Wie viele andere grüne Priester war er von der Idee angetan gewesen, an Bord eines Verdani-Schlachtschiffs zu gehen. Er hatte sich bereit erklärt, sein bisheriges Leben aufzugeben, um Pilot eines riesigen Saatschiffes zu werden, so wie Beneto. Viele grüne Priester hatten ihre Bereitschaft erklärt, weitaus mehr als die notwendigen hundert.

Beneto war nicht mehr ganz menschlich, aber er wusste, wie es im Herzen seiner jungen Schwester aussah. Er hatte sie und Solimar beim Baumtanz gesehen und kannte das Band der Zuneigung zwischen ihnen. Sie gehörten zusammen. Aus Liebe zu Celli hatte er nicht zugelassen, dass Solimar ausgewählt wurde. Die Weltbäume hörten auf ihn, und es war klar, dass sie ihn in diesem Fall nicht ganz verstanden. Aber sie hatten ihn als eine ife

Man station des Weltwalds und der Menschheit geschaffen. Die intelligen 293

ten Bäume wollten von Beneto und seinen Erinnerungen lernen.

Sie hatten Solimar eine vernünftige Erklärung angeboten. Er gehörte zu den wenigen gebildeten und an Technik interessierten Personen auf Theroc und wurde wegen seines technischen Wissens gebraucht. Die anderen grünen Priester waren nicht unersetzlich, doch Solimar verfügte über Fähigkeiten, die die Theronen brauchten. Der Weltwald bat ihn, auf dem Planeten zu bleiben, und an seiner Stelle wählten die neuen Schlachtschiffe jemand anders aus.

Die übrigen Freiwilligen waren an Bord gegangen, aber für Solimar blieben die von goldenen Borkenschuppen bedeckten Stämme verschlossen - er musste zurückbleiben. Celli begriff sofort, was ihr Bruder getan hatte. Sie dankte ihm stumm und sagte ihrem Freund nicht, was sie wusste.

Jetzt konnte sich Beneto auf seine neue Existenz konzentrieren. Das große Schiff war wie eine Erweiterung seines Körpers. Mit den simulierten Augen zahlreicher Blätter sah er den Weltwald, alle Teile des Weltwalds. Er sah die vielen Kolonialwelten, auf denen grüne Priester Schösslinge gepflanzt und mit ihnen ein weites Kommunikationsnetz geschaffen hatten.

Mehr als jemals zuvor fühlte Beneto die Erinnerungen, Geheimnisse und wehmütigen Erfahrungen tief im Innern des Verdani-Selbst. Seine Gedanken flössen wie Saft durch die komplexe Holzmaserung, tief in die Vergangenheit. Beneto erfuhr vom Leben anderer grüner Priester, von seinen vielen Vorgängern bis hin zur Landung der Caülie.

Zum ersten Mal sah er etwas von Talbun, seinem Mentor von Corvus Landing. Vor langer Zeit hatte Talbun Beneto angeboten, bei ihm in die Lehre zu gehen, über die Kolonisten zu wachen und sich um den We baumhai

lt

n zu kümmern. Als er starb, hatte der alte grüne Priester se e

in n Leib vom

293

Wald aufnehmen lassen. Auch Talbun war hier, im Innern des Verdani-Schlachtschiffs. Beneto würde nicht ohne Gesellschaft sein. Er lächelte mit hölzernen Lippen, fühlte sich stärker, zuversichtlicher, zu Hause.

Und dann, ganz plötzlich, wurde er sich der seit langem verschollenen grünen Priesterin Nira Khali bewusst.

Beneto erinnerte sich an die enthusiastische grüne Priesterin, die sich zusammen mit Botschafterin Otema auf den Weg nach Ildira gemacht hatte, um sich dort mit der Saga der Sieben Sonnen zu befassen. Ihre Schösslinge waren zerstört worden, und dadurch hatten sie den Kontakt zum Weltwald verloren. Der frühere Weise Imperator hatte die Nachricht geschickt, dass Nira tot war, und niemand, nicht einmal Beneto, hatte Grund gehabt, daran zu zweifeln.

Jetzt brach die schreckliche Wahrheit wie ein verheerender Sturm über ihn herein. Niras Gedanken und Erinnerungen waren unaufhaltsam. Selbst die großen Weltbäume in den dichten theronischen Wäldern schwankten angesichts der furchtbaren Offenbarungen.

Von einem Augenblick zum anderen wussten alle grünen Priester von Niras Erlebnissen, vom Verrat und dem Zuchtprogramm der Ildiraner. Und damit noch nicht genug.

Der Weise Imperator Jora'h hatte Nira seine Pläne enthüllt, und ihre Nachricht enthielt auch alle Informationen über das erzwungene Bündnis mit den Hydrogern und den bevorstehenden Angriff auf die Erde. Im Innern des riesigen Schlachtschiffs begriff Beneto, was die Ildiraner zu erreichen hofften und wie er handeln musste. Die Hydroger flogen zur Erde! Die Wiege der Menschheit sollte ausgelöscht werden!

Überall im Spiralarm setzten grüne Priester menschliche Kolonisten in Kenntnis, aber die früheren Hanse-Kolonien waren von der TVF im Stich ge

s

las en und konnten nichts tun, um der Erde zu helfen. Und allein konnte ilitär

das M

294

der Hanse einer großen Streitmacht der Hydroger nicht widerstehen.

Beneto wusste, was auf dem Spiel stand, und er beschloss, eine Anweisung zu erteilen, die mehr auf seiner menschlichen Existenz beruhte als auf den Wünschen des Weltwalds. »Wir nehmen zwanzig der neuen Schlachtschiffe, darunter auch dies, und brechen sofort auf, um bei der Verteidigung der Erde zu helfen.«

Er fühlte eine Reaktion bei den Bäumen. Sie hielten die Erde für einen kleinen Aspekt des viel größeren Kampfes und wollten keinen Teil ihrer Saatschiff-Streitmacht für ein Ziel einsetzen, das sie nicht für wesentlich hielten. Doch Beneto bestand darauf. »Was auch immer die gegenwärtige Regierung getan hat, der Planet ist die Heimat der Menschheit. Dort befinden sich die Wurzeln unseres Volkes, und sie reichen tief. Unsere Herzen erinnern sich noch immer an die Urwälder und Dschungel.« Eine Flut von Bildern raste durch den Telkontakt, und die Weltbäume gaben nach. Beneto empfing Informationen und eine Warnung von Nahton im Flüsterpalast. Die letzten einsatzfähigen Schiffe der Terranischen Verteidigungsflotte bereiteten sich auf die Ankunft des Feindes vor, und ihre Crews waren vermutlich schießwütig. Wie mochte die TVF reagieren, wenn plötzlich und unerwartet die Schlachtschiffe der Verdani erschienen?

Beneto brauchte eine Möglichkeit, direkt mit den TVF-Schiffen zu kommunizieren.

Solimar wusste, wie er sich nützlich machen konnte. Er eilte zur Pilzriff-Stadt, um die Komponenten zu holen, die Beneto brauchte. Beim Wiederaufbau der Siedlung hatten die hilfsbereiten Roamer neue Kommunikationssysteme installiert, bestehend aus traditionellen Sendern und Bündelungsvorrichtungen. Die vielen Schlachtschiffe der Verdani he

rasc

lten ungeduldig, als Solimar ein Kom-System demontierte und zu Benetos Schiff brachte. Celli folgte ihm.

294

Beneto ließ eine Lücke zwischen den gepanzerten Platten des dicken Baumstamms entstehen, damit Solimar und seine Schwester eintreten konnten. Er spürte ihre Präsenz als sie zur Kernholzkammer emporkletterten und dabei dem Verlauf der von ihm geschaffenen Tunnel folgten. Solimar trug dabei das Kom-Gerät und eine Langzeitbatterie für die Energieversorgung.

Zusammen mit Celli betrat er den Raum in der Mitte des Schiffes und blieb stehen. Benetos kleine Schwester schnappte nach Luft und starrte ihn mit einer Mischung aus Furcht, Kummer und Verwunderung an. Solimar wirkte verunsichert und senkte den Blick. Im Telkontakt nahm Beneto seine Empfindungen wahr.

Beneto war mit dem Pilotensitz verwachsen, einem hölzernen Thron mit Symbol-Kontrollen und Leitsystemen. Er beugte sich langsam vor und hob einen Arm. »Wie Sie sehen, hat der Weltwald Ihre Dienste als Mensch gebraucht, Solimar. Jeder grüne Priester kann sich mit einem Weltschiff vereinen, aber ich benötige Sie für diese Aufgabe.«

Der breitschultrige junge Mann sah auf die Kom-Ausrüstung hinab. »Für die Installation dieses einfachen Systems? Dazu wäre jeder fähig gewesen.«

»Wie viele Theronen verstehen diese Technik so gut wie du?«, erwiderte Celli. »Nenn mir jemanden, der imstande ist, einen Gleiter zu bauen. Oder der die Roamer-Geräte warten könnte, wenn du fort bist.«

»Jemand könnte es lernen.«

»Aber das ist nicht nötig.«

Beneto deutete auf die Stelle, wo er das Kom-System haben wollte. »Wenn es mir möglich ist, mit dem Militär der Erde zu kommunizieren, kann ich unseren Kampf koordinieren und die TVF-Schif fe daran hindern, das Feuer auf uns zu eröffnen.«

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Celli schlang die Arme um das, was von ihrem Bruder übrig war. »Ich werde dich nie wiedersehen, oder?«

Ein Lächeln erschien in Benetos Holzgesicht. »Eigentlich war mein Körper nie richtig hier. Aber ich bin immer Teil des Waldes. Solimar kann Kontakt mit mir aufnehmen - er weiß wie.« Das schien Celli ein wenig zu trösten.

»Und jetzt müsst ihr gehen. Der Start steht unmittelbar bevor. Es gilt, diesen Krieg siegreich zu beenden.«

Celli klammerte sich noch etwas länger an ihm fest. Sie hatte immer gewollt, dass man sie für älter und reifer hielt, aber jetzt war sie die empfindsame kleine Schwester, an die sich Beneto erinnerte. Beneto bedauerte viele Dinge, die ihm in seinem zweiten Leben verwehrt geblieben waren, doch er wusste auch um seine Verpflichtungen. Die wichtigste von ihnen war seine Teilnahme bei der Verteidigung der Erde gegen die Hydroger.

Er verabschiedete sich liebevoll. Solimar und Celli verließen das riesige Baumschiff, und Beneto schloss die Öffnung im Stamm, traf Vorbereitungen für den Start und die Reise durchs All.

Er streckte seine neuen Arme und spürte, wie seine Zweige durch die Luft strichen. Die Dornen und Blätter strebten nach oben, dem All entgegen. In der Schwerkraft des Planeten konnten sich die Äste kaum emporstrecken, aber im Weltraum würden sie sich weit ausbreiten, um das Licht der Sterne zu empfangen. In allen neuen Schlachtschiffen kam es tief im Innern zu den gleichen Reaktionen.

Die Theronen und Verdani waren bereit, ebenso wie die Wentals und ihre zahlreichen Roamer-Partner. Diese Schlacht konnte gewonnen werden!

Benetos Gedanken summten durch die miteinander verbundenen Weltbäume. »Unsere Verdani-Saatschiffe warten nicht länger. Wir müssen den Kampf zu unseren Feinden tragen, während die Wentals mit ihrer großen Offensive beginnen.«

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Es wurde Zeit, Theroc zu verlassen.

Benetos Baumschiff startete als Erstes. Er zog die Wurzeln aus dem Boden und hatte plötzlich das Gefühl von Befreiung. Als er sich vom Weltwald entfernte, sahen seine Myriaden Verdani-Augen, wie die Theronen zum Abschied winkten. Mit seiner verbesserten visuellen Wahrnehmung erkannte er Celli und Solimar, Mutter Alexa und Vater Idriss.

Die anderen neuen Baumschiffe lösten ebenfalls ihre Wurzeln aus dem Boden von Theroc und gesellten sich dem Rest der Flotte hinzu. Hunderte von dornigen Baumschiffen stiegen auf und ließen die Atmosphäre des Planeten hinter sich zurück.

Sie flogen zwischen den Sternen und tranken ihr Licht. Undurchdringliche Verdani-Kraft versiegelte Benetos gewaltigen Baumkörper, und tief in seinem Innern pulsierte die Lebensenergie der Wentals. Wenn er den Kampf gegen die Hydroger überlebte, stand ihm ein langes Leben bevor.

Die riesigen Schiffe der Verdani machten sich auf den Weg zu unterschiedlichen Schlachtfeldern.

106 JESS TAMBLYN

Als Jess Theroc verließ, wusste er, dass die Schlachtschiffe der Verdani ihren Teil beim bevorstehenden Kampf leisten würden wie auch die Wentals. Wenn alles nach Plan verlief, hatten Nikko und die anderen Wasserträger genügend Roamer rekrutiert; inzwischen sollten zahlreiche Piloten zu den verschiedenen Wental-Welten unterwegs sein, um dort lebendes Wasser als Waffe gegen die Hydroger aufzunehmen. Cesca würde alle koordini

s

eren und mithilfe der Wentals Mitteilungen schicken, damit ein fast gleichzeitiger Angriff

296

auf die von Hydrogern bewohnten Gasriesen im Spiralarm stattfinden konnte. Eine Kettenreaktion der Vernichtung erwartete die Fremden...

Als das Wasser-Schiff durchs leere All raste und sich Charybdis näherte, spürte Jess durch die Wentals, dass sich etwas Unerwartetes dort draußen befand ... ein anderes Schiff. Antriebslos driftete es im All. War es beschädigt? Oder handelte es sich um einen Hinterhalt?

Jess näherte sich vorsichtig und identifizierte das Schiff kurze Zeit später als einen großen TVF-Scout, weit vom nächsten Sonnensystem entfernt.

Eine Gestalt schwebte außerhalb und beendete die Reparatur des Triebwerks. Das Schiff hätte einer kleinen Crew genug Platz geboten, aber es war nur eine Person zu sehen.

Als der Mann die schimmernde Wental-Kugel bemerkte, geriet er in Panik, zündete die Treibsätze seines Schutzanzugs und hielt auf die offene Luke zu. Im Schiff nahm er den Helm ab, und durchs Cockpitfenster sah Jess einen alten, dunkelhäutige Mann, dessen kurzes, drahtiges Haar einen Schatten von Grau trug.

Jess hielt die Wental-Kugel vor dem Cockpit an und trat durch die Außenhüllenmembran, damit der Mann ihn als Menschen erkennen konnte. Er lächelte beruhigend, winkte und hoffte, dass der Mann nicht mit einem Jazer auf ihn schoss. Die Gestalt im Cockpit riss verblüfft die Augen auf.

Jess kehrte ins Innere seines Schiffes zurück und machte von den Kom-Geräten Gebrauch, die seine Wasserträger installiert hatten. Er öffnete einen direkten Kanal und sendete auf einer der angeblich geheimen TVF-Frequenzen, die die Roamer schon vor einer ganzen Weile entdeckt hatten.

»Ich meine es nicht böse.«

Der Mann im Cockpit veränderte die Justierungen seines eigenen Kome

Syst ms und antwortete auf der gleichen Frequenz. »Ich bin Lieutenant ad Brindle

Conr

, von der Terrani

297

schen Verteidigungsflotte mit einer Erkundungsmission beauftragt. Wer sind Sie? Was machen Sie hier draußen? Und was ist das für ein Schiff?

Sind Sie ... ein Mensch?«

»O ja, ich bin ein Mensch, und noch etwas mehr. Wie kam es zu der Beschädigung Ihres Schiffes, Lieutenant Brindle?«

»Hydroger griffen an!«

»Ah, wir haben also den gleichen Feind.«

»Ich habe die Lage bei Qronha 3 sondiert.« Brindle fragte sich ganz offensichtlich, wie weit er diesem exotischen Fremden trauen durfte, aber er gab seine Zurückhaltung schnell auf. »Die Droger und Klikiss-Roboter haben menschliche Gefangene! Sie halten acht Personen in den Tiefen des Gasriesen als Geiseln.«

Das klang absurd. »Woher wissen Sie das?«

»Ich habe es auf Videobildern gesehen. Mein Sohn gehört zu den Gefangenen. Wir dachten, er wäre bei der Schlacht von Osquivel gefallen, aber er lebt und befindet sich tief im Innern von Qronha 3!« Brindle schüttelte den Kopf. »Wie soll ich ihn retten?«

Jess hatte von Qronha 3 gehört, aber dies ergab keinen Sinn. »Warum haben Sie die Situation bei einem Gasriesen im Ildiranischen Reich erkundet? Welches Interesse haben die Tiwis daran?«

»Wir haben dort sechzig Rammschiffe verloren. Commander Tamblyn führte sie zu einem Angriff gegen die Hydroger, aber sie verschwanden einfach. Ich war beauftragt, nach einem Überwachungssignal Ausschau zu halten.«

»Commander Tamblyn?«

»Tasia Tamblyn. Sie bekam den Befehl über den Rammschiff-Einsatz.«

Ein Himmelfahrtskommando. Kein Wunder, dass Tasia einen so gefährlichen Auftrag bekam. Die Tiwis hatten sie gewählt, weil sie Roamerin und damit entbehrlich war - auf diese Weise hatten sie mitglie

Clan

der immer behandelt.

297

»Commander Tamblyn ist meine Schwester«, sagte Jess. Der überraschte Brindle musterte Jess in seiner schimmernden weißen Kleidung. »Lebt sie noch? Sagen Sie mir, was mit ihr geschehen ist. Erzählen Sie mir alles.«

Brindle schilderte, was er gesehen hatte, und Jess kochte an Bord seines Wental-Schiffes. Wenn Tasia von den Hydrogern gefangen gehalten wurde, musste er sofort etwas unternehmen. »Kommen Sie allein mit der Reparatur Ihres Schiffes klar?«

»Oh, es war nur ein Streifschuss. Ich habe alles einigermaßen zusammengeflickt und kann mich bald auf den Weg machen. Dass jemand hier aufkreuzt ... Damit habe ich ohnehin nicht gerechnet.«

Jess rang mit sich selbst. Er hatte die Wentals rufen und sie zu den Gasriesen der Hydroger schicken wollen - alles war bereit. Doch die Droger hatten seine Schwester gefangen genommen, und das veränderte seine Prioritäten. Die Wentals würden die Einzelheiten Cesca mitteilen.

Er wandte sich noch einmal an den Mann im TVF-Scout. »Wir Roamer sind auf Ihrer Seite, Lieutenant Brindle, auch nach dem, was die Tiwis unseren Clans angetan haben. Wir kämpfen gegen denselben Feind. Kehren Sie zur Erde zurück und sagen Sie das dem Vorsitzenden! Ich breche jetzt auf und rette die Geiseln in Qronha 3.«

Brindle war überrascht. »Wenn Sie meinen Sohn retten wollen, begleite ich Sie.«

»Ich suche einen Ort auf, zu dem Sie mir nicht folgen können: die Tiefen eines Gasriesen.«

»Aber die giftige Atmosphäre und der enorme Druck - es ist unmöglich.«

Jess traf Vorbereitungen für den Flug. »Beim Leitstern, dann muss mir eben das Unmögliche gelingen.«

298

107 NIKKO CHANTYLER

Es kamen mehr Schiffe nach Charybdis, als Nikko gehofft hatte. So viele Roamer, die bereit waren, Wentals zu den Gasriesen der Hydroger zu bringen! Es schien ziemlich viele Leute zu geben, die einen Groll gegen die Droger hegten. Die Neunankömmlinge kamen mit großer Entschlossenheit zur stürmischen Wasserwelt. Eins stand fest: Wenn dieser Krieg verloren ging, so bestimmt nicht, weil es an Enthusiasmus oder Menschenpotenzial mangelte.

Der planetengroße Ozean wogte, und Wellen klatschten gegen die felsigen Landebereiche. Das turbulente Ambiente beeindruckte selbst jene hartgesottenen Roamer, die glaubten, alles gesehen zu haben.

Nikko landete mit der Aquarius neben mehreren großen Roamer-Schiffen, die Del Kellum und andere Himmelsminen-Familien von Golgen zur Verfügung gestellt hatten. Zhett Kellum flog einen der Frachter und wies über die offenen Kom-Kanäle immer wieder darauf hin, dass sie zu den besten Piloten aller Clans zählte. Niemand zog das in Zweifel, erst recht nicht Nikko.

Vierzehn Wassertanker von Plumas trafen ein, zusammen mit vielen kleineren Schiffen. Jetzt ging es darum, all die Transporter zu beladen und ihnen zu sagen, wohin sie mit den Tanks voller Wasser fliegen sollten - das war eine logistische Aufgabe, die Nikko nicht lag. Es fiel ihm schon schwer genug, seine eigenen Routen zu planen. Er hoffte, dass Cesca bald eintraf, um ihm zu helfen.

Die anderen Wasserträger hatten die Nachricht vom bevorstehenden Angriff überall im Spiralarm verbreitet und Schiffe zu den zahlreichen Oze nw

a

elten gerufen, wo Clanmitglieder ihre Tanks mit lebendem Wasser füllten und sie damit zu den bekannten Hydroger-Welten schickten. Bisher 298

nahmen über hundert Roamer-Schiffe an der Aktion teil. In kleinen Gruppen konnten sie viele Gasriesen der Hydroger angreifen. Bald würde es für den Feind keinen Ort mehr geben, an dem er sich verstecken konnte.

