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Zwei Tage später bezog sich der Himmel und heftiger Regen setzte ein. Dicke Tropfen prasselten auf das Farmhaus und bildeten bald große Pfützen auf dem Hof. Das konnte Jack jedoch nicht davon abbringen, in aller Frühe zur Weide zu reiten. Das Attentat auf Hooper machte ihm noch immer zu schaffen. Außerdem hatte ihn nach der Neujahrsfeier das merkwürdige Gefühl beschlichen, dass sich im Hintergrund etwas zusammenbraute. Daher hatte er beschlossen, nach dem Rechten zu sehen.

O nein, nicht schon wieder totes Vieh!, fuhr ihm durch den Kopf, als er merkte, dass sich seine Männer um etwas geschart hatten.

Als er näher kam, erblickte er einen jungen Maori zwischen ihnen. Es war einer der jüngeren Söhne des ariki. Zuletzt hatte er ihn auf dem Neujahrsfest gesehen. Er hielt ein längliches Päckchen in der Hand, das in ein fleckiges Stück Stoff eingewickelt war.

Als er seinen Boss bemerkte, wirbelte Kerrigan herum.

»Mr Manzoni! Ich wollte gerade zu Ihnen reiten.«

»Was gibt es denn, Tom?«

»Der Junge da behauptet, etwas gefunden zu haben, was Sie interessieren könnte. Uns wollte er es nicht zeigen, er hat verlangt, mit Ihnen zu sprechen.«

Ein Wunder, dass die Männer dem Jungen nichts angetan haben, dachte Jack. Aber diesmal war ja Tom vor Ort.

Jack bedeutete dem Jungen, zu ihm zu kommen.

Der Maori warf den Männern ringsum misstrauische Blicke zu, dann trat er vor Jack.

»Das gefunden unter Busch.« Damit reichte er ihm das Päckchen, das sich als recht schwer entpuppte.

Gespannt schlug Jack das Tuch auf und blickte auf die blutverschmierte Klinge eines Bowie-Messers.

Plötzlich war ihm, als tobe ein Wirbelsturm durch seine Eingeweide.

»Wer hat dich geschickt?«, presste er atemlos hervor, während sich seine Kehle zusammenzog.

»Moana sagen, das ich sollen dir bringen. Ich gefunden zusammen mit Brüdern.«

»Kannst du mir die Stelle zeigen, an der du das gefunden hast?«

Der Junge nickte.

»Kerrigan, Sie begleiten uns!«

Der Vormann nickte und schloss sich ihnen an.

Den ganzen Weg über schwiegen sie. Jack legte das Messer, das er wieder in den Stoff eingeschlagen hatte, nicht aus der Hand.

Sie passierten den Weidezaun und gingen ein Stück weit in den Busch hinein. Auf den ersten Blick gab es hier nichts Auffälliges zu sehen. Ein paar Zweige waren abgebrochen, ein Farnbusch war niedergedrückt, als habe dort ein Tier geruht.

Rasch huschte der Junge dorthin und deutete unter die Farnwedel.

»Da gelegen haben.«

»Und hier sind Hufspuren«, rief Kerrigan plötzlich, während er auf den Boden deutete.

Jack wirbelte herum und sah sie nun auch. Die einzigen Pferde weit und breit gab es auf seiner Farm. Allerdings könnte auch Bessett oder einer seiner Männer hier herumgeritten sein.

»Es wäre doch möglich, dass der Mann, der Hooper angegriffen hat, kein Maori war«, überlegte Kerrington laut.

Jack wickelte das Messer noch einmal aus und betrachtete es eine Weile. Seine Gedanken wanderten zunächst ziellos umher, bis sein Instinkt sie in eine bestimmte Richtung lenkte. »In der Tat«, antwortete er dann. »Kommen Sie, Tom, wir haben einige Fragen zu klären.«

 

Wird es denn heute gar nicht mehr hell?, fragte sich Ricarda seufzend, als sie aus dem Fenster blickte. Die grauen Wolken ballten sich immer dichter zusammen. Im Pavillon war es so dunkel, dass sie die Petroleumlampen anzünden musste, um ordentlich sehen zu können.

