neuen Wental-Planeten eingezeichnet sind, Jess. Wir Wasserträger tauschen solche Informationen aus. Wir können jene Welten als Reservoirs für die verwenden, die sich uns anschließen wollen.«
Cesca wandte sich mit glänzenden Augen an Jess. »Wie sehr ich mich auch verändert habe, ich bin noch immer die Sprecherin der Roamer. Ich kann die Roamer zusammenbringen und auffordern, die Wentals mit ihren Schiffen zu den Gasriesen der Hydroger zu transportieren.«
»Zusammen schaffen wir einen Sturm, dem die Hydroger nicht widerstehen können.« Statische Elektrizität hob Jess' Haar, und Wind kam auf, strich ihm über die feuchte Haut. »Zuerst fliegen wir nach Plumas. Der Tamblyn-Clan verfügt über große Wassertanker. Genau das, was wir brauchen.«
Nikko startete kurze Zeit später. Jess nahm Cescas Hand und ging mit ihr zur schimmernden Membran seines Schiffes. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal mit Cesca allein gewesen war. »Komm zu mir«, sagte er.
»Für immer.«
Gemeinsam traten sie durch die Membran des Wental-Schiffes.
27 RLINDA KETT
Auf einem wachsenden Eiskamm näherte sich die von den Toten zurückgekehrte Frau den Schollen, umgeben von einem Tosen aus Dampf, Eissplittern und Wasser. Karla ballte die weißen Hände zu Fäusten und schickte immer wieder ihre Energie nach oben, wodurch sich dicke Brocken aus dem Eishimmel lösten.
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»Wenn es so weitergeht, entsteht ein Loch, durch das die Luft entweicht!«, rief Caleb. »Dann werden wir wie Schneeflocken ins All gerissen.«
»Nun, wir haben nach einer Möglichkeit gesucht, diesen Ort möglichst schnell zu verlassen«, sagte Rlinda zu BeBob, als sie beide zurückwichen.
Kraft schien sich in Karla aufzustauen und ihr Schmerzen zu bereiten, wenn sie sie nicht freigab. Das bleigraue Meer gefror bei jedem Schritt unter ihren Füßen, als sie sich dem weißen Ufer näherte, begleitet von pulsierenden Nematoden.
Mit einem Heulen, das halb Lied und halb Schrei war, schleuderte Karla ihre ätherische Energie nach einer der künstlichen Sonnen. Das Eis am Stützgerüst knackte, und die große Lampenkugel baumelte kurz, löste sich dann aus der Halterung. Sie fiel in den kalten grauen Ozean und jagte einen Geysir aus verdampftem Wasser in die Höhe. Die künstliche Sonne brannte noch immer, als sie tiefer sank; ihr Licht schwand immer mehr.
BeBob stöhnte. »Wenn wir doch nie vom Mond der Erde entkommen wären.«
Rlinda hätte ihm am liebsten eine gelangt. »Wenn du jetzt schon dauernd jammerst... Was machst du dann, wenn die Dinge wirklich schlimm werden?«
»Oh, darauf freue ich mich schon.«
Rlinda wollte nicht bleiben und herausfinden, was die Eisfrau mit ihnen allen anstellen würde. Sie bezweifelte, ob die Tamblyns Waffen hatten, mit denen sich etwas gegen diese dämonische Erscheinung ausrichten ließ.
»Ich könnte einen Flammenwerfer oder eine Jazer-Kanone gebrauchen.«
»Hier ist eine Schaufel«, sagte BeBob und reichte sie ihr.
Rlinda nahm sie, sah BeBob an und runzelte die Stirn. »Soll ich ihr damit auf den Kopf hauen?«
»Nein.« BeBob schnappte sich eine zweite Schaufel. »Aber vielleicht hilft es gegen die Würmer, die mit ihr kommen.«
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Scharlachrote Nematoden krochen aufs Eis: hunderte von ihnen, jeder so lang wie ein menschliches Bein. Die Roamer von Plumas eilten zu ihren Wohnkuppeln und Ausrüstungsbaracken, in der Hoffnung, dort Schutz zu finden. Nur mit Schaufeln bewaffnet duckten sich Rlinda und BeBob hinter eine Berme aus Schnee und aufgestapeltem Eis.
Die drei Tamblyn-Brüder versuchten noch einmal, die Frau zur Vernunft zu bringen. »Karla, wir sind es!«, rief Tor in. »Erkennst du mich nicht? Dies ist dein Zuhause.«
»Zuhauuuuse«, wiederholte sie, und es klang so, als wehte eiskalter Wind durch einen langen Tunnel. »Feste Wände. Gefangen. Muss zerstören, um frei zu sein.« Wie beiläufig richtete sie einen Finger auf die Wasserminenarbeiter, die zu einer Wohnhütte flohen. Wasser spritzte den Männern und Frauen entgegen, gefror sofort und ließ die Roamer in Eis erstarren.
»Karla nein!«, rief Wynn. »Bitte ...«
Die Frau schickte auch ihm Wasser entgegen, aber Wynn warf sich rechtzeitig zur Seite und rollte sich unter einem dicken Gastrennungsrohr hindurch. Die drei Tamblyn-Brüder eilten in unterschiedliche Richtungen fort.
»Rückkehr zum flüssigen Zustand«, sagte Karla. Sie richtete ihr Wasserbombardement auf weitere fliehende Roamer und schien das unterhaltsamer zu finden, als Löcher in die Eisdecke zu bohren. Sie zerstörte eine der Wohnhütten, gefolgt von einer größeren Habitatkuppel und einem Generatorschuppen. »Perfekter Zustand des Chaos.«
Die mit ihren Gedanken verbundenen Nematoden krochen übers Eis und wirkten sehr hungrig. In der niedrigen Schwerkraft kamen sie auch an vertikalen Wänden voran, krabbelten über Rohre und hinterließen dabei dünne Schleimspuren, wie zu groß geratene Maden an den Wänden eines Müllbehälters.
Mit kratzenden Geräuschen krochen die Nematoden
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übers Eis auf der Suche nach Nahrung. Ihre biegsamen Körper schwollen an und zogen sich wieder zusammen, als sie zwischen den Trümmern der zerstörten Gebäude nach Opfern suchten.
Rlinda hörte Schreie. Ein Mann kam aus einem Lagerschuppen und schoss mit einem fürs Eisschmelzen bestimmten Laser auf drei der Würmer. Sie blähten sich sofort auf und explodierten, verspritzten rotes Protoplasma in alle Richtungen. Von diesem Erfolg ermutigt richtete der Mann den Laser auf Karla und drückte ab, aber die Hitze blieb ohne Wirkung auf sie. Mit einer knappen Geste bedeckte sie ihn und die Waffe mit Eis.
Auf Händen und Knien suchten Rlinda und BeBob nach besserer Deckung.
Derzeit schenkten die Roamer ihren Gefangenen keine Beachtung. »Ich wünschte, wir könnten etwas tun«, sagte Rlinda.
»Ich wünschte, wir könnten von hier verschwinden. Ist dies vielleicht eine Chance?«
»Oh, klar, wenn wir die nächsten zehn Minuten überleben.«
Das Donnern einer weiteren Explosion hallte durch die große Höhle, und BeBob zuckte zusammen. »Derzeit können wir nur laufen und uns verstecken.« Er sah auf, als sich ein weiterer Brocken aus der Decke löste.
»Jeder ist sich selbst der Nächste.«
Rlinda sah ebenfalls zum Eishimmel empor. »Die Neugier wartet dort oben auf uns - wenn die Roamer mein Schiff nicht ruiniert haben.«
»Sie waren dabei, es zu reparieren! Ich habe gesehen, wie sie Ersatzteile an die Oberfläche brachten.«
»Mag sein, aber wenn die Tamblyn-Brüder nicht genau wussten, was sie taten, liefen ihre Reparaturversuche aufs Gegenteil hinaus.« Rlinda setzte die linke Hand an die Hüfte und stützte die andere auf die Schaufel. »Wie dem auch
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sei: Ich wäre jetzt lieber dort oben. Wenn die ganze Welt auseinanderbricht, möchte ich an Bord meines Schiffes sterben.«
»Sterben gehört nicht unbedingt zu meinen Vorlieben, Rlinda. Es sei denn, ich bin dabei mit dir zusammen.«
»Du bist entweder ein süßer Schatz oder ein Idiot.« Als sich ihre Blicke trafen, war die Entscheidung klar. Rlinda ergriff BeBobs Hand und zog ihn mit sich. »Was auch immer du bist - ich nehme dich mit.«
28 KOTTO OKIAH
Als Kotto und seine analytischen Kompis in den verlassenen Werften von Osquivel keine Erklärung fanden, suchten sie woanders. »Es ist alles sehr geheimnisvoll«, sagte Kotto.
»Eine schwierige Angelegenheit«, kommentierte GU.
»Ein Rätsel«, fügte KR hinzu.
Zwar herrschte bei den verstreuten Roamer-Clans stets ein ziemliches Durcheinander, aber Kotto hatte den Notfallplänen nie viel Beachtung geschenkt und war davon ausgegangen, dass ihm jemand sagen würde, was er tun sollte. Jetzt m
ste
us
er allein klarkommen.
Mithilfe der Navigationsdatenbank des kleinen Schiffes berechnete Kotto einen Kurs nach Jonah 12, wo er eine Wasserstoff verarbeitende Basis eingerichtet hatte. »Wir haben nicht genug Treibstoff oder Zeit für eine lange Suche. Ich kehre einfach zu meinem alten Revier zurück und sehe nach, was die Leute so machen.« Es war schon eine ganze Weile her, seit er die letzten Nachrichten empfangen hatte.
Nach der Kursberechnung gaben GU und KR die Daten ein, und das Schiff beschleunigte, entfernte sich von Osqui
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vel. Der eigene Geruch wies Kotto darauf hin, dass er zu beschäftigt gewesen war, um sich zu waschen. Der Kampf gegen die Hydroger bei Theroc hatte ihn zweifellos ins Schwitzen gebracht.
Kotto zog seinen Overall aus und warf ihn in den Kleidungsreiniger. Nackt ging er durchs kalte Schiff und nahm Lappen und Reinigungsgel, um sich gründlich abzuschrubben. Als er das hinter sich gebracht hatte, beschloss Kotto, auch die beiden analytischen Kompis zu säubern.
Er summte bei der Arbeit, dachte an die Roamer auf Jonah 12 und daran, wie dort Eis geschmolzen und Wasserstoff gelagert wurde, um später Ekti daraus zu gewinnen. Da er sich nicht mehr mit dem kleinen Hydroger-Schiff beschäftigen konnte, wollte er zu seiner eigentlichen Arbeit zurückkehren. Er sprach mit KR und GU über mechanische Systeme und Extraktionsverfahren. »Purcell Wan freut sich bestimmt darüber, mich zurückzuhaben. Ich kann es gar nicht abwarten, sein Gesicht zu sehen. So lange hatte ich nicht wegbleiben wollen, als ich losgeflogen bin, um den Theronen zu helfen.«
»In der Zwischenzeit hast du viel geschafft, Kotto Okiah«, sagte GU. »Du hast drei Städte auf Theroc wiederaufgebaut, das Kugelschiff bei Osquivel untersucht und die Türklingel-Membranen als Waffe gegen die Hydroger entwickelt.«
»Ich brauche keinen Jubelklub«, erwiderte Kotto, lächelte aber.
Kotto rief den Grundriss der Basis auf Jonah 12 ab und sah sich auch die Konstruktionspläne der Kriecher-Fahrzeuge an. Es dauerte nicht lange, bis auf seinem Imager-Tisch zahlreiche Datenschirme lagen. Er beauftragte die Kompis mit Simulationen und veränderte immer wieder Parameter, um die Produktion zu verbessern. Als sich das Schiff dem Ziel näherte, hatte Kotto ne e
u Entwürfe vorbereitet, die eine Produktivitätssteigerung von mindestens
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hundertfünfzig Prozent ermöglichen würden. Er stellte sich den aufregenden Moment vor, wenn er seine Umrüstungspläne verkündete.
Kotto bemerkte, dass er noch immer nackt war. Er nahm den Overall, streifte ihn über und war bereit.
Doch als sich das Schiff dem kalten Planetoiden näherte, reagierte niemand auf die Funksignale. Die Ekti-Reaktoren im Orbit waren inaktiv. Es wirkte auf unheimliche Weise vertraut.
Als er in Reichweite war, richtete Kotto die Scanner auf die Oberfläche des Planetoiden und fand einen großen Krater dort, wo sich die Basis befunden hatte. Seine Crew, die Arbeiter! Es war zu einer enorm starken Explosion gekommen, die alle Anzeichen einer menschlichen Besiedlung ausgelöscht hatte. Auf Jonah 12 lebte niemand mehr.
Kotto starrte ungläubig auf die Bilder. Erst hatte er Osquivel verlassen vorgefunden, und jetzt dies. Was konnte eine solche Katastrophe verursacht haben? All die Menschen ... Er hoffte, dass es genug Zeit für eine Evakuierung gegeben hatte. Die meisten Arbeiter von Jonah 12 waren Überlebende seiner Station in der Gluthitze von Isperos gewesen und ihm zu diesem eisigen Planetoiden gefolgt. Sie hatten ihm vertraut!
Er blickte auf den großen Krater hinab. »Beim Leitstern, was ist hier geschehen?«
Die beiden Kompis sahen ihn an und schienen sich zu fragen, ob er eine Antwort von ihnen erwartete. KR und GU beschlossen zu schweigen.
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29 WEISER IMPERATOR JORA'H
Nachdem er Osira'h fortgeschickt hatte, wanderte Jora'h über einen Weg hoch oben in der Himmelssphärenkuppel, auf der Suche nach einem Moment der Ruhe. Buntes Licht schien durch die facettierten Kristallflächen, und Zerstäuber hielten die Luft feucht. Ildiraner des Bediensteten-Geschlechts hatten den Weg poliert, und Angehörige des Bauern-Geschlechts kümmerten sich um Flora und Fauna der Himmelssphäre. Das große Terrarium enthielt hängende Reben und duftende Blumen. Fliegende Insekten und gefiederte Geschöpfe huschten umher, schimmerten rot, grün und blau.
Jora'h erinnerte sich an eine Strophe aus der Saga der Sieben Sonnen, die ihn immer sehr beunruhigt hatte: »Es wird eine Zeit von Feuer und Nacht kommen, wenn Feinde aufstehen und Reiche fallen, wenn selbst die Sterne zu sterben scheinen.«
Diese Zeit steht unmittelbar bevor. Und ich habe mitgeholfen, sie anbrechen zu lassen.
Sein Volk verstand nicht, welcher Preis vielleicht für die Vereinbarung mit den Hydrogern gezahlt werden musste, aber da er der Weise Imperator war, würde sie niemand in-frage stellen. Die Ildiraner würden alle seine Anweisungen blind befolgen, und aus irgendeinem Grund machte das die Situation noch schlimmer. Wie konnte er sein Verhalten erklären und rechtfertigen?
Hier in diesem üppigen Garten fand er die von Weltbäumen stammenden Holzblöcke, die er vor Monaten von Roamer-Händlern gekauft hatte. Er hatte sie an diesem Ort untergebracht, damit sie ihn an Nira erinnerten.
Wenigstens ist Osira'h bald bei ihrer Mutter...
Yazra'h kam ihm über den Pfad auf der anderen Seite der 93
Himmelssphäre entgegen. Ihre Mähne aus kupferrotem Haar wogte hinter ihr, als sie lief und dabei ihren Vater beobachtete. Noch bevor sie stehen blieb, hatte sie für einen förmlichen Gruß die rechte Faust zur Brustmitte gehoben. »Herr, der Roamer-Händler Denn Peroni ist gerade auf Ildira gelandet.« Yazra'h grinste wölfisch. »Er will uns eine Ladung Ekti verkaufen.«
Das überraschte Jora'h. Angesichts des Hyrillka-Aufstands, der sterbenden Sonne Durris-B und des Ultimatums der Hydroger hatte er das Angebot der Roamer, Handelsbeziehungen mit dem Ildiranischen Reich zu knüpfen, ganz vergessen. »Wir können den Treibstoff gewiss gebrauchen.«
Er runzelte die Stirn. »Aber sei vorsichtig. Stell sicher, dass er nichts von unseren Kontakten mit den Hydrogern erfährt.« Wenn Denn Peroni ein geheimes Bündnis ahnte, war Jora'h gezwungen, sein Schiff zu beschlagnahmen und ihn gefangen zu halten, so wie die anderen Menschen im Flüsterpalast. »Sorg dafür, dass er Sullivan Gold ebenso wenig zu Gesicht bekommt wie die Arbeiter seiner Himmelsmine und auch deinen Freund Anton Colicos. Ihre Präsenz würde zu viele Fragen aufwerfen.«
Jora'h bedauerte sehr, dass er die Menschen gefangen halten musste.
Sullivan Gold und seine Crew waren Helden, die von Hydrogern angegriffene Ildiraner gerettet hatten. Der Gelehrte Anton Colicos hatte den Angriff von Klikiss-Robotern überlebt und Erinnerer Vao'sh gerettet. Nach den Regeln der Ehre gebührte diesen Männern und Frauen Lohn. Aber da sie die Kugelschiffe der Hydroger gesehen hatten, musste Jora'h sie bewachen lassen. Er befürchtete, dass er sie nie wieder freilassen konnte.
Wie sehr er es verabscheute, solche Maßnahmen ergreifen zu müssen.
»Ja, Herr. Ich kümmere mich darum. Der Händler ist bereits auf dem Weg.«
Yazra'h verbeugte sich und lief in die
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Richtung, aus der sie gekommen war. Das bunte Licht strich ihr über die glatte Haut. Jora'h drehte sich um und kehrte zum Podium und seinen Pflichten zurück.
Der Roamer zeigte Respekt, indem er vor dem Chrysalissessel auf ein Knie sank; dann sah er mit einem ansteckenden Lächeln auf. Das lange braune Haar war zusammengebunden, und die prächtige Kleidung wies Cla ‐
n
Zeichen auf. Er schien sehr mit sich zufrieden zu sein.
»Das Ekti stammt von einer Kometen‐Anlage, in der wir Wasserstoff gewinnen und Treibstoff für den Sternenantrieb verarbeiten. Es ist ein schwieriger und aufwändiger Prozess.« Der Roamer zuckte mit den Schultern. »Die Hydroger haben uns nicht viele Alternativen gelassen.«
Seit dem Beginn des Hydroger‐Kriegs vor acht Jahren war die Produktion von Ekti immer mehr gesunken, und das große Ildiranische Reich verfügte nur noch über wenige Treibstoffvorräte. »Wir werden Ihren Preis bezahlen«, sagte Jora'h. Menschen wiesen immer wieder auf hohe Kosten hin und versuchten damit, ihre Geschäftspartner zu größeren Zahlungen zu veranlassen. Ildiraner hingegen handelten in Einklang miteinander, al s eine
große Gemeinschaft.
Peroni lächelte. »Ich bringe gute Nachrichten. Die Roamer‐Clans betreiben wieder Himmelsminen! Wir haben mindestens einen Gasriesen gefunden, in dem es keine Hydroger gibt. Schon sehr bald dürften wir in der Lage sein, mehr Ekti zu liefern. Dies könnte der Anfang einer langen, profitablen Partnerschaft zwischen Menschen und Ildiranern sein. Da bin ich sic
«
her.
»Wir danken für Ihr Vertrauen.« Jora'h fühlte, wie ihm das Herz schwer wurde. Die Hydroger planten die Auslöschung aller Menschen ‐ und die Ildiraner waren vielleicht gezwungen, ihnen dabei zu helfen.
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30 SULLIVAN GOLD
Die Himmelsminenarbeiter der Hanse hassten es, als Geiseln im Prismapalast festgehalten zu werden. Tabitha Huck sank auf eine Sitzbank und richtete einen finsteren Blick auf die bewachte Tür ihres geräumigen Quartiers. »Eine verdammt seltsame Art und Weise, Danke zu sagen.« Sie sah zu der muskulösen Wächterin, die mit ihren sehr gefährlich wirkenden Raubkatzen in den Fluren patrouillierte. »Man tut etwas Gutes, und dann dies.«
Sullivan nahm neben ihr Platz. Als die Hydroger Qronha 3 angegriffen hatten, waren die Arbeiter der Hanse auf die Evakuierung vorbereitet gewesen, nicht aber die Ildiraner. Sullivan hatte bei jener Gelegenheit eine sehr schwere Entscheidung getroffen und die Ildiraner gerettet, unter großen Gefahren für die Menschen. »Wir konnten sie nicht einfach sterben lassen, Tabitha.«
»Vielleicht wäre das besser gewesen! Wir haben eine unserer Rettungskapseln verloren, als die Droger angriffen, und jetzt sitzen wir hier fest. Wenn wir evakuiert hätten, als die Kugelschiffe darauf konzentriert waren, die Anlage der Ildiraner zu zerstören ... Dann wären wir jetzt zu Hause.«
Sullivan legte ihr väterlich die Hand auf den Arm. »Aber könnten Sie dann nachts schlafen?«
Tabitha sah ihn an. »Ich bin bereit, Schlaftabletten zu nehmen.«
Sullivan beobachtete Yazra'hs Silhouette im Flur. Die Wächterin näherte sich und öffnete die Tür. »Bleiben Sie hier, bis wir Ihnen Bescheid geben.
