9. Kapitel
Jon glaubte, daß ihn seine Wut zerreißen würde. >Diese verdammte, kleine Hure!< dachte er rasend. Er hatte angefangen zu glauben, daß sie anders war, süß und unschuldig. Er hatte sogar gedacht, daß er ihr mittlerweile etwas bedeutete. »Narr!« verfluchte er sich selbst. Er hätte wissen müssen, daß alle Frauen gleich sind. Wie ein liebestrunkener Hohlkopf hatte er es diesem hübschen Gesicht erlaubt, ihn an der Nase herumzuführen. Es trieb ihn zur Weißglut, wenn er daran dachte, welche atemlosen Zärtlichkeiten ihm diese kleine Nutte gerade noch zugeflüstert hatte, während sie bereits vorhatte, danach heimlich einen anderen Mann zu treffen. So nicht, schwor er sich grimmig. Er würde sie mit seinen bloßen Händen zerlegen. Und was Harry betraf... Jon lächelte wild. Es würde ihm wirklich ein Vergnügen sein! Cathys erschrecktes Rütteln an Harrys Schultern zeigte schließlich Wirkung. Er ließ sie los, starrte in ihr weißes Gesicht und wollte anfangen zu sprechen. Aber ihr Blick ließ ihn herumfahren. O Gott! Jon! Er sah wütender aus, als Harry ihn jemals zuvor gesehen hatte. Sein dunkles Gesicht war rot angelaufen, und der Muskel unter seinem Kiefer sprang unbeherrscht hin und her. Seine grauen Augen blickten Harry wie der Tod selbst an. Harry spürte, wie aus seinem eigenen Gesicht jede Farbe verschwand. Im stillen dankte er Gott dafür, daß Jon noch nicht wieder im Besitz seiner vollen Kräfte war.
Wie auf einem geisterhaften Gemälde standen die drei eine ganze Weile eingefroren da. Cathy fand schließlich als erste wieder zu sich zurück. Sie lief hinüber zu Jon und ergriff seinen Arm.
»Es ist wirklich nicht so, wie es aussieht«, sagte sie ihm eindringlich. Diese eiserne Ruhe in seinem Gesicht und diese schrecklichen Augen jagten ihr mehr Angst ein, als jeder Wutanfall es vermocht hätte. »Jon, du mußt mir glauben! Ich kann das erklären, Liebster...!«
Als Jon Cathy jetzt ansah, waren seine Augen wie glühende Kohlen aus der Hölle selbst. Das liebevolle Wort, das sie ihm mit ihrer zarten, falschen Stimme eben gesagt hatte, traf ihn bis ins Innerste. Der Schmerz war so intensiv, daß er ihn krank machte.
»Du verlogene, kleine Hure!« sagte er sanft.
Der Arm, den sie ergriffen hatte, stieß sie brutal zurück, und Cathy taumelte, bevor sie hart auf die Deckplanken fiel. Sie schrie laut auf. Sofort wollte Harry ihr zu Hilfe eilen. Jon schnitt ihm jedoch den Weg ab.
»Rühr sie nicht an, du verdammter Bastard«, preßte Jon zwischen den Zähnen hervor. Seine Stimme war eiskalt, und seine Hände spannten sich bereits in der Erwartung auf Harrys Kehle. Harry fuhr zurück. Normalerweise hätte er keine Chance gegen Jon gehabt, aber bei dem geschwächten Zustand des Kapitäns... Wer weiß, dachte er. Der Haß konnte sogar den zerbrechlichsten Wesen unglaubliche Kräfte verleihen. Jon sah jedenfalls aus, als sei er imstande, ihn in Stücke zu reißen. Aber Cathy brauchte ihn! Was würde Jon ihr wohl antun, wenn er mit ihm fertig war? Er wagte gar nicht, daran zu denken.
Jon tat den nächsten Schritt. Er näherte sich Harry langsam und drohend. Die Kälte in seinem Blick ließ Harry vor ihm zurückweichen. Wenn jemals der Tod aus den Augen eines Mannes gesprochen hatte, dann war das jetzt bei Jon der Fall.
Jon zog das lange Messer aus seinem Gürtel. Seine Finger streichelten beinahe zärtlich über die fein geschliffene Klinge. Harry war mittlerweile an der Reling angekommen und konnte nicht weiter. Verzweifelt blickte er sich nach einer Waffe um. Da war nichts! Er spürte, wie die Angst seine Kehle zuschnürte.
Cathy, die alles beobachtete, sprang mit einem unartikulierten Angstschrei auf ihre Füße. Sie rannte hinüber zu Jon und bekam den Arm, mit dem er das Messer hielt, zu fassen. Ihr Griff ließ sich nicht abschütteln.
»Jon, das kannst du nicht tun!« schrie sie ihn außer sich an. »Harry hat nichts getan! Du darfst ihn nicht töten! Ich war es! Ich sage dir, ich war es!«
Diese Lüge war alles, was ihr noch einfiel, um Harrys Leben zu retten. Ein Kuß war es nicht wert, einen Mann zu töten! Jon brauchte nur etwas Zeit, um über seine wilde Wut hinwegzukommen. Dann würde er ihr zustimmen, das wußte sie. Aber in der Zwischenzeit mußte er daran gehindert werden, etwas zu tun, was er sein ganzes Leben lang bereuen würde.
