8. KAPITEL

Das Eheleben war schrecklich.

Evelinde verzog das Gesicht, als ihr dieser Gedanke zum hundertsten Male durch den Kopf schoss, seit sie sich gesetzt hatte, um einen kleinen Riss in ihrem grünen Gewand zu flicken. Drei Tage waren vergangen, seit die Comyns hier gewesen waren, und als Evelinde erst einmal präsentabel gekleidet gewesen war, hatte sie den Besuch auch genießen können. Ellie – Lady Comyn – war eine charmante, geistreiche und elegante Dame, so wie es Evelindes Mutter gewesen war; die Art von Dame, die Evelinde gerne geworden wäre, womit sie aber offenbar elendig gescheitert war.

Seufzend setzte sie die Nadel erneut an und schaute dann zu ihrem Gemahl hinüber, der an der Tafel saß und sich mit Fergus unterhielt. Offensichtlich konnte er doch sprechen, dachte Evelinde bitter, während sie beobachtete, wie Cullens Mund einen ganzen Satz formte anstatt nur einen dieser brummigen Laute, mit denen er seine Gemahlin immer abfertigte.

Meistens machte er sich nicht einmal die Mühe, überhaupt etwas zu ihr zu sagen. Evelinde versuchte immer wieder, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, jedoch erfolglos. In der Hoffnung, ihn zum Reden zu bewegen, hatte sie über ihre Kindheit, ihre Eltern, ihren Bruder, ihre Stute und andere Dinge geplaudert und sogar eine Bemerkung über ihre geliebten Wandbehänge einfließen lassen und ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass sie diese nicht hatte mitnehmen können. Zumeist hatte Evelinde allerdings über Mildrede und Mac gesprochen. Sie vermisste beide fürchterlich und sagte dies auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Als Antwort auf all dies hatte Cullen nur gebrummt.

Er war nicht einmal auf ihre Frage eingegangen, welche Pflichten er denn für sie vorgesehen habe, nun, da sie auf Donnachaidh war. Als ihr das übliche entmutigende Schweigen entgegenschlug, hatte sie diese Frage fallen gelassen und stattdessen ihr Biddy gegebenes Versprechen eingelöst und ihn gefragt, ob er nicht ein paar der Männer abkommandieren könne, damit sie den Frauen bei den schwereren Arbeiten in der Küche zur Hand gingen. Doch alles, was Evelinde für ihr Bemühen erntete, war ein Blick, der besagte, dass ja wohl schon allein die Vorstellung närrisch sei.

Wäre nicht der Umstand gewesen, dass Evelinde beobachtet hatte, wie Cullens Lippen sich im Gespräch mit anderen bewegten, dann hätte sie denken können, dass er gar nicht in der Lage sei, ganze Sätze zu bilden. Doch sie hatte es gesehen, und nun nahm Evelinde an, dass er in Wahrheit einfach keine Lust hatte, mit ihr zu sprechen. Sie war fast so weit, zu glauben, dass er es bedauere, sie geheiratet zu haben. Nicht dass Cullen etwa gemein oder gewalttätig gewesen wäre, doch seitdem sie ihre Ehe besiegelt hatten, hatte er sie nicht mehr angerührt. Es schien so, als habe Cullen das, was für Evelinde ein wunderschönes, aufregendes und bahnbrechendes Ereignis gewesen war, nicht einmal ansatzweise genossen. Warum sonst hatte er dieses Erlebnis nicht wiederholt?

Dies war die Frage, die Evelinde regelmäßig heimsuchte, wenn sie nachts im Dunkeln neben ihm lag und seinem Atem lauschte: Warum nur rührte er sie nicht mehr an?

Evelinde fühlte sich erbärmlich. Sie vermisste Mildrede und Mac, kam sich bar jeden Beistands vor, litt in ihrem neuen Zuhause an Einsamkeit und konnte sich bei alldem nicht einmal mit den Küssen und Liebkosungen ihres Mannes trösten. Stattdessen blies sie den ganzen Tag über Trübsal, lag nachts schlaflos im Bett und spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen rannen angesichts der Vorstellung, dass dies von jetzt an ihr Leben sein würde: ein schweigsamer, liebloser Gemahl und nicht ein Freund an der Seite, mit dem sie reden konnte.

Nun, natürlich war da Biddy, ermahnte sich Evelinde. Doch Cullens Tante war immerzu beschäftigt, wirbelte in der Küche umher, gab Anweisungen, zerlegte Hühnchen oder tat irgendetwas anderes. Evelinde störte sie nur ungern, solange sie voll und ganz darin aufging, die Köchin von Donnachaidh zu vertreten, und daher vermied sie es, ihr allzu sehr zuzusetzen. Was dazu führte, dass sie sich zunehmend verlorener fühlte, bis sie sich vergangene Nacht gar einen Moment lang gewünscht hatte, zurück auf d’Aumesbery zu sein. Zwar konnte einem Edda das Leben vergällen, doch zumindest hatte Evelinde dort Menschen, mit denen sie reden konnte. Und während der seltenen Gelegenheiten, in denen sie sich von der Burg hatte fortstehlen können, um Lady zu reiten oder einfach auf der Lichtung zu sitzen, hatte sie in sich Frieden und sogar ein gewisses Maß an Freude verspürt – Dinge, die sie auf Donnachaidh, wie sie fürchtete, niemals finden würde.

Ja, es hatte sich herausgestellt, dass das Eheleben doch nicht so großartig war, wie sie noch am Tag nach ihrer Ankunft hier geglaubt hatte. Evelinde seufzte, als sie feststellte, dass sie die letzten Nadelstiche schief gesetzt hatte. Sie schnitt eine Grimasse und trennte die Naht wieder auf. Nichts schien ihr mehr zu gelingen. Zumindest war keiner Sache, an der sie sich auf Donnachaidh versucht hatte, bislang Erfolg beschieden gewesen. Sie hatte ihren Gemahl nicht zum Reden bewegen können, bekam nicht einmal eine gerade Naht hin und schaffte es nicht, auch nur das Geringste darüber in Erfahrung zu bringen, warum Cullens Onkel, Vater und erste Ehefrau umgebracht worden sein könnten.

