, musste sie bald zurück sein, dachte Evelinde geistesabwesend. Was sie weit mehr beschäftigte, war Cullens Tante. Evelinde wollte unbedingt mit ihr sprechen, wollte sie jedoch nicht an den Klippen stellen. Das war nun wirklich der letzte Ort, an dem sie Biddy gegenübertreten wollte. Cullens Vater und seine erste Ehefrau waren dort bereits umgekommen, und Evelinde spürte kein Verlangen danach, der dritte Todesfall an dieser Stätte zu werden.
Also würde sie warten müssen, bis Biddy zurückkehrte. Wenn sie töricht genug wäre, sich dort draußen umbringen zu lassen, würde die Schuld zweifellos ebenfalls Cullen zugeschoben werden, dachte Evelinde seufzend. Dann stockte sie, als ihr einfiel, dass sie womöglich doch gefahrlos bei den Klippen nach Biddy suchen konnte. Schließlich hatte sie im Gegensatz zu Cullens Vater und Maggie ihre beiden Wachen Rory und Gillie dabei, und die würden schon dafür sorgen, dass Evelinde sicher war.
Froh darüber, dass sie doch nicht würde warten müssen, um mit Biddy zu reden, wandte sich Evelinde wieder dem Tisch zu, doch ihr Lächeln schwand, als sie Fergus nun allein dort sitzen sah. Sie blickte zum Portal und sah gerade noch, wie Rory und Gillie hinausschlüpften und die Doppeltür hinter sich schlossen.
»Wohin wollen Gillie und Rory?«, fragte sie Fergus, während sie auf die Tafel zutrat.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Fergus. »Sie haben mich nur gebeten, einen Augenblick auf Euch aufzupassen. Warum? Braucht Ihr irgendetwas?«
Evelinde zögerte, unsicher, ob sie sich mit nur einem Mann zu den Klippen wagen sollte, kam sich dann aber albern vor. Immerhin war Biddy eine alte Frau. Sie mochte Cullens Vater überwältigt haben, indem sie diesen überraschte, und vielleicht war sie gerade noch so gegen Maggie angekommen. Aber Fergus und Evelinde zusammen würden doch gewiss mit ihr fertig werden – oder?
»Ich habe Darach umgebracht.«
Cullen riss an den Zügeln und starrte seine Tante an. Sie hatte die Worte leise gesprochen. Sie beide waren noch nicht lange unterwegs und waren schweigend geritten, als Biddy plötzlich dieses Geständnis ablegte. Die Worte kamen urplötzlich und trafen Cullen wie ein Stein am Kopf. Er sah seine Tante einen Augenblick lang verständnislos an. »Warum?«, fragte er dann. »Ihr habt ihn doch geliebt. Ich weiß, dass es so war. Jeder wusste das. Ihr habt ihm jeden dummen Fehltritt verziehen, und Ihr …«
»Aye, nun, er hat etwas getan, was selbst ich ihm nicht verzeihen konnte«, erklärte sie bitter.
»Jenny?«, fragte er, als ihm Evelindes Vermutung von heute Morgen einfiel.
Biddy nickte. Cullen sah, wie sich in ihrer Miene Kummer und Zorn mischten, ehe sie den Blick abwandte und über die Hügel schweifen ließ, die sich vor ihnen erstreckten. »Ich wusste anfangs nichts davon. Oh, ich sah, dass er sie umgarnte und neckte, wie er es mit jeder tat, und vielleicht hätte ich es damals schon erkennen müssen, aber ich hätte nie gedacht … Meine eigene kleine Schwester«, sagte sie fassungslos und angewidert zugleich.
»Wie habt Ihr es erfahren?«, fragte Cullen ruhig.