Mit ihren Worten hatte sie es tatsächlich geschafft, Jons Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er starrte sie an, erst voller Verwunderung, dann voller Wut. Dieser weiche, zitternde Mund hatte ihn noch vor weniger als einer Stunde verrückt gemacht... Jetzt machte er ihn auf eine ganz andere Weise verrückt! Seine Augen blitzten, und er ergriff ihre Haare. Cathy schnappte nach Luft, als ihr Kopf plötzlich zurückgerissen wurde. Einen Moment lang befürchtete sie, daß ihr Hals verrenkt wäre. Jon hielt sie brutal fest und seine große Hand fügte ihr mit voller Absicht Schmerzen zu. Er zog an den seidigen Strähnen und zwang sie, ihren Kopf an seine Schulter zu lehnen und ihm ins Gesicht zu sehen. Cathy versuchte nicht, sich zu wehren. Trotz seiner Wut glaubte sie nicht, daß er sie wirklich verletzen würde. Aber wenn sie ihm jetzt Widerstand leistete, würde ihn das vielleicht zu einer Affekthandlung verleiten.
Die harte Linie seines Mundes legte sich auf ihre Lippen, drängte sie auseinander - mit dem Ziel, sie zu verletzen. Sein Kuß sollte sie beschmutzen und erniedrigen. Er wollte ihr damit in die Erinnerung einprägen, daß sie ganz und gar sein Besitz war und nichts anderes. Cathy zitterte unter dieser Aussage, aber statt sich zu wehren, antwortete sie ihm mit der ganzen Süße ihres Mundes. Als er sie losließ, war ein winziger Teil der Wut aus seinem Blick verschwunden.
»Sie gehört mir! « bellte er Harry an, der die Szene regungslos beobachtet hatte. Jons Brüllen kam so plötzlich, daß Cathy sich erschreckt aus seinen Armen befreien wollte. Er drehte sie um, so daß sie mit dem Rücken an seiner Brust stand und gezwungen war, Harry anzusehen. Der Arm, mit dem er das Messer hielt, lag fest um ihre Taille, und die scharfe Schneide blitzte. Harry wurde angesichts dieser Bedrohung bleich.
»Sie gehört mir! « wiederholte Jon wild. »Wenn du jemals wieder versuchst, sie zu berühren, töte ich sie auf der Stelle. Kapiert? «
Harry starrte Jon an und nickte wortlos. Er fühlte sich wie ein Verurteilter, der gerade begnadigt worden ist. Jons Augen flackerten immer noch voller Wut und wandten sich dann wieder dem zitternden Mädchen zu, dessen weichen Körper er so brutal festhielt. Grob stieß er sie von sich, und sie fiel zum zweiten Mal auf das Deck.
»Geh zurück in die Kabine, du Miststück! « schrie er. Als Cathy keine Bewegung machte, um zu gehorchen, hob er die Hand, so als wolle er sie schlagen. Cathys Augen blitzten ihn ärgerlich an, aber bevor sie noch sprechen konnte, ergriff Harry das Wort.
»Sie hat gelogen«, sagte er, weil irgendeine Macht ihn dazu zwang. »Sie hat nichts getan. Ich habe sie geküßt, und ich wollte sie nicht gehen lassen, obwohl sie versucht hat, mich dazu zu bewegen. Sie ist vollkommen unschuldig, was du auch wissen würdest, wenn du nicht so verdammt dumm wärst. Sie ist viel zu gut für dich! Du behandelst sie wie eine Hure, und sie nennt dich immer noch > Liebster. «
Jons Blick heftete sich auf Harry, und Cathy stand mit zitterndem Mund auf. Die letzte Gewalttätigkeit hatte sie verängstigt, aber auch verärgert. Sie hätte nicht gedacht, daß er sie so brutal behandeln würde, nicht jetzt, nicht nachdem... Sie preßte ihre Hand auf ihren Mund und drehte ihm den Rücken zu, um würdevoll in die Kabine zurückzugehen. Sie spürte noch, wie sich sein harter Blick förmlich in ihren Rücken bohrte.
Während Jons Blick noch auf Cathy gerichtet war, ergriff Harry die Gelegenheit, wegzulaufen. Als Jon sich wieder umdrehte, war er allein. Er stand da und starrte auf die immer dunkler werdende See, bevor er schließlich hinter Cathy herhumpelte.
»Ist das wahr? « fragte er schwer, als er sich gegen die geschlossene Kabinentür lehnte. Cathy stand in der anderen Ecke des Raumes, und ihre Augen wirkten riesig in ihrem weißen Gesicht. Sie hatte die Arme um ihren Körper geschlungen, damit er nicht zitterte. Der Blick, den sie Jon zu warf, war vernichtend.
»Ist es wahr? « wiederholte er mit einem verletzten Ausdruck in seiner Stimme. »Hat er dich gezwungen? «
»Glaub, was du willst«, sagte Cathy kalt. »Es macht keinen Unterschied für mich. «
Jons graue Augen, die jetzt eher wie Glassplitter aussahen, schienen ihren zitternden Körper zu durchbohren. Cathy starrte nicht minder wütend zurück. Wenn er sie nach der sklavischen Hingabe, die sie ihm entgegenge-bracht hatte, für eine Hure halten konnte, verdiente er keine Erklärung!