Beim Gedanken an diese Angelegenheit seufzte Evelinde erneut. Wann immer sie in den letzten Tagen nicht gerade bemüht gewesen war, ihrem Laird einen verständlichen Laut zu entlocken oder ihren Pflichten als Lady Donnachaidh nachzukommen, hatte sie ihre Zeit damit verbracht, mehr über die drei Todesfälle herauszufinden.

Eigentlich hatte Evelinde lediglich Fragen gestellt. Sie hatte bei Cullens Tante angefangen und versucht, ungezwungen zu klingen, doch Biddy hatte den Braten gerochen. »Lasst die Sache ruhen«, hatte sie Evelinde geraten. »Das Letzte, was Cullen braucht, ist eine weitere tote Ehefrau.« Also hatte Evelinde widerstrebend davon Abstand genommen, weiter in Biddy zu dringen, und stattdessen bei anderen nachgehakt. Sie hatte mit mehreren Dienerinnen gesprochen sowie mit Scatchy – der, wie sich herausstellte, der Stallmeister war –, Fergus und einigen anderen, aber niemand war sehr gesprächig gewesen, was das Thema anging. Alles, was die Fragerei Evelinde eingebracht hatte, war eine strenge Predigt von Fergus, der ihr versichert hatte, dass ihr Gemahl niemanden umgebracht habe und dass sie, Evelinde, den Gerüchten und all diesem Unfug keinen Glauben schenken solle, denn Cullen sei ein guter Mann und sie, Evelinde, solle sich lieber darauf besinnen, ihm ein gutes Eheweib zu sein. Derart ausgiebig getadelt, hatte Evelinde die Angelegenheit umgehend fallen gelassen.

Bislang war sie also mit ihren Bemühungen nicht weit gekommen. Sie wertete auch dies als Versagen, und das ärgerte sie, denn sie wusste nicht einmal genau, warum sie es auf sich genommen hatte, alle Menschen über diese Sache auszuhorchen. Zunächst hatte Evelinde sich einzureden versucht, sie habe es für ihren Gemahl getan, um ihm auf diese Weise für seine Umsicht beim Packen ihrer Kleider zu danken. Doch in Wahrheit, so argwöhnte sie, hatte sie es getan, weil sie wie die kleine Maggie, Cullens erste Frau, hoffte, seine Zuneigung – oder zumindest seine Aufmerksamkeit – zu gewinnen, indem sie seinen Namen reinwusch.

Und war dies nicht erst recht ein trauriger Sachverhalt? fragte Evelinde sich abfällig. Sie wusste nicht einmal, warum sie die Angelegenheit so beschäftigte. Schließlich war es eine Ehe, und bei Ehen ging es selten um Liebe. Eine Ehe war ein geschäftliches Bündnis. Durch ihre Heirat hatte Cullen eine ansehnliche Mitgift erhalten und Evelinde ein Heim auf Lebenszeit. Andernfalls wäre sie entweder ihrem Bruder zur Last gefallen, indem sie weiterhin wie Edda auf d’Aumesbery gehockt hätte, oder sie wäre in ein Kloster abgeschoben worden. Liebe war nicht Teil der Ehevereinbarung. Auch Evelindes Eltern hatten sich nicht geliebt, als sie geheiratet hatten; die Liebe zwischen ihnen war erst später gewachsen, und damit hatten sie Glück gehabt. Die meisten Eheleute fanden sie nie.

»Mylady.«

»Aye?« Evelinde sah gedankenverloren auf, um zu sehen, wer sie angesprochen hatte, und wollte die Augen gerade wieder auf ihre Näherei richten, als ihr Blick erneut auf die Person fiel, die vor ihr stand. »Mildrede!«

Die Magd lachte fröhlich, als Evelinde ihre Näharbeit fortschleuderte, aufsprang und sich ihr in die Arme warf.

»Oh, Mildrede, ich habe dich so vermisst!«

»Und ich Euch, Mylady«, beteuerte Mildrede lachend und drückte ihre Herrin an sich.

»Wie kommst du hierher?«, erkundigte sich Evelinde und gab die Magd gerade so weit frei, dass sie ihr ins Gesicht sehen konnte.

Mildrede hob die Augenbrauen. »Wo sollte ich wohl sonst sein? Schließlich bin ich Eure Kammermagd. Mein Platz ist an Eurer Seite.«

»Aye, aber …« Evelinde brach verwirrt ab. Sie wollte sich gerade Cullen zuwenden und ihn um eine Erklärung bitten, als sie den Mann erblickte, der einige Schritte hinter ihrer Magd stand, und ihre Augen weiteten sich ungläubig. »Mac?«

Als dieser sah, wie fassungslos Evelinde war, verzog er den Mund zu einem breiten Grinsen. »Der bin ich«, sagte er.

Evelinde löste sich von Mildrede und eilte zu Mac hinüber, um auch ihn in die Arme zu schließen. »Ich kann nicht glauben, dass du hier bist.«

»Ich auch nicht«, gab er trocken zu. »Hätte nie gedacht, dass ich mein geliebtes Schottland noch einmal wiedersehe, doch hier bin ich nun und froh darüber«, setzte er mit fester Stimme hinzu. »Wir sind für meinen Geschmack gar nicht schnell genug von d’Aumesbery fortgekommen. Nach Eurer Abreise hat Edda den Menschen dort noch mehr zugesetzt als üblich.«

Als Evelinde bei diesen Neuigkeiten besorgt die Stirn in Falten legte, fügte Mac schnell hinzu: »Nur keine Sorge. Auf dem Weg hierher trafen wir eine kleine Reisegruppe. Wir hielten und stellten fest, dass es Alexander war, der endlich zurückgekehrt ist. Er wird sich schon um Edda kümmern.«

»Mein Bruder ist zurück?«, fragte Evelinde und juchzte vor Freude und Erleichterung auf. Sie hatte schon befürchtet, dass er in Tunis schwer verwundet worden oder gar gefallen war. Doch das war er nicht, und nun war er endlich heimgekehrt. Das war ein fast ebenso großes Geschenk, wie Mildrede und Mac wieder bei sich zu haben, dachte sie. Aufgeregt wandte sie sich zu ihrem Gemahl um, der gerade eine Hand auf ihren Arm gelegt hatte, um sie aus Macs Umarmung zu ziehen. »Können wir ihn besuchen?«, fragte sie. »Ich habe meinen Bruder seit drei Jahren nicht gesehen.«

»Nicht sofort«, erwiderte Cullen. »Vielleicht später im Jahr. Aber wir können ihn einladen, uns zu besuchen, wenn Ihr dies wünscht.«

Evelinde bedachte den Vorschlag mit einem freudigen Nicken und wies dann auf Mildrede und Mac. »Bleiben sie hier?«

Cullen nickte.