Aber es musste eine koordinierte Aktion sein. Die Roamer waren für ihre Unabhängigkeit bekannt, und Nikko konnte sie nicht einfach dorthin fliegen lassen, wohin sie wollten. Dann bestand die Gefahr, dass einige Gasriesen unbehelligt blieben, während andere zwei- oder dreimal angegriffen wurden. Wenn die Verteilung der Wentals zu lange dauerte, fanden die Droger vielleicht eine Möglichkeit, sie zu blockieren. Oder sie flohen mit ihren Kugelschiffen.

Nikko wusste nicht, wie viele von Hydrogern bewohnte Gasriesen es gab.

Hunderte? Tausende? Dank der über Golgen in Betrieb genommenen Himmelsminen stand den Roamern wenigstens genug Ekti für all jene Flüge zur Verfügung. Aber ohne angemessene Organisation hätte der Plan zu einem riesigen Durcheinander geführt.

Nikko bekam schon jetzt Kopfschmerzen.

Er trat nach draußen auf die schwarzen, gischtumtosten Felsen. Roamer wanderten in der Nähe ihrer Schiffe umher und warteten ungeduldig darauf, dass sie sich auf den Weg machen konnten. Del Kellum und andere Clanoberhäupter waren gute Organisatoren, aber es widerstrebte Nikko, ihnen diese Arbeit zu überlassen. (Vermutlich hätten sie ohnehin nicht auf ihn gehört.) Er sah zum Himmel hoch und hoffte, dass Sprecherin Peroni möglichst bald kam.

Schließlich entschied er, damit zu beginnen, die Schiffe zu beladen. Nikko glaubte, wenigstens dieser Aufgabe gewachsen zu sein, mithilfe der Wentals, die sicher wussten, worauf es ankam. Als er die Tanker von Plumas anwies, über den rollenden Wellen zu schweben und die Frachte

räum zu öffnen, sendete Caleb Tamblyn skeptisch: »Ich weiß nicht, ob unsere Pumpen genügen. Diese Tanker sind

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dafür konstruiert, den hydrostatischen Druck unter einer Eiskappe zu nutzen.«

Einer der Tamblyn-Zwillinge - Nikko wusste nicht, ob es Wynn oder Torin war - fügte auf demselben Kom-Kanal hinzu: »Vielleicht müssen wir bei den kleineren Schiffen Eimer oder Fässer verwenden. Wir füllen sie auf diese Weise, wenn es sein muss.«

Nikko hatte keine Zweifel. »Beobachten Sie einfach, was geschieht. Die Wentals wollen an Bord, glauben Sie mir.«

Der Ozean kümmerte sich um den Rest. Das lebende Wasser reckte sich nach oben und strömte in die offenen Frachträume. Amöbenartige Stränge aus Wasser verhielten sich wie Pseudopodien, trotzten der Schwerkraft und tasteten nach oben. Wentals flössen in die Tanks der Roamer-Schiffe.

Rege Aktivität herrschte um ihn herum, als Nikko auf den Felsen stand und ozonhaltige Luft atmete. Das Beladen dauerte Stunden. Ein Schiff nach dem anderen kam, brachte sich über dem brodelnden Meer in Position und nahm das sonderbare Wasser auf. Ähnliche Szenen spielten sich vermutlich auch auf den anderen Wental-Welten ab, wo ebenfalls lebendes Wasser als Waffe gegen die Hydroger in Tanks strömte.

Über den allgemeinen Kanal wandte sich ein optimistisch gestimmter Nikko an die Roamer. »Wenn Sie Ihre jeweiligen Ziele erreichen, breiten sich die Wentals dort wie eine unaufhaltsame Flut in den Wolken der Gasriesen aus. Die Droger werden gar nicht wissen, wie ihnen geschieht.« Er lachte.

»Oder vielleicht doch, aber sie werden den Kampf trotzdem verlieren.«

»Die Tiwis haben nicht viel erreicht, als sie bei Osquivel die Droger zum Kampf herausforderten«, sagte Zhett Kellum. »Es wird uns eine Freude sein, ihnen zu zeigen, wie man es richtig macht.«

300

»Klingt besser als eine Klikiss-Fackel, verdammt«, fügte ihr Vater hinzu.

»Zumindest haben wir noch immer einen Planeten, wenn wir fertig sind!«

Kurz vor Sonnenuntergang traf ein weiteres kleines Wen-tal-Schiff ein. Als sich der Nachzügler der Wassergrenze näherte, streckte sich ihm ein dicker Arm des lebenden Ozeans entgegen und formte eine flüssige Landeplattform in sicherer Entfernung von der Felseninsel, auf der die Frachter standen. Das kleine Raumschiff landete sanft auf der silberblauen Plattform. Nikko vermutete sofort, dass sich Sprecherin Peroni an Bord befand, und tatsächlich: Sie trat nach draußen, umhüllt von einem seltsamen Glanz. Nikko seufzte erleichtert. Jetzt konnte sie sich darum kümmern, alles zu organisieren.

Die Roamer versammelten sich. Die meisten von ihnen konnten es gar nicht abwarten, einen wirkungsvollen Schlag gegen die Hydroger zu führen. Cesca Peroni ließ ihren Blick über die vielen Männer und Frauen schweifen, schien sich über die Größe dieser bunt gemischten Streitmacht zu freuen.

»Jess hat mir gerade eine Mitteilung durch die Wentals geduckt. Er will Qronha 3 angreifen - aber das wird nur einer on vielen gleichzeitigen Angriffen sein. Überall im Spiralarm gibt es Gasriesen der Hydroger. Die Wentals haben allen Wasserträgern und ihren jeweiligen Gruppen detaillierte Navigationsdaten übermittelt; die Ziele wurden auf der Grundlage ihrer Entfernung von den Wental-Welten ausgewählt. Die Angriffe werden sich nicht überlappen. Jedes Team hat sein eigenes Ziel.«

»Wir haben noch keine Einsatzorte ausgewählt, Sprecherin Peroni«, sagte Nikko.

Sie sah sich um. »Mit all den Schiffen hier können wir vermutlich mindestens fünfzehn Gruppen bilden. Ich gebe jeder von ihnen auf den neuesten Stand gebrachte Sternkar

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ten, in denen die Ziele verzeichnet sind. Zusammen mit den anderen Teams sollte es uns innerhalb weniger Tage gelingen, hunderte von Hydroger-Welten zu erreichen.

Wenn die Hydroger angegriffen werden, versuchen sie vielleicht, durch die Transportale zu anderen Gasriesen zu fliehen. Aber da wir überall gleichzeitig zuschlagen, gibt es für sie keinen Ort, an den sie sich zurückziehen können. Wir dürfen ihnen nicht gestatten, irgendwo ihre Kräfte zu sammeln. Es darf keine für sie sichere Welt übrig bleiben.« Die Roamer jubelten, bereit für den Kampf.

Sprecherin Peroni beschrieb die bevorstehende Offensive mithilfe von Sternkarten. Datenpunkte überall im Spiralarm markierten das Ausmaß des verborgenen Hydroger-Reichs. Als die Roamer ihre Karten verglichen und Informationen miteinander teilten, wanderte Nikko unruhig vor seinem Schiff umher. Alles war bereit.

Bevor die Roamer an Bord ihrer Schiffe gingen, deutete Cesca über die ruhelosen Wellen. Nikko glaubte, ein Klimpern zu hören, als hätte jemand an der Saite eines Musikinstruments gezupft.

Das Wogen des Charybdis-Meers hörte auf, und die Wasseroberfläche glättete sich - eine sonderbare Ruhe herrschte plötzlich. Ein zigarrenförmiges Objekt schoss empor, wie ein unter Wasser abgefeuertes Projektil. Es bestand ganz und gar aus Wental-Wasser, zu einem neuen Raumschiff geformt. Bevor der Wental-Torpedo in den Sturmwolken am Himmel verschwand, kamen fünf weitere silbrige Schiffe aus dem Ozean und rasten davon. Zehn andere folgten.

Nikko versuchte, die Torpedos im Auge zu behalten, aber sie flogen zu schnell und verschwanden jenseits der Wolken. »Wenn die Wentals dazu in der Lage waren, wozu brauchten sie dann uns und unsere Schiffe?«

Sprecherin Peroni lächelte. »Dies sind Kerne von Wental-Energie. Sie unterscheiden sich so von dem Wasser in Ihren

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Tanks wie Diamanten von Kohle. Die Wentals können nur einige von ihnen konstruieren - aber diese Schiffe sind überaus mächtig!« Sie zögerte und schien eine Nachricht zu empfangen. »Wir sollten besser an Bord gehen und starten. Jess hat Qronha 3 fast erreicht.«

108 GENERAL KURT LANYAN

Mehr als ein Dutzend Wachschiffe der Terranischen Verteidigungsflotte gaben gleichzeitig Alarm, als eine riesige Streitmacht das Sonnensystem der Erde erreichte.

»Hunderte von Zielen, General! Es sieht nach fast tausend aus!«

Lanyan befand sich an Bord der Goliath und zog alle seine Schiffe zusammen. Aus den noch zur Verfügung stehenden Mantas, Waffenplattformen und Kanonenbooten formte er einen Verteidigungsgürtel für das letzte Gefecht. »Höchste Alarmstufe. Es geht los. Wenn das die Hydroger sind... Formt eine Barriere, die sie nicht durchdringen können!«

Es herrschte rege Aktivität auf allen Kommunikationskanälen, als die Kommandanten der einzelnen Schiffe und Plattformen ihre Bereitschaft meldeten. Lanyan gab den Befehl, alle Waffensysteme vorzubereiten - Jazer und Projektilkatapulte wurden mit Energie geladen. Remora-Staffeln brachen wie Schwärme zorniger Hornissen auf, für den Nahkampf bereit.

Auf den Ortungsschirmen blinkten immer mehr Punkte, und jeder einzelne von ihnen markierte ein feindliches Schiff. Lanyan murmelte ein Gebet.

»Wir empfangen Kom-Signale, General«, meldete der Kommunikationsoffizier der Goliath.

»Wollen die Droger mit uns reden? Auf den Schirm.«

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»Es sind nicht die Hydroger, Sir.«

Auf dem Hauptschirm entstand ein Bild des stolzen ildiranischen Adars.

»Auf Befehl des Weisen Imperators komme ich mit zwei kampfbereiten Kohorten der Solaren Marine, um bei der Verteidigung der Erde zu helfen.«

Aus den Ortungsimpulsen wurden ildiranische Schiffe, jedes von ihnen mit Fahnen, Wimpeln, Finnen und Sonnensegeln geschmückt. Lanyan hatte nie etwas Schöneres gesehen. »Zwei Kohorten? Das sind fast siebenhundert Schlachtschiffe!«

»Sechshundertsechsundachtzig. Nach weiteren Beratungen hat der Weise Imperator entschieden, doppelt so viele Schiffe zu schicken wie zunächst angeboten, wegen der enorm großen Bedeutung der bevorstehenden Schlacht. Die Hydroger werden die Erde sehr bald angreifen.«

Aufgeregte Stimmen erklangen auf der Brücke der Goliath. »Sie sind ein sehr willkommener Anblick, Adar. Erlauben Sie mir, Sie zur Erde zu eskortieren.«

Die TVF-Schiffe formierten sich wie zu einer Parade, und hunderte von ildiranischen Schiffen folgten wie die Fische eines perfekt organisierten Schwarms. Als sich die gemischte Flotte der Erde näherte, begannen die Schlachtschiffe der Solaren Marine mit routinierten Manövern, wie um Beobachter zu beeindrucken. Jedes von ihnen war fast so groß wie ein Moloch, aber sie bewiesen überraschende Agilität. General Lanyan hatte sich oft abwertend über das stagnierende alte Ildiranische Reich geäußert, aber er musste eingestehen: Das Geschick der Piloten verdiente Hoch-achtung.

»Hoffentlich können sie so gut kämpfen wie tanzen«, sagte Lanyan.

Als alle Schiffe der gemeinsamen Flotte an ihrem Platz waren, bat General an um e

Lany

ine Begegnung mit Adar Zan'nh an Bord des ildiranischen gschiffs. »I

Flag

ch wollte

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schon immer mal eins Ihrer Schiffe aus der Nähe sehen, Adar.«

Der ildiranische Kommandeur reagierte ausweichend. »Vielleicht später, General. Derzeit bleiben wir lieber unter uns.«

»Äh, wie Sie wünschen.« Der General unterbrach den Kom-Kontakt und runzelte die Stirn. »Hat sonst noch jemand den Eindruck, dass dies eine jener Antworten war, bei denen >später< in Wirklichkeit >nie< bedeutet?«

Sein neuer Erster Offizier namens Kosevic nickte. Er war schlank und hatte kurzes bronzefarbenes Haar; seine Augen standen ein wenig zu weit auseinander. »So hat es sich für mich angehört, General.«

Für diesen überaus wichtigen Verteidigungseinsatz hatte der General eigentlich Patrick Fitzpatrick III. an seiner Seite wissen wollen. Trotz der unangenehmen Konfrontation bei der Willkommensparty des jungen Mannes hatte Lanyan ihn zu Goliath beordert. Aber Fitzpatrick schien verschwunden zu sein. Lanyan vermutete, dass die Großmutter des jungen Mannes etwas damit zu tun hatte. Vielleicht sollte jemand Fitzpatrick den Silberlöffel aus dem Mund nehmen und ihn woanders platzieren ...

Lanyan rätselte noch immer über die Antwort des Adars nach. »Wenn die Ildiraner fast siebenhundert Schlachtschiffe schicken, um uns gegen die Droger zu helfen ... Warum wollen sie uns dann nicht an Bord lassen?

Haben sie etwas zu verbergen?«

Der Erste Offizier war ebenfalls beunruhigt. »Ich frage mich, woher die Ildiraner den genauen Zeitpunkt des Hydroger-Angriffs kennen. Wie haben sie davon erfahren?«

Lanyan seufzte tief. »Lassen wir es zunächst dabei. Unter den gegenwärtigen Umständen möchte ich auf keinen Fall Ärger mit unseren be e

st n Freunden bekommen.«

303

109 VORSITZENDER BASIL WENZESLAS

Basil stand dicht vor dem Fenster und blickte in die beginnende Nacht hinaus. Er beobachtete die Lichter kleiner Transporter, die über den dunkler werdenden Himmel glitten. Vom obersten Stock des Verwaltungszentrums der Hanse aus gesehen bot der Palastdistrikt einen prächtigen Anblick. Zwar hatte die ildiranische Solare Marine ihr Versprechen gehalten, aber Basil empfand trotzdem keine Erleichterung. Die Sorgen lasteten zu schwer auf ihm.

Peter hat versucht, mich umzubringen!

Orangefarbene Flammen leuchteten auf den Kuppeln und Türmen des Flüsterpalastes - jede Fackel symbolisierte eine Welt, die die Charta der Hanse unterschrieben hatte. Doch wie viele jener Welten fühlten nach dem Abzug des TVF-Schutzes noch Loyalität der Erde gegenüber? Sie waren den Hydrogern jetzt hilflos ausgeliefert. Wegen Peter war alles außer Kontrolle geraten.

Der überhebliche Mistkerl hat versucht, mich zu töten!

Vor dem dunklen Hintergrund zeichnete sich Basils Gesicht im Glas der Fensterscheibe ab - es wirkte hohlwangig und verhärmt. In den vergangenen Tagen und Wochen war die Bürde der Verantwortung nicht leichter, sondern immer schwerer geworden. Basil hatte versucht, jede einzelne der vielen Krisen zu lösen, bevor neue entstehen konnten, und das Ergebnis bestand in Erschöpfung. Er nahm sich vor, bessere Stimulanzien von den medizinischen Spezialisten zu verlangen. Die nächste Verjüngungsbehandlung war zwar noch nicht vorgesehen, aber er überlegte, ob er sich ihr schon jetzt unterziehen sollte - dann hätte er sich he

frisc

r und kompetenter gefühlt. Er erinnerte sich nicht daran, wann er sich zum letzten Mal entspannenden Sex mit Sarein 303

erlaubt hatte. Inzwischen war sie von ihm mit einer sehr wichtigen Aufgabe betraut worden: Sie sollte sich um ihre Schwester, die Königin kümmern ...

Sie haben versucht, mich umzubringen, und jetzt ist Pelli->r tot!

Der stellvertretende Vorsitzende war nervös. »Nahton besteht darauf, dass er eine dringende Nachricht für König Peter hat. Seit gestern versucht er, sie zu übermitteln. Vielleicht sollten wir uns anhören, was er zu sagen hat.«

»Er hat bereits erfahren, dass er die Nachricht mir oder niemandem bringen soll. Der grüne Priester muss daran erinnert werden, wer hier das Kommando führt.«

Cain wirkte kummervoll. »Genau da liegt das Problem, Sir. Nahton hat entschieden, die Nachricht für sich zu behalten. Er lässt uns im Dunkeln.

Ich halte es für einen taktischen Fehler, wichtige Informationsquellen zu ignorieren. Wir sollten in diesem Fall eine Ausnahme machen.«

»Der Telkontakt ermöglicht dem grünen Priester direkte Kommunikation selbst mit fernen Orten. Soll ich Peter Gelegenheit geben, eine geheime Botschaft an den ganzen Spiralarm zu richten? Wohl kaum.« Basil kochte.

»Wir können Nahton nicht gestatten, an der irrigen Vorstellung festzuhalten, dass der König eine Rolle spielt. Peters Herrschaft ist beendet. Für immer.« Basil wandte sich vom Fenster ab und sah seinen blassen Stellvertreter an. »Er hat versucht, mich umzubringen, Mr. Cain. Treffen Sie Vorbereitungen für einen sofortigen Machtwechsel.«

Ein Bediensteten-Kompi brachte frischen Kardamomkaffee, aber Basil schenkte ihm keine Beachtung. Er hatte den Gefallen an seinem früheren Lieblingsgetränk vollends verloren.

»Haben Sie Beweise dafür, dass der König dahintersteckt?«, fragte Cain.

»Mir liegen noch keine Ergebnisse der Ermittlungen vor. Mr. Pellidor scheint verantwortlich zu sein.«

304

Basil schnaubte abfällig. »Und wir müssen dafür sorgen, dass die Medien davon überzeugt bleiben. Verdammter Peter!« Nach Sareins Worten beim Bankett ... für die Nachrichtennetze war der Fall klar. Franz Pellidor hatte dem Vorsitzenden über viele Jahre hinweg gute Dienste geleistet, als Sonderbeauftragter und jemand, der Geheimnisse wahren konnte. Die Öffentlichkeit hatte ihn bereits verurteilt, obwohl ihn an dem Mordanschlag überhaupt keine Schuld traf.

Basil musste die Öffentlichkeit in ihrer Meinung bestärken und die Reputation seines Freundes und Helfers in den Dreck ziehen. Die Umstände zwangen ihn, Pellidor als einen durchtriebenen Verschwörer darzustellen. Niemand durfte auf den Gedanken kommen, dass die Schuld vielleicht beim König lag. Wenn bekannt wurde, dass König Peter versucht hatte, den Vorsitzenden der Hanse zu ermorden ... Es hätte noch mehr Unruhe in die bereits von Furcht und Verwirrung geplagte Bevölkerung getragen.

Aber Peter und die schwangere Estarra würden dafür bezahlen. 0 ja. Sarein hatte bereits ihre Anweisungen bekommen. Nun würde Basil sehen, wer seine Verbündeten waren -wenn es noch welche gab.

Müde nahm er an seinem Schreibtisch Platz, auf dem sich Berichte stapelten. »Raymond Aguerra schien der perfekte Kandidat gewesen zu sein. Unsere Beobachter, unter ihnen Mr. Pellidor, ließen ihn ein Jahr lang nicht aus dem Auge. Er führte ein grässliches Leben, hatte keine Zukunft und kaum Potenzial. Und wir haben ihm alles gegeben. Warum kämpft er gegen uns?« Er schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, und die Kaffeekanne klapperte auf dem Tablett. »Ich hätte ihn beim ersten Anzeichen von Problemen eliminieren und neu beginnen sollen, wie bei Prinz Adam.«

»Adam? Ich wusste gar nicht...«

»Niemand weiß davon. Er hatte Fredericks Nachfolger sein sollen, aber wir bemerkten unseren Fehler noch recht

304

zeitig. Die Sache wurde sauber und ohne Aufsehen geregelt. Aber bei Peter ist es dafür zu spät. Wir müssen Schadensbegrenzung betreiben.« Basil faltete die Hände. »Andererseits ... Wenn die verdammten Hydroger kommen, gibt es nicht mehr viel menschliche Geschichte, die neu geschrieben werden muss.«

Er seufzte. »Vielleicht haben wir eine Überlebenschance, dank der ildiranischen Kriegsschiffe. Zumindest die Ildiraner haben sich als zuverlässig erwiesen und ihr Versprechen gehalten. Wenn wir König und Königin beseitigt haben, können wir einen neuen Anfang machen.«

»Verzeihen Sie meine offenen Worte, Vorsitzender, aber glauben Sie wirklich, dass Prinz Daniel die beste Alternative ist?«

»Nein, das glaube ich nicht. Aber wir haben nur Daniel, sonst niemanden.«

»Möchten Sie, dass ich mit dem König über seinen Rücktritt spreche? Ich kann einen passenden politischen Vorwand finden und ihn und die Königin in ein ruhiges Exil schicken. Dann stünde uns Peter noch zur Verfügung, für den Fall dass sich Daniel... als noch schlimmer erweist.«

»Ausgeschlossen! Peter hat sein wahres Wesen oft genug gezeigt.« Basil richtete einen durchdringenden Blick auf seinen Stellvertreter. »Warum werden Sie so zimperlich, Cain?«

»Ich biete vernünftige Alternativen an, Vorsitzender. Das ist die Aufgabe, die Sie mir zugewiesen haben.«

Selbst Cain klang, als stünde er kurz vor der Insubordination! »Es gibt keine Alternativen, weder vernünftige noch andere.« Es fiel Basil schwer, die Enttäuschung über seinen Stellvertreter zu verbergen. Er rieb sich die brennenden Augen und wollte allein sein. »Sie können gehen. Sie haben Ihre Anweisungen. Um die ... unschönen Details kümmere ich mich selbst, we

Si

nn e dazu nicht fähig sind.« Verdammt, jetzt könnte ich Pellidor gebrauchen.

