Hector stimmt sich ein

Hector hatte immer daran geglaubt, dass es nützlich sein kann, wenn man sich einem wohlwollenden Zuhörer wie dem alten François anvertraut. Eine solche Zuhörerrolle hatte er ja auch zu seinem Beruf gemacht. Was ihn allerdings selbst betraf, so war er ein bisschen nach dem Prinzip Leide und stirb, ohne zu klagen erzogen worden. Es war das Fazit eines Gedichts über den Tod eines Wolfs, das er in der Schule gelernt hatte und dessen Schlussverse er noch immer auswendig wusste:

Dem Erdensohne, der ins Nichts vergeht

Und dessen Spur der erste Wind verweht,

Ziemt Schweigen. Wilder, seit dein Auge brach,

Weiß ich, dass Winseln, Beten letzte Schmach.

Nach dem erlosten Schicksal ist die Pflicht

Zu tun. Was sonst dir werde, achte nicht.

Zu wirken gilt’s, zu kämpfen und zu leiden

Und lautlos, wenn die Stunde kommt, zu scheiden.

Dieser Wolf war wirklich ein Weltmeister in Sachen Unterdrückung und Akzeptanz – zwei weiteren Abwehrmechanismen.

Im Englischunterricht hatte er mit seinen Mitschülern ein anderes Gedicht gelernt. Ein großer englischer Schriftsteller der Kolonialzeit hatte es für seinen Sohn geschrieben, und es hieß If. Auch an diese Verse erinnerte sich Hector noch gern:

Wenn du auf eines Loses Wurf kannst wagen

Die Summe dessen, was du je gewannst,

Es ganz verlieren und nicht darum klagen,

Nur wortlos ganz von vorn beginnen kannst.

»Was hast du gesagt?«, fragte Clara, als sie in die Küche kam.

»Ähm … nur alte Erinnerungen.«

»Und nun werde auch ich dich noch allein lassen«, sagte Clara.

»Allein lassen?«

Wollte Clara ihm etwa verkünden, sie würde sich von ihm trennen?!

»Also wirklich, hast du mir wieder mal nicht zugehört?«

»Ähm …«

»Ich hatte dir doch gesagt, dass meine Firma mich für vierzehn Tage nach New York schickt!«

»Ach ja, natürlich! Freust du dich darauf?«

»Anfangs habe ich mich gefreut. Aber inzwischen frage ich mich … Und dann können aus den vierzehn Tagen auch mehr werden, je nachdem, wie es mit dem Projekt vorangeht …«

Hector beruhigte sie: Jetzt, wo er weniger Patienten annehme und quasi im Urlaub sei, fühle er sich schon besser, Clara könne unbesorgt ins Flugzeug steigen und sogar länger als zwei Wochen in Amerika bleiben, wenn es nötig wäre.

Er sah aber, dass Clara noch immer ein sorgenvolles Gesicht machte. Warum nur hatte er ihr in den letzten Monaten so viel Anlass zur Beunruhigung gegeben? Seine halbe Midlife-Crisis würde er doch bestimmt in den Griff bekommen!