Kapitel 12

Meren preßte seinen Rücken gegen die goldenen Türen. Er stand einem Wald von Säulen gegenüber, die höher waren als die höchsten Bäume, ihre Oberflächen aus Elektrum glühten vom Schein der Tausenden von Wachskerzen, die in großen Ständern befestigt waren. Er hielt zwischen den Säulen nach einem Schatten Ausschau, konnte aber niemanden erkennen. Am Ende des langgestreckten Saales befand sich auf einem hohen Podest der goldene Thron des Königs, aber der Lebende Gott saß nicht darauf. Er saß auf der letzten Stufe des Podestes und sprach mit einem alten Mann, der eine Perücke und ein weitfallendes Gewand trug. Der alte Mann kniete vor dem König und flüsterte ihm ins Ohr.

Tutenchamun schüttelte seinen Kopf, warf Meren einen Blick zu und bedeutete dem Diener mit einer Handbewegung, sich zu entfernen. Der Mann verschwand durch eine Tür hinter dem Podest. Meren schritt schnell zum König herüber und kniete nieder, mit der Stirn berührte er den Boden. Er konnte eine goldene Sandale erkennen.

»Erhebt Euch«, sagte der König.

Meren richtete sich auf. Der König trug seine Amtsrobe. Ein Tuch aus feinstem Stoff bedeckte seinen Kopf und war durch das Uraeus Diadem befestigt. Sein Hals, seine Arme und Beine waren über und über mit Gold, Lapislazuli und Türkisen geschmückt, aber er hatte das doppelte Zepter, den Stab und das Rutenbündel auf den Thron gelegt. Tageslicht fiel durch die hohen Fenster des Audienzsaales auf den König, und sein Glanz ähnelte dem seines Vaters, dem Sonnengott.

Tutenchamun seufzte und rieb sich die Schläfen. Beinahe verschmierte er dabei die dicke Schminke, die seine Augen umgab. Plötzlich stand er auf und entfernte sich vom Thron. Meren folgte ihm, bis sie in einigem Abstand vom Thron und zu den Säulen stehenblieben.

Tutenchamun griff nach Merens Arm, zog ihn näher zu sich heran und fragte leise. »Glaubt Ihr, daß man mich hören kann?«

»Wer, Euer Majestät?«

»Jeder, der uns belauscht.«

»Nein, Majestät.«

Der König seufzte erneut. Er krümmte sich und rieb sich wieder die Schläfen. »Sie hat mich betrogen.«

Merens Herz schien einen Augenblick lang stillzustehen. Er hielt den Atem an.

»Die Königin?« fragte er.

Tutenchamun nickte und blickte Meren aufmerksam ins Gesicht.

Meren schwieg erneut. Ankhesenamun, die Tochter des Pharao Echnaton, deren königliches Blut Tutenchamun seinen Anspruch auf den Thron am meisten sicherte. Das Mädchen hatte ihren fanatischen, verrückten Vater angebetet. Sie hatte Tutenchamun niemals vergeben, daß er seinem Königreich die alten Götter zurückgegeben hatte. Meren hatte Tutenchamun niemals Fragen über sie gestellt, denn ihre Beziehung zu ihrem Vater war sehr eng gewesen. Wie ihre älteren Schwestern, so war auch sie mit Echnaton verheiratet gewesen.

Als er starb, war es Tutenchamuns Pflicht gewesen, Ankhesenamun zu heiraten. Sie war fünf Jahre älter als Tutenchamun und hatte ihre Pflicht erfüllt, indem sie ihre Ernennung zur Großen Königlichen Frau annahm, aber sie haßte ihren Ehemann, weil sie sein Verhalten als Verrat betrachtet hatte. Sie hatte gegen die Wiedereinsetzung der alten Götter, ebenso wie gegen die Rückkehr nach Theben aus der Hauptstadt ihres Vaters angekämpft. All das tat sie mit einem Fanatismus und einer Boshaftigkeit, die der ihres Vaters gleichkam.

