4. Kapitel
Als Jon am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich so lebendig wie schon seit Monaten nicht mehr. Er reckte sich und stieß dabei an den Körper, der zusammengerollt auf der anderen Seite des Bettes lag. Er dachte voller Gewissensbisse, daß sie sogar im Schlaf möglichst viel Abstand von ihm hielt. Er würde das ändern, schwor er sich. Der Tag, an dem sie seinen Körper genauso begehren würde wie er ihren, würde kommen. Und er mußte zugeben, daß er sie sehr begehrte. Sogar jetzt mußte er sich sehr zusammennehmen, um sich nicht auf sie zu legen und ihr all seine Lust zu geben. Doch er wußte genau, daß die See und sein Schiff auf ihn warteten. Jon grinste. Er wurde langsam alt. Männer mittleren Alters waren angeblich besonders verrückt nach Mädchen, die ihre Töchter sein konnten. Aber wenn das, was er fühlte, das mittlere Alter war, dann sollte es nur kommen. Es war fantastisch!
Seine Hand bewegte sich über das Bett, aber er zog sie zurück, bevor sie ihr Ziel erreichte. Genug davon! Er hatte ein Schiff zu segeln. Was sollten seine Männer von ihm denken, wenn er sich im Bett lümmelte, bis die Sonne hoch am Himmel stand? Sie glaubten, daß er langsam senil würde. Es war das erste Mal, daß er bis zum Mittag geschlafen hatte, seit er als Junge zur See gegangen war. Bei diesem Gedanken schüttelte er sich ein wenig. Der Niedergang vieler Männer war eine Frau gewesen. Er mußte vorsichtig sein, damit ihm seine Faszination für diesen kleinen Frauenkörper nicht aus der Hand glitt. Das war natürlich nicht sehr wahrscheinlich, beru-higte er sich schnell. Er hatte mit vielen Frauen geschlafen. Die meisten von ihnen waren hübsch und weitaus erfahrener im Bett gewesen als das Kind neben ihm. Wenn er mit ihr sanfter umging als mit den anderen, nun, dann geschah es, weil sie jünger und viel zarter war. Dieses überraschende Schuldgefühl, nachdem er sie geschlagen hatte, war nur natürlich. Es hatte lediglich das körperliche Vergnügen beeinträchtigt, um das es ihm bei ihr ja ausschließlich ging! In Cadiz wartete auf ihn eine gewisse lustige Witwe. Sobald er sie besucht hatte, würde er die kleine Hexe ein für allemal aus seinen Gedanken vertreiben.
Ein leises Klopfen war an der Kabinentür zu hören. Jon sprang aus dem Bett. Er wollte auf keinen Fall dabei erwischt werden, wie er auf dem Rücken lag und seinen Tagträumen nachhing wie ein kleiner, liebeskranker Junge. Er schlüpfte eilig in seine Hosen und machte die Knöpfe zu. Dann warf er sich erst noch ein Hemd über, bevor er unfreundlich rief: »Was ist los? «
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit, und Harry steckte seinen Kopf herein. Seine Augen weiteten sich bei dem Anblick von Jon, der gähnte und völlig zerzauste Haare hatte. Offensichtlich kam er gerade aus dem Bett. Angesichts Harrys deutlichen Amüsements verfinsterte sich Jons Gesichtsausdruck noch mehr.
»Nun? « bellte er.
»Verzeihung, Kapitän«, sagte Harry hastig und hatte Mühe, sein Grinsen zu unterdrücken. »Die Mannschaft machte sich schon Sorgen um Sie. Einige von ihnen haben so einen Lärm hier drin gehört in der letzten Nacht und... nun... sie dachten, daß sie Sie vielleicht getötet hat, als Sie heute morgen nicht an Deck kamen, Sir. «
»Sehr witzig«, sagte Jon säuerlich. »Sie können jedem, der daran interessiert sein sollte, ausrichten, daß ich immer noch lebe. Und wenn Sie sich nicht sofort Ihr verdammtes, schmieriges Grinsen vom Gesicht waschen, gibt es Sie bald nicht mehr.«
»Ja, Sir, Kapitän, Sir!« Harry grinste jetzt ganz offen und wollte sich zurückziehen. Dann hielt er noch einmal inne. »Oh, wo wir gerade dabei sind, Captain, Ihr Gesicht ist allerdings die reinste Freude!«
»Raus hier!« brüllte Jon. Harry trat hastig den Rückzug an.
»Ist irgendwas nicht in Ordnung?« Cathy rappelte sich hoch, denn Jons wütender Schrei hatte sie aufgeweckt. Jon drehte sich grimmig zu ihr um. Mit ihren langen, goldenen Haaren, die in schimmernden Wellen über ihren nackten Körper fielen, und ihren riesigen, blauen Augen war sie atemberaubend schön. Allein der Anblick ihrer sanft gerundeten Brüste, die unter der Decke sichtbar waren, brachte ihn in Erregung. O Gott, er wollte sie! Mit jeder Faser seines Körpers begehrte er sie. Jon wußte plötzlich, daß er besser dafür sorgen sollte, sie so schnell wie möglich loszuwerden. Wenn er das nicht machte, würde er vielleicht in ernsthafte Schwierigkeiten kommen.
»Nein. Schlaf wieder ein!« antwortete er kurz und war darüber verärgert, daß sie es wagte, ihn zu stören. Letzte Nacht hatte sie ihn sogar wie irgendeinen liebeskranken Idioten dazu gebracht, sich bei ihr zu entschuldigen. Langsam fing er an zu glauben, daß er vom Teufel besessen sein müßte.
»Was starrst du mich so an?« sagte er aggressiv. Dann bemerkte er, daß sie ihre Augen noch weiter aufriß, als sie sein Gesicht sah.
»Dein - dein Gesicht«, flüsterte sie, und um ihre Mundwinkel spielte ein kleines Lächeln.
»Was, zum Teufel, ist so lustig an meinem Gesicht?« Jon drehte sich um und suchte nach dem kleinen Spiegel, den er immer zum Rasieren benutzte. Da fiel ihm ein, daß Harry auch so etwas Ähnliches gesagt hatte. Mit einer Hand befühlte er vorsichtig sein linkes Auge. Es schien nur eine Kleinigkeit zu sein. Aber er hatte doch schon oft ein blaues Auge gehabt und damit niemals besondere Aufmerksamkeit erregt. Seine Haut war von der Sonne und dem Wind so dunkel, daß es schon einen sehr kräftigen Schlag bedurfte, um sie zu verfärben.
