einde sind?«
»Wir kennen unsere Feinde.«
Im Anschluss an seine unheilvollen Worte drehte sich der Klikiss‐Roboter um und verließ die Zelle mit den gefangenen Menschen.
14 PATRICK FITZPATRICK III.
Patrick Fitzpatrick saß auf der offenen Terrasse der Colorado‐Villa seiner Großmutter und beobachtete die Berge. Er hatte den ambientalen Schirm deaktiviert, um die frische Luft zu spüren. Die Kälte war das geringste ner Probleme. Schnee lag
sei
auf den hohen Gipfeln, und der Himmel zeigte
strahlendes Blau ‐ dies war ganz anders als die klaustropho 46
bischen Habitate, in denen die Roamer ihre TVF‐Gefangenen festgehalte n
hatten.
Wenn sie jetzt noch in den Werften von Osquivel gewesen wären, hätten Patrick und seine TVF‐Gefährten bei der Erzverarbeitung und dem Bau von Raumschiffen geholfen. Er fragte sich, wo Zhett Kellum war und was sie machte.
Seit drei Tagen war er zu Hause, als Kriegsheld, für den es nichts anderes zu tun gab, als gelegentlich in der Öffentlichkeit zu erscheinen, zu lächeln und zu winken. Einige der anderen Überlebenden waren zu regelrechten Medienlieblingen geworden, insbesondere die muntere Shelia Andez, die keinen Hehl aus ihrem Groll auf die Roamer machte. Das passte gut zur Position der Hanse, und deshalb bekam Shelia so viele Auftritte, wie sie wollte.
Die Öffentlichkeit klagte darüber, dass der Kellum‐Clan die überlebenden TVF‐Soldaten nicht sofort nach ihrer Rettung zurückgeschickt hatte. Aber die Öffentlichkeit wusste überhaupt nicht, wovon sie sprach, und die Hanse sorgte dafür, dass es dabei blieb. Patrick fand das widerlich, aber er wusst : e
Noch vor einem Jahr hätte er der Propaganda geglaubt.
Seine Großmutter trat auf die Terrasse. Zwar kehrte er ihr den Rücken zu, aber er fühlte ihre Präsenz und stellte sich vor, wie sie missbilligend die Stirn runzelte. Die frühere Vorsitzende der Hanse hatte sich sein ganzes Leben um ihn gekümmert, während seine Eltern auf harmlosen diploma‐
tischen Missionen unterwegs ware
er Sinn darin be
n, deren einzig
standen
hatte, sie von wichtigen Dingen fernzuhalten.
Fitzpatrick reagierte nicht auf seine Großmutter.
»Sitzt du schon wieder allein in der Kälte? Ein weiterer vergeudeter Tag?«
einf
Als
lussreiche Politikerin verschwendete Maureen nie ihre Zeit. Sie war immer bestrebt, jede einzelne Minute so gut wie möglich zu nutz n.
e
46
»Stört es dich, dass es Dinge gibt, über die ich nachdenken muss, Großmutter? Wäre es dir lieber, wenn ich mich irgendeiner politisch korrekten Freiwilligenorganisation anschlösse?« Er beobachtete, wie sein Atem in der Kälte kondensierte. Das erinnerte ihn an die entweichende Luft, als von Kiro Yamane umprogrammierte Soldaten‐Kompis verrückt gespielt und die Habitate und Produktionsanlagen der Roamer beschädigt hatten ‐
ein außer Kontrolle geratenes Ablenkungsmanöver, das Patrick und den anderen zur Flucht verholten hatte.
»Du scheinst deinen Urlaub nicht zu genießen, Patrick. Ich habe meine Beziehungen spielen lassen, um dir reichlich Zeit und die Aufmerksamkeit der Medien zu geben. Die anderen Überlebenden finden großen Gefallen an ihrer Freiheit, besuchen Partys, feiern und reisen. Warum besuc t du nicht hs
einige deiner Freunde, die mit dir zurückkehrten?«
»Es waren nicht meine Freunde, Großmutter, nur Mitgefangene.«
»Ich habe sie morgen zu deinem Empfang eingeladen, und hoffentlich bist du bei der Gelegenheit etwas geselliger. Jeden Tag sitzt du einfach nu r
r hie
und starrst auf die Berge.«
»Vielleicht ist es genau das, was ich derzeit brauche.« Patrick drehte sich noch immer nicht zu seiner Großmutter um. »Ich habe nicht um einen Empfang gebeten.«
Maureen legte ihm die Hand auf die Schulter, aber damit imitierte sie nur eine tröstende Geste, die sie bei anderen Leuten gesehen hatte. »Es ist das Beste für dich nach all dem, was du durchgemacht hast.« Sie hatte ihn aufgezogen, geformt und versucht, ihn zu einem perfekten Fitzpatrick‐
Erben zu machen. Aber dabei hatte sie ihm auch unabsichtlich beigebracht, ihre Manipulationen zu erkennen. Es gab nur zwei Möglichkeiten für rick: En
Pat
tweder gab er vor, sich ihr zu fügen, oder er durchkreuzte ihre Pläne.
47
Er lachte humorlos. »Viele Leute haben eine Menge durchgemacht.«
Schließlich sah er seine Großmutter an und wurde sofort an ihren Spitznamen erinnert. Mit ihrem strengen Gesicht, der langen geraden Nase und dem spitzen Kinn wies die »Streitaxt« tatsächlich gewisse Ä
keit
hnlich
mit dieser Waffe auf.
Als Maureen Fitzpatrick begriff, dass sie mit Charme nicht weiterkam, verschränkte sie die dünnen Arme. Sie hatte sich gut genug unter Kontrolle, um in der Kälte nicht zu zittern. »Ich bin auch gekommen, um dir sagen, dass es Neuigkeiten gibt. Die TVF hat Erkundungsschiffe nach Osquivel geschickt, noch bevor wir die Erde erreichten. Sie sollten die Unternehmungen der Roamer in den Ringen untersuchen, nützliche Dinge bergen und Informationen sammeln.«
»Und sie haben nichts gefunden, oder?«
»Es war alles verlassen. Die TVF‐Suchgruppen fanden einige Reste der Werften, aber alles war entweder von den Soldaten‐Kompis zerstört oder von den Roamern selbst ruiniert. Typisch. Wenn man ihre geheimen kleinen Stützpunkte entdeckt, krabbeln sie wie Kakerlaken davon.« Maureen lächelte, und dadurch wurden ihre dünnen Lippen völlig farblos. as D
bemerkte Patrick jetzt zum ersten Mal.
