Die Übergabe

Merle schaute sich prüfend um. Hatte sie Myriam etwa bemerkt? Nein, glücklicherweise blickte sie nicht in ihre Richtung.

Nun huschte Merle los. Sie drückte sich an der Häuserwand entlang, als müsse auch sie sich vor irgendjemandem verstecken.

Myriam folgte ihr in gebührendem Abstand. Immer wenn Merle kurz innehielt, an einer Straßenkreuzung oder an einer Ampel, verbarg Myriam sich rasch hinter einem Baumstamm oder tat so, als müsste sie ihren Schuh binden. Wo wollte Merle denn bloß hin? Jedenfalls wirkte es nicht gerade wie ein harmloser Abendspaziergang.

Merle wurde immer schneller. Jetzt rannte sie fast. Durch eine Unterführung, dann durch den kleinen Park hinter der Musikschule. Dahinter lag das Einkaufszentrum, das vor ein paar Monaten eröffnet worden war. Vor dem Zentrum befand sich die S-Bahnstation, wo sich die Punks und die Emos trafen. Myriam hatte Merle schon öfter dort gesehen. Aber um diese Zeit, kurz vor Mitternacht, war doch bestimmt nichts mehr los!

Während Merle über den verlassenen Platz vor dem Supermarkt rannte, blickte Myriam sich nach einem Versteck um. Der Eingang zum Parkhaus war mit einem Rolltor verschlossen, davor war ein schmaler Mauervorsprung. Von hier aus konnte sie das ganze Areal überblicken, ohne selbst gesehen zu werden.

Merle war jetzt am Fahrradständer vor der S-Bahnstation angelangt, direkt unter einer Laterne. Der Regen war stärker geworden und bildete im Schein der Lampe einen Vorhang aus Goldfäden. Merle zündete sich eine Zigarette an, dann trat sie ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Sie zog ihr Handy aus der Tasche, starrte auf das Display und schob es wieder zurück.

Myriam fröstelte. Irgendwo schlug eine Kirchturmuhr. Mitternacht.

Sie fuhr zusammen, als ein Motorrad an ihr vorbeidröhnte. Was für ein Lärm, der Motor war bestimmt frisiert! Der Fahrer kam vor Merle zum Stehen.

Er schob das Visier seines Helms nach oben. Zu dumm, Myriam hatte keine Chance, sein Gesicht zu erkennen. Sie sah nur, wie er sich ein paar Minuten lang mit Merle unterhielt. Dann griff er in seine Seitentasche, holte ein kleines Paket heraus und reichte es Merle.

Merle blickte sich verstohlen um. Erschrocken zog Myriam den Kopf ein, obwohl Merle sie am Tiefgarageneingang unmöglich sehen konnte. Ihr Herz schlug auf einmal so laut, dass sie das Knattern des Motorrads fast nicht mehr hörte.

Der Motorradfahrer hob grüßend die Hand, dann war er weg.

Merle ließ das Päckchen hastig in ihrer Tasche verschwinden. Danach setzte auch sie sich in Bewegung. Sie rannte aber nicht zurück, sondern verschwand in Richtung S-Bahn-Gleise in der Dunkelheit.

Myriam seufzte.

Die Nacht war noch nicht zu Ende.

Myriam folgte Merle in die Shell-Tankstelle an der Duisburger Straße. Sie kauerte sich in den Schatten eines Briefkastens und wartete, bis Merle wieder herauskam, eine Dose Bier in der Hand – der Tankwart war offensichtlich nicht so pingelig wie der Büdchenbetreiber bei der Sunshine Ranch.

Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen. Merle setzte sich auf eine nasse Parkbank, öffnete die Flasche mit ihrem Feuerzeug und begann zu trinken. Ob sie wieder auf jemanden wartete?

Nein, nach einer Weile rülpste sie laut, ließ die leere Dose auf der Bank liegen und stand auf. Zu Myriams Erleichterung ging sie endlich wieder zurück. Kurz bevor sie ihr Haus erreicht hatte, bog sie allerdings rechts ab und verschwand in einer Schrebergartensiedlung. Myriams Herz schlug schneller. Was wollte Merle denn hier, um diese Zeit? Vielleicht hielt sie Charlie ja in einem der Gärten versteckt?

