Cathy starrte ihn an. Er sah aus wie ein Wahnsinniger, aber er sprach immer noch mit dem Selbstbewußtsein, völlig im Recht zu sein: Auch Petersham hatte sie mit bei-beißender Verachtung behandelt. Ihre Vermutungen kristallisierten sich langsam zu Tatsachen heraus: beide gaben ihr für etwas die Schuld, von dem sie keine Ahnung hatte.
»Jon, ich sehe, daß du sehr ärgerlich auf mich bist«, sagte sie weich, ohne seine grauen Augen eine Sekunde aus ihrem Blick zu lassen. Sie wollte eigentlich hinzufügen: >Würdest du mir bitte sagen, warum?<, als er sie mit einem wütenden Brüllen unterbrach.
»Ärgerlich, ärgerlich! Du Hure! Ich sollte dich der Länge nach mit einem Messer aufschlitzen, und ich werde es auch tun, wenn du nicht sofort deinen verdammten Mund hältst!«
Seine Fäuste waren geballt, und er machte den Eindruck, als könne er sich nur mühsam beherrschen. Cathy gab angesichts der gnadenlosen Bedrohung in seinen Augen nach. Als sie still blieb, entspannte er sich ein wenig und ging dann hinüber zur Badewanne. Sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzvollen Grimasse, als sein verletzter Rücken mit dem heißen Wasser in Berührung kam. Vom Bett aus konnte Cathy immer noch die schwärenden Wunden sehen. Er sah aus, als wäre er nicht nur einmal sondern oft geschlagen worden. Sie fragte sich verzweifelt, wo er gewesen sein mochte. Was war mit ihm passiert?
»Jon, würdest du mir bitte sagen, was mit dir passiert ist?« wagte sie sich nach ein paar Minuten noch einmal hervor. Sein Kopf fuhr herum, und er fixierte sie mit brennenden Augen. Der verfilzte, schwarze Bart ließ ihn wie einen Fremden aussehen.
»Du hast eine sehr sanfte Stimme«, antwortete er. »Weich und verführerisch. Sie hat mich fast davon überzeugt, daß du selbst so bist wie deine Stimme. Aber du hast mich eines Besseren belehrt, nicht wahr? Du hast mich gelehrt, daß unter diesem angenehmen Äußeren ein Herz aus purem Stein steckt; ein selbstsüchtiger, grausamer Charakter. Ich warne dich: treib es nicht zu weit mit mir. Glaubst du, daß ich noch mal auf diesen Trick hereinfalle? Dich zu töten, würde mir mehr Vergnügen bereiten als alles andere in meinem Leben. Und wenn du mich reizt, kann ich mich vielleicht nicht einmal so lange zurückhalten, bis das Kind geboren ist.«
Cathy starrte ihn an und fühlte sich krank vor Schrecken. Sein Ton war unmißverständlich gewesen. Sie wollte ihre Verwunderung zum Ausdruck bringen, besann sich dann aber eines Besseren. Er war einfach fest entschlossen, sie zu verachten. Außerdem hatte sie keine Möglichkeit, sich ordentlich zu verteidigen, bevor sie noch nicht einmal wußte, wessen sie angeklagt wurde. Aber wenn sie ihre Unschuld schon nicht in Worten ausdrücken konnte, dann vielleicht in Taten. Sie schwang ihre Füße über die Bettkante und kam schwerfällig auf ihre Füße. Ihr dicker Bauch zeichnete sich deutlich gegen das Nachthemd ab, und ihre Zöpfe schwangen bei jedem Schritt gegen ihre Brüste. Sie bewegte sich auf ihn zu, und Jon musterte sie unsicher. Seine Augen waren mißtrauisch. Sein Blick lief erst über ihre schönen Gesichtszüge und blieb dann, wie von einem Magnet angezogen, auf ihrer hohen Wölbung in der Mitte hängen.