Und jetzt hatte sie den König betrogen. Sie umgab sich mit Fanatikern, die schon ihrem Vater in der alten Sonnenstadt des Aton gedient hatten. Hatte sie den König mit einem von ihnen betrogen? Oder hatte sie ein gleichermaßen verwerfliches Verbrechen geplant – den Tod des Königs?

Was auch geschehen sein mochte, Tutenchamun hatte einen Fehler gemacht, als er seine Audienz unterbrach. Er wußte geschickt mit Intrigen umzugehen, aber es brach einem das Herz, wenn man sah, wie überstürzt er handelte, wenn der Mut ihn verließ. Der Grund dafür war seine Jugend, und seine Jugend war es auch, die ihn gefährdete.

»Herr«, sagte Meren so leise wie möglich, »wie hat sie Euch betrogen?«

Der König erwiderte seinen Blick, und Meren sah den unterdrückten Zorn in den Augen eines empörten Königs. »Sie schrieb einen Brief an den König der Hethiter. Diese Hure schrieb an meinen ärgsten Feind und bot ihm an, einen seiner Söhne zu heiraten, wenn er herkäme und mich tötete.«

»Gnadenreiche Isis.«

Meren spürte, wie die Muskeln an seinem Hals sich vor Anspannung verhärteten. Die Hethiter machten dem Pharao seine Macht streitig. Sie nagten an den Grenzgebieten des Reiches und förderten die Rebellion in den Vasallenstaaten Palästina und Syrien. Eines Tages würden Ägypten und das Reich der Hethiter miteinander Krieg führen. Wenn Ankhesenamun Erfolg gehabt hätte, dann hätte der Krieg jetzt beginnen können, da der Pharao noch ein Knabe war und schlecht vorbereitet, um sich den bösartigen Scharen der Hethiter zu stellen.

»Was soll ich tun?« Der König zog seinen goldenen Dolch, der nur für Zeremonien vorgesehen war.

»Ihr könnt sie nicht töten.«

»Sie hat die schlimmste aller Sünden gegen mich verübt.«

»Sie ist die Große Königliche Frau, die Tochter eines Pharao. Das Königreich hat schon zu viel und zu lange Ungemach und Unsicherheit ertragen müssen, Majestät. Die Hinrichtung einer Königin würde viel Unheil anrichten und den Glauben der Menschen an Euch erschüttern, egal wie unschuldig Ihr seid, oder wie stark.«

Tutenchamun steckte seinen Dolch wieder in das Futteral. Sein goldenes Gelenkband und die Armbänder klirrten, so leidenschaftlich waren seine Bewegungen. Er wandte Meren sein gequältes Gesicht zu.

»Sie haßt mich«, sagte er. »Sie haßt mich, wenn ich sie berühre – und sie hat mein Volk in Gefahr gebracht. Ich könnte ihr vergeben, daß sie mich haßt, aber das andere könnte ich ihr nicht vergeben.«

»Ihr solltet ihr beides nicht vergeben. Was habt Ihr unternommen?«

»Nichts.« Der König machte eine resignierte Handbewegung. »Ich wollte sie finden und töten, aber ich tat, wie Ihr es mich lehrtet und wartete, während ich ein Gebet sprach, dann ließ ich Euch kommen.«

»Und Ay?«

»Sie ist seine Enkelin. Er liebt Ankhesenamun. Ich habe nicht den Mut, es ihm zu erzählen.«

Er registrierte, was zwischen den Zeilen stand; daß der König den Verrat der Königin entdeckt hatte, nicht der Wesier, nicht sein Falke. Es war erstaunlich, wie gut Tutenchamun Merens Lektion im Ränkespiel gelernt hatte. Dann dachte er an den alten Diener. Er nannte sich Tiglith, ein syrischer Sklave, der die königlichen Kinder schon länger betreute als Meren lebte. Tiglith diente im Palast der Königin.

»Majestät, Ihr müßt Eure Audienz fortsetzen.«

»Ich weiß.« Der Zorn in den Augen des Königs strafte die Ruhe seiner Stimme Lügen.