Jon fand den Spiegel und betrachtete sich darin. Der Anblick erschreckte ihn. Er sah aus wie ein Verlierer, der eine Schlägerei mit zwanzig Männern in der Bar hinter sich hatte! Sein Auge war von einem tiefen, violetten Schatten umringt, der sich in einem kranken, gelben Grün verlor. Drei lange Kratzer zierten seine Wange. Jetzt fiel ihm plötzlich wieder alles ein, und die Hand, wohin ihn die kleine Hexe gebissen hatte, fing an zu schmerzen. Auch seine Schulter schmerzte! Er warf Cathy einen bösen Blick zu, und die versuchte angestrengt, nicht zu kichern.
»Also das findest du lustig, Fräulein? « sagte er drohend und ging auf sie zu. Cathy erschreckte sich und versuchte vom Bett zu springen, aber zwei starke Arme schossen hervor und hielten sie fest.
»Nein, o nein«, quietschte sie und brach dann hilflos in gurgelndes Lachen aus. »Es tut mir leid! « brachte sie zwischen ihren Lachanfällen hervor. »Ich - ich kann wirklich nichts dafür! «
»Dir wird schon das Lachen vergehen, wenn ich dich mit an Deck nehme und deine Wunden aller Welt zeige«, drohte er ihr und wußte im selben Augenblick, daß er es nie aushalten könnte, wenn andere Männer ihre süße Nacktheit anstarrten.
»Das würdest du nicht tun!« rief Cathy, und ihre Hand flog automatisch schützend an ihre Rückseite.
»Ich könnte es«, warnte er sie.
»Ich werde nicht mehr weiter lachen« versprach sie, nur um in einen neuen, großen Lachanfall auszubrechen.
»Dieses Frauenzimmer«, sagte er ohne Wut und drehte sich um. Er setzte sich auf die Bettkante, um seine Stiefel anzuziehen.
»Jon«, wagte sie sich hervor, als ihre Heiterkeit etwas nachgelassen hatte. »Ich wollte dir nicht weh tun - das habe ich natürlich trotzdem getan - aber, es tut mir jetzt leid. Wirklich.«
»Wirklich?« Er drehte sich um und sah sie genau an. Cathy spürte, wie ihr Herz einen kleinen Satz machte, als sie den Ausdruck in seinen Augen sah.
»Jjja.« Cathy war sich selbst nicht einmal sicher, ob sie meinte, was sie sagte oder nicht. Es konnte einfach eine List sein, um ihn sanftmütiger zu stimmen. Es konnte aber auch ernst gemeint sein. Er hatte ihre Gefühle so durcheinandergebracht, daß sie es einfach nicht wußte. »Beweise es.«
»Wie denn?«
»Küß mich besser.« In seinen grauen Augen lag Spott, aber in ihnen war auch immer noch diese kleine, ausdauernde Flamme.
»Ich - ich - na gut.« Nach all den Intimitäten, die sie in der vergangenen Nacht geteilt hatten, war der Gedanke, von ihm geküßt zu werden, eigentlich ganz erfreulich. Cathy hielt ihr Gesicht erwartungsvoll hoch, schloß die Augen, und ihre Lippen waren in der richtigen Stellung für einen Kuß. Jon lachte kurz.
»Ich meinte, daß du mir den Kuß gibst, du Dummkopf, nicht andersherum.«
»Oh!« Cathy ließ sich auf ihre Fersen zurückfallen und dachte schnell nach. Sie war erstaunt, daß ihr die Idee trotz aller Verletzungen, die er ihr zugefügt hatte, gefiel. Das Spiel wurde langsam gefährlich. Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie gewinnen oder verlieren wollte beziehungsweise was überhaupt Gewinnen oder Verlieren war. Aber alles, was ihn offener für sie machte, mußte sich wohl zu ihrem Vorteil auswirken. Deshalb würde es genau in ihre Pläne passen, wenn sie ihm einen hingebungsvollen Kuß gäbe. Sie kniete sich neben ihn, da er immer noch auf der Bettkante saß und hielt ihren Bademantel dabei sorgfältig fest. Seine Augen verdunkelten sich, als sie ihre seidigen, weißen Arme um seinen Hals legte. Erstaunt nahm sie wahr, wie ihr eigenes Herz schneller schlug. Du darfst dein Ziel nicht vergessen, warnte sie sich selbst, als sie sich ihm näherte. Dies alles war ihre Rache...
Ihre Lippen gingen zu seinem Auge, wo sie den Schmerz mit vielen zarten Schmetterlingsküssen vertrieben und liefen dann weiter über die langen Kratzer, die ihre Nägel auf seiner Wange hinterlassen hatten. Seine Haut fühlte sich fest und hart unter ihrem Mund an. Sie schmeckte nach dem Salz der See und roch nach Mann. Cathy fing an, diesen Geruch zu lieben...
Plötzlich schlossen sich Jons Arme um sie. Seine Hand faßte in ihr langes Haar und drückte ihren Mund auf seinen. Seine Lippen ruhten hungrig, aber doch still auf ihren. Er ließ sie die Initiative ergreifen. Ihre Lippen drückten fester gegen seine, und er bewegte sich immer noch nicht. Er hielt seine Emotionen fest unter Kontrolle und ließ sie selbst lernen, was es über das Küssen zu wissen gab. Ihre kleine Zunge streichelte seine schüchtern und zog sich dann eilig zurück. Jons körperliche Reaktion war so intensiv, daß es ihn beinahe schmerzte. Er wünschte sich nichts mehr, als sie auf die Kissen zu werfen und sie bis zum letzten Atemzug zu lieben. Aber er wollte sie nicht verschrecken... Er war verblüfft, daß ihm eine Vergewaltigung längst nicht mehr so befriedigend erschien wie früher. Er wollte ihre volle, willige Mitarbeit.
»Miß?« Petershams Stimme auf der anderen Seite der Tür brachte sie abrupt auseinander. Verdammt, dachte Jon frustriert und beschloß dann mit einer Grimasse, daß es wohl gut so sei. Das Weibsbild fing an, ihm wirklich unter die Haut zu gehen. Er mußte unbedingt raus an die frische Luft, sonst würden noch Hoffnungen in ihm erwachen. Er erhob sich vom Bett und ging mit einem schnellen Blick über die Schulter zur Tür. Auf ihren Lippen lag ein verdammt irritierendes, kleines Mona-Lisa-Lächeln. Sie sah sehr selbstzufrieden aus, und Jon fing an, sich zu fragen, ob sie ihn hereingelegt hatte...