»Erst hinterher, als es schon zu spät war«, gestand Biddy. »Ich hatte wirklich geglaubt, dass Jenny sich umgebracht hatte, um nicht den Campbell heiraten zu müssen, wie es ja auch alle anderen geglaubt hatten. Zwei Wochen lang habe ich getrauert. Und die ganze Zeit über war Darach …« Sie brach ab und schüttelte den Kopf. »Er war so umsichtig. Immer zur Stelle, um mich zu trösten, und immerfort hat er mir stärkende Worte zugeraunt – dass Jenny nun wenigstens der Campbell erspart bleibe, dass sie zumindest davor sicher sei. Ich habe darin den Beweis dafür gesehen, dass tief im Herzen dieses Schürzenjägers doch ein guter Mensch steckt.«
Biddy stieß seufzend den Atem aus. »Und dann fand ich Jennys Brief. Er muss die ganze Zeit über im Wohngemach gelegen haben, aber ich habe ihn erst gefunden, als ich mich nach Längerem endlich wieder in diesen Raum traute, um meine Stickarbeit zu holen, die ich vor Jennys Tod begonnen hatte. In dem Brief las ich, was Darach ihr angetan hatte … was er meiner eigenen Schwester angetan hatte! Es war schlimm genug für mich, ihn jedem Rock hinterher jagen zu sehen, aber meiner eigenen Schwester?«
Biddy kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Er hat ihr Leben ruiniert. Jenny war noch ein Kind, und er hat sie behandelt wie eine billige Dirne. In ihrer Unbedarftheit hat sie es für Liebe gehalten. Als sie sich das letzte Mal trafen, hat er ihr grausame Worte an den Kopf geworfen, und daraufhin ist sie von Donnachaidh geflohen.« Biddy sah Cullen an, kalte Wut in den Augen. »An dem Abend, als sie fortritt, war Darach doch tatsächlich so dreist gewesen, mir gegenüber zu behaupten, sie habe seine Schmeicheleien für bare Münze genommen, und er habe ihr den Kopf zurechtrücken müssen, indem er ihr gesagt habe, dass er nur mich liebe«, fuhr sie verbittert fort. »Dabei vergaß er zu erwähnen, dass er ihr bereits die Jungfräulichkeit geraubt und sie danach noch mehrmals in sein Bett gelockt hatte.«
Angesichts dieser fürchterlichen Neuigkeiten musste Cullen tief durchatmen.
»Jenny schämte sich für das, was sie getan hatte. So sehr, dass sie vorhatte, alles für sich zu behalten«, sagte Biddy traurig. »Aber als sie erkannte, dass sie ein Kind – Darachs Kind – unter dem Herzen trug, war ihr sofort klar, dass sie dies nicht vor dem Campbell würde verheimlichen können. Also kam sie in ihrer Kopflosigkeit und Verzweiflung wiederum nach Donnachaidh, in der Hoffnung, Darach werde ihr helfen.« Ein harter Zug legte sich um Biddys Mund. »Und willst du wissen, was dieser herzlose Bastard tat?«
Cullen schüttelte den Kopf.
»Er sagte ihr, dass dies nicht sein Problem sei«, fuhr Biddy dennoch fort. »Und dass er abstreiten werde, dass dies sein Kind sei, wenn Jenny versuchen würde, ihm ihre Schande anzulasten. Ihre Schande!«, schnaubte sie wutentbrannt. »Für den Fall, dass sie auf die Idee kommen sollte, mir die Wahrheit anzuvertrauen, wollte er drei oder vier Männer vorführen, die behaupteten, Jennys Liebhaber gewesen zu sein, sodass sie als gemeine Hure dagestanden hätte.«
Biddy atmete mehrmals tief durch, wohl um sich zu beruhigen. »Jenny wusste nicht, was sie tun sollte«, erzählte sie dann traurig weiter. »Sie wusste zwar, dass die Kirche sagte, sie werde in der Hölle landen, wenn sie sich selbst das Leben nahm, doch da sie glaubte, dass sie ohnehin auf dem besten Wege dorthin war, weil sie mich hintergangen hatte, tat sie es dennoch.«
»Es tut mir leid, Tante«, sagte Cullen leise.
Biddy sah ihn mit leeren Augen an. »Ich habe ihm so viel nachgesehen, Cullen, so viele Frauen … Aber was er Jenny angetan hat, konnte ich ihm nicht vergeben. Und das wollte ich auch nicht – nicht, nachdem ich diesen Brief gelesen hatte.«
Biddy schwieg einen Moment, in dem sie anscheinend über das Unheil nachsann, das Darach verursacht hatte. Schließlich seufzte sie.