Sie beobachtete, wie Merle ein Gartentörchen öffnete und über einen Kiesweg zu einer kleinen Laube ging. Dort machte sie sich an der Regenrinne zu schaffen. Ob sie den Schlüssel zur Hütte da herausfischte? Kein sehr originelles Versteck, fand Myriam. Sie trat einen Schritt vor und reckte den Kopf.

Wo war Merle denn plötzlich? Myriam konnte sie nicht mehr sehen.

Ach du Schreck, sie kam direkt auf sie zu! Im letzten Moment sprang Myriam zur Seite und verbarg sich hinter dem Stamm einer großen Trauerweide. Merle bemerkte sie glücklicherweise nicht. Myriam blickte ihr nach, wie sie in der Dunkelheit zwischen den Schrebergärten verschwand.

Sollte Myriam die Gelegenheit nutzen und den Garten durchsuchen? Vielleicht würde sie Charlie finden und der Fall wäre gelöst. Sie überlegte blitzschnell. Nein, das war Quatsch. Mitten im Sommer schaffte es bestimmt niemand, ein Pferd in einer Kleingartenanlage zu verstecken, ohne dass es auffiel.

Also rannte sie Merle nach und holte sie gerade noch am Rand der Schrebergartensiedlung ein. Vielleicht ging sie ja jetzt zu Charlie, hoffte Myriam. Aber Merle führte sie nirgends mehr hin. Sie ging wieder nach Hause, und dasselbe tat Myriam danach auch.

Das Klingeln eines Handys bohrte sich in einen Traum, in dem Myriam auf Camilla über eine Blumenwiese galoppierte. Die Sonne schien, Bienen summten. In der Ferne war ein anderes Pferd zu sehen. Charlie, erkannte Myriam, als sie sich ihm näherte. Und der Reiter war der Kidnapper. Sie musste ihm nur ein Stückchen näher kommen, damit sie sein Gesicht erkennen konnte.

Dudeldidudideldudideldudidel. Dudeldidudideldudidel. Dudeldidudideldudidel.

Wenn sie die Augen fest zusammenpresste und einfach nicht reagierte, hörte das Geklingel vielleicht auf und sie konnte weiterschlafen. Sie musste doch wissen, wer auf dem anderen Pferd saß!

Dudeldidudideldudidel. Dudeldidudideldudidel.

Nein, es war sinnlos. Wer immer da anrief, ließ nicht locker.

Myriam tastete nach dem Handy, ohne die Augen zu öffnen. Wie spät mochte es sein? Ihrem Gefühl nach war sie gerade erst eingeschlafen.

„Hallo?“

„Hi. It’s me.“

„Was? Wer ist da?“

Me. April. Schläfst du etwa noch?“

April. Myriam rieb sich die Augen. Durch einen Spalt in den Gardinen drang helles Tageslicht ins Zimmer. „Wie viel Uhr ist es?“

„Gleich neun. Ich muss mit dir reden.“

Neun Uhr. Du liebe Zeit. April musste verrückt sein, sie in den Ferien so früh zu wecken. Und ausgerechnet heute. Myriam war erst um drei Uhr morgens ins Bett gekommen.

„Was gibt’s denn so Wichtiges?“, fragte Myriam verschlafen. „Hast du was Neues von den Entführern gehört?“

„Gestern Abend haben sie sich wieder gemeldet. Sie wollen das Geld am Donnerstagmorgen.“ Aprils Stimme klang heiser. „Kleine Scheine, in einer Plastiktüte. Den Ort der Übergabe teilen sie uns noch mit.“

„Echt?“ Mit einem Schlag war Myriam hellwach.

„Ich hab meinen Dad angerufen. Aber er stellt sich quer. Er will einfach nicht zahlen. Das ist so gemein.“ Jetzt begann April zu schluchzen. „Er besteht darauf, dass wir zur Polizei gehen. Aber wenn wir das tun, ist Charlie tot.“

„Ich finde, dein Dad hat Recht. Du musst wirklich die Polizei einschalten.“

No way! Never! Wenn Charlie etwas passiert, dann bring ich mich auch um.“

„Komm, April, sei vernünftig! Die Polizisten sind Profis, die wissen am besten, was zu tun ist.“

„Der Polizei ist Charlie scheißegal. Aber ich liebe ihn. Wenn es um dein Pferd ginge, würdest du auch kein Risiko eingehen, oder?“

Myriam suchte nach Worten.

