Kapitel 6

Kysen verließ das Haus, ohne daß seine Ohren weiteren Schaden nahmen. Er schritt auf ein langgezogenes, niedriges Gebäude am Ende des Grundstückes zu, das zwischen dem Haupthaus und den Baracken und Ställen lag. Hier hatte sein Vater sein Hauptquartier zur Ausübung der Pflichten als Falke des Pharao eingerichtet. Hier lagen auch die Arbeitsräume seines Arztes und Priesters Nebamun sowie der Schreiber, welche die Fälle, an denen Meren arbeitete, schriftlich festhielten. Außerdem befanden sich hier zwei Räume für den Fürsten selbst und seinen Sohn.

Als Kysen die Räumlichkeiten Nebamuns betrat, hatte dieser die Untersuchung des Leichnams soeben beendet. Er befand sich in der Bibliothek, studierte astrologische Karten und rieb sich den rasierten Kopf während er las. Kysen lehnte im Türrahmen. »Er ist an dem Messerstich gestorben, nicht wahr?«

Nebamun sah von der Papyrusrolle auf, die er auf seinen gekreuzten Beinen ausgebreitet hatte. »Mit Sicherheit. Es gibt keinerlei Anzeichen von Gift, und er hat sehr viel Blut verloren. Aber seht Euch die astrologischen Schriften für den Tag, an dem Hormin geboren wurde, an. Sie prophezeien ein glückliches Leben.«

»Sagen sie irgend etwas über seinen Tod?«

»Nein.« Nebamun rollte die Papyrusrolle zusammen und schüttelte den Kopf. »Die Männer sagen, es gab keine Anzeichen, daß im Trockenzelt ein Zauber eingesetzt wurde, und auch der Leichnam wies keinerlei Spuren auf, die auf einen Zauber hindeuten. Er kaute an seinen Fingernägeln, deshalb bezweifle ich, daß irgend jemand sie für einen Zauber hätte sammeln können. Aber die Haare stehen natürlich immer noch zur Verfügung. Wir werden abwarten müssen, was Fürst Meren in Hormins Haus herausfindet.«

»Ich kann mir keinen mächtigeren Zauber vorstellen, als mit einem Einbalsamierungsmesser erstochen zu werden«, sagte Kysen. »Werdet Ihr den Leichnam zurück zum Einbalsamieren schicken, damit er gereinigt und behandelt wird?«

»Ja, aber Ihr wißt, daß sein Ka wahrscheinlich ziellos umherirrt, da es auf gewaltsame Weise an einem geheiligten Ort von seinem Körper getrennt wurde. Mächtige Zaubersprüche werden vonnöten sein, um seine Seele erneut mit seinem Körper zu vereinen.«

Kysen antwortete nicht. Er hatte sich daran gewöhnt, mit ruhelosen Seelen konfrontiert zu werden, ebenso wie er es akzeptiert hatte, daß er immer mit dem Bösen zu tun haben würde. Das war der Preis, den man zahlte, wenn man der Sohn eines Spions des Pharao war. Doch zuweilen fühlte er sich besudelt, wenn er mit dem Bösen zu tun hatte. Zum Beispiel, als der babylonische Kaufmann Amok lief und alle Schankmädchen ermordete, nachdem er sie vergewaltigt hatte. Er hatte sich damals fast gewünscht, daß sein Vater, nachdem der Kaufmann gefaßt worden war, seine Stellung aufgab.

Nachdem er einem der Schreiber in der Bibliothek seine eigenen Beobachtungen diktiert hatte, ging Kysen in das Büro seines Vaters. Dort suchte er nach den Kisten, die Hormins Besitztümer und die Gegenstände enthielten, die man an dem Ort, an dem er ermordet worden war, gefunden hatte. Er war gerade dabei, eine der Kisten vom Boden auf den Arbeitstisch zu heben, als er Merens Stimme an der Tür vernahm.

»Bei den Dämonen der Unterwelt, diese Familie ist ein Haufen Kobras.«

Kysen blickte auf und grinste. Selbst wenn Meren zornig war, sah er kaum alt genug aus, um sein Vater zu sein. Er war jetzt vierunddreißig, hatte immer noch die Figur eines Kriegers und in seinem dichten schwarzen Haarschopf war auch nicht der leiseste Hauch von Silber zu entdecken. Kysens Freunde neckten ihn damit, daß er niemals eine zweite Ehefrau bekommen würde, denn alle Hofdamen wetteiferten um die Aufmerksamkeit Merens.

»Hormins Familie hat dich ganz schön aus dem Lot gebracht, nicht wahr?«

Meren warf Kysen einen ärgerlichen Blick zu und schritt energisch ins Zimmer. Er ließ sich in seinen Lieblingssessel aus Ebenholz fallen, kauerte sich darin zusammen und fluchte erneut. Kysen beobachtete, wie Meren mit den Fingern auf die Armlehne trommelte, wie seine Gesichtszüge sich entspannten und dann erneut einen besorgten Ausdruck annahmen.

»Du siehst mich an«, sagte Kysen.