»Ich sollte dich über Bord werfen«, sagte er langsam und seine Worte waren schwer und ernst. »Hexen ersäuft man.«
»Das würde nichts nützen. Hexen können schwimmen.« Sie rümpfte schnippisch die Nase. Jon lächelte nicht einmal.
»Kapitän Jon! Hallo! Ich wußte nicht, daß Sie immer noch in Ihrer Kabine sind. Sind Sie krank?« rief Petersham aus, denn er war konsterniert, als Jon die Tür aufriß. Seine Augen weiteten sich, als er das mißhandelte Gesicht des Kapitäns sah. Aber er verkniff sich schnell den Kommentar, der ihm auf der Zunge lag. Manche Dinge ignorierte man besser.
»Nein, ich bin nicht krank«, antwortete Jon kurz und warf Petersham einen finsteren Blick zu. Die Gedanken des alten Mannes waren nur zu offensichtlich. »Ich hatte heute morgen - äh - etwas hier unten zu tun.«
»Ich verstehe, Sir. « Petersham erlaubte sich ein kleines Lächeln. Jon stieß einen Fluch aus und ging irritiert an seinem Diener vorbei.
»Ich bringe Ihr Frühstück, Miß. « Petersham betrat eilfertig die Kabine. Nachdem er Jons Zustand gesehen hatte, wollte er auf keinen Fall Miß Cathy sehen. Der Boß war ein starker Mann, und bei seinem wütenden Temperament würde er eine solche Behandlung nicht gerade freundlich aufgenommen haben. Er rechnete also damit, daß das Mädchen ähnlich aussehen würde. Er traute seinen Augen nicht, als sie ihn freundlich anlächelte.
»Guten Morgen, Petersham. Ich sterbe vor Hunger! Was haben Sie mir zu essen gebracht? «
Petersham setzte das Essen vor ihr ab und sah immer noch vollkommen verwirrt drein. Seines Wissens nach hatte der Kapitän nie davor zurückgeschreckt, den Frauen gegenüber eine harte Hand zu zeigen, wenn er es für nötig hielt. Aber bei diesem Mädchen war er nachsichtig. Petersham wunderte sich zwar darüber, er verwarf jedoch den einzigen Grund, den es dafür nur geben konnte, weil er ihm so lächerlich erschien.
»Petersham! « rief Cathy laut, als er sich umdrehte, um sie mit ihrem Frühstück allein zu lassen. »Ich hätte gerne meine anderen Koffer. Man hat mir erlaubt, an Deck zu gehen. « Sie lächelte, während sie sprach.
»Sicher, Miß«, antwortete Petersham, und seine Gedanken waren ein einziges Chaos. »Ich werde sie alle herbringen lassen. Natürlich... wenn der Kapitän es erlaubt hat. «
»Natürlich«, stimmte Cathy mit zuckersüßer Stimme zu. Wenn alles gutging, würde der Kapitän bald all ihren Wünschen zustimmen. Wie sie sich darauf freute! Sie würde ihn kriechen lassen!
Die beiden Seeleute, die am Abend zuvor ihr Bad hereingetragen hatten, brachten jetzt auch ihre Koffer. Sie benahmen sich sehr respektvoll, aber als Cathy sich bei ihnen bedankte, grinsten sie ihr verschmitzt zu. Was war denn so lustig? Cathy war verwirrt. Sie blickte an sich herunter und versicherte sich, daß sie ordentlich bekleidet war. Das konnte es nicht sein. Cathy schüttelte den Kopf und machte sich weiter keine Gedanken darum. Die Männer waren schon merkwürdige Kreaturen.
Die nächste Stunde verbrachte sie damit, ihre Kleider durchzusehen. Ihre Unterwäsche war sauber gefaltet und wurde im Schrank untergebracht. Sie mußte einige von Jons Hemden umräumen, um Platz für ihre eigenen Sachen zu schaffen. Sie stopfte sie einfach in eine der Seekisten. Er würde sicher keine Einwände haben, denn er war nicht besonders pingelig mit seinen Kleidern. Ein paar ihrer eigenen Kleider, die nicht zu sehr verknittert waren, hängte sie ebenfalls in den Schrank. Den Rest warf sie über das Bett. Sie mußten gebügelt werden -falls die >Margarita< etwas so Zivilisiertes wie ein Bügeleisen an Bord haben sollte... Jon erwartete von seiner Garderobe nur, daß sie sauber war, und manchmal schien ihm selbst das nicht besonders wichtig zu sein.
Sie suchte ein weißes Tageskleid aus Musselin heraus, das mit kleinen mintfarbenen Blättern übersät war. Es war genau das richtige. An der Taille wurde es von einem grünen Seidenband gehalten, das auf dem Rücken zu einer üppigen Schleife gebunden war. Passende kleine grüne Schuhe und einen flachen Hut hatte sie auch dazu. Der Hut verlieh dem Ganzen genau das sogenannte Tüpfelchen auf dem I, dachte sie, als sie ihr Bild in dem langen Spiegel an der Innenseite der Schranktür bewunderte. Die leichte grüne Farbe des Hutes hob ihr goldenes Haar hervor und ließ ihre Augen noch blauer erscheinen. Die einfache Machart des Kleides lenkte die Aufmerksamkeit auf ihre schmale Taille und die runden Kurven über und unter ihr. Sie war sich sicher, daß Jon davon überwältigt sein würde. Auch das war ein notwendiger Teil ihres Plans.
Während dieser Nacht hatte er sie noch zweimal geliebt. Wenn sie ehrlich war, mußte sie zugeben, daß er recht hatte: Es wurde immer besser, je länger man es tat. Aber das Wissen, daß er ihren Körper benutzen konnte, wann immer er es wollte, ärgerte sie immer noch. Ihr Stolz verlangte danach, ihn auf den Knien zu sehen. Und wenn er sich in sie verliebte, würde das am ehesten passieren. Sie wußte es genau.