»Ich stürmte also die Treppe hinunter, um mir den Lump vorzunehmen, doch ihr Männer wart allesamt zur Wildschweinjagd geritten.« Sie kniff die Lippen zusammen. »Daher griff ich mir Bogen und Köcher und ritt ebenfalls aus. Euch zu finden, war nicht schwer. Ich folgte eurer Jagdgesellschaft, und dann spürtet ihr die Wildschweine auf, und das nachfolgende Gemenge nutzte ich für meine Zwecke. Ich schoss auf Darach, als er stürzte, und traf ihn schon mit dem ersten Pfeil, und als es getan war, verspürte ich einen ungemein großen Frieden.«
Biddys Miene war beinahe kämpferisch, als sie dies eingestand, doch dann seufzte sie und fuhr fort: »Dieser Frieden hielt nicht lange an. Als ich zur Burg zurückkam, war die Ruhe längst dem Schuldgefühl gewichen. Nachdem eure Jagdgesellschaft zurückgekehrt war und ich erfuhr, dass Darach noch lebte, war ich erleichtert. Ich schwor mir, ihn zu heilen, und zunächst sah auch alles gut aus, aber dann …« Sie schüttelte unglücklich den Kopf. »Dann habe ich ihn doch nicht retten können«, schloss sie.
Cullen starrte seine Tante an, während sie beide erneut schwiegen. Seine Gefühle waren in Aufruhr. Er empfand Mitgefühl für Jenny und Trauer darüber, dass sie so missbraucht und ihr Leben derart zerstört worden war; er war wütend auf seinen Onkel, der sich der Schwester seiner Gemahlin gegenüber derart gefühllos und abscheulich verhalten hatte; und selbst für Biddy verspürte er Mitleid. Wäre er selbst derjenige gewesen, der diesen Brief entdeckt und gelesen hätte, so hätte er nicht sagen können, ob er den Halunken nicht vielleicht ebenfalls erschossen hätte. Gewiss hatte Darach es verdient, dafür zu sterben, dass er Jennys Leben zerstört hatte, wie auch das zahlreicher anderer Edeldamen und Frauen im Laufe der Jahre. Wenn Jennys zartes Alter und die Tatsache, dass sie die Schwester seiner eigenen Ehefrau war – und sich somit während ihres Besuchs in seiner Obhut befand –, Darach nicht abgehalten hatte, dann war keine Frau vor seiner Lüsternheit sicher gewesen.
In diesem Augenblick hätte Cullen seiner Tante gerne versichert, dass sie richtig gehandelt habe und sie beide über diese Angelegenheit kein weiteres Wort mehr zu verlieren bräuchten – wäre da nicht der Umstand gewesen, dass Darach nicht der einzige Tote gewesen war. Es gab noch seinen Vater und die kleine Maggie zu bedenken, und ebenso die Anschläge auf Evelindes Leben.
Cullen räusperte sich und richtete sich im Sattel auf. »Und mein Vater?«, fragte er.
»Liam?« Biddy warf ihm einen verwirrten Blick zu. Dann begriff sie und schüttelte den Kopf. »Damit habe ich nichts zu tun. Ich habe Darach umgebracht, aber deinem Vater hätte ich niemals auch nur ein Haar gekrümmt. Liam war ein guter Mann. Ein ehrenhafter Mann. Er hat deine Mutter aufrichtig geliebt und sich nie herausgenommen, was Darach getan hat. Nein«, wiederholte sie bestimmt. »Ich habe ihn nicht umgebracht. Ich habe wahrhaft geglaubt, dass sein Tod ein Unfall war.«
»Ihr habt geglaubt?«, hakte er nach.
»Maggies Tod war es, der mich stutzig gemacht hat«, erklärte seine Tante. »Sie begann, Fragen zum Tod deines Vaters und Darachs zu stellen, und als sie dann am Fuße der Klippen endete, fragte ich mich, ob Liams Ableben wirklich ein Unfall war«, gab sie zu. »Mir kam der Gedanke, dass es vielleicht Mord gewesen ist und Maggie jemanden mit ihren Fragen beunruhigt hat. Es schien mir ein allzu großer Zufall zu sein, dass sie beide an den Klippen starben, an denen Jenny begraben liegt.«
Cullen nickte stumm. Genau das hatte auch seine Gemahlin heute Morgen gesagt.
»Und dann«, fuhr Biddy fort, »als plötzlich auch Evelinde Unfälle zu erleiden begann, habe ich mir Sorgen gemacht. Also habe ich versucht herauszufinden, wer Liam und die kleine Maggie umgebracht haben könnte.«
»Hattet Ihr Erfolg?«, wollte Cullen wissen.
Biddy schüttelte den Kopf. »Nay, ich begreife einfach nicht, warum irgendwer Liam umbringen sollte. Du bist der Einzige, der durch seinen Tod einen Vorteil hatte.«
Cullen erstarrte, doch Biddy fügte rasch hinzu: »Aber ich weiß, dass du deinen Vater geliebt hast, Cullen. Du hättest ihn niemals umgebracht. Auch die kleine Maggie hast du gemocht und hättest ihr nie ein Leid zugefügt. Und selbst, wenn ich all das angezweifelt hätte, weiß ich doch mit Gewissheit, dass du deine Evelinde liebst und ihr niemals nach dem Leben trachten würdest.«
Cullen entspannte sich. »Woher wisst Ihr, dass ich Evelinde liebe?«, fragte er.