»Gott«, murmelte er und schloß seine Augen, als könne er ihren Anblick nicht länger ertragen. Cathy Wurde rot, da sie dachte, er müsse ihre Schwangerschaft abstoßend finden, aber sie ließ sich nicht einschüchtern. Sie ging ruhig vorwärts, bis ihre Hüften das kühle Porzellan der Wanne berührten. Jons Mund war verbissen, und er weigerte sich, seine Augen zu öffnen. Cathy blickte geduldig auf seine viel zu langen schwarzen Haare hinunter.
Schließlich öffnete Jon seine Augen und blickte finster zu ihr hoch.
»Was hast du vor, du Hure?« zischte er.
Cathys Augen sprühten angesichts dieser Beleidigung, aber sie biß sich auf die Zunge und sagte nichts, während sie sich vorbeugte, um die Seife und den Waschlappen aus dem Wasser zu fischen. Ihre Finger streiften nur leicht seine Brust, da flogen seine Hände nach oben und hielten sie brutal an den Handgelenken fest.
»Ich fragte, was du vorhast?« fauchte er und sah sie an wie ein wildes Tier.
»Deine Haare müssen gewaschen werden«, sagte Cathy kühl und versteckte ihre Gefühle hinter einer ruhigen Maske. Sie setzte jetzt alles darauf, daß er es nicht über sich bringen würde, sie zu verletzen, zumindest nicht, solange sie das Kind trug. Wenn sie falsch lag, würden die Konsequenzen katastrophal sein. Aber wenn sie recht hatte - nun, ihre Berührungen waren schon einmal der Schlüssel zu seinen zarteren Gefühlen gewesen. Vielleicht würden sie es wieder sein.
»Schlägst du vor, sie mir zu waschen?« fragte er mit sehr weicher Stimme und einem starren Blick. »Du glaubst also wirklich, daß du mich mit diesen kleinen, weißen Händen berühren kannst und so alles, was du mir angetan hast, wieder gutmachen? Nun, Weib, es wird nicht funktionieren. Du brauchst dir gar keine Mühe geben. Ich habe dich auf die ganz harte Tour kennengelernt und werde es bestimmt nicht vergessen.«
»Ich will nicht, daß du vergißt, Jon«, sagte sie ruhig und befreite ihre Hände aus seinem Griff. Sie tauchte den Waschlappen ins Wasser und wrang ihn über Jons Kopf aus. Er bewegte sich nicht, als das Wasser an ihm herunterlief. Cathy wiederholte dieses Manöver. Dann beugte sie sich nach vorne, um mit ihren Händen mehr Wasser aufnehmen zu können. Sie machte seine Haare ganz naß. Als er immer noch nicht protestierte, seifte sie ihn ein.
sie durchkämmte die verfilzten Strähnen mit ihren Fingern, denn sein Haar und seine Kopfhaut waren vollkommen fettig. Es hätte für Cathy abstoßend sein könne, aber das war es nicht. Sie massierte sanft seine Kopfhaut und beseitigte den Schmutz daraus. Jon verkrampfte sich zunächst unter ihren Berührungen. Dann wurde er langsam entspannter.
»Zur Hölle, warum denn nicht? « hörte sie ihn mehr zu sich selbst murmeln. »Ich kenne dich jetzt, du Hexe, und du wirst mich nicht noch ein zweites Mal so schnell hereinlegen. «
Cathy war weise genug, einfach fortzufahren, als habe er nichts gesagt. Nach einer Weile nahm sie einen Topf mit heißem Wasser hoch, den Petersham bereitgestellt hatte, und ließ seinen Inhalt in einem langsamen Strom über Jons Kopf laufen. Die dreckige Lauge floß an ihm herunter. Jon drehte sich um, um sie anzusehen. Welche Worte er auch immer hatte sagen wollen, sie gefroren auf seinen Lippen, als er den großen, hölzernen Topf, der noch zur Hälfte mit Wasser gefüllt war, über seinem Kopf sah.