Es war schon nach Mittag, als Cathy hinauf an Deck ging, und die Sonne brannte in senkrechter Linie herunter. Sie mußte in dem gleißenden Licht einen Moment lang die Augen schließen. Dann hob sie ihr Gesicht der Sonne entgegen und genoß die Hitze auf ihrer Haut. Als sie die Augen wieder öffnete, blickte sie in einen strahlendblauen Himmel, der mit kleinen weißen Wölkchen übersät war. Eine milde Brise kühlte die Luft. Die >Margarita< schaukelte so sanft wie eine Wiege auf und ab, und ihre Takelage bewegte sich leicht im Wind an den knarrenden Masten. Cathy fühlte sich plötzlich wunderbar. Es war gut, wieder draußen und am Leben zu sein!
»Lady Catherine.«
Cathy drehte sich um und stand dem jungen Mann gegenüber, der ihr zu Anfang, als sie an Bord der >Margarita< gebracht worden war, seine Hilfe verweigert hatte. Ihre gute Laune verschwand ein wenig. Seine Gegenwart war eine nagende Erinnerung daran, daß sie nach allem immer noch Gefangene auf diesem Schiff war. Sie war den Anordnungen und dem guten Willen des Kapitäns somit ausgeliefert. Bei diesem Ge-danken hob sie ihren Kopf, und ihre Augen blitzten. Nicht mehr lange, schwor sie sich.
»Meine Dame, Komplimente und all das vom Kapitän, und Sie möchten doch bitte zu ihm auf das Achterdeck kommen. Er sagt, daß die Luft da oben für eine junge Lady gesünder ist.«
Cathy blickte hochmütig auf ihn herab. Er war nicht annähernd so besorgt um ihre Gesundheit gewesen, als er das letzte Mal mit ihr gesprochen hatte. Er hatte sie im Gegenteil direkt in die Höhle des Löwen geschickt! Aber mittlerweile wußte sie, daß dieser Löwe sehr viel Macht hatte. Und der Schutz des Löwens erlaubte es ihr, niedere Kreaturen wie den Mann, der vor ihr stand, zu ignorieren.
Sie drehte sich angelegentlich um, so als ob sie plötzlich von akuter Taubheit befallen wäre. Ihre Augen wanderten nachdenklich über das Deck. Die Männer hatten alle ihre verschiedenen Tätigkeiten niedergelegt und starrten sie an, wie eine Meute von Hunden einen besonders saftigen Knochen anstarren würde. Cathy erschauerte unter so vielen gierigen Augen. Es bestand kein Zweifel daran, was in ihren Köpfen vorging! Sie war sicher, daß diese Männer sie wie ein Stück Zucker herumgereicht hätten, wenn sie nicht unter Jons Schutz gewesen wäre. In Anbetracht solcher Möglichkeiten erschien ihr das tatsächliche Schicksal beinahe erträglich.
»Meine Lady«, hob Harry nochmals verzweifelt an, als ihn ein wütendes Gebrüll vom Achterdeck unterbrach.
»Harry! Hör auf, da unten zu trödeln und komm sofort herauf. Die übrigen Männer gehen zurück an die Arbeit! Ihr habt noch genug Zeit für Flirts, wenn wir den nächsten Hafen angelaufen haben.«
»Jawohl, Käptn, das haben wir. Aber die Frage ist, ob wir dort ein so außergewöhnlich hübsches Exemplar fin-den werden! Mit einem Tiger zu schlafen ist verdammt viel besser, als mit einer zahmen Katze im Bett zu liegen, nicht wahr, Jungs?«
Der Witz wurde von Beifall und Lachern gefolgt. Sogar Jon lachte, was Cathy irritiert bemerkte, als sie ihr gerötetes Gesicht in seine Richtung wandte. Wilde Tiere waren sie alle hier! Ihre Brutalität und Obszönität machten sie beinahe krank! Offensichtlich hatten die Männer genau erkannt, was der Grund für die Wunden in Jons Gesicht gewesen war, und sich einige Zeit lang darüber lustig gemacht. Sollten sie doch denken, was sie wollten! Sie dachte gar nicht daran, sich vor einer Bande von Piraten zu schämen!
Jon machte plötzlich ein finsteres Gesicht. Er hatte erst jetzt den vollen Glanz ihres Kleides, das tief ausgeschnitten und so dünn wie die Luft selbst war, erblickt. Cathy sah ebenso finster zurück. Wie konnte er es zulassen, daß seine Männer sie zum Objekt ihrer verdorbenen Witze machten! Sie starrte ihn hochmütig an, während sie die hölzernen Stufen, die auf das Achterdeck führten, erklomm. Er sah hart und wütend aus. Seine Beine waren fest gegen das Deck gestemmt, um ihn auf dem ununterbrochen schwankenden Schiff aufrecht zu halten. Seine Hände lagen auf der Reling. Der Wind hatte sein dunkles Haar zerzaust. Er trug ein weißes Hemd, das bis zur Hüfte offenstand und seine schweißnasse Brust dem Wind aussetzte. In seinem Gürtel, der über der trainierten Taille lag, steckten Pistolen und ein langes Messer. Seine langen Beine steckten in engen, schwarzen Hosen. Im stillen war Cathy dankbar, daß er nicht ganz so furchteinflößend aussah wie in dem Moment, als er sie von der >Anna Greer< mitgenommen hatte. Sie wäre hoffnungslos verängstigt gewesen!
»Du siehst aus wie ein Pirat«, beklagte sie sich, als sie zu ihm auf das Achterdeck trat.
»Ich bin einer«, antwortete er kurz. »Eine Tatsache, die du nicht vergessen solltest, Süße, oder ich bin gezwungen, dich daran zu erinnern.«
Diese kurze Warnung brachte Cathy zurück in die Realität. Die Freundlichkeit an diesem Morgen und seine leidenschaftliche Liebe in der Nacht zuvor! Sie war sich sicher gewesen, daß er ihr bald aus der Hand fressen würde. Plötzlich schien das nicht mehr so klar zu sein. Er hatte viele Frauen gehabt. War ihr zweifellos wunderbarer Körper stark genug, um ihr die Oberhand in dieser Beziehung zu geben? Sie wußte es nicht. Aber es war der einzige Trumpf, den sie in der Hand hielt, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn auszuspielen.
Sie lächelte kokett zu ihm hoch, bemerkte aber, daß seine Aufmerksamkeit gar nicht auf sie, sondern auf einen weit entfernten Punkt am Horizont gerichtet war.
»Hältst du nach meinen Rettern Ausschau?« stichelte sie.