»Mildrede kann wirklich bleiben?«, hakte Evelinde nach.

»Sie ist Eure Magd«, entgegnete er schlicht.

»Und Mac?«

»Ihr sagtet, er sei Euch ein Freund.« Cullen zuckte mit den Schultern. »Er ist Schotte, und Scatchy wird alt. Er braucht jemanden, der seinen Platz einnimmt und seine Tochter bei der Stallarbeit entlastet.«

Diese Worte ließen Evelinde aufmerken. Sie hatte gewusst, dass Scatchy in den Ställen arbeitete; er war einer der wenigen, die sich mit noch etwas anderem als Schwertkampf zu befassen schienen. Doch sie hatte nicht gewusst, dass auch die Tochter des Mannes dort half. Nicht dass sie dies im Moment großartig beschäftigte. Derzeit war sie ganz davon in Anspruch genommen, was ihr Gemahl für sie getan hatte.

»Ihr habt nach ihnen geschickt, weil Ihr wusstet, dass ich sie vermisse?«, fragte Evelinde. Tränen traten ihr in die Augen, als sie erkannte, dass er ihr doch zuzuhören schien.

»Nein.«

Evelinde fuhr herum und sah einen hochgewachsenen, überaus gut aussehenden blonden Mann auf sich zukommen. Sie erkannte in ihm sofort einen der Reiter, die gemeinsam mit ihrem Gemahl nach d’Aumesbery gekommen waren, bei ihrer Abreise jedoch zurückgeblieben waren. Allerdings wusste sie seinen Namen nicht.

»Tavis«, stellte der Blonde sich vor. Scheinbar hatte er die Verwirrung auf ihrem Gesicht richtig gedeutet. »Ich bin Cullens Cousin. Nun, da Ihr ihm angetraut seid, auch der Eure.«

»Oh.« Evelinde nickte ihm lächelnd zu. »Seid gegrüßt, Cousin Tavis.«

Die förmliche Begrüßung ließ Tavis’ Lächeln noch etwas breiter werden. Er zwinkerte Evelinde zu, drehte sich dann um und deutete auf die Männer, die ihm gefolgt waren. »Gillie, Rory und Jasper«, stellte er sie vor.

Evelinde nickte den grinsenden Männern einem nach dem anderen zu und wandte ihre Aufmerksamkeit dann wieder Tavis zu, der ihr endlich eine Erklärung lieferte. »Cullen hat uns noch vor Eurem Aufbruch von d’Aumesbery angewiesen, Eure Habe herzubringen. Während Cullen, Fergus und Ihr aufbracht, blieben wir zurück, um Euren Besitz auf ein Fuhrwerk zu laden und dann zu folgen.«

»Aye, Mylady«, bekräftigte ein kleiner rotblonder Mann mit Sommersprossen, den Tavis als Gillie vorgestellt hatte. »Wir reisten so schnell her, wie wir konnten, kamen wegen des Wagens jedoch nicht so schnell voran.«

Evelinde starrte die Krieger an. Deshalb also waren sie so plötzlich verschwunden. Sie waren zurückgeblieben, um das Pferdefuhrwerk nach Donnachaidh zu bringen – den Wagen mit all ihren Habseligkeiten.

»Wir haben alles hergebracht, was Euch gehört«, sagte Mildrede und holte Evelinde damit aus ihren Gedanken. »Zunächst hat Edda versucht, uns aufzuhalten, doch Tavis und die anderen Männer haben ihr einfach gesagt, sie solle nicht im Wege herumstehen. Wir haben Euch auch Eure Wandbehänge und …« Die Magd brach ab, da Evelinde herumgewirbelt war und auf das Portal zustürzte.

»Oh!«, keuchte Evelinde, nachdem sie durch die Tür gestürmt und oben auf der Treppe zum Stehen gekommen war, die hinunter in den Hof führte. Sie starrte auf den voll gepackten Wagen, der vor dem Wohnturm wartete. Mit großen Augen betrachtete sie die vertrauten Gegenstände. Als das Portal hinter ihr sich öffnete, wandte sie sich um. Mildrede und Mac traten heraus und strahlten sie an, gefolgt von Cullen und den vier Männern, die den Wagen begleitet hatten.

»Ihr habt sogar die Stühle aus meinem Gemach mitgebracht!«, rief Evelinde überwältigt, während sie leichtfüßig die Treppe hinuntersprang.

»Aye«, entgegnete Tavis. »Mildrede wollte sogar Euer Bett mitnehmen, aber das passte beim besten Willen nicht mehr drauf«, erklärte er vergnügt, während er vor den anderen Männern hinter Mildrede und Mac her die Stufen hinab zum Wagen schritt. Evelinde umrundete die Schätze und strich dabei hier und da über einen geliebten Gegenstand.

Es war, als hätte sie ein Stückchen Heimat in der Hand. Jedes einzelne dieser Dinge steckte voller Erinnerungen, guten wie schlechten. Die guten Erinnerungen hatten mit ihren Eltern zu tun, die schlechten mit Edda. Evelinde beschloss, nur noch die guten zu behalten und die schlechten zu vergessen. Sie hatte derzeit genügend Probleme, auch ohne ihre Vergangenheit. Was vergangen war, war vergangen. Edda konnte sie nun nicht mehr verletzen oder demütigen; sich also an diese Erinnerungen zu klammern, würde nur bedeuten, Eddas Rolle zu übernehmen und sich selbst zu verletzen.

»Meine Wandteppiche«, murmelte Evelinde und strich zärtlich über das Ende eines der aufgerollten Stoffbahnen, bevor ihr Blick weiterglitt. »Und die Kissen, die Mutter und ich bestickt haben!«

»Und auch all Eure Kleider und sogar die mit Stickereien verzierten Leinentücher, die Eure Mutter für Euch aufbewahrt hat«, sagte Mildrede lächelnd. »Und die Gemälde Eurer Eltern«, setzte sie dann eine Spur ernster hinzu.