„Aber ich wollte dir eigentlich was ganz anderes sagen“, fuhr April fort.

„Ach, echt? Was denn?“

„Ich … Können wir uns nicht treffen? Am Telefon kann ich das nicht erzählen.“

Das klang ja geheimnisvoll. „Soll ich auf die Ranch kommen?“, fragte Myriam.

„Gute Idee. Wir reiten aus. Ich muss nur Sue fragen, welches Pferd ich nehmen kann. Schaffst du es bis um zehn?“

„Klar.“ Myriams Blick fiel auf ihr zerwühltes Kopfkissen. Normalerweise stand sie in den Ferien nicht vor elf auf. Aber nun würde sie ohnehin nicht wieder einschlafen können.

„Bis gleich“, sagte sie.

April hatte Harlekin und Camilla bereits gesattelt, als Myriam zur Ranch kam. Sie schien ganz vergessen zu haben, dass sie Myriam etwas Dringendes mitteilen wollte. Während sie den Weg durch die Wiesen zum Bach einschlugen, erzählte sie voller Begeisterung von einem Spaziergang, den sie bereits am frühen Morgen mit Sue gemacht hatte. „Wir wollten eigentlich nur Becky und Frida mitnehmen. Aber Fritz ist total ausgerastet, als wir die beiden aus dem Paddock geführt haben. Er hat so lange geschrien, bis Stefan sich erbarmt hat und uns mit Fritz begleitet hat.“

„Fritz spinnt“, meinte Myriam.

Beckys Fohlen Frida war vor ein paar Monaten unter dramatischen Umständen zur Welt gekommen. Seitdem fühlte sich Esel Fritz, der zusammen mit Becky einen Paddock teilte, offenbar für die Stute und ihr Fohlen verantwortlich.

„Sue fragt sich jetzt schon, wie sie Frida jemals zureiten soll, wenn Fritz sich so anstellt“, sagte April.

„Bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit“, wandte Myriam ein.

„Ihr wartet hier immer lange mit dem Einreiten“, sagte April. „Wir Amerikaner sind da schneller. Ich hab bei Charlie mit der Bodenarbeit begonnen, als er gerade ein Jahr alt war.“

Danach schluckte sie hörbar.

Auch Myriam schwieg betreten.

Charlie. Wo er wohl gerade stecken mochte? Man konnte ihm wirklich wünschen, dass Ella ihn gestohlen hatte und nicht Merle. Bei Ella konnte man sich sicher sein, dass es dem Wallach gut ging. Sie hatte selbst ein Pferd und würde Charlie ordentlich füttern und gut behandeln. Merle dagegen … Myriam musste wieder daran denken, wie sie gestern auf der nassen Parkbank das Bier getrunken hatte.

„Was wolltest du mir denn eigentlich erzählen?“, fragte sie April dann.

„O yes. Right“, sagte April. Dann schwieg sie, als müsste sie sich erst mühsam erinnern. „It’s about Sunday night.“

„Sonntagnacht?“ Myriam drehte sich im Sattel zu April um, die schräg hinter ihr ritt. Sues Nichte war bleich, als wäre ihr schlecht. Myriam beschloss, einen Sprung ins Ungewisse zu wagen.

„Geht es um Tom?“, fragte sie.

April fiel fast vom Pferd. „Wie kommst du denn darauf?“

„Ich hab euch gesehen. In der Scheune.“

„Du hast uns gesehen?“

„Als ihr euch geküsst habt. Ganz genau.“

„Oh my god. I feel … horrible.“

Du hast auch allen Grund, dich zu schämen, dachte Myriam. „Warum hast du das gemacht?“, fragte sie laut. „Du wusstest doch, dass er eine Freundin hat.“

I know. Es war nur … wir haben uns den ganzen Abend so gut unterhalten. Tom ist total nett. Und dann hat er mich gefragt, ob ich Lust auf eine kleine Nachtwanderung hätte. Er kennt sich nämlich mit dem Sternenhimmel aus und wollte mir da was zeigen.“