Er sah sie nur kurz und ausdruckslos an und blickte dann wieder in eine andere Richtung.
»Deine Retter, wie du sie nennst, haben uns im Sturm verloren. In den letzten Tagen kam kein Zeichen mehr von ihnen. Außerdem hat die >Margarita< in der Zwischenzeit einen völlig anderen Kurs aufgenommen, und es ist nicht wahrscheinlich, daß ich dich auf so zufriedenstellende Weise loswerde.«
»Wenn du mich unbedingt loswerden wolltest, warum hast du mich dann in der ersten Nacht nicht in einem dieser kleinen Boote abgesetzt? Ich bin sicher, daß mich die königliche Flotte mit Vergnügen aufgefischt hätte.«
»Ja, aber ich konnte dich in dieser ersten Nacht sehr gut gebrauchen.« Der teuflische Blick in seinen Augen sagte Cathy deutlich, was er damit meinte. Ihre Wangen wurden wieder rot, und sie blickte sich schnell um, ob irgend jemand in der Nähe war, der sie gehört haben könnte. Da waren nur Harry und ein älterer, dicker Seemann, und beide waren verbissen auf ihre Arbeit konzentriert. Etwas in ihrem Gesichtsausdruck wies jedoch darauf hin, daß sie die Unterhaltung zwischen ihr und Jon mit größtem Interesse verfolgten. Cathy war sich sicher.
»Ich bemerke, daß es dich gar nicht interessiert, welches Schicksal deine befreundeten Gefangenen teilen.«
Sie richtete ihren Blick wieder auf ihn.
»Ich - warum - natürlich interessiert es mich«, sagte sie mit schlechtem Gewissen. In Wahrheit war sie viel zu sehr mit ihrer eigenen Sicherheit beschäftigt gewesen, um sich Gedanken um die anderen ihr ziemlich fremden Menschen zu machen. Aber Jon mußte das ja nicht unbedingt wissen. »Ich nahm doch an, daß du vorhast, eine Menge Geld von ihren Verwandten zu erpressen und daß du in deinem eigenen Interesse für ihre Sicherheit sorgst. War das falsch?«
»Nicht falsch, mein Kätzchen«, knurrte er, »nur ein wenig zu spitz. Das würde so manchem leid tun.«
Cathy war wegen der plötzlichen und unerklärlichen Veränderung in seinem Verhalten ihr gegenüber völlig konsterniert. Was war nur mit ihm los? Sie hatten sich nicht gestritten. War er aus irgendeinem Grund, den sie nicht kannte, wütend auf sie? Nun, sie würde nicht nachgeben! Egal, was er machte!
»Tun Sie, was Sie für nötig halten, Kapitän«, sagte sie kalt. »Ich habe immer wieder gehört, daß Piraten als gewalttätige, blutrünstige Leute gefürchtet sind!«
»Und hat man dir nie gesagt, daß Stolz vor dem Fall kommt, meine Lady?« Seine Stimme war hart. »Ein einzi-ger Hieb mit der Peitsche auf der nackten Rückseite würde dich auf die Knie bringen. Du würdest um Gnade flehen!«
»Aber dann würdest du dich um dein Vergnügen bringen, nicht wahr, Kapitän?« Cathy lächelte triumphierend und wußte, daß sie an diesem Punkt getroffen hatte. Er würde sie nicht peitschen, aus dem einfachen Grund, daß er dann nicht mehr mit ihr schlafen konnte. Die Selbstsüchtigkeit und die Lust dieses Rohlings waren ihr Schutz.
»Würde ich?« Er lächelte langsam. »Wenn man dich auspeitschen würde, könnte das mein Liebesspiel nicht besonders beeinträchtigen. Für dich wäre es natürlich ein wenig schmerzhaft, aber Piraten sind an dem Komfort ihrer Gefangenen notorisch desinteressiert.«
»Du...«, begann Cathy. Sie hielt jedoch inne, da Harry zu ihnen an die Reling trat. Jon sah ihn ungeduldig an, und Harry fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut.
»Entschuldigen Sie, Kapitän, aber es ist Zeit, daß die Gefangenen für ihren täglichen Spaziergang an Deck gebracht werden. Soll ich mich darum kümmern?«
»Ja«, antwortete Jon brüsk und drehte sich dann um.
Cathy stand da und biß sich auf die Lippen, während sie auf seinen breiten Rücken sah. Nun würde man die, die ihr Unglück teilten, herbringen. Sie starrte die Gefangenen, die da taumelnd die Treppe zum Vorderdeck erklommen, nur an. Ihre Situation beschäftigte Cathy immer noch weitaus weniger als Jons Verhalten. Dann sah sie genauer hin. Alle drei blinzelten in das gleißend helle Sonnenlicht. Ihre Gesichter waren bleich und dünn, ihre Kleider dreckig und verknittert. Sie sahen aus, als hätten sie seit ihrer Gefangennahme keine ordentliche Mahlzeit und keine Wäsche mehr gehabt. Das war jetzt fast eine Woche her. Cathys Mund formte ein kleines »Oh!« des schockierten Erstaunens. Selbst wenn sie ab und zu einen Gedanken an ihre Mitgefangenen verschwendet hätte, dann hätte sie angenommen, daß sie so ähnlich wie sie selbst untergebracht waren; mit dem einzigen Unterschied, daß sie mit niemandem das Bett teilen mußten. Jetzt sah sie ihren Fehler. Sie hatte - abgesehen von einem gewissen Detail - ein wesentlich besseres Schicksal als die anderen gehabt.
Sie war jetzt wirklich entsetzt, daß Jon diese Leute so unmenschlich behandelt hatte.
Mit hoch erhobenem Kopf und entschlossen gerafften Röcken fing sie an, vom Achterdeck herunterzusteigen. Jon rief sofort hinter ihr her, aber sie ignorierte ihn mit einer verächtlichen Kopfbewegung. Was konnte er ihr nach allem noch antun, das er nicht schon getan hatte? Die Erwähnung der Peitsche fiel ihr ein, aber sie ignorierte sie. Er würde schon merken, daß sie nicht so leicht klein beigab!
»Ihre Hoheit?« Cathy hatte schnell das Deck überquert und stand nun an der Seite der Duchesse. Die alte Frau drehte ihren Kopf und lächelte dann ein wenig, als sie sah, von wem die Worte kamen. Doch ihr Gesicht blieb traurig.