»Mhmmm.«

Kysen preßte die Lippen aufeinander und gab vor, den Deckel des Kästchens, das vor ihm stand, abzuwischen. Er hörte damit auf, als Meren anfing zu sprechen.

»Du weißt über die Nekropole Bescheid?«

»Der Wasserträger hat es mir gesagt.«

»Hat er dich erkannt?« fragte Meren.

»Er ist neu im Dorf«, sagte Kysen. Er ließ seinen Blick durch das Zimmer wandern, streifte die Stapel von Papyrusrollen und einen Wasserkrug. »Sein Vater dient dem Maler Useramun. Ich erinnere mich an Useramun. Seine Hüften schwabbelten, wenn er ging, und er bekam jedesmal einen Wutanfall, wenn der Gips an den Wänden der Gräber nicht glatt genug für seine Farbe war.«

»Jedes Übel, das die Diener des Erhabenen Ortes betrifft, ist für den Pharao von Bedeutung. Vielleicht haben sie nichts damit zu tun, aber ich muß sichergehen.«

Kysen ging um den Arbeitstisch herum und nahm neben seinem Vater Platz. »Morgen früh könnten wir nach dem ersten Schreiber schicken lassen.«

»Du weißt, daß ich etwas anderes im Sinn habe.«

»Du willst in das Dorf gehen?« Kysen errötete, als sein Vater eine seiner Augenbrauen hob. Besser als mit tausend Worten konnte Meren ihm mit dieser beredten Geste seiner Brauen das Gefühl geben, ein Narr zu sein.

»Ich will nicht hingehen«, sagte Kysen.

»Ich kann es nicht tun, Ky. Innerhalb von Minuten wüßte ganz Theben, daß ich dort bin. Der halbe Hof wäre mir auf den Fersen, entweder aus Neugierde oder um dafür zu sorgen, daß ich die Arbeit an ihren Gräbern nicht behindere. Und wieviel, glaubst du, bekomme ich aus den Schreibern und Handwerkern heraus?«

»Wenig«, sagte Kysen. »Oh, du mußt es mir nicht sagen. Ich weiß. Ich bin derjenige, der ihre Sprache spricht. Ich bin derjenige, der sie kennt – zumindest kannte ich sie. Es ist schon zehn Jahre her.«

»Vielleicht ist es gut für dich, wenn du zurückkehrst.«

Kysen sprang so schnell hoch, daß er seinen Schemel dabei umwarf. Er ignorierte den Schemel, warf seinem Vater einen wütenden Blick zu, wandte sich ab und stützte sich mit beiden Handflächen auf den Arbeitstisch.

»Die Feuergruben der Unterwelt, das war dieser Platz für mich«, sagte Kysen. »All die Zeit habe ich gebraucht, um mein Ka zu heilen, und du wünschst, daß ich dorthin zurückkehre. Du weißt, wie es dort war. Du hast mich gesehen, als Vater versuchte, mich in den Straßen von Theben zu verkaufen – die Striemen, die Prellungen, die so schwarz waren, daß ich in mondbeschienener Nacht nahezu unsichtbar gewesen wäre.«

Meren erhob sich und ging zu Kysen hinüber. Kysen schreckte auf, als sein Vater eine Hand auf die seine legte.

»Du hast deinen leiblichen Vater seit diesem Tag nicht mehr gesehen, Ky. Ich glaube, in deinem Herzen wohnt große Angst davor, ihm wieder zu begegnen, und sie wird immer größer, je länger du sie ignorierst. Haß führt dazu, daß die Wunden deines Ka zu eitern beginnen.«

»Ihr Götter!« Kysen schüttelte Merens Hand ab. »Sollte ich ihn etwa nicht hassen? Du hast mir gesagt, es sei nicht meine Schuld gewesen, daß er mich schlug, meine Brüder jedoch niemals anrührte. Du hast drei Jahre gebraucht, um mich von meiner Unschuld zu überzeugen, aber ich versichere dir, wenn ich dorthin zurückkehre, dann wird er mich mit dem Widerwärtigen, das in meinem Herzen wohnt, konfrontieren.«

»In deinem Herzen wohnt nichts Widerwärtiges. Es wohnt in Paweros Herzen. Stell dich ihm, Ky. Du bist nicht länger ein achtjähriges, hilfloses Kind. Ah, du hast geglaubt, daß ich deine größte Angst nicht kenne. Kehre in das Dorf zurück. Du mußt dich Pawero stellen, und sei es nur, um ihn dazu zu bringen, seine Schuld zuzugeben.«

»Und während ich mein Monster von Vater zur Rechenschaft ziehe, soll ich die Bewohner des Dorfes ausspionieren.«

»Wie ein pflichtgetreuer Sohn«, sagte Meren.