»Stell ihn nieder! « brüllte er.
Cathy war so erschreckt, daß ihr der Topf aus der Hand fiel. Er krachte mit einem lauten Knall auf den Boden, und das Wasser spritzte über ihr Nachthemd. Sie war bis zur Taille vollkommen naß. Ihre Augen waren groß, als sie ihn verständnislos ansah, und sie bedeckte mit einer Hand ihren Hals. Jon sprang hoch und stieg aus der Wanne. Er ergriff ein Handtuch, um sich trockenzureiben. Die ganze Zeit über ließ er ohne Unterbrechung Flüche auf sie niederregnen. Sie zog sich betroffen vor ihm zurück. Was hatte sie denn diesmal getan, das ihn so erzürnte? Sie verstand es einfach nicht, und ihre blauen Augen baten ihn um eine Erklärung. Jon sah es, und sein eigener Blick wurde wild.
»Also glaubst du tatsächlich, daß du mich wieder verführen kannst, du Hure?« rief er aus. »Du meinst, daß du mich durch deinen gegenwärtigen Zustand erweichen kannst, nicht wahr? Vielleicht hoffst du sogar, dir die Strafe zu ersparen, nachdem das Kind auf die Welt gekommen ist! Eher gehst du in die Hölle! Daran zu denken, es zu planen - das war das einzige, das mich am Leben erhalten hat, und du entkommst dem nicht. Deine listigen, kleinen Tricks sind völlig zwecklos!« Während Cathy immer noch versuchte, seine Worte zu verstehen, hatte er sich frische Kleider übergeworfen und stürmte hinaus. Die Tür fiel hinter ihm zu, und Cathy stand allein da und starrte die Wand an. Wie eine tödliche Welle brach die entsetzliche Wahrheit über sie herein. Egal, wie groß seine Verachtung war und wie erbittert er sie haßte, ihre Liebe zu ihm war unverändert.
Jon kam den ganzen Tag nicht mehr in die Kabine zurück. Martha kam wieder und legte sich ins Bett. Petersham brachte steif ihr Mittagessen. Nur Jon kam nicht. Cathy wehrte ungeduldig Marthas Fürsorge ab. Am liebsten hätte sie geschrieen, weil Petersham sich auf all ihre Fragen hin taub stellte.
Schließlich brach die Dunkelheit herein, und das Schiff wurde ein wenig ruhiger. Cathy wartete mit ungeduldiger Nervosität auf Jons Rückkehr. Es war schon Mitternacht, als sie schließlich die Wahrheit erkannte: er würde nicht kommen. Er mußte sie wirklich verachten, wenn er es nicht einmal aushielt, mit ihr in derselben Kabine zu sein, dachte sie traurig. Tränen liefen über ihre Wangen, als sie schließlich die Kerze löschte und sich ins Bett legte. Sie fühlte sich allein und verloren unter den Decken. Mit Rücksicht auf Marthas zufriedenes Schnarchen vergrub sie ihren Kopf in ein Kissen, während sie vor sich hinschluchzte. Sie tröstete sich damit, daß sie am nächsten Tag Antworten auf ihre Fragen bekommen würde. Wenn nicht von Jon oder Petersham, dann eben von der Mannschaft. Irgend jemand würde es ihr schon sagen; dessen war sie sich sicher.
Das Wetter machte ihr schwer zu schaffen. Als sie am nächsten Morgen aufstand, schneite es heftig. Durch das Fenster konnte sie die Eiszapfen sehen, die an dem hölzernen Rahmen hingen. Die See war genauso grau und trüb wie der Himmel darüber. Vernunft und Kälte sorgten dafür, daß Martha und Cathy ihren Platz vor dem Kohleofen, vor dem sie dicht gedrängt hockten, nicht verließen. Cathy wollte alle Fragen, die sie hatte, dem nächsten stellen, der die Kabine betrat.
