1. KAPITEL
Nordengland, 1273
»Mylady!«
Der besorgte Ausruf ließ Evelinde im Gespräch mit dem Koch innehalten und herumfahren. Durch die Küche kam ihre Magd auf sie zugestürmt, sowohl Wut als auch Besorgnis im Blick. Diese Mischung wurde für gewöhnlich nur durch Eddas Handeln hervorgerufen. Evelinde fragte sich, was ihre Stiefmutter sich nun schon wieder hatte einfallen lassen, und versprach dem Koch hastig, die Besprechung des Speiseplans später fortzusetzen, bevor sie ihrer Magd entgegenging.
Mildrede ergriff Evelindes Hände, kaum dass sie ihre Herrin erreicht hatte. »Eure Stiefmutter verlangt nach Euch«, verkündete sie, den Mund grimmig zusammengekniffen.
Etwas Derartiges hatte Evelinde bereits befürchtet, aber dennoch verzog sie das Gesicht. Edda ließ nur dann nach ihr schicken, wenn sie wieder einmal übler Stimmung war und sich aufheitern wollte, indem sie ihre unglückselige Stieftochter schikanierte. Einen Augenblick lang war Evelinde versucht, einfach zu übergehen, dass sie gerufen worden war, und sich für den Rest des Tages eine Aufgabe fernab des Wohnturms der Burg zu suchen. Das jedoch würde die Stimmung dieser Frau – und die nachfolgenden Schikanen – nur verschlimmern.
»Dann werde ich wohl besser nachsehen, was sie wünscht«, erwiderte Evelinde und drückte Mildrede beruhigend die Hände, bevor sie an ihr vorbeischritt.
»Sie hat gelächelt«, warnte Mildrede, die sich an ihre Fersen heftete.
Evelinde hielt inne, die Hand bereits an der Tür zur großen Halle. Ein eisiger Schauer überlief sie. Eine lächelnde Edda war kein gutes Zeichen. Meist bedeutete es, dass Evelinde Ungemach bevorstand. Nicht dass diese Frau es je gewagt hätte, Evelinde zu schlagen, aber es gab Übleres – Aufgaben, die so unerquicklich waren, dass man Prügel beinahe vorgezogen hätte. Unsicher kaute sie auf ihrer Unterlippe. »Weißt du, was sie dieses Mal für einen Anlass hat?«, wollte sie von ihrer Magd wissen.
»Nay, nein«, entgegnete Mildrede bedauernd. »Sie war gerade dabei, Mac dafür zu schelten, dass er ihre Stute nicht genügend verhätschelt, als ein Bote des Königs eintraf. Sie las die Nachricht, lächelte und ließ nach Euch rufen.«
»Oh.« Evelinde atmete kaum merklich durch, straffte dann die Schultern, hob den Kopf und schritt energisch durch die Tür. Ihr blieb nichts anderes übrig – abgesehen davon, zu hoffen, dass sie eines Tages von der Tyrannei und den Drangsalierungen ihrer Stiefmutter befreit würde.
»Ah, Evelinde!« Edda lächelte in der Tat – ein sehr breites, strahlendes Lächeln, das wahrlich nichts Gutes verhieß.
»Man hat mir mitgeteilt, dass Ihr mich zu sprechen wünscht?«, fragte Evelinde ruhig. Hinter sich spürte sie Mildredes Anwesenheit. Die Magd bot ihr während Eddas kleinen Angriffen stets Rückendeckung.
»Aye, ja.« Edda behielt ihr Grinsen bei und entblößte dabei ihre Zähne – oder vielmehr das, was von diesen noch übrig war. Die Hälfte fehlte, und die verbliebenen waren bräunlich und standen schief. Edda lächelte selten und wenn, dann nie so breit, dass man einen Blick auf den Zustand ihres Mundes erhaschen konnte. Dass sie es nun tat, ließ Evelindes Anspannung um das Zehnfache wachsen.
»Seit dem Tod deines Vaters ist es an mir, für dein Wohlergehen zu sorgen, und deine Zukunft wie auch dein Glück liegen mir sehr am Herzen, mein Kind«, setzte Edda an.
