4.


Vandalen haben das corellianische Heiligtum auf Coruscant entweiht. Das kuppelförmige Gebäude, eine Ruhestätte für corellianische Tote, wurde in der Nacht mit Farbe beschmiert, und Marmortafeln wurden zertrümmert. Innerhalb der Kuppel eingelassene Diamanten - geschaffen aus der komprimierten Asche eingeäscherter Corellianer - aus der Decke gebrochen. Die Polizei wertet den Angriff als Vergeltungsmaßnahme für den gestrigen Bombenanschlag auf das Elite-Hotel an der Skylane 4467, der 634 Tote und Hunderte von Verletzten gefordert hat. Bislang hat noch niemand die Verantwortung für die Explosion übernommen, die bestätigten Berichten zufolge durch handelsübliches Detonit ausgelöst wurde.

NE-Morgennachrichten


OBERSTADT, TARIS


»Mein Name ist Mirta Gev«, sagte das Mädchen.

Fett starrte die Halskette mit dem Feuerherz auf seinem Handschuh an und wollte es mit seiner bloßen Hand berühren, aber er wusste nicht, warum. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren verspürte er Kummer.

Nichts von diesem Gefühlschaos war ihm anzumerken. Er sorgte dafür, dass es so blieb, und musterte sie: kräftig gebaut, schwere Stiefel, praktische Rüstung, kein Schmuck, eine abgenutzte, formlose Tasche unter der Schulter und keinerlei Zugeständnisse an weibliche Gepflogenheiten, gleich welcher Art. Passanten auf der Promenade machten einen weiten Bogen um sie.

»Also, bist du Kopfgeldjägerin, oder gefällt dir einfach nur

die Rüstung?«

Mirta - wenn das ihr richtiger Name war - nickte zweimal. Sie wirkte vollkommen ohne Furcht vor ihm, und das war selten.

»Ja, ich bin Kopfgeldjägerin«, sagte sie. »Häufiger Objektwiederbeschaffung als Häftlinge, aber ich bin bislang ganz gut über die Runden gekommen. Wollen Sie mich nicht fragen, wer Sintas Vel umgebracht hat?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil wir uns vor langer Zeit getrennt haben.«

Mirta zuckte mit den Schultern und streckte die Hand nach der Halskette aus. »Ich weiß. Sie haben Ihre Frau verlassen, als Ihre Tochter fast zwei war. Vor Ailyns sechzehntem Geburtstag brach Ihre Frau zu einer Kopfgeldjagd auf und kam nie zurück. Das ist nicht allgemein bekannt.«

»In Ordnung, das ist ein Beweis dafür, dass du Ailyn Vel kennst.«

»Und ich muss diese Halskette zurückbringen. Sie ist alles, was ihr noch von ihrer Mutter geblieben ist.«

Fett zögerte und gab ihr das Feuerherz zurück. Er wollte es unbedingt haben, aber er brachte Kinder wie sie nicht um ihre bescheidene Prämie.

Das ist also alles, was Ailyn noch von ihrer Mutter hat. So wie alles, was mir von meinem Vater blieb, seine Rüstung war. Und sein Schiff.

»Wie geht's ihr?«

»Was?«

Warum mache ich das? »Wie geht's meiner Tochter?«

»Sie ist. in Ordnung, schätze ich. Wütend. Aber sie kommt zurecht.«

»Ich glaube, du weißt, dass sie versucht hat, mich zu töten.«

»Sie hat es erwähnt.«

»Weiß sie, dass ich noch lebe?«

»Natürlich tut sie das.«

Ailyn hatte ihn quer durch die Galaxis gejagt - oder zumindest hatte sie das gedacht - und einen Klon getötet, den sie für ihn gehalten hatte. Wenn sie jetzt wusste, dass er am Leben war, und dennoch nicht erneut versuchte, ihn zu töten, dann hatte sie es sich vielleicht anders überlegt. Nein, das war töricht. Du hast Sintas und dein Baby verlassen, und du hast nie zurückgeschaut. Hat Dad dich so behandelt? Nein, er war immer für dich da. Also, was für ein Mann lässt sein eigenes Kind im Stich?

Jeden Tag seines Lebens hatte Fett an seinen Vater gedacht und ihn so sehr vermisst, dass er absolut alles - manchmal sogar sein Leben - für ein paar Minuten mit ihm gegeben hätte, für die Möglichkeit, ihn zu berühren und ihm zu sagen, dass er ihn liebte. Noch immer war die Erinnerung an seinen Tod schier unerträglich. Der Schock war zwar schon vor langer Zeit abgeklungen, aber - vielleicht schlimmer noch - er hatte Platz gemacht für kalte Analyse und - zuweilen - dumpfen, nagenden Hass.