Während der nächsten beiden Stunden dürfen Sie diese Räume nicht verlassen.«
»Warum? Was hat sich verändert?« Sullivan ging zur Tür. »Was haben wir uns zuschulden kommen lassen?«
»Erklärungen stehen mir nicht zu.«
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»Unsere Angehörigen sollten erfahren, dass wir wohlauf sind«, sagte Sullivan. »Können Sie meinem grünen Priester einen Schössling geben, damit er die Möglichkeit hat, eine Nachricht zu übermitteln und unseren Familien mitzuteilen, dass wir noch leben? Bitte, es würde ihm viel bedeuten. Und nicht nur ihm, uns allen.«
Kolker war das am schlimmsten betroffene Mitglied von Sullivans Crew. Er war immer sehr redselig gewesen und hatte im Telkontakt endlos mit anderen grünen Priestern überall im Spiralarm gesprochen. Doch bei der Zerstörung der Himmelsmine hatte Kolker seinen Schössling verloren und damit keine Möglichkeit mehr zur telepathischen Kommunikation. Er litt an Einsamkeit und Depressionen, war wie ein Süchtiger auf längerem Entzug. Und es gab überhaupt keinen Grund dafür! Warum behandelte der Weise Imperator sie auf diese Weise?
»Ich habe andere Pflichten.« Yazra'h trat in den Flur zurück und schloss die Tür.
Tabitha verzog das Gesicht, als die Wächterin fortging. »Ich nehme an, die Ildiraner wollen etwas vor uns verbergen.« Sie schüttelte den Kopf, die Stirn gerunzelt. Es gab so viele unbeantwortete Fragen! »Irgendwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Was hatte es mit all den Hydroger-Schiffen über dem Prismapalast auf sich? Als wir sie sahen, schickte man uns in die Quartiere.«
Sullivan näherte sich dem grünen Priester und berührte ihn mitfühlend an der Schulter. Kolker saß schwermütig da und schwieg. Es gab überall Sonnenschein, und deshalb zeigte seine Haut ein gesundes Grün, aber er blieb vom Kommunikationsnetz der Weltbäume abgeschnitten.
Kolker hob den Kopf, als hätte er etwas Unerwartetes gefühlt. In seinem Gesicht zeigte sich Überraschung, dann eine Hoffnung, die nichts mit Tabithas oder Sullivans Worten zu tun hatte. »Ich dachte zunächst, ich te
hät es mir nur
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eingebildet, aber inzwischen weiß ich es besser.« Der grüne Priester sah Sullivan an. »Es befindet sich ein Schössling im Palast - und ich werde ihn finden.«
31 ANTON COLICOS
»Begleiten Sie mich zum Saal der Erinnerer«, sagte Vao'sh. »Sie haben nie das Sanktuarium und Hauptquartier meines Geschlechts gesehen, wo alle Geschichten beginnen und enden. Seit meinem Erwachen aus den Albträumen bin ich dort nicht mehr gewesen.«
Anton lächelte erfreut. »Ich komme gern mit! Und nicht nur deshalb, weil es mir Gelegenheit gibt, den Prismapalast zu verlassen.«
Seit die Hydroger-Schiffe gekommen und wieder verschwunden waren, erschienen ihm die Ildiraner sehr misstrauisch. Vermutlich gab es einen guten Grund dafür, aber... Warum sollten sie seine Bewegungsfreiheit einschränken? Anton gewann den Eindruck, dass er etwas gesehen hatte, von dem er nichts wissen durfte, und jetzt behielten ihn seine Gastgeber aufmerksam im Auge. Was sollte ein dünner, beschäftigter Gelehrter schon gegen das Ildiranische Reich tun können? Schließlich stellte Anton die Frage. »Weshalb nennt mir niemand den Grund, warum ich nicht nach Hause kann? Das würde ich wirklich gern wissen.«
Vao'sh runzelte die Stirn. »Sie haben noch nicht die Aufgabe erfüllt, die Sie hierhergebracht hat, Erinnerer Anton. Wollen Sie unbedingt fort?«
»Ich will nicht unbedingt fort, aber ich werde allmählich unruhig. Mein Vater kam vor Jahren bei einer archäologischen Ausgrabung ums Leben, und meine Mutter wird ver
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misst. Ich bin überhaupt nicht mehr auf dem Laufenden. Vielleicht gibt es Neuigkeiten. Es gefällt mir nicht, dass man mich im Dunkeln lässt.«
»Im Dunkeln?«, erwiderte Vao'sh erschrocken. »So etwas würden wir nie mit Ihnen machen!«
Anton legte seinem Freund und Kollegen beruhigend die Hand auf den Arm. »Es war nur eine Redensart. Keine Sorge.« Er begriff, dass er keine Antworten bekommen würde.
Der Erinnerer geleitete ihn durch einen langen Flur und den bogenförmigen Seiteneingang des Prismapalastes. Ein kurvenreicher Weg führte am elliptischen Hügel hinab zur großen Stadt. Der Anblick war so atemberaubend, dass Anton kaum die beiden stillen, muskulösen Ildiraner des Wächter-Geschlechts bemerkte, die sich ihnen anschlossen.
»Kommt Yazra'h mit uns?«
»Ich glaube, der Weise Imperator hat sie derzeit mit anderen Aufgaben betraut.«
Anton fühlte Enttäuschung, aber auch ein wenig Erleichterung. Die beeindruckende Frau bewachte ihn seit seiner Rückkehr mit dem katatonischen Vao'sh. Anton wusste, dass ihr seine Geschichten gefielen, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht den Eindruck erweckt hatte.
Voller Unbehagen vermutete er, dass sie noch etwas mehr von ihm erwartete.
In einem der imposantesten Gebäude von Mijistra lagerten die Aufzeichnungen des ildiranischen Geschlechts, das für Weiterführung, Erhaltung und Memorieren der Saga zuständig war. Aufgeregt eilte Vao'sh die polierte Steintreppe hoch. Die beiden Wächter bezogen außerhalb des großen Saals Aufstellung und warteten. Anton würdigte sie kaum eines Blickes. Hielten sie es tatsächlich für möglich, dass er weglaufen konnte?
Er trat ein und dachte an die Vortragssäle der Universitä 97
ten, die er vor der Einladung, sich mit der Saga der Sieben Sonnen zu befassen, besucht hatte. Dies hier war etwas ganz anderes.
Zahllose Reihen aus Wandplatten bildeten ein Labyrinth, und jedes Segment war mit langen Zeilen präziser Buchstaben graviert. Anton erkannte, dass es sich bei den Wandsegmenten um große Diamantfilmbögen handelte, die die anerkannten Strophen der Saga zeigten, Zeile für Zeile. Eine Gruppe von Erinnerer‐Kindern stand im Eingangsbereich, und Anton bemerkte das Farbspiel der Hautlappen in den Gesichtern, als die jung Ildi
en
raner vor die
Wandsegmente traten, den Text lasen und ihn sich einprägten.
»Die jüngsten Erinnerer beginnen ihre Ausbildung hier im Eingangsbereich«, sagte Vao'sh. »Wenn sie sich den ersten Teil der Saga eingeprägt haben, nehmen sie sich die nächste Platte vor. So ge ahr um
ht es J
Jahr weiter, bis sie das ganze Epos kennen.«
Anton lachte. »Und ich dachte, die Arbeit in irdischen Akademien sei ermüdend.«
Im Zentrum des Saals der Erinnerer saßen Schriftgelehrte an Tischen und sprachen über ihre Arbeit. Geschichtenerzähler in mittleren Jahren prüften Aufzeichnungen. In gemeinsamer Arbeit wählten sie aus und fügten der Saga neue Zeilen hinzu.
Die Decke wölbte sich nach oben und bildete einen riesigen Rauchfang über einer großen Kohlenpfanne, in der ein Feuer brannte. Aussortierte Blätter mit nicht akzeptablen Entwürfen wurden den Flammen übergeben. Wenn neue Zeilen fertig waren und die Zustimmung der Gelehrten fanden, schrieb man sie auf permanenten Diamantfilm, der schließlich einen Platz a d n en
Wandsegmenten finden würde.
e g
»Di
enaue Aufzeichnung der Ereignisse ist ebenso wichtig wie die ig
Ere nisse selbst.« Die Hautlappen in Vao'shs
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Gesicht veränderten die Farbe. »Eine Gesellschaft, die sich nicht erinnert, ist des Erinnerns nicht wert. Das ist ein zentrales ildiranisches Prinzip.«
Menschliche Epen waren oft ausgeschmückte Mythen und dienten einem bestimmten Zweck, der über das reine Erzählen von Fakten hinausging.
Doch Ildiraner nahmen es mit der aufgezeichneten Geschichte sehr genau.
Nur Vao'shs Geschlecht und vermutlich der Weise Imperator wussten, dass die Legenden über die Shana Rei falsch waren und dazu dienten, der Saga Drama und Konflikt hinzuzufügen. Aber wenn die Shana Rei erfunden waren ... Musste man dann nicht auch anderen Teilen der Saga mit Skepsis begegnen?
Anton beobachtete, wie die Erinnerer schrieben und sich gegen bestimmte Entwürfe entschieden. Er begriff plötzlich, dass er sah, wie »Geschichte«
gemacht wurde. Ein Auszubildender warf ein weiteres Blatt in die große Kohlenpfanne; wieder verbrannten ungeeignete Zeilen.
Vao'sh ging von Tisch zu Tisch. »Derzeit schreiben meine Kollegen die Geschichte von Adar Kori'nh, von Crennas Evakuierung nach der Blindheitsseuche über den Kampf gegen die Hydroger bis hin zur letzten Schlacht über Qronha 3.«
»Ihr Adar Kori'nh hat zweifellos einen Platz in der Saga verdient.«
Vao'sh lächelte. »In einigen Monaten werden die Erinnerer darüber beraten, ob und wie sie über unseren langen Marsch auf Maratha und unseren Kampf gegen die Klikiss-Roboter berichten sollen.«
Anton schnappte nach Luft. »Ich bin hierhergekommen, um mich mit Ihrer Geschichte zu befassen, nicht um mir einen Namen zu machen. Soll das heißen, ich ... wir...«
»Sie sind nicht mehr nur ein Beobachter historischer Epen, Erinnerer Anton. Bald werden Sie Teil davon.«
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32 ADMIRAL LEV STROMO
Zwei Tage lang kämpften sie, aber damit schoben sie die Niederlage nur hinaus.
Die Soldaten-Kompis hatten Sergeant Zizu getötet, ihn regelrecht zerfetzt, und als Stromo sich daraufhin umsah, stellte er fest: Die einzigen Überlebenden auf der Brücke des Manta-Kreuzers waren Commander Ramirez und er. Er hatte genug verzweifelte Stimmen aus den Interkom-Lautsprechern gehört, um zu wissen, dass die Kompis alle Besatzungsmitglieder umbrachten. Von Panik erfasste Angehörige der Brückencrew hatten zu fliehen versucht, aber der Korridor war voller toter Soldaten. Und die Kompis griffen unermüdlich an.
Unter dem Schiff wirkte Qronha 3 vollkommen friedlich, zeigte keine Spur von den Rammschiffen oder Hydrogern. Stromos Manta war allein und verwundbar.
»Admiral!« Ramirez warf ihm ein Energiepaket für den Schocker zu. »Das ist das letzte.«
Stromos Hände zitterten, als er das E-Paket in seine Waffe schob. Er hatte immer wieder auf die herankommenden Roboter gefeuert, aber die Störimpulse des Schockers setzten sie nur für kurze Zeit außer Gefecht.
Nach einem Reset ihrer Programmierung wurden sie wieder aktiv.
Er deutete zum Vorbereitungsraum des Captains neben der Brücke. »Wenn wir dort hineingehen, könnten wir die Tür verbarrikadieren.«
»Es würde die Kompis nicht lange aufhalten.«
»Das ist auch gar nicht nötig! Erinnern Sie sich an die Notleiter?« In den Plänen für die Mantas hatte es seltsam ausgesehen: eine Fluchtluke für den Fall, dass der Kommandant die Brücke verlassen musste. Andererseits: Stromo hatte an genug TVF-Komiteesitzungen teilgenommen, um zu wissen, dass Planungen oft in seltsame Richtungen führten.
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Ramirez blieb ernst und angespannt. »Sie bringt uns ein Deck nach unten.
Und dann?«
»Eins nach dem anderen, Commander.« Stromo wollte vor allem diesen Ort verlassen. Alles andere kam später.
»Gute Idee, Sir. Los!«
Als die Soldaten-Kompis die letzten Barrieren überwanden und die Brücke erreichten, lief Stromo zum kleinen Vorbereitungsraum. Alle hatten den Einsatz von Soldaten-Kompis an Bord von TVF-Schiffen für die ideale Lösung des Problems gehalten, dass es angesichts der hohen Verluste im Hydroger-Krieg an Rekruten mangelte. Doch jetzt bedeckte so viel frisches Blut den Boden, dass Stromo kaum laufen konnte, ohne auszurutschen.
Bevor Ramirez ihm ins dubiose Schlupfloch folgte, blieb sie an der Kommandostation stehen und betätigte die Kontrollen. Stromo verharrte in der Tür des Vorbereitungsraums. »Kommen Sie, Ramirez! Ich kann die Tür nicht für immer offen halten.«
»Nur einen Augenblick, Sir.« Ramirez' Hände huschten über die Schaltflächen, und Schweiß tropfte ihr von der Stirn. Sie achtete nicht auf die herankommenden Kompis.
»Nur eine Sekunde ... eine Sekunde ...«
Stromo schluckte. Selbst wenn die Tür geschlossen war, würde sie die Soldaten-Kompis nicht lange aufhalten. Was machte Ramirez da? Nun, er konnte keine Verantwortung übernehmen, wenn sie darauf bestand, an ihrer Station zu bleiben. Es lag bei ihr. Er musste eine Kommandoentschei-dung treffen und wandte sich den Türkontrollen zu.
Ramirez beendete ihre Arbeit und betätigte die Aktivierungstaste. Als sie zum Admiral lief, stoben Funken aus den anderen Brückenkonsolen.
Ramirez lächelte sogar, als sie den Vorbereitungsraum erreichte und omo die
Str
Tür hinter ihr schloss. »Was zum Teufel sollte das?«, fragte er.
»Sie haben kostbare Zeit vergeudet!«
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»Das glaube ich nicht, Sir. Ich habe die primären Systeme lahmgelegt. Die Soldaten-Kompis werden auf keinen Fall mein Schiff bekommen, was auch immer geschieht.«
Stromo hätte selbst daran denken sollen. Es war klar, dass die Kompis den Manta-Kreuzer übernehmen wollten.
Nur wenige Sekunden nach dem Schließen der Tür hämmerten die Roboter dagegen. Sofort bildeten sich Beulen im Metall. Dies war kein gepanzerter Raum. Eigentlich stellte er nur eine private Nische für den Kommandanten dar, ein Ort, wo er Strategiediskussionen mit seinen Offizieren führen oder ein aufsässiges Crewmitglied zur Ordnung rufen konnte.
»Schnell!« Stromo deutete auf eine kleine Luke im Boden. »Sie zuerst.« Er wusste nicht, was sie weiter unten erwartete.
Ramirez hob die Luke, und zum Vorschein kam die Leiter. Sie machte sich sofort daran hinabzuklettern, und Stromo folgte ihr ungeschickt. »Am Ende dieses Hauptkorridors befindet sich ein Frachtlift«, sagte Stromo. Er atmete schwer, als er eine Leitersprosse nach der anderen hinter sich brachte.
»Vielleicht können wir es bis zum Hangar schaffen und uns dort einen Remora schnappen.« Seine Füße erreichten den Boden, und fast hätte er das Gleichgewicht verloren. »Dann können wir fliehen.«
»Sind Sie sicher, dass es keine anderen Überlebenden an Bord gibt, Admiral?«
»Selbst wenn außer uns noch Besatzungsmitglieder leben - wir können sie nicht retten. Beilen wir uns.«
Stromo hastete durch den Korridor, und es fiel Ramirez nicht schwer, mit ihm Schritt zu halten. Sie verzichtete auf einen Kommentar, war aber klug genug, ihre Chance zu erkennen.
»Achtung, Sir!« Zwei Soldaten-Kompis kamen aus einem Seitenkorridor.
ire
Ram
z schoss mit ihrem Schocker, und die beiden Roboter stießen gegen die
and.
W
100
Der Korridor vor ihnen schien endlos zu sein, und es gab zahlreiche Abzweigungen, wo Soldaten-Kompis lauern mochten. Stromos Gesicht war rot angelaufen, und sein Puls raste, aber er wusste, dass er nicht stehen bleiben durfte.
Weitere Kompis erschienen, und der Admiral feuerte immer wieder mit seinem Schocker, doch die militärischen Roboter ließen sich kaum aufhalten. Fast wäre er über einen gefallenen Kompi gestolpert. Wie aus einem Reflex zuckte ein metallener Arm nach oben, und Stromo sprang zur Seite.
Auch Ramirez machte immer wieder von ihrem Schocker Gebrauch. »Wenn es so weitergeht, sind unsere Energiepakete leer, bevor wir den Frachtlift erreichen!«
Stromo eilte weiter, auf die geschlossene Tür des Lifts zu. Er keuchte und konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten, als er die Hand ausstreckte und die Ruftaste drückte. Der Indikator zeigte an, dass der Lift von Deck 2
kam. Nur noch einige Sekunden!
»Schnell, Ramirez! Der Lift ist unterwegs.« Stromo fühlte Vibrationen in der Wand und hörte das Summen von Motoren.
Sie versuchte, zu ihm aufzuschließen. Drei Kabinentüren öffneten sich, und blutbesudelte Soldaten-Kompis kamen aus den Quartieren von Besatzungsmitgliedern.
Ramirez gab kurze Feuerstöße mit ihrem Schocker ab, gerade genug, um die neuen Kompis zurückzuhalten, aber weitere Roboter waren durch den Korridor unterwegs. Sie näherten sich Stromo, der auf sie schoss und dabei sehr verschwenderisch mit der Energie seiner Waffe umging - mit halben Sachen kam man hier nicht weiter.
Ramirez konnte nicht schnell genug auf die Kompis schießen. Die Ladung ihres Energiepakets ging zu Ende.
Stromo wollte ihr helfen, stellte aber fest, dass er nur noch Energie für zwei ordentliche Feuerstöße hatte - nicht an
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nähernd genug, um Ramirez zu retten, nicht annähernd genug, um zu entkommen.
»Admiral!« Die Soldaten-Kompis packten Ramirez, und mit dem Kolben ihrer Waffe schlug sie auf die optischen Sensoren ein. Sie rief Stromos Namen, als die Roboter sie umgaben, und fügte etwas hinzu, das wie
»Fliehen Sie!« klang. Fast - fast wäre Stromo Ramirez zu Hilfe geeilt, um zusammen mit ihr im Kampf zu sterben.
Der Lift kam, und seine Tür öffnete sich - die Kabine war leer.
Ramirez verschwand zwischen den vielen Soldaten-Kompis, und Stromo sprang in den Lift und drückte die Taste für den Hangar. Er versuchte, sich daran zu erinnern, wie man TVF-Schiffe flog. Natürlich hatte er eine entsprechende Ausrüstung hinter sich, aber das lag viele Jahre zurück -
seit einer halben Ewigkeit war er nicht mehr in einem Cockpit gesessen.
Wusste er überhaupt noch, wie man den Hangar für den Start öffnete?
Stromo biss die Zähne zusammen. Mit den Jazer-Kanonen eines Remoras konnte er sich den Weg ins All frei schießen, wenn es notwendig sein sollte.
Er war bereit und wusste, was es zu tun galt, als sich die Lifttür öffnete.
Hunderte von Kompis standen im Hangar, und sie alle warteten auf ihn, näherten sich dem Lift.
Stromo betätigte den Auslöser des Schockers, aber das Energiepaket war schon nach wenigen Sekunden leer. Entsetzt wich er an die Rückwand des zurück,
Lifts
als die Roboter heranstapften.
101
33 TECHNISCHER SPEZIALIST SWENDSEN
Nur das ständige Feuer der Silbermützen hielt die Soldaten-Kompis in der Fabrik. Sergeant Paxton gab seinen provisorischen Kommandostand auf und ließ sich in einem großen gepanzerten Fahrzeug nieder, wo er die zweite Phase des Angriffs vorbereitete. Diesmal würde niemand die Amok laufenden Roboter unterschätzen.
Swendsen kauerte in dem engen Wagen und suchte verzweifelt nach einer Lösung des Problems. Was hatte die Soldaten-Kompis veranlasst, auf diese Weise verrückt zu spielen?