Evelinde rang das spöttische Lächeln, das sich angesichts der geheuchelten Sorge Bahn zu brechen drohte, erfolgreich nieder. Ihr Vater, James d’Aumesbery, war ein guter Mann und ein loyaler Baron des Königs gewesen. Als Henry III. ihn aufgefordert hatte, die unbequeme Edda zu heiraten und auf diese Weise den Hof – an dem sie zu einer wahren Plage geworden war – von ihrer Gegenwart zu befreien, war Evelindes Vater dieser Verpflichtung anstandslos nachgekommen. Nicht so Edda. Sie hatte es übel aufgenommen, dass sie an einen Mann gebunden werden sollte, der lediglich eine Baronie hielt, und schien schon sofort bei ihrer Ankunft auf d’Aumesbery eine spontane Abneigung gegen Evelinde zu entwickeln.
Zunächst war es nicht allzu arg gewesen. Als Evelindes Vater und ihr Bruder Alexander noch dagewesen waren, hatte Edda sich ihr gegenüber zumindest höflich verhalten. Alexander jedoch war vor drei Jahren gemeinsam mit Prinz Edward zu einem Kreuzzug aufgebrochen. Zwar war der Prinz inzwischen zurückgekehrt und nach seines Vaters Tod zum König gekrönt worden, doch Alexander weilte immer noch in Tunis. Und schlimmer noch – kurz nach seinem Aufbruch war ihr Vater einem Brustleiden erlegen.
James d’Aumesbery war noch nicht einmal in der Familienkrypta beigesetzt worden, da hatte Edda schon ihre höfliche Maske abgenommen und ihre wahren Gefühle zutage treten lassen. Die vergangenen drei Jahre waren Evelinde wie die Hölle vorgekommen, und sie befürchtete, dass sie dieser Hölle niemals würde entfliehen können. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, die Rückkehr ihres Bruders abzuwarten, damit dieser sie verheiraten und sie sich weit weg von dieser Frau niederlassen konnte. Leider aber schien Alexander es nicht so eilig mit seiner Rückkehr zu haben.
»Ich habe beschlossen, dass es jetzt höchste Zeit ist, dich zu verheiraten«, beschied Edda, »und der König ist ganz meiner Meinung.«
»Was sie meint, ist, dass der König beschlossen hat, dass Ihr heiraten sollt, und sie sich dem Entschluss beugen musste«, murmelte Mildrede in Evelindes Rücken so leise, dass Edda sie nicht hören konnte. »Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass sie freiwillig auf das Vergnügen verzichten würde, Euch zu schikanieren. Schließlich ist dies ihr liebster Zeitvertreib.«
Evelinde aber hörte kaum, was ihre Magd sagte, denn sie war ganz damit beschäftigt, Eddas Worte aufzunehmen. Ein Teil von ihr fürchtete, dass es sich bei alldem lediglich um den grausamen Versuch Eddas handelte, ihr erst Hoffnung zu machen, nur um sie dann zu zerschlagen.
»Also habe ich einen Gemahl für dich ausgewählt, und der König hat einen Ehevertrag ausgehandelt«, verkündete Edda würdevoll. »Gerade habe ich die Nachricht erhalten, dass alles bereit ist. Du wirst also heiraten.«
Evelinde wartete. Sie wusste, dass da noch mehr war. Edda würde nun entweder erklären, dass dies alles nur ein Scherz gewesen sei, oder aber den Namen eines absolut grässlichen, muffigen alten Lairds nennen, mit dem Evelinde ganz sicher unglücklich werden würde.
»Dein Verlobter ist bereits aufgebrochen und auf dem Weg hierher. Es ist der Laird of Donnachaidh«, sagte Edda triumphierend, wobei sie den Namen Don-o-keh aussprach.
Evelinde keuchte. Dies war schlimmer als irgendein muffiger, alter Laird, dies war … »Der Teufel von Donnachaidh?«
Eddas Gesichtsausdruck triefte vor gehässiger Schadenfreude. »Aye, und ich wünsche dir alles Unglück dieser Welt.«
»Miststück!«, zischte Mildrede hinter Evelinde wütend.
Evelinde ignorierte ihre Magd und schaffte es, Schrecken und Abscheu zurückzukämpfen und eine ausdruckslose Miene beizubehalten. Sie würde nicht noch zu Eddas Vergnügen beitragen, indem sie preisgab, wie hart dieser Schlag sie getroffen hatte. Der Teufel von Donnachaidh? Diese Frau hasste sie nicht nur, sondern sie musste sie zutiefst verabscheuen, wenn sie nicht davor zurückschreckte, sie diesem berüchtigten schottischen Laird zu geben.