Wieder spürte Evelinde Tränen aufsteigen. Rasch blinzelte sie diese fort, bevor sie sich ihrem Gemahl zuwandte und ihm ein zaghaftes Lächeln schenkte.

»Danke«, sagte sie leise, aber aus vollstem Herzen.

Cullen brummte nur.

Evelinde wandte sich wieder zum Wagen um und runzelte die Stirn. Kopfschüttelnd rief sie sich ins Gedächtnis, wie aufgebracht sie gewesen war, als sie glaubte, sie würde all diese Dinge nie mehr wiedersehen. In Wahrheit jedoch hätte sie all dies dagegen eingetauscht, Mildrede und Mac bei sich zu haben – und nun sah es so aus, als müsste sie weder ihre treue Magd und Mac noch ihre Habseligkeiten missen. All ihr Ärger und ihre Verzweiflung waren umsonst gewesen.

»Warum habt Ihr mir nicht gesagt, dass sie kommen würden?«, fragte Evelinde Cullen verwirrt. Hätte er dies getan, dann wären die vergangenen Tage weit weniger düster und trostlos für sie gewesen. Die Vorfreude auf die Ankunft von Mildrede, Mac und ihrer Habe wäre ein dringend benötigter Lichtblick in ihrem Alltag gewesen.

Cullen zuckte nur die Schultern. »Ihr habt angenommen, ich würde Euren Besitz nicht herholen lassen, und ich habe Euch glauben lassen, was Ihr wolltet.«

»Was ich wollte?«, stieß Evelinde fassungslos hervor. Ärger stieg in ihr auf. »Ihr denkt, ich wollte unbedingt das Kleid Eurer verstorbenen Gemahlin anziehen und mich vor Euren Nachbarn zum Narren machen? Weil ich glaubte, ich besäße nur das Kleid, das ich auf der Reise hierher am Leibe trug? Ihr glaubt, ich wollte unbedingt jede Nacht weinend daliegen, weil ich dachte, jeden verloren zu haben, der mir etwas bedeutet? Ihr denkt, ich wollte unbedingt glauben, alle Bande zu meiner Familie und jedes Erinnerungsstück eingebüßt zu haben?«

»Geweint?«, fragte Cullen und bedachte das Wort mit einem Stirnrunzeln. »Wann habt Ihr geweint?«

»Während Ihr schlieft«, fuhr Evelinde ihn an. Sie spürte, wie ihr bei diesem Geständnis die Schamesröte in die Wangen stieg. Sie war nicht die Einzige, die peinlich berührt war. Cullens Männer und Mac tauschten unbehagliche Blicke und fühlten sich offenbar äußerst unwohl, während Mildrede hingegen ehrlich besorgt statt beschämt schien. Es überraschte Evelinde nicht, als ihre Magd wie schon so oft hinter sie trat und sie damit ihrer Unterstützung versicherte.

»Hmm«, unterbrach Mac das Schweigen. »Nun, ich denke, wir sollten anfangen, den Wagen abzuladen.« Er griff Mildrede am Arm und zog sie mit sich zum Fuhrwerk. Evelinde hörte, wie die Magd ihm zuzischte, sie loszulassen, doch Mac raunte ihr zu, dass sie besser nicht zwischen Evelinde und Cullen geraten solle. Dann drückte er ihr ein Kissen in die Arme, packte sich einen der Stühle und schob Mildrede auf die Treppe zu. Auch die übrigen Männer griffen sich links und rechts von ihr Gegenstände vom Wagen und eilten Mildrede und dem Stallmeister hinterher. Als würden sie von einem Schlachtfeld fliehen, dachte Evelinde.

»Nun, es bestand kein Anlass zu weinen«, brummte Cullen mit finsterem Blick, nachdem auch der letzte der Männer im Wohnturm verschwunden war. »Wenn Ihr darauf vertraut hättet, dass ich mich um die Dinge kümmere, wie es meine Aufgabe ist, dann hättet Ihr gewusst, dass ich dafür sorgen würde, dass es Euch gut geht. Und«, setzte er grollend hinzu, »Ihr habt ganz und gar nicht die Bande zu Eurer Familie eingebüßt, denn ich bin nun Eure Familie.«

»Meine Familie? Ihr?«, fragte Evelinde verblüfft. »Nay, Mylord, Ihr seid ein vollkommen Fremder für mich. Und warum sollte ich darauf vertrauen, dass ein Fremder das Beste für mich im Sinn hat, wenn dies nicht einmal für meine eigene Stiefmutter gilt – die mir nicht fremd ist?«

»Ich bin kein Fremder«, erwiderte Cullen ungeduldig. »Ich bin Euer Gemahl.«

»Mein Gemahl mögt Ihr sein, Mylord, doch das halb ohnmächtige Nicken vor einem Priester ändert nichts an der Tatsache, dass Ihr ein Fremder für mich seid«, entgegnete Evelinde fest. »Ich weiß gar nichts über Euch«, stellte sie dann heraus. »Zwar habe ich Euch alles erzählt, was ich über mich selbst zu erzählen habe, doch habt Ihr mir im Gegenzug nichts über Euch verraten. Ich kenne selbst Scatchy besser als Euch, und dabei weiß ich über ihn nicht mehr, als dass er Pasteten mag. Was Ihr mögt oder nicht mögt, weiß ich hingegen nicht – abgesehen davon, dass Ihr mich nicht zu mögen scheint.«

Cullen erstarrte überrascht und sah Evelinde dann missmutig an. »Was zum Teufel lässt Euch glauben, dass ich Euch nicht mag?«, knurrte er.

»Oh, ich weiß nicht recht«, erwiderte Evelinde bissig, während Mac, die Hände wieder frei, aus dem Wohnturm trat, gefolgt von den übrigen Männern. »Vielleicht liegt es daran, dass Ihr mich nicht mehr anrührt und mir allenfalls mit einem Brummen auf meine Fragen antwortet, seit wir die Ehe vollzogen haben.«

Die stämmigen Krieger auf der Treppe blieben abrupt stehen und traten dann schleunigst den Rückzug in den Wohnturm an, ohne dass Cullen sie überhaupt gesehen hatte, wie Evelinde bemerkte. Ihr Gemahl öffnete und schloss den Mund, erst einmal und dann noch einmal. Ihm fehlten die Worte.