305

Cain ging, und Basil sah ihm nach. Vielleicht brauche ich nicht nur einen neuen König, sondern auch einen neuen Stellvertreter.

110 KÖNIGIN ESTARRA

Als am nächsten Morgen Sarein kam, um Estarra fortzubringen, wusste die Königin, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. »Der Vorsitzende Wenzeslas bat mich darum. Er ... gab mir klare Anweisungen. Es tut mir leid, Estarra.« Das Gesicht ihrer Schwester zeigte Sorge, und Sarein wandte sich rasch ab, um sie zu verbergen.

In Estarras Kopf schrillten alle Alarmsirenen. Ist es so weit? »Ich hätte nicht gedacht, dass du es sein würdest«, sagte sie bitter.

Sarein sah sie verwundert an. »Wie meinst du das?«

»Ich habe halb mit königlichen Wächtern gerechnet, die hereingestürmt kommen und uns niederschießen, wie beim letzten russischen Zaren und seiner Familie. Aber nicht mit meiner eigenen Schwester.« Estarra ließ unerwähnt, dass sie Captain McCammon traute, bis zu einem gewissen Grad.

»Sei nicht melodramatisch. Ich will dir nichts tun, soll dir nur etwas zeigen.

Basil nennt es deine Strafe.« In Sareins dunklen Augen blitzte es kurz. »Und wie kann ich es ihm verdenken?«

Estarra musterte sie kühl. »Hast du die Dinge überprüft, von denen ich dir erzählt habe? Die Anschläge auf unser Leben?«

»Ja«, antwortete Sarein und senkte dabei die Stimme. »Ja, das habe ich.

Komm jetzt, damit wir dies hinter uns bringen können.«

306

Die Füße der Königin fühlten sich bleischwer an, und die Luft roch nach Gefahr. Königliche Wächter führten sie durch die normalerweise versperrte Tür und zum privaten Garten des Gewächshauses.

Als sie es erreichten, traf der Geruch Estarra wie ein Schlag - es roch nach Chemikalien und Asche. Dieser Ort war eine Art Refugium für sie gewesen, in dem sie Ruhe und Frieden fand. Er hatte sie an ihre Heimat Theroc erinnert. Jetzt musste sie bei dem Geruch würgen.

Was hat er getan?

Der einst so prächtige Garten war öde und braun. Pflanzen waren vergiftet oder verbrannt - an manchen Stellen hatte man sie ganz aus dem Boden gerissen. Alle Gewächse von Theroc waren verschwunden, unter ihnen auch die Fauldur-Beeren.

Sarein trat drei Schritte weit ins Gewächshaus und wandte sich an ihre Schwester. »Damit will er dich verletzen«, sagte sie voller Betroffenheit. »Ich habe es in seinem Gesicht gesehen. Er weiß, dass du zusammen mit Peter hinter dem Mordanschlag steckst. Er kann es nicht beweisen, aber das spielt keine Rolle für ihn.«

Estarra stockte der Atem. Ihr Blick galt noch immer den entwurzelten Pflanzen und ihren braunen, welk werdenden Blättern. Wie bei den Delfinen. Er zerstört etwas, das ich liebe. »Es ist nur der Anfang.«

Sarein trat zu ihr und schlang die Arme um ihre Schwester. Estarra fühlte ihr Zittern. Sarein flüsterte in ihr Ohr, damit niemand sonst ihre Worte hörte. »Ich habe an deiner Geschichte gezweifelt, aber jetzt weiß ich, dass du die Wahrheit gesagt hast. Basil ist nicht der Mann, für den ich ihn hielt -

t me

nich

hr -, und ich fürchte das, was er als Nächstes tun könnte.«

»Der Vorsitzende will Peter und mich loswerden«, sagte Estarra.

306

»Da hast du vermutlich recht«, erwiderte Sarein nach einer kurzen Pause.

Sie umarmte Estarra noch immer und schirmte sie vor dem Blick der Wächter an der Tür des Gewächshauses ab. »So wie ich die Sache sehe, musst du irgendwie von hier verschwinden.«

Estarra antwortete nicht. Konnten sie aus dem Flüsterpalast fliehen? Ja, es war möglich - Prinz Daniel hatte es geschafft. Wenn Peter und sie den Palast verlassen hatten, konnten sie unauffällige Kleidung tragen und in der Stadt untertauchen.

Peter hatte ihr von seiner Zeit als Straßenjunge erzählt. Estarra zweifelte nicht daran, dass sie imstande waren, dort draußen zu überleben und irgendwo Arbeit zu finden. Peter hatte damals zum Lebensunterhalt seiner Mutter und Brüder beigetragen. Natürlich konnten sie nicht erwarten, weiterhin in königlichem Luxus zu leben, aber Estarra war kein verwöhntes Kind und fühlte sich durchaus imstande, Entbehrungen zu ertragen. Ein Zucken in ihrem Bauch erinnerte sie daran, dass sie auch an ihr ungeborenes Kind denken musste. Sie fragte sich, ob die Niederkunft der Königin der Hanse in irgendeiner dunklen Gasse stattfinden würde.

»Wenn du Pläne schmiedest, so erzähl mir nichts davon«, sagte Sarein rasch. »Was ich nicht weiß, kann ich auch nicht verraten.«

Estarra sah ihre Schwester an. »Wenn wir zu entkommen versuchen, wird der Vorsitzende alle seine Möglichkeiten nutzen, um uns zu finden. Gibt es einen Ort auf der Erde, wo wir sicher sein können?«

»Auf der Erde gibt es keinen sicheren Ort. Aber vielleicht auf Theroc.«

»Dann komm mit uns, Sarein. Lass uns zusammen heimkehren.«

»Unmöglich.«

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»Wie kannst du bei Basil bleiben? Du weißt, was für ein Mann er ist!«

»Ich weiß auch, was für ein Mann er war.« Sarein fügte rasch hinzu:

»Außerdem bin ich nützlicher, wenn ich als Stimme der Vernunft hier bleibe. Ich kann mit Basil reden und in schwierigen Situationen vermitteln.«

Estarra widersprach ihrer Schwester nicht. Sie sah sich noch einmal im verheerten Garten um und sagte dann mit gedämpfter Stimme: »Ich bin nie sicher, auf welcher Seite du stehst, Sarein. Ich dachte, du liebst Basil Wenzeslas.«

»Ich liebe ihn tatsächlich. Besser gesagt, ich habe ihn einmal geliebt. Oder vielleicht dachte ich nur, dass es Liebe ist. Aber du bist meine Schwester.

Das ändert sich nie.«

I I I KOLKER

Kolker war sehr überrascht, als er erfuhr, dass es im Prismapalast einen weiteren grünen Priester gab. Beziehungsweise eine grüne Priesterin. Sie kam zu ihm. »Uns verbindet etwas. Ich bin Nira.«

Er saß auf einer Bank, wo ihn buntes Licht durch ein prismatisches Fenster erreichte. Rasch stand er auf, sah die grüne Haut der Besucherin und schloss aus den Tätowierungen in ihrem Gesicht, dass es sich um eine Geschichtenerzählerin und Reisende handelte. »Wie sind Sie hierhergekommen? Sind Sie ebenfalls gefangen?«

»Nein, ich bin nicht gefangen - nicht mehr. Und Sie auch nicht.«

»Ich bin so lange gefangen, bis ich einen Weltbaum berühren und erneut den Telkontakt fühlen kann. Es ist so lange her.«

307

Nira streckte ihm eine schwielige Hand entgegen. »Begleiten Sie mich.«

Seit einer Weile verbrachte Kolker überraschend viel Zeit mit Tery'l. Er hatte gelernt, die Gesellschaft des alten Ildira-ners aus dem Linsen-Geschlecht zu schätzen, und war jetzt daran interessiert, mehr über das Thism zu erfahren, über die Seelenfäden, die alle Ildiraner miteinander verbanden. Ihn faszinierte die Vorstellung, dass alle Angehörigen dieses Volkes auf eine Weise verbunden waren, die für Menschen und selbst grüne Priester unerreichbar blieb. Der Gedanke daran stimmte ihn traurig.

Was ihm am meisten fehlte, war die Stimme des Weltwalds. Wie gern hätte er im Telkontakt mit Yarrod und all den anderen grünen Priestern gesprochen. Er fühlte sich so einsam. Aber er wusste, dass der einzige Schössling zerstört worden war. Vielleicht konnte Nira einen Teil seiner Leere füllen und den Schmerz der Isolation lindern. Kolker fragte sich, wohin sie ihn führte.

Nira erzählte ihre Geschichte in knappen Worten. Kolker wusste bereits, dass die Ildiraner Unglaubliches angestellt hatten, doch Niras Schilderungen bestürzten ihn.

»Nicht alle Ildiraner sind so verräterisch«, versicherte sie ihm. »Das möchte ich Ihnen beweisen.«

Kolker folgte ihr durch kurvenreiche helle Korridore zu den gläsernen Dächern der höchsten Türme. Nira schien den Weg genau zu kennen, und er stellte keine Fragen. Es gab schon so viele Dinge, die er nicht verstand.

Schließlich erreichten sie ein Gartendach. Zahlreiche Büsche und Blumen gediehen hier im hellen Sonnenschein. »Ich habe ihn hierhergebracht, damit er seine Blattwedel unter dem offenen Himmel ausbreiten kann.«

Als Kolker den kleinen Schössling sah, der aus einem angesengten stamm wuchs, schlug

Holz

sein Herz schneller. Er streckte die Hände aus,

wie ein Ertrinkender, der nach

308

dem Rettungsring griff. »Woher ... woher kommt dieser Baum?«

Nira beugte sich über das verkohlte Holz, aus dem die Blattwedel wie Sprossen ragten. »Ich habe Leben in diesem Stück gefunden und lenkte das Selbst des Weltwalds hierher, mithilfe des Telkontakts und des Thism als Katalysator. Der Saft floss, und das Holz wurde wieder lebendig.«

Kolker sehnte sich nach dieser Verbindung, seit er in der Wolkenmine von Qronha 3 seinen Schössling verloren hatte. Er erinnerte sich daran, wie er versucht hatte, ihn festzuhalten und in Kontakt zu bleiben, doch er war gestolpert. Die Erinnerung bereitete ihm noch immer Schmerz - der kleine Baum war in die Tiefen des Gasriesen gestürzt.

Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Gier berührte Kolker die Blattwedel, und sofort war der Kontakt da - ein Schaltkreis schien sich zu schließen.

Seit der letzten Verbindung hatte er sich diesen euphorischen Moment vorgestellt.

In einer Flut, sie sowohl ewig währte als auch nur einen Moment dauerte, erfuhr Kolker alles und berichtete von allem. Er durchquerte die dichten Wälder aus Gedanken und Erinnerungen und erreichte viele seiner Bekannten. Ja, Yarrod war da, und er freute sich sehr zu erfahren, dass sein Freund noch lebte. Er suchte vergeblich nach Rossia, Clydia und vielen anderen grünen Priestern, mit denen er früher gesprochen hatte. Sie waren tot, entweder den Hydrogern oder den revoltierenden Soldaten-Kompis zum Opfer gefallen.

Der Weltwald und die anderen grünen Priester wussten jetzt, was mit ihm geschehen war und wie sich der Weise Imperator den menschlichen Himmelsminenbetreibern gegenüber verhalten hatte. Von Nira hatten sie auch den Rest der Geschichte erfahren und wussten, dass Sullivan und seine Leute bereit gewesen waren, der Solaren Marine zu helfen.

308

Kolker ließ den Schössling nicht los, sendete die ganze Zeit über und empfing andere Gedanken. Er hatte versucht, Tery'l diese Empfindungen zu beschreiben, ohne großen Erfolg. Voller Dankbarkeit sah er zu Nira auf.

Als sich seine Finger schließlich von den kleinen Blattwedeln lösten, blieb ein Prickeln in ihnen zurück. Gleichzeitig spürte er etwas Seltsames.

Nira lächelte. »Jetzt stehen Sie wieder mit dem Weltwald in Verbindung.

Darauf haben Sie die ganze Zeit gewartet, nicht wahr?«

»Ja!« Aber tief in seinem Innern fühlte er sich sonderbar leer. Über so viele Monate hinweg hatte er sich dies gewünscht und hätte vor Freude außer sich sein sollen. Doch zu seiner großen Überraschung war der Kontakt nicht so wundervoll gewesen, wie er ihn Tery'l beschrieben hatte. Waren seine Erinnerungen übertrieben gewesen? Oder hatte er sich verändert?

Als er die Blattwedel losließ, hatte er keinen Kontakt mehr mit dem Weltwald. Dies war nicht wie die von Tery'l beschriebenen Verbindungen im Thism. Kolker stellte fest, dass seine Rückkehr zum Telkontakt seltsam unbefriedigend war, und er wusste nicht, was er davon halten sollte.

112 KÖNIG PETER

Peter und Estarra wussten, dass sich etwas zusammenbraute. Estarra war von der Verheerung ihres prächtigen Gartens ebenso angewidert wie von der gehässigen Freude, mit der Basil Wenzeslas Sarein beauftragt hatte, ihr se

Z

in erstörungswerk zu zeigen. Aber das war nur der Anfang. Bestimmt stand ihnen noch viel Schlimmeres bevor.

309

In den königlichen Gemächern isoliert - aber nicht ganz so isoliert, wie Basil annahm -, las Peter den letzten Situationsbericht, den er eigentlich gar nicht haben sollte. Es war Captain McCammon ausdrücklich verboten, ihm solche Berichte zukommen zu lassen, aber an diesem Morgen erschien trotzdem einer auf dem Bildschirm. Peter vermutete, dass er vom stellvertretenden Vorsitzenden Cain stammte.

Der Bericht gab Auskunft über die Verteidigungsaufstellung der TVF-Schiffe und der ildiranischen Flotte. Außerdem ging aus ihm hervor, welche Vorbereitungen die Erde auf den unmittelbar bevorstehenden Angriff der Hydroger traf. Der Vorsitzende Wenzeslas hatte Peter praktisch die Hände gebunden. Estarra und er mussten drastische Maßnahmen ergreifen, und zwar bald.

»Peter!«, flüsterte Estarra.

Er drehte sich um und sah zwei Gestalten neben der Tür. Captain McCammon und drei seiner königlichen Wächter versperrten ihnen den Weg, schienen aber bereit zu sein, die beiden Besucher passieren zu lassen.

Eine war Sarein, die vergeblich versuchte, ihre Nervosität zu verbergen.

Das Gesicht der zweiten Gestalt war unter einer Kapuze verborgen, und sie trug Handschuhe.

Peter wechselte einen Blick mit Estarra, die kurz nickte. »Es ist alles in Ordnung, Captain«, sagte er. »Lassen Sie die Besucher eintreten.«

Sarein kam durch die Tür und schien sich so klein wie möglich machen zu wollen, um nicht gesehen zu werden. Die zweite Gestalt folgte ihr und schob die Kapuze zurück. Zum Vorschein kam ein Gesicht, in dem fleischfarbenes Make-up die grüne Haut verbergen sollte.

»Nahton!«, entfuhr es Estarra erfreut, aber der Mann blieb ernst.

Sarein atmete tief durch. »Als ich erfuhr, dass Basil den 309

grünen Priester absichtlich von dir fernhält... Da musste ich etwas unternehmen. Nahton hat eine wichtige Nachricht, die du dir anhören solltest. Er will sie nur euch beiden mitteilen, sonst niemandem.«

Peters Blick glitt zu McCammon, der Haltung annahm. »Das ist alles, Captain. Bitte schließen Sie die Tür.«

Der Captain sah Sarein skeptisch an - angesichts des jüngsten Mordanschlags widerstrebte es ihm ganz offensichtlich, die beiden Besucher beim königlichen Paar zurückzulassen. Estarra schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. »Es ist alles in Ordnung, Captain.«

»Damit verstoße ich gegen die Anweisungen des Vorsitzenden«, sagte er, überlegte kurz und hob das Kinn. »Allerdings erscheint es mir klug, den König an wichtigen Angelegenheiten teilhaben zu lassen.« Er ging zusammen mit den drei Wächtern.

Als sie allein waren, senkte Nahton den Kopf. »Der Vorsitzende Wenzeslas wollte mich zwingen, die Nachricht ihm zu geben anstatt Ihnen. Aber ich diene weder dem Vorsitzenden noch der Hanse. Ich diene dem Weltwald.«

Peter fühlte, wie seine Aufregung zunahm. Vielleicht ergaben sich neue Möglichkeiten. »Wir könnten zweifellos die Hilfe eines grünen Priesters gebrauchen.«

»Wie lautet die Nachricht, Nahton?«, fragte Estarra. Sarein schien sehr neugierig zu sein und gleichzeitig zu fürchten, was der grüne Priester zu sagen hatte.

»Ich muss Ihnen mitteilen, was die Ildiraner und Hydroger planen. Ich muss Ihnen von den Schlachtschiffen der Verdani erzählen, großen Bäumen, die zur Erde unterwegs sind. Und was die Roamer machen und die Wentals.«

Der grüne Priester erstattete Bericht, informierte und warnte das königliche Paar. Peter hielt Estarras Hand und nahm alles in sich auf.

Sarein hörte überrascht und kommentarlos zu.

310

Als Nahton fertig war, sagte der König: »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Sprechen Sie mit den grünen Priestern und setzen Sie sich mit Estarras Eltern in Verbindung, damit sie wissen, dass wir ihre Hilfe brauchen. Wir brauchen Theroc. Und teilen Sie den Roamern mit, dass der Wille des Vorsitzenden nicht der Wille des Königs ist. Die Königin und ich werden gefangen gehalten. Basil Wenzeslas erteilt Anweisungen, die ich verabscheue, in meinem Namen. Ich verurteile seine Aktionen gegen die Roamer. Wir benötigen ihren Einfallsreichtum. Alle Gruppen der Menschheit müssen zusammenstehen.«

Nahton nickte. »Auf vielen verwaisten Hanse-Kolonien gibt es grüne Priester, und jene Kolonialwelten unterhalten Beziehungen mit Roamer-Händlern. Wenn ich wieder bei meinem Schössling bin, gebe ich Ihre Botschaften durch den Telkontakt weiter.«

»Danke, Nahton«, sagte Estarra. Sie richtete einen finsteren Blick auf ihre Schwester. »Ich hoffe, du läufst nicht sofort zum Vorsitzenden, um ihm alles zu erzählen.«

Sareins Miene zeigte Unbehagen. »Selbst wenn ich wollte ... Ich weiß nicht, ob er mich überhaupt empfangen würde. Seit meiner Warnung beim Bankett und Pellidors Tod ist er zu mir auf Distanz gegangen.«

»Du scheinst die Dinge für alle ruiniert zu haben«, sagte Peter bitter.

Trotz erschien in Sareins Zügen. »Ich bedauere nicht, was ich getan habe.«

»Wir alle mussten schwere Entscheidungen treffen«, sagte Estarra. »Danke dafür, dass du Nahton hierhergebracht hast. Ich weiß, dass es nicht leicht für dich gewesen ist.«

»Ich kann nur hoffen, dass man uns nicht gesehen hat.« Sarein schien es eilig zu haben, die königlichen Gemächer wieder zu verlassen. Nahton zog die

sich

Kapuze über den Kopf, und die beiden Besucher gingen an den königlichen

311

Wächtern vorbei, kehrten ins Labyrinth des Flüsterpalastes zurück.

Anstatt die Tür zu schließen, trat Captain McCammon ein. Er zögerte, schien mit sich selbst zu ringen und seinen ganzen Mut zusammenzunehmen. »König Peter«, sagte er leise, »fünf meiner Wächter haben große Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, wie der Vorsitzende beim Krieg vorgeht und wie er Sie behandelt. Sie sind nicht sicher, ob seine Absichten im Interesse der Hanse liegen.«

»Das ist eine Untertreibung«, erwiderte Peter. »Und Sie, Captain McCammon?«

»Ich dachte, mein Standpunkt wäre inzwischen klar. Ich glaube, dass ziemlich viel Blut an den Händen des Vorsitzenden klebt - das Blut von Silbermützen, TVF-Soldaten und vermutlich noch weitaus mehr Menschen. Ich glaube, viele mussten sterben, weil er Ihnen wichtige Informationen vorenthielt. Damit möchte ich nicht erneut mein Gewissen belasten.«

»Wie lauten die Namen der fünf Wächter?«, fragte Estarra.