Da die Patienten bei diesem Wetter offenbar ausblieben und das Suchen nach neuen Pflanzen auch nicht möglich war, nahm Ricarda sich vor, ihre bisher gewonnenen Erkenntnisse aufzuschreiben.

Zuvor schaute sie aber noch einmal nach Nick Hooper. Dank seiner kräftigen Konstitution hatte er den Blutverlust gut verwunden und auch die Heilung der Wunde machte Fortschritte.

»Wie geht es Ihnen, Mr Hooper?«, fragte Ricarda, als sie an das Bett ihres Patienten trat.

Der Schafhirte lächelte sie an. »Schon wieder ganz anständig, Doc. Besonders jetzt, wo Sie bei mir sind.«

Schon seit einigen Tagen machte er ihr Komplimente, wo er nur konnte. Ricarda war das unangenehm. Sie überging die Schmeichelei geflissentlich. »Dann lassen Sie mich mal nach der Wunde sehen.« Damit löste sie den Verband.

»Sie macht mir nachts noch ziemlich zu schaffen«, erklärte der Mann, während Ricarda vorsichtig Karbollösung auf die Verletzung tupfte. »Aber das gibt sich, denke ich.«

Ricarda nickte und setzte ihre Arbeit schweigend fort. Noch nie war ihr aufgefallen, dass der Schafhirte sie geradezu lüstern anstarrte. Wie Nadelstiche spürte sie seine Blicke plötzlich.

Macht er sich etwa Hoffnungen auf mich? Wenn ja, dann muss ich ihn enttäuschen, dachte sie, ließ sich aber nichts anmerken, sondern legte einen neuen Verband.

»Wie sieht's aus, Doc?«, fragte Hooper plötzlich. »Können Sie sich vorstellen, irgendwann mal zu heiraten und Kinder zu kriegen?«

Ricarda hielt inne und blickte ihn überrascht an.

»Ich weiß nicht, ob das für Sie von Interesse sein sollte.«

Hooper grinste sie unverschämt an. »Nun kommen Sie, Doc! Muntern Sie Ihren Patienten doch mal ein wenig auf!«

Ricarda atmete tief durch. »Ich weiß nicht, ob es wirklich aufmunternd für Sie wäre, wenn ich Ihnen meine Meinung zu dem Thema sage.«

»Das heißt also, Sie wollen nie heiraten? Und immer nur arbeiten und für sich selbst sorgen?«

»Was spricht dagegen?«

»Nun, zum Beispiel, wie Mr Manzoni Sie ansieht. Und Sie ihn. Ich denke schon, dass Sie sich tief in Ihrem Herzen danach sehnen, einen Mann zu haben, der für Sie sorgt.«

»Und ich denke, dass Sie sich darüber nicht den Kopf zerbrechen sollten«, entgegnete sie schroff, während sie das Verbandstuch mit einer Sicherheitsnadel zusammensteckte.

Was nimmt sich dieser Kerl bloß heraus? Es geht ihn überhaupt nichts an, wie ich wen ansehe und ob ich jemals heirate.

Glücklicherweise lieferte donnernder Hufschlag ihr den Vorwand, sich ihrem unangenehmen Patienten zu entziehen. Ricarda eilte ans Fenster und blickte in den Hof.

Jack Manzoni und Tom Kerrigan zügelten ihre Pferde und sprangen aus dem Sattel. Pfützenwasser und Matsch spritzte nur so von ihren Stiefeln auf, während sie auf das Mannschaftsquartier zusteuerten.

Ist etwas geschehen?, fragte sich Ricarda, während sie ein leichtes Unwohlsein überkam.

Als die Tür aufgerissen wurde, stützte Hooper sich auf die Ellenbogen. Ricarda wäre Jack zu gern entgegengelaufen, aber sie wollte den Vermutungen des Schafhirten nicht noch mehr Nahrung bieten.