»Wir könnten einen Schlag aus der Luft führen und die ganze Produktionsanlage vernichten«, knurrte Paxton. »Wenn wir die verdammten Kompis einschmelzen, können sie keine Schwierigkeiten mehr machen.«
»Damit wäre das hiesige Problem gelöst, aber es gibt noch viel mehr Kompis«, sagte Swendsen. »Wir können nicht einfach jedes TVF-Schiff mit Amok laufenden Kompis an Bord in die Luft jagen, oder? Die Konstruktionsunterlagen und Verwaltungsprotokolle befinden sich in der Fabrik - es schien der beste Ort für ihre Aufbewahrung zu sein. Wenn es sich um einen Programmierungsfehler handelt, der alle Kompis betrifft, so müssen wir einen Weg finden, sie zu deaktivieren. Aber dazu muss ich wissen, was schiefgegangen ist, und es dürfte nicht leicht sein, von ge-schmolzenen Metallhaufen nützliche Informationen zu bekommen.« Der technische Spezialist blickte auf seinen Datenschirm und sah sich die Ergebnisse erster Analysen und Situationsbewertungen an. Ohne zu wissen, wie es um die Programmmodule der Kompis stand, war es verdammt schwer, irgendetwas in Ordnung zu bringen. »Wir wissen 101
nicht einmal, ob absichtliche Sabotage oder ein zufälliger Fehler vorliegt.«
»Ein Zufall?« Paxton starrte ihn ungläubig an. »Und zum gleichen Zufall kommt es überall in der TVF?«
Swendsen zuckte mit den Schultern. Er glaubte selbst nicht daran, erwiderte aber trotzdem: »Es sind schon seltsamere Dinge geschehen.«
»Nicht bei mir.«
»Na schön, bei mir auch nicht.« Swendsen wollte den Sergeant nicht darauf hinweisen, dass er - der beste technische Spezialist der Hanse - keine Ahnung hatte, was es zu tun galt.
Verstärkung war eingetroffen. Hundertachtundzwanzig gepanzerte Kampffahrzeuge umgaben die Fabrik und feuerten auf jeden Kompi, der die Produktionsanlage zu verlassen versuchte. Elitesoldaten hatten an den Hauptzugängen und Verladebereichen Stellung bezogen, aber die Fabrik war riesig. Wenn die Soldaten-Kompis einen vereinten Ausbruchsversuch unternahmen...
Swendsen betätigte die Kontrollen seines Datenschirms und berechnete, wie viele Roboter fertig gestellt gewesen waren, und schätzte dann die Anzahl der zusätzlich produzierten Kompis. Trotz der eingetroffenen Verstärkung waren die Soldaten den militärischen Robotern zahlenmäßig weit unterlegen. Sie konnten unmöglich alle Kompis zurückhalten.
Jemand klopfte an die geschlossene Luke des Fahrzeugs, zeigte sich den optischen Sensoren und gab einen Identifizierungskode ein. Die Luke schwang auf, und Swendsen sah eine Silbermütze, die einen dünnen, ernsten Asiaten eskortierte. »Sergeant Paxton, dieser Mann behauptet, ein Kompi-Spezialist zu sein, ein Kybernetiker mit großer Erfahrung in icht auf S
Hins
oldaten-Kompis und ihre Programmierung.«
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Swendsen sprang auf. »Dr. Yamane!«
»Dr. Swendsen.« Yamane trat vor und schüttelte dem technischen Spezialisten die Hand. »Sie haben hier Probleme, wie ich hörte.«
»Ja.« Swendsens Aufregung wuchs, als Yamane von seinen Erlebnissen mit der Kampfgruppe bei Osquivel erzählte und das Verhalten der Soldaten-Kompis im Einsatz schilderte.
»Und hier kommt der interessante Teil, Dr. Swendsen. Bei unserer Rettung bargen die Roamer hundert Soldaten-Kompis, löschten ihre Programmierung und verwendeten sie als Arbeiter. Bei uns kam es zu einer ähnlichen Situation, mit einem Unterschied: Ich habe die Kompis mit Absicht dazu gebracht, verrückt zu spielen.«
Paxton stützte die Ellenbogen auf den Konsultationstisch im gepanzerten Fahrzeug. »Was haben Sie getan?«
»Wir mussten die Roamer ablenken, um Commander Fitzpatrick Gelegenheit zu einem Fluchtversuch zu geben. Aufgrund meiner Arbeit mit den Soldaten-Kompis wusste ich, wie man ihre Verhaltensbeschränkungen aufhebt. Mit einem sich selbst wiederholenden Virussignal wollte ich dafür sorgen, dass die Roamer keine Kontrolle mehr über die Kompis hatten.« Ein mattes Lächeln huschte über Yamanes Lippen.
Swendsen hob die Brauen. »Und es hat funktioniert?«
»Es kam zu der gewünschten Ablenkung, aber nachdem die Roboter in den Chaosmodus umgeschaltet hatten, konnten wir sie nicht mehr aufhalten.
Sie haben einen großen Teil der Roamer-Werften zerstört.«
Swendsen überlegte. »Könnte es sein, dass die gegenwärtige Revolte von einem ähnlichen Signal ausgelöst wurde?«
Yamane schüttelte den Kopf. »Ein gesendetes Signal? Nein, die plötzliche Veränderung im Verhalten ist nicht lokaler Natur. Überall im Spiralarm setzen sich Soldaten-Kompis
103
über ihre Kommandoprotokolle hinweg, und dafür kommt nur eine interne Ursache infrage. Die Basisprogrammierung der Roboter muss Instruktionen enthalten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv werden.
Das wiederum deutet auf einen langfristigen Plan hin, was weitaus unheilvoller ist als irgendein Programmierfehler.«
Swendsen bot dem Kybernetiker einen Klappsitz an. Yamane blickte in die hellen Augen seines Kollegen. »Vielleicht können wir eine ähnliche Methode verwenden, um den Effekt umzukehren. Ein Virussignal, das die zusätzliche Programmierung blockiert.«
»Eine wundervolle Idee! Ich verstehe!« Swendsen sah zu Sergeant Paxton.
»Wir verstehen.«
»Dann schlage ich vor, dass Sie sich so schnell wie möglich an die Arbeit machen«, sagte Paxton.
34 WEISER IMPERATOR JORA'H
Als Osira'h fort war, rief der Weise Imperator Adar Zan'nh sowie führende Angehörige der Wissenschaftler- und Techniker-Geschlechter, Militärstrategen und sogar den Erinnerer Vao'sh zu sich. Mit dem sachkundigen Rat dieser Ildiraner hoffte Jora'h, eine Möglichkeit zu finden, gegen die Hydroger zu bestehen und das Reich zu retten.
Er wartete vor dem großen Tor des Prismapalastes. Auf der Kuppe des ellipsoiden Hügels, auf dem der Palast errichtet war, donnerte das Wasser von sieben Flüssen. Es strömte gerade nach oben und traf sich hier. Von seinem hohen Aussichtspunkt konnte Jora'h die Flüsse bis zum Rand von tra ve
Mijis
rfolgen, wo die Landschaftsgestalter ihnen erlaubt hatten, wie e
d r einen natürlichen Verlauf zu
103
nehmen. Er ließ das Treffen aus einem ganz bestimmten Grund an diesem Ort stattfinden.
»Beobachten Sie die sieben Flüsse«, sagte der Weise Imperator und sprach mit besonders fester Stimme. »Und denken Sie daran, was die Ildiraner hier geschafft haben.«
Klie'f, ein alter, distinguierter Angehöriger des Wissenschaftler-Geschlechts, und Shir'of, ein junger, talentierter Repräsentant des Techniker-Geschlechts, sahen zum Konvergenzpunkt mit dem schäumenden Wasser, als hätte Jora'h sie vor eine technische Herausforderung gestellt. Vao'sh nickte und erinnerte sich an den historischen Hintergrund.
Die Erbauer des Prismapalastes hatten eine wahre Meisterleistung vollbracht und die Flüsse kanalisiert, damit ihr Wasser zum Machtzentrum des Weisen Imperators strömte. Spezielle Gravitationsstufen und Schleusen ermöglichten ein scheinbares Wunder: Das Wasser floss nach oben, bis zur Kuppe des Hügels. Hier vor dem Haupttor trafen sich die sieben Flüsse, und ihre Fluten stürzten in einen breiten Schacht, bildeten dort einen runden Wasserfall. Am Ende des Schachtes nahmen neue Kanäle das schäumende Wasser auf, leiteten es unter und hinter den Palast.
Jora'h wartete, aber niemand wagte eine Antwort. Mit ärgerlicher Ungeduld hob er die Stimme, um das Rauschen des Wassers zu übertönen. »Wir haben das Unmögliche geschafft! Und das muss erneut geschehen. Vor langer Zeit nutzten die Ildiraner ihren Einfallsreichtum, um den Gesetzen des Universums zu trotzen. Sie erreichten das Unerreichbare, weil der Weise Imperator es von ihnen verlangte. Und jetzt verlange ich es von Ihnen.«
Die Repräsentanten wirkten beeindruckt. Adar Zan'nhs Gesichtsausdruck blieb stoisch, aber er nickte. Erinnerer Vao'sh schien fasziniert zu sein.
»Beantworten Sie diese Frage und retten Sie damit das 104
Reich.« Jora'h zögerte. »Wie können wir gegen die Hydroger bestehen?«
Klie'f und Shir'of wechselten einen Blick und sahen dann zu den Militärstrategen. Alle wandten sich an den Kommandeur der Solaren Marine. »Unsere Waffen haben sich bisher als nicht wirkungsvoll erwiesen«, sagte Zan'nh. »Adar Kori'nh zerstörte viele Kugelschiffe, aber der Preis dafür war zu hoch.«
Jora'h trat zum Rand des runden Wasserfalls. »Deshalb habe ich Sie hierhergerufen. Die Hydroger haben mir ein Ultimatum gestellt, das ich nicht akzeptieren kann. Ich habe Zeit mit der Behauptung gewonnen, einverstanden zu sein. Jetzt brauche ich Ihre Hilfe, damit wir erneut Unmögliches schaffen. Sie sind die Besten Ihrer Art. Konfrontieren Sie die anderen Angehörigen Ihres Geschlechts mit diesen Fragen und arbeiten Sie gemeinsam an einer Lösung. Nutzen Sie Ihr ganzes Potenzial; überschreiten Sie Ihre bisherigen Grenzen. Wenn Sie Erfolg haben, garantiere ich Ihnen einen Platz in der Saga der Sieben Sonnen. Dann wird unser Volk Sie für immer in Erinnerung behalten. Welcher Ildiraner könnte sich mehr wünschen?«
»Sie verlangen von uns, gegen das Unbesiegbare zu bestehen, Herr«, sagte Klie'f.
»Ja. Geben Sie mir neue Strategien, neue Verteidigungsmöglichkeiten, neue Waffen!«
Zan'nh verbeugte sich vor seinem Vater. »Du bist der Weise Imperator, Herr. Du bist das Oberhaupt unseres Volkes, und wir sind dein Reich.
Wenn wir dieses Problem nicht lösen können, so haben wir vor dir versagt.«
»Wenn ihr keine Lösung findet, sterben vielleicht zwei Völker«, sagte Jora'h noch ernster.
Der noch immer faszinierte Erinnerer Vao'sh sah den Weisen Imperator an.
»Ich bin nur ein Geschichtenerzähler, Herr. Was kann ich tun?«
104
Jora'h wusste mehr von der historischen Wahrheit, als ihm lieb war - er hatte seine Vorgänger oft dafür verflucht, so viele Informationen verborgen zu haben. Mit dieser Zensur musste Schluss sein. »Wir haben schon einmal gegen die Hydroger gekämpft, aber viele Aufzeichnungen des Konflikts sind in den Apokryphen verschlossen. Befassen Sie sich damit. Finden Sie heraus, was vergessen ist, und bringen Sie mir möglichst viele Hinwiese, die wir verwenden können.«
»Eine immense Aufgabe, Herr. Ich werde alle Aufzeichnungen hier auf Ildira untersuchen, aber es gibt auch Archive auf fernen Welten, insbesondere Hyrillka.«
Jora'h dachte daran, dass die ersten Klikiss-Roboter nach einer langen Hibernation auf einem Hyrillka-Mond ausgegraben worden waren. Lag dort noch mehr verborgen? Gab es irgendwelche Dokumente, die den alten Pakt erklärten, der die Bündnisse beim ersten großen Krieg verändert hatte?
Ging aus ihnen hervor, welche Verbindung damals zwischen den Ildiranern und den Faeros existiert hatte? Jora'h erinnerte sich deutlich an eine entsprechende Andeutung des Hydroger-Gesandten.
»Ich schicke den neuen Designierten mit einer Einsatzgruppe nach Hyrillka, die beim Wiederaufbau nach der Revolte helfen soll. Begleiten Sie sie, Erinnerer Vao'sh. Finden Sie möglichst viel heraus.«
Jora'h beobachtete, wie sich Entschlossenheit in den Gesichtern vor ihm zeigte. Die Wissenschaftler und Techniker würden Waffen entwickeln, mit denen sich vielleicht wirkungsvoll gegen die Hydroger kämpfen ließ. Adar Zan'nh würde sich um ihre militärische Anwendung kümmern und neue Taktiken entwickeln. Der Erinnerer würde sich durch verborgene Geschichte graben. Für einen Moment fühlte Jora'h Zuversicht. Er chte
klats
kurz in die Hände. »Finden Sie Antworten für mich, Sie alle.
Ergreifen Sie jede Maß
105
nähme, die Sie für notwendig halten. Ich setze mein Vertrauen in Sie.«
Einmal mehr bedauerte Jora'h die falschen Entscheidungen seiner Vorgänger. Anstatt alles auf ein Zuchtprogramm zur Entwicklung eines telepathischen Unterhändlers zu setzen, hätte das Ildiranische Reich zehntausend Jahre damit verbringen können, neue Waffen zu entwickeln.
Jetzt musste alles innerhalb weniger Tage geschehen.
35 OSIRA'H
Nach Beendigung ihrer Mission wurde Osira'h nicht mehr auf Ildira gebraucht. Ihr Vater hatte sie nach Dobro zurückgeschickt, damit er unbemerkt von ihr an seinen Plänen gegen die Hydroger arbeiten konnte.
Die Splitter-Kolonie sah genauso aus wie in ihrer Erinnerung: eine ildiranische Stadt, grasbewachsene Hügel, das umzäunte Zuchtlager. Aber sie war jetzt anders. Osira'h hatte eine Begegnung mit den Hydrogern hinter sich und gesehen, wie sich der Weise Imperator ihren schrecklichen Forderungen fügte. Das ganze Universum schien sich verändert zu haben.
Wie so oft zuvor... Und es würde sich erneut ändern.
Im dunstigen Sonnenschein von Dobro machten sich Ildiraner des Arbeiter-Geschlechts daran, den Shuttle zu entladen. Von Bord gegangene Wächter umgaben Osira'h, die sich wie ein Fels in der Brandung fühlte. Sie sah sich um und bemerkte den Designierten Udru'h, der ihr entgegenkam. »Osira'h, es freut mich, dass du nach Dobro zurückgekehrt bist!«
Als sie ihn sah, fühlte sie sich innerlich hin und her geris 105
sen. Ein Teil von ihr verband angenehme Erinnerungen mit dem Designierten und sah ihn als eine Art Vater. Er hatte sich um sie gekümmert und hart mit ihr gearbeitet, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden konnte. Sie wünschte sich sehr, seinen Erwartungen zu entsprechen, ihn nicht zu enttäuschen. Doch die kristallklaren Erinnerungen ihrer Mutter erfüllten sie mit Abscheu. Nira kannte Udru'hs böse Seite; durch ihn hatte sie sehr gelitten, an Körper und Geist.
Der Designierte kam näher, und Osira'h fragte sich, ob er Wärme zeigen und sie umarmen würde. Und wie würde sie darauf reagieren? Doch er blieb zwei Schritte vor ihr stehen. Die Worte platzten regelrecht aus ihm heraus. »Wir haben erfahren, dass du erfolgreich gewesen bist.« Sein Gesicht zeigte tiefe Zufriedenheit. »Ich möchte mehr darüber erfahren.«
Osira'h sah ihn an und spürte tief in ihrem Innern das Feuer von Feindseligkeit und sogar Hass. Am liebsten hätte sie gerufen: Ich habe getan, wozu du mich ausgebildet hast. Ich bin der Aufgabe, für die ich geboren wurde, gerecht geworden. Ich habe meine besonderen Fähigkeiten benutzt, um mit den Hydrogern zu kommunizieren. Ich habe ihnen mein Selbst geöffnet und eine Brücke geschaffen, und jetzt bin ich auf Dauer mit ihrem fremden Denken verbunden. Ich kriege sie nicht mehr aus dem Kopf.
Und ich habe die Hydroger nach Mijistra gebracht, damit der Weise Imperator mit ihnen sprechen konnte. Ich habe all das getan, was du von mir erwartet hast aber mein Vater, das Oberhaupt unseres Volkes, konnte nicht mit den Hydrogern verhandeln. Er hatte ihnen nichts entgegenzusetzen. Sie drohten Ildira mit Zerstörung, und der Weise Imperator gab nach. Er ließ sich auf ein schreckliches Abkommen ein, das die Ildiraner für immer verdammen und das
Volk meiner Mutter auslöschen wird!
Doch Osira'h brachte es nicht fertig, diese Worte an den 106
Dobro-Designierten zu richten. Stattdessen antwortete sie schlicht: »Ich bin erfolgreich gewesen. Was gibt es sonst zu erzählen?« Sie wusste, dass sie ein Werkzeug gewesen war, ihr ganzes Leben lang.
Udru'h bemerkte die Schärfe in ihrer Stimme, und ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Sag mir, was geschehen ist. Hat Jora'h mit den Hydrogern gesprochen?«
Mit knappen Worten und ohne unnötige Details berichtete Osira'h von den Gesprächen ihres Vaters mit dem Gesandten der Hydroger und wies auch auf die Vereinbarung hin. Udru'h schien sich nicht daran zu stören.
Offenbar erleichterte es ihn, dass die Ildiraner überleben konnten. Nur darum ging es ihm.
Er streckte die Hand aus und legte sie Osira'h auf die Schulter. »Du hast viel durchgemacht. Deine Begegnung mit den Hydrogern muss sehr schwer gewesen sein, aber du verstehst sicher, dass sie nötig war.«
Osira'h wählte ihre Worte so, dass sie keine Zustimmung zum Ausdruck brachten. »Du hast mir meine Pflichten erklärt, Designierter.«
Udru'h lächelte unsicher. »Dein Quartier in Mijistra war bestimmt viel eleganter als diese bescheidenen Behausungen, oder?«
Osira'h wandte den Blick ab. »Der Weise Imperator hat mich zurückgeschickt. Er wollte, dass ich in Sicherheit bin, fernab des Prismapalastes - bei meiner Mutter. Wann kann ich zu ihr?«
»Deine Mutter ... ist nicht hier.« Udru'h zögerte, überrascht von den unerwarteten Worten. »Du musst dich noch ein wenig gedulden.«
Osira'h hätte am liebsten geschrien. Eine weitere Lüge! Entweder hatte ihr Vater sie belogen, oder der Dobro-Designierte log! Sie sah sich erneut um, hielt bei den vielen Ildiranern um sie herum aber vergeblich nach dem jungen Daro'h
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Ausschau. Ihr Halbbruder schien ein guter Mann zu sein, nicht ausschließlich an Rechtfertigungen und Entschuldigungen interessiert wie Udru'h. »Wo ist der Designierte-in-Bereitschaft? Hat er seine Pflichten bereits übernommen?« Vielleicht konnte Daro'h die notwendigen Veränderungen in dieser Splitter-Kolonie herbeiführen.
»Daro'h ist mit einer anderen Mission beschäftigt.« Mehr wollte Udru'h nicht sagen. Er war so ausweichend und wortkarg wie immer.
Im ildiranischen Teil der Siedlung stand Osira'h im Zugang eines einfachen Gebäudes, das sie mit ihren Geschwistern geteilt hatte, alles Kinder von Nira. Der Designierte hatte sie nicht begleitet und behauptet, sich um andere Dinge kümmern zu müssen. Ihre jüngeren Geschwister sahen voller Ehrfurcht zu ihr auf. Was wollte Udru'h jetzt mit ihren Halbbrüdern und -
Schwestern anfangen? Sie wurden nicht mehr für seine Pläne gebraucht.
»Wie sind die Hydroger?«, fragte Rod'h. Er war ihr nächster Bruder, weniger als ein Jahr jünger als sie, Udru'hs Sohn. Mit Niras Erinnerungen sah Osira'h, wie ihre Mutter zum Geschlechtsverkehr mit Udru'h gezwungen worden war. Kurz nach der Geburt hatte man ihr das Kind weggenommen und es woanders aufgezogen. Der Junge hatte nie auch nur einen Hauch von Liebe für seine Mutter empfunden. Kein Wunder: Er hatte Nira nie kennengelernt. Es war nicht seine Schuld, sondern die Udru'hs.
»Die Hydroger sind so seltsam, wie wir dachten.« Osira'h nahm an einem kleinen Tisch Platz, und sie begannen zu essen, einfache Dobro-Speisen.
Es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben, als sie erzählte, wie ihre Kapsel in die Tiefen von Qronha 3 gesunken war und sie ihre Fähigkeiten für die Kommunikation mit den Fremden benutzt hatte.
»Hattest du Angst?«, fragte ihr Bruder Gale'nh.
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»Natürlich hatte ich Angst. Die Hydroger haben alle anderen umgebracht, die versuchten, mit ihnen zu kommunizieren. Ich musste besser sein als alle vor mir.«
Als Gale'nh ernst nickte, sah Osira'h eine Ähnlichkeit mit seinem Vater, dem stoischen Adar Kori'nh, den sie in zahlreichen historischen Aufzeichnungen gesehen hatte. Aus dunkleren Dokumenten wusste sie, dass dem Kommandeur der Solaren Marine befohlen worden war, Nira zu schwängern. Der Adar hatte seine Pflicht erfüllt, wie immer, aber er war sehr beschämt gewesen.