»Ich habe dich etwas gefragt. « Jons Stimme war jetzt so düster, als sei er kurz vor der Explosion. »Ich befehle dir, zu antworten. «
»Ich habe keine Angst vor dir«, schnaubte sie verächtlich.
»Das solltest du aber«, brüllte Jon und bewegte sich jetzt von der Tür weg. Cathy hielt tapfer die Stellung. Ihr Kinn war fest, und ihre Augen blitzten, als er auf sie zukam. Sie konnte es nicht verhindern, daß sie instinktiv zusammenzuckte, als seine großen Hände sich auf sie zubewegten. Sie gab jedoch keinen Laut von sich. Die Hände legten sich um ihren Hals und drückten gerade so fest in das weiche Fleisch, daß sie seine Stärke fühlen konnte. Seine Daumen zwangen ihr Kinn nach oben, bis ihr Gesicht vor seinem war. »Ich könnte dir in weniger als einer Sekunde den Hals brechen«, sagte Jon, und seine Hände griffen ein wenig fester zu.
»Warum tust du es dann nicht? « sagte Cathy kompromißlos, denn ihre Wut war größer als ihre Angst.
»Das werde ich«, versprach Jon grimmig, »wenn du meine Fragen nicht beantwortest. Hat Harry die Wahrheit gesagt? Hat er dich gegen deinen Willen geküßt? «
»Du bist schon wieder eifersüchtig, nicht wahr? « brachte Cathy mit der Absicht hervor, ihn zu verletzen. »Du bist verrückt vor Eifersucht. Nun, wie ich dir schon sagte, du hast keine Rechte über mich. Ich kann tun, was mir gefällt! «
Jons Augen wurden dunkel vor Wut.
»Cathy«, sagte er sehr sanft. »Dies ist nicht der Moment, in dem ich dich darauf hinweisen würde, etwas vorsichtig mit deiner Wortwahl zu sein. Ich will eine Antwort haben. Hat er dich gezwungen? «
»Und was, wenn ich sage, daß er mich gezwungen hat?« warf sie ein. »Wirst du mir dann glauben? Du bist doch fähig, das Schlimmste von mir zu glauben.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung des Decks über ihnen.
»Ich werde dir glauben«, flüsterte Jon nach einer langen Pause. »Gott weiß warum, aber ich werde dir glauben.«
»Also gut. Er hat mich gezwungen. Bist du zufrieden?« Ihre Stimme splitterte wie Glas.
Jon sah hinunter in ihr kleines, rebellisches Gesicht und spürte die unglaubliche Zartheit ihres weißen Halses, den er in seinen Händen hielt. Er könnte sie so einfach töten... Seine Hände spannten sich an, bis er sehen konnte, wie das Blut in ihr bleiches Gesicht strömte, da ließ er von ihr ab. Sie hatte gesagt, daß Harry sie gezwungen hatte...
»Ist das die Wahrheit?« fragte er mit brennenden Augen. Cathy starrte ärgerlich zu ihm hoch.
»Das habe ich doch gesagt. Ich meinte gehört zu haben, daß du mir glauben wolltest.«
»Also gut, also gut. Ich glaube dir.« Jon fühlte, wie der tödliche Schmerz in seinem Bauch nachließ.
Cathy blickte ihm nach, als er sich umdrehte, und sank erschöpft auf das Bett. Seine Krücke lag immer noch neben der Kabinentür, wo er sie zuvor fallen gelassen hatte. Er lehnte sich jetzt gegen die Wand, um sie aufzuheben. Dann sank er mit dem Rücken zu ihr auf die Matratze. Dort saß er, und sein Bein lag ausgestreckt vor ihm. Abwesend begann er, seinen verwundeten Oberschenkel zu massieren. Cathy wurde langsam ruhiger, während sie ihn beobachtete. Sie wollte immer noch, daß er sie liebte, und seine Eifersucht war ein sicherer Hinweis. Oder vielleicht doch nicht? Vielleicht war er einfach nur unendlich besitzergreifend.
»Tut dein Bein sehr weh? « fragte sie ihn fast widerwillig. Die breiten Schultern zuckten zusammen.
»Ich werd's überleben«, brummte er und warf einen Blick über seine Schulter. »Hat er dich je zuvor berührt? «
Cathys Widerspruchsgeist rebellierte erneut.
»Wenn du wissen willst, ob ich mit ihm geschlafen habe, dann frag doch geradeheraus. «
»Hast du? « Er drehte sich zu ihr um, und in seinem Blick lag fast so etwas wie Haß. Cathy meinte plötzlich Spuren des Schmerzes in seinen Augen zu entdecken, die nichts mit seinem Bein zu tun hatten. Es tat ihm weh! Das wurde ihr mit einem Schlag klar. Seine Brutalität entsprang einem furchtbaren Leiden. Als sie dies erkannte und sich daran erinnerte, was er ihr über seine Stiefmutter erzählt hatte, verschwand ihre Wut. Ihre Röcke raschelten, als sie durch den Raum kam und neben ihm niederkniete. Sie nahm seine langen, braunen Hände in ihre.