»Dieser pflichtgetreue Sohn erinnert sich daran, daß er das Bett deiner ältesten Tochter in Brand gesetzt hat.«

»Und erinnert er sich auch daran, danach drei Monate lang die Kapitel des Totenbuches abgeschrieben zu haben?«

Kysen lehnte sich gegen den Arbeitstisch. Er schnaubte und beugte sich nach vorn, um den zu Boden gefallenen Stuhl wieder aufzuheben. Dann sah er, daß sein Vater neben ihm stand und ihn mit jenem mitleidigen und doch entschlossenen Gesichtsausdruck betrachtete, der ihm mittlerweile so vertraut war. Meren hatte beschlossen, daß dies das beste für ihn war, und nichts, das Kysen sagte, würde seine Meinung ändern.

»Wann werde ich gehen?«

»Morgen früh«, antwortete Meren. »Ich werde eine Botschaft an den Lesepriester senden, den Wasserträger eine Weile nicht nach Hause zu schicken. So hast du ein paar Tage Zeit, um jedermann zu befragen, ohne daß offenbar wird, wonach du suchst.«

»Was ist, wenn sie wissen, wer ich mittlerweile bin?«

Meren sagte: »Sie wissen es nicht.«

»Was meinst du damit?«

Meren nahm erneut in seinem Ebenholzsessel Platz und zog eine Grimasse. »Ich wollte es dir nicht erzählen, aber ich habe deinen Vater und deine Brüder nie aus den Augen verloren. Und ich befahl ihm, niemandem zu sagen, wer dich gekauft hat. Keiner dort weiß, wer du heute bist.«

Kysen bewegte sich von Meren fort und stellte sich so, daß er mit dem Rücken zur Wand stand. Er schlang die Arme um seinen Körper und betrachtete den Mann, dem er so viel verdankte.

»Ich könnte ihn töten.«

»Das wirst du nicht«, sagte Meren ruhig.

Kysen ballte beide Hände zu Fäusten und zwang sich, fortzufahren. »Manchmal, wenn Remi meine Geduld bis zum äußersten reizt, dann möchte ich fast – manchmal passiert etwas mit mir. Ein Dämon nimmt mein Ka in Besitz, und ich erhebe beinahe die Hand gegen ihn.« Kysen wartete mit gesenktem Kopf auf Merens Mißbilligung.

»Aber du tust es nicht. Du hast Remi niemals geschlagen, und du wirst es auch nicht tun. Nicht, bis er alt genug ist, um eine solche Bestrafung zu verstehen, und dann wirst du gerecht und freundlich sein, denn das liegt in deinem Wesen.« Seine Augen begegneten dem freundlichen Blick seines Vater. »Ich will Pawero ebensosehr verletzen, wie er mich verletzt hat.«

»Vielleicht wirst du, wenn du in die Nekropole gehst, sehen, daß ein gerechter Gott bereits ein Urteil zu deinen Gunsten ausgesprochen hat.« Meren erhob sich und führte Kysen zur Tür. »Es ist Zeit, daß du diese unverdiente Schuld hinter dir läßt, und – «

Plötzliche Erschütterung zeichnete Merens Gesicht. Er hatte die Augen auf etwas gerichtet, das Kysen nicht sehen könnte, seine Lippen öffneten sich und sein Atem zischte, als er die Luft einsog.

»Du hörst mir zu«, sagte Meren, »wie ich dir befehle, deine Schuld hinter dir zu lassen, während ich…«

»Vater?«

»Laß mich allein, Ky.«

»Aber – «

»Sofort.«

Kysen schlüpfte hinaus und ließ Meren im Türrahmen stehen, der wie gelähmt war von Gedanken, die er mit niemandem teilte.

Im Hafen des Marktes von Theben lagen mit Tüchern abgedeckte Boote dicht an dicht. Die bunten Farben glühten in der Nachmittagssonne wie glitzernde Fischschuppen in einem See. An einer der Marktbuden wurden frische Wasservögel feilgeboten, die zusammengebunden an quadratischen Gestellen hingen. Die gerupften Leiber zweier Enten teilten sich, und zwischen ihnen wurde die schwitzende Nase eines Mannes sichtbar. Ihr Besitzer kauerte hinter der Reihe von Vögeln und gab lediglich Nase und Augen frei. Er ließ seinen Blick ruhelos über die bevölkerte Straße wandern.

Der Krieger war ihm gefolgt, seit er das Amt für Aufzeichnungen und Tributzahlungen verlassen hatte. Bakwerners Mund war trocken, und er benetzte seine aufgesprungenen Lippen. Er wischte sich den Schweiß von der Nase, und ihm wurde klar, daß das Unheil ihn verfolgte, seit er diese Berichte auf Hormins Regal vergessen hatte. Nichts von dem, was er seitdem getan hatte, hatte die unglücklichen Ereignisse des vergangenen Tages und der Nacht verhindern können.

Er mußte der Aufmerksamkeit des Wagenlenkers entgehen. Fürst Meren wußte mehr als er zugegeben hatte. Warum sonst sollte er einen unschuldigen Schreiber überwachen lassen? Da! Das war der Mann, der ihn verfolgte. Bakwerner duckte sich hinter den Entenleibern. Der Besitzer der Marktbude warf ihm einen mißtrauischen Blick zu, deshalb gab er vor, einen Korb voller Tauben zu betrachten. Als er wieder aufblickte, hatte der Wagenlenker ihm den Rücken zugekehrt. Bakwerner ließ den Korb fallen, schlängelte sich an einem Boot vorbei, das mit Nüssen und Melonen gefüllt war und begann zu laufen.