Biddy lächelte. Es war ein schwaches Lächeln, doch das erste, das sie zeigte, seit Cullen ihr in der oberen Halle begegnet war. »Deine Liebe zu ihr, mein Junge, spricht jedes Mal, wenn du das Mädchen ansiehst, aus deinen Augen.«
Er erwiderte das Lächeln seiner Tante und nickte, kehrte dann aber mit seinen Gedanken zu der Frage zurück, wer hinter Liams und Maggies Tod und den Anschlägen auf Evelinde stecken könnte.
»Glaubst du mir?«, fragte Biddy.
Cullen sah seine Tante fragend an.
»Dass ich Liam und Maggie nicht umgebracht und auch nicht Evelindes Unfälle bewirkt habe, meine ich«, erklärte Biddy. »Ich weiß, dass du dies geargwöhnt hast, bevor du mich auf diesen Ausritt mitgenommen hast, aber glaubst du mir jetzt, dass ich …«
»Ich glaube Euch«, unterbrach Cullen sie, und das stimmte. Er glaubte ihr in der Tat. Biddy war nicht die Art von Frau, die unter normalen Umständen töten konnte. Er mutmaßte auch, dass sie Darach nicht umgebracht hätte, wenn sie sich nach dem Lesen des Briefs Zeit zum Nachdenken genommen hätte. Sie hatte es aus der Wut des Augenblicks heraus getan. Eine solch leidenschaftliche Wut hatte sie wohl kaum im Hinblick auf seinen Vater empfunden, ganz zu schweigen von der kleinen Maggie. Nay, Biddy hatte weder Liam noch seine erste Gattin umgebracht – was bedeutete, dass noch immer ein Mörder auf Donnachaidh herumstrolchte und versuchte, Cullen zum Witwer zu machen.
»Kommt«, sagte er und wendete sein Pferd. Mit einem Mal überkam ihn der Drang, zurückzureiten und ein Auge auf seine Gemahlin zu haben, um sicherzustellen, dass ihr kein Leid widerfuhr. Zwar hatte er einen Teil des Rätsels um die vergangenen Ereignisse gelöst und eine Täterin gefunden, doch gab es noch einen weiteren Mörder, der weit gefährlicher war.
»Warte, Neffe.«
Der feste Tonfall ließ Cullen sein Pferd anhalten und sich umsehen. Biddy sah ihn ernst an. »Was wirst du nun mit mir tun?«, fragte sie.
Cullen zögerte und verzog unwillig den Mund. Er hätte seiner Tante gerne gesagt, dass er gar nichts tun werde und dass sein Onkel Darach nur die eigene Saat geerntet habe, aber als Laird stand er in der Verantwortung, Recht walten zu lassen. Allerdings war er nicht sicher, ob er dies in diesem Fall konnte.
»Ich weiß es nicht«, gestand er schließlich. »Ich muss darüber nachdenken.«
Biddy blickte ihn eine Weile schweigend an, nickte dann und trieb ihr Pferd an.
»Du bist ein guter Laird«, sagte sie leise, als sie an ihm vorbei auf die Burg zuritt. »Du wirst das Richtige tun, und ich werde deine Entscheidung akzeptieren. Um die Wahrheit zu sagen, wird es eine Erleichterung für mich sein, endlich für das bestraft zu werden, was ich getan habe.«
Cullen blieb während des gesamten Rückwegs stumm, doch im Stillen sagte er sich, dass Biddy sich in den vergangenen siebzehn Jahren für das Verbrechen an ihrem Gemahl wohl schon zur Genüge selbst bestraft hatte. Sie hatte sich von allen Menschen zurückgezogen, die ihr lieb und teuer waren, hatte sich selbst in die Küche verbannt und sich alle Annehmlichkeiten versagt, die ihr zugestanden hätten. Es war Cullen durchaus nicht entgangen, dass Biddys Schlafgemach klein und eng war und seine Tante all ihre kostbaren Betttücher und Kissen schon vor langer Zeit weggeräumt hatte und auf einem schmalen, harten Bett schlief, das in einer Kammer stand, die so karg wie eine Mönchszelle war. Nur selten erwarb sie Stoff, um sich neue Kleider anzufertigen, und wenn sie es doch einmal tat, dann kaufte sie nie die wertvolleren Tuche, sondern Material, das so rau und minderwertig war, dass eine Dame von ihrem Stand es gerade noch tragen konnte, ohne ihre Familie zu beschämen.
