Nachwort

Vielleicht sind Sie beim Lesen des Romans über einige Dinge gestolpert – recht wahrscheinlich sogar, wenn Sie zufällig in Nürnberg wohnen. Ich habe mich bemüht, die historischen Gegebenheiten der Stadt im späten 15. Jahrhundert so genau wie möglich wiederzugeben, aber aus dramaturgischen Gründen habe ich mir an einigen Stellen doch erlaubt, die Realität etwas zu verbiegen.

Die Felsengänge sind, soweit ich es bei meinen Recherchen in Erfahrung bringen konnte (ich habe einige von ihnen selbst bewandert), bei weitem nicht so ausgedehnt, wie ich es beschrieben habe. Der Gang von Pömers Haus zur Lochwasserleitung existiert nur in meiner Fantasie, und auch die Höhle unter dem Burgberg und der Brunnen darin sind erfunden.

An einigen Stellen lasse ich die Figuren von einem »Beweis« reden, und ich habe dies mit einigen Bauchschmerzen getan, weil mir bewusst ist, dass es im 15. Jahrhundert noch keine moderne Polizeiarbeit gab, wie wir sie heute kennen. Dennoch stammt das Wort »Beweis« etymologisch gesehen aus dem Altgermanischen und Mittelhochdeutschen und wurde im 15. Jahrhundert bereits in der Finanzsprache im Sinne von »als wahr, richtig nachweisen« gebraucht. Aus diesem Grund habe ich mir erlaubt, es an einigen Stellen in der verwendeten Form einzufügen.

Die Frage, ob es realistisch ist, dass im 15. Jahrhundert jemand technisch in der Lage ist, aus dem Mutterkorn eine Substanz zu destillieren, die wir heute als LSD bezeichnen würden, hat mich lange umgetrieben. Leser meiner anderen historischen Romane wissen, dass ich gerne einzelnen meiner Figuren die Fähigkeit zugestehe, sich weit über das zu ihrer Zeit verbreitete Wissen hinaus zu erheben. In der Realität passierte das damals und es passiert auch heute immer wieder. Insofern halte ich es zumindest für denkbar, dass ein Mann wie Enzo Pömer schon im 15. Jahrhundert in der Lage gewesen wäre, den Auslöser des Antoniusfeuers auszumachen – und dann mit dieser Substanz zu forschen. Vielleicht wäre es ihm sogar gelungen, die halluzinogene Wirkung des Mutterkorns ansatzweise zu verstärken. Die dazu nötigen Mittel, wie der Äther, den Hartmann Schedel fälschlich als aqua vini bezeichnet (und der, in Mengen eingeatmet, tatsächlich Schizophrenie auslöst), existierten zur Zeit der Renaissance bereits.

Allerdings hätte Pömer nur durch reinen Zufall auf das Rezept kommen können. Das Verfahren dann zu wiederholen und zur Reife zu führen, wäre ihm wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Aus diesem Grund habe ich Pömer, zusätzlich zu einem modern anmutenden Forschergeist, dreißig Jahre für seine »Versuche« gegeben – und hoffe, dass Sie mir, zumindest für die Dauer des Romans lang, in dieser Hinsicht gerne gefolgt sind.

Einige kleine Hinweise noch zur Nürnberger Stadtverfassung zur Zeit des Romans. Nürnberg war freie Reichsstadt, das heißt, sie unterstand allein dem Kaiser. Regiert wurde sie von einem komplizierten System aus sogenanntem Inneren und Äußeren Rat.

Der Innere Rat, der die eigentliche Macht besaß, bestand ursprünglich aus 26 Mitgliedern, die sich aus dem Stadtadel rekrutierten und denen ihr Amt jeweils für ein Jahr übertragen wurde. Sie wurden – anders als heute üblich – allesamt mit dem Titel »Bürgermeister« angeredet.

Bei den »Alten Genannten« handelte es sich um eine Besonderheit der Nürnberger Stadtverfassung. Nachdem die Handwerker im Jahre 1348 einen Aufstand angezettelt hatten, um an der Regierung beteiligt zu werden, war man gezwungen, den Inneren Rat um acht Handwerksherren zu erweitern.

Um diesen jedoch nicht allzu große Macht zuzugestehen, entschied man, weitere acht neue Plätze im Stadtrat zu schaffen. Diese besetzte man mit Angehörigen des sogenannten Größeren oder Äußeren Rates, den Alten Genannten. Später nutzte man die Stellen der Alten Genannten dazu, patrizische Neulinge in den Rat aufzunehmen, ohne ihnen gleich wichtige Aufgaben oder die Macht der 26 Bürgermeister zuzugestehen.

Der Grund, warum der Gehilfe des Richters mit dem ungewöhnlichen Titel »Löve« angeredet wurde, ist im Dunkel der Jahrhunderte verschollen. Vermutlich ist es ein Überbleibsel der Zeit, als der Gehilfe die Delinquenten unter »Anschreien« zum Henker führen musste, um böse Geister zu bannen.