Kapitel 5
Im Hause des Hormin näherte sich Meren der Kammer, die Djaper gehörte. Einer der Wachmänner stand vor der verschlossenen Tür. Meren hatte Beltis verlassen und war nun entschlossen, Hormins jüngeren Sohn zu befragen, der die Konkubine vorher durch einen Schlag beinahe verstümmelt hätte. Er blieb neben dem Wagenlenker stehen, bevor er das Schlafgemach betrat.
»Was macht er gerade, Iry-nufer?«
»Er liest, Herr.«
»Er liest?«
Iry-nufer nickte. Meren verschränkte die Arme und betrachtete die Spitzen seiner Sandalen. Djaper war also ruhig und gelassen genug, um in dieser Stunde des Unheils und des Todes zu lesen.
»Wurde eine Wache aufgestellt?« fragte Meren.
»Ja, Herr.«
»Ein Mann dürfte ausreichend sein. Aber ich möchte, daß er außer Sichtweite bleibt. Wenn nötig, soll er sich ein Dach auf der gegenüberliegenden Straßenseite suchen.«
Meren öffnete die Tür einen Spalt weit und blickte in Djapers Zimmer. Der junge Mann lag auf einer Couch und hielt eine Papyrusrolle in seinen Händen. Zwischen den Zähnen hielt er einen Stift aus Schilfrohr und runzelte angesichts dessen, was er dort las, die Stirn. Meren schlüpfte in den Raum. Als er sich näherte, blickte Djaper auf und lies die Papyrusrolle mit der einen Hand los, so daß sie sich in der anderen Hand zusammenrollte. Er nahm den Stift aus seinem Mund und ließ ihn auf einen niedrigen Tisch fallen, dann kniete er nieder. Die Papyrusrolle befand sich nun an seiner Seite hinter den Falten seines Rocks.
Meren neigte seinen Kopf in die Richtung Djapers, während er sich hinter die Couch begab, um vor einer Wand, die von Regalen gesäumt war, stehenzubleiben. Die meisten der Regalbretter waren voller Papyrusrollen, alter Briefe, frisch zubereiteter Schreibpaste, Siegelleim und anderer Utensilien, die zum Beruf des Schreibers gehören.
Meren kehrte zu der Couch zurück und setzte sich. Djaper stand mit niedergeschlagenen Augen und mit der gebührend respektvollen Haltung da. Meren streckte seine Hand aus, und Djapers Kopf fuhr nach oben. Er reichte ihm langsam die Rolle und wartete schweigend, während Meren sie las.
»Dies ist eine Schätzung der Ernte. Ich dachte, daß Euer Bruder sich um das Anwesen Eures Vaters kümmert.«
Djapers Augen weiteten sich, dann lächelte er. »Ja, Herr. Imsety bepflanzt und pflügt die Felder und hütet das Vieh, aber zuweilen ist er zu beschäftigt, um sich auch noch um die Bücher zu kümmern. Wie im Moment. Die Ernte steht fast bevor.«
»Was wißt Ihr vom Tod Eures Vaters?«
Djapers Blick blieb auf seinen Händen haften, er rollte das Papyrus in eine schmale Röhre hinein. »Nichts, Herr.«
»Ihr habt mit ihm gestritten.«
»Der Herr bezieht sich auf den kleinen Wortwechsel über Imsety, in dessen Besitz der Hof übergehen sollte.« Djaper seufzte und ließ das Papyrus auf den Boden rollen. »Es ist wahr. Mein Vater wollte sich von seinen Besitztümern niemals trennen, aber Imsety ist der einzige, den der Hof wirklich interessiert. Vater behielt einen Großteil des Gewinns, den er abwarf, für sich. Imsety bekam kaum genug, um sich selbst zu erhalten, und keiner von uns besitzt genug, um einen eigenen Hausstand zu gründen. Mein Vater haßte den Hof, und Imsety hätte ihm jeden Anteil am Gewinn gegeben, den er verlangte. Also sprach ich vor zwei Tagen für meinen Bruder vor. Wißt Ihr, Imsety kann für alle in die Bresche springen, aber er ist ein Esel, wenn er für sich selbst sprechen soll.«
Meren nickte und deutete Djaper mit einer Handbewegung an, daß dieser seine förmliche Haltung aufgeben könne. Der junge Mann setzte sich auf seine Fersen und faltete die Hände in seinem Schoß.