»Glaubst du, ich möchte sie noch mal sehen? Ich würde sie nicht einmal wiedererkennen. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie ein Baby.«

»Warum reden Sie dann immer noch mit mir?«

Das Mädchen war scharfsinnig. Nicht dreist, nicht frech -nur scharfsinnig.

Ich würde mein eigenes Kind nicht wiedererkennen. Ich sehe meinen eigenen Vater jeden Tag im Spiegel und nie mein eigenes Kind. Ein Gedanke, mit dem ich sterben muss.

»Was kümmert es dich, ob ich sie finde?«

»Weil Sie mich vielleicht dafür bezahlen.«

»Richtige Antwort.«

»Ich versuche bloß, in einer harten Galaxis über die Runden zu kommen.«

»Wie viel?«

Sie zögerte. Es war das erste Mal, dass er ihr Selbstvertrauen wanken sah. Sie weiß nicht, wie viel sie verlangen soll. »Fünftausend.«

Das war der Preis eines Repetierblasters. »Abgemacht. Zahlbar, wenn ich Ailyn Vel und einen Beweis dafür sehe, wer sie ist.« Er brauchte sie überhaupt nicht als Führerin. Alles, was er tun musste, war, Han Solo zu finden. Dann würde er auch Ailyn finden, die Jagd auf ihn machte. Doch diese Halskette hatte sein Interesse geweckt. »Hast du ein Transportmittel?«

»Nun.«

»Du wirst mit mir kommen, damit du nicht aus dem Geschäft aussteigst.« In der Slave I kann ich dich gut im Auge behalten, Mädchen. Ich mache mich ohnehin auf den Weg in Ailyns Richtung, du bist also allenfalls Ballast. »Schlag ein oder lass es bleiben.«

»In Ordnung.«

»Lass uns gehen.«

Mirta sagte kein Wort. Sie folgte ihm einfach. Sie bat nicht darum, zurückgehen und ihre Habseligkeiten einsammeln zu können, oder stellte irgendwelche Fragen. Entweder war sie sehr cool oder sehr naiv. Und womöglich befand sich ihr gesamtes Leben in dieser schmuddeligen Schultertasche.

Aber sie hatte die Halskette seiner Frau. Und früher oder später würde er fragen, wie sie daran gekommen und wie Sintas gestorben war. Doch er wollte nicht den Eindruck erwecken, als würde ihn das kümmern. Sie konnte ruhig weiter glauben, dass er sie brauchte, um Ailyn ausfindig zu machen.

Aber du würdest deine eigene Tochter nicht wiedererkennen. Bloß ihr Schiff - dein altes Schiff.

Und hier war er, ein Mann, der niemandem vertraute, und verließ sich auf das Wort eines Mädchens, das er nicht kannte, wo er sich doch darauf hätte konzentrieren sollen, Taun We und Ko Sais Daten zu finden.

Aber das konnte er nebenher erledigen.

Und wenn sich herausstellte, dass das Mädchen Ärger bedeutete, konnte er sie jederzeit abknallen.


SICHERHEITS- UND GEHEIMDIENSTAUSSCHUSS, SITZUNGSRAUM, SENATSGEBÄUDE


»Ich glaube, Sie könnten das übernehmen, Mara«, sagte Staatschef Omas. »Die Gegner, denen wir uns gegenübersehen, werden nicht immer konventionelle Armeen sein und auch nicht nur an der Front draußen im All. Deshalb bin ich der Ansicht, dass wir einen separaten Arm der Verteidigungsstreitkräfte brauchen, der sich auf die innerstaatliche Sicherheit konzentriert.«

Innerstaatliche Sicherheit. Klingt wie ein Schloss an den Vordertüren und eine Alarmanlage. Jacen verfolgte, was geschah, noch immer besorgt über das Tempo, mit dem sich die Ereignisse entwickelten.

Mara verzog keine Miene. Sie saß mit eng übereinandergeschlagenen Beinen und verschränkten Armen da, und ohne es zu wollen, spürte Jacen ihre Bestürzung quer durch den ganzen Raum. Er versuchte, Luke nicht anzuschauen, der am Fenster stand und auf die Silhouette von

Coruscant hinausblickte. Irgendwie waren Streitigkeiten innerhalb der Familie noch viel schlimmer als mit anderen. Es war nicht gut, sich mit Angehörigen zu überwerfen, was ein weiterer guter Grund dafür war, warum Jedi eigentlich keine Angehörigen haben sollten.

Aber das ist nicht der Weg der Sith. Persönliche Bindungen zu vermeiden ist nicht der Weg der Sith. Hast du dich wirklich in Bezug auf das alles geirrt?

Innerlich schüttelte sich Jacen. Die Augenblicke der Unschlüssigkeit würden vergehen. Und. er hätte keine Zweifel gehabt, wäre er von Ehrgeiz getrieben worden. Widerstreben wurde zu seinem Prüfstein, zu seinem Beweis dafür, dass er das hier aus den richtigen Gründen tat.