Niras zweite Tochter Tamo'l, von einem Ildiraner des Linsen-Geschlechts gezeugt, hörte aufmerksam zu. Sie und ihre Schwester Muree'n waren zu jung, um Osira'hs Aufgabe in ihrem ganzen Ausmaß zu verstehen. Die von einem Angehörigen des Wächter-Geschlechts gezeugte Muree'n war für ihr Alter recht kräftig gebaut und mehr an Spielen und körperlicher Aktivität interessiert. Es fiel ihr schwer, sich auf die mentalen Übungen zu konzentrieren. Osira'h fragte sich, was die Forscher mit dieser speziellen genetischen Mischung bezweckt hatten. Vielleicht hatte Udru'h nur mit Nira gespielt oder sie bestraft...
Erneut dachte sie daran, dass ihre Mutter nicht hier war, obwohl der Weise Imperator das versprochen hatte.
Sie musterte ihre Brüder und Schwestern und erinnerte sich, wie unwohl sie sich auf Ildira gefühlt hatte. Doch inzwischen war sie ohne Wurzeln und sah auch in Dobro keine Heimat mehr. Welchen Sinn hatte das Zuchtlager jetzt noch? Was sollte aus dem Lager und den menschlichen Gefangenen darin werden? Auch ihre Geschwister, die Niras Gene in sich trugen, spielten keine Rolle mehr. Würde der Weise Imperator Jora'h der Hanse das Geheimnis von Dobro preisgeben? Oder plante Udru'h, die Gefangenen umzubringen, alles einzuäschern und so zu tun, als wäre überhaupt nichts ge h
sc ehen? Es hätte Osira'h nicht überrascht.
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Das Essen schmeckte nach nichts. Sie zwang sich, zu kauen und zu schlucken, während ihre Brüder und Schwestern sprachen und lachten.
36 NIRA
Dobros südlicher Kontinent schien endlos zu sein. Nira blieb in Bewegung, obwohl sie gar nicht wusste, wohin sie ging. Vor langer Zeit, als Akolyth, hatte sie ihre Füße abgehärtet, indem sie durch den theronischen Wald gelaufen und zu den Weltbaumwipfeln emporgeklettert war, um dem Bewusstsein des Weltwalds dort stundenlang Geschichten vorzulesen. Seit Jahren hatte sie keine Verbindung mehr zum Wald. Sie wusste nicht einmal genau, wie viel Zeit verstrichen war.
Not und Entbehrungen hatten tiefe Narben in ihrer Seele hinterlassen, aber Nira gab nicht auf. Sie war von ihrer Insel entkommen, hatte mit einem Floß das Binnenmeer überquert und mit der langen Wanderung begonnen.
Sie hoffte, irgendwann auf eine Siedlung oder ein Schiff zu treffen. Nur dann hatte sie eine Chance, ihre Tochter wiederzusehen.
Osira'h war damals nur ein kleines Mädchen gewesen, doch Nira hatte alle ihre Erinnerungen auf sie übertragen, um ihr den Blick für die Wahrheit zu öffnen. Was mochten die vielen schrecklichen Bilder in dem unschuldigen Kind angerichtet haben? Nira vermutete, dass Osira'h nach dem telepathischen Kontakt in jener Nacht kein Kind mehr gewesen war. Habe ich das Richtige getan?
Ihre Reise schien von Anfang an ein unmögliches Unterfangen gewesen zu se , und de
in
shalb verzichtete Nira darauf, die Tage zu zählen. Sie setzte e
ch
infa
einen Fuß vor
108
den anderen, trank Wasser, wenn sie einen Bach fand, und nahm mit ihrer grünen Haut das Sonnenlicht auf - eine Erweiterung ihrer Ernährung, die aus bitterem Obst, Wurzeln und trockenen Samenkernen bestand.
Nira wanderte durch eine grasige Hügellandschaft, und braune Halme strichen um ihre Waden. Sie erklomm eine Anhöhe, um einen besseren Ausblick zu haben. Zum fernen Horizont wollte sie sehen, in der Hoffnung, dort ein Ziel zu erkennen.
Durch das dichte Gras stapfte Nira nach oben, und als sie die Kuppe des Hügels erreichte, hörte sie etwas und hob den Kopf. Sie vernahm ein Summen, das schnell zu einem Donnern anschwoll, und plötzlich sah sie mehrere schnittige Flieger. Von der anderen Seite der Anhöhe kam noch eine Maschine, die viel näher war. Sie flog so tief, dass die verdrängte Luft das Gras an den Boden drückte.
Erschrocken machte Nira kehrt und hastete den Hang hinab. Mit dem einen Fuß verfing sie sich an einer Wurzel und fiel, kam aber sofort wieder auf die Beine und eilte weiter. Scoutschiffe! Der Dobro-Designierte hatte sie gefunden! Wenn er beabsichtigte, Nira wieder ins Zuchtlager zu bringen ...
Dorthin wollte sie auf keinen Fall zurück!
Die Scoutschiffe kreisten mit heulenden Triebwerken am Himmel. Nira lief, rutschte und versuchte, sich im hohen Gras zu verbergen, aber von oben konnte man sie leicht sehen. Ein Schiff landete auf der Anhöhe, und mehrere Ildiraner stiegen aus, riefen ihr etwas zu.
Nira erreichte ein Tal zwischen den Hügeln. Zwei Scoutschiffe landeten zu beiden Seiten - ihre Peiniger kamen aus allen Richtungen!
»Lasst mich in Ruhe!« Ihre Stimme war rau und heiser, kaum mehr als ein Flüstern. Sie wusste gar nicht mehr, wann sie zum letzten Mal gesprochen e
hatt .
Ildiraner eilten auf sie zu. Ein junger Mann, der eine ge 109
wisse Ähnlichkeit mit Jora'h aufwies, sah sie neugierig an. »Warum versuchen Sie, sich zu verstecken, grüne Priesterin?«
Nira erinnerte sich an die Vergewaltigungen, daran, wie sie in den Zuchtbaracken eingesperrt gewesen war. Die Bilder flammten vor ihrem inneren Auge auf. Einige ihrer Schänder hatten monströs ausgesehen; andere, wie Udru'h, waren in ihrem Innern Monstren gewesen. Wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, wäre sie vor den Ildiranern tot zu Boden gesunken, als eine letzte Geste des Trotzes. Aber dazu war sie nicht imstande.
Die Ildiraner packten Nira. Sie konnte sich nicht losreißen, sich nicht einmal wehren. Sie ließ ihre Beine erschlaffen, aber die Wächter hielten sie hoch und trugen sie zu den Schiffen.
37 KOLKER
Ohne eine Erklärung dafür, warum sie ihre Quartiere nicht hatten verlassen dürfen, bekamen die Menschen wieder Gelegenheit, sich relativ frei im Prismapalast zu bewegen. Doch Kolker blieb im Sonnenschein sitzen, der durch die großen Fenster fiel. Wohin auch immer er ging: Der grüne Priester wusste, dass er allein gewesen wäre, ohne Kontakt zum Weltwald. Die geistige Stille war schier unerträglich.
Aber wenn er den Schössling fand, dessen Präsenz wie ein ganz leises und fast unhörbares Flüstern war ...
Im Telkontakt hatte Kolker immer zahllose telepathische Stimmen gehört, ein auf ihn sehr beruhigend wirkendes Konzert aus Bewusstseinssphären und Informationen. Er konnte Neuigkeiten mit den anderen grünen Priestern aus
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tauschen, wo auch immer sie sich befanden. Selbst isoliert an Bord einer Himmelsmine war er nicht allein gewesen. Kolker hatte sich nie vorgestellt, das alles einmal zu verlieren. Der Weltwald war jetzt unendlich weit entfernt. Doch wenn er den Schössling fand, konnte er wieder einen Kontakt herstellen.
Sullivan Gold machte sich Sorgen wegen Kolkers Depressionen. »Wenn es in meiner Macht steht, bringe ich uns in die Freiheit zurück. Sie wissen, dass ich mir alle Mühe gebe.« Ein Lächeln erschien im stoppeligen Gesicht des Himmelsminenbetreibers.
Kolker nickte niedergeschlagen. Sullivan zu erklären, was es bedeutete, den Kommunikationskontakt mit den Verdani verloren zu haben ... Ebenso gut hätte man versuchen können, einem blind geborenen Menschen die Verzweiflung darüber zu schildern, keine Farben mehr zu sehen.
»Wir haben nicht einmal was zu lesen!«, brummte Sullivan. »Na schön, es gibt übersetzte Teile der Saga der Sieben Sonnen, aber ich mag keine heroischen Geschichten über ein Volk, das uns in den Rücken gefallen ist.«
Er nahm einen ildiranischen Schreibstift und ein Diamantfilmblatt, um einen weiteren Brief an seine Frau zu schreiben. Lydia war Sullivans Weltwald. Er fühlte das Bedürfnis, seine Erlebnisse mit ihr zu teilen, auch wenn die Briefe sie nie erreichen würden.
Ein Besucher erschien an der Tür, ein alter Ildiraner mit schlaffer, faltiger Haut, die noch grauer wirkte als bei den meisten anderen. Die dünnen Gliedmaßen des Mannes wirkten wie trockenes Schilf; der Kopf neigte sich wie ein Metronom hin und her. Der Umhang aus erlesenen Stoffen sah aus wie ein Zelt, das man über den Ildiraner gestülpt hatte. Er ging gebeugt, die Hände nach vorn gestreckt, wie um sich festzuhalten, falls er stolperte.
Dünnes, gekräuseltes Haar hing von den hohen Schläfen und bedeckte die klei
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nen, schmalen Ohren. Die Stirn schien ständig gerunzelt zu sein, wie in tiefer Konzentration.
»Mein Name ist Tery'l.« Der Alte hob ein hübsches, glänzendes Medaillon an seinem Hals. Darin eingraviert waren Muster aus Kreisen und stilisierten Sternen. »Ich bin ein Angehöriger des Linsen-Geschlechts. Darf ich mit Ihrem grünen Priester sprechen? Ich glaube, wir haben einiges gemeinsam.«
»Ach? Hält man Sie auch gefangen?«, erwiderte Kolker und verstand ihn mit Absicht falsch. »Sind Sie wie ich von den Dingen abgeschnitten, die Ihr Leben bedeuten?«
Er hatte gehofft, den Ildiraner des Linsen-Geschlechts zu verärgern, aber Tery'l schüttelte nur ruhig den Kopf. »Angehörige des Linsen-Geschlechts sind Hirten des Thism. Ich glaube, unsere Beziehung zum Thism ähnelt Ihrer Verbindung mit dem Weltwald. Ich möchte Ihnen von der Lichtquelle und den Seelenfäden zwischen uns allen erzählen. Vielleicht sind sie Manifestationen der gleichen Kraft, die alles Leben miteinander verbindet.«
Kolker stand entrüstet auf. »Es gibt keine Gemeinsamkeiten.«
Sullivan wandte sich an Tery'l. »Schickt der Weise Imperator jetzt Missionare zu uns? Wollen Sie uns in Ehren-Idiraner verwandeln?«
Die Worte verwirrten den Alten. »Nein, das ist nicht möglich. Nur unser Volk ist ins ThismNetz eingebunden.«
»Damit ich es richtig verstehe: Sie sind gekommen, um Ihre Religion zu präsentieren, und dann sagen Sie, wir könnten nicht dazugehören?«
»Ich war einfach nur neugierig auf Ihre grünen Priester.« Tery'l betastete sein Medaillon. »Ich dachte, wir könnten ein interessantes Gespräch führen.«
Kolker trat durch die Tür und an dem Angehörigen des Linsen-Geschlechts vorbei, ohne noch einmal zurückzu
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sehen. Er hatte kein Interesse an Vergleichen zwischen Telkontakt und Thism.
Als er mit langen Schritten fortging und den ildiranischen Alten rasch hinter sich zurückließ, hatte er das Gefühl, durch einen Regenbogen zu gehen. Buntes Licht umgab ihn, als er auf seiner ziellosen Wanderung an Brunnen, Wasserfällen und Kristallskulpturen vorbeikam. Hier im Innern des riesigen Prismapalastes, ohne Weltbäume, die ihm den Weg wiesen, konnte er tagelang unterwegs sein. Hinter seiner Stirn herrschte Stille. Es gab keinen Telkontakt, und auch das Flüstern des Thism blieb ihm verwehrt. Aber ...
In einem fernen Winkel seines Bewusstseins hörte er das Raunen des Schösslings. Als Kolker den Weg fortsetzte, glaubte er immer mehr, dass sich der kleine Baum irgendwo in der Nähe befand - er spürte seine vertraute Präsenz. Wie ein Jäger, der dem schwachen Geruch von Rauch in der Luft folgte, ging er durch den Prismapalast, auf der Suche nach einem Schössling, von dem er nicht wusste, wo er sich befand.
Er überquerte Laufgänge, betrat große Säle und eilte an Höflingen und Ildiranern des Beamten-Geschlechts vorbei. Gelegentlich blickte er über die Schulter und sah Wächter; sie bemerkten ihn, folgten ihm aber nicht.
Es erstaunte ihn, dass man im Palast nicht auf mehr Sicherheit achtete, aber wenn die Ildiraner eine mentale Gemeinschaft bildeten, so bedeutete das vermutlich, dass sie einander vertrauten. Andererseits: Wozu brauchten sie dann so viele Wächter?
Kolker konzentrierte sich auf seine Mission und drängte alle Fragen beiseite. Wenn er den Schössling fand, brauchte er nur einen Moment. Der Telkontakt würde die Leere in seinem Innern füllen, ihm wieder Frieden geben.
Er erreichte den Empfangssaal der Himmelssphäre. Bewahrte der Weise Imperator einen Schössling neben seinem
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Chrysalissessel auf? In dem großen Saal gewährte Jora'h einer kleinen Gruppe von Pilgern Audienz. Die Wächterin Yazra'h bemerkte Kolker, entfernte sich zwei Schritte vom Podium und beobachtete den grünen Priester aufmerksam. Kolker mied einen Blickkontakt und wich zurück.
Der ferne Hauch eines mentalen Flüsterns zog ihn in eine andere Richtung.
Er setzte den Weg durch den Palast fort und versuchte, sich von dem geistigen Raunen leiten zu lassen. Er brachte lange, kurvenreiche Flure hinter sich, ging Rampen und gläserne Treppen hoch, und schließlich fand er sich unter einer der sekundären Kuppeln des Palastes wieder - dort befand sich die private Kontemplationskammer des Weisen Imperators. Er hörte die leise Melodie zwischen seinen Schläfen und wusste das Ziel in der Nähe. Der Schössling war dort drin! Kolker kam sich vor wie ein Verdurstender, der die nahe Präsenz eines kühlen Baches fühlte.
Dann sah er, wie hinter ihm Yazra'h mit ihren Isix-Katzen von einer Treppenplattform kam. Sie war ihm die ganze Zeit über gefolgt! Yazra'h rief keine Warnung, sondern lief sofort los, als sie sah, wo der grüne Priester stand. Die Katzen jagten mit langen Sätzen heran.
Kolker betrat die Kontemplationskammer. Nur einen Moment, einen einzigen Moment! Verzweifelt sah er sich um und entdeckte den Schössling in einem Alkoven. Er war einige Jahre alt und spindeldürr, aber stark. Die fedrigen Blattwedel schienen zu zittern. Der lang erwartete Anblick war so herrlich, dass Kolker einen Augenblick zögerte.
Yazra'h erreichte die Kammer. Ihre Stimme klang so bedrohlich wie das Knurren eines Raubtiers. »Keine Bewegung.«
Kolker stürzte nach vorn und streckte die Hände dem Baum entgegen. Ein kurzer Kontakt würde allen anderen
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grünen Priestern im Spiralarm mitteilen, dass er noch lebte. Seine Finger berührten fast die goldenen Schuppen der Rinde. Fast...
Eine der sechs Isix-Katzen sprang ihm auf den Rücken und warf ihn zu Boden. Als er fiel, streiften seine Finger die glatte Seite des Topfes, in dem der Schössling wuchs. Der Topf wackelte in seinem Alkoven.
Kolker lag auf dem kalten Boden, davon überzeugt, dass ihn die Raubkatze jetzt zerfleischen würde. Er spürte ihr Gewicht und hörte ihr kehliges Knurren. Die Spitzen der langen Krallen bohrten sich ihm in die grüne Haut.
So nahe! Der Schössling war so nahe! Kolker nahm seine ganze Kraft zusammen und stemmte sich hoch, aber eine zweite Katze erschien zwischen ihm und dem Schössling, knurrte ebenfalls. Daraufhin verlor er die Nerven, bebte am ganzen Leib und stieß einen wortlosen Schrei aus.
Yazra'h richtete einige beruhigende Worte an die Katzen, die sofort zurückwichen. Dann schlossen sich ihre Hände wie Stahlklammern um Kolkers Arme.
Er sah zum Schössling. Nur wenige Zentimeter trennten ihn von dem Baum, aber sie bildeten eine unüberwindliche Kluft. Er begann zu schluchzen.
38 WEISER IMPERATOR JORA'H
Jora'h verließ die Himmelssphäre und eilte durch den Palast, gefolgt von einigen Angehörigen des Wächter-Geschlechts. Als er die Kontemplationskammer erreichte, fand er dort Yazra'h, die den grünen Prie t
s er noch immer vom Schössling fernhielt. Ihre Katzen schlichen umher. Jora'hs Tochter blieb ernst und ruhig, aber er bemerkte dennoch 112
Anzeichen von Ungeduld in ihrem Gesicht und wusste, dass sie die Katzen auf den Mann hetzen wollte. »Warte«, sagte Jora'h.
Er sah zu Kolker, der auf dem Boden saß und weinte, die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen. Der grüne Priester hielt den Kopf gesenkt, aber sein Blick galt dem Schössling. Wie ein Schiing-Süchtiger starrte er zum kleinen Baum und sah dann flehentlich zu Jora'h auf.
»Der grüne Priester weiß jetzt, dass du einen Schössling hast, Herr«, sagte Yazra'h. »Wenn es ... Dinge gibt, die du vor den Menschen verbergen möchtest, kannst du ihn nicht am Leben lassen.«
Jora'h begegnete ihrem Blick. »Ich erlaube dir nicht, ihn zu töten.«
Kolker hatte seit seiner Ankunft wie ein gebrochener Mann gewirkt. Jora'h erinnerte sich an Niras starke Verbindung mit ihrem Schössling und glaubte zu verstehen, warum es dem grünen Priester so schlecht ging. Er verglich ihn mit einem Ildiraner, der an völliger Isolation litt, ohne die beruhigende Präsenz des Thism. Wie konnte er kein Mitleid empfinden?
Kolker stand auf und sah ihn aus blutunterlaufenen Augen an. »Bitte. Ich muss das Bewusstsein des Weltwalds berühren. Ohne den Telkontakt bin ich völlig blind.« Er deutete kurz auf Yazra'h. »Sie glaubt, ich wollte Sie verraten, aber es geht mir nur darum, einen Kontakt mit den Bäumen herzustellen. Das ist alles.«
Der Weise Imperator musterte den grünen Priester. Log er, oder war er einfach nur naiv? »Der Kontakt mit den Weltbäumen würde ein Signal übe mitt
r
eln. Alle anderen grünen Priester würden Ihr Wissen teilen.«
»Nein, so funktioniert das nicht. Und außerdem weiß ich gar nichts.«
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»Sie wissen, dass Sie noch leben, wie auch die als tot geltenden Arbeiter der Himmelsmine. Sie wissen, dass wir Sie nicht heimkehren lassen. Und Sie haben die Hydroger-Schiffe über Mijistra gesehen. Diese Informationen dürfen die Menschen nicht erreichen. Das Ildiranische Reich kann das nicht riskieren.« Jora'h fühlte einen Knoten in der Brust und hörte ein geistiges Echo der unredlichen Pläne seines Vaters. »Ich bedauere, wozu ich gezwungen bin, aber mir bleibt keine Wahl. Es war nie meine Absicht, Sie hier festzuhalten.«
»Dann lassen Sie uns frei! Wir sind keine Gefahr für Sie.«
Der grüne Priester verstand tatsächlich nicht. Jora'h winkte. »Ergreift ihn.«
Zwei Wächter erschienen zu beiden Seiten des grünen Priesters und griffen nach seinen Armen. Er leistete keinen Widerstand.
Yazra'h warf das lange, kupferrote Haar zurück und sah ihren Vater an.
»Ich werde zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Dies darf sich nicht wiederholen.«
»Es wird nicht nötig sein.« Jora'h schloss die Augen und traf eine Entscheidung. »Ich habe eine bessere Lösung.«
Er nahm den Topf aus dem Alkoven, betrachtete die so zart wirkenden Blattwedel und staunte darüber, dass eine kleine Pflanze so enorme Auswirkungen haben konnte. Hier gab es eine Macht, die weder er noch irgendein anderer Ildiraner verstand. Jora'h erinnerte sich an den Besuch der Königin Estarra, zusammen mit König Peter und dem Vorsitzenden Wenzeslas. Es war ihm eine Ehre gewesen, den Schössling als Geschenk zu erhalten. Jetzt erkannte er die Gefahr darin.