»Meine ganze Beredsamkeit war umsonst. Wie ich bereits sagte, war mein Vater zornig. Ich riet Imsety, bis zum Abschluß der Ernte zu warten, um unserem Vater Zeit zu geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Aber nun – «
»Nun werdet Ihr selbst und Euer Bruder erben.«
»Natürlich, Herr. Die Söhne eines Mannes sorgen für sein ewiges Haus. Wir werden es sein, die dafür Sorge tragen, daß für seine Seele Gebete gesprochen werden, daß sein Ka mit Fleisch und Wasser versorgt wird. Das ziemt sich so. Jeder pflichtbewußte Sohn täte das gleiche.«
Meren lehnte sich zurück und ließ seinen Ellbogen auf einem Berg von Kissen ruhen. »Und was ist mit Beltis?«
Ein entschuldigendes Grinsen breitete sich auf Djapers Gesicht aus. »Ich bitte um Verzeihung. Diese Frau griff den armen Imsety an, und ich konnte nicht zulassen, daß sie ihn ein weiteres Mal verletzen würde. Sehen Sie, Herr, Imsety sorgte für mich, als ich klein und schwach war. Er ließ es sich gefallen, daß ich ihm dauernd am Rockschoß hing, brachte mir bei, wie man sich rasiert und einen Dolch benutzt. Und immerhin hat uns diese Frau bestohlen, seit sie gekommen ist. Letzte Nacht wurde sie leichtsinnig und hat sich noch nicht einmal mehr bemüht, ihren Diebstahl zu verbergen.«
»Aber Ihr habt sie letzte Nacht nicht selbst gesehen.«
»Nein, Herr. Ich arbeitete den Tag über im Amt für Aufzeichnungen und Tributzahlungen, kam heim, um Imsety abzuholen und wir verbrachten den ganzen Abend mit Freunden.« Djaper beugten sich nach vorne, als habe er eine vertrauliche Mitteilung zu machen. »Tatsächlich mied ich meinen Vater. Er war wütend auf mich, und ich wollte nicht noch einmal mit ihm streiten. Ich verließ gestern morgen vor ihm das Haus und verbrachte die meiste Zeit des Tages mit zwei Gehilfen im Archiv. Glücklicherweise ging er zum Tempel des Amun, um etwas für Meister Ahmose zu erledigen, und dann mußte er Beltis hinterherjagen. Letzte Nacht sorgte ich dafür, daß Imsety und ich bis spät nach Mitternacht aus waren, ich wußte, daß Vater sich beruhigen würde, wenn er uns eine Weile nicht sah.«
»Und Ihr habt Euren Vater diese Nacht nicht mehr gesehen?«
»Oh nein, Herr. Wir aßen bei einem Freund zu abend. Sein Name ist Nu, er ist ein Sohn des Penamun. Und anschließend gingen wir in die Taverne, die man ›Auge des Horus‹ nennt, um Bier zu trinken und uns mit Frauen zu vergnügen. Ein amüsanter Abend.«
Meren erhob sich, und Djaper kam wieder auf die Füße. Meren schlenderte im Zimmer umher und sorgte dafür, daß sich Schweigen ausbreitete. Djaper fühlte sich viel zu wohl in seiner Anwesenheit, aber vielleicht war er auch unfair. Manche Männer besaßen eine natürliche Gelassenheit und Offenheit, die es ihnen ermöglichte, Schwierigkeiten mit Fassung zu begegnen. Ay gehörte zu diesen Männern. Und er selbst konnte ebenfalls einer Horde nubischer Banditen lächelnd gegenübertreten – solange er wußte, daß seine Familie in Sicherheit war.