Er wich einem Handkarren aus, der mit getrocknetem Dung gefüllt war, umging einen Blumenverkäufer, erreichte eine schattige Gasse und arbeitete sich in die Innenstadt vor. Jeder große Mann, jede Person, die Bronze trug, ließ ihn auffahren oder in einen Türeingang huschen. Mit jedem unbegründeten Schrecken erhöhte sich seine Furcht. Je mehr er sich fürchtete, um so mehr schwitzte er. Kleine Rinnsale von Schweiß liefen ihm von der Perücke sein Gesicht herunter und über seine Schultern. Sein Rock war bereits klamm.

Da er sich nicht die Zeit nahm, sich den Schweiß abzuwischen, sah er das Haus des Hormin durch einen Nebel salzigen Schweißes. Der Anblick raubte ihm seine letzte Selbstbeherrschung, und er schoß über die Straße in die Empfangshalle. Er stammelte etwas vor den Dienern, und kurz darauf trat die Ehefrau Hormins ihm entgegen.

»Was habt Ihr hier zu suchen? Was wollt Ihr?«

»Psst, Herrin, wir könnten belauscht werden.«

Hormins Weib blickte ihn finster an. »Ihr meint, daß jemand Euch beobachtet?«

»Die Männer des Fürsten.«

»Sie halten Euch für schuldig!« Die Frau öffnete ihre dunklen Lippen und schrie.

Bakwerner zog den Kopf ein und bedeckte seine Ohren. »Bitte nicht. Ich möchte Eure Söhne sprechen. Wo sind sie?«

Hormins Weib schenkte ihm keinerlei Aufmerksamkeit. Sie schrie weiter, diesmal rief sie nach Imsety. Bakwerner fuchtelte ihr in dem verzweifelten Versuch, sie zum Schweigen zu bringen, mit den Armen vor dem Gesicht herum.

»Rühr mich nicht an, du Wurm.« Selket huschte zu dem Wasserkrug, der in einer Ecke stand, hob ihn in die Höhe und schleuderte ihn in Bakwerners Richtung.

Bakwerner sprang zur Seite, als der Krug ihm entgegenflog. Er zerbarst an der Wand, und das Wasser traf sowohl ihn als auch Selket. Hormins Weib gab einen Laut von sich, der eine Mischung aus Knurren und Stöhnen war. Sofort steckten Dienerinnen ihren Kopf durch die Tür.

Schritte waren hinter Bakwerner zu hören. Er wurde an der Schulter gepackt und herumgewirbelt. Ein Riese ragte über ihm auf. Imsety.

»Er ist schuldig, und er ist hergekommen, um uns alle umzubringen«, schrie Hormins Frau.

»Ich will nur mit Euch reden«, sagte Bakwerner. »Es wird Euch leid tun, wenn Ihr mir nicht zuhört.«

Imsety schob Bakwerner hinaus. »Raus.«

»Ich weiß Bescheid, und Euch wird es leid tun. Holt Euren Bruder. Er hält sich für brillant und glaubt, er sei von Toth begünstigt. Nun, jedenfalls wird er mich nicht der Gunst des Meisters berauben. Bringt ihn her, denn ich weiß Bescheid.«

Imsety hörte ebensowenig zu wie seine Mutter. Er machte eine Faust, die doppelt so groß war wie die von Bakwerner und rammte sie dem Schreiber in den Magen. Bakwerner stieß einen grunzenden Laut aus und krümmte sich. Imsety versetzte ihm einen Tritt ins Hinterteil, und Bakwerner taumelte. Der Riese hob erneut seine Faust, aber Bakwerner krabbelte ihm aus dem Weg. Mit unsicherem Schritt gelang es ihm, auf die Straße zu entkommen, bevor Imsety sich entschloß, ihn zu verfolgen.

Bakwerner rannte durch die Straßen und Gassen Thebens. Er hatte nur eines im Sinn: seine Haut zu retten. Er erreichte erneut den Kai und nahm die Fähre, die ihn über den Fluß zurückbrachte. Als das Boot über das Wasser glitt, glättete Bakwerner seine Perücke und warf einen prüfenden Blick in die Gesichter der anderen Passagiere. Hier und da glaubte er, daß jemand ihn beobachtete, aber es waren alles Fremde, und keiner hatte Grund sich für ihn zu interessieren. Trotzdem fröstelte er, als er am Westufer an Land ging. Möglicherweise lag dies am Wind, der über seine feuchte Haut strich. Bakwerner drehte sich plötzlich um und versuchte jemanden zu entdecken, der ihn anstarrte. Doch die Menschenmenge trieb in vorwärts und schenkte ihm keinerlei Beachtung.