McCammon zögerte. »Sie haben im Vertrauen zu mir gesprochen. Ich fühle mich verpflichtet, ihre Namen nicht preiszugeben.«

»Ich glaube, Königin Estarra möchte, dass jene Männer für den Wachdienst bei uns eingeteilt werden«, sagte Peter. »Wer weiß, gegen welche Feinde wir uns verteidigen müssen, und ich möchte dabei Leute in der Nähe wissen, auf die ich zählen kann.«

McCammon lächelte erleichtert. »Ich werde alles Notwendige in die Wege leiten, Euer Majestät.«

In der folgenden Nacht fand Peter keine Ruhe, denn er wusste, dass jede e

rz it jemand mit der Absicht kommen konnte, ihn und Estarra umzubringen. Wie viel Zeit würde sich Basil lassen, bevor er aktiv wurde?

311

Er erwachte plötzlich, als die Stimme des Kompi OX neben dem Bett erklang. »König Peter, Königin Estarra, ein Besucher möchte mit Ihnen sprechen.«

Peter setzte sich ruckartig auf. Durch die Fenster kam gerade genug Licht vom Palastdistrikt, damit er Einzelheiten im Schlafzimmer erkennen konnte. OX wartete geduldig, als wäre ihm die Störung peinlich.

»Noch ein Besucher?« Furcht blitzte in Estarras dunklen Augen.

Peter bemerkte die geisterhafte Gestalt eines blassen Mannes hinter dem Kompi. Sie trat etwas näher. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich auf diese Weise zu Ihnen komme, König Peter. Ich glaube, die Umstände sind ernst genug, um ein solches Risiko zu rechtfertigen. Sie wissen, dass Ihre Tage gezählt sind.«

Der stellvertretende Vorsitzende Cain - er hatte ihnen geholfen, aber gab es in der Regierung der Hanse eine Person, die wirklich Vertrauen verdiente?

Peter verließ das Bett. »Basil Wenzeslas behält Sie bestimmt im Auge.

Fürchten Sie nicht, gesehen zu werden? Wie sind Sie hereingekommen?«

Cain winkte ab. »Es ist mitten in der Nacht, und ich bin durchaus imstande, für eine gewisse Zeit der Überwachung zu entgehen. Außerdem waren Ihre königlichen Wächter hilfreich.« Er zog einen Stuhl heran und setzte sich. »Wenn Sie mit Ihrem Mordanschlag auf den Vorsitzenden einen Erfolg gehabt hätten ... Es wäre die perfekte Lösung für unser kleines Dilemma gewesen. Ich wäre sein Nachfolger geworden, und wir hätten eine Vereinbarung treffen können. Doch das ist jetzt nicht mehr möglich. Basil Wenzeslas wird sich nie wieder eine Blöße geben und sehr bald versuchen, Sie und die Königin zu beseitigen. Vermutlich dauert es nur noch ein oder zwe T

i age, bis ein fanatischer Attentaten irgendwo im Königlichen Flügel auf Sie lauert.«

312

»Warum sind Sie zu uns gekommen?«, fragte Peter. »Um uns aufzufordern zu beten?«

»Wie ich schon sagte: Es besteht nicht mehr die Möglichkeit, den Vorsitzenden aus dem Weg zu räumen. Deshalb müssen Sie beide den Palast verlassen. Am besten auf eine völlig unerwartete Weise.« Cain holte mehrere Speichermodule hervor. »Sie enthalten Informationen über das kleine Kugelschiff der Hydroger. Die Forscher haben wichtige Durchbrüche erzielt, und sie alle sind hier drin dokumentiert. Es sind enorm viele Daten.

Für die Forscher gab es keinen Grund, über das theoretische Stadium hinauszugehen, doch bei Ihnen sieht die Sache anders aus. Auf diese Weise könnten Sie die Erde verlassen.«

Peter nahm die Speichermodule entgegen. Ein traditionelles Schiff musste damit rechnen, von der TVF-Flotte in der Nähe der Erde aufgebracht zu werden, aber das kleine Kugelschiff mochte schnell genug sein, ihnen zu entkommen - wenn er es fliegen konnte.

»Und was ist mit Ihnen, Mr. Cain? Möchten Sie die Erde ebenfalls verlassen? Sie wissen, dass Basil aufgehalten werden muss, zum Wohle der Hanse.«

Cain strich sich mit dem Finger über die farblosen Lippen. »Was ich weiß und was ich tun kann, sind zwei verschiedene Dinge. Immer wieder habe ich wichtige Informationen an die Medien durchsickern lassen, aber mehr wage ich nicht. Meine Beteiligung an dieser Angelegenheit muss absolut geheim bleiben. Es war sehr riskant, Ihnen zu helfen. Wenn der Vorsitzende dahinterkommt, bin ich erledigt.« Er wich in die Dunkelheit zurück. »Sie dürfen sich nicht mehr auf mich verlassen. Ich habe Ihnen Daten gegeben, die Sie gut verwenden können. Es liegt bei Ihnen, was Sie damit anfangen.

je

Von tzt an müssen Sie ohne mich zurechtkommen. Was auch immer Sie e

ch

nts

eiden: Ich hoffe, Sie haben Erfolg.«

312

»Sind Sie sicher, dass Sie nicht noch mehr tun können?«, fragte Peter, als Cain in der Finsternis verschwand. Er wartete, bekam aber keine Antwort.

»Mr. Cain?« Der stellvertretende Vorsitzende war verschwunden. OX blieb beim königlichen Paar. »Ich bin wie immer gern bereit, Ihnen zu helfen, auch dabei, einen Plan in die Tat umzusetzen - natürlich im Rahmen meiner Programmierung.«

Peter sah den Kompi an, wandte sich dann an Estarra und widmete ihr seine volle Aufmerksamkeit. »Ich muss dich und unser Kind retten, aber wir dürfen bei dieser Sache nicht nur an uns denken. Es gilt, zum Wohle der Menschheit zu handeln.«

Halbdunkel umgab sie, aber er sah den Glanz in Estarras Augen. »Peter, der Vorsitzende Wenzeslas macht einen großen Fehler, wenn er unter Menschheit nur die Mitglieder der Hanse versteht. Er hat bereits die Roamer, Theronen und all die Siedler auf den im Stich gelassenen Kolonien abgeschrieben. Die Menschheit ist viel größer, als Basil Wenzeslas glaubt.«

Peters Blick verweilte auf Estarra. »Worauf willst du hinaus?«

Sie nahm seine Hand. »Sarein hat gestern im Gewächshaus einen Vorschlag gemacht. Wenn wir auf der Erde nicht sicher sind, müssen wir einen anderen Ort aufsuchen. Theroc würde uns aufnehmen. Es wäre perfekt. Und ...« Sie senkte die Stimme. »Ich würde gern heimkehren.«

»Wir können der Menschheit nur dann helfen, wenn wir am Leben bleiben«, pflichtete Peter seiner Frau bei. Er hob die Speichermodule, die er von Cain erhalten hatte. »Aber wenn wir unsere Ziele erreichen wollen, genügt es nicht, den Flüsterpalast zu verlassen. Wenn König und Königin ve chwind

rs

en, lässt sich Basil irgendeine Erklärung einfallen und setzt ie

Dan l auf den Thron.«

313

»Und dann ist die Menschheit zum Untergang verurteilt.«

Peters Züge verhärteten sich. »Wir dürfen Basil keinen Ausweg offen lassen.

Daniel muss zusammen mit uns verschwinden.«

113 WEISER IMPERATOR JORA'H

Jora'h hatte den Forderungen der Hydroger nachgegeben und Adar Zan'nh mit nahezu siebenhundert Schiffen zur Erde geschickt, doch sechzig Kugelschiffe kehrten nach Ildira zurück. Die Fremden aus den Tiefen der Gasriesen schienen den Weisen Imperator nicht für einen sehr vertrauenswürdigen Verbündeten zu halten.

Ob wir uns ihnen fügen oder nicht: Sie haben in jedem Fall vor, uns alle umzubringen. Das begriff Jora'h jetzt.

Mehr als tausend Kriegsschiffe sammelten sich im Orbit, dazu bereit, den Weisen Imperator zu schützen. Die Hydroger waren den Ildiranern zahlenmäßig weit unterlegen, doch sie flogen voller Arroganz über den ildiranischen Himmel. Offenbar hielten sie sechzig Kugelschiffe für ausreichend.

Sie genügten, um den Prismapalast zu zerstören, den Weisen Imperator zu töten und Mijistra in Schutt und Asche zu legen. Wenn sie wollten. Selbst wenn sich ihnen genügend Schiffe der Solaren Marine entgegenwarfen und mit ihnen kollidierten - die Explosionen und herabstürzenden Trümmer hätten einen großen Teil der Hauptstadt zerstört. Und die Hydroger konnten jederzeit weitere Schiffe nach Ildira schicken.

Durch die von Tal O'nh durchgeführte Evakuierung von Hyrillka fehlten die größten Schiffe der Solaren Marine - Tal

313

Ala'nhs gesamte Kohorte befand sich im Einsatz. Die ersten Flüchtlingsschiffe erreichten Ildira, an Bord hunderte und tausende von heimatlosen Hyrillkanern. Doch die Zentralwelt des Ildiranischen Reiches bot keine Sicherheit mehr.

Als die Kugelschiffe am Himmel über Mijistra erschienen, wies Jora'h Nira und Kolker an, sich zu verstecken. Er wusste, dass die Hydroger die Verdani hassten - sie durften nicht erfahren, dass sich grüne Priester im Prismapalast aufhielten.

Osira'h blieb an seiner Seite und lächelte geheimnisvoll. »Mein Bewusstsein ist offen. Ich fühle die Kugelschiffe über der Stadt. Die Hydroger sind zornig

... aber das sind sie immer. Sie stecken auch voller Argwohn, denn sie verstehen die Ildiraner nicht.«

»Sie haben nicht versucht, uns zu verstehen. Das ist ihr Fehler und ihre Schwäche.« Jora'h sah auf seine Tochter hinab und versuchte, an Zuversicht festzuhalten. »Du verrätst ihnen doch nicht unser kleines Geheimnis, oder?«

»Nein.« In Osira'hs Stimme lag nicht einmal ein Hauch von Zweifel.

Tal Lorie'nh war gerade von den Verteidigungskohorten im Orbit zurückgekehrt und wartete als Berater im Audienzsaal der Himmelssphäre: ein älterer Offizier, groß und schlank, mit einer wenig spektakulären militärischen Laufbahn - er ging nur selten Risiken ein und übertraf nie die Erwartungen. Doch Jora'h wusste, dass er jedem Befehl Folge leisten würde.

Jora'h hatte sich entschieden, obgleich er glaubte, dass sein Volk einen hohen Preis dafür zahlen musste. Von den Hyrillka-Flüchtlingen und aus Berichten von anderen Schiffen der Solaren Marine wusste er, dass die Hydroger an zahlreichen Fronten gegen die Faeros kämpften. Inzwischen verfügte Nira wieder über eine Verbindung zum Weltwald, und sie hatte Jora'h von den Aktionen erzählt, die überall im Spi 314

raiarm vorbereitet wurden. Wie viel mehr konnten die Fremden aus den Tiefen der Gasriesen ertragen? Die Wentals und die Schlachtschiffe der Verdani gaben vielleicht den Ausschlag. Wollten die Hydroger gleichzeitig auch noch gegen die Ildiraner kämpfen?

Vielleicht können wir dies doch noch überleben. Wenn wir stark sind... und wenn wir Glück haben. Die Konsequenzen seiner Entscheidung konnten Leben oder Tod für ihn bedeuten. Er wusste genau, was es zu sagen galt.

Dies war sein Reich.

Als der Gesandte der Hydroger schließlich im Prismapalast eintraf, stand Jora'h auf und trat ihm entgegen. Er legte Osira'h die Hand auf die Schulter und beobachtete, wie die kleine Druckkapsel vor dem Podium verharrte.

Tal Lorie'nh wirkte alarmiert und nervös. Er hatte noch nie einen Hydroger aus der Nähe gesehen, war ihnen noch nicht einmal im Kampf begegnet.

Jora'h sah, wie das Wesen im Innern der Kapsel menschliche Gestalt annahm. Die Uhr tickte, wusste der Weise Imperator. Er sprach mit fester Stimme und machte keinen Hehl aus seinem Unmut. »Warum kommen Sie hierher? Ich habe die Schiffe der Solaren Marine bereits zur Erde geschickt, wie von Ihnen verlangt. Erkennen Sie nicht, dass ich Ihren Forderungen nachkomme?«

»Wir sind hier, um sicherzustellen, dass Sie Ihr Versprechen halten«, erwiderte der Gesandte klanglos. »Andernfalls bringen wir Strafe.«

Jora'hs Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber er fühlte seine Brust wie von einem Dolch aus Eis durchbohrt. »Das ist nicht nötig.«

»Dennoch beabsichtigen wir, hier zu bleiben, bis die Schlacht um die Erde ein zufriedenstellendes Ende gefunden hat. Falls Sie uns verraten wollen, e

r

rfah en wir sofort davon.«

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Jora'h zeigte keine Furcht. Ildiraner glaubten, als Teil einer großen kosmischen Geschichte geboren zu sein, und sie hielten die Saga der Sieben Sonnen für eine Art Karte, die ihnen die Realität von Vergangenheit und Gegenwart zeigte. Doch von seinem Vater wusste Jora'h, dass viele jener Informationen verfälscht oder sogar völlig unwahr waren. Es kam jetzt vor allem darauf an, wie er agierte. Er wollte in der Saga nicht als Feigling und Verräter geschildert werden ... wenn jemand überlebte und neue Strophen schreiben konnte.

Jora'h fühlte sich machtlos, wich aber nicht zurück. Er ballte die Fäuste und traf eine schwere Entscheidung. »Sie vertrauen uns nicht? Na schön.

Um einen weiteren Beweis für meine Kooperationsbereitschaft zu erbringen, schicke ich noch mehr Schiffe der Solaren Marine zur Erde. Tal Lorie'nh! Wenn uns der Emissär der Hydroger verlassen hat, brechen Sie unverzüglich mit Ihrer Kohorte zur Erde auf. Vielleicht braucht Adar Zan'nh Ihre Unterstützung.«

Der dünne Offizier blinzelte verwirrt. Schließlich fand er die richtigen Worte. »Wie Sie befehlen, Herr. Sobald uns der Gesandte verlassen hat.«

Jora'h wandte sich wieder an die Druckkapsel. »Damit sind mehr als tausend Kriegsschiffe gegen die Erde im Einsatz - das sollte genügen, um mit dem fertig zu werden, was von der Terranischen Verteidigungsflotte übrig ist. Sind Sie jetzt zufrieden?«

»Wir werden Sie weiterhin im Auge behalten.« Die fast greifbar in der Luft liegende Anspannung ließ ein wenig nach. Jora'h wusste nicht, ob ihm der Emissär die großen Worte abnahm, aber der Hydroger schien alles gesagt zu haben. Seine Druckkapsel stieg auf und schwebte durch die Flure des Prismapalastes, begleitet von Ildiranern des Soldaten-Geschlechts, die gar nicht in der Lage gewesen wären, etwas dagegen auszurichten.

Als der Gesandte fort war, sahen Osira'h und Lorie'nh den Weisen Imperator so an, als hätte er wie Rusa'h den Verstand verloren. »Herr«, entfuhr es Lorie'nh, »wenn ich mit meiner Kohorte aufbreche, bleibt Ildira geschwächt zurück! Die Hydroger sind am Himmel über uns.«

»Wer weiß, was sie bei der Erde vorhaben«, erwiderte Jora'h. »Der dortige Kampf darf nicht verloren gehen. Wir müssen absolut sicher sein, dass der Feind dort eine Niederlage erleidet. Fliegen Sie mit Höchstgeschwindigkeit, Tal Lorie'nh, damit Sie nicht zu spät kommen.« Der Weise Imperator atmete tief durch und wusste, dass die nächsten Worte einem Todesurteil gleichkamen. »Für Sullivan Gold und seine Techniker bleibt nicht genug Zeit, an Ihren Schiffen zu arbeiten, Lorie'nh. Es tut mir leid.«

Der Tal nahm Haltung an. »Meine Crew und ich verstehen, was wir zu tun haben.«

Jora'h nickte. »Ildira bleibt nicht ohne Verteidigung, Lorie'nh. Ich behalte zwei Kohorten hier, als Schutz für den Prismapalast, und täglich kehren Septas mit Flüchtlingen von Hyrillka zurück.« Er senkte die Stimme und sah seine Tochter an. »Die Frage lautet: Können wir den Hydrogern einen so harten Schlag versetzen, dass sie uns in Ruhe lassen?«

Osira'h schenkte ihrem Vater ein seltsam kühles und doch beruhigendes Lächeln. »Warte ab. Gib nicht auf.«

»Was weißt du? Woran denkst du?«

Osira'h lächelte geheimnisvoll. »Ich verfüge über Fähigkeiten, die das Ergebnis eines mehrere Jahrhunderte langen Zuchtprogramms sind, und ich habe bereits eine Verbindung geschaffen. Ich bilde eine Brücke zu den oge

Hydr

rn, und meine Mutter hat mir eine Idee vermittelt. Vielleicht bin ich zu mehr imstande, als die Hydroger ahnen.«

316

114 ANTON COLICOS

Hydroger und Faeros setzten den Kampf bei Hyrillkas primärer Sonne fort.

Gewaltige Protuberanzen wuchsen aus der Sonne, und Ionenstürme störten die Kommunikation. Die klimatischen Bedingungen auf dem Planeten änderten sich, und jede Veränderung behinderte die Evakuierung. Tal O'nh trieb die Arbeiten mit der gleichen Tüchtigkeit voran, die er zuvor beim Wiederaufbau gezeigt hatte.

Als Tal Ala'nh mit hunderten von Kriegsschiffen eingetroffen war, hatte der einäugige Veteran bereits den größten Teil seiner Schiffe nach Ildira geschickt. Mit so vielen Hydrogern und Faeros in der Nähe wollte er die Schiffe mit Flüchtlingen an Bord nicht im Hyrillka-System lassen. Zwei Kohorten der Solaren Marine sollten genügen, alle Bewohner des Planeten in Sicherheit zu bringen, bevor die Sonne erlosch.

»Ein Schritt nach vorn, zwei zurück«, sagte Anton. »Ich glaube, diese Welt ist wirklich vom Pech verfolgt.«

Vao'sh holte so viele Dokumente wie möglich aus den Gewölben des Archivs. »Friedliche Zeiten ergeben langweilige Geschichten, Erinnerer Anton.«

Die beiden Historiker bemühten sich, die im Archiv unter dem Zitadellenpalast lagernden Aufzeichnungen zu retten. Zuerst versuchten sie, alles zu organisieren, doch dann warfen sie die Unterlagen einfach in Schutzbehälter. Yazra'h half ihnen, als eine besondere Geste Anton gegenüber, obwohl sie sich bei diesem überstürzten Exodus noch um hundert andere Dinge kümmern musste.

Beim Raumhafen herrschte ohrenbetäubender Lärm. Kriegsschiffe landeten, jeweils vierzehn, was die normale Kapazität des Raumhafens weit übe sti

r

eg. Die großen Schiffe gingen auf offenen Feldern und leeren Plätzen ni er

ed ,

316

an jedem Ort, wo es für sie Platz genug gab. Shuttles retteten Ildiraner aus abseits gelegenen Siedlungen.

Anton fühlte sich jedes Mal von Kummer erfasst, wenn er die Evakuierungsbemühungen beobachtete. Er gewann den Eindruck, dass die Zeit immer knapper wurde. Alles fand mit geradezu verblüffender Effizienz statt, aber wie sollte es selbst mit fast siebenhundert ildiranischen Schlachtschiffen möglich sein, alle Bewohner des Planeten rechtzeitig weg-zubringen?

Der junge Designierte verzagte angesichts des Verlusts einer so alten und angesehenen Kolonie, und er tat Anton sehr leid. Wie er es von Yazra'h gelernt hatte, zeigte Ridek'h nur Entschlossenheit, wenn er vor sein Volk trat. Doch im Privaten verbarg er die Erschütterung nicht. »Ich hätte es geschafft«, sagte er und beobachtete, wie zwei Arbeiter einen mit Diamantfilm gefüllten Behälter an Bord eines gelandeten Shuttles trugen. »Wir hätten Hyrillka wieder in eine schöne Welt verwandelt.«

»Und die Bewohner dieses Planeten haben an dich geglaubt, Designierter.«

Yazra'h sprach den jungen Mann mit seinem Titel an, um ihm Mut zu machen. »Doch jetzt haben sich deine Aufgaben geändert. Als Hyrillka-Designierter besteht deine Pflicht darin, dein Volk zu schützen, und unter den gegenwärtigen Umständen bedeutet das: Du musst diese Leute in Sicherheit bringen, damit sie nicht zusammen mit dieser Welt sterben.«

»Ich werde dafür sorgen, dass der Saal der Erinnerer Ihre Rolle bei diesen Ereignissen würdigt, Designierter Ridek'h«, sagte Vao'sh in einem Tonfall, der die innersten Gefühle des jungen Designierten berührte. »Nie zuvor hat sich ein so junger Mann einen Platz in der Saga der Sieben Sonnen verdient.«

Weder Anton noch Vao'sh sprachen, als sie an Bord des Shuttles gingen und zum wartenden Flaggschiff flogen. Stumm und niedergeschlagen saßen sie nebeneinander.

317

Im Kommando-Nukleus betrachtete Anton hochauflösende Bilder vom wilden Kampf bei der Sonne, und der Anblick entsetzte ihn. Hyrillkas primärer Stern war dem Tod nahe. Hunderte von flammenden Ellipsoiden warfen sich den Kugelschiffen der Hydroger entgegen. Irgendwo in den Tiefen der Sonne verwandelten feurige Geschöpfe Protuberanzen in Waffen.