»Was hast du von ihnen erwartet? Sie haben sich mit dem kleinen Hydroger‐Schiff die Freiheit erkauft ‐ so lautete die Vereinbarung ‐, aber sie wussten auch, dass sie nicht sicher waren. Warum lässt die Hanse sie nicht einfach in Ruhe?«
Maureen schnalzte mit der Zunge. »Du scheinst von den Roamern geradezu besessen zu sein, Patrick! Darf ich dich daran erinnern, dass sie das kleine Kugelschiff wohl kaum freiwillig aufgegeben haben? Es befand sich schon seit einer ganzen Weile in ihrem Besitz, aber sie ließen nichts davon la
ver uten, obwohl wir es weitaus besser hätten analysieren können als ihre primitiven Techniker.«
48
Patrick blickte wieder zu den Bergen, sein Magen so kalt wie ein Gletscher.
Roamer konnten sich gut verstecken, wenn sie nicht entdeckt werden wollten. Als die erste TVF‐Flotte nach Osquivel gekommen war, um die Hydroger aufzuscheuchen, hatte es Del Kellum geschafft, seine Werften zu tarnen. Patrick fragte sich, wie er die Roamer, und insbesondere Zhett, wiederfinden sollte, wenn sie wirklich im Verborgenen bleiben wollten.
Die Zeit mit der dunkelhaarigen Schönheit hatte ihn verändert, gegen seinen Willen. Jetzt fühlte er sich bei seiner adligen Familie fast wie ein Außenseiter. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitte, Großmutter. Lass dir irgendwelche Entschuldigungen und Rechtfertigungen einfallen ‐ es ist ir m
gleich. Ich möchte den Dienst in der TVF quittieren.«
Maureen war überrascht, aber nicht enttäuscht. »Natürlich, Patrick. Die Familie hat nie eine längere militärische Laufbahn von dir erwartet. Wir könnten dich zum Manager machen, oder zu einem Botschafter, wenn dir das lieber ist.«
»Nein. Zu viele andere lassen sich zu Propagandamarionetten für eine Sache machen, von der wir wissen, dass sie falsch ist. Ich habe vor, offen zu sprechen, und bestimmt schließen sich mir einige der anderen Überlebenden an. Was die Hanse mit den Roamern macht, ist vollkommen unfair.«
Diesmal war Maureen überrascht. »Das kann doch nicht dein Ern t se s
in! Du
weißt, was die Clans getan haben, was sie sind.«
Patrick schob das Kinn in den Kragen seiner Jacke. Er war ebenso voreingenommen gewesen, als er den Dienst in der Terranischen Verteidigungsflotte begonnen hatte. Er erinnerte sich an die Rekrutin Tasia Tamblyn, daran, sie wie Dreck behandelt zu haben. Es war oft zum Streit zwischen ihnen gekommen.
48
»Ich weiß mehr als das, Großmutter. Die Roamer haben recht mit ihren Vorwürfen, was auch immer du glaubst. Die Clans haben gute Gründe d f a ür,
uns kein Ekti mehr zu liefern. Wir verdienen es nicht anders.«
Die Worte ihres Enkels schockierten Maureen. Sie starrte ihn an, schien dabei in Gedanken verschiedene Möglichkeiten durchzugehen und zu überlegen, wie sie diese Katastrophe abmildern konnte. »Dies ist lächerlich und unbesonnen, Patrick. Komm ins Haus. Ich koche uns Tee.«
»Du kochst nie selbst Tee, Großmutter. Und hör auf, mich so beschützerisch zu behandeln.«
»Du solltest keine voreiligen Sch
t
lüsse ziehen. Bes immt kennst du nic
ht alle
Gründe hinter ...«
»Ich verstehe genug.« Patrick stand auf. »Ich war dort. Ich habe alles selbst verursacht. Ich war bei General Lanyan, als wir einem Roamer‐Schiff begegneten, das Ekti geladen hatte. Wir haben es gekapert, den Treibstoff gestohlen und das Schiff vernichtet. Sein Kommandant hatte überhaupt keine Chance. Ich habe auf den Knopf gedrückt. Ich habe die Jazer abgefeuert, die das Roamer‐Schiff zerstörten.«
Zufrieden stellte er fest, dass Maureen Fitzpatrick betroffen schwieg.
»Später, als man die Trümmer fand, begriffen die Roamer, dass die TVF
dahintersteckte. Deshalb brachen sie die Handelsbeziehungen zu uns ab. So ka
s
m es zu die er ganzen Sache.«
49
15 TECHNISCHER SPEZIALIST SWENDSEN
Das kleine Kugelschiff der Hydroger übertraf Swendsens kühnste Erwartungen. »Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zum letzten Mal so aufgeregt gewesen bin. Ich glaube, ich habe seit Tagen nicht gesc f
hla en.«
»Sie brauchen Ihren Schlaf, Dr. Swendsen«, erwiderte der leitende Materialspezialist. »Müde Forscher machen Fehler.«
»Keine Sorge, Norman. Ich habe jede Menge Kaffee.« Swendsen blieb in Bewegung, als er sprach, trat zu den Mitgliedern seines Teams und überprüfte die von ihnen erzielten Fortschritte. Die Wände im Innern des fremden Schiffes bildeten verwirrende Winkel; niemand von ihnen wusste, wo bei den Hydrogern oben und unten war.
Swendsen duckte sich durch eine niedrige Luke und näherte sich zwei Männern, die vor etwas standen, das nach kristallenen Kontrollen aussah.
Oder handelte es sich vielleicht nur um Dekorationen? Die klumpenartigen Gebilde waren mit keinen erkennbaren Schaltsystemen oder dergleichen verbunden. Swendsen stützte die Hände an den Hüften ab und nickte geistesabwesend. »Drücken Sie besser nicht auf irgendeinen groß t
en ro en
Knopf. Wir wissen nicht, wie die Hydroger >Selbstzerstörung< schreiben.«
»Die Systeme sind intakt, Dr. Swendsen«, sagte einer der Männer und kratzte sich an einer buschigen Braue. »Soweit wir das feststellen können, verfügt das Schiff auch über Energie.«
Der andere Techniker, ein Mann mit krausem Haar und heller Haut, lächelte ein a
wie
usgelassenes Kind. »Ja, das stimmt! Wir können das volle Potenzial des Schiffes nutzen ‐ sobald wir das Wie geklärt haben.«
49
»Wir lösen das Rätsel, verlassen Sie sich drauf. Ich werte noch immer die vom Roamer‐Techniker stammenden Unterlagen aus. Sie enthalten viele gute Hinweise.« Swendsen hätte Kotto Okiah gern kennengelernt. Vielleicht ergab sich dazu später Gelegenheit, wenn die Schwierigkeiten mit den Roamern beseitigt waren. »Ein sehr interessanter Mann: brillant, wenn auch ein wenig desorganisiert. Er schrieb seine Beobachtungen einfach so auf, ohne sie zusammenzufassen oder Schlüsse aus ihnen zu ziehen. Trotzdem, er hat viel erreicht, wenn man bedenkt, dass er dieses Schiff ganz allein untersucht hat.«
Swendsen richtete noch einige ermutigende Worte an die beiden Techniker und setzte dann den Weg zur Mitte des Kugelschiffes fort. Wie bewegten sich Hydroger? Gingen, flogen oder flössen sie? Er trat neben eine junge Frau, deren Haar ihr bis zur Taille reichte. Sie hatte es zusammengebunden, damit es sie nicht bei der Arbeit störte. Rosamaria Nogales. Dr. Nogales.
