Kapitel 13

Die letzte kühle Brise, die der Sonnenuntergang hervorbrachte, wehte Kysen das Haar aus dem Gesicht, während er die Karawane der Händler beobachtete, wie sie sich schwerfällig auf Thesh und ihn zubewegte. Ein Knabe kam aus dem Dorf herbeigelaufen, um Thesh sein Schreibzeug zu bringen.

Der Schreiber ließ seine Utensilien an der Kordel hin und herschwingen. »Useramun berichtete mir, daß Hormin plötzlich einen Sarg bei Ramose und Hesire bestellt habe. Früher hatte er sich immer über die hohen Kosten, die ihre Arbeit verursachte, beklagt. Aber, nun ja, er beklagte sich ja über alles.«

Kysen fühlte sich von Schmerz eingeschlossen, so, als ob er sich irgendwie außerhalb des weißen Tales und dem lauten Geschnatter der Kinder, die das Dorf ausspie, befände. Er konnte sich nicht weigern, seine Brüder zu treffen, nicht, nachdem Thesh eine solche Äußerung getan hatte. Warum hatte er Angst davor? Sie hatten ihn vorher nicht erkannt; sie würden es auch jetzt nicht tun. Und Pawero war immer noch auf seinem Gut und lauerte dort wie eine haarige, alte Spinne.

Sie gingen der Karawane der Händler entgegen, und als sie anhielten, löste sich einer seiner Brüder aus den Reihen und kam auf ihn zu. Seltsam, daß er ohne Theshs Hilfe nicht gewußt hätte, um welchen seiner Brüder es sich handelte. Der Mann stolperte, über nichts, wie es schien, richtete sich wieder auf und ging weiter. Seine Schritte waren unsicher, als ob er bei jedem Schritt seine Füße aus dem Schlamm des Nil herausziehen müßte, und er schwankte wie ein überladenes Frachtboot mit zerrissenem Segel.

Kysen runzelte die Stirn, sagte aber nichts, als Hesire vor ihm Anker warf. Der Wind trug eine Welle von Biergeruch zu ihm herüber, die so heftig war, daß er geneigt war, sich die Nase zuzuhalten. Ramose war seinem Bruder gefolgt, und trat hinzu, als Hesire vor Kysen seinen trunkenen Tanz vollführte. Er hob einen Arm und deutete auf Kysen.

»Du«, sagte er und eine frische Bierwelle traf Kysen. »Ich kenne dich.«

Eine der ersten Lektionen, die er von Meren gelernt hatte, war die, niemals die eigene Furcht zu verraten und sich bei Konfrontationen niemals zu einer unkontrollierten Antwort hinreißen zu lassen. Obwohl seine Eingeweide sich mit flüssiger Bronze zu füllen schienen, beschränkte er sich nur auf ein einziges Wort.

»Tatsächlich?«

Hesire, ein Mann von geringerem Gewicht, dessen vorspringende Zähne und schlaffe Muskeln ihn einer gerupften Ente ähneln ließen, nickte und hickste. »Ja. Man sagt, du bis der Diener des Falken des Pharao und gekommen, um über diesen Bastard Hormin Fragen zustellen.«

Kysen wurde immer unruhiger, obwohl er Gelassenheit vorgab und die Hügel hinter seinen Brüdern betrachtete.

»Ihr habt Hormin gehaßt.«

»Natürlich«, sagte Hesire.

Er spreizte die Beine, um zu verhindern, daß er auf seinen Bruder fiel, verschränkte die Arme über seiner Brust und strahlte Kysen an. Offensichtlich glaubte er, sich deutlich artikuliert zu haben.

»Gesundheit und langes Leben mögen Euch zuteil werden«, sagte Ramose und schob sich vor Hesire. »Ich fürchte, mein Bruder hat heute morgen zu viel getrunken.«

Thesh blickte von seinem Platz neben dem Pavillon auf. »Heute wie jeden Morgen.«

Ramose warf dem Schreiber einen zornigen Blick zu, fuhr aber fort. »Hesire ist wütend auf Hormin, weil dieser sich töten ließ, bevor wir die Arbeit an seinem Sarg aufnehmen konnten.«

»Warum? Sicherlich habt Ihr von allen Schreinern am wenigsten unter einem Mangel an Aufträgen zu leiden?«