Die beiden Männer traten schnurstracks ein. Sie hatten keinen Blick für Ricarda.

»Was ist geschehen?«, fragte sie, doch Jack wandte sich gleich an ihren Patienten.

»Mr Hooper, ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Nur zu, Mr Manzoni!«, gab Hooper gut gelaunt zurück.

Jack konnte seine Wut nur schwerlich zügeln. Ein Angeklagter ist so lange unschuldig, bis seine Schuld erwiesen ist, ging es ihm durch den Kopf, aber es fiel ihm schwer, noch an die Unschuld dieses Mannes zu glauben. »Zunächst einmal möchte ich wissen, ob Sie sich sicher sind, dass Sie von einem Maori angegriffen wurden.«

»Natürlich bin ich mir sicher, Sir«, erwiderte der Schafhirte mit fester Stimme.

Jack ließ sich daraufhin das eingewickelte Messer reichen. Nachdem er den Stoff heruntergezogen hatte, zeigte er dem Mann die Klinge.

»Haben Sie diese Waffe schon mal gesehen?«

Hooper schluckte. »Nein, natürlich nicht.«

»Das ist also nicht die Waffe, mit der Sie verletzt wurden?«

Der Schafhirte schwieg. Seine gute Laune war schlagartig verschwunden.

»Dieses Messer wurde in der Nähe der Weide gefunden«, fuhr Manzoni fort. »Sie wurden auf dem Pferd angegriffen, nicht wahr?«

»Das stimmt«, gab Hooper zu.

»Und die Waffe haben Sie nicht gesehen?«

»Na ja.« Hooper kratzte sich am Kopf. »Wenn ich es mir recht überlege, könnte es dieses Messer gewesen sein.«

»In der Hand eines Maori?«

Während der Schafhirte nickte, entging Ricarda nicht, dass er nervös an der Bettdecke zupfte. Eine böse Ahnung überfiel sie.

»Wir haben Erkundigungen über diese Waffe eingezogen«, fuhr Manzoni fort. »Laut Mr Wesson hat er dieses Messer an einen Weißen verkauft. Ich gehe davon aus, dass es der Besitzer dieses Messers war, der Sie angegriffen hat.«

Hooper schluckte. Schweißtropfen perlten über seine Stirn. Unter seinen Augen zuckte es.

»Sie waren ein paar Tage vor dem Angriff in der Stadt, um eine Verwandte abzuholen«, wandte Kerrigan ein, während Jack den Mann nicht aus den Augen ließ. »Vielleicht haben Sie ja die Zeit genutzt, um einzukaufen.«

Hooper schnaubte entrüstet. »Glauben Sie wirklich, ich hätte mich mit dem Messer selbst verletzt?«

»Um die Maori zu diskreditieren?«, fragte Jack zurück und gab auch gleich die Antwort. »Ja, genau das glaube ich. Bei all dem Hass, den Sie auf diese Menschen haben, wäre das doch nicht abwegig, oder?«

Hooper mahlte mit den Kiefern, während Jack das Messer senkte.

»Und wer weiß, vielleicht waren Sie auch derjenige, der meinen Hund und die Schafe getötet hat. Aus genau demselben Grund ...«

Unerwartet fuhr der Mann auf und packte Ricarda. Dabei hielt er ihr eine Messerklinge, die er unter dem Hemd getragen haben musste, an den Hals.

»Tretet zurück, sonst schneide ich ihr den Hals durch!«

Jack hatte bereits seinen Revolver gezogen, doch nun ließ er ihn sinken.

»Mach keinen Blödsinn, Nick!«, redete Kerrigan auf ihn ein. »Du reitest dich nur weiter in die Scheiße.«

»Ich töte die Frau!« Die Stimme des Schafhirten überschlug sich. »Lassen Sie mich durch!«

Ricarda gewahrte Jacks erschrockenen Blick. Ihr Herz raste in Todesangst, denn sie hatte keinen Zweifel, dass Hooper seine Drohung wahrmachen würde. Die Erinnerungen an den Überfall in ihrer Praxis stiegen in ihr auf. Doch zugleich löste die Panik eine Flut von Gedanken aus, die sich drehten wie ein Karussell. Ich werde mich nicht darauf verlassen, dass mich jemand rettet!, wirbelte ihr durch den Kopf. Und töten wird mich dieser Mistkerl auch nicht!