»Liegen schon Berichte von den Biologen vor? Können sie bestätigen, dass die Reste, die wir gefunden haben, tatsächlich von einem toten Hydroger stammen?«
Er meinte eine Pfütze aus metallischem Brei, eine weiche, gallertartige, formbare Substanz, die sich von allen anderen Materialien unterschied, die Swendsen kannte. In seinen Notizen hatte Kotto Okiah vermutet, dass jene Masse die Reste eines Hydrogers waren, und Swendsen neigte zu der gleichen Annahme.
Rosamarias dunkelbraune Augen waren blutunterlaufen ‐Swendsen schien nicht der Einzige zu sein, der zu wenig Schlaf bekam. »Die einzelnen Bestandteile der Substanz sind untersucht worden, und dabei hat man festgestellt, dass sie nicht organischer Natur sind. Die Struktur ‐ es wi‐
strebt mir,
der
von >Gewebe< zu sprechen ‐ besteht aus metallischen Formen leichter Gase, die unter normalem atmo
50
sphärischem Druck eigentlich nicht in diesem Zustand bleiben sollten.«
»Wollen Sie behaupten, dass das, was wir gefunden haben, Luft ist, die irgendwie in einen flexiblen und doch kristallenen Zustand gebracht wurde?
Und dass sie aus irgendeinem Grund ihre molekulare Struktur beibehält?«
Rosamaria schüttelte den Kopf. »Das behaupten die Biochemiker, nicht ich.«
Swendsen setzte seine Runde fort. Wenn sie herausfanden, wie der Antrieb des Hydroger‐Schiffes funktionierte, ergaben sich daraus vielleicht technische Innovationen für die TVF‐Schiffe: neue Waffen, neue Verteidigungseinrichtungen. Es existierten so viele Möglichkeiten, und Swendsen wollte sie alle gleichzeitig erkunden, aber er durfte sich nicht verzetteln. Offiziell war er noch immer für die Kompi‐Produktion der Hanse zuständig, in der Fabrik nicht weit vom Palastdistrikt entfernt.
Glücklicherweise waren nur einige wenige Menschen notwendig, um die automatischen Produktionsstraßen zu überwachen. Deshalb konnte Swend‐
sen seine Zeit hier verbringen und sich dem kleinen Hydroger‐Schiff widmen.
Kurz darauf erreichte er den faszinierendsten Teil des fremden Schiffes: eine flaches, trapezförmiges Wandsegment, das einem Transportal der Klikiss ähnelte. Seltsamerweise verwendeten die Hydroger das gleiche Transportsystem wie die vor langer Zeit verschwundenen Klikiss.
Swendsen bedauerte plötzlich, nicht auf die Hilfe des Chefwissenschaftlers Howard Palawu zurückgreifen zu können. Sie hatten zusammengearbeitet und einen Klikiss‐Roboter auseinandergenommen, der sich freiwillig zur Verfügung gestellt hatte, anschließend die Resultate ihrer Untersuchungen für die Modifizierung der Kompi‐Module genutzt. Die neuen Soldaten‐
mpis wa
Ko
ren viel leistungsfähiger als die alten Modelle. Als Belohnung für die ausgezeichnete Ar
51
beit hatte der Vorsitzende Wenzeslas Palawu mit der Untersuchung der Klikiss‐Transportale beauftragt ‐ und Palawu war durch eins der alten Tore verschwunden, wie vor ihm Margaret Colicos. Seitdem hatte ihn niemand wiedergesehen.
Mit dem Transportal an Bord des kleinen Kugelschiffes befasste sich eine dunkelhäutige junge Frau namens Sofia Aladdia, die von Rheindic Co hierher versetzt worden war. Sie saß vor der kristallenen Wand und betrachtete die Symbole. »Ich habe mir Dr. Palawus Aufzeichnungen angesehen. Er kannte sich mit den Tra
rt
nspo alen besser aus als
irgendjemand von uns.«
»Wäre er mit diesem zurechtgekommen?«
Sofia zuckte mit den Schultern. »Er hätte bestimmt vermutet, dass die Hydroger die Transportal‐Technik verwenden, um von einem Gasriesen zum anderen zu reisen, von Kern zu Kern. Vielleicht müssen nur die Koordinaten definiert werden, um dieses Transportal zu verstehen.«
»Es würde erklären, warum wir bis vor kurzer Zeit keine Raumschiffe der Hydroger gesehen haben.« Wäre der Hanse klar gewesen, dass fremde intelligente Wesen im Innern von Gasriesen lebten, hätte sie nie die Klikiss‐
Fackel eingesetzt.
Wenn sie den einen oder anderen Durchbruch erzielen konnten, so half en das bestimmt dabei, auch d
ihn
ie anderen Rätsel zu lösen ‐ davon war
endsen üb
Sw
erzeugt. Die TVF wartete darauf, dass er einen Erfolg meldete.
51
16 ROSSIA
Die Kampfgruppe von Gitter 5 ‐ ein Moloch als Flaggschiff und elf Manta‐
Kreuzer ‐ patrouillierte im interstellaren Raum. Auf der Brücke der Eldorado berührte Rossia seinen Schössling und rutschte auf dem unbequemen Polymerstuhl zur Seite.
Der grüne Priester sollte noch einige weitere Stunden im Dienst bleiben, für den Fall, dass Admiral Kostas Eolus ihn für die Telkontakt‐Kommunikation brauchte. Rossia sehnte sich nach den Baumwipfeln von Theroc, trotz der dort fliegenden gefährlichen Raubtiere.
Er gehörte zu den ersten grünen Priestern, die sich bereit erklärt hatten, der TVF mit ihrer telepathischen Kommunikation zu helfen. Er hinkte wegen einer alten Beinverletzung, und seine hervorquellenden Augen erweckten den Eindruck, als hätte er den Atem zu oft angehalten. Außerdem sprach er mit sich selbst. Aber die grünen Priester in der Terranischen Verteidigungsflotte waren so selten, dass man ihm sein exzentrisches Verhalten nachsah.