„Na, das ist ja mal eine ganz neue Masche“, sagte Myriam verächtlich. „Und du hast dich darauf eingelassen? Wusstest du denn nicht, was er vorhatte?“

„Na ja“, sagte April kläglich. Dann schwieg sie wieder. „Doch“, gab sie schließlich zu. „Natürlich wusste ich, was er wollte. Und so kam es dann auch. Wir sind erst ziemlich lang spazieren gegangen. Dann sind wir in die Scheune und haben …“

„… rumgeknutscht.“

„Genau.“

„Warum hast du dich überhaupt mit ihm getroffen, wenn du von vornherein gewusst hast, worauf das hinausläuft?“, fragte Myriam.

„Because I wanted it“, flüsterte April so leise, dass Myriam sie über dem Getrappel der Pferdehufe kaum verstehen konnte.

Because I wanted it. Weil ich es wollte.

Wenn Myriam ehrlich war, dann hätte sie es selbst nicht anders gemacht. Wenn Tom sie gefragt hätte, ob sie sich nach der Party mit ihm treffen wollte, um die Sterne zu betrachten, wäre sie auch hingegangen. Ella hin oder her.

Aber Tom hatte sie nicht gefragt. Weil er nur Augen für April gehabt hatte.

Deshalb war ich so sauer auf sie, stellte Myriam fest. Es ging mir gar nicht um die arme Ella. Ich war bloß eifersüchtig.

„Warum erzählst du mir das alles?“, fragte sie April. „Hast du mitbekommen, dass ich euch beobachtet habe?“

„No“, wehrte April ab. „Ich finde dich einfach nett. Und ich wollte, dass du das weißt.“

Myriam nickte, aber das konnte April nicht sehen, weil sie inzwischen ein Stück vor ihr ritt.

„Stupid, isn’t it?“, fragte April mit belegter Stimme.

Auch Myriam musste sich erst räuspern, bevor sie antworten konnte.

„Ich find’s nicht blöd“, meinte sie. „Ich finde dich nämlich auch nett.“

„Jetzt auch noch?“, fragte April kläglich.

Myriam lächelte. „Jetzt auch noch. Und ich bin froh, dass du mir das mit Tom erzählt hast. Auch wenn ich es schon vorher wusste.“

„Ich bin auch froh“, sagte April. Und obwohl Myriam ihr Gesicht nicht sehen konnte, wusste sie, dass sie dabei lächelte.

„Hast du dir mal überlegt, dass euch vielleicht noch jemand beobachtet hat?“, fragte Myriam, als sie kurze Zeit später am Bachufer aus dem Sattel sprangen.

„Du meinst Sue?“, fragte April. „Aber wenn sie mich gesehen hätte, hätte sie mir die Hölle heißgemacht.“ Sie schauderte.

„Nein, nicht Sue“, sagte Myriam. „Ella.“

„Ella? Sie war doch schon schlafen gegangen, als ich und Tom …“

„Ich war auch schon schlafen gegangen. Aber dann bin ich noch mal aufgewacht. Vielleicht war Ella misstrauisch und hat ihrem Freund nachspioniert. Und als Rache dafür, dass er mit dir rumgemacht hat, hat sie Charlie entführt.“

„Hm“, murmelte April. Sie setzte sich auf einen Baumstamm und zog die Knie unters Kinn.

„Ist es dir denn eigentlich ernst mit Tom?“, fragte Myriam plötzlich. „Ich meine, seid ihr jetzt zusammen oder was?“

April sah sie überrascht an. „Nee, Quatsch. Mir ist das Ganze total peinlich. Und Tom geht es, glaub ich, genauso. Er ist am nächsten Morgen direkt abgehauen. Und seitdem hat er sich nicht bei mir gemeldet.“

Myriam nickte. Warum machte es sie so froh zu hören, dass Tom offensichtlich nicht in April verliebt war? Ihr konnte es doch vollkommen egal sein. Ob er mit Ella zusammen war oder mit April, er blieb immer gleichermaßen unerreichbar.