Meren warf Djaper einen Blick zu und sah, daß dieser sich erhoben hatte und jetzt an einem seiner Regale lehnte. Ein Bein war angewinkelt und über das andere geschlagen. Er spielte wieder mit seinem Handgelenk, und Meren knirschte mit den Zähnen. Diese Angewohnheit Djapers verärgerte ihn; sie rief den Wunsch in ihm wach, das Brandmal zu reiben, welches sein eigenes Handgelenk unter dem goldenen Armreif verunzierte.
»Hormin war als gewissenhafter Mann bekannt. Man sagt, daß er sich gegenüber jedem im Amt für Aufzeichnungen und Tributzahlungen, der ihm zuhörte, über die Faulheit und Dummheit seiner Söhne beklagte. Hat er Euch vor anderen gezüchtigt?«
Während Meren gesprochen hatte, straffte sich Djapers bis dahin entspannter Körper. Sein Gesicht überzog eine feine Röte, und er senkte die Augen.
»Mein Vater kritisierte jeden.« Er brachte die Worte ruhig und betont lässig hervor, doch die rote Farbe wich aus seinem Gesicht, bis er fast totenbleich war.
»Ich wette, er kritisierte Euch am meisten von allen, da Ihr recht intelligent zu sein scheint. Soweit ich das beurteilen kann, war Euer kluges Herz für Hormin Salz in einer offenen Wunde.«
»Er war stolz auf mich«, sagte Djaper.
»Hat er das gesagt? Und Ihr habt ihn nicht gehaßt, weil er Euch vor Höherstehenden und Kollegen gedemütigt hat?«
Djaper schwieg einen Augenblick lang, dann verzogen sich seine Lippen zu einem vorsichtigen Lächeln. Er blickte Meren offen in die Augen, sie funkelten vor Witz.
»Der Herr ist weise, aber er vergißt, daß ein Vater streng sein und seine Söhne trotzdem lieben kann. So war es bei meinem Vater.«
»Ich verstehe. Dann wart Ihr also besorgt, als Euer Vater am Morgen nicht aufgefunden werden konnte.«
»Zuerst nicht. Wir nahmen an, daß er bei Beltis sei, und sie glaubte, er sei bei uns. Also erfuhren wir erst, als die Sonne aufgegangen war, daß er gar nicht zu Hause gewesen war. Ich suchte nach ihm, als ich den Diebstahl in seinem Arbeitszimmer entdeckte. Und dann kam der Priester und berichtete uns, daß er tot sei.«
»Ich möchte eine Liste der fehlenden Gegenstände haben«, sagte Meren. Er schritt langsam vor dem Tisch, auf dem sich flache Papyrusblätter stapelten, auf und ab. Dann blieb er davor stehen und warf einen Blick auf das zu oberst liegende Blatt. Es handelte sich um einen Steuerbericht des Gaus von Hare. »Ihr übt Euren Dienst für den Pharao sehr gewissenhaft aus, wenn Ihr am Abend noch arbeitet.«
»Das ist nicht der Rede Wert, Herr. Das Blatt war beschädigt, und ich schrieb es für meinen Vater ab. Jetzt bin ich fertig und werde es dem Aufseher morgen zurückgeben.«
Meren hob das Blatt in die Höhe. Darunter entdeckte er eine Ausgabe des Buchs der Weisheit, das schon seit Jahrhunderten von Schreiber zu Schreiber weitergegeben wurde. Er ließ das Papyrus fallen.