Nach seinem ersten Einsatz unter dem Kommando von Admiral Willis diente Rossia jetzt unter dem ruppigen Eolus. Der Admiral von Gitter 5
hatte krauses schwarzes Haar, ein breites Kinn und tiefe Falten am Mund.
Eolus schien nie gelernt zu haben, ruhig zu sprechen. Wie ein nach Beute suchender Wyver wachte er über die Brücke, und Rossia kümm e
ert sich um
seine Aufgaben.
Als er sein Bewusstsein dem Telkontakt öffnete, erwartete ihn ein Durcheinander aus Nachrichten und Sorgen. Etwas geschah dort draußen.
Rossia spürte starke Beunruhigung bei anderen grünen Priestern, ptsächlich
hau
solchen, die wie er an Bord von TVF‐Schiffen arbeiteten. Die dringendste Mitteilung kam von Clydia an Bord von Admiral 52
Stromos Manta, der bei Qronha 3 nach den Rammschiffen suchte. Durch das Selbst des Weltwalds hörte Rossia ihre Gedanken und sah mit ihren Augen.
Als er ihre schockierenden Neuigkeiten empfing, erschi n ihm de e
r
unbequeme Polymerstuhl plötzlich nicht mehr so hart.
Clydia war Zeuge geworden, wie Soldaten‐Kompis zwei Besatzungsmitglieder auf der Brücke von Stromos Schiff ermordet hatten.
Jetzt streichelte sie ihren Schössling, um die Pflanze zu beruhigen und sich vom Weltwald leiten zu lassen. Niemand wusste, wie ernst die Situation sein mochte. Clydia verließ die Brücke und machte sich auf den Weg zu ihrem Quartier, um dort, in ihrem kleinen Refugium, das Licht zu löschen, bei ihrem Schössling zu sitzen und zu versuchen, in der Kommunika on mit ti
dem Weltwald ihren inneren Frieden wiederzufinden.
Als sie durch den Korridor eilte, hörte sie seltsame Stimmen aus dem Interkom. »Admiral, mit den Kompis stimmt was ni
Si
cht. e gehorchen nicht
mehr ...«
»Ich habe bereits angeordnet, sie zu deaktivieren!«
Ein sonderbares Geräusch folgte ‐ ein gedämpfter Schrei? ‐, dann wiederholtes Pochen, ein Scharren und ein Schuss. Schließlich wurde die Interkom‐Verbindung unterbrochen. Clydia roch Tod und Schock in der Luft. Drei uniformierte Besatzungsmitglieder eilten an ihr vorbei, offenbar voller Furcht. Sie presste sich an die Wand, um ihnen nicht im Weg zu sein.
Aus Seitengängen und offenen Luken kamen Rufe, das Klappern von Metall und das Donnern einer Explosion. Clydia zuckte zusammen, als sie das Fauchen von Schockstrahlen hörte ‐ sie konnte nicht feststellen, aus welcher Richtung es kam. Sie ging schneller, verfolgt von Echos. Der in einem Topf wachsende Schössling schien in ihren Armen immer schwerer zu werden, aber sie hielt ihn entschlossen fest. Er war ihre einzige Verbindung mit den anderen grü
53
nen Priestern und dem Weltwald. Alle würden erfahren, was hier schah...
ge
An Bord der Eldorado setzte sich Rossia ruckartig auf, blinzelte und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Admiral Eolus hatte gesehen, wie er zusammengezuckt war. »Was i l st os mit
Ihnen, grüner Priester? Hat Ihr Baum Sie gebissen?«
Rossia starrte ungläubig auf den Schössling. »Etwas Schreckliches ist geschehen. Ich glaube, Soldaten‐Kompis greif n die Be e
satzung von Manta‐
Kreuzern der TVF an.«
Eolus lachte schroff. »Das ist doch lächerlich.«
»Nein. Es ist alles andere als lächerlich. Ich...« Rossias Gedanken kehrten in den Telkontakt zurück. Erneut sah er mit Clydias Augen und beobac tet h e,
wie sie barfuß durch die Schiffskorridore lief.
Er hörte, wie Admiral Stromos Stimme aus dem Interkom kam. »Die verdammten Kompis wissen, dass wir es auf sie abgesehen haben. Alle Besatzungsmitglieder sollen sich bewaffnen. Sicherheitsabteilung, geben Sie Schocker aus, an alle. Und holen Sie die großen Kanonen hervor, ir
wenn w
welche haben.«
Eine Frau antwortete, ihre Stimme so heiser, als hätte sie in der letzten Stunde zu oft geschrien. »Admiral, die Kompis haben das Arsenal übernommen und sechs meiner Leute getötet!«
Stromo klang völlig verwirrt. »Aber Kompis dürfen sich nicht bewaffnen!«
Wie um ihn zu verhöhnen kam das Fauchen von Schockstrahlen aus den Interkom‐Lautsprechern, und die Stimme der Frau wich statischem Rauschen.
Weitere Waffen entluden sich ein Stück vor Clydia. Fünf TVF‐Soldaten kamen um die Ecke, schössen nach vorn und riefen. Ihre Uniformen waren rissen, a
zer
ls hätten sie gerade eine Prügelei mit einem automatischen Mähdrescher hinter sich. Sie feuerten mit ihren Schockern durch den Kor 53
ridor, aber die Energiestrahlen schienen nicht besonders stark zu sein ‐
vielleicht waren die Ladungen der Waffen nahezu erschöpft. »Zurück!«
Clydia hörte das rhythmische Geräusch schwerer Schritte, und dann fielen Soldaten‐Kompis über die fünf Besatzungsmitglieder her. Sie sprang in einen Seitengang und sah die geschlossene Tür eines Lifts an seinem Ende.
Sie musste ein anderes Deck erreichen! Schreie und Kampfgeräusche er‐
klangen hinter ihr, als sie loslief. Die grüne Priesterin wollte zu ihrem Quartier, sich dort einschließen und abwarten, bis der Admiral und seine Soldaten die Kompis unter Kontrolle gebracht hatten. Das war stim
be
mt nur
eine Frage der Zeit.
Der Schössling wurde mit jedem Schritt schwerer. Clydias Arme schmerzten, als sie zum Lift hastete. Sie hatte ihn noch nicht erreicht, als sich die Tür öffnete und zwei große Soldaten‐Kompis aus dem Aufzug traten. Clydia blieb stehen und sah, wie sich die glühenden optischen Sensoren auf sie richteten. Die beiden Kompis marschierten durch den Korridor, direkt auf sie zu.
Clydia wandte sich in die Richtung, aus der sie gekommen war, aber hinter ihr wurden die fünf Besatzungsmitglieder in die Enge getrieben. Eine dritte Gruppe Soldaten‐Kompis stapfte durch den Hauptgang. Im hellen Licht sah die grüne Priesterin, dass die synthetische Haut der Kompis feucht änzte.
gl
Ihre Hände waren rot.