»Alle Diener der Königin müssen ersetzt werden, aber wir müssen es vermeiden, Unruhe in den goldenen Bienenstock des Hofes zu bringen.«

»Ich werde ihr einen neuen Palast schenken.«

Meren lächelte grimmig. »Den in der Nähe des Tempels der Isis in Memphis?«

»Ja«, sagte der König. »Der Hohepriester dort verabscheut sie. Die ganze Stadt haßt sie. Und Ihr, mein Freund, werdet die Sklaven und Diener auswählen, die sie mitnehmen wird. Eure Leute sollen sich sofort an die Arbeit machen.«

Meren schritt erneut neben dem König her, als dieser vor dem Thron auf und abging.

»Ein solches Arrangement braucht seine Zeit, Majestät, und sie muß bewacht werden. Darf ich mich entfernen, um – für das Wohlergehen Ihrer Majestät zu sorgen, bis sie nach Memphis geht?«

Der König nickte, dann blieb er plötzlich stehen und wandte sich Meren zu. »Ihr solltet wissen, daß ich Tiglith einige Befehle erteilt habe. In den nächsten Tagen wird Ankhesenamun sich immer matter fühlen und kaum genug Schlaf bekommen.«

»Eure Majestät besitzt die Weisheit des Toth.« Meren zögerte, aber der König hatte die Stirn gerunzelt und alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Also fuhr er fort. »Vielleicht könnte man das Gerücht verbreiten, daß Ankhesenamun glaubt, ein Kind zu erwarten und Eurer Majestät daraufhin sofort eine Nachricht zukommen ließ. Ihr wart so überglücklich, daß Ihr gezwungen wart, jeden zu entlassen aus Angst, Eure Würde zu verlieren. Und jetzt werdet Ihr die Große Königliche Frau mit den besten Ärzten, den sorgfältigsten Dienern versorgen, damit sie und ihr Kind so umsorgt werden, wie es sich für die Gattin eines Lebenden Gottes ziemt.«

»Ich bin solch ein aufmerksamer Gatte.«

»Und mich muß man dabei sehen, wie ich meinen gewohnten Geschäften nachgehe.«

Das lenkte die Gedanken des Königs ab, und seine Stimme nahm ihren normalen Klang an. »Ihr habt Neuigkeiten mitgebracht?«

»Ein weiterer Mord, Goldener Gott. Der Sohn, Djaper wurde gestern abend oder in der letzten Nacht vergiftet.«

Er gab dem König eine Zusammenfassung der Ereignisse und erhielt die Erlaubnis, die königlichen Werkstätten aufzusuchen. Dann verließ er Tutenchamun, damit dieser sich mit Ay unterhalten konnte, schritt offen aus dem Audienzsaal hinaus und machte viel Aufhebens davon, einen königlichen Leibwächter zu bekommen, der ihm den Zugang zu den Werkstätten in der Nähe des Palastes gewähren würde. Als der Nubier ihm voranschritt, schlossen sich seine eigenen Männer ihm an. Sie gingen an einer Reihe von Türmen vorbei und wandten sich nach Süden, einem von einer Mauer umgebenen Gebäudekomplex in der Nähe des Nil zu. Als sie sich weit genug vom königlichen Palast mit seinen Scharen von Höflingen und Beamten entfernt hatten, sprach er leise mit Abu, der mit zwei Kriegern zurückblieb und sich gemächlich in Richtung Merens Haus begab, um dort die Vorbereitungen zur Bewachung und Umsiedelung der Königin zu treffen.

Mehr konnte Meren im Augenblick nicht tun, und so konzentrierte er sich darauf, seine ursprünglichen Pläne weiter zu verfolgen. Er durfte keine Besorgnis zeigen. Jede Unterbrechung seiner Untersuchungen über den Mord im Tempel des Anubis würde die Aufmerksamkeit derjenigen, die böse Absichten hegten, erregen. Solche Aufmerksamkeit setzte nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das des Königs aufs Spiel. Der Hohepriester des Amun war wachsam, außerordentlich wachsam und achtete auf jede Schwäche des jungen Pharao. Der Botschafter der Hethiter würde jegliche Störung sofort erkennen und nach der Ursache suchen.

