7. KAPITEL
»Was zum Teufel habt Ihr Euch dabei gedacht, Weib?«, grollte Cullen. Er hatte ihr die Frage nicht zum ersten Mal ins Gesicht gespien – sie schien das Einzige zu sein, das zu sagen er imstande war, während er auf seine zitternde Gemahlin hinabblickte und ihr keine Gelegenheit gab zu antworten, ehe er die Frage erneut hervorstieß.
Cullen konnte nicht anders. Als er gesehen hatte, wie seine zierliche Frau über Angus’ Koppel gelaufen war, hatte ihm eisige Furcht die Kehle zugeschnürt, sodass er beinahe an einem Schrecken erstickt wäre, den er in diesem Ausmaß nie zuvor verspürt hatte. Und der Schreck nahm noch zu, als er sah, wie Angus die leichtsinnige Frau entdeckte und über die Weide auf sie zustürmte.
Schlimmer noch – als das törichte Weib ihn, Cullen, gesehen hatte, war sie mit einem Ausdruck der Erleichterung auf dem Gesicht stehen geblieben. Warum zur Hölle sie erleichtert ausgesehen hatte, ging Cullen nicht auf. Er war so weit entfernt von Evelinde gewesen, dass er ihr nur hatte zurufen können, sie solle laufen, um anschließend zum Zaun zu hasten und ihr herüberzuhelfen. Und was hatte das dumme Ding getan? Die Frau hatte gemütlich im Gras gestanden und sich umgedreht, so als befinde sie sich auf einer verdammten Festlichkeit, und war dann erst in Richtung Zaun gerannt.
Um die Wahrheit zu sagen, hatte die Geschwindigkeit, mit der sie den Zaun erreichte, Cullen ziemlich beeindruckt, doch das milderte nicht seinen Zorn. Gütiger Gott, der Schreck, den sie ihm mit diesem kleinen Abenteuer eingejagt hatte, hatte ihn bestimmt zehn Jahre seines Lebens gekostet … und Cullen war wahrlich nicht leicht zu erschrecken. Er konnte sogar aufrichtig von sich behaupten, dass er nie zuvor in seinem Leben wegen irgendeinem Menschen eine solche Angst durchlebt hatte – und er wollte es auch nie wieder tun.
»Ich …«, setzte Evelinde an.
»Was zum Teufel habt Ihr Euch gedacht?«, unterbrach Cullen sie erneut. Das Vieh hätte Evelinde um Haaresbreite zermalmt, und er selbst hatte sie praktisch im letzten Moment aus dem Gatter gehoben. Zudem war es nicht das erste Mal gewesen, dass sie sich selbst durch ihr törichtes Verhalten in Gefahr gebracht hatte, rief er sich ins Gedächtnis. Er dachte an ihren Ritt über die Wiese, die Zügel zwischen den Zähnen. Die Dame schien gern riskanten Vergnügungen zu frönen.
»Ich bin gekommen, um mit Euch zu reden«, stieß Evelinde rasch hervor, ehe Cullen ihr erneut die immer selbe Frage entgegenschleudern konnte.
»Mit mir?«, fragte er ungläubig.
»Aye, ich wollte mit Euch reden, und dann sah ich, wie Ihr von diesem verrückten Pferd geworfen wurdet«, erklärte Evelinde. »Ich fürchtete, Ihr wäret verletzt worden und würdet meine Hilfe brauchen. Um nicht um die Koppel herumlaufen zu müssen und so Zeit zu verschwenden, bin ich über den Zaun geklettert und quer über die Wiese gerannt. Ich dachte, sie sei leer«, fügte sie eilig hinzu.