»Jon, ich habe niemals einen anderen Mann gehabt. « Ihre Augen ruhten fragend auf seinem skeptischen Gesicht. »Und wie du dich vielleicht erinnerst, habe ich mich dir nicht freiwillig gegeben. Du mußtest mich zwingen, nicht wahr? «
Sein Schmerz war offensichtlich zu groß, als daß er über diesen Punkt noch streiten konnte. Er nickte nur kurz.
»Wie kommst du darauf, daß ich mich jemand anderem leichter hingeben würde? « fragte sie ihn ernst. »Ich bin keine Hure, die mit jedem Mann, der sie will, gleich ins Bett fällt. Ich bin dazu erzogen worden, bestimmte moralische Grenzen zu respektieren. Du hast mir meine Unschuld genommen, aber meine Prinzipien haben sich nicht verändert. «
Sie sah ihm fest in die Augen. Jon fing an, sich besser zu fühlen. Was sie sagte, war wahr. Sie war als Lady geboren und aufgezogen worden, und sie war Jungfrau, als er sie nahm. Es war unwahrscheinlich, daß sie sich so schnell verändert hatte. Seine Hände ergriffen ihre fester, und um seinen Mund spielte ein winziges, reumütiges Lächeln. Cathy lächelte warm zurück. Trotz seiner Fehler oder vielleicht gerade ihretwegen war ihre Liebe zu ihm unverändert.
»Es scheint, als müßte ich mich mal wieder bei dir entschuldigen. « Jon seufzte und küßte abwechselnd ihre eine und ihre andere Hand. »Aber du hättest mich nicht anlügen sollen. Habe ich dir weh getan, meine Liebe? «
»Nein«, antwortete Cathy. »Nicht sehr. Du hast mich nur fast zu Tode erschreckt. «
»Das glaube ich nicht«, flüsterte Jon. »Du warst wie ein Tiger, und du hattest überhaupt keine Angst. «
»Ich habe nicht geglaubt, daß du mir wirklich weh tun würdest. «
Cathy senkte ihre Augen. »War das falsch? «
Jon lächelte sie an, und ein schalkhaftes Leuchten verjagte die letzten Spuren des Verdachts aus seinen Augen.
»Das wirst du niemals genau wissen, nicht wahr? Jetzt aber genug mit dem Unsinn. Ich will mein Abendessen! «
»Ja, Sir, Kapitän, Sir«, neckte Cathy zurück. Dann ging sie, um Petersham zu sagen, daß er das Abendessen bringen sollte.
Während dem Essen sprachen sie kein Wort mehr über die Sache. Petersham räumte das Geschirr ab, und als sie wieder allein waren, wollte Jon sie zum Schachspielen überreden. Cathy lachte und sagte, daß es nur einen einzigen Grund gäbe, warum er so gerne mit ihr spielte: nämlich, daß sie so schlecht darin war. Während ihre Hand noch unentschlossen über zwei verschiedene Figuren hin und her wanderte, kam er wieder auf das alte Thema zu sprechen.
»Hat Harry dich schon vorher belästigt? « Seine Stimme war beiläufig, und seine Aufmerksamkeit schien auf das Schachbrett gerichtet zu sein.
»Er hat mich niemals zuvor geküßt, wenn es das ist, was du meinst«, antwortete Cathy und bewegte eine der Figuren aufs Geratewohl.
»Aber hat er dich auf andere Weise belästigt? « beharrte Jon, und seine Augen ruhten suchend auf ihrem Gesicht.
Cathy biß sich auf die Lippe. Sie wollte nicht noch mehr Ärger zwischen den beiden Männern verursachen, aber es war ihr klar, daß der Augenblick der Wahrheit gekommen war.
»Er glaubt, er würde mich lieben. «
Cathy hielt den Atem an und machte sich auf eine neue Explosion gefaßt.
»Und du - denkst du, daß du ihn liebst? « Die Frage klang fast unbeteiligt, aber Cathy wußte es besser.
»Was glaubst du denn? « antwortete sie sanft, während sie innerlich triumphierte. Bald würde er sie lieben und es auch zugeben. Bis dahin würde sie ihren Triumph sorgfältig verbergen. Sie wollte auf keinen Fall, daß er auf die Idee käme, sie würde versuchen, ihn zu manipulieren. Er hatte sowieso kein Vertrauen zu Frauen. Wenn er glaubte, daß sie ihn einzufangen versuchte, würde er wahrscheinlich genau in die entgegengesetzte Richtung laufen.
Jons unruhige Augen wanderten wieder auf das Spiel.
»Ich werde darauf aufpassen, daß er dich nicht wieder belästigt«, war alles, was er sagte. Doch Cathy verstand die volle Bedeutung dieses Versprechens.
Jon hielt sein Wort. Er blieb wie ein großer, lahmer Schatten neben ihr, bis die >Margarita< in die Bucht von Las Palmas einfuhr. Harry bekam am entgegengesetzten Ende des Schiffes auf dem Vorderdeck Arbeit. Nach dieser Nacht übernahm Jon wieder das Kommando über das Schiff, auch wenn Cathy entschieden dagegen protestierte. Als der Sturm sich gelegt hatte, war er fast wieder gesund. Er humpelte immer noch leicht, aber er kam jetzt ohne Krücke zurecht. Als das Wetter wieder so gut war, daß Cathy an Deck gehen konnte, achtete sie darauf, sich nur auf dem Achterdeck in Sichtweite von Jon aufzuhalten. Wenn er aus irgendeinem Grund woanders hin mußte, setzte er Petersham als ihre Leibwache ein. Über diese Sicherheitsmaßnahmen war Cathy zugleich amüsiert und gerührt. Es schien, als achtete der Kapitän sehr auf seinen Besitz.