Schwarze Messer des Kummers bohrten sich ihm ins Herz, als er den kleinen Baum zum hohen Balkon trug. Er trat nach draußen, dorthin, wo das Licht besonders hell war
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und ihm der Wind übers Gesicht strich. Sein langer Zopf zuckte.
Hinter ihm stand Kolker zwischen den beiden Wächtern, die ihn an den Armen festhielten, und fragte mit wachsendem Entsetzen: »Was haben Sie vor?«
Vom hohen Balkon hatte man eine prächtige Aussicht auf die glitzernde Skyline aus großen Gebäuden und Türmen. An diesem Ort hatte Jora'h mit Nira gestanden. Die schöne grüne Priesterin hatte gelacht und darauf hingewiesen, dass sie durch die leichte Krümmung des Balkons und die transparenten Bodensegmente den Eindruck gewann, in der Luft zu schweben. Jora'h vermisste sie sehr. Er hoffte, dass Nira und Osira'h jetzt zusammen waren - und dass beide ihm verzeihen konnten.
Als er über die Stadt blickte, dachte er vor allem an die Drohung der Hydroger, das ganze Ildiranische Reich zu vernichten. Bis er eine Möglichkeit fand, die Fremden zu besiegen, musste er ihren Forderungen nachgeben, so sehr er sich dafür auch verabscheute. Die Menschen durften nichts davon erfahren.
Er hob den Topf mit dem Schössling. Kolker schrie. »Nein! Bitte nicht!«
Jora'h durfte sich nicht umstimmen lassen. Erneut fühlte er das Stechen von Kummer, als er den Topf fallen ließ. Vom Wind erfasst drehte er sich mehrmals, bevor er tief unten aufs Pflaster prallte und zerbrach.
Jetzt gab es keine Schösslinge mehr auf Ildira. Die Gefahr war beseitigt.
Jora'h hörte Kolkers Schluchzen, drehte sich aber nicht zu ihm um. »Bringt ihn zu den anderen Menschen zurück. Wir müssen uns jetzt keine Sorgen mehr machen.«
Seine Augen füllten sich mit heißen Tränen. Lange Zeit blickte er über die Stadt, ohne etwas zu sehen. Erneut wünschte er sich, Nira wäre bei ihm gewesen. Hätte sie ihn
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für das gehasst, was er gerade getan hatte? Wie viel würde ihn dies alles kosten?
Mit jedem verstreichenden Tag werde ich mehr wie mein Vater.
39 RLINDA KETT
Eisbrocken fielen wie Glassplitter. BeBob schrie auf, als ihn ein faustgroßes Stück an der Schulter traf. »Der Himmel stürzt ein!«
Gefrierender Dunst funkelte in der Luft. Rlinda wusste nicht, wie nahe die wahnsinnige Frau daran war, die Eisdecke aufzubrechen. Wenn eine Öffnung entstand, würde die Luft in der großen Höhle schlagartig ins Vakuum entweichen. Karla Tamblyn schien bestrebt zu sein, alles Feste zu zerstören, bis ganz Plumas nur noch ein Chaos aus Schutt und Wasser darstellte.
Karla deutete auf die Wassergewinnungsanlagen - Rohrleitungen zerbrachen, und unter hohem Druck stehendes Gas entwich mit lautem Zischen. Zum Glück explodierte nichts. Noch nicht.
Rlinda und BeBob nutzten jede Deckung aus, krochen hinter Schnee- und Eishaufen, kletterten geduckt durch die Trümmer zerstörter Hütten und Lagerschuppen. Rauch stieg von geplatzten Treibstoffbehältern und brennbarem Material in den Habitatkuppeln auf. Verdampftes Eis und Wasser bildeten teilweise recht dicke Nebelschwaden, die Sichtschutz gewährten. Selbst wenn Rlinda nicht sehen konnte, was geschah: Der Lärm ge
gt
nü e, damit sich ihr die Nackenhaare sträubten.
Angetrieben von Karlas dämonischer Kraft schwärmten 115
hunderte von Nematoden aus, wie ein auf den Schollen entleerter riesiger Korb voller Kobras. Mit ihren rudimentären Hirnen waren die Geschöpfte nicht zu einem komplexen Jagdverhalten imstande, aber sie fühlten Bewegung und Wärme. Zischend glitten die geschmeidigen Körper übers Eis, und aus den runden Mäulern kam ein gespenstisches Heulen. Rlinda beobachtete sie und gelangte zu dem Schluss, dass sie kein eigenes Bewusstsein hatten, der von den Toten zurückgekehrten Frau nur als Werkzeuge dienten.
Zwischen den dahintreibenden Nebelschwaden sah Rlinda, wie sich die drei Tamblyn-Brüder gegen die Würmer wehrten, die wie aufgeblähte Schläuche voller Blut wirkten. Zwei von ihnen stocherten und stießen mit improvisierten Speeren; der dritte schlug mit einer Keule zu.
Der nächste Nematode zuckte und wand sich hin und her, aber schließlich wurden die Schläge zu viel für ihn. Er platzte auf, und rote Flüssigkeit spritzte übers Eis. Das Jubeln der Tamblyn-Brüder dauerte nicht lange, denn Dutzende von weiteren Würmern näherten sich ihnen.
Rlinda handelte, ohne nachzudenken, hob ihre Schaufel und rief BeBob zu:
»Komm!« Sie sprang los, legte mit jedem Sprung mehrere Meter zurück - wie sehr sie niedrige Schwerkraft liebte! - und landete inmitten der Nematoden.
Mit der langen Schaufel stieß sie einige der schweren, weichen Würmer beiseite. Ein Rückschlag mit der flachen Schaufelseite klatschte einen gegen das Eis. BeBob rammte die Spitze seiner Schaufel in einen schlaffen Leib und schnitt ihn in zwei Teile. Er verzog das Gesicht, als dickflüssiges, gelatineartiges Blut auf ihn spritzte, richtete seine Aufmerksamkeit dann auf fünf weitere Nematoden, die sich ihm näherten.
»Wenn ich nur wüsste, womit wir die Dame so sehr verärgert haben«, sagte BeBob.
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Die drei Tamblyn-Brüder riefen und kämpften, schlugen immer wieder auf die Würmer ein, aber die Nematoden schienen nicht weniger zu werden.
Rlinda schwang ihre Schaufel und traf jedes Mal. An anderen Orten in der großen Höhle wehrten sich Arbeiter der Wassermine gegen die angreifenden Würmer.
Karla setzte ihre Zerstörung im Zentrum des Wasserminen-Stützpunkts fort. Auf der anderen Seite der Siedlung riefen zwei Männer etwas, und plötzlich donnerte es. Die Zwillinge Wynn und Torin hatten ein dickes Abflussrohr mit einem Notventil einer der Leitungen verbunden, durch die Wasser an die Oberfläche gepumpt wurde. Sie versuchten, den Hochdruck-Wasserstrahl auf die Frau zu richten. Er erfasste Karla, konnte ihr jedoch nichts anhaben. Eine Wand aus Eis bildete sich vor ihr und schuf einen Schild. Der Wasserstrahl ließ ihn dicker werden, und innerhalb weniger Sekunden umgab er die Frau mit einer Kapsel aus dickem Eis.
»Sie sitzt in der Falle!«, riefen die Zwillinge.
Als hätte Karla sie gehört, zerschmetterte sie die betonharte weiße Hülle und trat mühelos durchs donnernde Wasser. Erneut machte sie von ihrer besonderen Kraft Gebrauch und schickte eine Druckwelle durch das Notventil, wodurch das baumstammdicke Rohr platzte. Eiskaltes Wasser spritzte in alle Richtungen. Wynn und Torin sprangen zur Seite.
Näher bei Rlinda rutschte einer der Arbeiter auf dem Eis aus und stach noch im Fallen mit seinem Speer zu. Mehr als ein halbes Dutzend Nematoden krochen zu ihm - ihre Zähne bohrten sich in sein Fleisch und mahlten. Die anderen Roamer versuchten, ihren gefallenen Freund zu retten, aber weitere Würmer griffen sie von hinten an. Es waren zu viele.
Rlinda sah, wie die Männer starben, doch als vier Nema 116
toden vor ihr aufragten, überwand sie ihr Entsetzen. Sie schwang ihre Schaufel wie ein Wikinger seine Streitaxt auf dem Schlachtfeld. BeBob konnte den Würmern kaum mehr standhalten. Und dann brach seine Schaufel - Zeit für Plan B.
»Kannst du schneller laufen als ein Wurm, BeBob?« Mit einigen weiteren Schaufelschlägen machte Rlinda den Weg frei, und sie sprinteten übers Eis, wichen dabei den Trümmern der zerstörten Gebäude aus. Als ein weiterer Nematode angriff, trat Rlinda nach ihm. Die Spitze ihres Leder-stiefels traf das Geschöpf und stieß es beiseite. Voller Ekel schnitt Rlinda eine Grimasse. »Ich konnte Würmer noch nie ausstehen!«
»Da sind noch viel mehr!« BeBob zeigte auf eine Nematodengruppe, die sich ihnen zischend und heulend näherte. »Tausende, denke ich.«
Rlinda traf eine rasche Entscheidung. »Wir müssen den Liftschacht erreichen und zur Oberfläche hinauf. Es sei denn, du möchtest die Biester alle zerquetschen?«
»Nein, danke. Mein Arm ist bereits müde geworden.«
Inmitten des Nebels und Rauchs konnte man kaum etwas sehen, aber sie liefen trotzdem los. Der Abstand zwischen ihnen und den Nematoden vergrößerte sich, doch Rlinda vermutete, dass sie ihnen weiterhin folgten.
Ein unverschlossener Ausrüstungsschuppen stand neben dem Lift, dessen Schacht parallel zu einer der primären Wasserbohrungen verlief. Zuvor hatten Plumas-Arbeiter den Lift bewacht, um zu verhindern, dass die beiden Gefangenen entkamen. Doch jetzt waren die Roamer mit anderen Dingen beschäftigt.
»Etwas hat den Lift getroffen, Rlinda.« BeBob deutete nach vorn. »Die Tür ist schief und offen.«
»Mir ist es lieber, sie klemmt im geöffneten Zustand als im geschlossenen.
Oder möchtest du lieber um diese Basis he
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rumlaufen und nach einem anderen Lift suchen, der sich in einem besseren Zustand befindet?«
BeBob blickte zurück und sah, wie die Gruppe scharlachroter Nematoden näher kam. Die Würmer schienen unbeirrbar zu sein. »Äh, nein, danke.
Versuchen wir es mit diesem.«
Rlinda betrat den Schuppen und fand in ihm ein Gestell mit dicken Schutzanzügen. Sie warf BeBob ein durchschnittlich großes Exemplar zu, suchte dann und hoffte, einen Anzug zu finden, der ihr Platz genug bot. »Die Roamer sind so verdammt schlank!« Sie prüfte einen nach dem anderen, atmete schwer und wusste, dass nur wenig Zeit blieb. Immer wieder musste sie an die Männer denken, die den Nematoden zum Opfer gefallen waren.
Rlinda sah die herankommenden Würmer als schlangenartige Schemen im wogenden Dunst und nahm den größten Schutzanzug. »Ich hoffe, das Ding dehnt sich ein bisschen.« Sie lief zur beschädigten Lifttür, die offen stand wie der Mund eines Mannes, der durch einen Riss in seinem Raumanzug gestorben war. »Wir ziehen uns im Lift an. Hör auf zu trödeln.«
BeBob brauchte keine zusätzliche Aufforderung. »Wenigstens befindet sich die Liftkabine dort, wo sie sein sollte.«
Rlinda versuchte, die klemmende Tür zu schließen, gab es aber auf, als sie sah, dass die Nematoden immer näher kamen. Entschlossen betätigte sie die Kontrollen, und mit einem dumpfen Knirschen setzte sich die Liftkabine in Bewegung.
»Jetzt sind wir in Sicherheit«, sagte Rlinda und versuchte, nicht nur BeBob zu überzeugen, sondern auch sich selbst. Erst jetzt begriff sie, wie knapp sie e
d m Tod entronnen waren. »Die Nematoden folgen uns bestimmt nicht.
de
Aus n Augen, aus dem Sinn.«
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BeBob bemühte sich, den Schutzanzug überzustreifen. »Ja, aber sie gehorchen der dämonischen Frau. Und die scheint mir nicht der vergessliche Typ zu sein.«
»Wie sollen sie durch den Schacht nach oben klettern können? Es sind nur Würmer.«
»Würmer mit sehr spitzen Zähnen.« BeBob schloss den Gürtel und schloss den Luftregler an. »Hast du nicht gesehen, wie leicht sie an den Höhlenwänden hochgeklettert sind?«
»Du hast eine aufmunternde Antwort auf alles, wie?« Rlinda mühte sich mit ihrem zu kleinen Schutzanzug ab. Sie bekam die Füße hinein, aber kaum mehr. »Hierbei brauche ich deine Hilfe, BeBob.«
»Sobald ich gelernt habe, mit diesem Ding klarzukommen«, erwiderte BeBob und fummelte noch immer an dem unvertrauten Anzug herum. Er schob die Arme in die Ärmel, brachte einen der beiden Handschuhe an und nickte. »Sie unterscheiden sich von den Hanse-Modellen. Der Umgang damit ist leichter.«
»Wir müssen angezogen und bereit sein, wenn wir die Oberfläche erreichen.« Rlinda stellte sich vor, wie sie durch die Luftschleuse nach draußen traten und übers Eis zur wartenden Neugier gingen. Sie glaubte sich schon fast wieder in Freiheit. »Hoffentlich können wir starten, bevor die Eisdecke unter uns nachgibt.«
Sie zerrte an dem verstärkten, aus mehreren Lagen bestehendem Stoff und arbeitete sich in den Schutzanzug hinein. Leider war er nicht elastisch genug. Bei BeBob fehlten nur noch der Helm und ein Handschuh. Er half ihr, drückte sie in die engen Beine und Ärmel hinein.
»Ich habe nie viel von hautenger Kleidung gehalten«, sagte Rlinda.
Unter der Liftkabine wurde ein seltsames Geräusch lauter. Es klang nach nassen Socken, die sich in einer Glasfla
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sche drehten. BeBob starrte zu Boden. »Die Biester klettern durch den Schacht.«
»Ich fürchte, sie haben uns schon erreicht. Vermutlich sind die ersten von ihnen gerade auf die Streben unter der Kabine gekrochen.«
»Mit anderen Worten: Sie sind direkt unter unseren Füßen«, entgegnete BeBob besorgt. Er schluckte. »Vielleicht sind es nur ein oder zwei.«
Ein Nematode stieß so hart gegen den Boden der Liftkabine, dass eine sichtbare Beule entstand. Der Lift wackelte und wurde langsamer. »Äh, Rlinda ...«
»Lass mich nachdenken, BeBob.«
Einige weitere Nematoden stießen gegen die Kabine und verankerten sich an Rohren und Streben. Rlinda und BeBob hörten ein unheilvolles Kratzen, als die Würmer begannen, sich mit ihren kleinen, spitzen Zähnen durch den Metallboden zu nagen.
40 GENERAL KURT LANYAN
Mit jeder verstreichenden Sekunde wuchs die Entfernung zu den entführten Schiffen der Kampfgruppe.
General Lanyan beugte sich auf der unbequemen Sitzbank des Truppentransporters, der den Gitter-O-Schiffen nachjagte, nach vorn.
»Sind Sie sicher, dass wir nicht schneller fliegen können, Mr. Carrera? Uns erwartet eine wichtige Aufgabe.« Zwar hatten die Kleebs zahlreiche Simulationen hinter sich, aber er fürchtete, dass sie nicht für einen echten, blutigen Kampf bereit waren.
»Ich gebe mir alle Mühe, Sir.« Schweiß glänzte auf Carreras Stirn. »Aber wenn wir den anderen Schiffen zu weit vo
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raus sind, werden wir zu einem leichten Ziel. Die Soldaten-Kompis könnten auf die Idee kommen, mit ihren Jazern Schießübungen auf uns zu veranstalten.«
»Verstanden«, brummte Lanyan. »Halten Sie unsere Flotte zusammen, aber machen Sie Dampf.« Seit einer Stunde flogen sie mit maximaler Beschleunigung, und es fühlte sich bereits nach einer Ewigkeit an. Lanyan hörte den eigenen Herzschlag, als er sich ganz auf die Jagd konzentrierte.
Während Ensign Carrera die Navigationskontrollen bediente, aktivierte Lanyan die Kurzstreckenkommunikation und stellte eine Verbindung mit den anderen Schiffen seiner »Kavallerie« her. »Ich brauche Angaben darüber, was wir haben. Schiffe und Waffen. Wir müssen aus unserem ersten Hieb einen K.-o.-Schlag machen.« Er spürte das Unbehagen der jungen Soldaten. »Na los, Sie haben das oft genug geübt! Volle Energie in die Jazer-Bänke. Machen Sie unsere Raketen, Bruchimpulsdrohnen und Kohlenstoffknaller einsatzbereit.«
»Wird das reichen, General?«, fragte der nächste Kleeb, eine unschuldig aussehende Rothaarige mit Sommersprossen auf den Wangen.
»Natürlich.«
Anfragen nach Verstärkung waren bereits an Mond und Mars übermittelt, doch General Lanyan wollte nicht einfach abwarten und den Soldaten-Kompis dadurch Gelegenheit geben, sich in eine bessere Position zu bringen.
»Erfassung der Ziele vor uns, Sir«, meldete Carrera. »In fünf Minuten kommen wir in Reichweite.«
Winzige helle Punkte erschienen im All - es sah aus, als hätte jemand Quarzsand im Sonnenschein ausgestreut. Der Moloch, die Mantas und Thunderheads wollten ganz offensichtlich das Sonnensystem verlassen, mit welchen Absichten auch immer. Als die Entfernung schrumpfte, wurden aus den hellen Punkten kantige Silhouetten.
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»Wieso sehe ich die Triebwerke? Verdammt, drehen sie etwa?«
»Ja, General. Und sie werden langsamer. Ich glaube, sie haben uns bemerkt.« Carrera nahm eine neue Sondierung vor. »Sie machen die Waffen einsatzbereit! Gravokatapulte und Jazer werden auf uns gerichtet.«
»Bieten Sie ihnen kein leichtes Ziel.« Die sehr präzisen Soldaten-Kompis würden hervorragende Schützen sein, ganz gleich, welche Ausweichmanöver die Verfolger flogen. Lanyan spürte, wie die Spannung bei den Rekruten zunahm. »Denken Sie an Ihre Ausbildung! Auf eine Situation wie diese sind Sie vorbereitet worden!«
»Wir haben nur kleine Schiffe, Sir. Keins davon kann einen direkten Treffer überstehen.«
»Haben Sie ein wenig Vertrauen, Mr. Carrera. Bringen Sie uns noch etwas näher heran.«
Die Entfernung verringerte sich jetzt schnell. Lanyans Truppe bereitete sich auf den Kampf vor. »Sollen wir das Feuer eröffnen, Sir? Wir sind in Reichweite.«
»Noch nicht. Dies ist meine Eröffnungssalve.« Der General schaltete manuell auf eine spezielle Kommandofrequenz um, auf der ihn alle TVF-Schiffe empfangen konnten, und drückte die Sendetaste. »Stimmmuster-Bestätigung: General Kurt Lanyan. Identifikation 88RI Alpha.«
Die Verfolger näherten sich weiterhin der Kampfgruppe. Die gekaperten Schiffe wurden immer größer, und ganz deutlich konnte man die geöffneten Waffenluken sehen. Der von den Soldaten-Kompis kontrollierte Moloch Goliath war riesig. Lanyan lehnte sich zurück und lächelte.
Er nahm den Finger von der Sendetaste und wartete, bis die automatische Be ätigung
st
eintraf. Dann sagte er: »Killkode-Protokolle aktivieren.«
Der Pilot sah ihn groß an. »Das ist ... alles?«, brachte er hervor.
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Plötzlich gingen die Positionslichter der von den Kompis kontrollierten Schiffe aus. Von einem Augenblick zum anderen gaben die Triebwerke keinen Schub mehr, und die Flotte trieb lediglich mit dem momentanen Bewegungsmoment durchs All.
»Wir haben den Kompis einen Strich durch die Rechnung gemacht.« Der General lächelte und begegnete den verblüfften Blicken der Rekruten. »Die Schiffe sind nicht mehr kampfbereit.«
Die Sensortechniker sondierten. Eine junge Frau mit milchweißer Haut sah Lanyan von ihrer Station aus an. »Bestätigung. Die energetischen Emissionen sinken auf ambientales Niveau, Sir. Die Waffensysteme sind nicht mehr aktiv.«
Lanyan faltete die Hände hinterm Kopf. »Selbst wenn Soldaten-Kompis Besatzungen töten und unsere Schiffe übernehmen - die Kontrollcomputer gehören mir.« Die Killkodes waren dazu bestimmt, eine Meuterei niederzuschlagen und Unbefugte daran zu hindern, Raumschiffe zu entführen.
Die Kavallerie-Flotte näherte sich dem Moloch, dem wichtigsten Ziel. »Jetzt können wir uns alles zurückholen. Ich will meine Schiffe!« Lanyan ließ die Fingerknöchel knacken. »Aber seien Sie wachsam und bereit - es könnte unangenehm werden. Jeder Soldat wird eine Waffe tragen. Verteilen Sie die großen Kaliber, solange der Vorrat reicht. Erwarten Sie nicht, dass die Blechburschen einfach so aufgeben.«
Lanyan wies die Rekruten an, gepanzerte Schutzanzüge zu tragen. An Bord aller Verfolgerschiffe wurden Vorbereitungen getroffen. Einige Piloten und Rekruten würden als Reserve zurückbleiben, doch den anderen stand ein schwieriger Kampf bevor.