»Ich habe nur Rücksicht genommen«, stieß er schließlich wütend hervor.

»Rücksicht?« Evelinde war fassungslos.

»Aye, ich wollte nicht an Eure schmerzenden Prellungen rühren, sondern warten, bis diese geheilt sind, bevor ich Euch wieder belästige.«

Evelinde aber war zu aufgebracht, um diese rücksichtsvolle Gesinnung zu schätzen zu wissen. Falls es überhaupt stimmte, dachte sie zornig. »Nun, es wäre wirklich nett von Euch gewesen, mir dies zu sagen, Mylord – anstatt mich in dem Glauben zu lassen, dass ich der ehelichen Pflicht zu ungeschickt nachkomme, als dass Ihr dies noch einmal zu ertragen wünschtet.«

Cullen riss bestürzt die Augen auf, packte Evelinde dann am Arm und zog sie auf den Wohnturm zu.

»Was habt Ihr vor?«, verlangte sie gereizt zu wissen und versuchte, sich seinem Griff zu entwinden, während Cullen sie durch die große Halle in Richtung der Treppe zerrte.

»Euch zeigen, dass ich Euch mag«, grollte er.

Abrupt stemmte sich Evelinde Cullen entgegen, und so kamen sie beide vor den aufgebockten Tischen zum Stehen.

»Habt Ihr mir denn gar nicht zugehört?«, fragte sie ungläubig. »Ich möchte es nicht gezeigt, sondern gesagt bekommen, Mylord.«

Cullen wandte sich um und sah Evelinde an. Die Männer, die sich an der Tafel niedergelassen hatten, um nicht ungewollt Zeuge des draußen stattfindenden Streits zu werden, verließen fluchtartig ihre Plätze und hasteten durch das Portal hinaus, durch das sie eben erst hineingestürmt waren.

»Frau«, setzte Cullen mit erzürnter Miene an. »Beurteilt einen Mann niemals nach seinen Worten, sondern nur nach seinen Taten. Jeder Mann wie auch jede Frau«, sagte er mit Nachdruck, »kann Euch mit Worten belügen, doch die Taten werden Euch stets die Wahrheit sagen.«

»Das mag für die meisten Menschen gelten, werter Gemahl«, erwiderte Evelinde bestimmt. »Aber ich bin nicht irgendjemand. Ich bin Eure Gattin und lege daher Wert sowohl auf Worte als auch auf Taten.«

Cullen starrte sie an, als sei sie ein fremdartiges Tier, das er nie zuvor gesehen hatte, ehe er verzweifelt die Arme hochwarf und an ihr vorbei aus der Halle schritt.

Evelinde betrachtete eine Weile das Portal, das hinter ihm zugeschlagen war. In ihrem Kopf herrschte ein Durcheinander. Sie bereute ihre Worte keineswegs. Du liebe Güte, sie hatte nicht einmal gewusst, dass Biddy seine Tante war, bis diese es ihr selbst gesagt hatte!

Dennoch war sie nicht überzeugt davon, viel erreicht zu haben. Was Cullen gesagt hatte, stimmte zum Teil. Anhand seiner Taten beurteilt, war ihr Gemahl ein rücksichtsvoller, sich sorgender Ehemann. Er hatte alles getan, was Evelinde sich nur wünschen konnte, und dies, ohne dass sie ihn hatte bitten müssen. Er hatte wirklich alles getan – außer ihr zu sagen, was er bereits veranlasst hatte, um sie so vor Grübeleien zu bewahren.

Evelinde nahm an, dass dies immer noch besser war als ein Gemahl, der zwar verkündete, er werde sich kümmern, oder der ihr die Welt versprach, dann aber nicht danach handelte. Und ganz sicher war es besser als ein Mann, der zu viel trank und sie dann schlug. Leise seufzend rieb sie sich die Schläfen, hinter denen es schmerzhaft zu pochen begann, und gestand sich ein, wie viel schlimmer es in der Tat sein könnte. Sie zog einen stillen, aber umsichtigen Gemahl durchaus einem brutalen Lügner vor. Vielleicht würde sie einfach lernen müssen, damit umzugehen, dass Cullen nicht mit ihr sprach, dachte Evelinde und seufzte erneut.

Wenigstens hatte sie nun Mac und Mildrede wieder, ermahnte sie sich. Just in diesem Moment ging das Portal auf und Mac trat herein, eine kleine Truhe auf dem Arm – Mac, bei dem sie sich ihre Probleme und ihren Kummer von der Seele redete, seit sie alt genug war, allein im Sattel zu sitzen. Nach ihm traten auch die anderen Männer ein, und jeder von ihnen trug ebenfalls etwas vom Wagen.

Mac blieb neben Evelinde stehen und wartete, bis die übrigen Träger die Treppe erreicht hatten. »Eure Stute war vier Tage lang hinter dem Wagen angebunden und hätte sicherlich nichts gegen einen Ausritt. Sie hat seit Eurer Abreise nicht mehr anständig galoppieren können.«

»Lady ist auch hier?«, fragte Evelinde, und ihre Miene hellte sich auf.

»Aye, sie ist im Stall.«

Evelinde war schon auf dem Weg nach draußen, als Mac leise ihren Namen rief. Sie hielt inne.

»Seid nicht zu hart zu Eurem Gemahl, Mädchen«, sagte er. »Männern fällt es schwerer zu reden als Frauen.«

Bei seinen Worten verfinsterte sich Evelindes Blick wieder. »Du redest doch auch ständig mit mir«, gab sie zu bedenken.

»Aye.« Mac lächelte schwach. »Aber ich bin alt und habe den Wert des Redens erkannt. Cullen jedoch ist jung. Und stolz.« Er zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Leere Töpfe scheppern am lautesten, und Cullen ist kein leerer Topf.«

»Nein, das ist er nicht«, stimmte Evelinde leise zu.

Offenbar zufrieden mit dem, was er erreicht hatte, wandte Mac sich mit seiner Ladung ab. »Geht Eure Lady begrüßen, sie hat Euch vermisst«, sagte er im Gehen.