Petersham war der nächste. Er brachte das Mittagsmahl. Cathy beantwortete sein kurzes Klopfen, aber statt ihm das Tablett aus den Händen zu nehmen, ergriff sie seinen Arm und zog ihn in die Kabine hinein. Dann schloß sie die Tür und lehnte sich dagegen, so daß er nicht an ihr vorbei konnte. Sie kannte Petersham und wußte, daß er großen Respekt vor einer schwangeren Frau haben würde. Er würde keinerlei körperliche Gewalt an wenden.
Petersham stellte das Tablett auf den Tisch und ging dann würdevoll auf die Tür zu. Cathy verschränkte ihre Arme über der Brust und lächelte ihn entschlossen an. Mit der Decke über ihren Schultern und den langen, offenen Haaren sah sie aus wie eine indianische Squaw. Petersham hielt vor ihr an und war sich nicht sicher, was er tun sollte.
»Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Madame«, sagte er steif, ohne ihr in die Augen zu sehen. Sein Gesicht war voller Mißbilligung.
»Ich will wissen, was mit Jon passiert ist, Petersharn«, sagte Cathy sanft. »Ich rühre mich nicht von der Stelle, bis Sie es mir gesagt haben. «
»Das müssen Sie schon den Kapitän selbst fragen, Madame. « Petershams Ton war sehr formell, und er sah ihr jetzt abschätzig in die Augen. »Es gehört nicht zu meinen Rechten, seine persönlichen Angelegenheiten zu diskutieren. «
Cathy versuchte es jetzt auf eine andere Weise. »Petersham, ich bin seine Frau. Ich habe ein Recht darauf zu wissen, was mit ihm verkehrt ist. «
»Mit dem Kapitän ist nichts verkehrt, soweit ich weiß, Mistreß Hale. «
Die Betonung ihres Titels war widerlich. Cathy wurde immer wütender. Erst Jons unverständlicher Sinneswandel und nun auch noch Petershams. Sie ging langsam auf Petersham zu. Der Mann wich vor ihr zurück und wußte nicht, was er tun sollte. Da rannte Martha zu Cathy hinüber und ergriff ihren Arm.
»Miß Cathy, denken Sie an Ihr Baby! « warnte die Frau mit schriller Stimme. Cathy sah Petershams unsicheren Blick auf ihren Bauch wandern und wußte plötzlich, wie sie ihn zum Reden bringen konnte.
»O Martha! « rief sie und griff sich an den Bauch. Marthas Gesicht wurde weiß, und auch Petersham sah betroffen drein. Cathy stöhnte, und Martha drehte sich wütend zu dem Mann um.
»Jetzt sehen Sie, was Sie getan haben, Sie Satan! « schrie sie wütend. »Miß Cathy so aufzubringen, wo sie doch ein Kind bekommt! Wegen Ihnen wird es noch eine Frühgeburt werden. Da wird sich der Kapitän aber freuen! «
»Ich wollte nicht... «, stammelte Petersham und beugte sich über Cathy. Sie sah zu ihm hoch und stöhnte immer noch.
»Petersham, was ist mit Jon passiert?« fragte sie, und in ihrer Stimme schwang gespielter Schmerz und Heiserkeit Petershams Gesicht wurde sofort verschlossener, aber als sie wieder stöhnte, gab er unwillig nach.
»Sie kennen die Antwort nur zu gut, Miß Cathy«, sagte er ernst, und Cathy entschlüpfte ein kleines, triumphierendes Lächeln, weil er sie wieder auf die alte Weise angeredet hatte. »Aber wenn es Sie amüsiert, aus anderem Munde zu hören, was Sie ja ohnehin schon wissen, nun gut. Kapitän Jon wurde zum Tode verurteilt und ins Gefängnis gesperrt. Die Exekution hätte an jenem Morgen stattgefunden, wenn Mister Harry nicht davon gehört hätte. Wir retteten ihn, aber ich bin sicher, daß Ihnen das sehr leid tut. Jede Frau, die ihren Mann auspeitschen und verhungern läßt, verdient jede nur erdenkliche Strafe. Darüber sind wir uns alle einig. Von uns haben Sie keine Hilfe zu erwarten, Miß Cathy.«
Die eiskalte Abneigung war jetzt wieder in Petershams Stimme zurückgekehrt.