»Warum ich?«, fragte Mara.

»Sie waren Geheimdienstagentin«, sagte Omas.

Der Leiter des Sicherheits- und Geheimdienstausschusses, Senator G'vli G'Sil, saß schweigend neben Omas, musterte Mara und schaute dann langsam zu Jacen und Luke hinüber, als hätte er noch nie einen Jedi gesehen.

Mara machte sich nicht einmal die Mühe, ihren Widerwillen zu verbergen. »Ich werde meine Pflicht für die Allianz erfüllen«, sagte sie. »Aber ich bin nicht sicher, ob ich psychologisch geschult genug bin, um eine. nun, eine geheime Polizeitruppe zu leiten. Es gibt kein anderes Wort dafür. Zu spionieren ist eine Sache und vielleicht sogar Attentate zu begehen, aber das hier ist für mich Neuland.«

»Es hat so viel Zeit in Anspruch genommen, mit den Yuuzhan Vong fertig zu werden, dass wir vergessen haben, uns gegen Bedrohungen zu wappnen, die uns näher sind«, sagte G'Sil. »Aber ich bin alt genug, um mich daran zu erinnern, dass man bei terroristischen Aktivitäten schnell handeln muss, bevor sich das Ganze ausbreitet und Netzwerke etabliert werden.« Wenn es die nicht schon gibt...

»Lasst mich darüber nachdenken«, sagte Mara. Aber das waren bloß Worte. Alles andere an ihr fügte hinzu:. und dann Nein sagen.

Luke drehte sich langsam um, die Hände tief in seinen Taschen, und blickte aus dem Fenster. Einen Moment lang fragte sich Jacen, ob er sich an Maras Stelle melden würde. Nein, diese Art Kriegsführung passte einfach nicht zu Onkel Luke. Er war geradlinig, das Lichtschwert in der Hand, bot dem Gegner von Angesicht zu Angesicht die Stirn - der Art von Gegner, die sich einem im offenen Kampf stellte.

Er war zu anständig und ehrbar, um wie ein Terrorist zu denken. Er hatte Regeln. Das war es, was ihn stark machte.

»Dann gehen wir jetzt, Staatschef«, sagte Luke. Er neigte leicht den Kopf. »Schauen wir, wie sich die nächsten paar Tage entwickeln.«

Er nickte Jacen höflich zu und ging mit Mara hinaus. Er warf Jacen noch einen Blick über die Schulter zu und lächelte beklommen. Omas wartete, bis sie draußen waren, und schaute dann Jacen an.

»Ich kann jedermanns Widerwillen verstehen«, sagte er. »Es ist nicht unbedingt heldenhaft, seine Nachbarn auszuspionieren.«

G'Sil gab ein leises Schnauben der Belustigung von sich. »Es ist so lange heldenhaft, bis man selbst die Person ist, deren ID überprüft wird, und dann ist es ein Affront gegen deine Rechte.«

»Die Leute werden sich wieder daran gewöhnen müssen. Es wäre nicht das erste Mal«, sagte Omas.

Jacen fand, dass dieser Zeitpunkt so gut wie jeder andere war, um zu fragen: »Habt Ihr eingehender über den Vorschlag nachgedacht, den ich Euch neulich gemacht habe, Sir?«

Omas war mit den Gedanken eindeutig woanders. »Der Anschlag auf die Schiffswerften?«

»Ja.«

»Ich werde mit Admiral Pellaeon darüber sprechen. Wenn er denkt, dass das etwas bringt, werde ich mit dem Verteidigungsausschuss darüber beraten.«

»Vielen Dank.«

Jacen hätte in sein Apartment zurückkehren und seine Zeit darauf verwenden sollen, Ben mehr über die ausgeklügelten Techniken der Macht beizubringen, doch er musste sich eingestehen, dass er ebenso ungeduldig war wie sein junger Schüler. Er hatte Ben eine Aufgabe gestellt, um ihn für die Dauer seiner Abwesenheit zu beschäftigen: Er sollte die Schauplätze des Bombenanschlags und des Angriffs auf das corellianische Heiligtum aufsuchen und so viel von den Leuten und Ereignissen ringsherum in sich aufnehmen, wie er nur konnte. Das war ein schwieriger Auftrag, der ihn frustrieren und mindestens einen Tag lang beschäftigt halten würde.

Und Jacen brauchte einen Tag für sich, um seine Zweifel in Bezug auf Lumiya zu zerstreuen.