Die Klinge war ihrem Hals zwar gefährlich nahe, berührte ihre Haut aber nicht. Einen kleinen Spielraum für eine Bewegung hatte sie also. Ricarda hielt ganz still und konzentrierte sich. Dann warf sie den Kopf abrupt zur Seite und biss Hooper mit aller Kraft ins Handgelenk.

»Verdammtes Miststück!«, schrie der und schleuderte sie in seiner Abwehrbewegung von sich.

Manzoni fackelte nicht lange. Er stürzte sich auf Hooper und riss ihn zu Boden. Der Schafhirte stieß mit dem Messer nach Jack. Die Klinge durchbohrte dessen Jacke und streifte seine Haut, aber in seiner Wut achtete Jack nicht darauf. Er versetzte Hooper einen Fausthieb gegen das Kinn und nutzte dessen Benommenheit, um ihm das Messer zu entwenden. Im nächsten Augenblick war Kerrigan bei ihnen und hielt Hoopers Hände fest.

Der fluchte und schimpfte verzweifelt.

»Ricarda, holen Sie etwas, womit wir ihn fesseln können!«, rief Tom. Ricarda griff kurzerhand nach dem gebrauchten Verbandstuch, das sie neben das Bett geworfen hatte.

Als Hoopers Handgelenke zusammengebunden waren, zog Jack ihn wieder auf die Füße. Ein roter Fleck hatte sich auf dem frischen Verband gebildet. Durch die Rangelei war die Wunde am Bein offenbar wieder aufgerissen.

»Das werden Sie bereuen!«, fauchte Hooper, doch Jack nahm es gelassen.

»Ich denke eher, dass Sie einiges zu bereuen haben. Für diesen Angriff wandern Sie in den Knast. Wer weiß, was Ihnen noch nachgewiesen werden kann!«

Hooper blickte seinen Boss hasserfüllt an. Doch weitere Worte sparte er sich. Jack führte ihn nach draußen, wo Kerrigan bereits mit den Pferden wartete. In den Augen des Vormanns funkelten Wut und Enttäuschung.

»Kann ich nicht wenigstens meine Hose überziehen?«, fragte Hooper, als Kerrigan ihm in den Sattel helfen wollte.

»Deine Hose kannst du im Knast überziehen«, entgegnete der Vormann nur und versetzte Hooper einen unsanften Schubs. Er hielt ihn mit seinem Revolver in Schach, während Jack noch einmal ins Quartier zurückkehrte, um Hoopers Sachen zu holen.

Ricarda saß der Schreck immer noch in den Gliedern.

Jacks Frage, ob mit ihr alles in Ordnung sei, bejahte sie allerdings.

»Sie sind wirklich eine verdammt mutige Frau«, sagte er daraufhin. »Nicht jede hätte sich getraut, einen Mann zu beißen, der ihr ein Messer an die Kehle hält.«

»Mir zittern immer noch die Knie.«

»Kann ich Sie denn allein lassen?«

»Selbstverständlich«, entgegnete Ricarda und streckte sich entschlossen. »Noch jemand wird mich heute wohl nicht bedrohen.«

Jack verabschiedete sich mit einem bewundernden Lächeln.

 

Zwei Stunden später kehrte er ohne den Vormann zurück. Kerrigan war gleich wieder zur Weide geritten, um den Männern zu berichten, was geschehen war.

Nachdem sie Hooper den Constables übergeben hatten, hatte Jack eine große Erleichterung überkommen. Der Verdacht gegen die Maori schien jetzt aus der Welt geschafft zu sein.