»Leer?«, wiederholte Cullen fassungslos. »Seid Ihr so blind, wie Ihr töricht seid? Wie habt Ihr den Bullen übersehen können?«
Evelinde aber starrte Cullen nur hilflos an; offenbar fiel ihr keine Antwort ein. Schließlich trat Fergus neben Cullen und legte diesem besänftigend eine Hand auf den Arm. »Die Koppel macht doch einen Bogen, Laird«, raunte Fergus ihm zu. »Womöglich ist Angus in dem Winkel gewesen, den sie nicht einsehen konnte.«
Angesichts dieser mahnenden Worte ließ Cullen die Schultern sinken. Der größte Zorn war ohnehin verraucht, sobald er erfahren hatte, dass Evelindes einfältiges Verhalten ihrer Sorge um ihn entsprungen war. Fergus’ leiser Tadel fegte die letzten Reste der glimmenden Wut hinfort. Er war ungemein glücklich darüber, dass seine Frau doch nicht geistesschwach war. Und noch glücklicher war er über den Umstand, dass sie sich um ihn gesorgt hatte. Obwohl Cullen nicht hätte sagen können, warum ihn das so glücklich machte … Vielleicht lag es daran, dass er sie mochte. Auch er hatte sich um sie gesorgt, als er sie zusammen mit Angus auf der Weide erspäht hatte. Um ehrlich zu sein, hatte er eine Höllenangst ausgestanden, nachdem er gesehen hatte, in welcher Gefahr sie sich befand.
Ein Räuspern ließ Cullen aufschauen. Als er zu Fergus hinüberblickte, wies dieser mit den Augen auf die übrigen Männer, die herumstanden und ihre neue Herrin begafften. Cullen warf ihnen einen düsteren Blick zu, packte Evelinde am Arm und schob sie über die Wiese auf den Pfad zu.
»Es tut mir leid, Mylord. Ich habe den Bullen wirklich nicht gesehen«, sagte Evelinde leise, während er sie den Weg entlang Richtung Burg führte.
In Höhe der Stallungen seufzte Cullen und sah Evelinde zum ersten Mal wirklich an, nun, da Angst und Wut in ihm abgeklungen waren. Er verzog missmutig den Mund. Ihr Haar war völlig zerzaust, und das Kleid, das sie trug, war vorne so weit, dass für jeden Betrachter ersichtlich war, was Evelinde an Rundungen zu bieten hatte beziehungsweise was nicht.
»Was zum Teufel habt Ihr da eigentlich an?«, fragte Cullen gereizt.
»Ich …« Evelinde sah an sich herab und keuchte, als sie sah, was geschehen war. Rasch griff sie den Stoff im Rücken des Gewands und zog ihn zusammen, sodass er über der Brust spannte und keine tieferen Einblicke mehr gewährte.
Mit mürrischer Miene betrachtete er das Kleid. Es kam ihm bekannt vor, auch wenn er sicher war, dass es keines der ihren war. Zumindest war es nicht unter denen gewesen, die er für sie eingepackt hatte.
»Melaird!«
Cullen blieb stehen und sah zur Wehrmauer hinüber, von wo einer der Männer ihm zuwinkte. »Was ist?«, rief Cullen.
»Es nähern sich Reiter, Melaird«, gab der Mann zurück.
Cullen runzelte die Stirn und sah dann Evelinde an, der dies jedoch entging, weil sie ganz damit beschäftigt war, sich zu winden, um einen Blick auf ihren Rücken zu erhaschen. Cullen wusste nicht, wonach sie suchte, und jetzt gerade hatte er auch keine Zeit, es herauszufinden.
»Begebt Euch ins Schlafgemach und zieht Euch etwas Passendes an«, befahl er und schob sie auf den Wohnturm zu. »Ich muss sehen, wer da kommt.«
Evelinde schritt auf den Wohnturm zu, kam jedoch nicht besonders schnell voran. Es war schwer, weit auszuschreiten, wenn man seinen Oberkörper so verdrehte, dass man den Rücken des Kleides begutachten konnte. Evelinde suchte nach der Brosche, die sie sich – ohne Erlaubnis – aus Cullens Truhe geborgt hatte. Die Brosche hatte sich offenbar gelöst und den Stoff freigegeben, den Evelinde im Rücken zusammengesteckt hatte, und sie hoffte, dass sich die Nadel irgendwo in den Falten des Kleides verfangen hatte. Leider jedoch ergab eine sorgfältige Untersuchung des Stoffes, dass die Spange verschwunden war.