Zaghaft lächelnd setzte Evelinde ihren Weg zum Portal fort. Während sie den Burghof überquerte in der Aussicht, ihre Stute wiederzusehen, wurde ihr Lächeln immer breiter.

Sie hatte kaum die halbe Strecke hinter sich gebracht, als sie sah, wie Cullen auf seinem Pferd aus dem Stallgebäude geprescht kam. Er hielt direkt auf das Burgtor zu und trieb das Tier zum gestreckten Galopp an, kaum dass er dieses passiert hatte.

Evelinde fragte sich kurz, wohin er wohl wollte, schob diese Frage dann aber entschlossen beiseite und eilte weiter auf die Ställe zu. Falls Lady keinen müden Eindruck machte, würde sie ausreiten. Nicht weit, denn schließlich kannte sie die Gegend hier nicht, doch auch ein kurzer, schneller Ritt würde Evelinde guttun.

 

»Meine Wachen auf dem Wehrgang haben dich vorhin gesehen, also habe ich mein Pferd gesattelt und bin dir entgegengeritten«, sagte Tralin statt einer Begrüßung, während er sein Reittier vor dem Cullens zum Stehen brachte. Sie befanden sich am Rande des Waldes, der den Hügel umgab, auf dem Comyn Castle aufragte.

Cullen brummte nur. Er hätte neulich, als die Comyns gekommen waren, dasselbe getan wie Tralin jetzt – wenn diese die Burg Donnachaidh nicht bereits fast erreicht hätten, als Cullens eigener Wachposten ihn schließlich doch noch darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sich Reiter näherten. Cullen argwöhnte, dass die Männer auf der Burgmauer zu beschäftigt damit gewesen waren, ihm beim Einreiten des jungen Pferdes zuzusehen, anstatt Wache zu stehen und die Ankommenden zu bemerken. Vielleicht hatten sie aber auch seine Frau begafft, die versucht hatte, sich umzubringen, indem sie über Angus’ Koppel gelaufen war, dachte er. Ärger wallte in ihm auf und erlosch gleich wieder, als er sich daran gemahnte, dass Evelinde nur deshalb über die Weide gerannt war, weil sie befürchtet hatte, er habe sich beim Sturz vom Pferd verletzt.

Wenn das so weiterginge, würde ihn seine Frau noch in den Wahnsinn treiben, dachte Cullen missmutig. In einem Moment erschreckte sie ihn zu Tode, und im nächsten erregte sie seinen Zorn, weil sie sich derart in Gefahr begab, und dann wieder berührte es ihn zutiefst, dass sie sich um ihn sorgte. Das Eheleben erwies sich wahrlich als etwas, das einer Bootsfahrt bei rauem Wetter glich – auf und nieder, auf und nieder. Jemand hätte ihn davor warnen können, dass es einen Mann seekrank machen konnte, verheiratet zu sein.

»Also?« Tralin sah Cullen erwartungsvoll an. »Welchem Grund verdanke ich die Ehre deines Besuchs? Oder sollte ich lieber nicht fragen?«

Cullen sah ihn aus schmalen Augen an. »Was meinst du damit?«

Tralin zuckte nur mit den Schultern und hob vielsagend die Brauen. »Darf ich fragen, wie dir das Eheleben bekommt?«

»Neugieriger Kerl«, murmelte Cullen.

Sein Cousin lachte über die halbherzige Beleidigung. »Ist das Paradies in Aufruhr, ja?«

Als Cullen nur unglücklich seufzte, beugte Tralin sich zu ihm hinüber und schlug ihm aufmunternd auf den Rücken. Dann wendete er sein Pferd und ritt auf die Burg zu. »Komm, mein Freund, ich habe den Eindruck, dass dir ein Bier guttun würde, und auch ich bin einem solchen nicht abgeneigt.«

Cullen zögerte. Er hätte gar nicht herkommen sollen. Es war ein langer Weg von Donnachaidh bis Comyn und zurück, und er hatte viel zu tun. Doch er hatte seinem Ärger und seiner Ratlosigkeit nur durch einen Ritt Luft zu machen gewusst und war dabei wie zufällig nach Comyn gelangt. Und nun, da er schon einmal hier war, konnte er sich ebenso gut etwas zu trinken genehmigen, bevor er sich auf den Rückweg machte, sagte er sich, nickte Tralin zu und trieb sein Pferd an.

»Nun denn«, setzte Tralin an, als die beiden Männer schließlich an der Tafel in der großen Halle von Comyn Castle saßen. »Wie geht es der bezaubernden Evelinde?«

Cullen lächelte widerwillig. »Bezaubernd ist sie in der Tat«, räumte er ein.

»Aye«, pflichtete sein Cousin ihm bei und studierte dabei aufmerksam Cullens Gesicht. »Selbst in diesem übergroßen Kleid und mit Haaren, die aussahen, als hätten sie nach dem Aufstehen noch keine Bürste gesehen, war sie bezaubernd. Und noch bezaubernder war sie, als sie sich umgezogen und ihr Haar gerichtet hatte.«

Cullen nickte, und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, als ihm aufging, wie zutreffend Tralins Worte waren. Am bezauberndsten aber, dachte er, war seine Frau immer noch bar jeder Hülle, wenn ihre hellblauen Augen vor Leidenschaft dunkel glänzten – Leidenschaft, die er, Cullen, in ihr entflammte …

»Sie scheint ein ebenso bezauberndes Wesen zu haben«, fügte Tralin hinzu, als Cullen schwieg. »Also nehme ich an, dass du an dem, was dich so verärgert und hergeführt hat, selbst Schuld bist.«

Cullen richtete sich jäh auf, und das geistige Bild von seiner hüllenlosen Frau löste sich schlagartig in Nichts auf. Er sah Tralin wütend an. »Was?«

»Nun …« Tralin hob die Schultern. »Ich halte sie weder für stur noch für stolz. Du hingegen bist beides.«

Cullen verzog angesichts der Wahrheit dieser Worte das Gesicht und seufzte. »Ich hatte nicht vor, herzukommen, aber da ich nun einmal hier bin …« Er zuckte die Achseln. »Du hast ein besseres Händchen für Frauen als ich. Zumindest scheinen sie sich gerne mit dir zu unterhalten.«

»Das liegt daran, dass ich mich meinerseits mit ihnen unterhalte«, erwiderte Tralin trocken. »Also, was ist passiert?«

»Ich habe erfahren, dass meine Frau sich nachts in den Schlaf weint«, gestand Cullen unglücklich.