Seine Hände zitterten und auf seinen Armen bildete sich eine Gänsehaut, als er das Amt für Aufzeichnungen und Tributzahlungen betrat. Alle älteren Schreiber waren bereits nach Hause gegangen. Er hatte nicht bemerkt, wie spät es schon war, aber die Sonne, das Schiff des Ra, schleuderte ihre Strahlen gegen das Gold und Elektrum der Tempel und Obelisken am gegenüberliegenden Ufer des Flusses. Ihre Schatten waren wie lange, verzerrte Dämonen, die auf den glühenden Wänden des Amtsgebäudes tanzten.

Bakwerner gab vor, beschäftigt zu sein, während Gehilfen und junge Schreiberlehrlinge aufräumten und Berichte, Schreibpaste und Riedstifte fortpackten. Als die erste Grille zirpte, waren sie verschwunden, und Bakwerner blieb zurück, um in Ruhe darüber nachzudenken, was er als nächstes tun sollte. Er stand in der Loggia und bearbeitete seine Unterlippe mit den Zähnen. Er mußte einfach mit Djaper, diesem kleinen Skorpion, reden. Er hatte nicht die Absicht, sich seine Position streitig machen zu lassen, nur wegen eines dahergelaufenen Knabens, der den Charme einer Tänzerin besaß. Der einzige Grund, warum er für den Posten des ersten Schreibers in Betracht gekommen war, war der, daß niemand Hormin diese Funktion übertragen wollte. Aber jedermann mochte Djaper, und der junge Mann war brillant. Früher hätte zuerst Hormin befördert werden müssen, bevor Djaper an der Reihe gewesen wäre. Jetzt gab es Hormin nicht mehr, und Djaper mußte aufgehalten werden. Aber wie sollte er das bewerkstelligen?

Während Bakwerner noch darüber nachsann, strömten Scharen von Männern und Knaben, die in den Büroräumen des Wesiers angestellt waren, an der Loggia vorbei. Jünglinge mit ihren zu Bündeln verschnürten Schreiberutensilien eilten entlang und bahnten sich ihren Weg an den langsameren Erwachsenen vorbei. Hie und da lauerte ein Bengel mit nacktem Oberkörper auf der Suche nach einem mutmaßlichen Opfer, das er anbetteln konnte. Einer von ihnen tauchte plötzlich vor der Loggia auf und pflanzte sich vor Bakwerner auf.

»Fort mir dir«, zischte Bakwerner.

»Hab’ eine Botschaft.« Der Junge bohrte einen Zeh in den Straßenschmutz. Er hob seine Augen zum Himmel, als ob er nach den richtigen Worten suchte. »Jemand, den Ihr sehen wollt, wartet dahinten. Hinter dem Scherbenhaufen.«

»Wer? Warte!«

Der Junge verschwand hinter einer Gruppe von Arbeitern. Bakwerner sah ihm hinterher, dann ließ er seinen Blick über die wogende Menschenmenge schweifen. Keiner schenkte ihm irgendwelche Beachtung.

Djaper. Es mußte Djaper sein. Der junge Narr hatte endlich begriffen, daß sie miteinander reden mußten. Bakwerner ging um das Amtsgebäude herum und betrat den Hinterhof, wo die Berichte abgeliefert wurden. Am hinteren Ende des Hofes befand sich der Scherbenhaufen. Es waren behelfsmäßige Dokumente, die dazu dienten, die ständigen Steuerrollen und Listen der von der Steuer befreiten Tempelländereien und Bürger festzuhalten. Seit Anfang des Jahres war der Haufen zu einer Größe von mehr als zwei erwachsenen Männern angewachsen.

Bakwerner näherte sich dem Haufen, aber er zögerte, als er niemanden sah.

»Wer ist da?«

Es kam keine Antwort. Der Wind frischte auf und blies ihm den Rock gegen die Beine, und er hörte die Schreie der spielenden Straßenjungen. In der Ferne konnte er auch das Blöken der Schafe hören.

»Djaper, du kleine Viper, ich habe keine Angst vor dir.«

Bakwerner wartete und horchte. Die Spitze eines Schattens tauchte am Rande des Scherbenhaufens auf. Er verschmolz mit den hervorstehenden Tonscherben und verschwand wieder. Bakwerner hörte das Geräusch aufeinanderschlagenden Tons, als eine Scherbe sich löste und von der Mitte des Haufens herunterfiel.

Bakwerner eilte um den Scherbenhaufen herum, um den Schatten zu verfolgen. Sein Schritt beschleunigte sich, als er dort nichts als die heruntergefallene Scherbe gewahrte. Dann erschien der Schatten wieder und schlängelte sich von hinten an ihn heran.

»Ha! Du spielst deine dummen Spielchen – «

Etwas Schweres schlug ihm auf den Schädel. Ein stechender Schmerz zwang ihn auf die Knie, doch er konnte sich mit den Handflächen noch im Staub des Hofes auffangen. Er blickte auf und sah die spitze Kante einer großen Scherbe über sich schweben. Bakwerner hatte gerade noch Zeit zu schreien, bevor die Scherbe ihm das Gesicht zerschmetterte.

