Der einzige unregulierte Markt
Und dann hatte Ophélie ihren Auftritt, und Hectors Herz machte einen kleinen Sprung in seiner Brust, als sie erst ihren Großvater küsste und dann ihm selbst die Wange hinhielt, als wären sie einfach nur gute Freunde.
Sie war schön wie der Tag und benahm sich völlig ungezwungen. Sogleich begann sie sich mit Olivia und Tristan zu unterhalten und erklärte ihnen, welch großer Erfolg es für die Galerie war, einen so berühmten Künstler gewonnen zu haben.
Die Tabletts mit den Champagnergläsern schwebten weiterhin kreuz und quer durch den Raum, und plötzlich musste Hector daran denken, wann er das letzte Mal zu viel getrunken hatte: während des Diners bei Robert und Denise.
Wie sehr sich sein Leben seit diesem Abend verändert hatte, auch wenn es vordergründig dasselbe geblieben war!
Er stand jetzt neben Tristan, der ihm vertraulich zuraunte: »Das hier ist die Zukunft. Meine jedenfalls.«
Hector dachte erst, er meinte Olivia, aber nein – jedenfalls nicht nur, denn Tristan fuhr fort: »Zeitgenössische Kunst ist der einzige unregulierte Markt.«
Und dabei blickte er Hector an, als wollte er prüfen, ob der auch die Tragweite dieser Information begriffen hatte.
»Tatsächlich? Was wollen Sie damit sagen?«
»Hier darf man noch alles, was in der Finanzwelt verboten ist und bestraft wird, wenn man sich erwischen lässt: Insiderhandel, Interessenkonflikte, Preismanipulation – hier ist das erlaubt oder jedenfalls leicht zu machen! Experten, Galeristen, Journalisten, Kuratoren – verglichen damit regiert an der Börse die Tugend!«
»War Ihnen das schon lange klar?«
»Oh, ich habe Kunden, die Kunstsammler sind … Wissen Sie, das ist ja auch eine gute Investition. Aber jetzt verstehe ich es noch viel besser.«
»Da haben Sie bestimmt eine gute Lehrerin gehabt?«
Tristan musste kurz auflachen. »Na ja, mehr als das. Für mich ist das eine ganz neue Geschichte …« Und dabei schaute er zu Olivia hinüber, die sich angeregt mit Ophélie unterhielt.
Dann erzählte er Hector, wie er eines Tages aus der Sprechstunde gekommen war und Olivia gesehen hatte. Sie hatte auf der Bistroterrasse einen Kaffee getrunken, weil sie auf den Beginn ihrer Sitzung wartete, und plötzlich hatte Tristan Lust bekommen, sich mit ihr zu unterhalten, um ihr zu erklären, dass er kein Dreckskerl war.
Hector aber musste sich fragen, ob zum Anbahnen großer Veränderungen im Leben sein Warteraum nicht vielleicht ein geeigneterer Ort war als das Behandlungszimmer.