Große Bögen aus ionisiertem Gas formten sich, und ihrer enormen Hitze konnten nicht einmal die Kugelschiffe widerstehen. Doch die Faeros hatten es mit einem zahlenmäßig weit überlegenen Gegner zu tun, und ein Feuerball nach dem anderen verschwand. Der blauweiße Stern schien regelrecht zu brodeln und wurde dunkler.

Ildiraner des Wissenschaftler-Geschlechts führten Berechnungen durch, um festzustellen, wie viel Zeit der primären Sonne noch blieb. Und wenn sie starb ... Wie schnell und auf welche Weise würde sich Hyrillkas Klima verändern, wenn der Planet nur noch das Licht der orangefarbenen sekundären Sonne empfing? Die drastische Reduzierung der Wärmeenergie würde fatale Folgen haben. Anton stellte sich enorme Stürme vor, die über Hyrillkas Oberfläche hinwegfegten. Vor dem inneren Auge sah er, wie fruchtbares Land unter Eis verschwand, wie sich der Planet innerhalb kurzer Zeit in eine tote Welt verwandelte.

»Eine wahre Katastrophengeschichte«, murmelte er.

115 JESS TAMBLYN

Das Wental-Schiff raste wie ein Geschoss in die Tiefe des Gasriesen.

Zusammen mit den Wasser-Entitäten wollte Jess gegen die Droger kämpfen, Tasia und die anderen gefangenen Menschen befreien. Die Wentals hatten viel von ihm

318

erfahren und verstanden seine Motive und Familienbande, seine Liebe zu anderen Individuen.

Verstärkung war unterwegs, aber Jess wollte nicht warten - immerhin befand sich Tasia dort unten. Als sein Schiff in die dichte Atmosphäre eintauchte, vibrierten die Wentals in ihm und um ihn herum. Sie bereiteten sich auf den Kampf vor, und Jess freute sich darüber, bei dieser Sache nicht allein zu sein.

Wassertropfen sprangen von der Außenhülle des Schiffes, rasten durch die Wolken und setzten Wental-Kraft frei, als sie die Wassermoleküle in der Atmosphäre des Gasriesen erreichten. Die Energie der elementaren Wesen breitete sich knisternd in den Wolkenmeeren aus, wie ein Färbemittel in einem mit Flüssigkeit gefüllten Glas.

Der erste Schlag.

Jess blickte durch die transparente Membran seines Schiffes, als er tiefer kam, sah aber nur Sturmzonen und dichten Dunst. Die geistigen Stimmen der Wentals schilderten ihm ihren Kampf, der immer größere Teile des Gasriesen erfasste, doch in Begriffen, die Jess kaum verstand. Was in Golgen geschehen war, wiederholte sich hier: Die Wentals schickten sich an, Qronha 3 von den Hydrogern zu säubern.

Plötzlich stiegen überall Kugelschiffe auf. Blaue Blitze zuckten durch die Wolkenzonen, in denen sich Wentals ausgebreitet hatten. Jess wich einer Hydroger-Kugel aus und entging nur knapp einem Energiestrahl. Er flog eine scharfe Kurve, lenkte sein schimmerndes Schiff dann wieder nach unten.

Fast wäre er mit einem Kugelschiff kollidiert, das aus einer dunklen Sturmwolke kam. Die Fremden schenkten ihm keine Beachtung; sie eröffneten nicht das Feuer, schienen ganz auf den Kampf gegen ihren viel ge

rlich

fäh

eren Feind konzentriert zu sein. Als Jess an der Kugel vorbeiflog, be

achte

ob

te er, dass ihre Außenhülle wie von Säure zerfressen 318

wirkte. Die Wental-Feuchtigkeit war korrosiv für die Kugelschiffe!

Jess steuerte sein kleines Schiff immer weiter in die Tiefe von Qronha 3.

Zehn weitere Kugeln stiegen auf und jagten an ihm vorbei, den Wentals entgegen. Vermutlich hatten die Fremden hier eine wichtige Basis oder Stadt, in der sie auch seine Schwester gefangen hielten. Jess musste sie finden.

Der auf dem Wental-Schiff lastende Druck nahm immer mehr zu, aber die Wasserwesen gaben ihm nicht nach. Jess gab ihm nicht nach. Ein Teil seines Selbst war mit der Seele des Schiffes verbunden, und er folgte den energetischen Spuren, die die Hydroger-Kugeln hinterließen.

In diesen Tiefen von Qronha 3 wurden die Gase zu einer dichten Suppe.

Wassertropfen lösten sich von Jess' Schiff, wie Spritzer aus geschmolzenem Metall von einem brennenden Meteor. Mit jedem Tropfen breiteten sich mehr Wentals in den Wolken aus - Gift für die Hydroger.

Ein Hochgefühl erfasste Jess. Mit reiner Willenskraft hielt er sein Schiff zusammen, obwohl immer mehr Wental-Wasser entwich. Ein Teil des Gerüstes aus Korallen und Perlmutt löste sich auf, als die Stützrippen enger zusammenrückten, um das kleiner werdende Schiff vor dem Druck zu schützen. Von den Wentals erfüllt, konnte Jess im feindlichen Ambiente des Gasriesen ebenso überleben wie im Vakuum des Alls. Aber das Schiff war nötig, um seine Schwester und die anderen zu retten.

Durch den organischen Dunst der Aerosole sah Jess die gewaltige Stadtsphäre der Hydroger: ein Durcheinander aus den verschiedensten geometrischen Formen, die keinem erkennbaren Zweck dienten. Von hier aus, von diesem Planeten, hatten die Hydroger Kugelschiffe losgeschickt, um hilflose Menschen anzugreifen. Jess dachte an die vielen zerstörten me

Him

lsminen der Roamer ... an die Blaue Himmelsmine seines Bruders

...

Ross

319

Er fokussierte seinen Blick wie einen Laser, ließ das kleine Schiff schneller werden und hielt genau auf die Stadtsphäre zu. Es durchdrang ihre schützenden Membranen, ohne langsamer zu werden, jagte durch die Metropole der Hydroger und raste über vielflächige Gebäude hinweg.

Jess lenkte sein Schiff durch Schluchten zwischen den geometrischen Formationen und hielt nach Hinweisen darauf Ausschau, wo sich die Gefangenen befinden mochten. Wental-Sinne halfen ihm bei der Suche. Die elementaren Geschöpfe berührten Wassermoleküle in der Luft und schienen zu wissen, dass er sich dem gesuchten Ort näherte.

Unten in den »Straßen«, zwischen krummen Brücken und wie Möbiusstreifen wirkenden Bögen, versammelten sich die Hydroger, wie Pfützen aus Quecksilber. Sie wussten von Jess und wollten ihn daran hindern, die Gefangenen zu befreien.

Das geschrumpfte Wental-Schiff hielt an, als ihm Hydroger den Weg versperrten. Vor ihnen verwandelten sich die silbrig glänzenden Pfützen in menschliche Gestalten, die alle gleich aussahen.

Jess erstarrte.

Sie alle hatten die Gestalt seines Bruders Ross.

116 ZHETT KELLUM

Als alle Roamer-Schiffe Wental-Wasser aus dem lebenden Ozean von Charybdis aufgenommen hatten, schickte Sprecherin Peroni die einzelnen pe

Grup n in den Einsatz. Planung und Einteilung waren nicht leicht gewesen - es gab viele Zielwelten und nur eine begrenzte Anzahl von Schif 319

fen. Zhett Kellum war fest entschlossen, ihren Beitrag zur Offensive zu leisten.

Zu zweit oder dritt machten sich die Frachter der Roamer auf den Weg zu Hydroger-Welten. Die vierzehn Tanker von Plumas waren ebenso mit Wental-Wasser gefüllt wie die vielen kleineren Transport- und Passagierschiffe. Ein entscheidender Schlag gegen den Feind stand bevor.

Zhett und ihr Vater flogen mit ihren Frachtern zum ersten Planeten auf der Liste: Welyr, einem wie ausgebrannt wirkenden Gasriesen, dessen rostfarbene Wolken Zhett an alte Blutflecken erinnerten. Zhetts Vater hatte diese Welt ausgewählt, weil er eine Rechnung begleichen wollte.

»Ich habe mir zu viel Zeit gelassen, Shareen einen Heiratsantrag zu machen, aber wir haben entsprechende Pläne geschmiedet - und dann kamen die Hydroger«, ertönte Kel-lums Stimme aus dem Kom-Lautsprecher. »Die verdammten Mistkerle haben ihre Himmelsmine dort unten zerstört.«

»Ach, Vater«, erwiderte Zhett, die an den Kontrollen ihres eigenen Frachters saß. Sie konnte sich kaum an ihre leibliche Mutter erinnern, die ihr Leben verloren hatte, als Zhett noch sehr klein gewesen war. Ihr Vater hatte immer viel gearbeitet und Wert auf seine Unabhängigkeit gelegt, ebenso wie Shareen Pasternak. Sie wären ein perfektes Paar gewesen.

»Ich konnte ihr nicht einmal Lebewohl sagen«, fuhr Kellum fort. »Ich mache dies für alle Clans, aber verdammt, es ist auch eine persönliche Angelegenheit für mich.«

»Zeigen wir's den Drogern. Und anschließend setzen wir unser normales Leben fort.«

»Bist du sicher, dass du nicht den ersten Schlag führen möchtest, Schatz?«

Zhett schnaubte. »Es gibt genug Droger für uns alle, Vater.«

320

Die beiden mit Wental-Wasser beladenen Raumschiffe erreichten die obersten Atmosphäreschichten des rötlichen Gasriesen. Frachtluken öffneten sich, und tausende Liter Wasser strömten nach draußen - die Wentals breiteten sich in den wogenden Wolken aus.

Die beiden Schiffe setzten ihren Flug fort, und noch mehr Wasser kam aus ihren Frachträumen. Als ihre Aufgabe erledigt war, stiegen sie auf. Zhett sah aus dem Cockpitfenster und beobachtete, wie sich aus den Wental-Wolken neue Sturmsysteme entwickelten.

»Wenn uns jetzt Kugelschiffe folgen, müssen sie durch die sich ausbreitenden Wentals fliegen«, sagte sie.

Die Roamer-Schiffe erreichten die Nachtseite von Welyr. Zhett widerstand der Versuchung, es auch dort auf die Wolken hinabregnen zu lassen. Die Wentals breiteten sich auch so schon schnell genug aus, und sie spürte, dass ihr Vater zum nächsten Ziel wollte.

»Spar dir etwas für den nächsten Gasriesen auf, Schatz«, sendete er. »Hier haben wir alles erledigt. Es wird Zeit, dass wir zu unserem zweiten Ziel fliegen.«

»Na schön. Die Sache fing gerade an, mir Spaß zu machen. Auf geht's nach Osquivel - sechs Stunden Flug mit dem Sternenantrieb.«

»Ah, Osquivel. Zurück zu unserem alten Revier. Wir zahlen es den Drogern heim!«

117 GENERAL KURT LANYAN

Die TVF-Schiffe und die beiden Kohorten ildiranischer Kriegsschiffe bildeten einen Verteidigungsgürtel um die Erde und warteten darauf, dass die ydrog

H

er kamen. Die

320

zahlenmäßig weit unterlegenen terranischen Schiffe flogen in und außerhalb der Barriere, an der Seite der verzierten ildiranischen Raumer.

Weitere Schiffe der Ildiraner patrouillierten im Sonnensystem.

Auf der Brücke der Goliath zählte General Lanyan die verstreichenden Stunden. Er war sowohl ungeduldig als auch voller Sorge. Immer wieder fragte er sich, wann der Feind erscheinen würde. Adar Zan'nh hatte keinen genauen Zeitpunkt genannt und auch nicht verraten, woher der Weise Imperator vom bevorstehenden Angriff wusste. Die Ildiraner liebten Geschichten - Lanyan fragte sich, ob sie die von einem kleinen Huhn namens Junior kannten, das sich aufmachte, die Welt zu retten ...

Basil Wenzeslas setzte sich dreimal am Tag mit ihm in Verbindung, um auf dem Laufenden zu bleiben. Zwar gab Lanyan beruhigende Antworten, aber der Vorsitzende blieb voller Unbehagen. »Wir sind bereit, Sir«, versicherte er ihm. »Unsere Crews sind nicht vollständig, aber wir kommen auch ohne Soldaten-Kompis zurecht.«

Dieser Hinweis schien die Stimmung des Vorsitzenden nicht zu verbessern.

»Immerhin haben wir nur einen Bruchteil der Schiffe, die uns vor einem Monat zur Verfügung standen.«

»Ich gebe Ihnen sofort Bescheid, wenn sich die Situation ändert.« Lanyan beendete das Gespräch. Hier im heimatlichen Sonnensystem brauchte er wenigstens keinen grünen Priester für die direkte Kommunikation.

Außerdem: Der einzige grüne Priester weit und breit war Nahton im Flüsterpalast, und er schien widerspenstig geworden zu sein, wie Lanyan von Wenzeslas gehört hatte.

TVF-Remoras flogen neben den viel größeren ildiranischen Kriegsschiffen.

Die Scoutpiloten übermittelten Grüße, erhielten aber keine Antwort. Die Ildiraner waren immer sehr reserviert gewesen; das wusste jeder TVF-Soldat.

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Die Remoras formten ein weit gespanntes Sensornetz, das bis zum Rand des Sonnensystems reichte und den Feind schon entdecken sollte, wenn er noch weit entfernt war. Patrouillen hielten unentwegt Ausschau. Alle Blicke waren in den interstellaren Raum gerichtet und suchten dort nach Kugelschiffen.

Niemand rechnete damit, dass der Feind ganz plötzlich aus dem Innern des Sonnensystems kam.

Doch plötzlich begannen die weißen und ockerfarbenen Wolkenbänder des Jupiter zu brodeln. Mehr als tausend schimmernde Kugelschiffe kamen aus einer in den Tiefen des Gasriesen verborgenen Hydroger-Basis.

Der erste direkte Schlagabtausch zwischen der Terranischen Verteidigungsflotte und dem Feind hatte beim Jupiter stattgefunden. Dort waren nicht einmal die mächtigsten Schlachtschiffe der TVF in der Lage gewesen, etwas gegen die Hydroger auszurichten. Jetzt kehrte der Feind zurück, durch ein Transtor in den Tiefen des Gasriesen - sie erreichten das Sonnensystem der Erde durch eine Hintertür. Die Hydroger erschienen hinter der ersten Verteidigungslinie der Menschheit.

Der erste Hinweis kam von den Werften im Asteroidengürtel.

Hochauflösende Aufnahmen mit maximaler Vergrößerung zeigten, wie die Kugelschiffe Kanonenkugeln gleich aus den Wolkenbändern schössen. Der Raumdock-Inspektor meldete sich. »General, die Hydroger kommen! Wir haben die Schiff, die uns noch geblieben sind, bereits in den Einsatz geschickt.«

Auf der Goliath erklangen die Alarmsirenen; Besatzungsmitglieder eilten zu den Gefechtsstationen. Lanyan wusste, dass die wenigen schnellen Schiffe der Werften keine Chance hatten. »Ihre Einheiten sollen sich zurückziehen!«

Die Piloten jener Schiffe waren Ingenieure ohne jede Kampferfahrung. Als sie sich der gewaltigen Hydroger-Flotte nä

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herten, begannen sie mit gewöhnlichen Ausweichmanövern. Die ersten Kugelschiffe eröffneten das Feuer, und daraufhin gab es auf den Kommunikationskanälen nur noch Statik.

Der General erteilte Anweisungen. »An alle Schiffe: Kehren Sie sofort vom Rand des Sonnensystems zurück! Wir brauchen Sie hier - die Hydroger sind bereits da!«

»Und wenn dies nur ein Ablenkungsmanöver ist, General?«, fragte der Erste Offizier. »Vielleicht kommen noch mehr Kugelschiffe aus dem interstellaren Raum.«

Lanyan sah ihn an. »Wenn das der Fall ist, sind wir alle sowieso tot, Mr.

Kosevic.«

Die TVF-Schiffe des äußeren Verteidigungsrings verlangten ihren Triebwerken alles ab und machten sich mit Höchstgeschwindigkeit auf den Weg zur Erde. Aber die Entfernung war groß - sie würden erst in einigen Stunden eintreffen.

Lanyan begann mit einer unruhigen Wanderung auf der Brücke.

»Informieren Sie Adar Zan'nh - für den Fall, dass er nicht aufgepasst hat.

Wir brauchen jede mögliche Verteidigung nahe bei der Erde, und zwar sofort.«

Auf den taktischen Schirmen lief die Zählung der Kugelschiffe und hatte bereits siebenhundert erreicht. Und es kamen noch mehr aus dem Transtor im Innern von Jupiter.

Die Panzerungen der TVF-Schiffe waren verstärkt, um den Waffen der Hydroger besser zu widerstehen. Alle Kanonenboote, Mantas und Thunderheads verfügten über ein volles Arsenal aus Bruchimpulsdrohnen, Kohlenstoffknallern und hochenergetischen Jazern. Trotzdem bezweifelte Lanyaiv, dass sie für den Feind mehr sein konnten als nur ein kleines Ärgernis.

Er wandte sich an den Navigator. »Bringen Sie unsere Verteidigungsgruppe nach vorn.« Admiral Sheila Willis bestätigte von Bord ihres geretteten ta und be

Man

schleunigte.

322

Ildiranische Kriegsschiffe schlossen sich den TVF-Einheiten an, als sie den Hydrogern entgegenflogen. Hinter ihnen kam die zweite Kohorte aus Schiffen der Solaren Marine -zusammen wirkte die Streitmacht recht beeindruckend. Aber die Hydroger wurden nicht einmal langsamer und hielten auf die Erde zu.

Die Anspannungen bei den Besatzungsmitgliedern wuchs. Lanyan wandte sich über Interkom an die Crew - ohne daran zu denken, wie man ihn in zukünftigen Geschichtsbüchern zitieren würde.

»Es geht los - der Kampf gegen die Droger steht unmittelbar bevor. Wenn die Kugelschiffe an uns vorbeikommen, zerstören sie die Erde und nehmen sich anschließend jede einzelne unserer Kolonien vor. Sie wissen verdammt gut, dass ich heute vielleicht von Ihnen verlange, bis zum Tod zu kämpfen, aber wir sind die letzte Verteidigungslinie. Wenn wir den Feind hier nicht aufhalten, gibt es kein Morgen mehr.«

Die Schiffe der Hydroger kamen immer näher; sie wirkten wie die Stachelkugeln mittelalterlicher Waffen. Lanyan wusste, dass die TVF so bereit war, wie sie nur sein konnte. Alle Remoras waren gestartet. Mantas, Thunderheads und Kanonenboote schwirrten wie Wespen umher, die versuchten, eine Elefantenherde aufzuhalten.

»Die Waffensysteme einsatzbereit machen.« Lanyan öffnete einen weiteren Kom-Kanal. »Sind Sie so weit, Adar Zan'nh?«

»Ich bin hier, um meine Pflicht zu erfüllen.«

Wenige Sekunden später gerieten die Kugelschiffe in Reichweite, und der ildiranische Kommandeur schickte seinen Kohorten ein Signal. Fast siebenhundert Schlachtschiffe drehten sich in einem präzisen Manöver, als wären sie alle miteinander verbunden. Jedes einzelne Schiff richtete seine Zielerfassung neu aus: fort von den Hydrogern und auf Lanyans Flotte.

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Plötzlich waren die TVF-Schiffe von den Einheiten der Solaren Marine umgeben.

»Zum Teufel auch!«, entfuhr es dem General.

Die Kugelschiffe wurden langsamer und gingen so in Position, als hätten sie dies erwartet!

Lanyan lief zur Kommunikationskonsole und öffnete einen Kanal zum ildiranischen Flaggschiff. »Was hat das zu bedeuten, Adar Zan'nh?«

Es war eine rhetorische Frage. Für General Lanyan gab es keinen Zweifel daran, dass es sich um Verrat handelte.

118 KÖNIG PETER

Peter erwachte vier Stunden vor Morgengrauen, als Geräusche auf Aktivität außerhalb der königlichen Gemächer hinwiesen. Nach Cains Warnung in der vergangenen Nacht hielt OX im Innern des Apartments Wache, für den Fall, dass Basil etwas unternahm, bevor sie ihren eigenen Plan in die Tat umsetzen konnten.

Estarra eilte zum Balkon und blickte hinaus. Die Lampen im Palastdistrikt gingen nacheinander aus. Dunkelheit breitete sich aus, und aus der Ferne kam das dumpfe Heulen von Sirenen. »Peter, überall in der Stadt gehen die Lichter aus.«

Sie hatten beide gewusst, dass etwas geschehen würde, und sie mussten bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zum Handeln bereit sein. Im Flur hörte Peter Geräusche von Schritten und Anweisungen - die königlichen Wächter waren in Bewegung. »OX, weißt du, was vor sich geht?«

»Ich habe keinen Kontakt zu externen Nachrichtenquellen«, erwiderte der Lehrer-Kompi. »Allerdings erinnert mich

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dies an die Ankunft der ersten ildiranischen Septa. Damals glaubte die irdische Regierung an einen Angriff.«

»Vermutlich sind die Hydroger hierher unterwegs.« Peter zog sich schnell an. Jenseits des Balkonfensters herrschte inzwischen ominöse Finsternis.

