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Das innere Tor stand immer noch offen. Der innere Geheimbereich war weiter gleißend hell beleuchtet. Aus dieser Nähe tat das Licht fast weh. Es strahlte eng gebündelt aus der Lücke zwischen den Torsäulen und reichte wie der Lichtstrahl eines Leuchtturms breiter werdend mindestens hundert Meter weit.

Reacher hielt sich dicht am Metallzaun und arbeitete sich von rechts an das Tor heran. Er blieb auf dem letzten dunklen Meter stehen und horchte angestrengt. Hörte nichts außer dem Trommeln des Regens. Er wartete noch ungefähr eine Minute, dann trat er ins Licht hinaus. Sein Schatten – nun fünfzehn Meter lang – folgte ihm.

Keine Reaktion.

Er ging durchs Tor, rasch und lässig. Keine Alternative. Er wurde angestrahlt wie eine Stripperin auf der Bühne – und fühlte sich ebenso verwundbar. Der Boden unter seinen Füßen war von tiefen Fahrspuren durchzogen. Er patschte ständig durch knöcheltiefes Wasser. Links vor sich hatte er den ersten kunstvoll aufgebauten Containerstapel. Die Container bildeten ein offenes V mit der Spitze nach außen. Zehn Meter rechts von ihnen befand sich ein weiteres V. Reacher hielt auf die Lücke zwischen den beiden Stapeln zu, trat hindurch und fand sich allein in einer Arena innerhalb einer Arena wieder.

Insgesamt waren hier acht Containerstapel zu einem riesigen Kreis aufgebaut. Sie verstellten den Blick auf eine zehn bis zwölf Hektar große Fläche. Dort standen Kräne und Laufkräne, Schrottpressen, abgestellte Bagger und Planierraupen, Tieflader und Muldenkipper sowie Aufleger, die mit Schrott beladen waren. Dazu Bindedrahtrollen, Schweißbrenner, Gasflaschen, Presslufthämmer, Hochdruckschläuche, Maschinenwerkzeuge. Alle abgenutzt, zerschrammt und schmutzig. Hier und da lagen kleine Haufen von ledernen Schweißerschürzen und dunklen Schutzbrillen.

Außer dieser industriellen Infrastruktur gab es hier zwei Dinge, die sehenswert waren.

Bei dem ersten – rechts voraus – handelte es sich um einen Berg aus zerschossenen Kampfpanzern.

Dieser Berg war ungefähr zehn Meter hoch und hatte an der Basis einen Durchmesser von fünfzehn bis zwanzig Metern. Er glich einem Mammutfriedhof aus einem grotesken prähistorischen Albtraum. Verbogene Kanonenrohre ragten wie gigantische Rüssel oder Rippen auf. Türme lagen wie zufällig hingeworfen übereinander: typisch lang gestreckt und flach trapezförmig, wie Konservenbüchsen aufgeplatzt. Gewölbte Motorenabdeckungen, viele davon aufgerissen, waren wie stehende Teller aufgereiht. Seitenschürzen, fast alle zerfetzt, gab es überall. Teile ausgeschlachteter Wannen lagen zwischen den Trümmern. Einige waren von Thurmans Arbeitern zerlegt worden, die meisten jedoch hatten andere Leute weit von hier, die andere Methoden benutzten, zerlegt. Das war offensichtlich. An einigen wenigen Stellen konnte man noch Spuren eines Wüstentarnanstrichs erkennen. Im Allgemeinen war der Panzerstahl jedoch mattschwarz ausgeglüht. Er wirkte in dem bläulichen Licht kalt und glänzte im Regen, aber Reacher glaubte, noch Rauch von ihm aufsteigen zu sehen und die Schreie von darunter gefangenen Männern zu hören.

Er wandte sich ab. Schaute nach links.

Der zweite sehenswerte Gegenstand stand hundert Meter weiter östlich.

Ein Sattelschlepper mit dreiachsigem Aufleger.

Ein riesiges Fahrzeug. Abfahrtbereit. Eine Zugmaschine, ein Aufleger, ein blauer Vierzigfußcontainer von China Lines auf der Ladefläche. Die Sattelzugmaschine war ein großes kastenförmiges Fahrzeug von Peterbilt, alt, aber gut erhalten, der Aufleger ein dreiachsiger Tieflader. Und der Container sah wie jeder Frachtcontainer aus, den Reacher jemals gesehen hatte. Er ging darauf zu, hundert Meter, zwei Minuten durch Schlamm und Wasser. Er beschrieb einen Kreis um den Sattelschlepper. Die Zugmaschine von Peterbilt machte Eindruck. Tadellose Effektlackierung, ein Luftfilter von der Größe eines Ölfasses, eine Schlafkoje hinter den Vordersitzen, zwei verchromte senkrechte Auspuffrohre, ein ganzer Wald von Antennen, ein Dutzend tellergroßer Spiegel. Im Vergleich dazu sah der Container gewöhnlich, fast schäbig aus. Matte Farbe, verblasste Aufschrift, zahlreiche Kratzer und Beulen. Er war mit Krampen auf dem Aufleger verankert, hatte eine zweiflüglige Hecktür, die mit den eineinviertel Meter langen Verschlusshebeln und den vier stabilen Bolzen gesichert war, die Reacher schon kannte. Alle Hebel befanden sich in geschlossener Stellung.

Vorhängeschlösser gab es keine.

Auch keine Siegelstreifen aus Kunststoff.

Reacher nahm das Brecheisen in die linke Hand, zog sich mit der anderen hoch und schaffte es, auf der glitschigen Unterkante des Containers unsicheren Halt zu finden. Mit der freien Hand packte er den nächsten Hebel, um ihn nach oben zu drücken.

Er ließ sich nicht bewegen.

Der Hebel war in geschlossener Stellung angeschweißt. Ein drei Zentimeter langer Metallwurm verschloss den Spalt. Die drei anderen Hebel waren so blockiert, die Türen miteinander verschweißt und an ihrem Rahmen festgeschweißt. Eine saubere Reihe von Schweißpunkten mit jeweils fünfzehn Zentimetern Abstand, zog sich um die Türen. Damit sie nicht auffielen, waren sie mit etwas mattblauer Farbe getarnt. Reacher jonglierte mit dem Brecheisen, schob sein flaches gekröpftes Ende in den Spalt zwischen zwei Schweißpunkten und ruckte kräftig daran.

Erfolglos. Nichts zu machen. Als versuchte man, ein Auto mit einer Nagelfeile anzuheben.

Er kletterte wieder hinunter und sah sich die Krampen an, mit denen der Container gesichert war. Ihre Schrauben waren fest angezogen und verschweißt.

Reacher ließ sein Brecheisen fallen und ging den ganzen Geheimbereich sowie das gesamte Niemandsland jenseits der aufgestapelten Container und den Zaun innerhalb des Werksgeländes ab. Ein langer Marsch, zu dem er über eine Stunde brauchte. Dann kam er aus der entgegengesetzten Richtung zu dem inneren Tor zurück. Es war noch zweihundert Meter entfernt.

Und die Torflügel schlossen sich.

Outlaw - Child, L: Outlaw - Nothing to Lose
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