So gingen er und die verbleibenden Leibwächter zu den königlichen Werkstätten. Problemlos passierten sie die Wachposten am Tor. Lange Reihen von Werkstätten erstreckten sich vor ihm, ihre Sonnensegel schützen die gebeugten Köpfe der Juweliere, Bildhauer, Goldschmiede und Weber. Er warf einen kurzen Blick auf eine Werkstätte, in der verschiedene Männer und Frauen Lapislazuli, Karnel und Achat für die königlichen Juwelen bearbeiteten. An der Kreuzung zweier Pfade brachte ein Zug von Arbeitern Waren in einen Riedverschlag, wo Schreiber die Waren überprüften, ihre Menge festhielten und die Verteilung an die Künstler regelten.

Der Leibwächter machte vor einer Werkstatt halt, die die Größe von Merens Haus hatte. Meren hätte auch so gewußt, um welches Haus es sich handelte, denn ein Duft von erhitztem Fett und Gewürzen stieg daraus empor. Vor ihm lag ein weiter, offener Hof, der von einer niedrigen Mauer begrenzt war. Im Inneren stand eine Reihe kuppelförmiger Öfen. Gegenüber befanden sich offene Feuerstellen und Kohlenpfannen, die von einigen Frauen bewacht wurden. Zwei Knaben schürten das Feuer in den Öfen, während ein dritter einen schweren Topf Harz in einen von ihnen schüttete. Meren folgte dem Wachmann in die Werkstatt. Er betrat einen Raum, der in seiner Größe einer kleinen Audienzhalle entsprach.

Er blickte auf die Regale mit den unzähligen Töpfen, Phiolen und durch Stöpsel verschlossenen Krügen, er sah, wie der Wachmann mit einem anderen Mann sprach, dessen Körper Ähnlichkeit mit den eiförmigen Krügen auf den Regalen aufwies. Der Mann stellte eilig eine Gewürzkiste auf einen Tisch, der die gesamte Länge des Zimmers einnahm. Er watschelte zu Meren hinüber und fiel keuchend auf die Knie. Er stellte sich als Bakef vor, der erste Parfumeur des Königs und berührte den Boden mit der Stirn. Als er seine Ehrerbietung Ausdruck verliehen hatte, mußte der Wachmann ihm helfen aufzustehen.

»Es ist mir eine Ehre, Euch zu dienen und zu gehorchen, mächtiger Fürst.« Seine Rede war ein einziges Ächzen und Keuchen.

Auf Merens Frage über die Salbe Qeres hatte Bakef keine direkte Antwort parat. Er wedelte mit seinen teigigen, bleichen Händen.

»Qeres, Qeres.«

Meren streckte seine Hand aus, und einer seiner Leibwächter reichte ihm das Stück Stoff vom Rock des Hormin. Er warf den Fetzen Bakef zu. Der Parfumeur fing ihn auf und hielt ihn an die Nase. Kleine Schweißtropfen hatten sich bereits auf seiner Nasenspitze gebildet. Er schnüffelte nochmals.

»Ah!«

Bakef schwenkte den Fetzen hin und her, wandte sich nachdenklich ab und schob seinen Bauch watschelnd zu einem Regal. Er holte einen Kasten heraus und zog ein Bündel Papyrusblätter hervor, die durch hölzerne Stäbe zusammengehalten wurden. Er begann in der Mitte und blätterte Seite für Seite weiter. Nach ein paar Minuten deutete er mit einem dicken Finger auf ein paar Hieroglyphen. Meren beobachtete, wie die Augen des Mannes zu leuchten begannen. Seine fetten Wangen erröteten, als er sich reckte und eine staubige Papyrusrolle von einem Stapel auf dem obersten Regalbrett herunterholte. Er las das hölzerne Zeichen, das an der Rolle angebracht war und nickte. Er nieste, als er den Staub von der Rolle herunterbürstete und wischte die Hände an seinem Rock ab, bevor er das Papier ausbreitete und befestigte.