Am ersten August erreichte die >Margarita< schließlich ihren Heimathafen. Zu dieser Zeit hatte Cathy das Schiff und die See bereits so satt, daß sie selbst die Hölle vorgezogen hätte, sofern sie nicht auf und ab schwankte. Las Palmas war einfach wunderschön. Sie war begeistert von der kleinen Insel, die wie ein König im blauen Atlantik lag. Den Namen halte sie von den Kokospalmen, die überall wuchsen und leise rauschend im Wind schwankten. Der leuchtend weiße Sand bildete einen perfekten Kontrast zu den langen Baumreihen am Strand, und die exotischen Vögel waren die strahlenden Farbtupfen in dem dichten Laub. Das süße Parfüm exotischer Blumen lag in der Luft.
Jons Haus stand auf einem Felsen, und man hatte dort einen guten Ausblick auf den Strand vor der kleinen Stadt, die ungefähr einen halben Kilometer entfernt war. Cathy mochte es auf den ersten Blick. Es war ein langer, flacher Bau aus lasierten Backsteinen, die das Sonnenlicht einfingen und wie Tausende kleiner Diamanten zurückwarfen. Die Räume im Innern waren groß und luftig. Sie waren weiß gestrichen, damit sie möglichst kühl blieben, und kaum möbliert. Durch große Fenster blickte man auf der einen Seite über das Meer und auf der anderen in einen vielfarbigen Garten. Im Innern dieses Hauses fühlte man sich immer noch wie in der Natur. Es gab zwei eingeborene Diener, die Haushälterin und ihr Mann Kimo. Sie hatten einen beinahe komischen Respekt vor der neuen Hausherrin und versicherten Cathy und Jon in ihrem schlechten Englisch, daß sie sich gut um sie kümmern würden. Jon war sorglos und offenherzig, als er sie durch das Haus und die Gärten führte, aber Cathy bemerkte, daß er Angst hatte, es könnte ihr nicht gefallen. Also lächelte sie ihn an und sagte ihm, daß alles einfach wunderschön sei. Jon lachte sie an, hob sie auf seine Arme und gab ihr einen festen Kuß auf den süßen Mund. Seine überwältigende Zärtlichkeit gab ihr eher das Gefühl, seine frische Braut statt seine Geliebte zu sein, und Cathy genoß diese Empfindung.
Es lebten ungefähr zweihundert Europäer auf der Insel, und Cathy war schockiert darüber, daß sie alle auf die gleiche Weise ihr Geld verdienten: mit der Piraterie. Wenige der Männer hatten europäische Frauen oder Huren. Der Rest gab sich mit gelegentlichen Affären mit den Eingeborenen-Mädchen zufrieden. Cathy fragte sich mit einem Seitenblick auf Jon, ob dies auch seine Gewohnheit gewesen war, wenn er hier gelebt hatte. Aber sie sagte nichts. Petersham hatte ihr mitgeteilt, daß sie die einzige Frau war, die er jemals in seinem Haus hatte, und damit war sie zufrieden. Immerhin war der Mann vierunddreißig Jahre alt und voller Kraft. Sie konnte nicht von ihm erwarten, daß er wie ein Mönch gelebt hatte. Also verbannte sie mit Entschlossenheit jede kleine Eifersucht, die sich einschleichen wollte.
Cathy war sehr verblüfft, als Jon ihr einen weißhaarigen, großväterlich aussehenden Mann zeigte und ihn als >Red Jack< identifizierte. Er trug diesen Namen, weil das Blut so vieler Opfer an seinen Händen klebte. Als Cathy hinter ihm herglotzte und dann mit schockierten, weit aufgerissenen Augen Jon ansah, lachte er laut.
»Du solltest ihn mal auf See sehen«, sagte Jon grinsend.
Cathy glaubte das, insbesondere nachdem sie die Veränderung, die mit Jon selbst auf Las Palmas vorgegangen war, beobachtet hatte. Einmal fort von der >Margarita< fiel die harte, autoritäre Art völlig von ihm ab, und er schien Jahre jünger zu sein, ja, beinahe jungenhaft. Er lachte viel und tat alles, um sie zu vergnügen und ihr zu gefallen. Sie liebte dieses Neue an ihm sehr, doch sie fing an zu fürchten, daß ihre Augen ihr Geheimnis verraten könnten. Sie hatte ständig Angst, sich etwas zu vergeben, denn sie war fest entschlossen, nicht von ihrer Liebe zu sprechen, bevor sie nicht sicher sein konnte, daß er das gleiche für sie empfand. Jon blühte unter ihrer Zuneigung auf, und Petersham sagte Cathy unter vier Augen, daß der Kapitän ein neuer Mensch zu sein schiene.