Im kalten Hecksegment des Truppentransporters streifte auch der General einen mit Metall verstärkten Schutzanzug über und befestigte zusätzliche Ene
e
rgi pakete am Gürtel.
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Als er fertig war, trat er vor die atemlosen Kleebs und sprach zu ihnen: »Die Kompis haben unsere Schiffe übernommen und unbewaffnete Besatzungsmitglieder getötet.« Er lächelte im Innern seines Helms, schloss das Visier und schaltete das Anzugmikrofon ein. »Jetzt zeigen wir es den verdammten Robotern!«
Es wäre viel leichter gewesen, die entführten Schiffe einfach zu zerstören, aber Lanyan wollte nicht auf sie verzichten. Er hatte das Gefühl, dass die Erde sie noch brauchte.
Sprengspezialisten machten sich als Erste auf den Weg, schwebten zum Moloch und brachten Ladungen an der Frachtraumhülle an. »Gehen Sie davon aus, dass an Bord alle tot sind«, sagte Lanyan. Oder entbehrlich.
Die Spezialisten zogen sich zurück und zündeten die Sprengladungen. Die Explosionen rissen Löcher in die Außenhülle und bewirkten eine Dekompression der unteren Decks. Schlagartig entwich die Atmosphäre und riss Dutzende von Soldaten-Kompis ins All. Lanyan beobachtete, wie sie hilflos fortschwebten, doch er wusste: Es würde nicht so leicht sein, die anderen loszuwerden.
Die Rekruten überprüften die Antriebssysteme ihrer Schutzanzüge, kontrollierten auch Lufttanks und Waffen. Sie trafen Vorbereitungen für den Sprung durch die Leere.
»Also los«, sagte Lanyan. »Holen wir uns die Schiffe zurück.«
41 ROSSIA
Mithilfe des Schösslings schickte Rossia weiterhin Berichte. Inzwischen be and k
st
ein Zweifel daran, dass sie den Kampf verloren hatten - es war de Kompis ge
n
lungen, alle anderen
120
Schiffe der Gitter-5-Kampfgruppe zu übernehmen. Schon seit einer ganzen Weile hatte er keine Meldungen mehr von anderen grünen Priestern in Diensten der TVF empfangen.
Außerhalb der EZdorado-Brücke bildete Blut rote Muster des Todes auf dem Boden und an den Wänden. Die Soldaten-Kompis hätten ihren Opfern leicht noch funktionierende Waffen abnehmen können, aber stattdessen schlugen sie nur mit ihren Metallarmen zu. Sie hatten es jetzt nicht mehr eilig.
Das Ende war unvermeidlich - Soldaten-Kompis kontrollierten die Brücken aller anderen Schiffe. Rossia wusste, dass es jetzt nicht mehr lange dauerte, und darauf wies er im Telkontakt hin. Er hatte die goldenen Rindenschuppen des Schösslings so oft berührt, dass sie wie abgenutzt wirkten.
Vor vielen Jahren, als ihn ein Wyver auf Theroc aus dem Wipfel eines Weltbaums gerissen hatte, war er sicher gewesen zu sterben. Jetzt empfand er genauso.
Doch Admiral Eolus gab sich noch nicht geschlagen. Er stapfte durch den Kontrollraum, die Schultern straff, und rief den Kompis zu: »Na los, kommt schon! Oder habt ihr vielleicht Angst, euch Beulen zu holen?«
Die Verteidiger der Brücke hatten tapfer gekämpft, aber die Situation war hoffnungslos. Als sie den Tod näher kommen sahen, stürmten immer wieder Freiwillige den Soldaten-Kompis entgegen, um Admiral Eolus einige zusätzliche Minuten zu geben.
Rossia schloss die Augen - er konnte nicht noch mehr Blut sehen. Wieder strichen seine Hände über den Stamm des Schösslings. »Ich habe gerade eine Mitteilung von Nahton empfangen. Die Kompi-Fabrik des Palastdistrikts hat sich in eine Kampfzone verwandelt. Ich bin der einzige le
noch bende grüne Priester in allen Kampfgruppen. Es sei denn, die anderen sind von ihren Schösslingen getrennt.«
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Er hob die Lider wieder und sah sich um. »Vielleicht sind nicht alle tot.«
Außer Rossia und Admiral Eolus gab es auf der Brücke der Eldorado nur noch zwei weitere Überlebende: eine Frau, die an einer der Konsolen saß, und Sicherheitsoffizier Briggs. Als Kompis die letzte Leiche beiseitestießen, hatte Admiral Eolus offenbar genug.
»Schluss damit, verdammt! Den Zugang zur Brücke blockieren! Sergeant Briggs, schnappen Sie sich die Reparaturausrüstung. Wir haben genug Epoxid, um die Türhälften zusammenzuhalten.« Er knetete seine Finger, zornig auf das Schicksal. »Und ich hatte mich auf die Pensionierung und ein Bier am Strand gefreut. Aber ich fürchte, uns erwarten keine Spaziergänge im Mondschein.«
Der Sicherheitsoffizier öffnete das Sicherheitsfach einer unbesetzten Station. »Epoxid hält nicht lange, Admiral.«
»Es braucht auch nicht ewig zu halten, Sergeant. Nur lange genug. Es wird Zeit, es den verfluchten Robotern heimzuzahlen.« Der Admiral sah zum Hauptschirm, der die elf übernommenen Mantas zeigte. Sie schwebten in der Nähe, wie Hyänen, die darauf warteten, sich auf einen Kadaver zu stürzen. »Die Blechburschen haben uns noch nicht geschlagen. Sie haben unsere Kampfschiffe übernommen - und das hat mich sehr wütend gemacht.«
Briggs kniete vor der geschlossenen Brückentür und drückte Epoxid in alle Spalten. Er zuckte zurück, als auf der anderen Seite Kompi-Fäuste gegen die Barriere hämmerten, die sich daraufhin nach innen wölbte. Die Lücke zwischen den beiden Türhälften wurde breit genug, damit ein Kompi die Finger hindurchschieben konnte. Briggs füllte sie mit Lötmasse und fixierte so die Hand des Kompi.
Eolus bediente die Kontrollen der Navigationsstation und steuerte die Eldorado auf die Mantas zu.
Briggs sah auf. »Es hält, Admiral.« Er hatte den ganzen 122
Epoxid-Vorrat verbraucht, und die schnell härtende Substanz füllte alle Öffnungen. Die Überlebenden wussten, dass sie den Kontrollraum nicht mehr verlassen konnten. Die Brücke würde ihre Grab sein.
Eine der Wandplatten bekam eine Delle. Die Kompis konnten die Tür nicht aufbrechen, und deshalb suchten sie einen Weg durch die Wand. »Das gefällt mir gar nicht«, sagte Briggs.
»Es sieht ziemlich übel aus«, fügte die Frau an der Konsole hinzu und schüttelte den Kopf.
»Wie lange muss die Barrikade halten, Admiral?«, fragte Briggs.
Eolus betätigte noch immer die Navigationskontrollen und beschleunigte den Moloch. »Vorsichtig ... ganz vorsichtig. Damit niemand erschrickt. Es ist alles in bester Ordnung, ihr kleinen Roboter.« Langsam näherte sich die Eldorado den wartenden Mantas, deren Soldaten-Kompis annehmen mussten, dass auch der Moloch gekapert war.
Es hämmerte immer lauter an den Brückenwänden. Verkleidungen lösten sich, und Metallhände erschienen in Lücken. Wuchtige Schläge trafen die Tür und ließen sie so sehr erbeben, dass sich Risse im Epoxid bildeten.
»Es wird nicht halten«, sagte Briggs und sah besorgt zur Brückentür.
Rossia wiederholte die Worte im Telkontakt und erstattete weiterhin Bericht. Er fühlte sich wie losgelöst von allem, was um ihn herum geschah.
Nur dadurch blieb er bei Verstand. »Es wird nicht halten.«
»Jetzt kommt der schlimmste Moment im Leben eines Kommandeurs.«
Admiral Eolus sah die drei anderen Überlebenden an. »Sie sind nicht dumm. Sie alle wissen, was wir tun müssen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Kompis unsere Kampfgruppe unter Kontrolle bringen.«
Eolus rechnete nicht mit Einwänden, und er hörte auch 122
keine. Wieder stapfte er durch die Brücke und achtete nicht auf das Hämmern an den Wänden. »Mr. Rossia, teilen Sie dem Rest der TVF mit, was wir hier vorhaben. Man soll wenigstens darüber Bescheid wissen.«
Nachdem der grüne Priester eine letzte Meldung abgeschickt hatte, sah er den Admiral an. »Ist Ihnen klar, dass ich in der ganzen Geschichte von Theroc der einzige Mensch bin, der einen Wyver-Angriff überlebt hat? Es hieß, ich hätte enorm viel Glück gehabt.« Rossia zögerte und hörte, wie die Kompis ihre Versuche fortsetzten, in den Kontrollraum zu gelangen. »Ich schätze, dies werde ich nicht überleben.«
»Nein, Mr. Rossia. Dies wird niemand von uns überleben.«
Als der Moloch die wartenden Mantas erreichte, gab Eolus eine Kodesequenz ein, die jeder Kommandeur kannte und von der er hoffte, sie nie verwenden zu müssen. Die Computer der Eldorado akzeptierten die Notfall-Verifizierung, und die leistungsstarken Triebwerke wurden immer heißer - eine kritische Überladung stand bevor. Eolus schaltete den akustischen Countdown aus. »Klingt zu verdammt melodramatisch.« Er nahm im Kommandosessel Platz und verschränkte die dicken Arme.
Ein weiterer wuchtiger Hieb traf die Brückentür, und diesmal konnte das Epoxid die beiden Türhälften nicht mehr zusammenhalten. Gleichzeitig brach ein Teil der Wand auf -jetzt gab es nichts mehr, was die Soldaten-Kompis daran hinderte, die Brücke zu erreichen. Alarmsignale kamen von allen Stationen, als müssten die Überlebenden noch darauf hingewiesen werden, dass Gefahr drohte.
Briggs warf sich den Kompis entgegen, aber er hatte nicht die geringste Chance gegen die blutbesudelten Roboter.
Admiral Eolus drehte seinen Sessel. Auf dem Monitor ging der Countdown zu Ende. »Hier kommt eine kleine
123
Überraschung für euch Mistkerle«, knurrte er. »Fahrt zur Hölle.«
Die Selbstzerstörung verwandelte die Eldorado in eine kleine Supernova, deren Feuer auch die elf Mantas erreichte.
42 NIRA
Der Flug zur Dobro-Siedlung war die reinste Qual. Ohne einen hinterhältigen Plan hätte der Designierte Udru'h bestimmt keinen so großen Aufwand betrieben.
Nira steckte voller Kummer, ließ sich aber nicht täuschen, als der ildiranische Adlige Sorge zeigte. Erneut fiel ihr auf, dass er Jora'h ähnelte.
»Ich bin der Designierte-in-Bereitschaft Daro'h«, sagte er. »Bald werde ich die Verwaltung von Dobro übernehmen und den gegenwärtigen Designierten ablösen.«
In Niras Augen blitzte es. Udru'h würde abtreten!
»Ich verstehe noch immer nicht, warum Sie geflohen sind«, fuhr Daro'h fort.
»Wir bringen Sie zur Splitter-Kolonie, zurück nach Hause.«
»Sie ist nicht mein Zuhause! Das war sie nie. Und sie ist auch nicht das Zuhause all der menschlichen Nachfahren, die Sie dort gefangen halten.«
Daro'h schwieg voller Unbehagen. Während des restlichen Flugs sprachen sie nicht mehr miteinander.
Als die Wächter Nira durch die Luke führten, empfing sie ein seltsames Durcheinander aus Freude und tiefer Erleichterung - ein emotionaler ruch, der sie
Ausb
wie eine Symphonie aus Liebe und Sehnsucht erreichte.
Es verwirrte sie,
123
dass die nonverbalen Bilder Reflexionen ihrer eigenen Erinnerungen zu sein schienen.
Sie wankte, und ihr Blick richtete sich auf ein Mädchen. Es war älter als erwartet, ihr aber doch vertrauter als jede andere Person: ein Teil von ihr und von Jora'h. Ihre Tochter, ihre Prinzessin! Nira lief zu Osira'h und umarmte sie.
Als sie die Haut ihrer Tochter berührte, strömten neue Erinnerungen auf sie ein - es kam zu einem Austausch. Sie erinnerte sich an das plötzliche Öffnen von mentalen Toren beim letzten - und einzigen - Kontakt zwischen Mutter und Tochter. Sie war sehr verzweifelt gewesen und hatte telepathisch geschrien.
Diesmal achtete Nira darauf, keinen zu großen geistigen Druck auszuüben.
Der neue Kontakt mit ihrer Tochter war ganz anders als der letzte - sie hörte Stille.
Osira'h schien sich zurückzuhalten. »Du musst noch nicht alles wissen, Mutter. Du kannst nicht alles wissen.«
Nira schlang die Arme noch etwas fester um sie. »Nicht sofort. Es genügt mir, dass wir zusammen sind.«
Sie spürte plötzliche Kälte und sah auf. Der Designierte Udru'h näherte sich mit steinernem Gesicht, begleitet von zwei Ildiranern des Wächter-Geschlechts - sie sahen aus wie jene Wächter, die Nira fast zu Tode geprügelt hatten. »Der Weise Imperator hat mich aufgefordert, Sie zu finden«, sagte Udru'h kühl und reserviert. »Mit Ihrer Flucht haben Sie es für uns alle schwieriger gemacht, auch für Sie selbst.« Als er Nira ansah, erinnerte sie sich erneut daran, wie sehr dieser Mann sie gequält hatte, wie sehr sie ihn hasste. Wie beschützend hielt sie ihre Tochter im Arm, und Osira'h erwiderte die Umarmung, gab ihrer Mutter Kraft und Zuversicht.
Udru'h wandte sich an den Designierten-in-Bereitschaft. »Gute Arbeit, Daro'h. Bald werde ich meine Pflichten dir überlassen.«
124
43 ANTON CÓLICOS
In den Gewölben unter dem Prismapalast sah Anton von staubigen Diamantfilmen auf. »Diese Geschichten sind so vage! Ich würde alten Volkssagen keinen großen Glauben schenken.«
Vao'sh ließ sich nicht beirren. »Der Weise Imperator hat mich beauftragt, nach Informationen über den alten Krieg gegen die Hydroger zu suchen, insbesondere nach Geschichten über angebliche Bündnisse zwischen Ildiranern und Faeros. Die Suche muss hier stattfinden.« Die ausdrucksvollen Hautlappen im Gesicht des Erinnerers wechselten die Farbe. »Die alten Aufzeichnungen in den Archiven von Hyrillka enthalten noch mehr Geschichten. Ich hoffe, sie wurden bei der jüngsten Revolte nicht beschädigt. Und ich wünschte, Sie könnten mich begleiten.«
»Das würde ich gern, aber ich darf Mijistra nicht verlassen.« Dafür hatte Anton noch immer keine Erklärung.
In Begleitung ihrer Isix-Katzen näherte sich Yazra'h den beiden Gelehrten tief in den unterirdischen Tunneln. Vor kurzer Zeit hatte Anton ihr einige der klassischen irdischen Märchen erzählt, an denen sie großen Gefallen fand. Dabei hatte sie immer wieder seltsame Fragen gestellt, in der Art von:
»Wenn Rotkäppchen durch einen dunklen, gefährlichen Wald ging, wieso hatte sie dann keine Waffe in ihrem Korb?« Oder: »Wenn Goldlöckchen wusste, dass sie sich in der Hütte von drei Bären befand... Hätte sie dann nicht wachsamer sein sollen, als sie beschloss, in einem der drei Betten zu schlafen? Es wäre doch vernünftiger gewesen, eine Wache aufzustellen.«
Als sich Yazra'h immer wieder über schwache weibliche Kinder beklagte, erfreute Anton sie mit Geschichten über tapfere Kriegerinnen wie Königin Boadicca. Er erzählte auch von der historischen Comic-Figur Wonder an.
Wom
124
Eine der drei Isix-Katzen kam näher und schnupperte an Antons Fingern, und er kraulte geistesabwesend ihren Kopf, woraufhin sich auch die beiden anderen Katzen näherten. Yazra'h staunte immer wieder darüber, wie sich ihre Lieblinge Anton gegenüber verhielten, aber er war nicht überrascht.
»Eine Katze ist des Gelehrten bester Freund. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Stunden ich damit verbracht habe, mit einer Katze auf dem Schoß Epen zu übersetzen. Es hilft bei der Konzentration.«
Yazra'h beobachtete ihre Isix-Katzen mit gerunzelter Stirn und schien von ihnen enttäuscht zu sein. Die Tiere sahen zu ihr auf, wichen jedoch nicht von Antons kraulenden Fingern zurück. »Die Katzen scheinen Sie zu mögen. Wir sollten mehr Zeit miteinander verbringen.«
Anton fühlte sich plötzlich eingeschüchtert von Yazra'hs geschmeidiger Schönheit, von ihrer Kraft und ihrem Selbstvertrauen. »Ah, normalerweise spreche ich nur mit scheuen Akademikern.«
Die Ildiranerin ließ die Muskeln ihrer Arme spielen. »Sie haben mir Ihre Geschichten gezeigt. Ich lade Sie zu Kampfübungen mit mir ein.« Sie wölbte die Brauen. »Auf diese Weise erwidere ich den Gefallen.«
Anton lachte. »Ich nehme lieber indirekt an großen Schlachten teil. Auf Maratha habe ich genug Heldentaten vollbracht. Das genügt für einen einfachen Historiker.«
»Wie Sie wünschen«, sagte Yazra'h. »Dann kommen Sie und sehen mir zu.«
Als Yazra'h Anton durchs Trainingsgelände führte, empfand er den Lärm als fast ohrenbetäubend. Er blieb dicht neben der Frau mit der bronzefarbenen Haut, für die das Getöse um sie herum alles andere als be ohlich zu se
dr
in schien. Ganz im Gegenteil: Sie genoss den Anblick, den e
Schw iß, die Aufregung. Manchmal liefen ihre Katzen fort, um an den 125
muskulösen Kämpfern zu schnüffeln, aber sie kehrten immer zu ihr zurück.
»Ich liebe es, Kämpfen zuzusehen«, sagte Yazra'h mit warmer Stimme. »Die Soldaten haben die gleiche Ausbildung, aber es gibt Unterschiede bei ihren individuellen Fähigkeiten. Deshalb ist der Ausgang der Kämpfe nicht vor-hersehbar.«
Zwei schwer gepanzerte Wächter schlugen ihre kristallenen Katanas aneinander. Sie bewegten sich wie in einem Tanz, parierten und schlugen zu. Blut quoll aus Dutzenden von kleinen, oberflächlichen Schnittwunden, aber die Kämpfer schienen es gar nicht zu bemerken.
»Ich habe viele dieser Männer besiegt, obwohl ich nur zur Hälfte zum Soldaten-Geschlecht gehöre.«
»Ich hoffe, dass Sie nie gegen mich kämpfen wollen! Ich habe nichts zu beweisen. Sie würden mich leicht besiegen, und das ist noch weit untertrieben.«
Yazra'h lächelte mit echter Erheiterung. »Es wäre ein sehr unfaires Duell, Erinnerer Anton. Wenn wir in große Gefahr gerieten, würde ich meine Kraft nutzen, um Sie zu verteidigen.« In ihren Mundwinkeln zuckte es.
»Anschließend könnten Sie Gebrauch von Ihren Talenten machen und von meiner Kühnheit berichten. Das würde mich freuen.«
»Abgemacht.«
In dem offenen Gelände kämpften Ildiraner mit großer Entschlossenheit gegen andere Ildiraner. Sie zischten und heulten, schlugen mit schweren Keulen und schmalen, spiegelnden Klingen aufeinander ein.
Anton überlegte, warum das ildiranische Militär so viel Zeit für Vorbereitung auf den Bodenkampf verwendete. Ein stehendes Heer? Übten diese Soldaten für einen Kampf, von dem Anton nichts wusste? Gegen wen?
Gegen Hydroger konnten diese gepanzerten Krieger kaum etwas ichte
ausr
n. Auf welchen Feind bereiteten sie sich vor? Sollten sie gegen 126
Klikiss-Roboter kämpfen? Nach dem, was die schwarzen Maschinen auf Maratha angerichtet hatten, hoffte Anton, dass es ihnen jemand heimzahlte.
In einer Arena waren bewegliche Spiegel an den niedrigen Wänden angebracht. Reiter in glänzenden Rüstungen saßen auf echsenartigen Wesen und trugen Laserlanzen, mit denen sie auf die halb reflektierenden Schilde ihrer Gegner schössen.