Meren sah geduldig zu, seine Aufmerksamkeit ruhte ohnehin nur halb auf dem Parfumeur, gleichzeitig dachte er über eine Strategie nach, wie man mit der Großen Königlichen Frau in Zukunft umgehen sollte. Er wandte Bakef wieder seine volle Aufmerksamkeit zu, als dieser plötzlich aufgeregt in die Hände klatschte und sie sich rieb. Bakef schien vor lauter Erregung seinen edlen Gast vergessen zu haben, denn er drehte sich um und trottete durch eine bewachte Tür, die hinten aus der Werkstatt hinausführte.

Meren folgte ihm in eine dunkle Halle. An jeder Seite befanden sich fünf Türen. Bakef ging voran, schnappte sich eine Kerze und murmelte vor sich hin.

»Neunter Lagerraum, zehnte Reihe, siebtes Regal. Neunter Lagerraum, zehnte Reihe, siebtes Regal. Bei den Göttern, im neunten Lagerraum. Wer hätte das gedacht?«

Meren stand genau hinter dem Parfumeur, als der Mann die vierte Tür auf der rechten Seite öffnete. Bakef berührte mit der brennenden Kerze eine Fackel, die in einer Haltevorrichtung neben der Tür angebracht war. Gelbes Licht beleuchtete einen Raum, dessen Wände Regale säumten, und ließ die Fayence-Phiolen aus Obsidian glitzern. In ordentlichen Reihen stand dort Krug neben Krug – große, zylinderförmige in tiefem Nilblau, flache aus schwarzem Glas; hellgelbe. Bakef hob mit einer Hand einen Schemel und zwängte – in der anderen Hand die Kerze – seine enorme Leibesfülle zwischen die letzten beiden Regale am Ende des Lagerraums. Die Krüge, die hier standen, waren mit einer feinen Staubschicht bedeckt.

»Herr, ich glaube, ich hatte niemals Gelegenheit, das zehnte Regal aufzusuchen. Ich bezweifele, daß irgend jemand seit der Zeit, da mein Vater hier arbeitete, dies tat.«

Bakef setzte seinen Schemel auf den Boden und stellte sich darauf. Meren hörte ein Krachen und Knacken. Bakef wedelte mit den Armen und wäre fast in das zehnte Regal hineingefallen, wenn Meren nicht nach seinem Arm gegriffen hätte. Er zog Bakef von dem Schemel herunter und stieg selbst darauf.

»Wonach muß ich suchen, Parfumeur?«

Bakef wischte sich den Schweiß von der Oberlippe und zog den Kopf ein.

»Nach einem Krug aus feinstem Alabaster. Er sollte wie ein kurzer, breiter Zylinder geformt sein, sein Deckel besitzt die Form eines ruhenden Löwen.«

Meren durchsuchte das Regal. Er fand verschiedene Phiolen und einen großen Topf mit getrockneten Kräutern in einer Keramikschüssel, deren Wand so dünn wie Eierschalen war. Er schob sie beiseite und erblickte die rosafarbene Zunge eines Löwen. Er holte den Krug herunter und ging wieder zu der Fackel neben der Tür. Er versuchte, den Verschluß des Kruges zu heben. Er war festgeklebt, und er mußte ihn drehen, um ihn öffnen zu können. Als der Verschluß gelöst war, zeigte sich das Innere des Kruges, in dem sich keine Salbe mehr befand.

Nur der schwache Duft nach Myrrhe und ein kleines Stück Papyrus befanden sich darin. Er übergab Bakef den Krug und las die Notiz. Sie besagte, daß der letzte Rest der Salbe bei der Beerdigung des königlichen Großvaters benutzt worden war. Nur noch ein Krug existierte im königlichen Schatz.