Sie befand sich noch immer in ihrem Asteroidenhabitat in der Nähe von Bimmiel. Er hatte sie dort zurückgelassen; wenn er sich konzentrierte, konnte er ihre Emotionen spüren, die eine seltsame Mischung aus Fürsorge und Aufrichtigkeit waren. Doch wenn sie imstande ist, die Art von Machtillusionen zu erzeugen, von denen wir Zeuge geworden sind, dann kann sie alles vortäuschen. Sie hätte überall sein können, selbst auf Coruscant. Womöglich war sie ebenso in der Lage, vollkommen falsche Gefühle zu übermitteln, weil er selbst zu etwas ganz

Ähnlichem fähig war und sogar andere Jedi-Meister dazu verleiten konnte, daran zu glauben.

Ich bin nicht stolz darauf. Aber es ist eine notwendige Fähigkeit.

Jacen ging auf den wiederaufgebauten Jedi-Tempel zu. Er stand dort genau so wie seit Jahrtausenden, wenn auch in einem neuen, modernen Gewand, und die Zerstörung durch die Yuuzhan Vong schien nicht mehr als eine flüchtige Episode, das Flackern einer Kerze in einer Brise. W7enn sich die Brise legte, war die Flamme wieder da, so ruhig und reglos, wie sie zuvor gewesen war - genauso wie der Tempel.

Jacen ging die breite Promenade zum Eingang entlang. Das angestufte Fundament, aus beinahe fleischfarbenem Stein geschnitten, hob den Tempelkomplex ein wenig über die Gebäude hinaus, die ihn umgaben. Dies hier war keine Welt künstlicher Häuserschluchten wie der Rest von Galactic City. Dieser Quadrant war niedrig gebaut, und von der Transparistahlpyramide hatte man einen Ausblick, den nur wenige in Coruscant jemals zu Gesicht bekamen - nicht der Blick auf ein weiteres nahes, hoch aufragendes Gebäude gegenüber und auf einen dichten Wald gleichartiger Bauwerke, so weit das Auge reichte, sondern eine ausladende Aussicht. Es war eine Aussicht auf Permabeton, Stein und Transparistahl, statt auf grasbewachsene Ebenen, aber nichtsdestotrotz war es ein selten freier Blick auf den Horizont.

Die Bauweise des Tempels und die Innengestaltung waren aggressiv modern, doch Schlüsselelemente des Grundrisses, wie die Ratskammer, waren beibehalten worden und der Marmorfußboden war eine Nachbildung des Originals. Jacen kam das Ganze eher zwanghaft als ehrerbietig vor. als hätte der Jedi-Orden stets alle Veränderungen und

Herausforderungen abgelehnt, die seinem Hang zur Beständigkeit widersprachen. Jacen blieb mit verschränkten Händen stehen und sah etwas, das er noch nie zuvor gesehen hatte: Er sah Ehrgeiz.

Er sah eine Vorliebe für Macht und Status. Er sah eine Grundaussage, ein Mahnmal kompromissloser Dauerhaftigkeit. Wir sind wieder da. Und wir werden nicht noch einmal beiseitegefegt werden. Der Stein sprach beinahe zu ihm.

Das fühlte sich nicht wie Spiritualität an. Und es gefiel ihm. Kein Wunder, dass Luke darauf bestanden hatte, den neuen, protzigen Verputz in der Ratskammer zu entfernen. Jacen erschauerte bei dieser Berührung durch weltlichen Ehrgeiz.

Und im Gedanken daran, dass er Angst davor gehabt hatte, vom Verlangen nach Macht auf den Weg der Sith gelockt zu werden.

Er senkte die Arme und versuchte erneut, etwas zu spüren, das dieses Gefühl von fest umklammerter Macht erklären konnte, das das Gebäude durchdrang. Es kribbelte beinahe in seinen Fingern. Es bewegte sich fast wie ein Symbiont in seiner Brust, der in seinen Körper eingedrungen war.

Vielleicht sind es der Ehrgeiz und der Stolz von Architekten, Handwerkern, Bauarbeitern. Urteile nicht zu vorschnell.

Doch Konstruktionsdroiden hatten den Großteil der Arbeit erledigt.

Er konnte den deutlichen Eindruck von Macht - und der Leidenschaft dafür - nicht abschütteln, und es fühlte sich an, als hätte es sich über die Jahrhunderte hinweg gebildet wie das Schichtgestein in einem uralten Fluss. Das hatte er noch nie zuvor gespürt.

Marmor und Pleekholz schufen ein unaufdringliches, kühles Interieur, das gelegentlich von sorgsam nachgebildeten Büsten großer Jedi-Meister unterbrochen wurde; sie standen in Nischen an genau denselben Stellen zur Schau gestellt wie vor den Yuuzhan Vong und bevor der Tempel bei den Säuberungsaktionen, die Palpatines Machtübernahme folgten, niedergebrannt worden war.

Als er durch die Eingangshalle ging, blieb Jacen erneut stehen.