Clydia drückte sich mit dem Rücken an die Metallwand und hob den Schössling vor die Brust. Aus drei Richtungen näherten sich Soldaten‐
Kompis. Ihre Finger tasteten über die goldenen Schuppen des Stamms, als sie im Telkontakt berichtete, was passierte. Überall im Spiralarm erfuhren die grünen Priester, was an Bord dieses Schiffes geschah.
er niemand
Ab
konnte Clydia helfen, auch Rossia nicht. Er blieb auf die Rolle des Beobachters beschränkt, wurde nur Zeuge der schr E
ecklichen reignisse.
54
Der nächste Kompi ergriff den Schössling. Clydia versuchte, ihn fortzuziehen, aber der Roboter warf ihn zu Boden. Der Topf zerbrach, und die Telkontakt‐Verbindung wurde unterbrochen.
Rossia schnappte nach Luft, und seine Hände zuckten vom Schössling zurück, als hätte er sich verbrannt. Der Strom aus telepathisch übermittelten Bildern versiegte ganz plötzlich.
Die Crewmitglieder auf der Brücke starrten ihn an. Rossia begriff, dass der Admiral mit lauter Stimme Antworten verlangt hatte. »Eine Katastrophe«, brachte er hervor. »Eine echte Katastrophe!«
Eolus schien bereit zu sein, aus dem Kommandosessel zu springen as für
. »W
eine Katastrophe? Erklären Sie!«
»Die Soldaten‐Kompis an Bord von Admiral Stromos Manta töten die menschliche Besatzung. Ich habe es durch den Telkontakt beobachtet. Ich habe den Angriff der Kompis gesehen. Sie ...« Dem grünen Priester stockte der Atem, und er musste sich zur Ruhe zwingen. Als er seine Beobachtungen zusammenfasste, empfing er im Telkontakt die Fragen und Berichte anderer grüner Priester. »Die Kompis hab
aum
en Clydias B
zerstört. Ich h e
ab den
Schmerz gefühlt.« Rossia zögerte kurz. »Ich fürchte, Clydia ist tot.«
Die Besatzungsmitglieder auf der Brücke der Eldorado wechselten verwirrte und auch besorgte Blicke. Eolus starrte den glupschäugigen grünen Priester so an, als hätte er sich einen schlechten Scherz erlaubt. Er schnaubte kurz. »Es sind Kompis,
ht
um Himmels willen. Kompis können nic
eigenständig denken.«
Rossia schenkte ihm keine Beachtung und konzentrierte sich wieder auf den Schössling. »Ich empfange Berichte von den grünen Priestern an Bord von vier anderen TVF‐Schiffen. Auch dort laufen die Soldaten‐Kompis Amok. Es geschieht überall! Eine koordinierte Rebellion.«
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Eolus ballte die Hände zu Fäusten. »Ich werde dieser Sache auf den Grund gehen.« Er wandte sich an die Kommunikationsoffizierin, und seine Stimme wurde noch lauter. »Interkom‐Durchsage, an alle Abteilungen. Es soll un‐
verzüglich Bericht erstattet werden. Hat jemand ...«
Bevor der Admiral den Satz beenden konnte, ertönten plötzlich aufgeregte Stimmen aus den Interkom‐Lautsprechern. In allen Kanälen war die Rede von Soldaten‐Kompis, die sich se
rückt s
ltsam verhielten und ver
pielten.
Rossia stöhnte leise, als er begriff, was sich anbahnte.
Eolus stand auf. »Grüner Priester! Sind Sie ganz sicher?«
Rossia nickte, und wieder zuckten seine Finger von dem Schössling zurück.
»Ja, ich bin absolut sicher. Die Soldaten‐Kompis bringen die menschlichen Besatzungsmitglieder ihrer Schiffe um, in allen Gittern. Ich glaube, die meisten grünen Priester sind bereits tot. Oh, nie zuvor habe ich so viel Blut gesehen. Überall greifen die Kompis an.«
Eolus wandte sich erneut an die Kom‐Offizierin. »Meldungen von an e d ren
Schiffen?«
»Die gleichen Berichte von allen Mantas, Admiral! Wir verlieren den Kontakt...«
»Verdammt, es muss sofort hart durchgegriffen werden! Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Rossia kannte Eolus nicht sehr gut, aber er war sicher, dass dieser Bulldozer von einem Mann keinen Kampf scheuen würde. Die Faust des Admirals kam erneut auf die Interkom‐Kontrollen hinab. »Dies ist ein Notfall, und ich erwarte von allen eine unverzügliche Reaktion. Halten Sie die Kompis auf.
Versuchen Sie nicht, die verdammten Roboter zu deaktivieren ‐ zerstören Sie sie einfach.«
Handwaffen nützten nichts im Kampf gegen die Hydroger, und deshalb gab es an Bord der Eldorado nur genug Schocker, um streitende Be
zung
sat
smitglieder zur Räson zu bringen oder eine Meuterei niederzuschlagen. Selbst wenn
55
es genug Waffen gegeben hätte ‐ Rossia wusste nicht, wie man damit umging.
Nur ein Kompi befand sich auf der Brücke des Schiffes, und als er sich seltsam zu bewegen begann, rief Eolus: »Sergeant Briggs, machen Sie von Ihrem Schocker Gebrauch!«
Der Sicherheitsoffizier handelte sofort, zog seine Waffe und schoss. Der Kompi erbebte und kippte nach vorn, die Arme ausgestreckt, als wollte er die Hände um den Hals eines Menschen schließen.
Rossia hielt den Topf seines Schösslings und versuchte, den kleinen Baum zu schützen. Die Brückencrew wechselte schockierte Blicke.
Die Kommunikationsoffizierin sah elend aus. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. »Admiral, zwei der Mantas melden sich nicht mehr! Bei der letzten Sendung habe ich Schreie und Kampfgeräusche gehört, und seitdem gibt es nur noch Statik.«
Zorn glühte in Eolus' Gesicht. »Die Kompis übernehmen unsere Schiffe!« Die beiden von der Kom‐Offizierin erwähnten Mantas schienen seine Befürchtungen bestätigen zu wollen ‐ sie änderten den Kurs und entfernten sich von der Kampfgruppe.