Evelinde zögerte, biss sich auf die Unterlippe und sah zur Koppel zurück. Die meisten der Männer waren bereits verschwunden, nur ein paar wenige schlenderten noch von der Weide fort. Unschlüssig schaute Evelinde dann in die Richtung, in der ihr Gemahl verschwunden war. Sie sah, wie er gekonnt eine in die Steinmauer gehauene Treppe erklomm. Zweifellos stieg er dort hinauf, um zu sehen, wer da kam, dachte sie bei sich und blickte wieder zur Koppel hinüber.
Evelinde verspürte nicht das geringste Verlangen, sich erneut in die Nähe des Bullen zu begeben, doch andererseits wollte sie auch nicht ihrem Ehemann erklären müssen, dass sie seine Brosche verloren hatte. Was, wenn persönliche Erinnerungen an diese geknüpft waren? Sie mochte seinem Vater oder gar seiner Mutter gehört haben. Doch selbst, wenn nicht, hatte das Schmuckstück kostbar ausgesehen. Sie meinte sich daran zu erinnern, dass Rubine und Smaragde in die Spange eingearbeitet waren.
Seufzend wandte Evelinde sich um und ging den Pfad, den sie schon halb hinter sich gebracht hatte, wieder zurück in Richtung Koppel. Sie bewegte sich langsam und hatte die Augen auf den Boden geheftet, um nach der Brosche Ausschau zu halten, konnte diese jedoch nirgends erblicken. Als sie den Zaun erreichte, war auch der letzte der Schotten, die dort gestanden hatten, verschwunden. Es schien, als seien die Feierlichkeiten vorüber.
Evelinde blieb an der Stelle des Zaunes stehen, an der sie auch vorhin gestanden hatte, und hielt nach dem Bullen auf der Koppel Ausschau. Angus war nirgends zu sehen, aber so war es auch vorhin gewesen, und daher schaute sie nun genauer hin und erkannte, dass die Weide kein Rechteck war, wie sie zunächst gedacht hatte, sondern wie ein »L« geformt war, wobei das kürzere Ende scharf abknickte und hinter der nächsten Koppel und somit aus dem Sichtbereich verschwand. Zweifellos war das Untier vorhin an dem Ende gewesen, das Evelinde nicht hatte sehen können. Sie beschloss, dass es wohl besser war, die Koppel nicht auf eigene Faust abzusuchen.
Sie presste die Lippen zusammen und umklammerte entmutigt die Holzlatte vor sich. Dann fiel ihr plötzlich wieder ein, wie sie beim Erklimmen des Zauns mit dem Rock hatte kämpfen müssen, der am Holz hängen geblieben war. Vielleicht war die Brosche dabei aufgesprungen und abgefallen, dachte sie und begann, den Boden vor dem Zaun abzusuchen, indem sie mit dem Stiefel das Gras hin- und herstrich und die Spange so zu erspähen hoffte. Als dies nichts brachte, kniete Evelinde sich nieder und kroch umher, wobei sie ihre bloßen Finger über das Gras fahren ließ. Sie war durchaus bereit, das Risiko einzugehen, sich an der Nadelspitze zu stechen, wenn sie dafür nur die Brosche fand. Sie wollte wirklich nicht erklären müssen, dass sie das Schmuckstück verloren hatte.
Als auch dies keinen Erfolg zeitigte, richtete sich Evelinde seufzend auf, hockte sich auf die Fersen und starrte auf die Koppel. Die Brosche mochte tatsächlich aufgesprungen sein, als sie hier über den Zaun geklettert war, aber vielleicht hatte sie noch eine Weile im Stoff festgehangen und war erst irgendwo zwischen dieser und der gegenüberliegenden Seite der Weide abgefallen.