Es hatte Einwände gegen die Kosten für den Wiederaufbau des Tempels gegeben, da es so viele andere dringende Instandsetzungsprojekte nach dem Krieg gegeben hatte, die wesentlich wichtiger schienen. Einige Bürger konnten das Ganze nicht einsehen. Die Regierung aber hatte darauf bestanden, und der Jedi-Rat hatte behauptet, die Normalität wiederherstellen zu wollen.

Onkel Luke, das war nie die Art und Weise, wie du den Orden gesehen hast, oder? Wie haben sie dich hierzu überredet?

Jacen wusste genau, wo er jetzt stand, und das machte ihm Angst. Er hatte ein fein abgestimmtes Gespür dafür, wo er sich im Raum befand. Wäre er in der Zeit neunundfünfzig Jahre zu exakt dieser Entfernung vom Kern des Planeten zurückgegangen, zu exakt dieser Entfernung vom Nordpol des Planeten, zu genau diesem Punkt in den drei Dimensionen, wäre er neben seinem Großvater Anakin Skywalker einhermarschiert.

Aber ich kann in der Zeit zurückgehen.

Jacen konnte durch die Zeit treiben. Er hatte davon fast zu viel Angst, um es zu tun, aber er tat es dennoch, beinahe ohne nachzudenken. Als er sich selbst in die Vergangenheit versetzte und eins mit ihrer Wirklichkeit wurde, sah er einen jungen blonden Jedi mit gezücktem Lichtschwert, flankiert von Soldaten in weißen Rüstungen. Jacen betrachtete ihn von hinten. Er konnte sehen, wie die Muskeln um seinen Kiefer zuckten, während er auf der Suche nach etwas den Kopf drehte: Er konnte seine Furcht und Entschlossenheit spüren.

Niemand sprach. Sie suchten, alle schauten erst zur einen und dann zur anderen Seite, zielten mit ihren Gewehren und senkten sie dann ein wenig. Irgendetwas Schreckliches geschah.

Anakin.

Anakin Skywalker hielt sein Lichtschwert in beiden Händen, und einen Moment lang war Jacen eins mit den Gefühlen seines Großvaters. Die Furcht und der Widerwille überwältigten ihn - die gleiche Furcht und der gleiche Widerwille, die er selbst verspürt hatte, als Lumiya ihm sein Schicksal offenbarte. Auch Jacen hatte das erdrückende Gefühl, dass etwas Schreckliches und Tödliches bevorstand.

Er hielt sich im Hintergrund. Er war schon einmal entdeckt worden, während er durch die Zeit getrieben war, und gezwungen worden, sich zurückzuziehen. Aber er musste hier dabeibleiben. Er wagte es kaum, den Gedanken weiterzuverfolgen.

Möglicherweise bin ich imstande, ihn zu fragen. Möglicherweise bin ich imstande, Großvater Fragen über sein eigenes »Überlaufen« zu den Sith zu stellen.

Das wäre dann die Antwort im Hinblick auf seinen eigenen Weg.

Er berührte wieder Anakins Emotionen, verglich sie mit seinen eigenen, und dann spürte er etwas, das überhaupt nicht in ihm war: Es war verzweifelter, entsetzlicher Verlust. Eine Sekunde lang konnte er sich keinen Reim darauf machen. Dann festigte sich das Gefühl und verdichtete sich. Es ähnelte sehr dem flüchtigen Kummer, den er verspürt hatte, als er Abschied von Tenel Ka und seiner Tochter genommen hatte. Anakin sah der Trennung von Padme entgegen und hatte Angst davor.

Doch sein Großvater empfand dieses Gefühl nicht nur in diesem Moment - es erfüllte ihn zur Gänze. Anakin war durch gequälte Liebe auf die dunkle Seite getrieben worden. Die Erkenntnis lähmte Jacen, weil das so beschränkt und so. egoistisch war. Erleichterung durchflutete ihn.

Das ist anders. Das ist nicht das, was ich fühle, oder was mich antreibt.

Und genau in diesem Moment wollte er mehr mit seinem Großvater sprechen als irgendetwas sonst, das er sich vorstellen konnte. Er empfand Liebe für einen Mann, den er nie kennengelernt hatte - für einen Mann, der dabei geholfen hatte, der Macht Gleichgewicht zu verleihen.

Du bist verrückt. Du gehst zu weit. Denk nicht einmal daran, die Vergangenheit zu beeinflussen...

Aber er hatte absolut keine Ahnung, was in der Vergangenheit vorgefallen war - bis zu dem Zeitpunkt, da er sah, wie sich die Jünglinge Anakin näherten, verängstigt ihre Lichtschwerter umklammernd. Anakin blickte auf sie herab. Dann zog er sein eigenes Lichtschwert, und Jacen schmeckte vollkommenen Kummer und Scham und. Pflichtbewusstsein.