Der Admiral betätigte seine Kontrollen und starrte auf die Zahlenkolonnen, die ihm der Schirm zeigte. »Verdammt! Wir haben gerade die Überholung im Raumdock hinter uns, und man hat vergessen, mir die richtigen Kill‐
kodes zu geben! Dreimal verfluchte Upgrades! Funktionieren nie so, wie sie sollten.« Eolus stapfte durch die Brücke und aktivierte das Interkom. »Ab sofort gelten die Soldaten‐Kompis als Feinde. Erledigt sie, bevor sie euch erledigen. Hier habt ihr Gelegenheit, euch mit Ruhm zu bekleckern.« Dem Sicherheitsoffizier, der gerade ein Schließfach öffnete, rief er zu: »Sergeant Briggs, Sie sind für den Schutz meiner Brücke verantwortlich. Was auch immer geschieht: Lassen
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Sie nicht zu, dass die Soldaten‐Kompis diesen Moloch übernehmen.«
Briggs holte Schocker aus dem Fach, gab einen dem Admiral und verteilte die anderen an Crewmitglieder, die er für kompetent hielt. Für sich selbst wählte er eine Projektilwa
hocker sind nicht unbeding
ffe. »Sc
t ideal gegen
Soldaten‐Kom
e Robo
pis. Di
ter k nnen eine Meng
ö
e aushalten.«
»Prächtig. Irgendwelche Ideen?«
»Derzeit nicht, Sir.«
»Zahlreiche Abteilungen melden sich, Admiral!«, platzte es aus der Kommunikationsoffizierin. »Die Kompis spielen überall gleichzeitig verrückt, auf allen Decks. Sie überwältigen die Besatzung!« Jeder der rebellischen Kompis konnte leicht fünf oder sechs Menschen außer Gefecht setzen. Es gab nicht g
P
enug ersonen und Waffen an Bord, um mit einem
solchen Aufstand fertig zu werden, wenn er weiter um sich griff.
»Verluste?«, fragte Eolus.
»Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Aber ich schätze, dass unsere Verluste sehr hoch sind.«
Rossia schickte die ganze Zeit über Berichte durch den Telkontakt, damit alle anderen wussten, was an Bord der Eldorado geschah. »Nahton hat sich auf den Weg gemacht, um König Peter im Flüsterpalast Bescheid zu
.
geben
Vielleicht schickt man rechtzeitig Verstärkung.«
»Bestimmt nicht rechtzeitig für uns«, knurrte Eolus. »Mit Hilfe von außen dürfen wir nicht rechnen.«
Drei Soldaten‐Kompis liefen durch den Korridor, der zur Brücke führte ‐ sie sprangen wie Hyänen. Sergeant Briggs stand an der Zugangstür und feuerte mit seiner Projektilwaffe in den Gang. Die Geschosse bohrten sich in die herankommenden Kompis und hinterließen kleine Krater in ihrer Panzerung. Ihr Bewegungsmoment warf die Roboter zurück.
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»Mister Briggs, schließen Sie die Brückentür!«, donnerte Eolus.
»Erst erledige ich noch einige weitere Kompis, Admiral.« Sechs weitere Roboter kamen aus anderen Korridoren. Briggs schoss immer wieder und rief nach Verstärkung.
»Sehen Sie nur, Admiral!« Der Navigator deutete auf den Hauptsc
,
hirm als
zwei weitere Manta‐Kreuzer die Kampfgruppe verließen.
Eolus biss die Zähne so hart zusammen, dass sich die Kiefermuskeln deutlich abzeichneten. Er starrte in den Korridor, wo Briggs und die anderen weiterhin auf Angreifer schössen. »Die verdammten Kompis werden mein Schiff nicht bekommen!«, stieß er hervor.
17 KÖNIG PETER
Eine weitere sinnlose Zeremonie. Gekleidet in eine unbequeme majestätische Amtstracht nahm König Peter an einem Bankett teil, um bei dieser Gelegenheit einigen Geschäftsleuten des Palastdistrikts Auszeichnungen zu verleihen. Basil Wenzeslas saß am Empfangstisch und sah sehr elegant aus in seinem perfekt sitzenden Anzug. Er wirkte ruhig und gelassen, doch wenn Peter seinem Blick begegnete, bemerkte er ein kurzes Aufblitzen in den Augen des Vorsitzenden. Hatte Wenzeslas nichts Besseres zu tun? Oder ist er hier, um mich zu überwachen?
Diesmal ging es nicht darum, die Menschheit aufzufordern, im Kampf gegen die Hydroger zusammenzustehen, und der Vorsitzende hatte Peter auch nicht angewiesen, der Öffentlichkeit aufwieglerische Lügen über die Roamer zu präsentieren. Nicht an diesem Tag. Basil schien zu glauben, 57
dass sich alle seinen Anweisungen fügen würden, wenn er nur hart und unnachgiebig blieb. Doch seine unversöhnliche Haltung den Clans gegenüber war nach hinten losgegangen, und selbst seine größten Befürworter mussten zugeben, dass der durch die Zerstörung von Rendezvous errungene »Sieg« sinnlos war. Die Roamer hatten sich aus dem Staub gemacht, und die Hanse bekam noch immer kein Ekti.
Auch Peter reagierte nicht gut auf Zwang. Er hatte Wenzeslas die Stirn geboten und demonstrativ gegen die Regeln verstoßen, was Wenzeslas zum Anlass genommen hatte, ihm und Estarra nach dem Leben zu trachten.
Später hatte er als Strafe die Delfine getötet.
Peter gab Kooperationsbereitschaft vor, um seine Frau und ihr ungeborenes Kind zu schützen. Ständig beobachtete er den Vorsitzenden, der mit ruhiger Zuversicht dasaß. Wie sehr er ihn hasste. Peter musste ihm immer einen Schritt voraus bleiben, klüger und vorsichtiger sein ‐ und das war schwer, denn die Ressourcen der ganzen Hanse standen Basil Wenzeslas zur Verfügung.
In letzter Zeit hielt der Vorsitzende das königliche Paar so oft wie möglich von der Öffentlichkeit fern, obgleich die Medien den Flüsterpalast immer wieder aufforderten, die »gesegnete Schwangerschaft« der Königin zu kommentieren. Journalisten und selbst ernannte Experten fragten immer beharrlicher, warum sich König und Königin nicht öfter zeigten. Daraufhin gestattete Basil Wenzeslas dem König Aktivitäten von geringer Bedeutung, doch ohne Königin Estarra. So wie diese banale Zeremonie, ein langweiliger bürokratischer Pflichttanz, der abgesehen von den direkt Beteiligten nur wenige Leute interessierte. Offenbar glaubte Basil, dass der König hier keinen Schaden anrichten konnte.
Sieben königliche Wächter standen an den Wänden, angeblich zum Schutz des Königs ‐ aber wahrscheinlich soll
58
ten sie sicherstellen, dass er spurte. Das Oberhaupt der königlichen Wache, Captain McCammon, verharrte wie eine Statue, mit ebenso wenig Interesse an der Zeremonie wie Peter.
Der stellvertretende Vorsitzende Eldred Cain ‐ ein stiller, blasser Mann, der Peter und Estarra insgeheim geholfen hatte ‐ war nicht zugegen. Er zeigte sich noch weniger gern in der Öffentlichkeit als Basil Wenzeslas, und hier versäumte er gewiss nichts.