Ramose warf Thesh einen Blick zu, dann heftete er seine Augen auf seine Fingernägel. »Das ist wahr, aber Hormin gab einen äußerst ausgefeilten und eleganten Sarg in Auftrag, und diese Art von Särgen bevorzugen wir. Drei ineinander verschachtelte Särge, über und über mit heiligen Schriften und mit Szenen aus dem Buch der Unterwelt verziert. Eine wirkliche Herausforderung.«

»Ich verstehe.«

Er verstand tatsächlich. Es war so wie er erwartet hatte. Thesh betrieb ein Nebengeschäft mit Bestattungstransporten, was durchaus üblich war, aber er und die Künstler machten Einnahmen, die den königlichen Beamten nicht bekannt waren. Zweifellos gingen viele Aufträge wie der des Hormin über die Bühne, ohne daß der Kanzlei des Wesiers davon Bericht erstattet wurde.

Hesire rülpste und rieb seine Hände an seinem zerknitterten und schmutzigen Rock ab. »Und natürlich war da noch der Sarkophag.«

»Was für ein Sarkophag?«

Kysen spürte ein Kribbeln auf der Haut, als er bemerkte, daß Thesh, der die Kornlieferungen aufzeichnete, erstarrte und Ramose, seinen Bruder mit Blicken zu töten versuchte.

»Was für ein Sarkophag?«

»Nun, der aus rotem Granit, den er in seinem verfluchten Grab hat.«

»Hesire, du bist schon wieder betrunken«, sagte Ramose.

Er schob seinen Bruder nach hinten, der rücklings in einen Esel hineinstolperte und auf den Boden sank. Zornig warf Ramose seine Hände in die Luft, hob seinen Bruder hoch und trug ihn fast ins Dorf. Kysen beobachtete, wie sie gingen. Er wußte nicht, ob er unglücklich oder dankbar sein sollte, daß sie ihn nicht erkannt hatten. Er blickte nach unten und sah, daß Thesh ihn anstarrte. Er rieb sein Kinn mit dem Zeigefinger, dann zuckte er die Achseln, als ob ihm die Bemerkung über einen Sarkophag aus rotem Granit entgangen sei.

Während er Thesh dabei beobachtete, wie dieser die Verteilung der Waren an die Frauen der Handwerker aufzeichnete und neue Meißel, Hämmer, Pfrieme und Bürsten aus Schilfrohr abnahm, dachte er darüber nach, wie er dem Schreiber die Informationen über den Sarkophag und die geheimen Aufträge am geschicktesten entlocken konnte. Während er das tat, erschien Woser aus dem Dorf, er trug einen Sack und eine Flasche bei sich.

Der Hügel westlich der Stadt begann bereits in der erbarmungslosen Sonne zu glühen. Woser, der aussah wie ein brauner Kranich, der den Abhang hinaufstolzierte, ging auf eine der Gebetsstätten zu, die in den Hügel eingelassen waren. Hinter den Gebetsstätten lagen die Gräber der Vorfahren der Dorfbewohner. Kysen vergaß Thesh. Sicherlich war Woser in seiner Arbeit zurückgefallen, nachdem er so lange krank gewesen war. Was hatte er vor, daß er sich bei seinem Familiengrab herumtrieb?

Er wartete darauf, daß der Künstler die aus dem Kalkstein herausgehauene Treppe erklomm. Die Stufen waren niedrig und breit, und in der Mitte befand sich eine glatte Bahn, auf der die Bestattungswagen in die Grabstätten hinaufgezogen wurden. Woser wandte sich nach rechts und schritt an einer Reihe von Eingängen vorbei, bis er zum letzten Eingang auf der zweiten Ebene kam. Er war in den Hang eingelassen, bestand aus getrockneten Lehmziegeln und besaß die Form einer steil aufragenden Miniaturpyramide.

Kysen wartete, bis der Künstler darin verschwunden war, dann setzte er sich in Bewegung, um ihm zu folgen. Nachdem er die Stufen erklommen hatte, schlich er lautlos zum Grabeingang und hielt vor der offenen Doppeltüre inne. Die Ziegel der Gebetsstätte, die weiß bemalt waren, glühten vor Hitze. Zuerst konnte er nur Schatten erkennen. Als seine Augen sich an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten, sah er bemalte Wände, auf denen Darstellungen verstorbener Dorfbewohner zu sehen waren, die Geschenke von Familienmitgliedern erhielten. Außerdem konnte man Abbildungen der Hausgötter der Künstler erkennen. Er schlüpfte hinein und preßte seinen Rücken gegen die Wand.