Welchen Sinn hatte eine Verdunkelung angesichts einer Armada der Hydroger, die eine ganze Zivilisation auslöschen konnte?

Peter öffnete die Tür und trat in den Flur.

Captain McCammon und die normalerweise außerhalb der königlichen Gemächer postierten Wächter wechselten knappe Worte. McCammon stieß seine kastanienbraune Mütze beiseite, als er nach seinem Ohrempfänger griff und eine Meldung empfing. Rasch schickte er drei seiner Männer fort.

»Was ist los, Captain?«, fragte Peter mit ruhiger, gebieterischer Stimme.

McCammon nahm Haltung an. »Die Hydroger haben mit ihrem Angriff begonnen, Euer Majestät. Sie sind mit noch mehr Kugelschiffen als befürchtet gekommen.«

»Können unsere Verteidigungsschiffe sie von der Erde fernhalten?«, fragte Estarra.

Im matten Notlicht wirkte McCammon sehr blass. »General Lanyan und die Ildiraner schirmen die Erde ab, doch etwas scheint durcheinandergeraten zu sein. Die Kriegsschiffe der Solaren Marine verhalten sich nicht so wie erwartet.«

Die Ildiraner? Nahton hatte ihnen mitgeteilt, was der Weise Imperator plante.

»Hat der Vorsitzende Wenzeslas schon nach mir gerufen?« Peter wusste natürlich, dass er das nicht tun würde.

»Der Vorsitzende befindet sich beim Kriegsrat und nimmt dort an einer Dringlichkeitssitzung teil. Ich habe die anderen Wächter gerade zu ihm ge hickt.« M

sc

cCammon und der eine zurückgebliebene Wächter strafften die chult

S

ern.

324

»Seien Sie unbesorgt, Euer Majestät. Wir bieten Ihnen genug Schutz. Nur wir beide. Loyale Wächter.« Er schien auf etwas hinweisen zu wollen.

Peter richtete einen fragenden Blick auf Estarra. Eine bessere Chance bot sich ihnen vielleicht nicht - die allgemeine Verwirrung würde ihnen bei der Flucht helfen. Jetzt oder nie. Estarra deutete ein Nicken an.

Peter griff in die Hosentasche. McCammon hatte kein Wort darüber verloren, dass König und Königin gewöhnliche Straßenkleidung trugen.

Peter schloss die Hand um den Schocker, den er vom Captain erhalten hatte - er verabscheute, was er jetzt tun musste.

»Captain McCammon, ich möchte Ihnen für Ihre Dienste danken. Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet.« Er versuchte, das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen.

Das Lob brachte die Andeutung eines Lächelns auf McCammons Lippen.

Peter wusste, dass es kein Zurück gab, und er schob sein Bedauern beiseite, dachte an Estarra, das ungeborene Kind und das von Basil gesponnene tödliche Netz. Ihm blieb keine Wahl. Ihr Leben stand auf dem Spiel.

Er holte den Schocker hervor und zielte auf McCammons Gesicht. »Es tut mir sehr leid, Captain. Aber wenn die Königin und ich jetzt nicht fliehen, bekommen wir vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu.«

Der überraschte zweite Wächter wollte seine Waffe hervorholen, aber der Captain bewegte sich schemenhaft schnell, hielt plötzlich seinen eigenen Schocker in der Hand und schoss. Der andere Wächter sank zu Boden. Es war alles so schnell gegangen! Peter hatte nicht einmal den Auslöser betätigen können. Er blickte auf den Bewusstlosen hinab, seinen Schocker noch immer auf McCammon gerichtet. »Ich weiß nicht, warum Sie das ge n hab

ta

en, aber wir müssen jetzt fort. Es tut mir leid, dass Sie in diese e

Sach verwickelt sind.«

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»Sie glauben doch nicht, dass ich Ihnen eine funktionstüchtige Waffe gegeben habe, oder?«, fragte McCammon.

Peter betrachtete den Schocker und fragte sich, ob McCammon bluffte. Als er den Blick hob, reichte ihm der Captain seine eigene Waffe mit dem Griff voran. McCammon sah auf den bewusstlosen Wächter hinab. »Machen Sie sich keine Sorgen um ihn. Er gehört zu den Loyalen. Ich komme problemlos mit ihm klar, sobald er erwacht - falls Ihnen und der Königin die Flucht gelingt.«

»Was ist mit den Wächtern beim kleinen Kugelschiff?«, fragte Estarra. »Und bei Prinz Daniels Unterkunft?«

»Das sind nicht meine Männer«, erwiderte McCammon. »Es sind Bedienstete der Hanse. Sie müssen irgendwie mit ihnen fertig werden.«

»Das werden wir«, sagte Peter.

»Lassen Sie es echt aussehen«, sagte McCammon und warf sich mit einem Schrei dem König entgegen. Aus einem Reflex heraus drückte Peter ab, und der Captain blieb neben dem anderen Wächter auf dem kühlen, harten Boden liegen.

König und Königin blickten auf die beiden Bewusstlosen hinab. »Ich schätze, mir blieb nichts anderes übrig«, sagte Peter.

Estarra griff nach McCammons schlaffen Armen. »Hilf mir, diese beiden Männer ins Apartment zu ziehen, damit man sie nicht sieht.« König, Königin und Kompi zogen die beiden Bewusstlosen über den glatten Steinboden in die königlichen Gemächer.

OX kannte die geheimen Korridore des Flüsterpalastes besser als sonst jemand, und deshalb ging er voraus. Normalerweise herrschte des Nachts Ruhe im Palast, und es waren nur wenige Bedienstete auf den Beinen.

Doch der Alarm sorgte dafür, dass viele aufgeregte Leute durch die Flure eilten. Zum Glück fielen Peter und Estarra in ihrer gewöhnlichen Kleidung nicht auf; niemand erkannte sie.

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Mit langen Schritten führte OX sie durch Nebengänge und Wartungsräume zu Prinz Daniels luxuriösem Apartment. Als sie sich der Tür näherten, sah Peter, dass fünf königliche Wächter davor in Position standen, um Daniel zu schützen - es waren mehr als vor dem Zugang zu den königlichen Gemächern. Entweder traute Basil Daniel nicht, oder er wollte nicht riskieren, seinen kostbaren Prinzen zu verlieren.

Durch den Alarm nervös geworden traten zwei der Wächter vor. Peter wusste, dass man sich durch Auftreten ebenso gut identifizieren konnte wie durch Kleidung. Selbstbewusst stolzierte er den Wächtern entgegen.

»Was ist los? Grüßen Sie nicht, wenn Sie Ihren König sehen?« Die ganz offensichtlich schwangere Estarra vervollständigte das Bild.

Die Wächter nahmen Haltung an.

OX näherte sich ihnen schnell. »Wir müssen zum Prinzen.«

»Der Prinz schläft, und wir sind angewiesen, ihn nicht zu stören.«

»Dies ist ein Notfall, Sergeant«, sagte Estarra. »Es sind neue Anweisungen erteilt worden.«

»Die Hydroger greifen an!«, fügte Peter hinzu. »Wir müssen sofort mit dem Prinzen sprechen!«

Die Wächter waren überrascht und argwöhnisch, wechselten unsichere Blicke.

Peter wollte keine Zeit verlieren, hob seinen Schocker und schickte die vordersten beiden Männer zu Boden. Dann wandte er sich dem dritten zu und drückte erneut ab, aber nichts geschah - das Energiepaket war bereits leer!

Die Wächter holten ihre Waffen hervor. »Das kann nicht der König sein.«

Es fauchte in der Nähe. »O doch, er ist es«, sagte Estarra und steckte den Schocker ein, mit dem sie auf die drei Wächter geschossen hatte. Sie sah Peter an und lächelte. »Ich habe

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die Waffe von Captain McCammons Begleiter genommen, weil ich dachte, dass wir sie vielleicht brauchen.«

Er gab ihr einen viel zu kurzen Kuss und sah sich dann um. Die Flure waren leer, die Türen zu beiden Seiten geschlossen. »Schnell! Daniel könnte etwas gehört haben. Wenn er diese Wächter sieht, wird alles schwieriger.«

»Prinz Daniel schläft sehr fest«, sagte OX. »Ich bezweifle, ob er neugierig genug ist, mitten in der Nacht aufzustehen, wenn er etwas hört. Vermutlich holt ihn nicht einmal der Alarm aus dem Bett.«

Die ersten Türen, mit denen sie es versuchten, waren verriegelt. Mit seiner überlegenen Kraft brach OX ein Schloss auf und verschaffte ihnen Zugang zu einem Lagerraum mit nicht gekennzeichneten Kisten. Die dicke Staubschicht auf ihnen ließ vermuten, dass der Raum seit der Regierungszeit von König Jack nicht mehr geöffnet worden war. Als sie die fünf Wächter hineingezogen und die Tür wieder geschlossen hatten, waren Peter und Estarra außer Atem.

»Das Schloss funktioniert nicht mehr«, sagte OX. »Wir müssen fort sein, bevor die Wächter wieder zu sich kommen.«

»Verlass dich drauf«, erwiderte Estarra.

Peter öffnete die Tür von Prinz Daniels Apartment und trat ein, gefolgt von Estarra und OX. »Daniel! Wach auf. Wir dürfen keine Zeit vergeuden.«

Der verwirrte junge Mann streifte einen Morgenmantel über. »Warum stört ihr mich? Und wer seid ihr ...?« Er rieb sich die Augen und unterdrückte ein Gähnen. »Du bist der König! Was machst du hier? Wo sind die Wächter?«

»Dies ist ein Notfall, Daniel. Die Männer schützen den Vorsitzenden.«

»Was für ein Notfall? Ein Angriff?«

»Ja«, sagte Estarra betont freundlich. »Die Hydroger. Du musst mit uns kommen. Schnell!«

326

»Wir können dich zum Vorsitzenden bringen«, fügte Peter hinzu.

»Es ist mitten in der Nacht!« Daniel blinzelte, starrte dann erneut Peter und Estarra an. »Und warum seid ihr so angezogen? Ihr seht gar nicht wie ein König und eine Königin aus. Wie peinlich.«

Peter bedachte den ungehobelten jungen Mann mit einem bedeutungsvollen Blick. »Der Vorsitzende steckt mitten in einer Krise, und er ruft dich zu sich. Der Grund dafür sollte dir klar sein.«

Die Verwunderung in Daniels Gesicht deutete darauf hin, dass er überhaupt nichts verstand.

»Der Vorsitzende hat der Königin und mir befohlen, uns in den Ruhestand zurückzuziehen«, fuhr Peter fort. »Er versprach uns eine neue Identität und eine hübsche, sichere Villa an einem Ort, wo wir ein normales Leben führen können - aber nur, wenn wir den Palast sofort verlassen. Basil Wenzeslas will dich krönen, jetzt sofort. Von heute Nacht an sollst du König sein.« Er klatschte in die Hände, und Daniel zuckte zusammen. Der Prinz schien kaum glauben zu können, was er gerade gehört hatte. »Beeil dich.«

»Der Vorsitzende will mich krönen? Noch in dieser Nacht? Aber ich dachte...«

»Du weißt ja, wie er ist, wenn er eine Entscheidung getroffen hat«, sagte Estarra. »Er glaubt, dass dieser dramatische Moment besonders gut geeignet ist.«

Der Prinz lächelte und zog rasch die Schuhe an. Als er nicht sicher war, welche Kleidung er wählen sollte, winkte Peter. »Keine Sorge. Es warten Bedienstete darauf, dich angemessen zu kleiden. Komm jetzt mit uns.«

Daniel wusste nicht, was er sonst machen sollte, und außerdem fürchtete e

e

r di Konsequenzen eines erneuten Ungehorsams. Er fügte sich und folgte de königlich

m

en Paar.

327

119 ADAR ZAN'NH

Die Menschen hatten keine Chance. Voller Optimismus und zu ehrgeizig, wie immer, hatten sie ihre ganzen Hoffnungen auf nur einen Plan gesetzt.

Sie hatten alles auf die entscheidende Schlacht bei der Erde gesetzt und den Versprechungen der Ildiraner geglaubt. Jetzt waren sie verwundbarer als jemals zuvor.

Die Hydroger beobachteten das Geschehen. Adar Zan'nh hatte von den Menschen nie sehr viel gehalten, hatte aber nach all den Versprechen das Gefühl von Ehrlosigkeit. Trotzdem hatte er genau die Worte gesprochen, die die Hydroger und auch sein Vater von ihm verlangten. Es erschien ihm jedoch nicht richtig. Überwachten die Fremden aus den Tiefen von Gasriesen auch die Schiff-zu-Schiff-Sendungen? Zan'nh hielt es für besser, vorsichtig zu sein. Am wenigsten gefiel ihm die Vorstellung, dass die Hydroger seine Solare Marine für einen Angriff auf die Hanse miss-brauchten.

Mit steinerner Miene beobachtete er die wenigen Ildiraner im Kommando-Nukleus des Flaggschiffs. Sie alle kannten die Befehle des Weisen Imperators. Die komplexen taktischen Darstellungen zeigten, wie die zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Menschen Vorbereitungen für den Kampf gegen die herankommenden Hydroger trafen. Zan'nh wusste sich mitten in einem entscheidenden Moment, an den man sich für immer in der Saga der Sieben Sonnen erinnern würde. Ehre oder Sieg ... Menschen oder Ildiraner, Überleben oder Auslöschung.

General Lanyans Stimme kam aus den Kom-Lautspre-chern des Kriegsschiffs. Er verfluchte den Adar und verdammte ihn für den Verrat.

Zan'nh runzelte die Stirn und sah zum Kommunikationsoffizier.

e

»Unt rbrechen Sie die

328

Verbindung. Ich möchte das nicht hören.« Von einem Augenblick zum anderen wurde es still im Kommando-Nuk-leus.

Die Angehörigen der Solaren Marine an Bord des Flaggschiffs wussten nicht, was sie erwartete, aber sie befolgten alle Befehle des Adars. Zan'nh wandte den Blick von den hilflosen terranischen Schiffen ab, auf die die Menschen ihre ganze Hoffnung konzentriert hatten. Er wollte sich jetzt nicht ablenken lassen.

Bevor er die fatalen Anweisungen geben konnte, die die Geschichte verändern und vielleicht sogar beenden würden, rief der taktische Offizier:

»Adar, es kommen noch mehr Schiffe! Sie alle zeigen die Konfiguration von Einheiten der Terranischen Verteidigungsflotte.«

»Wie viele?«

»Eine riesige Flotte! Doppelt so groß wie das bisherige Kontingent der Menschen.«

»Ist das ein Trick?« Zan'nh eilte zum Ortungsschirm und erkannte die Sensorsignaturen von Molochen, Mantas, Thunderheads und anderen Schiffen der TVF. »Haben uns die Menschen getäuscht? Sind sie nicht so schwach, wie es bisher den Anschein hatte?«

Die Schiffe näherten sich mit hoher Geschwindigkeit. Wie war dies möglich? Hatte die TVF jene Einheiten in Reserve gehalten, mit der Absicht, die Hydroger und Ildiraner in eine Falle zu locken? Nicht einmal Menschen waren zu einer solchen Verschlagenheit imstande.

Der Adar sah sich die taktischen Darstellungen an und versuchte festzustellen, welche Veränderungen sich durch die neue Entwicklung für ihn ergaben. Schließlich verschränkte er die Arme und begriff, dass er weiterhin an seine Anweisungen gebunden blieb.

Dann traf eine Mitteilung auf einer für die Solare Marine reservierten Frequenz ein. Das Bild zeigte einen schwarzen

328

Klikiss-Roboter an den Navigationskontrollen eines Molochs. »Wir sind gekommen, um Ihnen bei der Auslöschung der Menschheit zu helfen.«

Es ist also keine Verstärkung für die TVF.

Zan'nh überlegte und wandte sich an den Kommunikationsoffizier. »Keine Antwort. Dies macht die Situation komplizierter, aber es ist General Lanyans Problem. Klikiss-Roboter sind nie meine Sorge gewesen. Wir müssen noch immer tun, was uns aufgetragen wurde.« Er atmete tief durch

- die Luft im Kommando-Nukleus hatte einen metallischen Geruch. »Ja, wir müssen unserer Pflicht gerecht werden.«

Kugelschiffe der Hydroger hatten die beiden Kohorten der Solaren Marine eingekreist und näherten sich, wie neugierig darauf, was der Adar unternehmen würde. Die zahlenmäßig weit unterlegenen TVF-Schiffe saßen in der Falle und hatten keinen Manövrierspielraum mehr. Zan'nh fühlte Kälte in seinem Innern und wusste, dass es kein Zurück für ihn gab.

Die Hydroger hatten zu viele Kugelschiffe geschickt, mehr als dem Weisen Imperator gegenüber angekündigt.

Zan'nh wandte sich an die Brückencrew. »Stellen Sie Verbindungen zu allen unseren Schiffen her. Geben Sie mir Bescheid, wenn sie bereit sind.«

Schon wenige Sekunden später bekam der Adar die Bereitschaftsmeldung.

Er blickte auf den Hauptschirm und kniff die Augen zusammen. »Führen Sie unsere Anweisungen aus. Jetzt!«

Das energetische Niveau in den Triebwerken der ildiranischen Kriegsschiffe stieg steil an - das Flaggschiff bildete die einzige Ausnahme. Vor dem Start der beiden Kohorten von Ildira hatten Technikergruppen die Sicherheitseinrichtungen entfernt und andere Modifikationen e

vorg nommen. In einem koordinierten Manöver wendeten sechshundert-ndachtzig Schiffe

fünfu

ohne Rücksicht auf Belastbarkeits

329

grenzen, und ihre Triebwerke nahmen immer mehr Energie auf.

Bevor die Hydroger auf die unerwartete Aktivität der Ildiraner reagieren und irgendeine Art von Ausweichmanöver durchführen konnten, leiteten die ildiranischen Schiffe ein jähes Beschleunigungsmanöver ein. Jedes schwer gepanzerte Kriegsschiff hatte ein bestimmtes Ziel - die Koordinaten stammten von Angehörigen des Mathematiker-Geschlechts im Kommando-Nukleus des Adars.

Die Schiffe beschleunigten mit der vollen Schubkraft ihres Sternenantriebs und kollidierten mit den Kugeln der Hydroger. Die zahlreichen Kollisionen erfolgten fast gleichzeitig - alles war perfekt geplant. Grelle Blitze wiesen darauf hin, dass hunderte Schiffe der Ildiraner und Hydroger vernichtet wurden.

Einige Kugeln versuchten, sich mit blauen Blitzen zu wehren, aber nur fünf ildiranische Schiffe fielen ihnen zum Opfer. Alle anderen vernichteten die ihnen zugewiesenen Ziele. Das Licht der vielen Explosionen strahlte so hell wie eine Supernova.

Zan'nh nickte den neunundvierzig Besatzungsmitgliedern in seinem Kommando-Nukleus zufrieden zu - es waren die einzigen Ildiraner an Bord der sechshundertsechs-undachtzig Kriegsschiffe. Der Rest der großen Flotte war leer und ferngesteuert gewesen.

Der Einfallsreichtum menschlicher Techniker und die Arbeitskraft zahlreicher Ildiraner hatte jene Schiffe mit automatischen Systemen ausgestattet. Zan'nhs Flaggschiff hatte alle Einheiten der beiden Kohorten gesteuert. In einigen wenigen Momenten waren fast siebenhundert Kugelschiffe vernichtet worden, ohne dass ein einziger Ildiraner sein Leben ve

r

rlo en hatte. Bisher.

Zan'nh fragte sich, was General Lanyan jetzt von ihm halten mochte.

329

Doch der Weise Imperator hatte nicht damit gerechnet, dass es Zan'nh mit so vielen Schiffen zu tun bekommen würde. Die Hydroger waren die ganze Zeit über misstrauisch geblieben und hatten daran gezweifelt, dass die Solare Marine sich an die verräterische Vereinbarung halten würde.

Hunderte von Kugelschiffen waren übrig geblieben, und sie eröffneten jetzt das Feuer auf die TVF-Schiffe.

Die von Soldaten-Kompis übernommenen Raumschiffe machten ebenfalls von ihren Waffen Gebrauch. General Lanyans Streitmacht schlug sofort zurück.

Zan'nhs Flaggschiff befand sich mitten in einem tödlichen Sturm, das letzte Schiff der Solaren Marine in der Nähe der Erde. Beim Schlag gegen die Hydroger hatte der Adar zwei Kohorten verloren, und jetzt standen ihm nur noch die gewöhnlichen Verteidigungssysteme seines Schiffes zur Verfügung; damit ließ sich kaum etwas gegen die Hydroger ausrichten. Das All selbst schien in Flammen zu stehen.

Zan'nh beobachtete die wilde Schlacht. Mehrere Energieblitze trafen die Flanken des Flaggschiffes, und im Kommando-Nukleus stoben Funken aus den Konsolen.

»Notstabilisierung!«, rief Zan'nh. »Wir haben unsere Aufgabe erfüllt, aber der Krieg ist noch nicht vorbei.«

»Wir haben keine wirkungsvollen Waffen, Adar.«

Zan'nh stand allein da und sah auf die Schirme. Selbst wenn er in der Lage gewesen wäre, mit seinem Schiff zu manövrieren - er hätte nichts gegen die Hydroger ausrichten können. Das Gefühl der Hilflosigkeit machte ihn zornig.