Oder aber sie war erst heruntergefallen, als Cullen und sie zurück zum Wohnturm gegangen waren, dachte Evelinde, und Hoffnung keimte in ihr auf. Sie erhob sich, kehrte zum Pfad zurück und folgte diesem an der Bullenweide entlang, wobei sie den Boden beim Gehen mit den Augen absuchte. Sobald sie dort ankam, wo Cullen und sie, wie Evelinde glaubte, die Grasfläche zwischen den beiden Koppeln überquert hatten, ließ sie sich wieder auf Hände und Füße nieder und durchstöberte das Gras entlang des Pfads, den sie gegangen waren.
»Frau!«
Als Evelinde das Bellen – es gab kein anderes Wort dafür – hörte, schloss sie die Augen. Cullen klang wütend … wieder einmal. Darum bemüht, nicht die Stelle zu verlieren, an der sie gerade suchte, blieb sie auf Händen und Knien hocken und wandte nur den Kopf, um zu ihm aufzuschauen. Als sie sah, dass ihr Gemahl nicht alleine war, weiteten sich ihre Augen. Bei ihm waren zwei Männer und eine Frau, bemerkte Evelinde bestürzt – und sie alle, Cullen eingeschlossen, starrten sie mit einer Art fasziniertem Entsetzen an, das sie nicht recht verstand. So schockierend war es doch nun auch wieder nicht, sie suchend am Boden zu finden, oder?
»Frau, Ihr … Euer …« Um Worte ringend, wies Cullen auf seine Brust und hastete dann auf Evelinde zu.
Die Geste ließ Evelinde an sich herunterschauen, und ihr stieg die Schamesröte in die Wangen, weil sie bemerkte, dass das geliehene Gewand wieder weit klaffte und – da sie sich auf allen vieren befand – sie somit den Besuchern einen wunderbaren Einblick bis hinunter zu den Knien gewährte. Mit einem Keuchen setzte sie sich auf und keuchte dann erneut, als Cullen sie am Arm packte und auf die Füße zerrte.
Ehe Evelinde noch den Rücken des Kleids greifen und das Gewand dadurch etwas präsentabler machen konnte, hatte Cullen dies schon getan. Er ergriff den überschüssigen Stoff mit der Faust und benutzte ihn gleichzeitig, um Evelinde festzuhalten und zu sich umzudrehen. »Was tut Ihr da?«, zischte er. »Ich habe Euch doch gesagt, Ihr sollt Euch umkleiden.«
»Aye, aber ich habe doch …« Abrupt brach Evelinde ab, als ihr aufging, dass sie ihm beinahe die verlorene Brosche gebeichtet hätte. Cullen nahm allerdings gar keine Notiz davon, sondern fuhr sie erneut an.
»Wenn ich Euch etwas auftrage, dann tut Ihr das gefälligst auch, Frau!« Er klang hart und unnachgiebig.
»Ich …«
»Gehorsam war eines der Gelübde, die Ihr abgelegt habt«, rief Cullen ihr grimmig ins Gedächtnis.
Bei diesen Worten kniff Evelinde die Augen zusammen. »Soweit ich mich erinnere«, erwiderte sie dann scharf, »habe ich überhaupt nichts gelobt, liebster Gemahl. Denn ich war so kraftlos wie ein Fisch auf dem Trockenen.«
Cullen brummte und setzte an, etwas zu sagen, das zweifelsohne ein weiterer Befehl geworden wäre, als er von einer weiblichen Stimme unterbrochen wurde. »Oh«, sagte diese, »das klingt nach einer amüsanten Geschichte, meine Liebe. Ich kann es kaum erwarten, sie zu hören.«
Evelinde schaute die Frau mit großen Augen an und stellte nebenbei fest, dass die drei, die mit ihrem Gemahl gekommen waren, näher getreten waren.