Der urwüchsige Strand und die leuchtende See luden zu Erkundungen ein. Cathy und Jon verbrachten ihren ersten Monat auf Las Palmas im Sand liegend oder im Paddelboot in der Bucht. Jon trug zum Schwimmen nur ein Paar kurze Hosen, die seinen mächtigen Leib und seine langen, muskulösen Beine zeigten. Die lange Narbe auf seinem Oberschenkel war leuchtend rot, und auch seine anderen Verletzungen waren noch so sichtbar wie Ehrenmedaillen. Cathy bedeckte diese Erinnerungen des Schmerzes mit Küssen, bis Jon scharf atmete. Den Rest dieses Tages verbrachten sie in ihrem großen, breiten Bett.
Cathy fand zu ihrem Vergnügen heraus, daß sie der bessere Schwimmer war. Jon, der immer am Wasser gelebt hatte, schwamm in einem rauhen Stil, der ihn überall hinbrachte, wo er wollte. Cathy hatte jedoch einen Unterricht gehabt, der ihr eine elegante Technik verliehen hatte, die er nicht überbieten konnte. Zuerst ärgerte er sich eher über ihre Fähigkeit, statt stolz darauf zu sein.
An einem heißen Nachmittag, etwa einen Monat nach ihrer Ankunft auf Las Palmas, lagen die beiden wie immer am Strand. Jon hatte seinen Kopf aufgestützt und studierte das Gesicht der schlafenden Frau neben ihm. Sie lag dicht neben ihm lang ausgestreckt auf dem Rücken und hatte die Augen fest geschlossen. Der Atem rasselte in ihrem Hals und erzeugte einen kleinen Schnarchton. Jon lächelte, während er ihre langen, dunklen Augenwimpern bewunderte. Sie hatten sich in der Nacht zuvor lange und leidenschaftlich bis zur Morgendämmerung geliebt. Es war wohl etwas zu viel für sie gewesen. Sie schlief ein, sobald sie im Sand lag.
Ihre zarte, weiße Haut hatte einen goldenen Schimmer bekommen, und ihr zerzaustes Haar war in der tropischen Sonne noch strahlender und leuchtender geworden. Ihre Figur, die durch das dünne, knielange Musselinkleid, das sie immer zum Schwimmen trug, genau zu sehen war, war während der Monate, in denen er sie nun schon kannte, viel mütterlicher und weiblicher geworden. Ihre schöne Brust war voller und ihre Schenkel runder und geschmeidiger. Sie sah jetzt mehr wie eine Frau aus als ein Mädchen. Schon spürte er, wie sein Herz schneller schlug, während er sie ansah. Sie war so außergewöhnlich, daß er manchmal daran zweifelte, ob es sie wirklich gab.
Noch wichtiger als die äußere Schönheit waren die Wärme und Zartheit des Mädchens, dachte er. Diese Ei-genschaften wirkten auf ihn wie Öl, das ein stürmisches Wasser beruhigte. Sie ist eine unter Millionen, dachte er, eine Frau, die man gegen alle beschützen muß. Sie war sein, und er hatte vor, sie zu behalten.
In Gedanken wurde er rasend, als dieses Bild auf dem Deck der >Margarita< wieder vor ihm auftauchte: Harry mit seinen dunklen Augen, wie er Cathy in den Armen hielt. O Gott, er hätte einen Mord begehen können! Cathys Spott hinterher war genau das Richtige gewesen, auch wenn sie ihn damit verrückt gemacht hatte. Er war eifersüchtig gewesen - schlicht und einfach eifersüchtig. Allein der Gedanke an die Szene war genug, um ihn rot sehen zu lassen.
Jon konnte sich nicht daran erinnern, daß er jemals auf eine der Frauen, mit denen er geschlafen hatte, eifersüchtig gewesen war. Und es gab nur eine Erklärung dafür. Eifersucht ging mit Liebe einher. Er spielte mit dem Gedanken, daß er vielleicht wirklich in diese kleine, goldhaarige Hexe verliebt war, ließ ihn dann aber wieder fallen, weil er ihm lächerlich erschien. Gegen diese Torheiten war er immun. Das hatte er in seinem Leben ein für allemal gelernt. Auch wenn sie ohne Zweifel schöner und zarter als die meisten Frauen war, gab es keinen Grund, seine hart erlernten Lebensweisheiten fallenzulassen. Oder doch?
Er wendete diesen Gedanken hin und her. War es möglich, daß diese gewaltige, besitzergreifende Haltung, die er ihr gegenüber einnahm, ihre Wurzeln in einem sanfteren Gefühl hatte? Jon verwarf die Idee schnell wieder, kam dann jedoch darauf zurück. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, mußte er es zugeben: er war bis über beide Ohren in ein siebzehnjähriges Mädchen verliebt. Das kleinste Lächeln von ihr ließ sein Herz schneller schlagen.