»Und nun fort mit dir«, sagte Edda, die offenbar auf ihre Kosten gekommen war. »Geh mir aus den Augen.«
Evelinde nickte steif und wandte sich zum Gehen, wobei sie Mildredes Arm ergriff und sie aus der großen Halle und hinaus aus dem Wohnturm führte.
»Diese Kuh!«, stieß Mildrede hervor, sobald das Portal hinter ihnen zugefallen war.
Evelinde zog die Magd zügig weiter über den Burghof in Richtung der Stallungen.
»Dieses niederträchtige, hässliche, herzlose Weibsstück!«, schimpfte Mildrede weiter. »Sie hat ein Herz aus Stein und das passende Gesicht dazu. Der Leibhaftige muss herzlich gelacht haben an dem Tag, an dem der König Euren Vater zwang, diese Teufelin zu ehelichen.«
Evelinde schenkte Mac, dem Stallmeister, ein dankbares Lächeln, als sie Mildrede in den Stall schob und dort ihr eigenes Pferd bereits gesattelt neben dem Rotschimmel vorfand, den Mac am liebsten ritt.
»Ich habe Eddas Lächeln gesehen, als sie diese Nachricht bekam«, erklärte der Stallmeister. »Und ich hab mir gedacht, dass Euch ein Ausritt guttun wird, wenn sie erst einmal mit Euch fertig ist.«
»Aye, ich danke dir, Mac.« Evelinde schob Mildrede auf die Stute zu.
»Euer Vater würde sich im Grabe umdrehen«, knurrte Mildrede, während Evelinde ihr aufs Pferd half.
Mac half Evelinde, sich ebenfalls auf den Pferderücken zu schwingen, und sie kam hinter der älteren Magd zu sitzen, die ihre Tirade ungehemmt fortsetzte. »Und Eure liebe, selige Mutter muss vor Wut schäumen und wird wünschen, dass sie noch am Leben wäre, um diesem Miststück Strähne um schlammbraune Strähne einzeln auszureißen.«
Evelinde stieß ihrer Stute die Fersen in die Seite und trieb sie zu einem leichten Galopp an, als auch Mac aufgesessen war und dicht hinter ihr folgte.
»Ich sollte diesem garstigen Scheusal Gift in den Met tun«, drohte Mildrede, während sie in gesetztem Galopp den Burghof überquerten und auf das Tor und die Zugbrücke zuhielten. »Es gibt niemanden auf der ganzen Burg, der mir dafür nicht dankbar wäre. Sie ist die widerlichste, habgierigste, kaltherzigste, durchtriebenste … Ach!«
Evelinde lächelte schwach über Mildredes Gezänk. Sie hatten die Zugbrücke zur Hälfte gequert, als sie die Zügel schießen und ihre Stute Lady galoppieren ließ. Mit einem freudigen Wiehern schüttelte das Tier die Mähne und stürmte los. Evelinde blickte nicht erst zurück, um zu sehen, ob Mac ihr folgte, denn sie wusste, dass er mithalten würde. Zudem hatte sie alle Hände voll damit zu tun, die Zügel festzuhalten, da Mildrede sich an ihren Armen festklammerte, als fürchte sie, aus dem Sattel zu fallen.
Erst als Mildrede ihren Griff lockerte, zügelte Evelinde ihre Stute behutsam. Lady wurde sofort langsamer, sie war diesen Ablauf gewohnt. Jedes Mal, wenn Edda grausam oder gemein war, verlor Mildrede die Beherrschung, sodass Evelinde sie auf einen Ausritt mitnahm, um zu verhindern, dass sie etwas sagte oder tat, was ihr eine Strafe einhandeln mochte.
Als Lady wieder in eine gemächliche Gangart gefallen war, trieb Mac sein Pferd neben die Stute und hob fragend eine Augenbraue. Doch Evelinde schüttelte nur den Kopf. Ihr war nicht danach zu erklären, worin Eddas »freudige Botschaft« bestanden hatte. Es würde Mildrede nur aufs Neue aufbringen, und auch sie selbst war noch zu erschüttert. Anstatt ihre Zeit darauf zu verwenden, ihre Magd zu besänftigen, wäre Evelinde gern allein gewesen, um die Lage zu überdenken.