Cathy erhob sich rasch und vergaß dabei völlig ihren angeblichen Schmerz, weil sie so schockiert über Petershams Enthüllungen war.
»Ich... habe ihn auspeitschen und hungern lassen?« wiederholte sie ungläubig und sah den Mann an, als ob auch er verrückt geworden wäre. »Ins Gefängnis? Ich wußte nicht einmal, daß er im Gefängnis war! Er war an dem Tag, als die Soldaten Las Palmas eingenommen hatten, geflohen! Woher sollte ich wissen, daß er später wieder eingefangen wurde. Ich sage dir, Petersham, ich habe es nicht gewußt. Ich habe es einfach nicht gewußt! Du mußt mir glauben!«
»Mich brauchen Sie nicht zu überzeugen, Miß Cathy.« Auch diese letzten Worte klangen haßerfüllt. »Überzeugen Sie lieber Kapitän Jon. Aber, wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Versuchen Sie es bei ihm bloß nicht mit dieser Geschichte. Er ist nicht in der Stimmung, sich solche offensichtlichen Lügengeschichten anzuhören.«
»Aber es ist doch keine Lüge!« heulte Cathy und wollte Petersham folgen, der sich mit größter Würde auf die Tür zubewegte. Martha hielt sie zurück, und dann war der Mann bereits verschwunden.
»Martha, was soll ich tun?« schrie Cathy sie mit schmerzerfüllten Augen an. Die Frau legte fest ihre runden Arme um die Schultern des Mädchens, und Cathy ließ sich von ihr zum Bett hinüberführen. Martha bettete sie zwischen die Decken. Cathy dachte ununterbrochen nach. Irgendwie mußte sie Jon von ihrer Unschuld überzeugen. Aber wie sollte sie das schaffen, wenn er nicht einmal in ihre Nähe kam? Es gab nur einen Weg: Sie mußte zu ihm gehen.
Der Sturm, in den die >Margarita< geraten war, ließ auch den Rest des Tages über nicht nach. Das Schiff wurde in den Wellen herumgeworfen wie ein Spielzeug in den Händen eines Riesen, und Martha war ernstlich seekrank. Cathy, die an das Schwanken auf See seit ihrer letzten Reise gewöhnt war, versuchte, es ihrer Kinderfrau so bequem wie möglich zu machen; aber das einzige, was wirklich gegen die Seekrankheit half, war die Zeit und ein ruhigeres Wetter. Schließlich konnte sie Martha davon überzeugen, sich aufs Bett zu legen. Die Frau rollte sich zusammen und wurde nach und nach ruhiger, bis sie ganz einschlief.
Cathy setzte sich auf einen Stuhl vor den Ofen und dachte nach. Dies war die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte.
Solange Martha wach war, gab es keine Möglichkeit, die Kabine zu verlassen. Martha würde sie eher ans Bett fesseln, bevor sie ihr erlaubte, sich in diesen Sturm hin-auszuwagen. Für Cathy selbst war das Bedürfnis, mit Jon zu sprechen, wichtiger als alles andere. Den Sturm bedachte sie nur mit einem kleinen Achselzucken.
Sie hatte ihren Entschluß gefaßt und ging zur Tür, wobei sie einen schnellen Blick über ihre Schulter zurück auf Martha warf. Die Frau schlief tief und fest.
Cathy legte sich eine große Decke über den Kopf, um sich etwas vor dem Wind zu schützen und ging nach draußen.