Jon drehte sich auf den Rücken und starrte blicklos in den klaren Himmel, um diese unerwartet heikle und neue Lage der Dinge von allen Seiten zu betrachten. Vom ersten Moment an, als er diese kleine Schönheit gesehen hatte, war er verloren gewesen. Sie sah aus wie eine kleine Wildkatze, mit diesen wilden, goldenen Haaren und ihren intensiven, blitzenden Augen. Er hatte sie über alles begehrt und hatte sich auch genommen, was er wollte. Und hiermit sollte es eigentlich genug sein. Aber als sie ihn mit solcher Courage herausgefordert hatte, war sein Begehren noch tiefer geworden und hatte sich mit Bewunderung gemischt. Sie war eben keine verschüchterte Frau, die sich schon durch ein paar Schläge von einem furchteinflößenden Mann erschrecken ließ. Statt dessen hatte er eine Frau gefunden, die feurig und voller Leidenschaft war und schnell gelernt hatte, ihn zu besiegen, Kuß für Kuß und Schlag für Schlag.
Jons Gedanken wanderten weiter. O Gott, sie hatte ihm in dieser Nacht in Cadiz eine so furchtbare Angst eingeflößt, als er bemerkte, daß sie in die Stadt geflüchtet war. Bei dem Gedanken an die Gefahren, die in dieser nichtswürdigen Stadt auf sie warteten, war er fast verrückt geworden! Und als er dann in den >Red Dog< gekommen war und sie dort entdeckt hatte: ihre Augen weit vor Furcht und Scham und ihre liebenswerten Brüste nackt für jedermanns Blicke! Die Wut war in ihm explodiert wie eine Bombe. Er hätte am liebsten sofort alle anwesenden Männer umgebracht, aber er hatte sich zurückgehalten, bis sie in Sicherheit war. Er hatte sich geschworen, daß der Mann, der es wagte, sie zu berühren, sterben mußte - und er hatte sein Versprechen gehalten.
Er mußte sie damals schon, ohne es zu wissen freilich, geliebt haben, dachte er. Die Frage war: Liebte sie ihn? Sie mochte ihn, das wußte er. Und manchmal, wenn er sie so lange liebte, bis sie in zitternder Ekstase war, mochte sie ihn nicht nur. Aber er hatte viele Frauen befriedigt und wußte, wie wenig ihre leidenschaftliche Bewunderung zu bedeuten hatte. Sein Stolz hielt ihn davon ab, ihr seine Liebe offen zu gestehen, ohne sich vorher ihrer eigenen Gefühle sicher zu sein. Wenn sie ihn nicht liebte, würde sie ihn voll in der Hand haben, sobald er ihr seine Gefühle gestanden hatte. Es wäre viel besser, sie dazu zu bringen, ihn zu lieben, beschloß er. Er hatte vollstes Vertrauen in seine Fähigkeiten, dies auch zu erreichen. Vielleicht würde er sie sogar heiraten...
Jons neue Zuversicht fiel bei diesem Gedanken in sich zusammen. Er hatte selbst immer gesagt, daß Heiraten nur etwas für Trottel und Pantoffelhelden sei. Es gab keine Frau auf der Erde, die es wert war, seine Freiheit für sie aufzugeben! Aber wie sonst konnte er Cathy bei sich behalten? Die Lösung, einfach nur mit ihr zu leben, statt sich lächerlich zu machen, gefiel ihm sehr gut. Und eine Hochzeit wäre nichts anderes als lächerlich. Bei dem Gedanken an Cathy wurde sein Mund fester. Was war eine Heirat anderes als das Versprechen, sie zu lieben, zu beschützen und ihr treu zu sein? Wenn sie es wollte, würde er sie heiraten, beschloß er. Auf diese Weise konnte er wenigstens sicher sein, daß sie ihn niemals verlassen würde.
Jon feixte ein wenig, als er sich Cathy als seine Frau vorstellte. So zufrieden sie in Las Palmas auch zu sein schien, sie war einen völlig anderen Lebensstil gewöhnt. Sie trug den Titel einer Lady, Tochter eines Earls, und war dazu bestimmt, in den höchsten Kreisen der Gesellschaft zu verkehren. Jede nur erdenkliche Zuwendung und jede Art von Luxus hatten ihr bisher gehört. Wenn das Schicksal sie nicht in seine Arme getrieben hätte, hätte sie heiraten können, wen sie wollte. Mit ihrer Schönheit und ihrem gesellschaftlichen Hintergrund wäre sogar ein König möglich gewesen.
Aber jetzt gehört sie mir, dachte Jon sofort; und was mir gehört, behalte ich. Er war reich genug, um ihr einen großzügigen Lebensstil zu bieten, und er konnte sogar sein jetziges Leben aufgeben, wenn es sie glücklicher machte. England war ihm verschlossen - er hatte zu viele englische Schiffe angegriffen -, aber er könnte mit ihr nach South-Carolina gehen. Trotz allem, was dort geschehen war, war es immer noch seine Heimat. Es war nicht gerade das, was sie gewöhnt war, aber Jon dachte, daß es ausreichen könnte. Wenn sie ihn liebte...
An diesem Abend war Jon sehr still, und Cathy bemerkte, wie er ihr von Zeit zu Zeit einen ängstlichen Blick zuwarf. War es möglich, daß er sich aus irgendeinem Grund über sie geärgert hatte? Sein Blick war gedankenverloren und sein Verhalten sehr zerstreut. Er trank mehrere Gläser Wein, nahm aber fast keinen Bissen zu sich. Cathy fragte sich schließlich, ob er wegen irgend etwas traurig oder besorgt war. Oder vielleicht schmerzte sein Bein, und er wollte es nicht zugeben?