»Ihr könnt nun umkehren«, sagte Mildrede. »Ich habe mich beruhigt. Ich werde zu dieser bösartigen Kreatur weder etwas sagen noch ihr etwas antun. Das wäre ohnehin Zeitverschwendung. Ich bin mir sicher, dass der Teufel etwas ganz Besonderes für sie bereithält, wenn sie einst abtritt. Wobei es für uns alle ein Segen wäre, wenn dies möglichst bald geschähe.«
Evelinde rang sich ein schwaches Lächeln ab, brachte aber nicht die Kraft für eine Antwort auf. Stattdessen hielt sie ihr Pferd an und sah zum Stallmeister hinüber. »Würdest du Mildrede zurückbringen, Mac?«
»Werdet Ihr nicht mit uns zurückreiten, Mylady?«, fragte Mac besorgt.
»Noch nicht«, erwiderte Evelinde. »Ich würde gerne eine Weile allein sein.«
Mac zögerte, nickte dann aber und hob Mildrede mühelos von Ladys Rücken auf den seines eigenen Pferdes. Mac war nicht besonders groß und von eher drahtigem Körperbau, aber er war erstaunlich stark.
»Reitet nicht allzu weit, damit Ihr nicht in Schwierigkeiten geratet«, sagte er warnend. »Und bleibt nicht zu lange hier draußen, ansonsten werde ich nach Euch suchen.«
Evelinde nickte und sah den beiden dann nach, die den Rückweg sehr viel gemäßigter antraten als den Hinweg. Die Art und Weise, auf die Mac den Kopf zu Mildrede hinabneigte, sagte Evelinde, dass die Magd dem Stallmeister erklärte, was vorgefallen war und was noch bevorstand.
Eine Hochzeit. Mit dem Teufel von Donnachaidh.
Evelinde schluckte gegen die Angst an, die ihr die Kehle zuschnürte. Sie lenkte ihr Pferd auf eine kleine Lichtung zu, die ihr besonders gefiel. Das offene Terrain war nicht groß und zog sich an einer Stelle des Flusses entlang, an der sich ein kleiner Wasserfall befand. Dieser war nicht einmal mannshoch, aber dennoch berückend schön.
Evelinde ritt Lady ans Ufer, damit die Stute trinken konnte, und glitt von ihrem Rücken. Während sie auf das Wasser blickte, strich sie mit der Hand geistesabwesend über den Hals des Pferdes.
Sie hatte diesen Ort immer als beruhigend empfunden. Hierher kam sie mit all ihren Kümmernissen und Sorgen. Für gewöhnlich trugen das Plätschern des Wassers und der feine Sprühnebel, den das herabrauschende Nass in die Luft zauberte, all ihre Trübsal mit sich fort, und Evelinde fühlte sich stets besser, wenn sie ging. Dieses Mal war sie sich allerdings nicht sicher, ob das auch geschehen würde. Sie hatte so eine Ahnung, dass eine Menge Wasser nötig wäre, um diese neue Sorge fortzutragen.
Sie verzog das Gesicht und ließ sich auf einem großen Findling direkt am Fluss nieder, wo sie sich ihrer Schuhe entledigte. Dann beugte sie sich vor, ergriff den hinteren Saum ihres Kleides und führte ihn durch ihre Beine nach vorn, um ihn in dem Gürtel festzustecken, der ihr Gewand locker schnürte. Anschließend trat sie erneut an den Fluss, tauchte anmutig einen Zeh ins Wasser und lächelte, als das kühle Nass ihre Haut umspülte. So verharrte sie einen Augenblick, bevor sie in den Strom stieg und wohlig seufzte, als das Wasser erst ihre Füße und dann ihre Knie umfloss.
Sie schloss die Augen, stand einfach nur da und versuchte nicht daran zu denken, dass sie den Teufel von Donnachaidh heiraten musste. Evelinde sehnte sich nach ein paar Augenblicken des Friedens und der Ruhe – danach würde sie sich gedanklich ihrer Zukunft stellen.