Die Grabstätte hatte eine kleine Eingangshalle, an deren Ende eine Treppe in die enge Gebetskammer darunter führte. Aus der Gebetskammer drang Wosers murmelnde Stimme und der Lichtschein einer Fackel. Kysen ging die Treppen zur Hälfte hinunter, hielt erneut inne und stieg dann so weit hinab, daß er den Künstler sehen konnte. Woser stand vor einem Opfertisch. Er murmelte ein Gebet und hielt Brot und getrockneten Fisch in beiden Händen. Dann legte er die Nahrungsmittel auf den Altar, goß Bier in einen Becher und stellte diesen daneben.

Kysen wollte gerade gehen, als er ein Schniefen vernahm. Er blieb stehen, drehte sich um, und beobachtete den Künstler weiterhin. Woser wischte sich seine riesige Nase mit dem Handrücken ab. Er fingerte an dem Gürtel seines Rockes und zog ein zusammengefaltetes Papyrusblatt hervor.

Er entfaltete es und begann, laut zu lesen. »Oh, du Dämon, der du mich seit vielen Tagen gequält hast, sei mir wohlgesonnen. Nimm dieses Brot, diesen Fisch, dieses Bier zu deiner Erhaltung.«

Woser stammelte und schluchzte. Er wischte sich das Gesicht mit dem Papyrus ab, dann bedeckte er die Augen damit und jammerte unverständliche Worte vor sich hin. Er sank auf die Knie, wiegte seinen Körper vor und zurück und murmelte in den Papyrus hinein.

Kysen rückte näher in der Hoffnung zu verstehen, was der Künstler sagte, aber plötzlich begann Woser zu husten. Dann verschluckte er sich, griff nach dem Becher mit Bier und leerte ihn. Er seufzte, faltete das Blatt und legte es zu den Nahrungsmitteln auf den Opfertisch.

»O Ptah, o Hathor, o Amun, ich beschwöre Euch, treibt mir diesen Dämon aus. Ich wollte keinem ein Leid zufügen, nicht den Lebenden noch – noch den To-To-ten.« Woser brach ab und begann, wieder zu stöhnen und sich hin- und herzuwiegen. Als er sich wieder beruhigt hatte, fuhr er fort. »Schenkt mir die Fähigkeit zu zeichnen und laßt mich das Handwerk des Bildhauers erlernen und legt bei Osiris und den Göttern der Unterwelt Fürsprache für mich ein. Ich verspreche völlige Hingabe. Ich wollte niemandem ein Leid antun. Ich wollte niemandem Böses zufügen. Ich bitte Euch, erlöst mich von den Sünden, von diesem Dämon.«

Kysen lehnte sich gegen die Wand der Kapelle, die Furcht in Wosers Stimme verwirrte ihn. Natürlich war es möglich, daß er selbst, wenn ihn tagelang und ununterbrochen eine solche Krankheit gequält hätte, ebenfalls Angst bekommen hätte. Der Mann stand da, ein Papyrusrohr mit Nase, und begann ein Ritual, das Kysen als Exorzismus erkannte. Zweifellos hatte dies der Arzt aus Theben zur Unterstützung von Wosers Genesung empfohlen.

Der Künstler zog ein geschnitztes Amulett hervor, das Auge des Horus. Es war aus bemaltem Kalkstein gefertigt, sollte ein stilisiertes Auge darstellen und bedeutete Gesundheit. Woser legte das Amulett auf den Opfertisch. Dann zog er einen Beutel hervor, nahm eine Prise des darin enthaltenen Staubes heraus und streute ihn über die Flamme der Öllampe, die auf dem Tisch stand. Das Licht flammte auf, und Kysen nahm den bitteren Geruch verbrannter Kräuter wahr.