Er machte Jagd auf Jedi. Aus irgendeinem Grund tötete er sie um Padmes willen. Jacen wusste, dass Anakin dies getan hatte, aber es zu sehen - es zu fühlen, es zu durchleben - war quälend neu und schockierend, weil das Gefühl in seiner Intensität so verzweifelt animalisch war.

Nein, ich fühle das gar nicht. Das ist einer von Lumiyas niederträchtigen Tricks. Ich sehe das hier überhaupt nicht.

Dann erschien einer der gepanzerten Soldaten, hob sein Gewehr, und Jacen riss sich aus der Zeit los und kehrte mit

klopfendem Herzen in die Gegenwart zurück.

Großvater...

»Geht es Euch gut, Meister?«, sagte eine sehr junge Schülerin. Das Mädchen hatte ein helles, optimistisches Gesicht wie polierter Hartgummi. Sie hielt ein Datenpad in einer Hand. »Soll ich Euch etwas Wasser holen?«

»Mir geht es gut, vielen Dank«, log er. »Bloß ein wenig schwindelig, das ist alles.«

Das Mädchen neigte höflich den Kopf und ging davon, den Blick auf ihr Datenpad gerichtet.

Jacen wollte sich übergeben. Doch er brachte sein Entsetzen und seinen Abscheu unter Kontrolle: Jetzt wusste er Dinge, die er niemals wieder aus seinem Verstand würde tilgen können. Es war Anakins Augenblick des Wahnsinns, seine Kapitulation davor, ein Gemetzel anzurichten, obwohl er wusste, dass es Irrsinn war. Das war nicht der Mann, dessen Beweggründe nachzuvollziehen seine Mutter und sein Onkel ihn erzogen hatten.

Würde er für seine eigene Frau so weit gehen? Welche persönlichen Notwendigkeiten würden schwerer wiegen als seine Pflicht?

Er sammelte sich mit jedem bisschen Konzentration, das er aufbringen konnte, und wartete auf den Turbolift, den Blick abgewandt, wenn irgendwer vorbeikam. Er hatte das Gefühl, als könnten sie das Grauen in seiner Seele sehen. Aber natürlich war er mittlerweile bewandert darin, das selbst vor anderen Jedi zu verbergen.

Ich bin nicht Großvater.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Liftkabine kam.

Ich war dazu bestimmt zu sehen, wie tief er gefallen ist.

Er schlug mit dem Handballen auf den Rufknopf und kämpfte gegen Tränen an. »Komm schon. Warum dauert das so lange?« Zwei Schüler blickten ihn an, eilten jedoch rasch vorbei.

Das ist meine Probe. Das ist mein Schmerz, Ich muss mich darauf einlassen, um zu begreifen, dass ich den Fehler meines Großvaters nicht wiederhole.

Jacen wusste, wie es war zu lieben, und er war älter und wesentlich erfahrener, als Anakin Skywalker damals gewesen war. Er konnte mit dem umgehen, was jetzt mit ihm geschah. Er würde sich niemals dem Befehl eines anderen unterwerfen, und er konnte ein Sith werden, ohne Angst davor haben zu müssen, in irgendetwas Böses hinabgezogen zu werden. Er fand nach wie vor keinen Gefallen an dieser Pflicht, aber es war eine Pflicht und kein Irrglaube: Er wiederholte die Fehler seines Großvaters nicht. Dessen war er sich jetzt vollkommen gewiss.

Erleichterung, unerträglicher Kummer und Unglauben fochten in ihm. Vielleicht hätte er seinen Großvater nach seinen Beweggründen fragen können, aber das wäre allein zu seiner eigenen Beruhigung und nicht zum Zwecke des Friedens gewesen, deshalb würde das warten müssen. Das war etwas für später, wenn er erst einmal ein richtiger Sith-Lord geworden war und der Galaxis endlich Frieden und Stabilität gebracht hatte.

Bis dahin war er vielleicht bereit, mit der Wahrheit über die Schande seines Großvaters fertig zu werden.

Endlich - die Turbolifttüren öffneten sich. Jacen fuhr in den wieder aufgebauten Raum der Tausend Fontänen hinauf, um zwischen den Pflanzen und Teichen zu sitzen und zu meditieren. Er wusste jetzt, was er zu tun hatte: Er wusste, dass er Lumiya auf die Probe stellen musste, um sicher zu sein, ob sie ihm tatsächlich dabei helfen konnte, das vollständige Wissen der Sith zu erlangen, wie sie es versprochen hatte, oder ob sie ihre eigenen Ziele verfolgte und vorhatte, ihn auszunutzen.

Der Gedanke hätte erschreckend sein sollen, doch ihn umgab auf einmal ein köstliches Gefühl völliger Ruhe. Er hatte ein kostbares Stück vollkommener Wahrheit gefunden, sowohl über das Universum als auch über sich selbst.