»Ihr seid Engländerin«, stellte Evelinde verwundert fest, während sie die hochgewachsene, sehr weiblich gebaute Dame neugierig musterte.
»Seit meiner Geburt«, bestätigte die Frau lächelnd. »Und ich hatte schon befürchtet, ich hätte mir in all den Jahren einen schottischen Akzent zugelegt.«
»Ein wenig habt Ihr den«, räumte Evelinde ein. »Aber er ist nicht so stark, dass ich Mühe hätte, Euch zu verstehen, so wie es bei allen anderen hier der Fall ist.«
Die Frau lachte auf, doch Cullen und die beiden anderen Männer blickten mürrisch drein, als habe Evelinde sie soeben beleidigt. Offenbar gelang ihr heute gar nichts, nicht einmal die richtigen Worte fielen ihr ein, dachte Evelinde unglücklich. Sie wurde unsanft aus ihren Gedanken gerissen, als ihr Gemahl, der sie immer noch im Rücken festhielt, sie vorwärtsschob, wobei seine Faust ihr ins Fleisch drückte – sicherlich unbeabsichtigt, sagte sie sich.
»Frau, das sind die Comyns«, sagte Cullen. »Meine Gattin«, stellte er sie knapp den Comyns vor. Dann führte er die Gruppe den Pfad entlang zurück. Angesichts dessen, was Cullen offenbar für eine Vorstellung hielt, verdrehte Evelinde die Augen, lächelte dann aber so lieblich sie konnte und sagte: »Seid willkommen.«
Lady Comyn – zumindest nahm Evelinde an, dass es sich um Lady Comyn handelte, wenngleich das nach dieser Vorstellung, die Cullen durchgeführt hatte, schwer zu sagen war, dachte sie gereizt –, Lady Comyn also lachte leise und hakte sich bei Evelinde unter, um sie zum Wohnturm zu führen.
»Nennt mich Ellie, meine Liebe«, sagte Lady Comyn. »Ich heiße Eleanor, aber so nennen mich nur Menschen, die ich nicht mag.«
»Und ich bin Evelinde, Mylady«, murmelte Evelinde und warf ihrem Gemahl über die Schulter einen gereizten Blick zu, weil dieser sie immer noch im Rücken festhielt und versuchte, sie so zu lenken. Sie wollte sich seinem Griff entwinden und den Stoff mit ihrer eigenen freien Hand halten, aber Cullen übersah ihre Bemühungen und funkelte seine Frau stattdessen finster an. Sie funkelte zurück und kniff ihm in den Handrücken.
»Wir haben gehört, dass Cullen eine Braut gefunden hat, und wir mussten einfach herkommen und Euch kennenlernen«, sagte Lady Comyn und lenkte Evelinde damit von ihrem Gemahl ab.
Evelinde achtete vorerst nicht weiter auf Cullen, sondern wandte sich Lady Comyn zu und lächelte. »Und ich bin froh, dass Ihr gekommen seid.«
»Ich auch«, erwiderte Ellie amüsiert, als Cullen ihr Evelinde aus dem Arm riss, indem er sie am Rückenstoff des Kleides nach rechts zog.
Erst da erblickte Evelinde die Pfütze, in die sie beinahe getreten wäre. Dennoch bedachte sie Cullen mit einem wütenden Blick und versuchte erneut, sich aus seinem Griff zu befreien, wobei sie dieses Mal ihre Fingernägel in seiner Hand vergrub, anstatt ihn nur zu zwicken.
Ein verhaltenes Glucksen lenkte Evelindes Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass die Männer des Comyn-Clans – ein älterer, der wahrscheinlich Ellies Gemahl war, und ein jüngerer ungefähr in Cullens Alter, welcher der Sohn der beiden sein mochte – hinter ihnen gingen und das Schauspiel grinsend verfolgten.