Aye, dachte Cullen, wahrscheinlich würde es eine Erleichterung für Biddy sein, bestraft zu werden. Dann konnte sie wenigstens aufhören, es selbst zu tun. Wenn nur nicht er derjenige wäre, der über ihre Strafe entscheiden müsste. In Augenblicken wie diesen wünschte er sich, sein Vater wäre noch am Leben, um die Bürde des Laird an seiner statt zu tragen.
Sie ritten weit schneller zur Burg zurück, als sie von dort fortgeritten waren. Auf dem Hinweg hatte Cullen ein langsames, gleichmäßiges Tempo vorgegeben, da er den langen Weg nach Comyn und zurück vor sich gesehen hatte und seine Tante nicht hatte erschöpfen wollen, indem er aus dem Ritt ein Rennen machte. Da sich der lange Weg aber nun erübrigte, trieb er sein Pferd zu mehr Geschwindigkeit an, wobei er sich immer wieder umsah, um sich zu vergewissern, dass seine Tante mithalten konnte.
Im Burghof lenkte Cullen sein Pferd zu den Stallungen, und Biddy folgte ihm. Da er jedoch schnellstmöglich zum Wohnturm hinüber und nach Evelinde sehen wollte, übergab er sein Reittier nur schnell Scatchys Tochter, während Biddy sich selbst um ihr Pferd kümmerte und im Stall zurückblieb.
Er querte den Burghof eiligen Schritts und war dabei so tief in Gedanken versunken, dass er das Wohngebäude schon fast erreicht hatte, ehe er Gillie und Rory erblickte, die sich am Fuße der Treppe zum Portal mit Mac unterhielten. Cullen nickte dem alten Stallmeister grüßend zu und bedachte dann die beiden Krieger mit einem vernichtenden Blick. »Was tut ihr hier draußen?«, fuhr er sie an. »Ihr sollt meine Gemahlin bewachen.«
»Rory und ich wären in der Halle fast eingenickt«, erklärte Gillie kleinlaut. »Deshalb hat Fergus gesagt, wir könnten eine kurze Pause einlegen und er würde auf sie aufpassen, während wir uns einen Moment lang die Beine vertreten. Es ist ganz schön langweilig, die ganze Zeit über dort drinnen zu hocken, also haben wir die Möglichkeit genutzt.«
Cullen bedachte dies finster, konnte den beiden aber kaum einen Vorwurf machen. Fergus war sein erster Mann, und Cullen hatte ihm in seiner Abwesenheit die Verantwortung übertragen. Dazu gehörte auch, den Männern eine Pause zu gewähren, wenn diese eine nötig hatten. Ein Krieger konnte kaum wachsam sein, wenn er müde war, und ein wachsamer Posten auf der Wehrmauer war natürlich besser als ein müder, der eine Bedrohung womöglich nicht rechtzeitig erkannte und zu spät Alarm schlug.
Also nickte Cullen nur knapp und setzte seinen Weg fort.
»Melaird?«
Cullen hielt inne und schaute sich um. »Aye?«
Die Männer tauschten unbehagliche Blicke. »Ist Lady Elizabeths Schwester nicht im Herbst gestorben?«, fragte Rory.
»Lady Elizabeths Schwester?«, fragte Cullen und zuckte innerlich bei der Erwähnung der Frau zusammen, über die er gerade erst ausgiebig gesprochen hatte. Gillie und Rory waren zehn Jahre jünger als er, und es verwunderte ihn, dass sie sich überhaupt an Jenny erinnerten.
»Aye«, erwiderte Rory. »Ich habe Lady Elizabeth nämlich im letzten Herbst geholfen, Blumen zu den Klippen zu tragen, am Todestag ihrer Schwester, wie sie mir sagte. Aber Fergus hat Eurer Frau vorhin erzählt, Lady Elizabeth sei bei den Klippen, weil heute der Todestag ihrer Schwester sei.«
»Da irrt er sich«, wandte Cullen ein. »Richtig ist, dass Jenny im Herbst starb, nicht im Sommer.« Er schüttelte ärgerlich den Kopf, denn er war sich sicher, Fergus mitgeteilt zu haben, dass er mit Biddy zu den Comyns reite. Offenbar hatte der Mann dies vergessen.