Der Wind hatte eine solche Macht, daß er ihr beinahe die Tür aus der Hand gerissen hätte, aber sie hielt sie verzweifelt fest, denn der Krach hätte Martha sicher aufgeweckt. Ihre Armmuskeln schmerzten, als sie versuchte, die Tür ganz langsam hinter sich zu schließen. Endlich war es geschafft, und Cathy lehnte schwer atmend mit dem Rücken gegen die Tür. Die Deckplanken waren unter ihren nackten Füßen eiskalt und naß.
Cathy sah sich mit großen Augen um. Sie konnte nichts außer dem trüben Grau und Weiß sehen. Der Himmel und die See hatten beide die gleiche Farbe, und kleine graue Partikel aus Schnee und Eis vermischten sich mit der kalten Gischt, um wie tausend kleine Klingen auf ihrer Haut zu stechen. Der Wind heulte, als sei er furchtbar wütend darüber, daß es so ein kleines Ding wie die >Margarita< wagte, sich ihm entgegenzustellen. Cathy dachte einen Moment lang daran, ihr Vorhaben aufzugeben und wieder in die Kabine zurückzukehren in der es warm, trocken und sicher war, aber dann straffte sie resolut ihre Schultern und arbeitete sich zum Achterdeck vor. Es war ganz nahe, und sie würde sich bei jedem Schritt an dem Geländer festhalten. Wenn sie mit Jon reden wollte, mußte sie dem Sturm eben ins Gesicht sehen. Mit einer Hand hielt Cathy die Decke fest und kämpfte sich die Treppe hoch. Die Stufen waren spiegelglatt von dem Eis, und Cathys gefrorene Füße waren so taub, daß sie sich nur schlecht bewegen konnte. Zweimal fiel sie auf ihre Knie, schaffte es aber wieder, sich aufzurichten. Das Schiff unter ihr tanzte wie ein teuflischer Geist. Während sie sich an dem Geländer hochzog, drangen Splitter in ihre Hand, aber Cathy schenkte dem Schmerz keine Aufmerksamkeit. Nur Jon existierte noch in ihren Gedanken.
Sie mußte ihm sagen, daß sie nichts mit seiner Gefangenschaft und den Quälereien zu tun hatte. Nur dann konnte sie auf seine Liebe hoffen.
Schließlich erreichte sie das Achterdeck. Sie hielt sich an der hölzernen Reling fest und sah sich ungläubig um. Das Achterdeck war vollkommen leer. Das Steuerrad hatte man mit Seilen festgebunden, um das Schiff auf Kurs zu halten. Cathy drehte sich um und blickte über den Rest des Schiffes.
Auf den Decks war keine Menschenseele. Nicht ein einziger Mann! Ihr Herz fing an wie wild zu schlagen, als ihr ein furchtbarer Gedanke kam. Waren alle über Bord gespült worden? Waren sie und Martha die einzigen, die auf diesem Schiff noch lebten? Großer Gott, was war nur geschehen? Was...?
»Jon!« schrie sie voller Angst. »Jon! Jon!«
»Verdammt!« Die wütende Antwort wurde vom Wind zu ihr herunter getragen. Cathy blickte nach oben, und ihre Augen wurden groß. Sie sah, daß die Männer wie verschwommene, graue Schatten in der Takelage herum- | kletterten und verzweifelt um die Seile kämpften, die die Leinwände voll unter dem Wind hielten. Ein Mann hatte die Arbeit verlassen und ließ sich auf das Deck herunter. Sein Gesicht und die Umrisse seines Körpers waren in dem Schneetreiben undeutlich, aber Cathy wußte intuitiv, daß es Jon war.
Als er das Deck erreichte, war ein fürchterliches Röhren in ihren Ohren.
Sie konnte gerade noch die nackte Angst in seinen Augen erkennen, während er rasend schnell auf das Achterdeck zulief.