»Hinaus, oh Dämon. Ich rufe Euch an, Horus und Seth, Amun und Mut, Isis und Hathor. Helft mir. Entweiche, oh Dämon. Ich habe nichts Falsches getan. Ich habe keinen Mord begangen; ich habe nicht gelogen; ich habe nicht gestohlen. Ich bin frei von Sünde. Entweiche, oh Dämon.«

Noch mehr Gesang, noch mehr Kräuter. Dann zog Woser ein weiteres, kleineres Amulett mit dem Auge des Horus an einer Perlenkette hervor, legte sie um seinen Hals und betete. Kysen schüttelte den Kopf und trat aus dem Schatten, als Woser sich erhob, um zu gehen. Der Künstler erschrak und stieß einen kleinen Schrei aus.

»Ihr habt Euch bei Eurer rituellen Beichte sehr kurz gefaßt«, sagte Kysen.

Wosers Mund öffnete und schloß sich wieder.

»Und Ihr habt etliche Sünden ausgelassen.« Kysen zählte sie an seinen Fingern ab. »Ihr müßtet noch sagen, daß Ihr die Armen nicht beraubt habt, daß Ihr keine Schmerzen und Tränen verursacht habt, daß Ihr niemanden ein Leid zugefügt habt, daß Ihr keine Opfergaben im Tempel beschädigt habt, daß Ihr die Kuchen der Toten oder das Brot der Götter nicht gestohlen habt, daß Ihr bei der Kornernte nicht betrogen habt. Und vieles mehr.«

»Was?« fügte Woser zur größeren Klarheit hinzu. »Was?«

»Und Ihr vergaßt anzugeben, daß Ihr nicht bei einer fremden Frau gelegen habt.«

Woser schluckte und starrte Kysen an.

»Sagt mir«, sagte Kysen, als es offensichtlich war, daß Woser nichts sagen würde, »hat Beltis Euch irgend etwas über Hormins Tod oder über seine Familie erzählt?«

»S-sie sagte, daß seine Söhne ihn getötet hatten.«

»Viele Leute hätten ihn töten können, einschließlich Beltis.«

»Ich w-war krank.«

»Ja, Ihr scheint zu einer äußerst günstigen Zeit krank geworden zu sein.«

»Thesh wird Euch sagen, daß ich – «

»Ich weiß, ich weiß.« Kysen wandte sich der Treppe zu. »Denkt daran. Der Falke des Pharao weiß viel und entdeckt schließlich alles. Wenn Ihr etwas über Beltis wißt, dann tätet ihr besser daran, mir davon zu berichten, bevor ich herausfinde, daß ihr die ganze Zeit Bescheid wußtet. Ich mag es gar nicht, wenn Menschen Informationen zurückhalten. Überhaupt nicht. Und gegen mein Mißfallen wird Euch das Eures Dämons wie ein Begeisterungsausbruch vorkommen.«

Er verließ Woser in dem Wissen, daß einige Stunden Nachdenken darüber, was ihm passieren würde, wenn er Kysen in die Hände fiel, ihre Wirkung auf das phantasiegeschüttelte Herz des Mannes nicht verfehlen würden. Als er wieder ins Sonnenlicht trat, sah er, daß sich die Karawane aufgelöst hatte. Thesh verließ den Pavillon. Seine Arme waren voller Pakete und Tonscherben.

Kysen folgte dem Schreiber in einiger Entfernung, als er hinter den Dorfmauern verschwand. Er erreichte gerade das Tor, als sich Thesh in sein Haus zurückzog. Plötzlich erschien der Mann wieder ohne seine Last. Kysen verbarg sich schnell im Schatten eines Türeingangs und ließ ein paar Frauen an sich vorbeiziehen.

Thesh wich zwei Mädchen aus, die auf der Straße Ball spielten und ging auf direktem Wege ins Haus von Useramun. Statt ihm zu folgen, wandte sich Kysen den Seitentreppen zu, die zum Dach des Hauses führten. Er erklomm sie, schlich sich über das Dach zum Eingang im Obergeschoß und stieg die Leiter hinunter. Er kam in der Küche heraus, wo er eine alte Dienerin antraf, die einen Korb Brot trug. Seine Hand fuhr an die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie betrachtete ihn ohne große Neugier, bevor sie das Haus durch die Hintertür verließ. Er schlich sich in Richtung der Vorderzimmer, angelockt durch den Klang von Useramuns Stimme.

»Ich sage dir, das bedeutet nichts«, sagte der Maler gerade.

Er saß vor einem Schleifstein und löffelte zerstoßenes rotes Ocker in einen Topf. Thesh ging vor ihm auf und ab und zerrte an einer schwarzen Haarsträhne herum.