Meren diktierte die Ereignisse, die sich im Haus des Hormin zugetragen hatten, wodurch seine Gedanken von der Vergangenheit abgelenkt wurden. Nachdem er Kysen fortgeschickt hatte, hatte er einen Schreiber angewiesen, seine Gespräche mit den Personen, die mit Hormin Umgang gehabt hatten, schriftlich festzuhalten. Sein Gedächtnis war hervorragend, und er hatte die Erfahrung gemacht, daß Verdächtige oft in Panik gerieten, wenn ein Schreiber in ihrer Anwesenheit Protokoll führte.

Er las sich gerade die Aufzeichnungen durch, die Kysen und seine Männer hatten anfertigen lassen, als er einen durchdringenden Gestank wahrnahm. Er kam vom Boden unter dem Arbeitstisch. Meren öffnete die Kiste, die unter dem Tisch lag, und fand darin Hormins befleckten Rock. Meren hob ihn an einem Zipfel in die Höhe und breitete ihn auf dem Tisch aus. Verwesung, Schmutz und Natron bildeten gemeinsam jenen Geruch, der dem Schutz der Kiste schließlich entwichen war. Meren nahm ein Messer, schnitt ein viereckiges Stück aus dem Teil des Rockes heraus, der mit Parfüm befleckt war und legte ihn zurück in die Kiste. Er schob das Behältnis aus dem Raum und kehrte zurück, um den Leinenfetzen zu begutachten.

Die gelben Flecken gaben einen seltsam würzigen Duft von sich, den er nicht identifizieren konnte. Im Zweifachen Reich konnte man viele verschiedene Parfüms kaufen, deshalb war es nicht überraschend, wenn er eines davon nicht kannte. Aber der Duft war sonderbar und wahrscheinlich kostbar. Er würde dieses Stück Stoff an einen Parfumeur schicken müssen, doch er war sicher, daß keine der Flaschen in Hormins Schatzkammer einen Duft wie diesen enthielt.

In einer anderen Kiste fand er das Einbalsamierungsmesser aus Obsidian. Der Griff aus vergoldetem Holz war geschmückt mit dem Abbild des schakalköpfigen Gottes Anubis, dem Schutzpatron der Einbalsamierer. Außerdem waren die Worte ›Bewohner der Stätte der Einbalsamierung, Anubis. Er sorgt für Ordnung. Er befestigt deine Bandagen‹ hineingeritzt.

Meren legte das Messer auf den Arbeitstisch und sprach ein kurzes Gebet, um sich zu schützen. Wer auch immer dieses heilige Instrument benutzt hatte, hatte entweder keinerlei Furcht vor den Göttern oder war so wütend gewesen, daß ihm gar nicht bewußt gewesen war, was für eine Waffe er da in den Händen hielt. Es war wahrscheinlicher, daß die letztere Variante zutraf. Allerdings mußten auch die Menschen, welche die Toten beraubten, ihre Furcht überwinden, und es hatte in der Vergangenheit viele Fälle von Grabschändung gegeben. Kriminelle schienen nicht fähig zu sein, sich das bevorstehende Gottesurteil und das schreckliche Schicksal, wenn das eigene Ka von den Ungeheuern der Unterwelt verschlungen wurde, zu vergegenwärtigen, ein Schicksal, das jedem Sünder nach seinem Tode blühte.

Verdammter Mist! Bei diesem Mord war viel mehr Böses im Spiel als bei vielen anderen. Er hatte an einem heiligen Ort stattgefunden, die Waffe war heilig, das Opfer war ein Diener des Pharao und hatte seinen eigenen Mord provoziert, indem es sich wie ein Schakal verhalten hatte. Seine Familie haßte ihn und hatte allen Grund, ihm den Tod zu wünschen. Sein Kollege Bakwerner haßte ihn. Hormin hatte sein Netz von Bosheit so weit gespannt, daß Meren nicht sicher war, ob nicht auch einige Totengräber oder vielleicht sogar der bedauernswerte Wasserträger darin verwickelt waren. Wenn Hormin die Arbeit eines königlichen Schreibers wie Bakwerner zunichte gemacht hatte, was konnte er dann einem einfachen Handwerker oder Wasserträger angetan haben?

Meren war gerade dabei, in einem Kasten nach Hormins Siegelring, Armreif und dem Amulett zu suchen, als das Geräusch einer Türangel ihn herumfahren ließ. Kysen, der die Hände voller Papyrusrollen und Tonscherben hatte, warf ihm einen fragenden Blick zu. Mit einem Nicken erteilte Meren ihm die Erlaubnis einzutreten.

»Die Berichte vom heutigen Tage«, sagte Kysen. »Und Wein.«

Mutemwia folgte ihm mit einem Tablett in der Hand, und als sie ging, hatten die beiden es sich in den Sesseln bequem gemacht und einen Weinkrug zwischen sich aufgestellt.