Meren ließ die Notiz in den Krug zurückfallen. »Er kann es nicht aus dem königlichen Schatz genommen haben.«

»Herr?«

Er warf Bakef einen Blick zu und runzelte die Stirn. »Wo kann man diese Salbe sonst noch finden?«

»Nun, in meinen Aufzeichnungen ist vermerkt, daß es noch drei Krüge im Schatz des Gottes Amun gibt, möge sein Name in Ewigkeit gepriesen sein.«

»Ha!«

Bakef erschrak und hätte beinahe den Krug mit dem Löwenkopf fallen lassen. »Stimmt etwas nicht, Herr?«

»Er besuchte den Schatz des Gottes am Tag, da er starb.«

»Der Gott starb?« Bakef beobachtete Meren und wich zurück, als wolle sich bereitmachen davonzustürmen.

»Nein, Narr. Hormin starb. Aber zuerst besuchte dieser Hundesohn den Schatz des Gottes Amun.« Meren wirbelte herum und verließ das Lager, ohne auch nur ein einziges weiteres Wort an den verwirrten und argwöhnischen Bakef zu richten.

Der Parfumeur watschelte hinter ihm her, wobei er die ganze Zeit stöhnte und ächzte und Meren erst einholte, als dieser bereits in die länger werdenden Schatten des Spätnachmittags trat.

»Herr, auf ein Wort!«

Meren hielt inne. »Nun, Mann, sprecht schnell.«

»Wenn – wenn Ihr noch mehr Qeres findet, und zufällig auf das Rezept stoßt – das heißt – die Königin – «

Meren hatte bis zu diesem Zeitpunkt dem Parfumeur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Sein Blick heftete sich auf das Gesicht des Mannes, und er verzog die Lippen zu einem freundlichen, wohlwollenden Lächeln.

»Ja, Meister Parfumeur, was ist Euer Wunsch?«

»Die Königin schickte vor einigen Monaten die Botschaft, daß sie etwas Qeres haben wolle. Ich hatte es vergessen, und das Rezept ist verlorengegangen, wißt Ihr.«

»Sagte die Große Königliche Frau noch mehr über diese Salbe?«

»Nein, Herr, nur so viel, daß eine kleine Menge als Tributzahlung aus Byblos kam und nun aufgebraucht sei.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann, Parfumeur.«

Bakef stammelte seinen Dank, als Meren fortschritt. Doch dieser nahm seine Dankbarkeit nicht wahr, da er über die Bedeutung dieser neuen Verbindung zwischen dem Mord an einem einfachen Schreiber und der Großen Königlichen Frau nachdachte. Handelte es sich tatsächlich um eine Verbindung, oder nur um einen Zufall? Wenn die Qeres-Salbe auf Hormins Rock aus dem Schatz des Gottes Amun stammte, konnte es sich bei der Salbe immer noch um einen Überrest der Tributzahlung aus Byblos handeln, denn Tributzahlungen wurden in den Tempeln der Götter ebenso wie unter den königlichen Haushalten und Günstlingen verteilt. Sowohl die Königin als auch Hormin konnten die Qeres-Salbe aus der byblonischen Tributzahlung erhalten haben. Und Byblos war bekannt als Zufluchtsort für die syrischen Banditen, die dem Herrscher der Hethiter dienten.

Meren schüttelte den Kopf, während er auf der Straße vor der Werkstatt des Parfümeurs stand. Nein, das konnte einfach nicht sein. So verdächtig wie er auch war, er konnte sich nicht vorstellen, daß der kleine Schreiber Hormin die Aufmerksamkeit eines Spions der Hethiter oder gar der Großen Königlichen Frau erweckt hatte. Aber vielleicht war er von der Priesterschaft des Amun bestochen worden. Doch zu welchem Zweck, das blieb selbst Meren noch verborgen.

Und nun mußte er Nachforschungen über den königlichen Juwelier, der die Amulette herstellte, und über den Schatz des Gottes Amun anstellen. Diese Aufgabe würde ihn vom Problem Ankhesenamun ablenken. Er würde sich mit dem König und mit Ay treffen müssen, aber das mußte im geheimen, im Dunkeln geschehen. Vor dem Abendessen hatte er gerade noch genug Zeit, um, nachdem er den Juwelier aufgesucht hatte, den Fluß zu der großen Tempelanlage des Amun zu überqueren. Dann, wenn die Stadt schlief, würde er erneut in den Palast gehen.