Ob Moana die Jungen ausgeschickt hatte, um nach Beweisen gegen Hooper zu suchen, oder ob es wirklich nur ein Zufallsfund war, wusste er nicht. Aber das war in diesem Augenblick auch nebensächlich.

Nachdem er vom Pferd gestiegen war, stiefelte er zum Pavillon. Der Himmel hatte zwar etwas aufgeklart, dennoch flackerte in den Fenstern der schwache Lichtschein einer Petroleumlampe.

Als er eintrat, blickte Ricarda von ihren Aufzeichnungen auf. Ihr Lächeln wärmte ihm das Herz.

»Ah, da sind Sie ja wieder. Ist alles glattgegangen?«

Jack nickte, nachdem er sich den Hut vom Kopf gezogen hatte.

»Ja, so weit schon. Die Constables haben Hooper in eine Zelle gesperrt, dort wird er sitzen, bis der Fall aufgeklärt ist.«

»Woher haben Sie gewusst, dass es sein Messer war?«

»Ich wusste es nicht, ich hatte nur den Verdacht.« Jack lächelte hintergründig. »Da Bessett hin und wieder bei unseren Weiden auftaucht, glaubte ich zunächst, dass es einer seiner Männer gewesen sein könnte. Aber diese Geschichte erschien mir dann doch zu unglaubwürdig.«

»Das ist die Version, dass Hooper sich selbst verletzt hat, eigentlich auch.«

»Stimmt, aber ein Mann, der hasst, ist beinahe zu allem fähig. Hooper hat gemerkt, dass ich den Maori vertraue. Also hat er wohl vorgehabt, mein Misstrauen zu wecken. Was ihm ja auch beinahe gelungen wäre.«

»Wie sind Sie eigentlich an die Waffe gekommen?«

»Ein Maorijunge hat sie uns gebracht und mir die Stelle gezeigt, an der er sie gefunden hat. Ich bin sicher, dass er zuvor bei Moana war, um ihr seinen Fund zu zeigen.«

»Dann haben die Maori den Fall also gelöst.«

»Kann man so sagen. Und ich werde mich wohl in aller Form bei ihnen entschuldigen müssen.«

Nach diesen Worten blickten Jack und Ricarda einander einen Moment schweigend an.

»Es tut mir leid, dass Sie in Mitleidenschaft gezogen worden sind«, sagte er dann und schaute verlegen auf seine Stiefelspitzen.

»Mir ist ja nichts passiert.«

»Aber es hätte durchaus anders ausgehen können. Und ich hätte es nicht ...« - Jack stockte - » ... hätte es nicht ertragen, wenn Ihnen etwas zugestoßen wäre.«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen.«

Eine angenehme Wärme breitete sich in Ricarda aus und trieb ihr die Röte ins Gesicht. Hooper hat Recht, dachte sie. Da ist etwas zwischen uns, und offenbar ist es nicht zu übersehen. Wenn wir nur den Mut hätten, uns dazu zu bekennen ...

»Wie wird es nun mit ihm weitergehen?«, fragte sie schließlich, denn das Schweigen war ihr unangenehm.

»Zunächst einmal wird er eine Anklage wegen Sachbeschädigung und Freiheitsberaubung bekommen«, antwortete Jack, offenbar froh darüber, dass sie ein Thema anschnitt, bei dem er sicherer war. »Es könnte nicht schaden, wenn Sie eine Aussage machen würden, Ricarda. Die Fahrt in die Stadt könnten Sie gleich nutzen, um Ihre Vorräte ein wenig aufzustocken.«

»Aber der Mann hat mir doch nichts getan. Eher sind Sie der Geschädigte mit dem getöteten Vieh.«

»Er wollte Ihnen aber etwas antun. Ich habe dem Constable bereits davon berichtet, sonst hätte er Hooper womöglich laufen lassen.«

Ricarda war mulmig zumute. Vielleicht hat Hooper Freunde, die sich dafür am mir rächen werden, überlegte sie. Eigentlich habe ich allmählich genug von solchen Zwischenfällen. Andererseits ... »Also gut, wenn es sein muss, mache ich meine Aussage«, erklärte sie dennoch.