»Aye, wir hörten zwar, dass Cullen eine Braut gefunden hat, nicht aber, dass diese ihm ebenbürtig ist«, sagte der jüngere Comyn mit einem belustigten Blitzen in den Augen. »Es dürfte interessant mit anzusehen sein, wie sich der Teufel von Donnachaidh angesichts einer Frau verhalten wird, die nicht wie selbstverständlich tut, was er befiehlt, so wie alle übrigen Menschen.«
Cullen ließ Evelindes Kleid los, um sich umzuwenden und dem jungen Mann einen strengen Blick zuzuwerfen, aber dieser lachte nur und schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter. »Na, komm schon, Cullen, schau nicht so finster drein, oder ich werde allen Leuten erzählen, dass du buchstäblich am Rockzipfel deiner Frau hängst.«
Bei dieser brüskierenden Bemerkung riss Evelinde entsetzt die Augen auf, sah dann aber zu Lady Comyn hinüber, die kicherte und sich erneut bei ihr unterhakte. »Schenkt dem Ganzen keine Bedeutung, meine Liebe. Mein Sohn Tralin und Euer Gemahl sind schon seit Ewigkeiten Freunde.«
Evelinde lächelte bei diesen beruhigenden Worten, warf aber dennoch einen verunsicherten Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass die beiden Männer nicht handgemein wurden. Cullen aber schritt friedlich zwischen den beiden Comyns einher, lauschte den Worten des Älteren und wirkte nicht im Geringsten verärgert. Zudem hielt er sie nicht mehr im Rücken fest, erkannte Evelinde und übernahm erleichtert selbst die Aufgabe, den Stoff für den Rest des Weges gerafft zu halten.
Ihre Erleichterung hielt allerdings nur an, bis sie den Fuß der Treppe zum Wohnturm hinauf erreichten. Evelinde hielt inne, um ihren Rock aufzunehmen, damit sie nicht darüber stolperte, und keuchte dann erschrocken auf, als ihr Gemahl sie einfach aufhob.
»Ihr kommt in diesem lächerlichen Kleid nur zu Fall«, sagte er und trug sie an Lady Comyn vorbei, die keinen Hehl aus ihrer Erheiterung machte.
Evelinde biss die Zähne zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei sie sich fragte, wann und wo genau sie eigentlich ihre Würde eingebüßt hatte. Wahrscheinlich irgendwo auf dem Weg zwischen England und Schottland – wenn man einmal die demütigenden Ereignisse vor ihrer Hochzeit außer Acht ließ. Der Fall im Fluss, Cullens fataler Sturz vom Pferd und schließlich die Tatsache, dass sie kaum etwas von ihrer eigenen Eheschließung mitbekommen hatte, waren allesamt Ereignisse, die klar erkennen ließen, dass Evelinde von einer Schwierigkeit in die nächste gestolpert war, seit Edda verkündet hatte, dass sie den Teufel von Donnachaidh heiraten werde. Dies also musste der Punkt gewesen sein, dachte Evelinde, an dem das Glück sie verlassen hatte.
Dabei war sie nach dem Vollzug der Ehe mit dem Gefühl aufgewacht, dass sie sich glücklich schätzen konnte, mit diesem Mann vermählt worden zu sein. Evelinde schnaubte abfällig angesichts dieses armseligen, naiven Gedankens, den sie noch vor Kurzem gehegt hatte. Cullen, der gerade mit ihr den Wohnturm betrat, bedachte diesen Laut mit einem durchdringenden Blick. Doch Evelinde übersah die Frage in seinen Augen und kam zu dem Schluss, dass das Pech, das ihrem Gemahl damals widerfahren war, ihr hätte zu denken geben sollen und sie tunlichst einen Weg hätte finden müssen, das Verlöbnis zu beenden.