Er entschuldigte sich nicht bei seiner Crew, suchte auch nicht nach Rechtfertigungen. Der Adar hatte seine Pflicht erfüllt, und bei der jetzt stattfindenden Schlacht spielten er und seine tapfere Crew keine Rolle me r. Si

h

e konnten nur abwarten, während um sie herum der Orkan des Kampfes wütete.

330

120 ANTON CÓLICOS

Als die Arbeit erledigt und der Planet evakuiert war, blieben Tal O'nhs Flaggschiff und einige andere Einheiten der Solaren Marine zurück und beobachteten den Tod von Hyrillkas primärer Sonne. Anton und Vao'sh notierten alles.

Der einäugige Kommandeur hatte betont, dass seine Priorität darin bestand, den jungen Designierten sicher nach Ildira zu bringen, aber Ridek'h beharrte auf seinem Standpunkt. »Hyrillka ist meine Welt, meine Verantwortung. Ich bleibe bis zum Ende und möchte den Planeten noch einmal betreten.«

Yazra'h wandte sich halb ab, um ihr stolzes Lächeln zu verbergen.

O'nh richtete einen durchdringenden Blick auf Ridek'h. »Zu welchem Zweck, Designierter? Alle Bewohner sind fort. Sie haben Ihre Pflicht erfüllt.«

»Ich möchte Abschied nehmen. Ich sollte als Letzter dort sein, zusammen mit meinem Erinnerer.« Ridek'h sah Vao'sh an.

Yazra'h trat vor. »Ich garantiere die Sicherheit des Designierten, und auch die der beiden Erinnerer Vao'sh und Anton.«

Der Tal gab nach. »Die Situation auf Hyrillka wird noch eine Weile stabil bleiben. Allerdings sollten wir unseren Zeitplan einhalten.«

»Was ist unser Zeitplan im Vergleich mit dem Schicksal einer ganzen Welt, meiner Welt?«, erwiderte Ridek'h mit so fester Stimme, dass Anton erstaunt blinzelte.

Und so brach ihre kleine Gruppe auf. Das von Yazra'h gesteuerte Kampfboot näherte sich der verlassenen Hauptstadt des Planeten. Die Wolken am Himmel waren dichter als sonst und zogen schneller dahin.

Eine dramatische Klima-

331

Veränderung kündigte sich an. Anton führte ein kleines Auf-zeichnungsgerät bei sich, um seine Eindrücke festzuhalten, aber bisher hatte er noch nicht einen einzigen Satz gesprochen. »Ich fürchte, bei dieser Angelegenheit fehlen mir die Worte, Vao'sh.«

Das Kampfboot landete am Fuß des Hügels, vor dem leeren Zitadellenpalast. Einige der Gebäude waren erst vor kurzem renoviert worden. Grüne Triebe kamen dort aus dem gedüngten Boden, wo sich die Nialia-Felder erstreckt hatten. Büsche und Sträucher raschelten im Wind.

Die Stadt war zwar verlassen, schien sich ihres Schicksals aber bewusst zu sein.

Auf Anton wirkte der Raumhafen wie ein leerer Platz nach einem großen Karneval. Einige beschädigte Schiffe standen dort, und zurückgelassene Gegenstände lagen verstreut herum. Auf der einen Seite standen Behälter mit Versorgungsmaterial und Ausrüstungen. All dies blieb auf Hyrillka.

Anton nahm die Eindrücke in sich auf, und dabei fielen ihm die Worte eines klassischen Gedichts von Shelley ein. Er rezitierte sie laut.

»>Mein Name ist Ozymandias, König der Könige! Schaut auf meine Werke, ihr Mächtigen, und verzweifelt !<

Nichts daneben ist geblieben; rund um die Reste des kolossalen Wracks erstreckt sich weithin Sand nur, endlos, bis in weite Ferne.«

Vao'sh runzelte die Stirn. »Ist das eine Geschichte über den Untergang eines großen Menschenreiches?«

»Mehr eine Erinnerung an die Vergänglichkeit aller Dinge. Die Worte weisen uf hin, da

dara

ss selbst unsere größten Werke schließlich zu Staub zerf l

a len.«

331

»In der Saga der Sieben Sonnen gibt es ähnliche Strophen. >Es wird eine Zeit von Feuer und Nacht kommen, wenn Feinde aufstehen und Reiche fallen, wenn selbst die Sterne zu sterben scheinend«

»Ja, ich habe es schon einmal gehört.«

Ridek'h trat vor das Kampfboot und blickte über die Stadt, während der böige Wind an seinem Haar zerrte. Emotionen glänzten in den Augen des jungen Mannes, und er zitterte vor ohnmächtigem Zorn. »Ich habe mir alle Mühe gegeben und doch versagt.«

»Du hattest von Anfang an keine echte Chance«, sagte Yazra'h. »Weder dein Vater noch der Weise Imperator hätten es besser machen können.«

»Ich hasse die Hydroger.«

»Wir alle hassen sie.«

Lange Zeit standen sie zwischen den leeren Gebäuden. Ridek'h ging noch einmal den Hügel des Zitadellenpalastes hoch, um sich die halb fertig gestellten Gebäude und neu gepflasterten Straßen anzusehen. Es blitzte in den Augen des jungen Mannes, als er sich umdrehte. »Bringt mich zu den Kriegsschiffen. Es wird Zeit, dass wir nach Ildira zurückkehren.«

Als sie an Bord von Tal O'nhs Schiff eintrafen, gab Ridek'h den Befehl, das Hyrillka-System zu verlassen.

Bei der primären Sonne dauerte der Kampf zwischen Faeros und Hydrogern an. Zahllose Kugelschiffe umgaben den Stern, und immer wieder gingen Eiswellen von ihnen aus -die Hydroger schienen bestrebt zu sein, ihrem Feind den Todesstoß zu versetzen. Protuberanzen flackerten in alle Richtungen: gewaltige Plasmawolken in immens starken Magnetfeldern. Anton fragte sich, mit welcher letzten Waffe die Faeros versuchen würden, das t zu we

Blat

nden.

Bevor Tal O'nhs Kriegsschiff Hyrillka verlassen konnte, 332

rief ein Sensortechniker: »In der Sonne finden dramatische Veränderungen statt. Sie wird heller!«

Plötzlich kam es zu einer kolossalen Explosion, die unendlich viele feurige Objekte ins All schleuderte - ein gewaltiger Funkenregen ging von der Sonne aus.

Die Angehörigen des Wissenschaftler-Geschlechts begannen sofort mit einer ersten Auswertung der Daten.

»Die Sonne explodiert!«, entfuhr es Rusa'h. Die Besatzungsmitglieder im Kommando-Nukleus schnappten nach Luft.

Yazra'h beobachtete das Geschehen ruhig. »Nein, sie explodiert nicht. Der Stern hat tausende von Faeros-Schiffen hervorgebracht. Tausende!«

Anton staunte. »Vielleicht ist dies die gesamte Streitmacht der Faeros.«

Wie Sporen aus einem überreifen Pilz stieg eine neue Welle aus Faeros auf, den Hydrogern zehn zu eins überlegen. Die Kugelschiffe versuchten, sich zur Verteidigung zu formieren, aber es kamen immer mehr Feuerbälle aus der umkämpften Sonne - ihr Strom schien nicht versiegen zu wollen.

Anton vermutete, dass die Faeros eigene Transtore tief im Innern von Hyrillkas primärer Sonne geöffnet hatten. »Vielleicht stammen die vielen Feuerbälle von anderen bewohnten Faeros-Sternen. Sie alle kommen hierher, um gegen die Hydroger zu kämpfen.«

Der Hauptschirm zeigte, wie die überwältigend vielen Ellipsoiden ein Kugelschiff nach dem anderen erledigten. Weiterhin kamen Faeros aus dem Plasma, wie Lava aus einem aktiven Vulkan, ein Feuerball nach dem anderen. Der blauweiße Stern strahlte mit neuer Kraft.

Einige Stunden später waren alle Kugelschiffe vernichtet -ihre Reste bildeten ein ausgedehntes Trümmerfeld unweit der primären Sonne.

332

Wie eine brennende Wolke kehrten die Faeros in ihren Stern zurück. Sie stürzten ins brodelnde Sonnenplasma und fügten sich selbst dem stellaren Feuer hinzu. Anton fragte sich, ob die geschädigte Sonne zu ihrem ursprünglichen Zustand zurückfinden konnte.

Im Kommando-Nukleus des Flaggschiffs fielen nur wenige Worte.

Schließlich richtete der Designierte einen hoffnungsvollen Blick auf Yazra'h. »Bedeutet dies ... Ist es möglich, dass die Sonne weiter scheint?

Dass wir Hyrillka gar nicht aufgeben müssen? Wenn die Hydroger besiegt sind, droht meiner Welt keine Gefahr mehr, oder?«

Yazra'h blieb skeptisch. »Vielleicht. Oder vielleicht doch. Möglicherweise bleibt Hyrillka für immer ein gefährlicher Ort.«

Anton sah sie an. »Dann kehre ich gern nach Ildira zurück, wo uns Sicherheit erwartet.«

121 OSIRA'H

»Die Hydroger wissen, was wir getan haben«, wandte sich der Weise Imperator Jora'h an Osira'h. »Und es ist uns nicht gelungen, den erhofften Erfolg zu erzielen.« Die ThismVev bindung zwischen Osira'hs Vater und seinem Sohn Zan'nh hatte ihm bereits alles Nötige mitgeteilt. »Der Adar hat alle seine automatischen Schiffe eingesetzt, doch sie genügten nicht. Die Hydroger schickten weitaus mehr Kugelschiffe als zunächst angekündigt.«

Jora'h senkte den Kopf, und seine Hände schlossen sich um die Armlehnen des Chrysalissessels. »Zu viele ihrer Schiffe sind übrig geblieben.«

Osira'h teilte das Gefühl der Niederlage ihres Vaters nicht. Noch nicht.

Zwar hatte sie die Mission ihres Lebens mit der

333

Herstellung einer Verbindung zu den Hydrogern erfüllt, aber das ganze Ausmaß ihrer Fähigkeiten war noch unerforscht. Sie wusste, dass es mehr in ihr gab, als Udru'h und die Angehörigen des Linsen-Geschlechts auf Dobro vermuteten. Osira'h hatte Vertrauen zu dieser ungenutzten Kraft.

Die speziellen Gaben von Mutter und Vater waren in ihr vereint; sie bildeten ein völlig neues Potenzial.

»Wir sind an einem entscheidenden Punkt, Vater. Noch ist nicht alles verloren.«

Jora'h hatte bereits ein Signal gesendet und die Kriegsschiffe im Orbit in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Zwei Manipel gingen mit hoher Geschwindigkeit tiefer, rasten durch die obere Atmosphäre und gingen vor den sechzig Wachschiffen der Hydroger in Position. »Ich hatte gehofft, dass Tal Lorie'nh rechtzeitig eintreffen würde. Vielleicht hätte ich seine Kriegsschiffe nicht zur Erde schicken sollen.«

Osira'h blickte zu den verwinkelten Scheiben der Himmelssphäre. Niemand konnte rechtzeitig genug zur Stelle sein. Sie musste irgendwie mit den Hydrogern fertig werden.

»Der Gesandte kommt. Er ist sehr zornig.« Erstaunlicherweise spürte Osira'h mehr Aufregung als Furcht. Sie fieberte der Begegnung geradezu entgegen.

Die kleine Druckkapsel raste wie eine diamantene Abrissbirne durch die Flure des Prismapalastes. Sie schmetterte durch eine kristallene Wand, zerfetzte ein Tor und setzte den Flug fort. Ildiraner sprangen zur Seite.

Osira'h trat vor den Weisen Imperator. »Erlaube mir, mit ihm zu sprechen, Vater. Es ist vielleicht unsere einzige Chance.«

»Ich hätte dich und deine Mutter nie in diese Situation bringen sollen.«

»Warte ab. Ein unvorsichtiger Jäger könnte in seine eigene Falle geraten«, erwiderte das Mädchen.

333

Die Kugelschiffe am Himmel über Mijistra sanken tiefer, und Entladungen knisterten zwischen den stachelartigen Vorsprüngen in ihrer Außenhülle.

Die Einheiten der Solaren Marine konnten die Kugeln nicht rechtzeitig vernichten. Und selbst wenn ihnen das gelungen wäre: Explosionen und Trümmer hätten die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt.

Osira'h wandte sich dem wütenden Gesandten zu, als er den Audienzsaal erreichte und anhielt. Der Hydroger im Innern der Druckkapsel hatte bereits menschliche Gestalt angenommen. Eine unheilvolle Stimme donnerte: »Sie haben gewusst, welche Konsequenzen es für Sie haben würde, unseren Forderungen nicht nachzukommen. Und doch haben Sie uns verraten.« Trotz des Zorns blieb der Gesichtsausdruck der simulierten menschlichen Gestalt in der Druckkapsel unverändert. »Wir werden diese Stadt vernichten, den ganzen Planeten. Wir werden Ihr Volk auslöschen.«

Mit der Eleganz einer Isix-Katze ging Osira'h die Treppenstufen hinunter und trat schutzlos vor die Kapsel des Gesandten. In ihrem Bewusstsein war die Verbindung zu den Hydrogern nie ganz unterbrochen gewesen, aber sie hatte den fremden Einfluss von sich ferngehalten. »Bevor Sie uns vernichten ... Wir haben wichtige Informationen für Sie.«

»Welche Informationen?«, fragte der Gesandte skeptisch.

»Sie betreffen eine fatale Schwäche der Verdani, und eine andere, die Sie für den Sieg über die zurückgekehrten Wentals nutzen könnten.« Osira'hs Mutter hatte von vielen Dingen erzählt, über die sie aufgrund ihres erneuerten Kontakts mit dem Weltwald Bescheid wusste. »Wir bieten Ihnen diese Informationen für unser Leben.«

»Erzähl uns davon.«

»Nur wenn Sie die Ildiraner am Leben lassen«, sagte Osira'h.

Die Kühnheit des Mädchens schien den Gesandten zu 334

verblüffen. »Wir entscheiden über den Wert der Informationen, sobald wir wissen, worum es geht.«

Osira'h gab sich den Anschein einzuwilligen. »Ich übermittle sie durch die mentale Verbindung.« Ihr Gesicht wurde ausdruckslos. Ohne auf eine Genehmigung zu warten, öffnete sie ihr Selbst so, wie sie es gelernt hatte, und stellte einen Kontakt her. Das Bewusstsein des Hydrogers griff von seiner Seite aus auf die Verbindung zu. Gut. Seine Kooperation machte alles einfacher.

Zuvor waren die Kontakte mit den Hydrogern fast unterwürfig gewesen.

Diesmal nicht. Osira'h überraschte sie, indem sie das mentale Tor mit dem Rammbock ihres Bewusstseins weit aufstieß. Mit aller Entschlossenheit ging sie vor, ohne zu zögern.

Als der Gesandte verblüfft zurückwich, drehte sich Osira'h halb um und griff nach der Hand ihres Vaters, der die Treppe herunterkam. Sie berührten sich, und es entstand ein Band zwischen ihnen. Jora'h war das Zentrum des ildiranischen Thism, der Weise Imperator und ihr Vater. Das Band zwischen ihnen hätte nicht stärker sein können. Der Kontakt mit dem Thism verstärkte Osira'hs besondere Fähigkeiten, und sie wurde unaufhaltsam. Sie zerriss alle Barrieren und zwang dem Bewusstsein des Hydrogers die telepathische Verbindung auf.

Der Gesandte konnte nichts dagegen tun. Osira'h war die Brücke. Sie musste schnell handeln, bevor er die wahre Gefahr begriff. Das kleine Mischlingsmädchen packte sein Selbst und schuf durch ihn eine Verbindung zu den Hydrogern in den sechzig Kugelschiffen am Himmel über Mijistra. Osira'h zerschmetterte mentale Wände und bahnte sich einen Weg ins gemeinsame Selbst der Fremden. Deutlich spürte sie die Verwirrung der Hydroger, hörte ihre Forderungen und entdeckte sogar einen Hauch von Furcht angesichts ihres Unvermögens, die Verbindung zu ve t

rs ehen.

335

Es war genau das, was Osira'h brauchte.

Jora'h hielt die Hand seiner Tochter und zog sie etwas näher zu sich.

Osira'h wusste, dass inzwischen auch ihre Mutter zugegen war.

Nira kam mit dem neuen Schössling aus einem kleinen Alkoven - grüne und goldene Blattwedel wuchsen aus einem Stück Weltbaumholz. Als sich die grüne Priesterin zeigte, erzitterte der Hydroger-Emissär in seiner Druckkapsel. Er versuchte verzweifelt, die mentale Verbindung zu unterbrechen und das von Osira'h weit aufgestoßene Tor zu schließen, aber sie hielt sein Selbst fest, ließ nicht locker.

Mit dem Schössling in einer Hand berührte Nira die Schulter ihrer Tochter und verband sich mit ihr durch den Telkontakt. Mit dem Band zwischen ihr und ihrer Mutter erweiterte sich Osira'hs Potenzial. Ihre Eltern fungierten als Verstärker, mit dem Thism auf der einen Seite und dem Telkontakt auf der anderen. Aus der Brücke Osira'h wurde ein Aquädukt für pure Kraft.

Nira projizierte das Bewusstsein des Weltwalds.

Das gewaltige, mächtige Selbst der Verdani, bestehend aus den wissenden Weltbäumen auf vielen Welten, flutete durch den neuen Kanal. Osira'h ließ alles strömen. Die Hydroger konnten es nicht aufhalten.

Die Flut bestand aus den Gedanken der Verdani, aus Zorn und entsetzlichen Erinnerungen, jahrtausendealt. Sie überwältigte das Bewusstsein des Gesandten, sprang von dort aus zu den Kugelschiffen am Himmel. Es war, als hätte Osira'h hunderte von Bomben an Bord jener Schiffe versteckt und dann gezündet.

Gemeinsam näherten sich Osira'h, Jora'h und Nira der Druckkapsel. Der Hydroger in ihrem Innern kreischte, und seine Gestalt löste sich auf. Die me tal

n

e Rückkopplung tötete auch viele der quecksilberartigen Wesen an de

Bord

r sechzig Kugelschiffe. Die Hydroger waren Teile einer kollek 335

tiven Spezies, wie die Verdani und Wentals. Wenn die geistige Druckwelle lange genug andauerte, würde sie alle Hydroger umbringen, selbst die weit entfernten. Die korrosiven Gedanken der Bäume, ihrer Feinde, waren Gift für sie.

Die tödlichen Gedanken breiteten sich aus, strebten den Hydrogern über Mijistra entgegen. Die sechzig Kugelschiffe erbebten am Himmel von Ildira.

Einige blaue Blitze zuckten ungezielt, und die meisten von ihnen rasten nur durch Wolken, ohne Schaden anzurichten. Kriegsschiffe der Solaren Marine stürzten dem Feind entgegen, um den Prismapalast zu verteidigen -

doch mit den Kugelschiffen ging es bereits zu Ende.

Die Hydroger opferten sich, um die Verbindung zu unterbrechen und ihre Artgenossen überall im Spiralarm zu retten. Sie trennten sich geistig vom Gros ihres Volkes, damit sich die giftigen Gedanken nicht weiter ausbreiten konnten. Die Kugelschiffe gerieten außer Kontrolle und fielen wie diamantene Asteroiden. Sie rollten durch die Straßen von Mijistra, stürzten auf Hügel und explodierten über Wohnkomplexen. Sie zerstörten verzierte Türme und hohe Gebäude, wobei tausende den Tod fanden. Chaos suchte Mijistra heim.

Osira'h spürte im Thism, wie viele Ildiraner starben, aber noch deutlicher fühlte sie das Ende der Hydroger. Tränen strömten über die Wangen des Weisen Imperators, als er so viel Tod und Vernichtung ertrug. Doch er wusste auch, dass es die Befreiung seines Volkes bedeutete. Osira'h konnte nur hoffen, dass dies auch bei den übrigen Wachschiffen der Hydroger am me

Him

l anderer ildiranischer Welten geschah.

336

122 JESS TAMBLYN

Bevor er seine Schwester im Innern der Stadtsphäre erreichen konnte, wurde Jess mit einem Heer aus Ebenbildern seines Bruders Ross konfrontiert. Die Hydroger hätten kein wirkungsvolleres Bild gegen ihn einsetzen können. Jess kannte kein größeres Symbol für sein Versagen und den Verrat seines Herzens.

Woher wussten die Hydroger davon? Wie konnten sie von Ross erfahren haben?

Vor langer Zeit hatte Jess das Vertrauen seines Bruders ausgenutzt und sich in die Frau verliebt, die Ross hätte heiraten sollen. Aber jetzt trug Cesca Wentals in sich, wie er selbst, und Ross war dies.

Das Wental-Schiff schwebte bewegungslos, umgeben von zahllosen Ross-Kopien, die auf allen Seiten den Weg versperrten. Ross starrte Jess an.

Wie konnten die Hydroger davon wissen?

Jess hörte die Stimme der Wentals. Es bedeutet nichts. Sie kennen dich nicht.

Ross war eins der ersten Opfer der Hydroger gewesen, und anschließend hatten die Fremden sein Erscheinungsbild kopiert. Das war alles. Die Hydroger hatten einen Gesandten mit seiner Gestalt zur Erde geschickt und den Alten König Frederick getötet.

Jess' Vernunft hielt an dieser Logik fest, trotz der Zweifel in seinem Herzen.