Jack strahlte. »Bestens! Ricarda, gestern Abend ist mir eine Idee gekommen.«

»Lassen Sie hören!«

»Ich dachte, dass Sie nach dem Schrecken ein wenig Erholung gebrauchen könnten. Und Sie wollen Ihre neue Heimat doch bestimmt ein wenig näher kennenlernen, oder?«

Ricarda nickte.

»Dann würde ich einen Ausflug zu den Wairere Falls vorschlagen. Wir könnten morgen in aller Frühe aufbrechen. Ich bin sicher, dass Ihnen der Anblick gefallen wird.«

Ricarda schoss nur ein Gedanke durch den Kopf: Dort draußen habe ich ihn für mich allein.

Ein Schauder der Erregung erfasste sie. Ihre Wangen begannen zu glühen, denn sie fürchtete, dass Jack spürte, was in ihr vorging.

»Was meinen Sie zu meinem Vorschlag?«

»Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Wie lange werden wir denn unterwegs sein?«

»Zwei bis drei Tage, je nachdem, wie schnell wir vorankommen. Bis zu den Falls ist es ein ziemliches Stück. Doch Sie müssen sie unbedingt gesehen haben. Wenn Ihre Praxis erst wieder brummt, werden Sie wohl so schnell nicht mehr dorthin kommen. Der Arzt, der sich um meine Eltern gekümmert hat, ist sogar an Sonn- und Feiertagen zu uns rausgefahren, als es ihnen besonders schlecht ging.«

»Doch nicht etwa Doherty?«

Jack schüttelte den Kopf. »Sein Name war Fraser. Er hat die Praxis an ihn übergeben. Das war vor etwa zehn Jahren. Doherty war damals auch schon in der Stadt, hat aber wegen des alten Arztes nur wenige Patienten gehabt.«

»Jetzt kann ich verstehen, warum er so vehement gegen mich kämpft. Er erinnert sich noch gut an seine Not. Allerdings ist er jetzt derjenige mit der Villa und den vielen Patienten.«

»Spätestens seit Sie Ingram Bessett wieder zum Leben erweckt haben, weiß Doherty, was er von Ihnen zu erwarten hat. Vielleicht fürchtet er sich davor, wieder abzusinken.«

»Aber Tauranga expandiert doch, und ich denke nicht, dass die Einwandererflut von heute auf morgen abebben wird«, hielt Ricarda dagegen. »Im Gegenteil. Wenn sich die Zustände in Europa nicht ändern, werden sich noch mehr Menschen hier niederlassen. Bestimmt wird Tauranga sich eines Tages über die Landzunge hinaus ausbreiten.«

»Dann befindet sich meine Farm irgendwann in der Mitte der Stadt«, gab Jack schmunzelnd zurück, aber er schien nicht daran zu glauben. »Ich weiß nicht, ob ich mir das wünschen soll. Wenn sich die Stadt ausdehnt, wird der Platz für die Maori auch geringer. Und eines Tages werden sie nichts anderes mehr sein als eine Attraktion für Reisende. Davor fürchte ich mich.«

Ricarda dachte an die fröhlich plaudernden und singenden Menschen zurück und stimmte ihm zu.

In diesem Moment rollte eine Kutsche auf den Farmhof. Ein Mann stieg aus und strebte auf sie zu.

»Sehen Sie, da geht es schon los«, raunte Jack. »Ich wette, der Herr will zu Ihnen. Packen Sie heute Abend ein paar Sachen für die Reise zusammen; morgen reiten wir.«

»Einverstanden.«

Während Ricarda dem Besucher gespannt entgegensah, zog Jack sich ins Farmhaus zurück.