Schließlich konnte sie nicht länger an sich halten.
»Jon, fühlst du dich gut?« fragte sie besorgt.
Er sah mit abwesenden Augen hoch.
»Ja, natürlich. Warum fragst du?«
»Schmerzt dein Bein?« beharrte sie, denn seine völlige Unaufmerksamkeit verwirrte sie noch mehr. Vor kurzem hatte er jedes ihrer Worte mit großem Interesse verfolgt. Was war denn jetzt los? War es möglich, daß er ihrer langsam müde wurde?
»Meinem Bein geht es gut. Warum machst du dir plötzlich Sorgen um meine Gesundheit?« Er schien immer noch Lichtjahre entfernt zu sein.
»Was ist los mit dir?« brach es aus ihr heraus. Sie mußte es wissen, sogar wenn die Antwort unangenehm sein sollte.
»Es ist alles in Ordnung. Was soll denn sein? « fragte er mit lahmem Interesse.
»Du bist so still. Hast du dich wegen irgend etwas über mich geärgert? « Cathy hatte ihre Betroffenheit nicht so deutlich zeigen wollen, aber sie konnte es nicht verhindern. Vielleicht versuchte er ihr schonend beizubringen, daß er sie nicht länger wollte. Dieser Gedanke war ihr unerträglich.
Jon lachte, und seine grauen Augen waren plötzlich wieder warm.
»Ich denke nur nach, Liebste. «
»Über was? « fragte Cathy neugierig.
»Das wirst du eines Tages schon noch zu wissen kriegen. « Sie fand, daß er sehr geziert und geheimnisvoll tat.
Jon lächelte über ihre Verärgerung, stand auf und verließ den Tisch.
»Juta, wir sind fertig«, rief er der Haushälterin zu und ging dann zu Cathys Stuhl. Er lud sie mit einer galanten Geste ein, sich von der Tafel zu erheben. Cathy starrte erst ihn und dann mißtrauisch den halbvollen Weinkelch auf dem Tisch an. War er betrunken? Er sah natürlich nicht danach aus, aber vielleicht konnte er sehr gut damit umgehen.
Sie erhob sich auf seine Bitte hin und lächelte Juta an, als diese kam, um den Tisch abzuräumen. Jon führte sie in den großen Salon. Die hohen, französischen Fenster standen weit offen, und die feinen Moskitonetze flatterten leicht in dem sanften Wind. Die einzige Beleuchtung kam von zwei Kerzen in einem schönen Kandelaber.
»Machen wir einen Spaziergang? « fragte Jon mit einer Kopfbewegung zu den Fenstern hin. Cathy folgte ihm immer noch recht verwirrt in den üppigen Garten. Der Mond stand wie eine große bleiche Scheibe über den Palmen, und der Garten surrte voller herumschwirrender Insekten. Die leuchtenden Hibiskusbäume strömten einen süßen Duft aus.
»Es ist schön hier«, sagte Cathy mehr zu sich selbst als zu ihm. Jon legte seinen Arm um ihre Taille, während sie sich langsam vom Haus entfernten.
»Ja, sehr schön«, stimmte er ihr zu, aber er hatte in Wirklichkeit nur Augen für sie.
»Du bist heute nacht sehr galant, Kapitän«, neckte sie ihn sanft. »Versuchst du mich auf eine schlechte Nachricht vorzubereiten?«
»In der Tat muß ich dir etwas mitteilen«, antwortete Jon. »Ob es schlecht oder gut ist, wirst du selbst entscheiden müssen.«
Cathy warf ihm einen schnellen Blick zu. War es das, worüber er den ganzen Abend nachgedacht hatte?
»Nun?« sagte sie ungeduldig.
»Ich muß für ein paar Tage weg«, sagte er schließlich.
»Weg? Wohin?«
»Es gibt noch eine andere Insel hier - Teneriffa. Dort ist ein Mann, der die Ladung der >Margarita< aufkaufen will. Ich hatte eigentlich vorgehabt, sie in Cadiz zu verkaufen, aber das kam ja dann nicht mehr in Frage.« Cathy ging langsam weiter. Hatte er vor, sie nicht mitzunehmen?
»Kann ich mitkommen?« fragte sie mit leiser Stimme, ohne ihn anzusehen. Jon schüttelte den Kopf.
»Diesmal nicht. Teneriffa ist eine rauhe Insel, und ich werde die ganze Zeit sehr beschäftigt sein. Es würde mir keine Gelegenheit bleiben, mich ordentlich um dich zu kümmern. Lieber lasse ich dich hier. Da weiß ich wenigstens, daß du in Sicherheit bist.«
Er stand jetzt hinter ihr und zog sie an sich. Cathy
starrte blicklos auf den mondbeschienenen Atlantik unter ihr.
»Wirst du mich vermissen?« fragte Jon mit rauher Stimme, während er ihren Hals küßte.
»Das weißt du doch«, flüsterte Cathy und drehte sich dann zu ihm um. Sie legte ihre Arme um seinen Hals, und er blickte verzaubert in ihr kleines Gesicht.
Die beiden küßten sich. Dann vereinigten sich ihre Körper ohne irgendwelche Vorbehalte. Sie wurden nur von ihrer Begierde geleitet, die so intensiv war, daß sie die beiden restlos entflammte.