»Ihr erwähnt den Tod Eures Vaters gar nicht mehr. Vor einiger Zeit wart Ihr bereit, Beltis für diese Tat, ebenso wie für den Diebstahl anzuklagen.«
»Verzeiht Fürst Meren, aber ich habe niemals Beltis des Mordes an meinem Vater bezichtigt.« Djaper runzelte die Stirn. »Aber wenn ich darüber nachdenke … Beltis könnte…«
»Ich hasse weibische Flatterhaftigkeit«, sagte Meren. »Sprecht offen.«
Wieder senkten sich Djapers weit geöffneten Augen zu Boden und er errötete. »Beltis ist eine Frau mit großem Appetit. Sie kam an mein Lager, um bei mir ihre Freuden zu suchen, und – vergebt mir, Herr, aber es ist abscheulich, so etwas aussprechen zu müssen. Aber Lord Meren hat möglicherweise die Wesensart der Konkubine bereits am eigenen Leib erfahren.«
Meren blickte Djaper nur an.
»Vielleicht«, sagte Djaper, als ihm bewußt wurde, daß er keine Antwort bekommen würde, »vielleicht hatte sich Beltis entschlossen, Vaters Besitztümer und gleichzeitig auch einen jungen Mann haben zu wollen. Oh, nicht daß ich Narr genug wäre, um zu glauben, daß sie mich ohne Besitz genommen hätte.«
Djaper lachte, und Meren mußte unwillkürlich lächeln. Der junge Mann lachte über sich selbst, und diese Art von Demut war bewunderungswürdig. Meren wandte sich von Djaper ab.
»Ihr mögt für den Leichnam Eures Vaters gebührend Sorge tragen.« Mit einem Nicken verließ er Djaper. Er schloß die Tür hinter sich, dann öffnete er sie erneut. Als er seinen Kopf in das Zimmer hineinsteckte, sah er noch, wie Djaper mit schlaffen Gliedern auf der Couch zusammenbrach. »Ihr wißt, daß ich eine Abschrift des Testaments Eures Vaters untersuchen werde, das im Haus des Lebens aufbewahrt wird.«
Djaper rollte sich anmutig auf den Boden, kniete nieder und beugte den Kopf. »Ja, Herr, ich weiß.«
»Das überrascht mich nicht.«
Meren schlug die Tür hinter sich zu und starrte sie an, während er sich sein Kinn rieb. Er würde Männer damit beauftragen müssen, die Aktivitäten der beiden Brüder zu überwachen, aber er glaubte nicht, daß Djaper gelogen hatte. Zumindest nicht in Bezug auf Angaben, die sich als falsch erweisen konnten. Nein, Djaper war viel zu klug, um zu lügen, wenn er sich nicht abgesichert hatte. Nicht, daß seine Aussagen sich nicht doch noch als falsch erweisen konnten. Aber Meren war nicht davon überzeugt, daß der junge Mann so ruhig war, wie es den Anschein erweckte. Wie hätte er das auch sein können mit einem Vater wie Hormin? Sein Ka war von der Glut des Zorns sicher ganz ausgetrocknet worden, weil er beständig von einem Mann gedemütigt worden war, der weniger intelligent war als er.
Der Duft schweren Parfums mischte sich in Merens Gedanken. Er schnüffelte und blickte Iry-nufer an. Der Mann beobachtete ihn, er wartete auf eine Gelegenheit, zu sprechen.
»Die Konkubine war hier«, sagte Meren.
»Ja, Herr. Sie trieb sich hier herum, ging aber wieder, als sie mich sah!«
»Sonst noch jemand?«
»Nein, Herr.«
»Dann komm.«
Meren machte sich auf den Weg zu Imsetys Schlafgemach. Noch eine letzte Befragung, und er konnte sich heimwärts begeben. Kysen würde vielleicht auch schon auf ihn warten und ihm Neuigkeiten berichten können, die sich aus seinen Befragungen, die er im Tempel des Anubis angestellt hatte, ergeben hatten. Es war gut möglich, daß die Ermordung Hormins nichts mit dessen Familie zu tun hatte, sondern mit einem der Priester oder der Einbalsamierer. Dieser Möglichkeit war es schließlich zu verdanken, daß der Hüter der Geheimnisse sich zu allererst an Meren gewandt hatte.