Diese Augenblicke jedoch dauerten nicht lange, denn der Saum ihres Kleides löste sich aus dem Gürtel und fiel um ihre Beine herum ins Wasser.
Mit einem Aufschrei wollte Evelinde aus dem Fluss springen, doch ihre Füße verhedderten sich im nassen Saum des Gewands, sodass sie seitwärts taumelte. Im letzten Moment warf sie sich mit ausgestreckten Armen nach vorn, in der Hoffnung, dadurch ihren Sturz abzufangen, doch ihre Hand glitt an einem Findling ab und fand erst auf dem Grund des Flusses Halt. Evelinde prallte mit Rippen und Hüfte schmerzhaft gegen den Felsen und stieß sich das Kinn an einem danebenliegenden Stein.
Gequält stöhnte sie auf und ging kurz unter, wobei sie einen Mundvoll Wasser schluckte. Sofort kämpfte sie sich wieder hoch und spuckte und hustete aus, was ihr davon in die Kehle gedrungen war. Ohne auf ihre schmerzende Seite zu achten, rappelte sie sich auf, sodass sie im Fluss zum Sitzen kam. Mit einer Hand tastete sie die empfindliche Stelle ab und stellte erleichtert fest, dass diese zwar wehtat, scheinbar aber nichts gebrochen war, woraufhin sie ihre Hand über ihre ebenfalls wunde Hüfte gleiten ließ. Verzweiflung übermannte sie, und sie stieß einen gequälten Fluch aus.
War dies nicht wahrlich der krönende Abschluss? Evelinde war nie die anmutigste aller Frauen gewesen, aber derart ungeschickt zeigte sie sich höchst selten. Es schien, als habe das Glück ihr für heute den Rücken gekehrt.
Kopfschüttelnd kam sie auf die Beine und stolperte aus dem Fluss. Ihre Stute, stellte sie fest, war zurückgewichen und rollte unheilvoll mit den Augen. Evelinde nahm an, dass sie das Tier bei ihrem Sturz nass gespritzt hatte. Sie versuchte gar nicht erst, sich zu entschuldigen, sondern ließ sich stattdessen zitternd auf dem Findling nieder.
An ihren Zehen hatte sich das Wasser angenehm kühl angefühlt, doch ihr vollständig durchnässtes Gewand fühlte sich eiskalt an, wo das Tuch ihre Haut berührte – also überall.
Evelinde schnitt eine Grimasse und versuchte, das Kleid so zu halten, dass es zumindest ihre Beine nicht berührte, was sie schnell wieder aufgab. Sie konnte den Stoff unmöglich so lange von ihrer Haut fernhalten, bis er getrocknet war.
Wütend vor sich hinmurmelnd, machte sie sich daran, die Bänder zu lösen und sich aus dem Obergewand zu winden. Dies entpuppte sich als harter Kampf. Es war einigermaßen leicht, das Kleid in trockenem Zustand überzustreifen; sich seiner jedoch in nassem Zustand zu entledigen, war der reinste Albtraum. Als Evelinde es endlich geschafft hatte, war sie hochrot, außer Atem und schweißgebadet.
Erleichtert ließ sie das Gewand zu Boden fallen und setzte sich erneut auf den Findling. So heiß ihr bei all der Anstrengung geworden war, so schnell ließ dieses Gefühl nach, und bald fror Evelinde erneut in ihrem feuchten Unterkleid. Dieses jedoch würde sie ganz gewiss nicht ausziehen, um dann gänzlich nackt dazusitzen. Zwar verirrten sich nur selten Menschen an ihren Lieblingsort, doch es kam durchaus vor, und sie würde es nicht riskieren, sich in einer solch misslichen Lage erwischen zu lassen.
Doch einfach nur herumzusitzen und zu zittern, so närrisch war Evelinde auch nicht. Sie musste einen Weg ersinnen, um sich selbst, ihr Unterkleid und ihr Gewand zu trocknen – und zwar rasch, bevor sie sich verkühlte.
Ihr Blick fiel auf ihre Stute. Lady starrte sie nicht länger argwöhnisch an, sondern stand wieder am Ufer und labte sich am kristallklaren Wasser. Evelinde zögerte noch kurz, um zu überlegen, wie sie ihre aufkeimende Idee in die Tat umsetzen sollte. Dann stand sie auf, klaubte ihr Kleid auf und schritt zu ihrem Pferd.