»Lady Catherine! Ich bin froh zu sehen, daß es Ihnen so gut geht. Ich hatte schon angefangen, mir Sorgen um Sie zu machen, als man Sie nicht zu uns brachte.«
»Man hat ihr offensichtlich ein wärmeres Plätzchen angeboten«, sagte die Frau des Händlers schneidend und musterte Cathy von oben bis unten, als sei das Mädchen geradewegs vom Mond gekommen. Die Dame war jetzt nicht mehr ganz so fett wie zuvor. »Ich sehe, daß sie Ihnen wenigstens die Möglichkeit gegeben haben, Ihre Kleider zu wechseln, meine Lady. Nun, die
Duchesse und ich haben eben nicht die gleichen Vorzüge wie Sie! «
»Sie werden bitte die Freundlichkeit haben, still zu sein, meine Dame«, sagte die Duchesse mit der Autorität, zu der sie ihre hohe Stellung berechtigte. »Wenn Lady Catherine besser als wir dran war, war das sicher nicht ihr Fehler. Wenn sie nicht besser dran war, nun -dann war es auch nicht ihr Fehler. «
Miß Grady drehte sich schmollend weg. Die Duchesse sah Cathy offen an. »Bist du schlecht behandelt worden? « fragte sie mit leiser Stimme.
Cathy fühlte, wie ihre Wangen rot wurden, und sie antwortete so ruhig wie möglich: »Nein, Ihre Hoheit, nicht - nicht wirklich. «
Im allgemeinen verachtete Cathy Lügen, aber gefühlsmäßig war ihr klar, daß ihre ganze Zukunft davon abhing: Niemand durfte wissen, was ihr tatsächlich widerfahren war. Der Ruf, vergewaltigt worden zu sein, war vernichtend. Man hatte ihr beigebracht, daß all ihre Hoffnungen auf eine brillante Heirat beziehungsweise auf jegliche Heirat in diesem Fall verloren wären. Im England der Königin Victoria war eine unreine, unverheiratete Frau automatisch eine Hure. Die Umstände, unter denen eine Frau ihre Unschuld verloren hatte, machten da nicht den geringsten Unterschied.
»Ich verstehe. « Die Augen der Frau betrachteten Cathys Gesicht eindringlich, aber in ihnen war kein Unglaube. Innerlich atmete Cathy erleichtert auf.
»Wo haben sie dich hingebracht, Kindchen? «
»Ich - ich - der Kapitän war so freundlich, mir seine Kabine zur Verfügung zu stellen. « Das war durchaus nicht gelogen. Sie durfte Jons Kabine benutzen. Es ging niemanden etwas an, welchen Preis er von ihr für dieses Privileg verlangt hatte.
»Das war sehr zuvorkommend von ihm. Ich muß zugeben, daß ich überrascht bin. Wahrscheinlich erinnerst du ihn an eine kleine Schwester oder auch an seine Tochter. Sogar Halsabschneider haben ihre weichen Stellen, nehme ich an. «
»Ja, ja, ich bin sicher, das ist es. « Cathy fühlte sich immer unbehaglicher. Ihre Scham mußte ihr förmlich auf der Stirn geschrieben stehen. Schnell wechselte sie das Thema. »Sagen Sie, Eure Hoheit, wie geht es Ihnen und Mr. und Mrs. Grady? «
Die Duchesse sah bedauernd an dem schmutzigen Kleid, das ihren mittlerweile knochigen Körper bedeckte, herunter. »Für uns waren die Dinge nicht so gut, wie du sehen kannst. Aber wenigstens leben wir, und ich nehme an, wir müssen Gott dankbar dafür sein. Diese Piraten denken sich normalerweise nichts dabei, unschuldige Menschen einfach umzubringen. Sie sind eine brutale, gesetzlose Bande. «
»Da haben Sie in der Tat recht, meine Dame. Wir sind brutal und gesetzlos. «
Cathy machte einen Satz, als Jons Hand hart an ihre leicht bedeckte Schulter griff. Sie hätte es sich denken können, daß er hinter ihr herkommen würde. Sein arroganter Stolz hätte es ihm niemals erlaubt, ihren Ungehorsam vor den Augen der Mannschaft durchgehen zu lassen. Die Frage war, ob er sie laufenlassen würde? Sie warf ihm über ihre Schulter einen unbewußt flehentlichen Blick zu und versuchte, sich unauffällig seinem Griff zu entziehen. Zu ihrem Erstaunen ließ er sie gehen.
»Ich freue mich, daß Sie das erkennen, junger Mann. Wenn Sie an Ihrem gegenwärtigen Lebensstil festhalten, werden Sie sicherlich irgendwann hängen. « Die Stimme der Duchesse war voller Verachtung. Jons Mund wurde hart, und Cathy hatte plötzlich Angst um die alte Frau.
Er war nicht in der Stimmung, Unverschämtheiten einfach so in Kauf zu nehmen.
»Zweifellos, meine Dame.« Cathy entspannte sich, da Jon nur mit einer leichten Ungeduld in der Stimme antwortete. »Aber meine Männer und ich ziehen es auf jeden Fall vor, zu hängen, anstatt zu verhungern.«
Die Duchesse starrte Jon eisig an. Sie war eine alte Frau, deren Leben sich sowieso dem Ende neigte. Sie fürchtete den Tod nicht, aber wollte ihn auch nicht gerade einladen. Dieser Mann war ein Pirat, und genaugenommen war Mord sein Beruf. Also nahm sie die Unfreundlichkeit in ihrem Ton etwas zurück.
»Lady Catherine teilte mir mit, daß ihre Unterbringung etwas besser ist als unsere. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Sie ist immer noch sehr jung, und es wäre grauenvoll, wenn man ihr etwas antäte.« Ihre Worte waren eine unmißverständliche Warnung an Jon. Cathy schluckte nervös. Sicher würde er sie nicht bloßstellen! Er würde dadurch doch nichts gewinnen.
»Wie Sie sagen, sie ist sehr jung«, antwortete er langsam mit ausdruckslosem Gesicht. »Ich dachte, es wäre das beste, sie außer Gefahr aufzubewahren. Was die Unannehmlichkeiten Ihrer Unterbringung betrifft, tut es mir wirklich sehr leid. Sie müssen wissen, daß die >Margarita< kein Vergnügungsdampfer ist.«
»Das ist offensichtlich, junger Mann. Wann dürfen wir damit rechnen, freigelassen zu werden?«
»Das wird sobald wie möglich arrangiert, wenn wir einen Hafen erreicht haben. Wahrscheinlich in ungefähr zehn Tagen.«
»Ich versichere Ihnen, Kapitän, daß es uns nicht schnell genug gehen kann.«
»Das glaube ich wohl. Und nun müssen meine Männer wieder zu ihren Pflichten zurückkehren, meine Dame.