Und vom Pech verfolgt war er in der Tat, dachte Evelinde, während Cullen sie durch die große Halle zur Treppe trug. Sein Vater, sein Onkel und seine erste Gattin waren tot, und jeder dieser Todesfälle wurde ihm, Cullen, angelastet. Eine glückliche Fügung war dies gewiss nicht. Es schien offensichtlich, dass ihr Gemahl mit irgendeinem Fluch belegt war.
Vielleicht sollte sie sich eingehender mit Schutzzaubern befassen, damit sie diese Ehe lebendig überstand, dachte Evelinde missmutig.
»Zieht Euch um.« Cullen äußerte diesen knappen Befehl, als er sie am Fuße der Treppe absetzte, die zu ihrem Gemach hinaufführte.
»Genau was soll ich anziehen, Mylord?«, fragte Evelinde ungehalten. »Ich habe nichts außer den Kleidern in unserer Kammer, und jedes von ihnen dürfte so weit sein wie dieses.«
»Wie bitte?«, fragte Cullen überrascht.
»Ihr habt gehört, was ich sagte«, erwiderte Evelinde schärfer, als sie beabsichtigt hatte. Sie blickte zu den Comyns hinüber und seufzte innerlich, als ihr aufging, dass diese zwar drüben bei der Tafel standen, aber aufmerksam lauschten.
»Aber natürlich habt Ihr Kleider zum Anziehen«, beteuerte Cullen. »Zieht doch einfach eines von Euren eigenen an.«
»Und wo soll ich eines davon hernehmen?« Evelinde wandte sich ihm wieder zu und ließ ihrem Unmut freien Lauf. »Ihr habt mich von d’Aumesbery weggezerrt, ohne dass ich meine Magd, meine Stute oder auch nur Kleidung zum Wechseln oder eine Haarbürste mitnehmen konnte«, rief sie erzürnt. »Und dies«, sie wies an sich herunter, »ist das Beste, was ich aus meiner Lage machen konnte!«
Cullen brummte verärgert und schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich habe ich Euch Kleidung zum Wechseln mitgebracht. Ich habe sie eingepackt, während wir die Ehe hätten vollziehen sollen.«
Evelinde entging nicht, dass bei dieser Enthüllung sämtliche Comyns die Augenbrauen hoben – aber abgesehen davon, dass sie ihnen hätte zurufen können, die Ehe sei inzwischen durchaus vollzogen worden, fiel ihr keine passende Entgegnung ein. Und eigentlich war die Sache auch so schon beschämend genug.
»Ich habe auch eine Bürste eingepackt«, fügte Cullen hinzu und lenkte Evelindes Aufmerksamkeit wieder auf sich.
»Wo habt Ihr dies alles versteckt?«, fragte Evelinde verwirrt. Sie erinnerte sich daran, dass er in der Kammer einmal kurz aus ihrem Sichtfeld verschwunden war und sie ihn hatte herumkramen hören. Wahrscheinlich hatte er gepackt, erkannte sie jetzt.
»In einem Beutel. Er liegt in unserem Gemach«, erwiderte er.
Evelinde starrte ihren Mann an, als ihr aufging, dass dieser gerade mehr Worte gesprochen hatte als in der ganzen Zeit, die sie nun verheiratet waren. Zwar nahm sie seine unverhofften Eröffnungen mit Erleichterung auf, konnte aber nicht die Wut darüber niederringen, dass ihr dieser ganze peinliche Nachmittag erspart geblieben wäre – wenn er ihr all dies schon während der Reise oder auch vor ihrem gestrigen Liebesspiel einfach gesagt hätte! Dann hätte sie eines ihrer eigenen passenden Kleider tragen können, hätte die Brosche nicht benötigt, die nun verloren war, hätte sich nicht vor den Nachbarn entblößt und hätte sie mit Anstand willkommen heißen können. Das ganze Debakel war allein seine Schuld.