Cullen war der Erste, der sie sah. Der Anblick ließ ihn sein Pferd so abrupt zügeln, dass es stieg. Er schloss die Schenkel um den Pferdekörper, damit er sich im Sattel halten konnte, und beruhigte das Tier geistesabwesend, ohne seine Augen von der Frau im Tal abzuwenden.
»Allmächtiger! Was tut sie da?«, fragte Fergus, als er sein Pferd neben das Cullens trieb.
Cullen schenkte dem hochgewachsenen, stämmigen Rotschopf, der sein erster Mann war, keine Aufmerksamkeit. Er schüttelte nur stumm den Kopf, von dem Bild vollkommen gebannt. Die Frau ritt auf der Wiese immer hin und her, ließ ihr Pferd erst in die eine, dann in die andere Richtung galoppieren. Das allein war schon seltsam, doch was Fergus zu einem gedämpften Tonfall veranlasst und Cullen gleich gänzlich die Sprache verschlagen hatte, war der Umstand, dass sie dies in nichts als einem durchscheinenden Unterkleid tat und die Zügel ihres Reittiers zwischen den Zähnen hielt. Ihre Hände nämlich waren anderweitig beschäftigt. Sie hielten etwas hoch in die Luft, das wie ein Umhang wirkte und oberhalb ihrer goldenen Haarflut bauschend hinter ihr herwehte, während die Frau immer hin und her ritt … hin und her … hin und her.
»Wer ist sie wohl?« Rorys Frage war das einzige Zeichen, das Cullen zu verstehen gab, dass auch die übrigen Männer aufgeschlossen hatten.
»Keine Ahnung, aber ich könnte der Kleinen den ganzen Tag zusehen«, erwiderte Tavis mit begehrlichem Unterton. »Wobei es da noch ein paar Dinge gibt, die ich weit lieber den ganzen Tag mit ihr anstellen würde.«
Cullen stellte fest, dass diese Bemerkung ihn ärgerte. Tavis war sein Cousin und der Schürzenjäger unter seinen Männern – blond, gut aussehend und mit einem gewinnenden Lächeln versehen, kostete es ihn keine Mühe, Frauen für eine Nacht in sein Bett zu locken. Und er nutzte diese Gabe voll aus und ließ bei jeder sich bietenden Gelegenheit seinen Charme spielen, um die Damen dazu zu bringen, ihre Röcke zu heben. Wenn für dieses Talent Titel vergeben würden, wäre Tavis längst König von Schottland.
»Erst einmal wüsste ich gern, warum sie tut, was sie da tut«, wandte Fergus bedächtig ein. »Mir liegt nichts daran, ein Frauenzimmer zu verführen, das nicht ganz richtig im Kopf ist.«
»Ich würde ja nicht mit ihrem Kopf ins Bett gehen«, erwiderte Tavis lachend.
»Aye«, sagte Gillie verträumt.
Cullen wandte sich um und bedachte seine Männer mit einem strengen Blick. »Reitet weiter. Ich komme nach.«
Darauf folgte ein Moment des Schweigens, in dem Augenbrauen gehoben und Blicke getauscht wurden, bevor alle fünf Männer die Zügel aufnahmen.
»Reitet um die Wiese herum«, wies Cullen sie an, als die Krieger sich anschickten, einfach geradeaus zu reiten.
Wieder wurden Blicke getauscht, doch die Reiter hielten sich gehorsam am Waldsaum.
Cullen wartete, bis sie nicht mehr zu sehen waren, und wandte sich dann wieder der Frau zu. Er folgte ihr mit den Augen mehrmals hin und her, bevor er sein Pferd vorwärtstrieb.
Vom Rande der Wiese aus war nicht ersichtlich gewesen, dass die Frau auf dem Pferd ein atemberaubendes Tempo anschlug und nur verlangsamte, um zu wenden, bevor sie ihr Reittier erneut zu einem wilden Galopp quer über die freie Fläche antrieb. Der Stute schien dies nichts auszumachen. Im Gegenteil – sie hielt es scheinbar für eine Art Spiel und schoss nach jedem Wenden mit beeindruckender Geschwindigkeit vorwärts.