Imsety wurde ebenfalls bewacht. Meren ließ Iry-nufer und den anderen Mann an der Tür zurück und hörte plötzlich das Kratzen von Metall gegen Stein. Iry-nufer hörte es ebenfalls. Der Wachmann trat behende vor und schob seinen Körper zwischen seinen Herrn und Imsety. Er zog seinen Krummsäbel und schrie Imsety zu. Meren trat zur Seite und sah, wie Hormins ältester Sohn auf dem Boden kauerte, ein Wetzstein und ein Messer in seinen Händen. Mit geöffnetem Mund starrte er Iry-nufer an.
Iry-nufer hob den Säbel. »Ich sagte, laßt das Messer fallen.«
Die Klinge fiel mit einem metallenen Geräusch auf den Boden, aber Iry-nufer war noch nicht zufrieden.
»Eure Stirn auf den Boden. Breitet die Arme aus.«
Als sein Opfer auf dem Bauch lag, hob Iry-nufer das Messer auf. Er blickte Meren an, der mit dem Kopf auf die Tür deutete. Bevor Iry-nufer sich zum Gehen wandte, stieß er noch eine Drohung gegen Imsety aus.
»Ihr könnt Euch erheben«, sagte Meren.
Imsety richtete sich auf und stotterte eine Entschuldigung.
»Wo habt Ihr das Messer her?«
»In dem Behältnis dort befinden sich etliche Messer, Herr.« Imsety deutete auf ein irdenes Gefäß neben seinem Bett. »Haushaltsmesser. Ich schleife sie. Die Arbeit – meine Hände.« Imsety hielt inne; Meren wartete, aber der Mann hatte offenbar gesagt, was er sagen wollte oder konnte.
»Ihr liebt es, mit den Händen zu arbeiten?« fragte Meren.
»Ja, Herr. Vater, dieses Haus, die Streitereien.« Imsetys breite Schultern hoben sich mit einem Seufzer.
Meren wartete, jedoch wieder vergeblich. »Die Arbeit lenkt Eure Gedanken von Sorgen und Ärger ab.«
»Ja, Herr.«
»Sagt mir, Imsety. Muß Euch jeder erst die Worte aussprechen, die Ihr nicht sagt, oder fürchtet Ihr Euch vor mir?«
»Ich habe viele Gedanken in meinem Kopf, Herr, aber meine Zunge, sie ist unbeholfen.«
Es war, als pflüge man ein Feld voller Steine, doch Meren zog Imsety die Ereignisse des letzten Tages aus der Nase. Er erzählte ungefähr das gleiche wie Djaper, abgesehen davon, daß er den Tag in der Gesellschaft seiner Mutter verbracht hatte. Der Mann schien sich erheblich größere Gedanken um die bevorstehende Ernte als um den Tod seines Vaters zu machen, und er fragte beständig, wann er nach Hause gehen durfte.
»Wenn ich den Mörder gefaßt habe«, sagte Meren zum dritten Mal.
»Es war Beltis. Sie hat Vater getötet.«
»Und ihn ans Flußufer gezerrt, in ein Boot geworfen und in den Tempel des Anubis transportiert?«
Imsety nickte eifrig. »Hab’ sie beim Stehlen erwischt.«
»Ihr wollt, daß ich glaube, es hätte einen Streit so laut wie Theben an einem Festtag gegeben, wenn Hormin festgestellt hätte, daß Beltis seine Schätze stahl?«
»Einer der Schreiber.«
Merens Kopf begann zu schmerzen. »Wovon sprecht Ihr?«
»Bakwerner.«
»Wißt Ihr irgend etwas über den Mord an Eurem Vater, Imsety?«
»Bakwerner haßt Vater.«
»Ich werde mich mit Bakwerner beschäftigen, nicht Ihr.« Zu diesem Zeitpunkt ertappte Meren sich dabei, wie er mit den Zähnen knirschte. »Ich will wissen, ob Hormin mit Euch ebenso grausam umgegangen ist wie mit Djaper. Es muß so gewesen sein, andernfalls hätte er Euch den Hof nicht verweigert, für dessen Erhaltung Ihr so hart arbeitet.«
Imsety zuckte die Achseln und starrte Meren an.