Evelinde wollte schon etwas Entsprechendes sagen, wobei ihr gleich mehrere Kraftausdrücke auf der Zunge lagen, hielt sich aber im letzten Moment zurück und wandte sich abrupt von Cullen ab. Sie hatte sich vor ihren Nachbarn schon zur Genüge gedemütigt und nicht vor, die Lage noch schlimmer zu machen. Später jedoch würden ihr Gemahl und sie ein ernstes Wort miteinander reden, sagte sich Evelinde, während sie ihr Kleid raffte und die Treppe hinaufrauschte.
Sie wurde nicht langsamer, bis sie das Schlafgemach erreichte und hineinstürmte. Dann marschierte sie in der Kammer umher und hielt mit finsterer Miene nach dem Beutel Ausschau, von dem Cullen gesprochen hatte. Sie dachte schon, es gebe gar keinen solchen, dann aber erinnerte sie sich, dass sie in der Nacht ihrer Ankunft etwas leise zu Boden hatte fallen hören. Also ging sie zu der Seite des Betts hinüber, auf der Cullen geschlafen hatte. Aber da lag nichts auf dem Boden.
Sie wollte schon wieder nach unten stürmen und ihren Gatten lautstark zur Rede stellen, als sie ein Stück Stoff bemerkte, das unter dem Bett hervorlugte.
Evelinde ging darauf zu, kniete nieder und zog etwas hervor, das sich tatsächlich als Beutel entpuppte. Cullen musste ihn aus Versehen unter das Bett geschoben haben, bevor er sich letzte Nacht hingelegt hatte, oder vielleicht war dies auch geschehen, als er heute Morgen aufgestanden war oder als er Evelinde mit Salbe eingerieben hatte. Wenn er nur ein Wort gesagt hätte, dann hätte sie einfach danach greifen müssen.
Sie schloss kurz die Augen und atmete durch.
»Ganz ruhig, Evelinde«, murmelte sie. Dann stand sie auf und öffnete den Beutel. Sie legte ihn aufs Bett und zog das Erstbeste heraus, dessen sie habhaft werden konnte. Es war ein dunkelgrünes Gewand, eines ihrer Lieblingskleider. Ein rotes folgte, ebenfalls eines, das sie besonders gerne trug. Schließlich kam ein Unterkleid zum Vorschein, und noch eins, und im nächsten Moment umfasste ihre Hand den Griff einer Haarbürste. Evelinde packte den Beutel, kippte die übrigen Sachen auf das Laken und erspähte erleichtert seufzend einige ihrer besten Gürtel, Schleier, Haarreife, Handschuhe sowie einen kleineren Beutel, in dem sich der Schmuck ihrer Mutter befand.
Sie ließ sich auf die Bettkante sinken und betrachtete die Gegenstände. Tränen traten ihr in die Augen. Cullen hatte an alles gedacht. Nun, nicht an alles – nicht an die Wandbehänge und alles andere, aber er hatte all das eingepackt, was sie brauchte, um sich zumindest einige Tage lang angemessen kleiden zu können. Es war mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte, nachdem er ihr mitgeteilt hatte, dass er für sie gepackt habe. Den meisten Männern wäre es sicherlich nicht eingefallen, auch Handschuhe oder Stirnreife zu verstauen. Ihr Gemahl aber hatte daran gedacht und dies, obwohl Evelinde nicht in der Lage gewesen war, ihn darum zu bitten. Zudem hatte er während einer Hochzeit daran gedacht, die turbulenter als die meisten verlaufen war. Zumindest nahm Evelinde dies an, wobei sie sich allerdings nicht sicher war. Schließlich war es ihre erste gewesen.
Ein wenig besänftigt raffte Evelinde sich auf und begann, ihr Kleid abzulegen. Sie würde sich so schnell wie möglich umkleiden und frisieren und dann in die große Halle zurückkehren. Sie hatten Gäste. Ihre ersten. Beim ersten Zusammentreffen hatte sie einen schlechten Eindruck gemacht, doch sie hatte vor, dies wiedergutzumachen. Sofern ihr dies gelang.