Wenn Sie bereit sind, wird man Sie nach unten begleiten. «
»Sicher«, sagte die Duchesse grimmig und wandte sich unverzüglich ab, um nach unten zu gehen.
Ein Seemann, der die Gefangenen bewacht hatte, ergriff ziemlich grob den Arm der alten Frau. Ein anderer stieß die beiden Gradys vor sich her wie zwei schnatternde Gänse. Cathy empfand ein beinahe körperliches Mitleid, als sie sah, wie das alte Gesicht der Duchesse einen Ausdruck müder Härte annahm. Sie mußte alles tun, was sie konnte, um zu helfen. Sonst würde sie ihr Gewissen niemals in Ruhe lassen.
»Wartet! « rief sie impulsiv. Dann sagte sie zu Jon: »Sie können sie nicht so barbarisch behandeln! Es ist brutal, inhuman! Wenn sie weiter so unfreundlich behandelt werden, bestehe ich darauf, mit ihnen zu leiden! «
Jon sah sie von Kopf bis Fuß an. Cathy vereiste förmlich unter seinem harten Blick, aber sie blickte ihn unbeirrt an. Es war möglich, daß er sie beim Wort nehmen würde und sie zu den anderen nach unten bringen ließe. Wenn das geschah, hatte sie ein gutes Essen und ein weiches Bett für ihre Ehre eingetauscht. Im anderen Falle konnte sie sich ihm verweigern und so erzwingen, daß er die anderen Gefangenen angemessen beherbergen und ernähren würde. Natürlich konnte er jederzeit auch Gewalt gegen sie anwenden. Aber sie hatte neuerdings den Verdacht, daß er das sehr unbefriedigend finden würde. Jedenfalls hoffte sie das.
»Was hast du gesagt? « Seine Stimme war beängstigend sanft und nur für ihre Ohren bestimmt. Cathy funkelte ihn wütend an.
»Ich verlange, daß Sie die anderen Gefangenen ordentlich behandeln. Sie gehen brutal mit ihnen um.
Wenn sie weiter hungern müssen und eingesperrt werden, möchte ich, daß man mich ebenso behandelt!«
»Meine Süße, wenn du darauf bestehst, eingeschlossen zu werden und zu hungern, habe ich keine Einwände. Aber das wird auf meine Anordnung hin geschehen, nicht auf deine.«
Seine Stimme war immer noch leise. Cathy hoffte, daß die anderen die selbstverständliche Nähe, die seine Wort begleitet hatte, nicht gehört hatten. Die Vernunft sagte ihr, daß sie sich zurückziehen sollte, solange es noch in Ehren möglich war. Ihr Stolz hielt sie davon ab.
»Man sollte uns alle in der gleichen Weise behandeln«, fuhr sie rücksichtslos fort. »Wenn man mich gut ernährt und beherbergt, sollte man das gleiche auch mit ihnen machen.«
Jon schüttelte den Kopf. »Du lernst nicht sehr schnell, nicht wahr, Schätzchen? Ich bin Kapitän auf diesem Schiff, und ich gebe die Anordnungen. Bilde dir nicht ein, daß du mir Befehle geben kannst, nur, weil du das Bett mit mir teilst.«
Cathy schnappte nach Luft und blickte schnell über ihre Schulter. Sie hoffte, daß seine deutlichen Worte überhört worden waren. Diese Hoffnung war vergeblich. Mr. und Mrs. Grady beäugten sie mit schockierter Neugier, während die Augen der Duchesse Bedauern aussprachen. Cathy wurde feuerrot. Obwohl sie selbst die Aufmerksamkeit auf ihre Entehrung gebracht hatte, wollte sie es sich nicht zugeben. Sie haßte Jon jetzt mehr dafür, daß er ihre Scham offengelegt hatte, als daß er sie verursacht hatte. Sie würde ihm das nie verzeihen, niemals!
»Ich hasse dich!« flüsterte sie wütend, als er den grinsenden Seeleuten sagte, sie sollten die anderen drei Gefangenen nach unten bringen. Er packte Cathy grob am Arm und schleifte sie in die Richtung der Kabine hinter sich her.
»Spar dir deine üble Laune, bis wir alleine sind, wenn du nichts dagegen hast«, sagte er und knirschte mit den Zähnen vor Wut. »Andernfalls bin ich gezwungen, dich in angemessener Weise zu bestrafen! «
»Du hättest das nicht sagen müssen! Ist es nicht schlimm genug, was du mir angetan hast, auch ohne daß du es aller Welt erzählst? Bist du wegen deiner Eroberungen so eitel, Kapitän, daß du aller Welt davon erzählen mußt? «
»Ich sagte, sei still! « Diesmal erreichte sie der mühsam unterdrückte Zorn in seiner Stimme. Sie tat, was er sagte, aber ihr Kinn zitterte, als er sie vor sich her in die Kabine schob.
»Das hast du absichtlich gemacht«, sagte Cathy mit zitternder Stimme, als er die Tür hinter sich zu warf.
»Das habe ich nicht! « sagte er ruhig. Er lehnte mit dem Rücken an der Tür und hatte die Arme über der Brust verschränkt. Der Ärger, der ihm Sekunden zuvor noch anzusehen war, war jetzt spurlos verschwunden. »Sie wissen es sowieso. Glaubst du, daß sie so dumm sind? «
»Sie wußten es sicher nicht, bevor du gekommen bist und es ihnen gesagt hast! « schrie Cathy. »Hast du ir- gendeine Vorstellung davon, was du gerade getan hast?