»Mein Name ist Johnston«, stellte sich der ältere Herr mit dem weißen Vollbart vor. »Meine Frau möchte gern zu Doktor Bensdorf.«

Ricarda lächelte freundlich. »Ich bin Doktor Bensdorf. Bringen Sie Ihre Frau zu mir, ich bin sofort für sie da.«

 

Während sich Ricarda um ihre Patientin kümmerte, holte Jack sein Pferd aus dem Stall und machte sich auf den Weg zum Maoridorf.

Er wollte sich unbedingt bei Moana entschuldigen. Und gleichzeitig auch bedanken. Ohne ihre weise Einschätzung wäre er Hooper nicht auf die Schliche gekommen. Was hat sich der Kerl eigentlich dabei gedacht, fragte sich Jack, während er durch den Busch ritt. Kann der Hass auf die Maori so tief in ihm sitzen? Oder hat jemand nachgeholfen? Da fiel ihm wieder ein, dass Bessett von den Schafläusen erfahren hatte, obwohl er unter seinen Leuten Stillschweigen angeordnet hatte.

Ob Bessett Hooper bestochen hatte? Je näher er seinem Ziel kam, desto klarer fügten sich die einzelnen Puzzleteile zusammen. Es würde zu Bessett passen, einen Spion bei mir einzuschleusen. Einen Saboteur, der nicht nur meiner Farm schadet, sondern auch den Hass auf die Maori schürt.

Beweise hatte er natürlich nicht. Sofern Hooper nicht gestand, dass der Adlige etwas mit der Sache zu tun hatte, würde Bessett ungeschoren davonkommen. Und andernfalls würde es nur auf Schadensersatz hinauslaufen, was den wohlhabenden Mann kaum treffen würde.

Aber Kerle wie du kriegen ihre Strafe, Bessett!, dachte Jack und lenkte seinen Schimmel ins Dorf.

 

Als Jack Moanas Hütte betrat, bemerkte er, dass die Heilerin nicht allein war. Sie stand über Taiko gebeugt, strich über deren Bauch und summte eine beschwörende Melodie. Offenbar stand die Geburt des Kindes kurz bevor.

Jack wollte sich diskret zurückziehen, doch die Heilerin hatte ihn bereits bemerkt.

»Du bleiben, kiritopa. Ich fertig mit Taiko.«

Sie lächelte der jungen Frau aufmunternd zu und reichte ihr ein paar Kräuter. Taiko warf Jack einen schüchternen Blick zu und verließ dann die Hütte.

»Mani mir sagen, dass du Messer mitgenommen«, begann Moana, während sie Jack bedeutete, dass er Platz nehmen solle.

»Und nicht nur das. Ich weiß jetzt auch, wer Hooper angegriffen hat.«

Die Heilerin setzte ein wissendes Lächeln auf.

»Er war es selbst. Und wahrscheinlich haben wir ihm auch die toten Schafe und den Hund zuzuschreiben.«

»Du sehen, papa und rangi sorgen, dass Wahrheit ans Licht kommen.«

»Ich möchte mich bei dir und deinem Dorf dafür entschuldigen, dass ich so misstrauisch war.«

Moana legte die Hände auf seine. »Wenn Wahrheit sich verstecken, Mann fallen schwer, zu vertrauen. Wenn Wahrheit hervortreten, dann Mann wissen, wer seine Freunde.«

Jack konnte dazu nur nicken. Dennoch schämte er sich, weil er beinahe in Hoopers Falle getappt war.

»Ich verspreche, ich werde nie wieder an dir zweifeln.«

»Das du nicht tun sollen, kiritopa. Du nur trauen deinem Herzen und nicht urteilen zu schnell.«

Moana zog die Hände wieder zurück. »Was geschehen mit Mann?«

»Wir haben ihn zur Polizei gebracht. Er hat Dr. Bensdorf angegriffen und wollte sie als Geisel nehmen. Er wird seine gerechte Strafe bekommen, dafür sorge ich schon. Und er wird auch keinen Fuß mehr auf mein Land setzen.«

Die Heilerin wirkte zufrieden. »Dann wir dich bald wiedersehen mit wahine?«

Jack lächelte. »Ja, das werdet ihr.«