»Irgendwann nehme ich Sie einmal zu einem ildiranischen Lanzenturnier mit«, sagte Yazra'h. »Es ist unser größter Sport. Er wird Ihnen gefallen.«
Anton beobachtete die trägen Tiere und sah, wie die Reiter ihre Lanzen in einem verwirrenden Spiel aus Spiegeln und Schilden schwangen. »Ich bin nie ein großer Sportfan gewesen.«
»Trotzdem, das ildiranische Turnier gefällt Ihnen bestimmt.«
»Es klingt nicht so, als ließen Sie mir eine Wahl.« »Nein.«
Als sie zwischen den Kämpfenden hindurchwanderten, fragte sich Anton, warum Yazra'h bei ihm war. Mochte sie seine Gesellschaft, oder hatte man sie angewiesen, ihn im Auge zu behalten? Die Ildiraner taten noch immer so, als wäre er ein willkommener Gast im Prismapalast, aber es herrschte jetzt eine ganz andere Atmosphäre als am Tag seiner Ankunft auf Ildira. Er ahnte, dass etwas Unangenehmes vor sich ging, etwas, von dem er nichts erfahren sollte.
Er sah die schöne Yazra'h an, als sie ihn von der Arena fortführte. »Möchten Sie eine Geschichte hören?«
»Ist es eine dramatische, mit tapferen Helden und vielen gefallenen Feinden?«
»Nein. Es geht in ihr um Ehrgeiz und Konsequenzen. Es ist die Geschichte eines Mannes namens Faust.« Anton beschrieb Goethes epische Geschichte vom Fall eines Mannes.
126
Er erzählte, wie Faust seine Seele für perfektes Glück dem Teufel verpfändete und trotzdem sein ganzes Leben damit verbrachte, nach den Dingen zu suchen, die er begehrte. Faust hatte genau das bekommen, was er wollte, nur um dann festzustellen, dass sich seine Wünsche änderten.
Der Preis der Vereinbarung hätte ihn fast zerstört.
Yazra'h wirkte verärgert. »Die Geschichte gefällt mir nicht. Der Mann namens Faust traf eine schlechte Wahl und klagte dann über die Bedingungen, auf die er sich eingelassen hatte. Er war ohne Ehre.«
»Manchmal ist die Vereinbarung selbst ohne Ehre«, erwiderte Anton. »Faust war von dem Moment an verdammt, als man ihm die Wahl anbot. Von jenem Punkt an gab es kein Entkommen für ihn, denn er konnte nicht sich selbst entkommen.«
»Er hätte nie um eine solche Wahl bitten sollen.« Für Yazra'h waren alle Entscheidungen eindeutig, schwarz oder weiß. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf einen besonders wilden Kampf zweier großer Soldaten. Sie machten sich kaum die Mühe, die Hiebe des Gegners zu parieren oder ihnen auszuweichen, schlugen aufeinander ein und versuchten, sich allein mit Kraft und Beharrlichkeit durchzusetzen.
»Yazra'h ...«, sagte Anton schließlich. »All die Kugelschiffe der Hydroger, die nach Ildira gekommen sind ... Sie flogen ohne einen einzigen Schuss fort.
Was geht vor?« Ihr Blick blieb auf die beiden Soldaten gerichtet, und sie verlor alles Kokette. »Wollen Sie einfach nur schweigen? Ich sitze hier fest.
Habe ich nicht ein Recht darauf, Bescheid zu wissen?«
»Der Weise Imperator entscheidet, was wir wissen sollen. Es steht nicht mir zu, darüber zu sprechen.« Der wilde Kampf der beiden großen Soldaten dauerte an, und Yazra'h versuchte, ihrem menschlichen Begleiter die Nuancen der Kampf
127
technik zu erklären, als glaubte sie, ihn damit ablenken zu können. Sie beantwortete Antons Frage nicht, und allein das war schon Antwort genug.
44 WEISER IMPERATOR JORA'H
Als Yazra'h ihn auf dem hohen, glitzernden Dach des Prismapalastes fand, rechnete Jora'h damit, dass sie ihn dafür schalt, ungeschützt im Freien zu stehen. Aber er war davon überzeugt, dass die Hydroger nicht zurückkehren würden, um ihn zu töten - noch nicht. Die Fremden aus den Tiefen der Gasriesen hatten andere Pläne.
Er winkte Yazra'h näher und blickte über die grandiose Skyline seiner Stadt. »Ich bin hierhergekommen, um allein zu sein. Sorgen plagen mich.«
Er sah über den Rand des Daches dorthin, wo tief, tief unten der Schössling auf den Boden geprallt war. Eifrige Angehörige des Bediensteten-Geschlechts hatten alle Spuren beseitigt, aber für Jora'h war der Fleck noch immer da. Und er würde für immer da sein. Wenn Jora'h daran dachte, was er getan hatte, verabscheute er sich selbst. Er wusste, was Nira von ihm halten würde, wenn es ihm jemals gelang, sie in den Prismapalast zurückzuholen. Die Dinge, die ich getan habe... und die ich vielleicht noch tun muss.
Yazra'h trat an seine Seite. Als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, begriff er, dass sie eigene Sorgen hatte. »Vater ... Herr ... Ich muss mit dir sprechen und eine Bitte an dich richten.« Jora'h konnte sich nicht daran erinnern, dass ihn seine Tochter jemals um etwas gebeten hatte. »Ich zweifle nicht an de
e
r W isheit, der menschlichen Regierung gewisse Informationen ue
vorz
nthalten, aber ich kann
127
auch nicht vergessen, dass die Menschen von der Himmelsmine viele Ildiraner gerettet haben. Wir sollten ihnen dankbar sein.«
Jora'h nickte. »Sullivan Gold und seine Leute verdienen es nicht, auf diese Weise behandelt zu werden. Wir sollten Verbündete sein und einander trauen.« Falten bildeten sich in Jora'hs Stirn. »Aber das ist leider nicht möglich. Sie haben Dinge gesehen, von denen die anderen Menschen nichts erfahren dürfen.« Er dachte an das Zuchtprogramm von Dobro und die in Gefangenschaft aufgewachsenen Nachkommen der Burton-Kolonisten. »Und es gibt noch andere Geheimnisse, die die Menschheit veranlassen würden, ihre militärische Macht gegen uns zu richten.«
Yazra'h versteifte sich. »Wir könnten sie besiegen, Herr.«
»Ich möchte gar nicht gegen sie kämpfen.«
»Was machen wir dann mit den Menschen, die wir hier festhalten? Sollen wir ihnen die Augen verbinden und sie einsperren? Oder sie töten?«
»Nein!«
Ein intensiver Glanz lag in Yazra'hs großen goldenen Augen, und ihr Gesicht zeigte Entschlossenheit. »Sollen wir ihnen die Wahrheit sagen?«
Jora'h senkte die Stimme, obwohl niemand in der Nähe war, der ihn hören konnte. »Wenn meine Experten keine Möglichkeit finden, wirkungsvoll gegen die Hydroger zu kämpfen, bleibt mir vielleicht nichts anderes übrig, als die Menschen zu verraten, Yazra'h. Wie soll ich ihnen das erklären und hoffen, dass sie es verstehen?«
»Vater, wenn du dir von den Menschen helfen lässt, haben wir vielleicht eine bessere Chance, gegen die Hydroger zu bestehen.«
Daran hatte Jora'h nicht gedacht.
»Nehmen wir nur den menschlichen Erinnerer Anton Colicos, der als Gelehrter zu uns kam«, fuhr Yazra'h hastig
128
fort. »Er ist allein an der Saga der Sieben Sonnen interessiert. An Politik und dergleichen hat er überhaupt kein Interesse. Aber selbst er ahnt, dass irgendetwas vor sich geht. Er hat mir einige beunruhigende Fragen gestellt.«
Jora'hs Züge glätteten sich - er hatte in den Augen seiner Tochter Zuneigung gesehen, die dem menschlichen Erinnerer galt. »Und worum möchtest du mich bitten, Tochter?«
»Auf deine Anweisung hin sieht sich Erinnerer Vao'sh der enormen Aufgabe gegenüber, in den Apokryphen-Archiven nach Hinweisen zu suchen. Ich schlage vor, dass ihm der menschliche Gelehrte auf Hyrillka hilft. Schick Anton Coli-cos mit Vao'sh fort von hier, zu einem Ort, wo er nicht sehen kann, was du verbergen möchtest.«
»Ja, das ist eine gute Idee.« Jora'h seufzte vor echter Erleichterung. Diese Entscheidung konnte er treffen, ohne noch mehr Ehre zu verlieren. »Ich habe Pläne geschmiedet und Dinge versprochen, als ich Hyrillka nach Rusa'hs Rebellion verließ. Tal O'nh leitet den Wiederaufbau, und der junge Designierte Ridek'h sollte seine Pflichten kennenlernen.«
Yazra'h nahm Haltung an. »Ridek'h ist nur ein Junge, aber selbst ein Kind-Designierter ist besser als gar keiner. Die Bewohner von Hyrillka sind schuldbeladen und verletzt. Sie brauchen ihn dort.«
Jora'h wusste, dass es nicht logisch war, aber es entsprach seinen Wünschen. »Und Ridek'h braucht dich, Yazra'h. Als meine Tochter wirst du nie ein Designierter sein, aber du hast das Wissen und die Charakterstärke. Begleite den Jungen; berate und beschütze ihn, sei seine Mentorin. Und gib auch auf den menschlichen Erinnerer Acht.«
»Aber mein Platz ist an der Seite des Weisen Imperators! Ich muss dich beschützen!«
»Du kannst mich nicht vor den Gefahren beschützen, denen ich gegenübertreten muss.«
129
Das schien Yazra'h ganz und gar nicht zu behagen. »Kann nicht Tal O'nh Ridek'hs Lehrer und Berater sein?«
Jora'h schüttelte den Kopf. »Der Tal ist ein militärischer Offizier und kann ihm mit seiner Kraft helfen, aber ein Designierter braucht mehr. Ridek'h ist der Sohn von Pery'h. Er hat genug Potenzial.«
Yazra'h ging und konnte dabei trotz ihrer Sorge ein Lächeln nicht ganz verbergen. Der Weise Imperator blieb tief in Gedanken versunken auf dem Dach und dachte daran, dass die Hydroger bald zurückkehren würden, um ihre Anweisungen zu geben.
Er hoffte inständig, dass Adar Zan'nh und die besten ildiranischen Spezialisten bis dahin eine Lösung für das größte Problem gefunden hatten.
45 ADAR ZAN'NH
Den technischen Gruppen der Ildiraner mangelte es weder an Arbeitskräften noch an Ressourcen. Alle Laboratorien wurden ihnen zur Verfügung gestellt. Sie führten Experimente durch, nahmen neue Untersuchungen vor und verbesserten die traditionellen Waffen. Doch nach zehntausend Jahren Malaise und Stagnation waren die Angehörigen der Wissenschaftler- und Techniker-Geschlechter nicht mehr zu echter Innovation fähig.
»Wir haben unsere destruktive Kraft um fast fünf Prozent erhöht, Adar.«
Klie'f und Shir'of schienen mit diesem Resultat zufrieden zu sein.
Zan'nh schnitt eine finstere Miene. »Fünf Prozent? Der Weise Imperator ve
ngt Durc
rla
hbrüche, nicht mehr von den Dingen, die wir über
Jahrhunderte hinweg benutzt haben.
129
Wir brauchen neue Gedanken, keine besseren Versionen von alten.«
Klie'f hob hilflos die Hände. »Wir verstehen nicht, Adar.«
»Ganz offensichtlich nicht. Fünf Prozent mehr destruktive Kraft gegen die gewaltige Macht der Hydroger? Sie werden den Unterschied nicht einmal bemerken.«
Zan'nh war als junger Tal von Adar Kori'nh befördert worden, weil ihm in kritischen Situationen Lösungen einfielen, die anderen Ildiranern nicht in den Sinn kamen. Er hatte simulierte Schlachten mit einfallsreichen Manövern und unkonventionellen Taktiken gewonnen, sehr zum Ärger der älteren Offiziere.
Zan'nh wandte sich enttäuscht ab. Die Solare Marine brauchte etwas völlig Neues, und das konnte er von diesen einfallslosen Forschern nicht erwarten.
Schließlich schob er sein Widerstreben beiseite. Der Weise Imperator hatte ihn aufgefordert, alles zu versuchen, und deshalb beschloss Zan'nh, an einer ungewöhnlichen Stelle nach neuen Ideen zu suchen.
Der kahl werdende Verwalter der terranischen Himmelsmine sah den Adar verblüfft an. »Soll das ein Witz sein? Nach all dem, was man uns angetan hat, möchten Sie, dass wir Ihnen helfen?« Er rollte mit den Augen und sah seine Cheftechnikerin Tabitha Huck an.
»Es wäre eine Abwechslung«, sagte sie. »Ich habe mich zu Tode gelangweilt.«
Zan'nh war Sullivan Gold zum ersten Mal begegnet, als seine Kriegsschiffe die Himmelsmine der Hanse in der Atmosphäre von Qronha 3 entdeckten.
Dass die Ildiraner Anstoß an einer terranischen Anlage nahmen, die sich in der Atmosphäre einer nicht den Menschen gehörenden Welt befand, schien de V
n erwalter überrascht zu haben.
Zan'nh verschränkte die Arme und musterte seine Ge 130
sprächspartner. »Wie der Terranischen Hanse droht auch dem Ildiranischen Reich Zerstörung durch die Hydroger. Der Weise Imperator hat unsere Solare Marine angewiesen, innovativ Waffen zu entwickeln. Wir haben nur geringe Fortschritte erzielt, und die Zeit wird knapp. Deshalb erbitte ich Ihre Hilfe. Mein Volk kann dies nicht allein schaffen.«
»Die Worte >Ildiraner< und >innovativ< verwendet man normalerweise nicht im gleichen Satz«, sagte Tabitha voller Sarkasmus.
Zan'nh gestattete sich ein mattes Lächeln. »Genau darum geht es. Die ildiranische Zivilisation hat den Höhepunkt ihrer Entwicklung vor vielen Jahrhunderten erreicht. Unser Volk entwickelt keine völlig neuen Konzepte mehr. In kultureller Hinsicht wird so etwas missbilligt.«
Tabitha schien nicht viel von den ildiranischen Technikern zu halten. »Und jetzt, da Sie eine neue Idee brauchen, fällt niemandem etwas ein, um Ihnen das Leben zu retten.«
»Um uns allen das Leben zu retten«, sagte Zan'nh. »Mein Volk hat nie gelernt, in unorthodoxen Bahnen zu denken. Menschen hingegen kennen sich gut damit aus.«
»Und ob«, bestätigte Tabitha.
Sullivans Stimme war hart wie Eisen. »Bevor wir irgendetwas für Sie tun, möchte ich von Ihnen hören, was vor sich geht. Was hat es mit Ihrer mysteriösen Mission bei Qronha 3 auf sich, mit dem kleinen Mädchen und seiner gepanzerten Kapsel? Und was ist mit den vielen Kugelschiffen der Hydroger, die plötzlich über Ildira erschienen?«
Der Adar dachte an seine Anweisungen und den neuen Ermessensspielraum, den der Weise Imperator ihm eingeräumt hatte.
Keine Geheimnisse mehr! Zan'nh schilderte die Situation, erwähnte die Drohung der Hydroger und erklärte, warum die Menschen isoliert worden waren.
»Zum Teufel auch!«, entfuhr es Tabitha. Sullivan wirkte völlig fassungslos.
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»Wenn wir keinen Weg finden, die Hydroger zu schlagen, müssen wir uns ihrem Ultimatum beugen. Wir wollen die Menschheit nicht ausrotten. Wie Sie sehen, liegt es in Ihrem eigenen Interesse, uns zu helfen. Ich möchte ...«
Zan'nh unterbrach sich. »Sullivan Gold, ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie und Ihre menschlichen Mitarbeiter uns helfen könnten.«
»Warum haben Sie nicht sofort gefragt?«, fragte Sullivan scharf.
Zan'nh senkte den Kopf. »Zuvor waren unsere Prioritäten ... falsch.«
Tabitha riss die Augen auf. »Geben Sie gerade einen Fehler zu?« Sie warf das hellbraune Haar zurück. »Sie brauchen mich nicht zu zwingen, die Hydroger zu hassen, und ich habe es satt, den ganzen Tag aus dem Fenster zu sehen. Ich bin an der Waffenentwicklung für die TVF beteiligt gewesen, bevor ich mit der Arbeit in der Himmelsmine begann. Ich habe dabei mitgeholfen, die ersten Bimps und Kohlenstoffknaller zu bauen. Mit den Konstruktionsplänen bin ich bestens vertraut, aber ich muss sagen: Auch unsere Waffen waren gegen die Kugelschiffe der Hydroger nicht besonders wirkungsvoll.« Tabitha begann mit einer unruhigen Wanderung. »Die Frage lautet: Was können wir tun, das nicht schon versucht wurde?«
»Genau«, erwiderte Zan'nh. »Wir suchen nach Innovation.«
Sullivan faltete die Hände und wandte sich an den Adar. »Wenn wir uns einverstanden erklären, Ihnen zu helfen, muss es Vertrauen zwischen uns geben. Und anschließend müssen Sie uns heimkehren lassen.«
»Sullivan Gold, wenn wir die Hydroger nicht besiegen, wird niemand von uns ein Zuhause haben, zu dem er zurückkehren kann.«
131
46 TECHNISCHER SPEZIALIST SWENDSEN
Als die beiden Wissenschaftler stolz das kleine Upload-Modul mit dem Repeater-Virus brachten, hielt Sergeant Paxton es zwischen Daumen und Zeigefinger. »Sieht nicht unbedingt nach einer geheimen Waffe aus.«
»Wenn dies funktioniert, werden sich alle Kompis in der Fabrik deaktivieren«, sagte Yamane mit einer Ruhe, die Swendsen nicht teilte.
»Und dann verwenden wir die gleiche Methode, um die Soldaten-Kompis in den TVF-Kampfgruppen zu neutralisieren«, fügte der technische Spezialist hinzu. »Wenn wir die Datenkopien schnell genug zu ihnen bringen können.«
Die Silbermützen waren bereit, die Kompi-Fabrik zu stürmen, und diesmal meinten sie es ernst. Mit Schall-Rammböcken ausgestattet eilte die neue Einsatzgruppe -fünfmal so groß wie die vorherige Truppe - zur verbarrikadierten Tür auf der ruhigen Seite der großen Produktionsanlage. Sie wollte sich dort Zugang zur Fabrik verschaffen, wo sich wahrscheinlich weniger Soldaten-Kompis aufhielten.
Die Silbermützen wurden nicht langsamer, als sie sich der Tür näherten.
Von den Schall-Rammen kam ein ohrenbetäubender Knall, den Swendsen trotz der Kom-Ohrempfänger hörte. Die Barrikade gab nach, als hätte sich dickes Metall plötzlich in dünne Folie verwandelt.
»Rein mit euch, bevor die Blechburschen kommen!«, rief Sergeant Paxton.
»Bewegung! Bewegung!«
Von einer Phalanx aus Soldaten geschützt hielten Swendsen und Yamane an ihrer Zuversicht in Hinsicht auf das schnell entwickelte Virus fest. Sie te
wuss n, dass es funktionieren würde. Es fragte sich nur, ob sie lange ge
g am
nu
131
Leben blieben, um es einzusetzen. Jede Silbermütze trug ein kleines Datenpaket mit einer Viruskopie bei sich. Auf diese Weise sollte sichergestellt sein, dass wenigstens eine Ausgabe des Neutralisierungskodes die Hauptprogrammstation erreichte.
Die Soldaten drangen mit gezückten Waffen durch den Gebäudekomplex vor. Jeder von ihnen hatte ein Display dabei, das den primären Weg zum Ziel sowie alternative Routen zeigte. Sie liefen mit klappernden Körperpanzern, und ihre Stiefel donnerten auf dem Boden. Swendsen und Yamane versuchten, mit ihnen Schritt zu halten, waren aber schon außer Atem. Sie wussten, dass sie auf keinen Fall zurückbleiben dürften, denn bestimmt griffen die Soldaten-Kompis bald an.
Die Gruppe eilte durch schmale Flure mit Regalen an den Wänden, in denen Komponenten auf den Zusammenbau warteten. Wie die Soldaten gehofft hatten, war dieser Teil der Fabrik leer; sie stießen auf keinen Widerstand.
»Dicht zusammenbleiben!«, rief Paxton.
Die Kämpfer liefen weiter, und Swendsen sah: Selbst die Schwächsten unter diesen Männern und Frauen waren weitaus besser in Form als er oder Yamane. Als Teil ihrer Ausbildung liefen Silbermützen jeden Tag zehn Kilometer. Es hieß von ihnen, dass sie Nägel aßen, mit Felsen Fangen spielten und sich von Klippen herabhängen ließen, allein zur Ent-spannung.
Die Einsatzgruppe erreichte die weißen Reinräume, wo die Kontrollmodule der Kompis die Klikiss-Programmierung erhielten. Ich schätze, es war ein großer Fehler, sie mit diesen Programmen auszustatten, dachte Swendsen.
Doch jetzt war es zu spät.
Die Soldaten ganz vorn knieten und eröffneten das Feuer, als zwei Kompis e
mit n uen Modulen aus den Dampfschwaden eines Kühlzimmers kamen.
Sie att
h
en nicht mit mensch
132
lichen Eindringlingen gerechnet und drehten sich um. Die Waffen der Soldaten verwandelten sie in Schrott.
»Es ist jetzt nicht mehr weit«, sagte Paxton.