Du hast mein ganzes Leben ruiniert, das hast du getan. Niemand wird mich jetzt mehr heiraten wollen: Kein Gentleman würde die Hinterlassenschaft eines Piraten zur Frau nehmen! «
»Aber du bist ja noch gar keine Hinterlassenschaft bis jetzt. « Jon lächelte plötzlich, und seine Augen funkelten teuflisch. »Und wer weiß, vielleicht hast du Glück: ich könnte mich entschließen, dich als eine Art Haustier bei mir zu behalten. Du schnurrst manchmal sehr zu meiner Zufriedenheit mein Kätzchen. «
Cathy schnappte wütend nach Luft. »Du widerwärtiges Schwein! Denkst du, daß mein Vater nicht nach mir suchen wird? Das wird er, und er wird mich finden. Du hast die besten Chancen, wenn du mich, sobald wir Land erreichen, gehen läßt. Mein Vater ist ein mächtiger Mann. Er wird dich zwanzigmal hängen lassen für das, was du mir angetan hast! «
Sie war so wütend, daß sie kaum wußte, was sie sagte. Jons Grinsen wurde spöttisch.
»Erst einmal muß er mich kriegen, kleines Kätzchen, und das wird schwierig werden. Die Leute versuchen das schon seit Jahren, und ich stehe immer noch hier. Wie kommst du darauf, daß dein allmächtiger Vater das schafft, worin so viele andere versagt haben? «
»Er wird. Das ist alles. « Mehr fiel Cathy als Antwort nicht ein. Sie schleuderte diese Worte zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor, damit sie weniger albern klangen.
»Wahrscheinlich versucht er es nicht einmal, wenn du ihm ein paar Worte zusendest, die besagen, daß du aus freiem Willen bei mir bleiben willst. «
Jon hatte dies fast nebensächlich gesagt, aber seine Augen waren plötzlich eindringlich auf Cathys rotes Gesicht gerichtet. Sie war zu ärgerlich, um es zu bemerken.
»Bei dir bleiben! « Sie lachte verächtlich. »Das kannst du nicht im Ernst meinen! Denkst du, daß ich meine ganze Zukunft aufgebe, meine Familie, meine Freunde? Alles nur, um bei einem Mann zu bleiben, der nichts Besseres zu tun hat, als unschuldige Mädchen zu vergewaltigen? Ein Mann, der mordet und raubt, der hilflose alte Frauen verhungern läßt? Du mußt wirklich eine sehr hohe Meinung von deinen Fähigkeiten im Bett haben, Kapitän. Wenn du meine Meinung hören willst, ich bin dagegen! «
»Du bist ein eingebildetes, kleines Mädchen, nicht wahr? « sagte Jon, und seine Augen glitzerten merkwürdig. »Wie kommst du darauf, daß ich dich bei mir behalten würde? Ich erwähnte nur eine Möglichkeit. Sobald wir einen Hafen erreichen, gibt es haufenweise andere Frauen, um mein Bett zu wärmen. Frauen, die einen Mann viel besser befriedigen können als du. Dem Himmel sei Dank! Du wirst dann überflüssig werden. «
Cathy starrte ihn an. Sie war zu betroffen über diese Abwertung ihrer Person, als daß ihr eine Antwort eingefallen wäre.
»Und«, fuhr Jon kühl fort, »was den Rest deiner Bemerkungen anbetrifft: Ich werde sie Punkt für Punkt beantworten. Erstens dachte ich, wir hätten uns darüber geeinigt, daß es keine Vergewaltigung war. Zum zweiten stehle ich, um zu überleben. Wenn du jemals Hunger gehabt hättest, wärest du etwas verständnisvoller. Drittens: Wenn ich meine Gegner nicht töte, töten sie mich. Und ich ziehe es einfach vor, zu leben. Und als letztes möchte ich dich noch informieren, daß die Rationen der >Margarita< sorgfältig vor jeder Reise kalkuliert werden, so daß für uns genug da ist, um hin und zurück zu kommen, aber nicht mehr. Wir haben keinen Platz für so viele Lagerräume. Als wir die >Anna Greer< übernahmen, waren unsere Nahrungsmittel-Bestände bereits niedrig. Wir waren dem Schiff einige Tage länger gefolgt, als ich ursprünglich geplant hatte, weißt du. Wenn deine drei Freunde sich satt essen dürften, dann hätten meine Männer nicht genug. Nur, daß du es weißt. Die Gefangenen können uns nicht dabei helfen, das Schiff zu segeln. Sie kriegen genug, um Körper und Seele zusammenzuhalten, und wir werden den Hafen erreichen, bevor sie wirklich Schaden nehmen. Du kannst froh sein, daß ich von deinen weichen Formen so eingenommen war, daß ich sie in ihrem Zustand belassen wollte. «
»Ich verachte dich und hasse dich«, sagte Cathy nach einer langen Pause langsam. »Du hast das härteste Herz, das ich jemals erlebt habe. Wenn du überhaupt eines hast, was ich langsam bezweifle. «
»Du brauchst niemals zu fürchten, daß ich keines habe! « Seine langen Wimpern verdeckten jetzt seine Augen. »Aber ich bin auch klug genug zu wissen, daß ich für mich und die Meinen Sorge tragen muß, weil ich der einzige bin, der das tut. Das wirst du noch lernen, wenn du älter wirst, mein Kind. «
»Ich bin kein Kind mehr, und das habe ich dir zu verdanken«, antwortete Cathy bitter. »Du hast dafür gesorgt, daß ich schnell erwachsen wurde. «
»Und ich habe jede Minute deiner Erziehung genossen. « Das spöttische Licht war jetzt wieder in seinen Augen. Cathy drehte ihm den Rücken zu. Sie war zu traurig, um weiter zu streiten. Sie ging hinüber zum Fenster und starrte wie gebannt hinaus.
»Würdest du mich bitte alleine lassen? Ich möchte gerne eine Weile für mich sein. « Ihre Stimme war eisig.
»Dann sollst du auch allein sein, meine Lady, für eine Weile selbstverständlich nur. Gewöhn dich nicht zu sehr an die Einsamkeit. Denk daran, daß sie nur vorübergehend ist. «
Cathy preßte ihre Lippen zusammen und würdigte seine Stichelei nicht einmal einer Antwort. Sie hörte, wie sich die Tür hinter ihr öffnete und wieder schloß. Hinter dem Fensterglas verteilte das Sonnenlicht glänzende, sich immerzu verändernde Schuppen auf den weichen Wellen. Cathy sah mit blinden Augen hin. Sie fühlte sich zerschmettert und jeder Empfindung entleert. Das erste Mal wurde ihr wirklich bewußt, mit welcher Absolutheit sie der Gnade des Piraten-Kapitäns ausgeliefert war. Dann lächelte sie grimmig. Nur ein Narr würde Gnade von einem gnadenlosen Mann erwarten.