»Ihr tätet besser daran, zu antworten.«
»Ich habe Vater niemals zugehört.«
Meren wartete ohne Erfolg. Nach ein paar Minuten, während der Imsety ihn anstarrte und versuchte, nicht mit seinem Dolch zu spielen, sprach Meren.
»Ihm nie zugehört? Was meint Ihr damit, verdammt noch mal?«
»Seit ich ein kleines Kind war, habe ich Vaters hitzigen Worten nie zugehört.«
»Hört nicht auf, zu reden«, sagte Meren.
»Häßliche Worte, Vater, sie sind nicht wichtig. Das Land ist wichtig. Und Djaper. Nicht Vater.«
»Und Eure Mutter.«
»Mutter liebt Djaper.«
Niemals war Meren dankbarer dafür gewesen, daß er drei äußerst gesprächige Töchter hatte. Er schloß die Augen und bat diverse Götter um Geduld. Das Verhör Imsetys dauerte zweimal so lang wie die Gespräche, die er mit jedem anderen geführt hatte. Bevor er Kysen adoptiert hatte, hatte es Zeiten gegeben, in denen er die Götter gefragt hatte, warum seine Mädchen nicht als Jungen zur Welt gekommen waren. Jetzt nahm er sich vor, der Göttin der Geburt ein Opfer darzubringen. Meren öffnete die Augen und bemerkte, daß Imsety ihn anstarrte. Das Gesicht des jungen Mannes war so ausdruckslos wie eine Figur, die auf die Wand eines Tempels gemalt worden war. Aber ein kurzes Flackern in Imsetys Augen ließ den Jagdhund in Merens Herzen erwachen. Krokodile badeten häufig in der Sonne, still und ruhig, ohne daß an ihren Körpern ein Lebenszeichen zu entdecken wäre außer dem kurzen, verräterischen Heben eines Augenlides, das die gedankenlose Gier nach Fleisch enthüllte.
»Ihr sagtet, weder Ihr noch Djaper sahen, daß Euer Vater während der letzten Nacht das Haus verließ.«
Imsety starrte Meren an und machte keinerlei Versuch, Merens Blick auszuweichen. »Nein, Herr. Ich habe ihn nicht gesehen.«
Seine direkte Art war ein Spiegelbild von Djapers Offenheit. Und sie versetzte Meren in eine schwierige Lage. Denn er hatte die Erfahrung gemacht, daß die besten Lügner, diejenigen, deren Herzen voller Betrug waren, besondere Übung darin hatten, den Blick desjenigen, den sie betrogen, auf ähnlich direkte Weise zu erwidern, während die Unschuldigen an dieser Aufgabe häufig scheiterten, weil ihnen die Erfahrung im Umgang mit dem Bösen fehlte. Sie stammelten, gerieten ins Stocken und schlugen die Augen nieder. Er hätte Anubis, der Gott, der am Tag des großen Gerichts die Herzen wog, sein müssen, um Ehrlichkeit allein aus dem Gesicht und dem Gebaren eines Mannes herauszulesen.
»Befürchtet Ihr nicht, daß der Mörder Eures Vaters Euch ebenfalls ein Leid zufügen könnte, Imsety?«
»Nein, Fürst Meren. Warum sollte er?«
»Das ist eine Frage, die auch ich mir bereits gestellt habe«, antwortete Meren. »Und ich werde die Antwort finden. Wenn Furcht in Euch aufkeimen sollte, dann denkt an die alten Schriften, die uns sagen, daß die Gerechtigkeit auf immer herrscht und den Täter über den Tod hinaus begleitet.«