Mit einem hölzernen Lächeln auf den Lippen hob der König ein buntes Band, an dem eine Medaille hing. »Für die der Menschheit geleisteten Dienste und für seine unermüdliche Arbeit bei lokalen Wohlfahrtseinrichtungen verleihe ich Dr. Anselm Frick den Orden des Glorreichen Lobs.« Applaus erklang am Tisch. Der dicke Chirurg wankte nach vorn, hielt eine kurze Dankesrede und kehrte dann zu seinem Platz zurück. Bevor der König die vierte Medaille verleihen konnte, kam es zu Unruhe außerhalb des Raums, und er bemerkte, wie die Wächter aufmerksam wurden. Die Repräsentanten der Medien drehten ihre I ager m
und hofften, dass etwas Interessantes geschah.
Ein halbnackter grünhäutiger Mann versuchte, in den Bankettsaal zu gelangen. »Wer wagt es, einen grünen Priester daran zu hindern, König Peter eine wichtige Nachricht zu bringen?«, fragte Nahton. Zwar brachte er Königin Estarra oft Mitteilungen von Theroc, aber er hatte nur selten Dringendes zu vermelden. Für gewöhnlich war er ruhig und zurück ltend; ha
Peter hatte ihn noch nie so erregt gesehen.
Nach Jahren im Flüsterpalast wusste Nahton, dass der König nur eine Galionsfigur war und die wahre Macht bei Basil lag. Doch der Vorsitzende hatte dem grünen Priester gegenüber nie Respekt gezeigt und seine derholt
wie
en Bitten um Hilfe für Theroc ignoriert. Nahton kannte seine wahren Verbündeten im Palast.
58
Peter wandte sich mit scharfer Stimme an den Kommandeur der königlichen Wächter; diese Männer sollten zumindest den Eindruck erwecken, ihm zu dienen. »Captain McCammon, jener Mann ist mein offizieller grüner Priester. Lassen Sie ihn passieren, wenn er eine Nachricht für mich hat.« Er richtete einen spöttischen Blick auf den Captain und brachte ihn ganz bewusst in Verlegenheit. »Oder wollen Sie mich vor einem grünen Priester schützen?«
Die am Banketttisch sitzenden Personen lachten. Der Captain rückte seine kastanienbraune Uniformmütze zurecht und sah dann Ric
in Basils
htung.
Der Vorsitzende deutete ein Nicken an.
Nahton eilte zum Tisch, sprach mit lauter Stimme und gab den Medienvertretern die erhofften Schlagzeilen. »Es ist ein Massaker, König Peter! Viele grüne Priester an Bord von TVF‐Schiffen haben dringende Telkontakt‐Meldungen übermittelt. Die Soldaten‐Kompis in den Kampfgruppen rebellieren, greifen menschliche Besatzungsmitglieder an und übernehmen die Schiffe. Sie haben schon tausende getötet.« Er richtete einen beschwörenden Blick auf den König. »Ich habe bereits den Tod von fünf grünen Priestern miterlebt. Die Revolte findet überall statt, an Bord aller Schiffe!«
Basil erhob sich ruckartig, doch die Aufmerksamkeit der Anwesenden galt Nahton und König Peter. »Kompis töten menschliche Soldaten?«, entfuhr es Peter. »Wie können die Kompis so etwas koordiniert durchführen?
Gewöhnliche Kommunikationssignale sind nur so schnell wie das Licht und...«
»Die Revolte muss programmiert oder zeitlich abgestimmt gewesen sein.
Das Massaker ist gut geplant, Euer Majestät.«
Peter sah gewisse andere Rätsel plötzlich in einem neuen Licht. »Admiral Stromo hat keine Spur von unseren sechzig Rammschiffen finden können ‐
ihre Besatzungen be
59
standen aus Soldaten‐Kompis.« Seine Stimme klang unheilvoll.
»Gestern habe ich einen Zwischenfall mit Soldaten‐Kompis an Bord von Admiral Stromos Manta gemeldet«, sagte Nahton. »Bei einigen Kompis kam es zu Fehlfunktionen, und sie töteten zwei Mitglieder der Brückencrew. Ich habe den Vorsitzenden Wenzeslas darauf hingewiesen. Sind Sie nicht informiert worden, Euer Majestät?«
Peter drehte sich zu Basil um, der auf der anderen Seite des Raums stand.
»Ich habe nichts davon erfahren! Wer hat entschieden, mich nicht zu informieren?« Er wusste sehr wohl, dass es die Entscheidung des Vorgesetzten gewesen war. Und das wussten jetzt auch alle anderen.
»Sie hätten die Informationen bei der nächsten Besprechung erhalten«, erwiderte Basil eisig.
»Wenn dies wirklich eine Revolte der Soldaten‐Kompis ist...« Peter bedachte den Vorsitzenden mit einem finsteren Blick. »Wenn Sie ein wenig gewissenhafter gewesen wären, Vorsitzender, so hätten wir eine Warnung herausgeben können! Der erste Zwischenfall liegt mehr als einen Tag zurück! Durch den Telkontakt hätten wir die Kampfgruppen in wenigen Sekunden warnen können.«
»Ich stehe nicht mehr mit Admiral Stromos Manta in Verbindung«, sagte Nahton. »Der dortige grüne Priester ist getötet worden, und ich glaube, die meisten anderen Besatzungsmitglieder sind ebenfalls tot.« Er sah den Vorsitzenden nicht einmal an. »Jetzt werden die Crews aller TVF‐Schiffe angegriffen.«
»Und wir hätten sie auf den Angriff vorbereiten können«, betonte Peter.
Er nutzte die Gelegenheit und erhöhte die Lautstärke seines Stimmverstärkers, um alle Worte zu übertönen, die der Vorsitzende jetzt leicht sprechen wo
viel
llte. Er konnte nicht zulassen, dass Basil politisches Kapital aus dieser Sache
60
schlug oder alles zu vertuschen versuchte, so wie seine vorherige Besorgnis in Hinsicht auf die Zuverlässigkeit der Kompis. Es bereitete ihm keine Genugtuung zu erfahren, dass seine Sorgen berechtigt gewesen waren.