Er verschränkte seine Beine in einer Meditationshaltung und schickte sein Bewusstsein durch die Macht auf die Reise, nicht als offene Hand, sondern als befehlende Faust.

Lumiya. Komm her, Lumiya.

Komm nach Coruscant und gib mir Antwort.


CORELLIANISCHES HEILIGTUM, CORUSCANT


Es war einer der traurigsten Orte, die Ben jemals aufgesucht hatte.

Er fühlte die Einsamkeit in dem Moment, in dem er sich dem corellianischen Heiligtum bis auf fünfzig Meter näherte. Draußen schrubbten drei Männer - einer davon sehr alt -etwas Hellrotes weg, das gegen die polierten goldschwarzen Marmorintarsien der kleinen, mit einer Kuppel versehenen Gedenkstätte gespritzt und daran hinuntergelaufen war. Als er näher kam, schauten sie zu ihm auf, stirnrunzelnd und argwöhnisch. Ben wusste nicht recht, was er sagen sollte.

»Was willst du, Junge?«, sagte der jüngste Mann.

»Ich möchte mich drinnen umsehen, Sir.« Sei höflich, sei bescheiden. Jacen hatte ihm beigebracht, dass Leute, wenn man sie freundlich behandelte, diese Gefälligkeit normalerweise erwiderten. »Ist das in Ordnung?«

»Bist du ein Jedi?«

Die braun-beigefarbenen Gewänder waren ein deutliches Zeichen. »Ja.«

»Warum willst du dich drinnen umsehen?«

»Mein Onkel ist Corellianer.« Und das war nicht einmal eine Lüge. Und er war ebenso neugierig auf Corellianer, wie er entschlossen war, die Aufgabe zu meistern, die Jacen ihm aufgetragen hatte. »Darf ich hineingehen?«

Die Männer sahen ihn an, dann einander.

»Ich begleite ihn«, sagte der alte Mann.

Auf der Schwelle zögerte Ben. Die Türen des gewölbten Eingangs sahen aus, als wären sie aufgebrochen worden. Er folgte dem Mann in die Dunkelheit, und als sich seine Augen an die Lichtverhältnisse drinnen gewöhnt hatten, befand er sich in einer Kammer mit schwarzen Wänden, die alles Licht verschluckten. Dann schaute er nach oben. Die kuppelförmige Decke war mit funkelnden Rohdiamantenbrocken übersäht, angeordnet in Sternenkonstellationen.

»Sie haben das Karbon zusammengepresst, das bei Einäscherungen übrig blieb«, sagte der alte Mann. »Haben es in Diamanten verwandelt. Das ist der Nachthimmel, wie man ihn von Corellia aus sieht.«

»Wofür?«

»Für Corellianer, die während der Neuen Republik nicht nach Hause zurückkehren konnten.« Der alte Mann trat gegen Schutt, der auf dem Fußboden der Kammer lag. Einige Brocken wiesen schwarze Farbe auf, weil die Vandalen auf den Verputz eingehackt hatten. »Das Nächstbeste, wenn man nicht in Heimaterde beigesetzt wird.«

»Haben Sie alle Steine gefunden, die sie rausgerissen haben?«, fragte Ben.

»Nein.«

»Wer würde Diamanten stehlen, die aus Leichen gemacht sind?«

Der alte Mann sah ihn stirnrunzelnd an. »Einigen Leuten sind solche Dinge egal.«

Der Mann war verletzt und wütend. Ben konnte das verstehen. Er beugte sich nieder und half ihm dabei, die Trümmer aufzuheben, wobei sie jeden Brocken nach Bruchstücken von Diamanten überprüften, immerhin handelte es sich dabei letzten Endes um eine Person. Während sie die Kammer aufräumten, kam einer der jüngeren Männer herein und blieb stehen, um zuzusehen. Er war ungefähr achtzehn, mit kurzem blondem Haar, das zu Spitzen zusammengedreht war.

»Wir können nicht einfach untätig dastehen und die damit davonkommen lassen«, sagte er.

»Wer sind diel«, sagte Ben.

»Die Coruscanti.«

»Du weißt, wer das hier getan hat?« Ben fing einen Widerhall halbherziger Niedertracht von der Kammer auf, keine richtigen Pläne oder Hass oder den Vorsatz einer Freveltat. Endlich verstand er, was Jacen mit sinnloser Gewalt meinte. Einige Leute schienen dergleichen wirklich zu tun, ohne groß darüber nachzudenken. »Dann solltest du es der CSK melden.«

»Ja, als würden sie das hier tatsächlich ernst nehmen. Nein, ich glaube nicht. Nicht, wenn sie nach Corellianern suchen, die eine Bombe gelegt haben.«

Ben begann, den restlichen Staub zusammenzukehren, doch der alte Mann nahm ihm den Besen ab und machte es selbst. Ben spürte einen gewissen Groll. Er neigte den Kopf, obwohl der Mann ihm den Rücken zugekehrt hatte, und trat ins Sonnenlicht hinaus, das schmerzhaft hell in seinen Augen brannte. Der blonde Mann ging mit ihm, und sie setzten sich auf die honigfarbenen Marmorstufen, die hoch zu dem Heiligtum führten.