»Du hast Seths Gesicht nicht gesehen, als Hesire ihn herausforderte. Er wurde blaß. Ich bin sicher, er hat verstanden. Er ist außerordentlich klug, der Mann.«

»Ja«, schnurrte Useramun. »Außerordentlich klug, und außerordentlich schön ebenfalls. Perfekt in jeder Beziehung.«

»Hörst du mir überhaupt zu? Er weiß Bescheid!«

»Schultern breiter als eine Elle«, murmelte der Maler, während er das Ocker von seinem Löffel herunterrieseln ließ.

»Wenn Ramose ihn nicht zurückgehalten hätte, dann hätte er die Zahlungen erwähnt.«

»Die Nase nicht zu lang. Die Lippen weich, doch fest.«

»Und jetzt verfolgt er Woser«, sagte Thesh. »Woser mit seinen Dämonen und seiner Krankheit. Wer kann voraussagen, was Woser preisgeben wird?«

»Seine Beine bestehen aus wohlgeformten Muskeln.«

Thesh hielt vor dem Maler inne, seine Brust hob und senkte sich. »Useramun, halt den Mund und hilf mir beim Denken. Was ist, wenn Seth dem Falken des Pharao berichtet, was er über uns erfahren hat?«

Der Maler stieß ein ärgerliches Seufzen aus und legte seinen Löffel beiseite.

»Hör mir zu. Seth ist ein Diener des Königs. Wir sind Diener des Königs. Königliche Diener wissen über Nebengeschäfte und private Arrangements, die die Ausführung der königlichen Geschäfte erleichtern, Bescheid.«

»Du meinst Bestechungsgeschenke«, sagte Thesh und fuhr sich mit den Händen durch das Haar.

Der Maler neigte seinen Kopf zur Seite. »Glaubst du nicht, daß auch unser Seth Freude an Bestechungsgeschenken hat?«

»Nein.«

»Nun, du hast Unrecht.«

»Woher willst du das wissen?« fragte Thesh scharf.

»Ich habe Beltis gefragt«, sagte Useramun. »Die kleine Hure ist bereits dabei, sich beim Diener des Falken einzuschmeicheln. Sie hat sich erst vor ein paar Stunden eingeschmeichelt. Mehrmals.«

Kysen verfluchte Useramun im Stillen, während Thesh ihn laut verfluchte.

»Es nützt nichts, mich dafür verantwortlich zu machen«, sagte der Maler und nahm seinen Löffel wieder auf.

»Aber er wird dich und mich jetzt ganz sicher verdächtigen!«

»Warum?«

»Wegen Beltis, du Narr. Sie versucht, ihn mit ihrem Körper zu bestechen, und er wird glauben, daß sie Hormin ermordet hat und daß wir ihr geholfen haben, oder daß wir es für sie getan haben oder daß wir sie gedrängt haben, es für uns zu tun, oder – was ist, wenn sie ihm erzählt, daß wir es waren?«

»Götter, Thesh, du brabbelst vor dich hin wie ein entlaufener Sklave, der gefoltert wird. Demnächst beschmutzt du dir noch deinen Rock. Er hat noch gar nichts getan. Er hat noch nicht einmal etwas gesagt. Warte es ab.«

Thesh stöhnte. »Aber ich habe Hormin nicht getötet.«

»Ich auch nicht. Und ich glaube auch nicht, daß Beltis es war, denn ich bin sicher, daß sie ihre geölte und parfümierte Haut nicht für so etwas riskieren würde. Also gibt es nichts, worüber wir uns Sorgen machen müßten.«

»Nein? Was, wenn sie den Mörder nicht finden?«

Useramun zuckte die Achseln und begann, Harz in den Topf mit dem Ocker zu gießen.

»Was, wenn sie den Mörder nicht finden? Was, wenn der Wesier ungeduldig wird? Was, wenn er auf den Falken des Pharao Druck ausübt? Was, wenn sie sich entschließen, den Mörder zu suchen, indem sie uns durch Mißhandlung zur Aussage zwingen? Was, wenn sie sich entschließen, einen Schuldigen zu finden, auch wenn sie nicht sicher sind, ob er wirklich schuldig ist? Ich könnte in der Wüste ausgesetzt werden, um zu sterben.«

Thesh begann, wieder auf und abzuschreiten, diesmal öffnete und schloß er dabei seine Fäuste. Useramun blickte auf, nachdem er seine Arbeit beendet hatte. Kysen bemerkte, daß Useramun plötzlich nicht mehr gleichgültig zuhörte. Er kaute an dem Stil seines Löffels.