Zu oft hatte er sich von seinen Gefühlen hereinlegen lassen, zuletzt beim verdorbenen Wental, der seine Mutter zu einem dämonischen Leben wieder erweckt hatte. Und jetzt dies. Wie konnten die Hydroger verstehen, was Ross für den Mann bedeutete, der eine Wental-Invasion anführte?

Mit stahlharter Entschlossenheit rief Jess den zahlreichen 336

Gesichtern seines Bruders zu: »Jene Frau war nicht meine Mutter, und du bist nicht mein Bruder!« Er klammerte sich an seiner Liebe zu Cesca und dem Hass auf die Hydroger fest. Tasia befand sich irgendwo in der Stadtsphäre, und von dieser nicht menschlichen Horde wollte er sich nicht aufhalten lassen.

Jess wusste, was er zu tun hatte, und auf dieser Grundlage traf er seine Entscheidung. Mit einem einzelnen Gedanken ließ er sein Schiff platzen.

Wental-Wasser spritzte in alle Richtungen, traf die Hydroger und wirkte wie Säure auf sie -ihre Gestalten lösten sich auf, die Ross-Farce verschwand.

Jess war allein und nicht mehr von seinem Wental-Schiff geschützt. Er trug nur dünne Kleidung und befand sich tief im Innern eines Gasriesen, war einem enormen Druck ausgesetzt, doch die Wasserwesen in ihm bewahrten seinen Körper davor, innerhalb von Sekundenbruchteilen zerquetscht zu werden.

Wenn er seine Schwester fand, musste er eine neue Blase schaffen, ein Wasserschiff, das Tasia aufnehmen und ihr Schutz gewähren konnte.

Dieses Problem erschien ihm gering angesichts der vielen Gefahren, die er bereits überwunden hatte. Doch zuerst musste er herausfinden, wo die Hydroger Tasia gefangen hielten.

Jess eilte durch das verwirrende Labyrinth der Stadtsphäre. Weit entfernt und nicht von der Zerstörung durch das Wental-Wasser betroffen, glitten Flüssigkristallwesen durch hohle Strukturen, erkletterten Monolithen und rutschten durch geometrische Grotten. Eine neue Flotte von Kugelschiffen stieg auf, den oberen Schichten der Atmosphäre entgegen.

Jess setzte die Suche fort. Wenn die Hydroger mit einer Krise konfrontiert waren - wie lange dauerte es dann, bis sie ihre menschlichen Gefangenen beseitigten? Seine Schwester und die anderen befanden sich irgendwo in dies

g

em eo

337

metrischen Albtraum. Was hatten die Hydroger mit ihnen angestellt?

Waren Tasia und ihre Mitgefangenen gefoltert worden?

Mit einem plötzlichen Ruck setzte sich die ganze Stadtsphäre in Bewegung.

Jess spürte, wie die große Masse langsam beschleunigte. Weit außerhalb der Metropole erschien eine gezackte Linie im Wogen der dichten Atmosphäre, ein vertikaler Riss im Gefüge des Raums. Ein Dimensionstor öffnete sich wie ein riesiges Maul, das sich anschickte, die ganze bizarre Stadtsphäre zu verschlingen.

Ein Transtor der Hydroger.

Sorge erfasste Jess, als er begriff, was die Fremden planten. Um dem überwältigenden Angriff der Wentals zu entgehen, wollten die Hydroger Qronha 3 verlassen und zu einem anderen Gasriesen fliehen. Er durfte sie nicht entkommen lassen! Sie würden Tasia mitnehmen.

Dann spürte Jess Freude irgendwo in seiner Nähe, und ein seltsames Prickeln erfasste ihn. Er drehte den Kopf und fühlte, wie etwas einem Geschoss gleich durch die Stadtsphäre jagte, eine silbrige Spindel, die ganz aus lebendem Wasser bestand - ein Wental-Torpedo. Das silbrig glänzende Objekt raste heran, genau auf Kurs.

Als sich das Transtor öffnete, traf der Wental-Torpedo die Dimensionslinie und explodierte. Lebendes Wasser spritzte ins Tor. Die Öffnung schrumpfte, kollabierte und verschwand.

Die riesige Stadtsphäre verharrte in der dichten Atmosphäre des Gasriesen.

Überall im Reich der Hydroger setzten Wental-Torpedos Transtore außer Gefecht, damit die Flüssigkristallwesen nicht fliehen konnten.

Jetzt gab es für die Hydroger keine Möglichkeit mehr, von Qronha 3 zu entkommen.

337

123 KÖNIG PETER

Sie verließen den Flüsterpalast und eilten in die dunkle Nacht. Peter und Estarra gingen sehr schnell, zogen Prinz Daniel mit sich und gaben ihm keine Zeit, Fragen zu stellen. OX führte sie durch ein Seitentor, über einen Hof, an einem Statuengarten vorbei und schließlich auf den Hauptplatz.

Zuerst war Daniel aufgeregt, aber dann wurde er skeptisch und schließlich misstrauisch. »Wenn eine Krönung geplant ist ... Warum sollte der Vorsitzende Wenzeslas den Palast verlassen? Das ist gar nicht typisch für ihn.«

»Er musste einen Ort für dich finden, der mehr Sicherheit verspricht«, erwiderte Peter. »Immerhin wird die Erde angegriffen.« OX blieb an der Spitze und marschierte über den weiten Platz.

»Aber sollte nicht wenigstens eine Feier stattfinden? Wo sind die anderen?«

Wie als Antwort heulten Alarmsirenen in der dunklen Stadt. Estarra deutete dorthin, wo sich vage die Konturen von Gebäuden im finsteren Palastdistrikt abzeichneten. »Die Bürger sind zu Hause, verfolgen das Geschehen auf den Medienschirmen und hoffen, dass sie überleben. Du kannst ihnen Mut machen.«

»Wenn es den Hydrogern gelingt, die Verteidigungslinien der TVF und Ildiraner zu durchbrechen, verwüsten sie die Erde«, betonte Peter. Doch wenn die Königin und er entkamen, gab es anschließend eine starke, neue Führung der Menschheit.

Enttäuschung zeigte sich im Gesicht des Prinzen. »Dann bin ich vielleicht nicht lange König. Wäre es nicht besser, einen Bunker aufzusuchen? Ein König sollte in Sicherheit sein, ganz gleich, was mit der Erde passiert.«

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»Es ist nicht mehr weit, Daniel.« Peter versuchte, beruhigend zu klingen.

»Wir sind gleich da.«

Nur noch einige wenige Notlichter brannten bei dem kleinen Hydroger-Schiffe, das wie eine Trophäe dastand. Selbst die Forschergruppen hatten sich in Sicherheit gebracht. Doch als Peter Wächter in der Nähe des Schiffes sah, begriff er, dass diese Sache schwieriger war als erwartet. Basil musste befürchtet haben, dass die Hydroger versuchen würden, das kleine Schiff zurückzuholen. »Haben sie derzeit nichts Wichtigeres zu tun?«

»Es ist der schwache Punkt im Plan«, murmelte Estarra.

Daniel sah ihr Ziel. »Das kleine Kugelschiff? Warum sind wir dorthin unterwegs?«

»Weil wir dorthin müssen«, erwiderte OX unschuldig.

Estarra wich der Frage aus. »Wenn die Erde angegriffen wird ... Kannst du dir einen Ort vorstellen, der mehr Sicherheit bietet als das Innere eines gepanzerten Hydroger-Schiffs?«

Daniel rang ganz offensichtlich mit der Frage und traute ihnen nicht, aber er hatte Schreckliches hinter sich und konnte sich vermutlich gar nicht vorstellen, dass Peter und Estarra den Mut aufbrachten, gegen die Hanse zu rebellieren. Peter sah die Sache natürlich nicht auf diese Weise. Ihm ging es ums Wohl der Menschheit. »Die anderen warten im Schiff auf uns.«

Estarra blieb an der Seite von Peter. Sie durften jetzt keine Unsicherheit zeigen.

Die Wächter hoben misstrauisch die Waffen. »Halt! Niemand darf sich dem Schiff nähern. So lautet der Befehl des Vorsitzenden.«

»Des Vorsitzenden?«, entgegnete Peter. »Sollten Ihnen die Befehle des Königs nicht wichtiger sein?«

Er fühlte den Schocker in seiner Tasche - die Waffe stammte von einem der Wächter vor Daniels Tür und war vollge

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laden. Estarra sah ihn an, und er erkannte die Botschaft in ihrem Gesicht.

Was immer nötig ist. Ihr Arm war angewinkelt, und daraus schloss Peter, dass sie ebenfalls nach ihrer Waffe gegriffen hatte.

OX führte Prinz Daniel kühn nach vorn. »Sie sind nicht befugt, König Peter, Königin Estarra und Prinz Daniel aufzuhalten.«

Mit mehr Zeit wäre es Peter vermutlich gelungen, sich einen Weg ins kleine Kugelschiff zu bluffen, aber vielleicht setzten sich die Wächter mit Basil in Verbindung. Das durfte er nicht riskieren. Als die Wächter das königliche Paar erkannten und mit Erleichterung reagierten, zogen Peter und Estarra ihre Schocker und schössen - breit gefächerte Betäubungsstrahlen trafen die fünf Männer. Sie waren völlig überrascht und begannen zu zucken, verloren die Kontrolle über ihre Muskeln. Drei von ihnen gelang es, ihre Projektilwaffen hervorzuholen, aber sie konnten nicht damit schießen.

Daniel schnappte nach Luft und riss erschrocken die Augen auf, als die Wächter zu Boden gingen. Er wirbelte zu Peter und Estarra herum, sah die Schocker in ihren Händen. Sein Gesicht lief rot an, aber er brachte keinen Ton hervor. Peter sah den Moment, in dem aus Argwohn und Verdacht Entsetzen wurde. Dann wandte er sich zur Flucht und rief um Hilfe. Peter schaltete den Schocker auf niedrigste Emissionsstufe und schoss auf die Beine des Prinzen.

Daniel brach zusammen, und die Betäubungsenergie breitete sich in seinem Nervensystems aus. Er versuchte erneut, um Hilfe zu rufen, doch die Stimme war zu schwach. Seine Beine hatten sich in Gummi verwandelt und zuckten kaum mehr.

Das kleine Kugelschiff wartete auf sie. »Estarra, OX - wir müssen ihn an Bord schaffen.« Peter, Estarra und OX zogen den jungen Mann auf die 339

Beine, und dabei stellte sich heraus, dass Daniel die Kontrolle über seine Blase verloren hatte: Die Schlafanzughose und der vordere Teil des Morgenmantels waren nass. Es war vermutlich die geringste der Demütigungen, die er in naher Zukunft hinnehmen musste. Peter hielt die Arme des Prinzen, der vor sich hin brabbelte; gemeinsam führten sie ihn an den bewusstlosen Wächtern vorbei ins Hydroger-Schiff.

»Bringen Sie ihn die Rampe hinauf«, sagte OX. »Ich beginne mit den Vorbereitungen.«

Peter und Estarra ließen den Kompi vorausgehen und brachten Daniel in den zentralen Raum des Kugelschiffs. OX trat zur trapezförmigen Wand.

»Aus den Datenpaketen des stellvertretenden Vorsitzenden Cain habe ich alle vom Forschungsteam zusammengestellten Informationen in meine Speicher übertragen. Hinzu kommen die diesbezüglichen Daten des Chefwissenschaftlers Palawu und des Roamer-Technikers Kotto Okiah. Ich verstehe die Funktionsweise des Systems.« OX drehte den Kopf, und seine goldenen Augensensoren glühten. »Ich habe das Koordinatensystem sechs Stunden lang analysiert und dabei auch die Ergebnisse des gestern von den Wissenschaftlern durchgeführten ersten Tests berücksichtigt. Ich glaube, ich komme damit zurecht.«

»Besteht ein Risiko?« Peter sah Daniel an, dessen Augen noch immer weit aufgerissen waren. Speichel tropfte ihm aus dem Mundwinkel. Er brachte es nicht fertig, verständliche Worte zu formulieren, gab leise, jammernde Laute von sich.

OX blickte auf die fremden Symbole und wandte sich dann an den König.

»Das Risiko ist nicht größer als bei der Verwendung eines Transportals der Klikiss. Auf der Basis meiner Koordinatenanalyse habe ich einen passenden Zielort für ihn gewählt.«

Daniel versuchte, sich zur Wehr zu setzen, und seine 340

Arme zuckten. Das königliche Paar hielt ihn weiterhin fest. Peter bezweifelte, ob der junge Mann verstehen konnte, was um ihn herum geschah. »Mach dir keine Sorgen«, sagte er. »OX hat bestimmt einen perfekten Ort für dich ausgesucht.«

Daniel wimmerte leise, als der Lehrer-Kompi damit begann, die Kontrollen des Transtors der Hydroger zu betätigen. Er verband sich mit den Kommandosystemen des Kugelschiffs, übermittelte Daten und wählte ein Koordinatensymbol. Das Transtor trübte sich, zeigte dann Bereitschaft.

»Eine Verbindung ist geschaffen. Sie können ihn hindurchschicken.«

Daniel versuchte sich zu wehren, aber Peter und Estarra hoben ihn hoch.

Als Peter das angestrengte Schnaufen seiner Frau hörte, blickte er voller Sorge auf ihren angeschwollenen Bauch. »Vielleicht solltest du besser ...«

»Ich bin nicht hilflos, Peter. Und es geht um Leben und Tod.« Sie zählten bis drei und stießen Daniel dann durchs Transtor. Peter hoffte, dass sie den eingebildeten, arroganten Prinzen nicht in ein tödliches Ambiente transferierten. Er vertraute darauf, dass OX die richtige Auswahl getroffen hatte.

Prinz Daniel verschwand durch das Transtor und würde auf einer ehemaligen Klikiss-Welt materialisieren, bei einer Siedlung der Kolonisierungsinitiative. Im Transtor flackerte es kurz, und dann wurde es wieder zu einer massiven Wand.

Peter sah Estarra an. »Wenigstens ist einer von uns in Sicherheit. Ich bezweifle allerdings, ob uns Daniel jemals dafür danken wird.«

»Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Daniel zu den Leuten gehört, denen nichts gefällt.« Estarra richtete einen sehnsüchtigen Blick auf das Transtor. »Schade, dass es keinen direkten Weg nach Theroc gibt.

Der Lehrer-Kompi wich von den Transtorkontrollen zurück. »Wir fliegen dorthin, Königin Estarra.«

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124 GENERAL KURT LANYAN

An Bord der Goliath forderte Lanyan den Waffenoffizier auf, das volle destruktive Potenzial des Moloch zu nutzen. »Es mangelt nicht an Zielen.

Schießen Sie auf alles, das auf uns schießt.« Er wusste noch immer nicht genau, was dort draußen geschah.

Zuerst hatten sich die ildiranischen Kriegsschiffe gegen die TVF gewandt, und dann stürzten sie plötzlich den Kugelschiffen entgegen, in einem Kamikazeangriff von gewaltigem Ausmaß. Fast siebenhundert Schiffe hatten sich in wenigen Sekunden geopfert - ein monumentales Massaker!

Die im All treibenden Trümmer explodierter ildiranischer Raumer und auseinandergebrochener Hydroger-Schiffe verwandelte das Schlachtfeld in ein Minenfeld. Lodernde Treibstofftanks, Triebwerkfragmente und rotierende Panzerungsplatten flogen wie ein Meteoritenhagel vorbei. Immer wieder blitzte es im Weltraum - die Goliath schien sich mitten in einem Feuerwerk zu befinden. Lanyans Schiff musste Ausweichmanöver fliegen, während es auf den Feind feuerte. Von einer Schlachtordnung konnte längst nicht mehr die Rede sein.

Und dann gab es da noch die verdammten Soldaten-Kompis und Klikiss-Roboter. Zahlreiche entführte TVF-Schiffe warfen sich ins Getümmel und sahen genauso aus wie Lanyans Einheiten. Wie sollte man Freund und Feind voneinander unterscheiden?

Taktische Offiziere versuchten, den Weg der vielen Ortungsimpulse zu verfolgen, aber die übernommenen Schiffe flogen kreuz und quer durch die TVF-Flotte. Unter solchen Umständen ließ sich die Zielerfassung nicht ichte

ausr

n. »Sie schwärmen umher wie eine Wolke betrunkener Mücken.«

»General, jedes von ihnen sendet die gleichen FFI-Sig 341

nale.« Kosevic wischte sich Schweiß aus dem Gesicht. »Unsere Zielerfassungscomputer halten sie alle für TVF-Schiffe.«

»Wir wissen, dass es feindliche Einheiten sind, also feuern Sie darauf!

Brecher und Kohlenstoffknaller funktionieren vielleicht nicht bei Hydrogern, aber sie können TVF-Schiffen die Bäuche aufreißen.« Lanyan blickte auf den Hauptschirm. »Versuchen Sie, nicht unsere eigenen Schiffe zu treffen. Es sind nicht mehr viele von ihnen übrig.«

Die von den Robotern kontrollierten Schiffe in der TVF-Flotte eröffneten das Feuer. Jazer-Strahlen trafen eine Thun-derhead-Waffenplattform und verwandelten sie in einen Glutball.

Lanyan sprang auf. »Da haben Sie ein verdammtes Ziel! Markieren Sie alle Schiffe, die auf unsere Einheiten schießen.«

Die Goliath zerstörte den Manta, von dem die Jazer-Strahlen ausgegangen waren. Kosevic eilte zwischen den Waffenstationen des Moloch hin und her, forderte die Kanoniere immer wieder auf, wahrscheinliche Feinde unter Beschuss zu nehmen. Doch die Zielerfassungscomputer waren über-fordert. »General, jetzt da wir ebenfalls das Feuer eröffnet haben, kann niemand mehr Angreifer von Verteidigern unterscheiden.«

Lanyan schlug mit der Faust auf die Armlehne des Sessels.

Zwei Gitter-Admirale erschienen auf dem Hauptschirm: Peter Tabeguache und Kostas Eolus. »Warum feuern Sie auf uns, General? Wir haben einige unserer Schiffe wieder unter Kontrolle gebracht und sind hier, um der Hanse zu helfen!«

Lanyan maß die beiden Admiräle mit scharfem Blick. »Ach, tatsächlich?

Und warum haben Sie dann auf uns geschossen?«

»Wir dachten, Ihre Schiffe wären die von den Soldaten-Kompis übernommenen Einheiten«, antwortete Eolus.

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»Wir wussten nicht, dass es sich um TVF-Schiffe handelte«, fügte Tabeguache hinzu.

Lanyan unterbrach die Audioverbindung. »Richten Sie hochenergetische EM-Signale auf Eolus' Signalturm. Ich möchte sein Schiff ein wenig durchschütteln.« Er sah, dass der Erste Offizier zögerte. »Ich habe mich einmal von Admiral Wu-Lin täuschen lassen. Den beiden Molochen dort draußen traue ich nicht.«

Der Waffenoffizier sendete die verlangten EM-Signale, und daraufhin verschwand das Bild des Gitter-5-Admirals vom Schirm. Das Hologramm löste sich auf, und ein schwarzer Klikiss-Roboter erschien an den Brückenkontrollen der Eldorado.

»Der sieht jetzt nicht mehr nach Admiral Eolus aus«, sagte Lanyan, ohne überrascht zu sein. »Sie haben ein weiteres Ziel. Feuer!«

Offiziere eilten zu ihren Stationen. Jazer-Strahlen und Brecher trafen den übernommenen Moloch, beschädigten sein Triebwerk und rissen Löcher in den Rumpf. Admiral Willis' Schiffe kamen herbei und feuerten ebenfalls.

Auf Lanyans Anweisung hin nahmen weitere TVF-Einheiten das einstige Flaggschiff von Admiral Tabeguache unter Beschuss.

Die entführten Schiffe flogen Ausweichmanöver und versuchten, sich inmitten der Verteidiger zu verstecken. Die Goliath richtete beim Feind erheblichen Schaden an, doch einer der von den Robotern kontrollierten Moloche kam genau auf sie zu und feuerte mit Projektilen. Lanyan sah das Schiff kommen und befahl, den Kurs zu ändern. Die Goliath drehte sich um die eigene Achse, konnte den Geschossen jedoch nicht entgehen. Zwei Triebwerksbänke von Lanyans Schiff explodierten. Ein Jazer-Strahl bohrte sich durch den Steuerbordrumpf und riss sieben Decks auf.

»Volle Waffenenergie - erledigen Sie den verdammten Moloch!«

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Kohlenstoffknaller trafen die Unterseite des Angreifers mit solcher Wucht, dass er vom Kurs abkam.

»Die Jazer-Bänke sind fast leer, aber ein Triebwerksmodul ist noch einsatzbereit und kann uns von hier fortbringen«, sagte Kosevic. »Wir müssen uns zurückziehen, General. Andernfalls werden wir zur Zielscheibe.«

»Einige unserer Waffen funktionieren noch, Mr. Kosevic, und ich beabsichtige, dem Feind bis zu meinem letzten Atemzug Widerstand zu leisten. Stellen Sie fest, aus welchem Gitter die Schiffe kommen. Setzen Sie sich dann mit der Marsbasis in Verbindung und lassen Sie sich die entsprechenden Killkodes geben. Wir müssen diese Sache so oder so zu Ende bringen.«

Lanyan drehte sich um und fuhr einen erstarrten Kanonier an: »Sie! Habe ich Ihnen befohlen, das Feuer einzustellen?« Der erschrockene Mann betätigte sofort die Zielerfassungskontrollen und startete die letzten Bruchimpulsdrohnen.