»Ich bin Barit Saiy«, sagte der blonde Mann und streckte seine Hand aus.

Ben schüttelte sie ernst. »Ich bin Ben.«

»Du hast also corellianische Verwandte.«

»Ja.«

»Auf welcher Seite stehst du?«

»Ich bin ein Jedi. Wir schlagen uns auf keine Seite.«

»Bist du dir da sicher?« Barit lachte, aber nicht, weil er das auch nur im Entferntesten komisch fand. »Bald wird sich jeder für irgendeine Seite entscheiden, wie die Regierung, die versucht, jedem ihre Regeln aufzuzwingen. Ich hasse sie. Mein Großpapa sagt, es ist genau wie damals beim Imperium.«

»Aber du lebst hier.«

»Ich wurde hier geboren. Genau wie mein Dad. Meiner Familie gehört eine Werkstatt in Q-65. Ich war bislang noch nicht mal auf Corellia.«

»Aber du könntest auf Corellia leben, wenn du es so sehr hasst, hier zu sein.«

»Würde sie das daran hindern, uns so zu behandeln, wie sie es tun?«

Ben fiel es schwer, das sie und das uns bei der Unterhaltung zu verstehen. Er war mit seinen Eltern durch die Galaxis gereist und hatte weniger von Coruscant gesehen als von einem Dutzend anderer Planeten.

Doch Barit war nicht bloß sichtlich wütend: Von ihm schien eine echte Gefahr auszugehen. Ben war nicht bewusst gewesen, was für eine wichtige emotionale Sache das Heiligtum für die Corellianer war, die hier lebten.

Er sondierte behutsam das Terrain. »In den Nachrichten haben sie gesagt, dass die Bombe im Zimmer eines Corellianers hochgegangen ist, der auf Geschäftsreise war.«

»Dass sie das sagen, war doch klar, oder?« Barit hatte seine Ellbogen auf seine Knie gestützt, umklammerte mit der rechten Hand sein linkes Handgelenk und ließ den Blick über die Passanten schweifen, die auf dem Gehweg in der Nähe vorbeigingen. »Ich wette, das waren die selbst.«

»Wer sind diel«

»Die Regierung. Das CSK. Der Galaktische Sicherheitsdienst. Die machen solches Spionagezeug. Wenn die eine Bombe legen und uns die Schuld dafür in die Schuhe schieben, liefert das ihnen einen Vorwand dafür, Corellia anzugreifen.«

Ben dachte an das, was er nur wenige Wochen zuvor getan hatte: Er hatte die Centerpoint-Station sabotiert, Corellias ganzen militärischen Stolz. Und jetzt saß er hier mit einem Corellianer, der überzeugt davon war, dass die Galaktische Allianz ein schmutziges Spiel trieb, und der ihn, Ben, dennoch wie einen Mit-Corellianer behandelte. Ben verspürte einen gewissen Nervenkitzel, von der Art, wie er einen überkam, wenn man eine geheime Identität hatte, und dann fühlte er sich. ziemlich schlecht wegen alldem.

Aber er hatte getan, was er tun musste. Oder nicht?

»Was denken die anderen Corellianer hier?«

Barit zuckte mit den Schultern. »Es gibt eine Menge, die so denken. Und etliche davon wollen von der Galaktischen Allianz nicht bevormundet werden.«

Ben verstand das so, dass es letzten Endes doch einen Krieg geben würde, genau wie Jacen befürchtete - und genau wie

Ben es gespürt hatte, als er die Unruhe in der Macht wahrgenommen hatte. »Dann wirst du also nach Corellia zurückkehren, um dich den Armeestreitkräften anzuschließen.«

Barit senkte die Stimme. »Warum sollte ich das tun, wenn wir hier viel besser kämpfen können?«

Ben dachte einen Moment lang darüber nach. Erwachsene sagten häufig Sachen zu ihm, die sie wirklich nicht sagen sollten; offenbar dachten sie, dass er zu jung war, um sie zu verstehen. Manchmal war er das, obgleich er sich immer daran erinnerte, was zu ihm gesagt wurde. Doch er war nicht zu jung, um Barit zu verstehen.

Es ist bloß Gerede. Wir alle sagen dumme Dinge, wenn wir wütend sind.

Trotzdem würde er sich daran erinnern.