»Ich war gerade dabei, Hormins Habseligkeiten durchzusehen.« Meren hielt den Siegelring in die Höhe. Es hatte eine glatte Oberfläche, auf der in winzigen Hieroglyphen Hormins Name eingraviert war. Auf dem Armreif konnte man den Titel des Mannes und seinen Namen erkennen. Es handelte sich um eine sehr kostbare Handarbeit. Kysen deutete auf die Gegenstände, die aus Hormins Besitz stammten. »Keines dieser Schmuckstücke ist für einen Schreiber von Hormins Stand ungewöhnlich. Seine Kleidung war von guter Qualität, wenn auch wiederum nicht von allerfeinstem Tuch.«

»Ich weiß. Aber du hast seine Schatzkammer nicht gesehen. Der Mann hortete die Schätze nur so, Ky, deshalb dürfen wir die möglichen Hinweise, die uns seine Habseligkeiten geben können, keinesfalls übersehen.« Meren umfaßte seinen Weinkelch mit beiden Händen und seufzte. »Ich weiß nicht. Irgend etwas stimmt hier nicht, aber ich habe keine Ahnung, was. Ich muß jonglieren.«

»Oh nein«, sagte Kysen. »Nicht solange ich hier bin.« Er beugte sich hinab und nahm ein paar Berichte hervor, die er seinem Vater hinüberschob. »Das hier wird dich ablenken.«

Beide lasen, und es herrschte Stille im Raum.

Kysen sagte: »Die Stadtpolizei berichtet von der Festnahme des Wirts einer Taverne wegen Kinderprostitution.«

Meren preßte die Lippen zusammen, aber er blickte weiter auf den Bericht in seiner Hand. »Das Urteil der Richter wird auf Verstümmelung lauten.« Er klopfte mit dem Finger auf die Papiere. »Ein Steuereintreiber hat einen Bauern totgeschlagen. Er wollte ihn dafür bestrafen, daß er die Grenzsteine wieder auf sein Land setzte, und er schlug dem Mann auf den Kopf statt auf den Rücken. Und einer der Begräbnispriester im Tempel Amenhoteps des Großen wird angeklagt, Korn zu seinem eigenen Nutzen entwendet zu haben.«

»Wie dumm«, sagte Kysen.

»Was?«

»Der Begräbnispriester ist dumm. Keiner bestiehlt den Vater des regierenden Pharao; man bestiehlt den Tempel eines älteren Königs oder Prinzen, der schon längst in Vergessenheit geraten ist.«

»Allerdings. Wie auch immer, die einzige andere Nachricht, die uns aus der Nekropole erreicht, ist, daß ein weiterer Arbeiter zu Tode gestürzt ist. Er war auf dem Weg vom Friedhof der Adeligen zum Tal der Könige. Ich glaube, das ist der dritte Unfall in diesem Jahr.«

Kysen winkte mit einer Papyrusrolle. »Der Wesier hat die Nachricht gesandt, daß der Vasall Prinz Urpalla mehr Gold vom Pharao verlangt, um im Kampf gegen die Hethiter mehr Söldner anheuern zu können.«

Kysen hielt inne, als sein Vater stöhnte und eine Papyrusrolle, auf der das Siegel des Pharao zu sehen war, auf den Boden warf.

»Was ist los?«

»Mögen die Dämonen der Unterwelt sie holen«, sagte Meren. »Eine der Halbschwestern des Pharao, Prinzessin Nephthys, ist schwanger und weigert sich, den Namen des Vaters preiszugeben.«

Meren schauderte beinahe, als er an die Folgen dachte, die aus dieser Misere erwachsen konnten. Das Recht auf die ägyptische Krone wurde durch die weibliche Linie weitergegeben. Nephthys war die Tochter einer Nebenfrau Amenhoteps des Großen, aber es hatten schon Frauen, in deren Adern weniger königliches Blut floß, versucht, den Thron für ihre Söhne zu beanspruchen.

»Soll ich das verbrennen?« fragte Kysen und deutete auf den Bericht über die Prinzessin. Selbst zu Hause konnten sie es nicht wagen, Schriften, welche die Angelegenheiten des Königs betrafen, offen herumliegen zu lassen. Er nahm Meren das Papier aus den Händen und berührte es mit der Flamme einer Alabasterlampe.

Als er den letzten sich kräuselnden Fetzen Papyrus fallenließ, trat Iry-nufer in den Raum und machte eine begrüßende Handbewegung. Seine Augen waren trübe vor Schlafmangel und er vergeudete keinen Atem mit höflichen Grußformeln.

»Herr, eine von Hormins Dienerinnen erkannte Bakwerner im Dunkel der Mordnacht. Er hatte sich hinter der Baumreihe neben dem Haus versteckt, als sie auf ihrem Nachhauseweg an ihm vorbeikam, aber als er sie sah, verschwand er.«

»Ist sie sicher, daß er wieder verschwand?« fragte Meren.