Tralin zog die Augenbrauen hoch. »Warum das?«

»Sie wusste nicht, dass ich auf d’Aumesbery für sie gepackt hatte«, erklärte Cullen. »Sie hat anscheinend geglaubt, ich hätte sie mit nichts als dem Kleid, das sie am Leibe trug, nach Donnachaidh gebracht.«

Wieder zuckte Tralin mit den Schultern. »Wie hätte sie es auch wissen sollen? Du hast ihr nicht zufällig gesagt, dass du ihr ein paar Kleider eingepackt hast?«

»Nay, aber sie hätte doch wissen müssen, dass ich sie nicht ohne ihre Habe hierherbringen würde«, erwiderte Cullen.

»Woher hätte sie das wissen sollen?«, fragte Tralin amüsiert. »Sie kennt dich nicht, Cullen. Und du musst zugeben, dass du nicht gerade der offenherzigste aller Menschen bist.«

Cullens Miene verfinsterte sich bei dem Gedanken, dass er teilweise selbst Schuld an Evelindes schlechter Meinung von ihm sein könne, wusste aber gleichzeitig, dass es stimmte. Sein Cousin wiederholte genau das, worüber Evelinde sich beschwert hatte.

»Habt ihr beiden überhaupt je miteinander gesprochen, seit ihr geheiratet habt?«, bohrte Tralin weiter.

»Sie redet«, erwiderte Cullen und musste unwillkürlich lächeln, als er daran zurückdachte, wie sie in den vergangenen Tagen auf ihn eingeplappert hatte. Sie hatte ihm Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt, hatte ihm von ihren Abenteuern und ihrer Freundschaft zu Mac berichtet und gesagt, wie sehr sie Mildrede mochte, und sie hatte erklärt, wie geschickt sie es verstanden hatte, ihrer Stiefmutter so oft wie möglich zu entschlüpfen.

»Oh, sie redet, ja?« Tralin betrachtete Cullen grinsend. »Und du?«

»Ich höre zu«, entgegnete Cullen. Das tat er wirklich. Er hatte festgestellt, dass Evelindes Stimme ihn bannte. Seine Frau konnte hervorragend erzählen, und so hatte er sich das meiste, von dem sie berichtete, gar bildlich vorstellen können.

»Hmm.« Tralin nahm einen Schluck Bier. »Magst du sie nach dem, was du bislang von ihr weißt?«

Cullen dachte nach und nickte dann bedächtig. »Aye. Sie ist klug und schön und … würde lieber heute als morgen nach d’Aumesbery zu ihrer abscheulichen Stiefmutter zurückkehren, als bei mir auf Donnachaidh zu bleiben«, endete er verdrießlich.

Tralin verschluckte sich an seinem Bier, und Cullen klopfte ihm auf den Rücken. Er verstand das Entsetzen seines Cousins gut. Auch ihn hatte dieses Eingeständnis entsetzt. Es war nicht leicht zu akzeptieren, dass Evelinde so unglücklich mit ihm war, dass sie sich lieber weiterhin von Edda beleidigen und schikanieren lassen würde.

»Aber warum?«, brachte Tralin schließlich hervor. »Aus dem zu schließen, was du mir neulich erzählt hast, hat dieses Weib sie schändlich behandelt.«

Cullen nickte finster. An dem Tag, als die Comyns zu Besuch auf Donnachaidh gewesen waren, hatte Cullen Tralin und dessen Eltern von dieser Stiefmutter berichtet, während Evelinde sich umgezogen hatte. Er hatte Eddas Verhalten ihrer Stieftochter gegenüber mit ein paar drastischen Worten beschrieben, die deutlich gemacht hatten, wie schlecht diese Frau Evelinde behandelt hatte.

Er hingegen hatte Evelinde nie beleidigt oder schikaniert, dachte Cullen. Im Gegenteil: Er hatte alles getan, was er konnte, um ihr das Leben leichter zu machen. Unmittelbar nach der Hochzeit war er mit ihr aufgebrochen, um sie von Edda wegzubringen, anstatt nach dem langen Ritt nach d’Aumesbery eine Nacht auszuruhen; er hatte ihre Kleidung zusammengepackt und in dem kleinen Beutel verstaut, da sie es nicht selbst hatte tun können; er hatte sich in den Arm geschnitten, um den Vollzug der Ehe vorzutäuschen und Evelinde so vor der Demütigung zu bewahren, auf die Edda es angelegt hatte – und er hatte seine Frau den ganzen Weg nach Donnachaidh über vor sich im Sattel gehalten, damit ihr geschundener Körper nicht noch mehr gepeinigt wurde …

»Springst du vielleicht im Bett zu hart mit ihr um?«, fragte Tralin unerwartet, und als Cullen ihn entsetzt und wütend zugleich ansah, fügte er rasch hinzu: »Ich versuche nur herauszufinden, warum sie sich nach d’Aumesbery zurückwünscht. Ich weiß doch, dass du sie nie beleidigen oder schikanieren würdest, wie ihre Stiefmutter es …«

»Ich habe sie töricht geschimpft«, gab Cullen zu und erzählte seinem Cousin, wie sich die Sache mit dem Bullen auf der Koppel zugetragen hatte.

»Nun, ich denke, das wird sie dir verzeihen können«, sagte Tralin stirnrunzelnd, räusperte sich dann und wandte sich wieder dem delikaten Thema zu, das er angeschnitten hatte. »Ich weiß, dass du keiner Frau Gewalt antun würdest, aber ich frage mich dennoch … Was ich sagen will, ist … Du bist nicht besonders erfahren, was Jungfrauen angeht, Cullen, und womöglich bist du nicht ganz so sanft vorgegangen, wie angemessen gewesen wäre. Oder vielleicht hat sie auch erschreckt, was da … nun … geschehen ist.«

»Ich habe sie nicht angerührt, weil ich erst wollte, dass ihre Wunden verheilen«, erklärte Cullen kläglich.