»Vielleicht hast du recht.« Er kaute gedankenverloren weiter, während Thesh hin und her wanderte. »Vielleicht haben wir Anlaß, selbst ein paar Nachforschungen anzustellen.«

»Wie?«

»Ich weiß es noch nicht. Ich werde darüber nachdenken. Immerhin behauptet Beltis, daß Hormins Söhne ihn getötet haben. Diese behaupten wiederum, daß sie es war. Es scheint etliche Personen zu geben, der die Obrigkeit die Schuld zuweisen kann. Es kann durchaus für uns von Interesse sein, dafür zu sorgen, daß es sich dabei um die richtige Person handelt.«

»Und es sollte schnell geschehen«, sagte Thesh.

Useramun kicherte. »Du meinst, bevor du dich in einen zitternden Kuhfladen verwandelst?«

»Nein, bevor Seth mich über unsere Aufträge befragt und uns der Zorn des Wesiers trifft.«

»Sei kein Esel«, sagte der Maler.

»Wenn ich entdeckt werde, werde ich die Strafe nicht allein tragen.«

Useramun erhob sich und fuhr Thesh mit dem Stil des Löffels übers Kinn. »Dann werden wir einen Mörder für Seth finden müssen, nicht wahr? Das sollte seine Gedanken von geheimen Aufträgen, von Bestechungen und anderen lästigen Kleinigkeiten ablenken.«

Thesh zog seinen Kopf aus der Reichweite des Löffels fort und ging zur Vordertür. »Wir haben nicht sehr viel Zeit.«

»Gib mir einen Tag«, sagte der Maler.

»Nur, wenn Seth nichts sagt.«

Useramun nickte.

»Wenn er mich befragt, dann werde ich mich seiner Gnade ausliefern und um seine Diskretion bitten, um unser aller willen.«

Der Maler war zu seinem Topf zurückgekehrt, und er blickte nun davon auf. »Ich bin sicher, daß du ein begabter Bittsteller bist. Aber ich glaube, du wirst überrascht sein, wie unwichtig unsere kleinen Händel in den Augen des Dieners eines der Großen ist. Zweifellos hat er schon größere Diebe als uns gesehen.«

Kysen hätte beinahe laut aufgelacht. Das hatte er in der Tat. Thesh ging und schwor, alles zu gestehen, wenn er gezwungen würde, und Useramun fuhr fort, seine Farbe zu mischen. Kysen verließ das Haus auf dem Wege, auf dem er gekommen war. Es gelang ihm, die Treppe hinunterzuklettern, ohne daß jemand ihn sah, mit Ausnahme eines dicken kleinen Jungen, der kaum laufen konnte. Der Kleine war den Weg zwischen Useramuns Haus und dem seines Nachbarn entlanggewackelt und hatte nun seinen bloßen Hintern auf die unterste Stufe der Treppe gesetzt. Er spielte mit einer Rassel.

Armer Thesh. Sein ganzer Zauber und sein angenehmes Äußeres bedeuteten nichts, wenn er konfrontiert wurde mit –. Kysen hielt mitten im Schritt inne und starrte auf den Jungen, ohne ihn wahrzunehmen. Useramun und Beltis; Woser und Beltis; Hormin und Beltis. Und, natürlich, er selbst und Beltis.

Er sprach laut vor sich hin. »Thesh und Beltis.«

Er machte einen weiteren Schritt nach unten, während er nachdachte. Er wäre beinahe gestolpert, als ihn die Erleuchtung traf. Er stand still und überdachte alles. Konnte er recht haben? Wie konnte er sichergehen? Er dachte darüber nach, während er weiter hinabstieg.

Kysen hob den kleinen Jungen auf, als er die unterste Stufe erreicht hatte. »Bist du nicht Yems Neffe, Kleiner? Komm mit. Laß uns doch mal sehen, ob wir deinen Onkel Thesh nicht ein bißchen aufheitern können. Heute lasten ein paar schwere Bürden auf seiner Seele.«