Swendsen nickte. »Die zentralen Upload-Bänke befinden sich direkt voraus.«
»Also los.« Soldat Elman trat die Tür auf.
Die Hintergrundgeräusche wurden lauter. Swendsen hörte das Hämmern und Stampfen der Montagemaschinen, das Zischen von Schweißgeräten und das Rasseln der Fließbänder. Tausend Kompis waren an der Arbeit und produzierten weitere Roboter. Die ersten beiden Silbermützen mähten die stehenden Kompis mit Projektilen aus dichtem, abgereichertem Uran nieder, doch andere Roboter nahmen sofort ihren Platz ein.
»Wir können sie nicht alle erledigen!«, rief Paxton. »Schießt und lauft - rohe Gewalt, keine Finesse. Wir müssen uns eine Schneise durch diese Blechbüchsen schlagen.«
Swendsen zeigte der Gruppe den Weg. Die Soldaten formierten sich erneut und stürmten wie eine aggressive Foot-ball-Mannschaft los. Mit explodierenden Geschossen und elektrostatischen Kraftfeldern, die Kurzschlüsse bewirkten, schufen die Silbermützen eine Schneise, durch die sie vorstoßen konnten. Doch einigen Kompis gelang es, den Kämpfern die Waffen aus den Händen zu reißen; anschließend packten sie die wehrlosen Männer und Frauen und töteten sie.
»Konzentriert euch auf das Ziel!«, wies Sergeant Paxton die Gruppe an. »Wir sind fast da.«
Weitere Silbermützen fielen, als sich die Gruppe einen Weg durch das Meer aus Kompis bahnte. Als sie das Kontrollzentrum erreichten, stellte Swendsen erschrocken fest, dass außer ihm und Yamane nur noch Paxton und drei andere Soldaten am Leben waren. Fast fünfzig Silbermützen e
hatt n sich geopfert, damit die beiden technischen Spezia 133
listen ihr Ziel erreichen und dort das Virusprogramm einsetzen konnten.
Im Innern des Upload-Zentrums verbarrikadierten die letzten Soldaten den Zugang. Auf der anderen Seite warfen sich Kompis dagegen. »Wie schnell können Sie das Virus uploaden?«, fragte Paxton.
»So schnell wie sonst niemand«, erwiderte Swendsen und zuckte zusammen, als automatische Waffen ratterten.
»Zwei Minuten«, sagte Yamane. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch das Donnern einer Explosion übertönte seine Worte. Er blinzelte und wiederholte: »Zwei Minuten.«
»Na schön, zwei Minuten.« Die Soldaten gingen bei der Tür in Stellung.
»Beeilen Sie sich.«
Die Kompis hatten den gefallenen Silbermützen die Waffen abgenommen und schössen damit Löcher in die Tür. Auf der anderen Seite der Barrikade knallte und krachte es immer wieder, und es entstanden weitere kleine Öffnungen in den Wänden.
Swendsen beugte sich über die Kontrollen. Außerhalb des Upload-Zentrums kam es zu einer neuen Explosion. »Dies ist schwierige Arbeit! Wie soll ich mich bei diesem Lärm konzentrieren?«
Paxton schnaubte fassungslos. »Möchten Sie, dass ich nach draußen gehe und die Blechburschen bitte, etwas leiser zu sein?«
Yamane hatte andere Sorgen. »Wenn eins der Projektile die hiesigen Einrichtungen beschädigt, können wir den Repeater-Virus nicht installieren.«
»Dann sollten Sie sich noch mehr beeilen.«
Die beiden technischen Spezialisten arbeiteten schweigend, während der Lärm andauerte. Sie kopierten das Virusprogramm ins Upload-Zentrum und leiteten es zum Übertragungssender. Jeder Kompi, der das Programm e
fing,
mp
würde es kopieren und an einen anderen Kompi weiterleiten.
133
Wenn die Kaskade begann, würden sich die verrückt spielenden Roboter nacheinander deaktivieren. Das hoffte Swendsen jedenfalls.
Kompis zertrümmerten die improvisierte Barrikade. Paxton und seine letzten Leute wichen zurück und eröffneten das Feuer. »Dies sind Ihre letzten Sekunden, meine Herren.«
»So, das wär's«, sagte Yamane. »Alles bereit.«
Swendsen drückte die Sendetaste, und das Virusprogramm wurde übertragen.
Die Kompis ganz vorn verharrten plötzlich, als sie Signale empfingen, die ihre Kernprogrammierung veränderten. Sie zögerten, gaben das Repeater-
Virus weiter. Ein Roboter nach dem anderen verharrte; Stille breitete sich in der Fabrik aus.
Swendsen und Yamane warteten voller Anspannung an den Kontrollen. Die überlebenden Silbermützen wechselten einen Blick und sahen dann zu den reglosen Kompis. Roboterarme waren ausgestreckt und Metallhände bereit, menschliche Kehlen zu zerfetzen. Sie schienen dem Statuengarten eines Avantgarde-Künstlers entsprungen zu sein.
Einer der Soldaten stieß einen Kompi beiseite, und die Maschine landete krachend auf dem Boden. Ein zweiter Stoß, und wieder fiel ein Kompi.
Sergeant Paxton und die anderen Silbermützen begannen ebenfalls damit, Roboter beiseitezustoßen, machten auf diese Weise einen Weg aus dem Kontrollzentrum frei.
Swendsen und Yamane gratulierten sich zu dem Erfolg, indem sie sich die Hände schüttelten. Zufrieden sahen sie sich in der jetzt stillen Kompi-Fabrik um. »Sie finden nie einen Weg aus der unendlichen Programmschleife.«
»Es wartet noch immer viel Arbeit auf uns«, sagte Yamane. »Vielleicht brauchen wir Monate, um herauszufinden, was die Roboter in Berserker verwandelte.«
»Das kann warten, bis wir die Situation unter Kontrolle gebracht haben«, sagte Paxton. »Wir müssen der TVF mittei
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len, dass das Virusprogramm funktioniert. Wenn es sofort gesendet wird, können wir vielleicht noch einige unserer Kampfgruppen retten.« Er aktivierte sein Schultermikrofon und erstattete Bericht.
»Ich würde mich wohler fühlen, wenn wir diesen Ort verlassen.« Mit dem Handrücken wischte sich Swendsen Schweiß von der Stirn.
»Einverstanden«, sagten die letzten Silbermützen wie aus einem Mund.
Sie gingen durch das Heer aus bewegungslosen Robotern und staunten darüber, wie viele es waren. Die Kompis hatten die Montagebänder weit über die Sollkapazität hinaus hochgefahren und ihre Zahl verzehnfacht.
»Der nächste Ausgang ist dort drüben.« Paxton ging voraus. Weiter vorn sahen sie ein Hangartor.
»Wie eine mitternächtliche Wanderung über einen Friedhof«, meinte eine Silbermütze.
»Es gibt jetzt nichts mehr zu befürchten«, sagte Swendsen. »Alles hat wie geplant funktioniert.«
Sergeant Paxton schaltete erneut sein Schultermikro ein. »Wir sind bei der Tür 1701/7. Seien Sie bereit, uns nach draußen zu lassen.«
»Bestätigung, Sergeant.«
Ein Kompi zuckte.
Swendsen blieb stehen. »Haben Sie das gesehen?«
Yamane runzelte besorgt die Stirn. »Sie sollten nicht in der Lage sein, den neuen Kode so schnell zu umgehen. Vielleicht haben sie in den neuen Modellen adaptive Sicherheitsprogramme installiert.«
Augensensoren glühten. Zwei Metallarme ruckten zur Seite. Ein polymerummantelter Rumpf richtete sich auf. Köpfe drehten sich.
»Verdammter Mist!«, entfuhr es Paxton. »Lauft!«
Swendsen und Yamane rannten los. Die überlebenden Sil 135
bermützen liefen zur Tür, aber die Kompis erwachten zu schnell. Swendsen stolperte über einen Roboter, der sich gerade zu bewegen begann. Er hielt sich an einem anderen Kompi fest, um nicht zu fallen - und wurde seinerseits von ihm gepackt. Entsetzt riss er sich los und trug dabei eine blutige Schulterwunde davon.
Mit der ihnen noch verbliebenen Munition schössen die Silbermützen wild um sich und riefen so laut sie konnten. Hunderte und dann tausende von Kompis stapften ihnen entgegen und blockierten den Weg hinaus. Sie kamen von allen Seiten.
Swendsen sah den Ausgang, aber er war viel zu weit entfernt.
47 RLINDA KETT
Es knarrte und knisterte, als sich die Nematoden durch den Metallboden des Lifts fraßen. Die Aufzugkabine kam nur noch langsam voran und wackelte immer wieder, woraus Rlinda schloss, dass mindestens fünfzig der schweren Würmer daran hingen. Wie schnell sie durch den Schacht geklettert waren, von Karla Tamblyn angetrieben und kontrolliert!
Rlinda bemühte sich, den Brustteil des Schutzanzugs zu schließen, und BeBob befestigte die Handschuhe. Es krachte laut, und eine der Isolationsplatten des Bodens löste sich. Spitze, diamantharte Zähne erschienen in der Lücke. Rlinda stampfte so fest sie konnte mit dem Fuß auf, und das wurmartige Wesen verschwand. Es folgte nur eine kurze e
Paus , und dann warfen sich die Nematoden wieder gegen die Unterseite de
ifts. Sie
s L
krochen und glitten
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umher, mit einem Geräusch wie von feuchtem Leder. Die Aufzugkabine schwankte und zitterte, kam noch langsamer voran.
»Könnte es schaden, zwei armselige Personen entkommen zu lassen?«, stöhnte BeBob. »Wir gehören überhaupt nicht hierher.«
Rlinda schwitzte bereits in ihrem halb geschlossenen Schutzanzug. Sie erinnerte sich daran, was die Nematoden mit den Roamern unten in der Wassermine angestellt hatten, und daher war ihr klar, dass das Anzugmaterial sie nicht vor den Zähnen der Würmer schützen konnte. Der Gedanke daran ließ sie erschauern. Auf keinen Fall wollte sie zulassen, dass sie selbst und ihr bevorzugter Ex-Mann zu Wurmfutter wurden.
Rlinda bewegte sich so schnell sie konnte, als sie BeBob umdrehte, seine Anzugsysteme und den Luftvorrat überprüfte. »Alles klar. Und jetzt ich.« Sie kehrte BeBob den Rücken zu.
Mir einem wie kapitulierend klingenden Quietschen hielt die Liftkabine an, noch immer ein ganzes Stück vom oberen Ende des Schachtes entfernt.
»Das ist nicht gut«, sagte BeBob.
»Du bist der Meister der Untertreibung.« Rlinda versuchte, ruhiger zu atmen, aber das Kratzen und Knistern unter der Liftkabine wurde lauter und machte sie noch unruhiger. Verlegen musste sie sich eingestehen, der Panik nahe zu sein. »Schnell!«
Nematoden bissen sich durch ein anderes Bodensegment, und Rlinda trat hastig beiseite, um den Zähnen zu entgehen. BeBob überprüfte ihren Schutzanzug und strich dann mit den Händen über die gepolsterte Kleidung. »Genug Vorspiel, BeBob! Ist mein Anzug intakt oder nicht? Wir müssen den Lift verlassen!«
»Soll ich es an Sorgfalt mangeln lassen? Es dürfte dir 136
kaum gefallen, wenn dein Schutzanzug im Vakuum plötzlich ein Leck hat.«
»Der Anzug nützt mir nichts mehr, wenn die Würmer ein Loch hineinnagen.«
BeBob überprüfte die Siegel und brummte zufrieden. »Alles in Ordnung.
Wir können los, sobald wir die Helme aufgesetzt haben.«
Rlinda setzte BeBob den Helm auf und drehte ihn ein kleines Stück im Uhrzeigersinn, um den Kragen zu versiegeln. »Der Liftschacht steht vermutlich unter Druck und hat den einen oder anderen Notausgang. Ich schätze, oben gibt es eine Luftschleuse, durch die man nach draußen gelangen kann.«
BeBob sagte etwas, aber der Helm dämpfte seine Worte. Er schaltete seinen Anzugkommunikator ein, und daraufhin kam seine Stimme aus einem Lautsprecher in Rlindas Kragen. »So wie sich Karla Tamblyn dort unten austobt ... Es könnte etwas aufgebrochen sein. Wenn der Schacht einstürzt, sitzen wir in der Scheiße.«
Rlinda blickte zur Notluke in der Kabinendecke. »Wir haben mehrere Möglichkeiten, in der Scheiße zu sitzen, BeBob. Deshalb möchte ich, dass du nach oben kletterst. Ich hab's satt, dass diese Biester versuchen, unsere Zehen zu fressen. Ich bücke mich und falte die Hände, um dich zu stützen.
Du kannst auch auf meine Knie treten. Öffne die Luke, damit wir nach draußen klettern können.«
»Ich? Sollte ich nicht dir nach oben helfen? Damit du als Erste hinauskannst?«
»Danke dafür, dass du mir den Vortritt lassen möchtest, BeBob, aber ich bin doppelt so schwer wie du. Zwar ist die Schwerkraft auf Plumas geringer, aber lass uns nicht übermütig werden.«
Es krachte, und eine weitere Bodenplatte wölbte sich nach oben. Diesmal war die Öffnung so groß, dass ein Ne
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matode hindurchkriechen konnte. Die Hautmembran pulsierte, als das Geschöpf halb in die Kabine kroch.
Rlinda trat mit ihrem ganzen Gewicht auf den Kopf des Wesens. Er platzte unter ihrem Stiefel, und der Wurm blieb zuckend auf dem Boden liegen.
Nur wenige Sekunden später versuchten zwei weitere Nematoden, durch die gleiche Öffnung zu kriechen.
BeBob trat rasch auf Rlindas Knie und setzte den anderen Fuße in die Mulde ihrer gefalteten Hände. Sie hob ihn hoch, damit er die Luke erreichen konnte.
»Wenigstens ist es ein analoger Mechanismus«, sagte er. »Es gibt weder ein elektronisches Schloss noch irgendwelche Kontrollsequenzen.«
Weitere Nematoden versuchten, in die Kabine zu gelangen, und ihre spitzen Zähne kamen Rlinda immer näher. Sie musste BeBob halten und konnte deshalb nicht nach ihnen treten. Immer wieder blickte sie nach unten. Die Nematoden hatten sie fast erreicht.
»BeBob, du solltest dich besser beeilen ...«
Er hantierte an dem Mechanismus, und schließlich klappte die Luke auf.
»Geschafft.« Rlinda gab BeBob einen ordentlichen Stoß, und in der geringen Schwerkraft flog er regelrecht nach oben und halb durch die offene Luke.
Mit den Ellenbogen stützte er sich ab und kletterte ganz in den Schacht.
Rlinda musste BeBob nicht mehr stützen und trat auf den nächsten Nematoden. Das Geschöpf wich kurz zurück, kam dann erneut näher. Der zweite Tritt beeindruckte es kaum mehr, und etwas von seinem Schleim blieb an Rlindas Stiefel kleben. Von tief unten empfingen die Nematoden Karla Tamblyns dunkle Energie - die Kraft der von den Toten zurückgekehrten Frau trieb sie so sehr an, dass sie kaum mehr Schmerz empfanden.
»Es wird schwerer, sie zurückzutreiben«, sagte Rlinda.
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Oben auf der Liftkabine legte sich BeBob flach auf den Bauch, sah durch die Luke und streckte die Hand aus. »Komm. Ich ziehe dich hoch.«
Rlinda sah keine andere Möglichkeit. Sie ergriff BeBobs Hand, beugte die Knie und zählte. »Eins ... zwei... drei.« Mit ganzer Kraft stieß sie sich ab, und BeBob schaffte es, sie bis zu den Hüften durch die Luke zu ziehen, die gerade groß genug war. Rlinda strampelte mit den Beinen und kämpfte sich weiter nach oben. BeBob zog an ihren Schultern.
Die Nematoden rissen weitere Bodenplatten auf, nagten Löcher und glitten in die Kabine, die plötzlich wie ein Schlangennest wirkte. Rlinda zog die Beine hoch, als mehrere Würmer danach schnappten. Sie stand auf und klappte die Luke zu. »Grässliche Biester.«
Rlinda neigte den Kopf nach hinten und sah im Schacht hoch. »Ich hatte gehofft, dass uns der Lift ein Stück weiter nach oben gebracht hat.«
»Sieh nur, Sprossen!« Metallstangen ragten aus den Eiswänden des Schachtes und wirkten wie die Rückenkämme eines endlosen Tausendfüßlers.
»Willst du mich auf den Arm nehmen?« Rlinda stellte sich vor, wie Roamer an den Sprossen emporkletterten, vielleicht nur deshalb, um sich in Form zu halten. »Sehe ich wie eine Athletin aus?«
»Du siehst blendend aus und hast immer blendend für mich ausgesehen.«
Rlinda rollte mit den Augen. »Ich habe dich nie für einen dieser Teufelskerle gehalten, die plötzlich geil werden, wenn ihr Leben in Gefahr ist.«
»Ich wollte nur romantisch sein.«
»Warte damit, bis wir an Bord der Neugier sind. Wenn wir diesen Ort verlassen haben, bin ich zu allem bereit, das garantiere ich dir. Na los, beweg dich!«
Unten glitten die Nematoden in der Luftkabine über 137
einander hinweg. Sie versuchten an den Wänden emporzukriechen, hatten aber noch nicht herausgefunden, wie sie die Decke erreichen konnten, doch bestimmt war das nur eine Frage der Zeit.
BeBob deutete zu den Sprossen. »Damen zuerst.«
»Möchtest du dir auf dem Weg nach oben meinen großen Hintern ansehen?«
BeBob drehte wie verlegen den Kopf. »Nein, ich dachte nur, dass du mit der Luftschleuse oben vielleicht besser klarkommst als ich.«
»Hm, du bist praktisch und romantisch. Warum haben wir uns eigentlich scheiden lassen?«
»Weil wir uns zu jener Zeit nicht ausstehen konnten.«
Rlinda hatte sich von mehreren Männern scheiden lassen, aber Branson Roberts war der Einzige von ihnen, den sie noch mochte. »So wie jetzt gefällt es mir besser. Warum etwas Gutes verhunzen?«
Sie streckte die Hand nach der ersten Sprosse aus und begann, nach oben zu klettern. BeBob sicherte die Luke der Liftkabine, obwohl sich die Nematoden schnell durch das Metall fressen würden. Die Vorstellung genügte, um Rlinda anzutreiben. In der geringen Schwerkraft kam sie gut voran, aber schon nach fünf Minuten klang ihr Schnaufen ziemlich laut im Innern des Helms. Die Luftumwälzungs- und Kühlsysteme des Schutzanzugs wurden auf eine harte Probe gestellt.
Sie fühlte Vibrationen in der Schachtwand - vermutlich setzte Karla Tamblyn ihr Zerstörungswerk in der großen Höhle fort. Die Tamblyn-Brüder hatten Rlinda und BeBob gegen ihren Willen auf Plumas festgehalten, aber Rlinda hätte ihnen geholfen, wenn sie dazu imstande gewesen wäre. Andererseits: Diesen Schlamassel hatten die Roamer selbst ve rsacht; Rl
ru
inda und BeBob hatten nichts damit zu tun.
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Weit oben sah sie Licht am Ende des Schachtes. Keuchend griff sie nach der nächsten Sprosse, dann erneut nach der nächsten, und so weiter. Ihre Muskeln schmerzten, und die Lungen schienen zu brennen. Sie wusste nicht mehr, wann sie sich das letzte Mal so angestrengt hatte. BeBob kletterte unter ihr.
Nach einer Weile kam dumpfes Pochen von unten. Rlinda begriff, dass die Nematoden durch die Decke der Liftkabine gestoßen waren; sofort krochen sie aufs Dach. Der klebrige Schleim gab ihnen Halt an den glatten Wänden des Schachtes. Rasch kletterten sie nach oben, bewegten sich dabei wie Raupen.
Rlinda verharrte kurz, sah nach unten und stellte fest, dass die Nematoden zu ihnen aufholten. »Du brauchst nicht hinzusehen, Rlinda!«, rief BeBob.
»Wenn du einen Schrei von mir und dann ein knirschendes Geräusch hörst, so kannst du sicher sein, dass du gleich dran bist.«
Rlinda setzte den Aufstieg fort, kletterte in Richtung Oberfläche und Freiheit. Der von den Roamern stammende Schutzanzug enthielt viele nützliche Werkzeuge, aber wenn sie das Ende des Schachtes erreichte, brauchte Rlinda Zeit, um die Luftschleuse zu öffnen. Zweifel regten sich in ihr. Vielleicht verfügte die Schleuse über ein Sicherheitssystem, das ihre Öffnung verhinderte, solange sich der Lift nicht genau an der richten Position befand. Sie wollte nicht darüber nachdenken und konzentrierte sich aufs Klettern, aber schon bald kehrten ihre Gedanken zur Schleuse zurück, und sie überlegte, wie sie die Kontrollen überlisten konnte.
Bestimmt gab es einen für Notfälle bestimmten Öffnungsmechanismus.
Rlinda erreichte das Ende des Schachtes so plötzlich, dass es sie überraschte, keine weiteren Sprossen zu finden. Die Innentür der Schleuse war geschlossen, wie sie befürchtet hatte, und bei der Kontrolltafel handelte es sich nicht um
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