»Dachte ich mir’s doch«, erwiderte Rory zufrieden und stieß Gillie den Ellbogen in die Rippen. »Ich hab dir doch gesagt, der Bursche wird alt.«
Cullen schnitt eine Grimasse bei dem Gedanken daran, dass er, sollte Fergus’ Gedächtnis wirklich nachlassen, sich bald nach einem neuen Mann umsehen konnte, der nach ihm die Befehlsgewalt hatte. Als hätte er derzeit nicht schon genug Probleme, dachte er unwirsch und schob diese Sorge dann vorerst beiseite, um weiter die Stufen hinaufzueilen und endlich seine Gemahlin zu sehen.
Cullen betrat den Wohnturm und sah Mildrede, die soeben aus der Küche kam. Abgesehen von ihr war die große Halle leer. Er runzelte die Stirn und sah die Magd an. »Wo ist meine Frau?«
Mildrede riss die Augen auf, wahrscheinlich mehr aufgrund des scharfen Tons als wegen der Frage selbst. Dann wies sie mit einer Geste auf die Küchentür. »Sie ist gerade eben durch die Küche nach draußen gegangen, aber sie ist nicht unbewacht«, fügte sie rasch hinzu. »Fergus ist bei ihr.«
Cullen blickte sie düster an. »Wohin bringt er sie?«
»Ich weiß es nicht«, gab Mildrede unsicher zu. »Ich hatte nicht die Möglichkeit, mit ihr zu sprechen. Als ich die Küche betrat, hat Fergus sie gerade aus der Tür hinaus in den Hinterhof geleitet.«
Da Cullens finsterer Blick auf sie geheftet blieb, fügte sie hinzu: »Ich weiß aber, dass sie zuvor zu Lady Elizabeth wollte. Vielleicht suchen die beiden nach ihr.«
»Wer sucht nach mir?«
Cullen drehte sich um, als die Doppeltür des Portals hinter Biddy zufiel. Seine Tante schritt durch die Halle auf sie zu.
»Lady Evelinde, Mylady«, antwortete Mildrede.
»Nun, hier bin ich. Was wünscht sie?«, fragte Biddy, als das Portal erneut aufschwang und Tavis mit Gillie, Rory und Mac im Schlepptau eintrat.
Mildrede schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht.«
»Fergus hat ihr erzählt, Ihr wäret bei den Klippen«, erklärte Cullen. »Dabei hatte ich ihm gesagt, dass Ihr mich zu den Comyns begleitet.« Er fluchte und eilte auf die Küche zu.
»Was ist denn, Mylord?«, wollte Mildrede wissen. Sie blieb dicht hinter Cullen, und in ihrer Stimme schwang Besorgnis mit. »Sind Euer Vater und Eure erste Frau nicht bei den Klippen ums Leben gekommen?«
»Aye«, stieß er hervor. Eine Woge der Angst überkam ihn.
»Aber es ist doch ganz sicher nicht Fergus, der hinter all den Anschlägen und Todesfällen steckt?«, wandte Biddy ein. Ihr Ton sagte Cullen indes, dass sie stark befürchtete, er könne es doch sein.
»Fergus?«, fragte Tavis überrascht. Auch er und die anderen Männer eilten Cullen hinterher. »Es kann unmöglich Fergus sein, Cullen. Welchen Vorteil hätte er durch all die Todesfälle gehabt? Was hätte es ihm gebracht, meinen Vater zu töten? Oder deinen? Oder Maggie?«
»Aber einige der Todesfälle sind vielleicht wirklich Unfälle gewesen«, stellte Gillie heraus.
»Aye«, stimmte Rory ihm zu. »Trotzdem ist es merkwürdig, dass er die Lady zu den Klippen bringt, wenn er doch weiß, dass Eure Tante gar nicht dort ist, Melaird.«
Auf diese Worte folgte Schweigen, und dann stürmten sie alle aus der Küche und den Pfad zur hinteren Seite der Burgmauer hinunter. Cullen wünschte fast, die Männer würden ihre Debatte wieder aufnehmen, das hätte ihn zumindest davor bewahrt, darüber nachzudenken, was seiner Gemahlin in diesem Augenblick vielleicht widerfuhr. Wenn Fergus ihr etwas antat, würde er ihn mit bloßen Händen umbringen. Er würde es nicht zulassen, dass er Evelinde verlor.