»Ja, aber danach ging sie nach Hause, also könnte er zurückgekommen sein. Aber das ist nicht alles. Bakwerner besuchte Hormins Familie, nachdem wir sie verlassen hatten. Er entwischte dem Mann, der ihn beobachten sollte und schlich sich dorthin. Er versteckte sich in den Türeingängen, bis er sicher war, daß keine Fremden ihn beobachteten. Wahrscheinlich hielt er nach einem von uns Ausschau, da bin ich sicher.« Iry-nufer warf Kysen ein selbstzufriedenes Lächeln zu. »Als ich ihn entdeckte, machte ich eine der Mägde ausfindig und wies sie an, zu belauschen, was er sagte.«

Meren sagte: »Das war sicherlich keine allzu schwierige Aufgabe, wenn man bedenkt, wie diese Leute schreien.«

»Der Herr ist weise«, sagte Iry-nufer. »Er begann, zunächst mit der Gattin des Hormin zu sprechen. Die Magd konnte nicht alles verstehen, aber sie glaubte zur hören, daß er dringende Bitten hervorbrachte. Dann begann die alte Frau zu schreien, und der ältere Bruder kam hinein und brüllte Bakwerner an, er schrie, daß Bakwerner nur hier sei, um der Familie die Schuld für den Mord anzuhängen. Ich hörte den Lärm und rannte ins Haus. Bakwerner schrie, aber Imsety schlug ihn, und Bakwerner kroch aus dem Haus wie ein Käfer, der von einer Gans gejagt wird.«

Meren lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete die Zimmerdecke. »Wo war der jüngere Bruder?«

»Der jüngere? – Der ließ sich nicht blicken. Ist wohl an derlei Unruhe gewöhnt, nehme ich an. Ich selbst ging, als ich sah, daß niemand getötet würde.«

Meren sagte: »Ich möchte wissen, wo Djaper war, als sein Bruder Bakwerner verprügelte. Und ich werde später mit dir über diesen Vorfall reden, Iry-nufer.«

»Noch etwas?« fragte Kysen.

»Nein, Herr. Der Mann, der Bakwerner bewachen soll, kam und folgte ihm zurück zum Amt für Aufzeichnungen und Tributzahlungen. Es wurde langsam spät. Als meine Ablösung kam, ging ich hierher, um Euch Bericht zu erstatten.«

Iry-nufer verbeugte sich und verließ sie. Meren beobachtete, wie Kysen die Asche des verbrannten Papyrus neben seiner Sandale zerdrückte. Keiner von beiden sagte etwas. Nach solchen Nachrichten schwiegen beide meistens sehr lange. Morgen würden ihn die Probleme bei Hof und die Ermittlungen in diesem Mordfall in Atem halten. Was Kysen betraf, so würde er bei Sonnenaufgang in die Nekropole gehen, weil er Meren gehorchen wollte.

Plötzlich ging die Tür auf, und Merens Hand fuhr an seinen Dolch. Iry-nufer platzte in das Arbeitszimmer, gefolgt von einem Knaben, einem der Gehilfen seiner Krieger. Der Knabe japste nach Luft und lehnte sich gegen die Tür.

»Herr«, sagte Iry-nufer, »es ist Bakwerner.«

Meren und Kysen sahen sich an. Merens Stimme war schneidend vor Ungeduld.

»Er ist tot, nicht wahr?«

»Jemand hat sein Gesicht mit einer Tonscherbe zerschmettert.«

»Und der Verbrecher?« fragte Meren.

Der Knabe war wieder zu Atem gekommen und antwortete. »Fort, entkommen über eine Mauer hinter dem Gebäude des Amts für Aufzeichnungen und Tributzahlungen, die von einem Scherbenhaufen verborgen wurde.

Reia beobachtete ihn von der Ecke des Gebäudes aus, aber er verschwand hinter den Tonscherben und kam nicht mehr heraus. Zum Zeitpunkt, da Reia schloß, daß etwas nicht stimmen konnte, war es bereits zu spät.«

»Na gut«, sagte Meren. »Wir kommen sofort.«

Kysen folgte ihm, und Meren warf ihm einen Blick zu.

»Ich hatte eine Vorahnung, daß das Böse sich ausbreiten würde«, sagte Kysen. »Wer auch immer einen Mord im Tempel des Anubis begangen hat, hat Angst.«

»Oder er besitzt mehr Dreistigkeit als tausend lybische Banditen. Natürlich hatte Bakwerner etwas beobachtet. Ich hätte ihn hierher zerren und ihn bedrohen können, aber ich wollte darauf warten, daß er in Panik geriet.«

»Du hattest Recht. Er geriet in Panik.« Kysen bemerkte, daß sein Vater die Stirn runzelte. »Selbst der Hohepriester des Amun hätte nicht voraussagen können, was geschehen würde.«

»Ich kann nur darum beten, daß wir des Bösen habhaft werden, bevor es wieder zuschlägt«, sagte Meren. Er schüttelte seinen Kopf, als sie die Vordertür erreichten. »Du weißt, was mit einem Raubtier geschieht, wenn es menschliches Blut geleckt hat, und was mit einem Menschen geschieht, wenn er bemerkt, wie leicht es ist, einen Mord zu begehen.«

»Die Alten sagen, daß ein solcher Mensch zum Schlächter wird, dem das Schlachten eine Freude ist«, sagte Kysen.

»Und der Schlächter ist unter uns.«