Cullen zog mit der Stute gleich, doch die Reiterin nahm ihn nicht sofort wahr. Ihre Aufmerksamkeit war ganz auf den vor ihr liegenden Pfad und das Kleidungsstück in ihren nach oben gestreckten Händen gerichtet. Als sie seiner schließlich doch aus den Augenwinkeln gewahr wurde, verhielt sie sich gänzlich unerwartet.
Die Augen der jungen Frau weiteten sich, und sie wandte ruckartig den Kopf, wodurch sie unbeabsichtigt an den zwischen ihren Zähnen klemmenden Zügeln zog. Jäh kam die Stute zum Stehen und stieg. Sofort ließ die Frau die Hände sinken, um nach den Zügeln zu greifen, und das Kleidungsstück, das sie gehalten hatte, wirbelte herum und schlug Cullen schwer und nass ins Gesicht. Der Schlag brannte, und der Stoff machte ihn für einen Moment blind, wodurch auch Cullen, derart überrumpelt, an den Zügeln seines Pferdes riss, sodass dieses scheute und ebenfalls stieg.
Cullen stürzte zu Boden, und das lange Stoffstück, in dem er sich verfangen hatte, dämpfte seinen Fall kein bisschen. Ein scharfer Stich schoss ihm durch den Rücken und nahm ihm den Atem, und dann fuhr ihm ein heftiger Schmerz wie eine gezackte Klinge durch den Schädel und schien ihn zu spalten. Abrupt verlor Cullen das Bewusstsein.
Das Gefühl, das etwas an ihm zog, weckte Cullen. Blinzelnd öffnete er die Augen, und einen Moment lang glaubte er, der harte Aufprall habe ihn erblinden lassen. Dann aber spürte er, wie erneut etwas an ihm zerrte, und er erkannte, dass etwas sein Gesicht bedeckte. Das feuchte Tuch, rief er sich ins Gedächtnis. Er war also nicht blind. Zumindest glaubte er, dass er es nicht war. Sicher konnte er sich dessen erst sein, wenn er sich des Hindernisses entledigt hatte.
Wieder zog etwas, dieses Mal untermalt von einem Ächzen und um einiges stärker. Stark genug, dass sein Kopf hochgerissen und sein Hals unangenehm verdreht wurde. Da Cullen fürchtete, sich auf diese Weise das Genick noch nach dem Sturz zu brechen, beschloss er, dass es das Beste sei, wenn er sich am Befreiungsversuch beteiligte. Er hob die Hände an seinen Kopf, um nach dem hinderlichen Material zu greifen. Offenbar aber hatte sich sein Peiniger dicht über ihn gebeugt, denn statt des Stoffes bekam er etwas ganz anderes zu fassen. Zwei ganz andere Dinge … die von weichem, feuchtem Stoff bedeckt, wohlgerundet sowie weich und zugleich fest waren und – wie er mit blind umhertastenden Fingern feststellte – in der Mitte jeweils eine knospenartige Verhärtung hatten. Cullen war so sehr vertieft darin, all diese Einzelheiten aufzunehmen, dass er das entsetzte Keuchen zunächst nicht wahrnahm, das von jenseits des Kleidungsstücks um seinen Kopf zu ihm durchdrang.
»Verzeihung«, murmelte Cullen, als er endlich erkannte, dass er die Brüste einer Frau hielt. Er zwang seine Hände loszulassen und sich stattdessen dem Stoff zu widmen, der ihm so wirkungsvoll die Sicht nahm. Er zerrte rücksichtslos daran, begierig darauf, ihn loszuwerden.
»Vorsicht! Nicht so hastig, Sir, Ihr werdet den Stoff zerreiß …« Die Warnung verlief sich in einem Stöhnen, als das Ratschen des reißenden Tuchs die Luft durchschnitt.
Cullen hielt kurz inne, fuhr dann aber ohne Entschuldigung fort, an dem Kleid zu zerren. Er hatte es noch nie gemocht, eingeengt zu sein, und hatte das Gefühl, er werde ersticken, wenn er nicht umgehend dieses Hindernis loswürde.
»Lasst mich … Ich kann … Wenn Ihr einfach nur …«, sagte eine weibliche Stimme verzweifelt.