Tralin riss die Augen auf. »Du meinst, die Ehe ist noch gar nicht vollzogen worden?«

»Doch, doch«, versicherte Cullen ihm rasch und blickte dann wieder finster drein. Er hatte wirklich warten wollen, bis Evelinde wieder so weit hergestellt war, dass sie nicht vor Schmerz zusammenzuckte, wenn er sie liebkoste. Doch an dem Morgen nach ihrer Ankunft hatte er sich mit Bier besudelt und war nach oben gegangen, um seine Tunika zu wechseln, und auf dem Weg hatte Biddy ihn angehalten und gebeten, die Salbe mit ins Gemach zu nehmen und Evelinde zu sagen, dass sie gleich nachkommen werde. Cullen hatte genickt. Er hatte vorgehabt, nur die Salbe zu überbringen, doch als er dann die Kammer betreten und Evelinde bäuchlings und unbekleidet auf dem Bett liegend vorgefunden hatte, waren all seine Vorsätze zum Teufel gewesen.

Er erinnerte sich nur noch daran, wie seine Hände plötzlich voller Salbe waren und er selbst sie aufgetragen hatte, und als seine Finger erst einmal ihren Körper berührten, war es um ihn geschehen – so sehr, dass er nicht einmal wusste, ob Biddy tatsächlich hereingekommen war, um die Salbe aufzutragen. Falls ja, hatten Evelinde und er es nicht bemerkt, und Biddy war wieder herausgeschlüpft, ohne sie zu stören, wofür Cullen ihr dankbar war.

Tralin räusperte sich, um Cullen aus seinen Gedanken zu reißen. »Und wie war es?«, fragte er frei heraus.

»Es war … gut«, murmelte Cullen und schalt sich selbst der Lüge. Es war unglaublich gewesen. Er war nicht unerfahren, was Frauen anging, aber was er mit seiner Gemahlin erlebt hatte, zählte zu den erregendsten Erlebnissen seines Lebens. Nie zuvor hatte ihn je eine solche Leidenschaft übermannt, wie Evelinde sie in ihm hervorgerufen hatte, und nie zuvor hatte er ein derart starkes Verlangen verspürt, einer Frau Wonne zu bereiten, wie es bei Evelinde der Fall gewesen war. Die Lust in ihm war so verzehrend gewesen, dass er seine ganze Kraft hatte aufbringen müssen, um an sich zu halten und sie zu schonen, und er hatte ständig mit sich ringen müssen, um keine ihrer wunden Stellen zu berühren. Das Begehren zu zügeln, das sie in ihm entzündete, war wie Folter gewesen … eine süße Folter. Und zudem eine, der er sich umgehend erneut hatte hingeben wollen, kaum dass er morgens aufgewacht war. Da er aber befürchtete, sein heftiges Verlangen dieses Mal nicht beherrschen zu können, hatte Cullen sich gezwungen, dem Drang zu widerstehen, und sich ermahnt, dass Evelindes Blessuren erst heilen müssten.

»Nun, du magst es genossen haben«, erwiderte Tralin. »Aber was ist mit ihr? Vielleicht …«

»Glaub mir, sie hat es genossen«, unterbrach Cullen ihn brüsk. »Wir haben es beide genossen. Doch sie hat meine Absicht, sie zu schonen, bis sie genesen ist, missverstanden. Sie denkt, ich sei nicht zufrieden mit ihr gewesen.«

»Hmm«, machte Tralin wieder.

»Und sie will, dass ich ihr immerzu alles erkläre«, beschwerte sich Cullen. »Ich habe ihr gesagt, sie solle sich an meine Taten halten und nicht so ein Getue um Worte machen, aber sie besteht auf meine Worte und meine Taten.«

»Wirklich ungeheuerlich«, warf Tralin spöttisch ein.

Cullen nickte düster, ohne dass ihm der Spott aufging, und Tralin brach in Gelächter aus.

»Cullen«, sagte er schließlich atemlos. »Ich weiß, dass du es nicht gewohnt bist, anderen zu erklären, was du tust. Du bist der Laird von Donnachaidh und daher niemandem Rechenschaft schuldig. Aber sie ist nicht einer deiner Untergebenen. Sie ist deine Gemahlin, und ihr beide müsst euch erst noch kennenlernen. Du solltest ihr zumindest jetzt zu Anfang das eine oder andere erklären.«

Als Cullen ihn daraufhin nur missmutig anstierte, fuhr er fort: »Betrachte die Sache doch einmal von ihrer Warte aus: Du bist einfach so aufgetaucht, hast sie geheiratet und mit dir fortgeschleift, und sie hat gedacht, sie besitze nichts als das Kleid, das sie am Leibe trug. Dann hast du sie in die Liebe eingeführt, und wie ich dich kenne, hast du sie anschließend sich selbst überlassen, anstatt ihr zu sagen, wie sehr es dir gefallen hat. Und auch darüber, welchen Platz sie auf Donnachaidh überhaupt einnimmt, wirst du wohl kaum ein Wort verloren haben. Ohne Zweifel fühlt sie sich in ihrem neuen Zuhause recht verloren und ist sich unsicher über ihre Position dort.«

»Aber ich habe doch alles Menschenmögliche getan, um ihr das neue Leben zu erleichtern«, wandte Cullen ein.

»Außer ihr zu sagen, wie glücklich du darüber bist, sie zur Gemahlin zu haben«, brachte Tralin das Problem auf den Punkt. »Und lobende Worte sind gewiss das, was sie braucht, nachdem sie jahrelang von ihrer Stiefmutter schikaniert worden ist.«

»Aber …«

»Betrachte es einfach als eine weitere deiner Pflichten«, unterbrach ihn sein Cousin. »Ich weiß, dass du deine Verpflichtungen ernst nimmst. Sieh es also als eine solche an. Es ist deine Pflicht, deiner Frau zu versichern, dass sie auf Donnachaidh geschätzt und gebraucht wird.«

»Eine Pflicht«, murmelte Cullen.

»Aye«, bekräftigte Tralin. »Ich verspreche dir, dass sie – und damit auch du – dadurch glücklicher sein wird.«

Cullen bedachte dies ernst, nickte dann und erhob sich.

»Wo willst du hin?«, fragte Tralin verwundert.

»Nach Hause«, entgegnete Cullen auf dem Weg zur Tür. »Meinen Pflichten nachkommen.«