„Sina und Tori haben gemeinsam mit Ella im Zelt übernachtet“, sagte sie laut. „Vielleicht haben die beiden was mitbekommen.“

„Frag sie doch“, schlug April vor.

Myriam wählte zuerst Sinas Nummer.

„Wieso willst du das wissen?“, fragte Sina, nachdem Myriam sich nach Ella erkundigt hatte. „Hast du sie etwa im Verdacht? Aber warum sollte Ella Charlie klauen?“

„War nur so ein Gedanke“, wich Myriam aus. „Hast du was bemerkt in der Nacht? Ist sie noch mal raus und länger weggeblieben oder so?“

„Nicht dass ich wüsste. Aber ich hab geschlafen. Ich kann aber Tori fragen, ob ihr was aufgefallen ist. Sie ist gerade hier.“ Eine Weile lang hörte Myriam sie im Hintergrund mit Tori diskutieren.

„Nee. Tori hat auch nichts gemerkt. Aber sie will wissen, warum du ausgerechnet Ella verdächtigst.“

„Tu ich gar nicht“, sagte Myriam hastig. „War so eine spontane Idee.“

„Wie ist es denn eigentlich gestern Nacht mit Merle gelaufen? Hast du was Neues rausgekriegt oder hat sie das Haus nicht mehr verlassen?“

„Doch, sie ist noch mal weg.“ Und Myriam erzählte von Merles Zusammentreffen mit dem Motorradfahrer, dem geheimnisvollen Päckchen und der Kleingartenanlage.

„Warum sagst du das denn erst jetzt?“, rief Sina aufgeregt. „Das sind doch irre Neuigkeiten! Wir müssen sofort zu diesem Schrebergarten und nachsehen, ob Charlie da versteckt ist.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Gartenhäuschen stehen dicht an dicht. Da kann man kein Pferd verstecken, ohne dass es auffällt. Und das Foto, das der Kidnapper Sue geschickt hat, wurde auch in einem Keller gemacht.“

„Trotzdem. Wir müssen uns das näher anschauen.“ Wieder diskutierte Sina aufgeregt mit Tori.

„Wir treffen uns um drei bei Alberto am Markt“, sagte sie dann. „Du kommst doch, oder?“

Myriam nickte. Aber das konnte Sina natürlich nicht sehen. Die wartete ihre Antwort jedoch gar nicht ab. „Bis gleich!“, rief sie und legte auf.

„Du hast mir gar nichts davon erzählt, dass ihr Merle im Verdacht habt“, meinte April ein bisschen gekränkt, nachdem Myriam aufgelegt hatte.

„Weil ich nicht glaube, dass sie es war“, erwiderte Myriam. „Aber Tori hat sich total auf sie versteift. Sie will sich jetzt diesen Schrebergarten anschauen, in dem Merle gestern Nacht gewesen ist. Wir treffen uns um drei in der Eisdiele, dann überlegen wir, wie wir vorgehen. Kannst ja mitkommen.“

„Um drei kann ich nicht“, sagte April. „Da wollte mein Vater noch mal anrufen. Ich muss ihn unbedingt überzeugen, dass er mir das Geld gibt.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Mir ist es im Grunde egal, wer Charlie entführt hat. Ich will, dass mein Dad das Geld schickt, dann bezahle ich den Erpresser und bekomme ihn wieder zurück.“

„Und wenn der Kidnapper das Geld einsteckt und Charlie trotzdem behält?“, wandte Myriam ein.

„Warum sollte er das tun?“, fragte April. „Charlie ist gechipt, er kann ihn nicht so leicht verkaufen. Jeder Tierarzt kann die eingespeicherte Nummer unter der Haut abrufen und erkennt sofort, dass Charlie geklaut wurde.“

„Das stimmt.“ Myriam dachte wieder an Merle. Vielleicht war Toris Verdacht gegen sie doch nicht so abwegig. Immerhin hatte sie mit Sicherheit eine Menge Dreck am Stecken.

„Halt mich auf dem Laufenden“, sagte April jetzt. „Erzähl mir bitte, wenn ihr was Neues rausfindet. Versprichst du mir das?“

„Ganz bestimmt“, versicherte Myriam. „Du kannst dich auf mich verlassen.“