Sie schüttelte ihren Kopf und spürte, daß sie lächelte, während sie beobachtete, wie er im Zickzack über das Deck hastete. Als er die Treppe erreicht hatte, schien das Röhren noch lauter zu sein, und Cathy blickte automatisch über ihre Schulter.
Was sie sah, ließ ihr Herz still stehen. Eine riesige, dunkle Welle rollte wie die Hölle selbst auf sie zu. Cathy legte eine Hand über ihr Gesicht, als wolle sie sich davor schützen und wußte im gleichen Moment, daß sie auf keinen Fall mehr rechtzeitig in Sicherheit kommen konnte.
Plötzlich wurde sie auf das Deck geworfen, und ein schwerer Körper fiel über sie.
Starke Arme faßten um sie herum und hielten sie fest gegen die Reling gepreßt.
»Halt deinen Atem an! « schrie ihr jemand ins Ohr.
Cathy tat automatisch, was Jon ihr gesagt hatte. Sobald sie ihren Mund geschlossen hatte, brachen Tonnen eisigen Wassers über sie herein. Sie nahmen ihr den Atem und versuchten sie aus den starken Armen, die sie hielten, zu entreißen!
Cathy konnte die gewaltige Macht des Wassers, das an ihr zog, spüren. Allein hätte sie dieser Kraft niemals widerstehen können.
Nach ein paar Sekunden war es vorüber. Die >Margarita< taumelte wild und richtete sich dann wieder auf. Cathy fühlte, wie sie auf die Beine gestellt wurde, und die Arme, die sie gehalten hatten, schüttelten sie jetzt hin und her.
»Du gottverdammter, kleiner Dummkopf!« schrie Jon wütend und merkte nicht einmal, daß der Wind sein Gebrüll davontrug und Cathy ihn bei dem Sturm gar nicht hören konnte. »Du hast dich beinahe umgebracht!«
»Ich mußte mit dir reden...«, versuchte Cathy zu erklären, doch sie merkte frustriert, daß er sie ebensowenig hören konnte wie sie ihn.
Aber sie mußte es versuchen.
»Du mußt mir zuhören!« schrie sie und schüttelte seinen Arm. Er sah mit einem mörderischen Blick auf sie herunter, und seine Hände bewegten sich von ihren Schultern zu ihrem Hals.
»Sei ruhig, oder ich erwürge dich hier und jetzt!« schrie er, und seine Hände faßten fester um ihren schlanken Hals. Cathy riß sich los, und ihre Augen weiteten sich wegen dem rasenden Schmerz, der in ihrem Bauch tobte. Sie schrie und krümmte sich.
»Was, zum Teufel...«
Cathy fiel auf dem Achterdeck auf die Knie und hatte ihre Arme schützend um ihren Bauch gelegt. Eine neue Welle des Schmerzes überrollte sie. O mein Gott, sie verlor ihr Baby! Jon beugte sich über sie, und als er begriff, was los war, nahm er sie auf seine Arme. Er hielt sie fest an sich gedrückt, während er sich zu der Treppe vorkämpfte. Der rasende Wind trug die Flüche, die er ununterbrochen hervorstieß, hinweg. Cathy starrte in sein Gesicht, während der Schmerz in ihrem Bauch immer intensiver wurde. Sie stöhnte und versuchte mit den Händen, das Baby in sich zu behalten. Jons Augen trafen ihre, und sie sah seine flammende Panik. Warum hat er denn auch Angst, fragte sie sich mit einem leichten Erstaunen. Dann verschwanden alle ihre Gedanken unter einer neuen schrecklichen Welle des Schmerzes.
Sie schrie, und dann fiel die gnädige Dunkelheit der Ohnmacht auf sie herunter wie ein Vorhang. Jon fluchte furchtbar, als sie in seinen Armen schlaff wurde, und sprang in riesigen Sätzen die Treppe herunter, um sie so schnell wie möglich in die Kabine zu tragen.