Cullen jedoch hörte die Worte kaum, die in seinen Ohren nicht mehr waren als nichtssagendes Gezwitscher. Er beachtete sie nicht weiter und fuhr stattdessen fort, gegen das Tuch anzukämpfen, bis dieses endlich – mit einem erneuten reißenden Geräusch – nachgab und Cullen wieder Luft bekam. Er schloss die Augen und atmete erleichtert durch.
»Oh weh.«
Die leise, fast gehauchte Klage ließ Cullen die Augen aufschlagen. Sein Blick fiel auf die Frau, die neben ihm kniete. Diese ließ den Stoff durch ihre Hände gleiten und begutachtete das beschädigte Material mit vor Bestürzung weit aufgerissenen Augen.
Cullen zog eine weitere Entschuldigung in Betracht, aber er hatte bereits eine abgegeben, und das war mehr, als er gemeinhin in einem ganzen Jahr hervorbrachte. Bevor er sich noch entscheiden konnte, ließ die blonde Reiterin von dem Gewand ab und bedachte stattdessen Cullen mit einem erschrockenen Blick.
»Ihr blutet ja!«
»Was?«, fragte Cullen überrascht.
»Auf meinem Kleid ist Blut. Ihr müsst Euch beim Sturz den Kopf angeschlagen haben«, erklärte sie und beugte sich über ihn, um seine Kopfhaut zu untersuchen. Durch diese Haltung war ihr Oberkörper nur eine Handbreit von Cullens Gesicht entfernt, und wieder machte sich ein Gefühl der Enge in ihm breit, bis er von den weiblichen Rundungen abgelenkt wurde, die sich direkt vor seinen Augen wiegten.
Das Unterkleid, das die Frau trug, war sehr dünn und derzeit nass, wie Cullen bemerkte – zweifelsohne auch der Grund dafür, dass das Tuch durchscheinend war. Cullen konnte nicht anders, als fasziniert die beiden wunderbaren, wohlgeformten Kurven anzustarren, wobei er seinen Blick von der linken zur rechten springen ließ, während die Frau seinen Kopf hin und her drehte, um zu erkunden, woher das Blut stammte.
Offenbar fand sie keine Verletzung, die für das Blut auf ihrem Gewand verantwortlich sein konnte. »Es muss Euer Hinterkopf sein«, murmelte sie und hob unvermittelt Cullens Kopf vom Boden auf, vermutlich, um den hinteren Teil seines Schädels begutachten zu können. Zumindest nahm Cullen das an, als sein Gesicht plötzlich in eben den Hügeln versank, die er bis dahin so interessiert betrachtet hatte.
»Aye, hier ist es. Ihr müsst Euch den Kopf an einem Stein oder etwas Ähnlichem aufgeschlagen haben, als Ihr gestürzt seid«, sagte die Frau in einem Ton, der sowohl Triumph als auch Sorge ausdrückte.
Cullen seufzte nur und schmiegte sich an die Brüste, die ihn umschlossen hielten. Obwohl feucht, fühlten sie sich durchaus wundervoll an, und wenn ein Mann schon ersticken musste, dann war dies nicht der unangenehmste Weg. Er spürte, wie etwas Hartes gegen seine rechte Wange nahe seinen Lippen drückte, und merkte, dass die beiden kleinen Erhebungen auf den üppigen Rundungen sich in zwei feste Perlen verwandelt hatten. Die Frau erstarrte jäh, wie ein Raubtier, das Gefahr wittert. Da Cullen nicht wollte, dass sie verängstigt aufsprang, öffnete er den Mund und versuchte den Kopf so zu wenden, dass er ein, zwei beschwichtigende Worte sagen konnte.
»Beruhigt Euch«, war alles, was er herausbrachte. Cullen hielt nichts von langen Reden. Allerdings war es zweifelhaft, ob die Frau ihn überhaupt verstand, da Cullens Worte von der Knospe gedämpft wurden, die mit einem Mal seinen offenen Mund ausfüllte. Obwohl er der festen Absicht gewesen war, die junge Frau nicht zu verängstigen, konnte er nicht widerstehen, als er erkannte, dass diese köstliche Kirsche ihrer Brust angehörte. Er umschloss die Wölbung unter dem Tuch mit den Lippen und umspielte sie mit der Zunge.
Nur einen Augenblick später schoss erneut Schmerz durch seinen Schädel, als dieser einmal mehr abrupt den Boden traf.