Peter durchbohrte Basil mit seinen Blicken, als er sagte: »Wir haben unsere Chance vor langer Zeit vertan! Alle werden sich daran erinnern, dass ich Bedenken in Bezug auf die Klikiss‐Programmierung in unseren Soldaten‐
Kompis zum Ausdruck gebracht habe. Als Vorsichtsmaßnahme wollte ich die Fabrik schließen, aber die Produktion wurde wider bessere Einsicht fortgesetzt.« Er sah den Vorsitzenden direkt an. »Das war eine schlechte, sehr unkluge Entscheidung.«
Basil näherte sich dem Podium, seine Miene ein Sturm aus Emotionen. Peter wusste, wie sehr es der Vorsitzende verabscheute, Fehler zuzugeben. Basil würde versuchen, die Katastrophe herunterzuspielen, ihre Bedeutung zu minimieren. Es war ihm gleich, ob noch mehr Menschen starben ‐
Hauptsache, die Hanse wahrte das Gesicht.
Aber Peter hatte jetzt die volle Aufmerksamkeit der Medienvertreter, und alle hörten ihm zu. Ein König musste tun, was getan werden musste.
Während eines solchen Notfalls konnte sich ihm niemand entgegenste
.
llen
Peters Wangen glühten, als er sich die vielen Soldaten‐Kompis vorstellte, die alle zur gleichen Zeit rebellierten. Er handelte spontan. »Wenn das plötzlich aggressiv gewordene Verhalten der Soldaten‐Kompis auf ihre Programmierung zurückzuführen ist, so kommen alle kürzlich hergestellten Exemplare Zeitbomben gleich, die von einem Augenblick zum anderen explodieren könnten.« Er wandte sich an die königlichen Wächter und sprach in einem befehlenden Ton. »Legen Sie sofort die Produktionsanlagen st l. Ala
il
rmieren Sie die lokalen Verteidigungsstreitkräfte und geben Sie ihnen die Anweisung, die Soldaten‐Kompis unter Kontrolle 60
zu halten, falls sie reagieren sollten. Setzen Sie die Silbermützen ein. Wir dürfen kein Risiko eingehen.«
Die königlichen Wächter zögerten, während sich Basil einen Weg durch das Durcheinander zum Podium bahnte. Peter wartete nicht. »Captain McCammon! Sie haben Ihre Befehle.« Die Medien‐Imager richteten sich auf die Wächter, die sich noch immer nicht von der Stelle rührten.
Dr. Anselm Frick stand auf und zeigte seine Medaille so, als gäbe sie ihm eine Art militärischen Rang. »Sie haben ihn gehört, Mann!«, rief ist
er. »Dies
Verrat gegen den König, jawohl! Führen Sie gefälligst seine Befehle aus!«
»Worauf warten Sie noch?«, rief jemand anders, empört vom Zögern der Wächter. Weitere Personen am Tisch verlangten unverzügliches Handel .
n
Peter sah den Kommandeur der Wache streng an. »Wenn Sie nicht sofort Ihre Pflicht erfüllen, sind Sie von ihr entbunden, Captain.«
Schließlich begriff McCammon, was auf dem Spiel stand. Er erteilte Anweisungen, und die königlichen Wächter eilten hinaus. Sie machten von ihren Kommunikatoren Gebrauch und bereiteten eine Aktion bei der großen Kompi‐Fabrik im Palastdistrikt vor.
Peter wusste, dass er weit über die Grenzen seiner Kompetenz hinausging, aber er musste Stärke zeigen. Das Volk würde ihn dafür bewundern, obgleich ihm bei dem Gedanken schauderte, auf welche Weise sich Basil na h Bewä
c
ltigung dieser Krise rächen würde. Falls sich die Krise bewältigen
.
ließ
61
18 JESS TAMBLYN
Wie ein Geschoss aus Wasser und Perlmutt raste Jess Tamblyns Schiff durch Gewitterwolken mit Wental‐Essenz. Das Meer wogte und hatte die Farbe von geschmolzenem Blei. Im sterilen Ozean dieser primordialen Welt hatte seine lange Mission begonnen, die elementaren Wasserwesen ins Leben zurückzubringen. Seine Helfer hatten den Planeten Charybdis gen nn a t, nach
dem gefährlichen Strudel, dem Odysseus begegnet war.
Hier erwartete Jess von den Wentals, ihre Schuld zurückzuzahlen.
Besorgt wiederholte er die Frage, die er im Lauf der vergangenen Tage tausendmal an Nikko gerichtet hatte. »Wie geht es Cesca?«
»Sie ist kalt und feucht. Ihre Haut sieht seltsam aus, und darunter haben sich dunkle Blutflecken gebildet. Mal ist sie bei Bewusstsein, mal nicht. Ich fürchte, es geht mit ihr zu Ende, Jess.«
»Die Wentals können ihr noch immer helfen.« Er versuchte, nicht zornig zu klingen.
Unten zeigte sich eine der wenigen Inseln dieses Planeten: Schwarze Felsen glänzten in der Gischt. Jess' Schiff verharrte über ihnen und schleuste die Aquarius aus, wie ein Insekt, das ein Ei auf die Oberfläche eines Blatts legte.
Das kleine Roamer‐Schiff ruhte nun auf dem kleinen Stück Land, lebendes Wasser an der wiederhergestellten Außenhülle. Im Innern des größeren Wental‐Schiffes hatten kleine aquatische Geschöpfe Reparaturen vorgenommen. Mit Korallenmaterial und Metallen hatten die von den Wentals geleiteten Wesen schorfartige Wucherungen geschaffen, um die Löcher in der Hülle zu schließen und den Rumpf zu verstärken. Die Aquarius war jetzt eine Mischung aus Roamer‐
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Technik und Wental‐Phantasie. Das viel größere Wental‐Schiff ging in der Nähe nieder.
Nikko sprang aus der Luke; Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Jess trug seine Kleidung aus weißen Fasern, als er durch die Hüllenmembran seines Schiffes trat. In der ozonreichen Luft fühlte er seine Kraft erneuert und spürte die große Macht, die sich gegen die Hydroger wenden würd n
e. Eine
Teil davon wollte er nutzen, um Cesca zu retten.
Jess wandte sich dem sturmgepeitschten Meer zu und fühlte die Wental‐
Essenz in der Luft. Die Wasserentitäten sprachen mit summender Stimme zu ihm. Du wünschst es dir so sehr, dass die Gefahr besteht, einen verdorbenen Wental zu schaffen. Du verstehst die Konsequenzen nicht. Sie betreffen nicht dich, auch nicht uns.
»Und wenn ich bereit bin, das Risiko einzugehen? Ihretwillen?« Jess dachte über die Worte der elementaren Wasserwesen nach. »Wie kann ein Wental verdorben sein? Ich habe einen einzelnen Wental aus dem Nebel destilliert und dir geholfen zu wachsen. Ich dachte, ihr seid alle das gleiche Wesen, eine große, an verschiedenen Orten präsente Enti‐tät.«
Wir sind eine einzelne Entität mit vielen Teilen. Und wie bei einem riesigen Körper können einige Teile infiziert sein. Erfahre dies.
Wortlose Erinnerungen und Konzepte strömten ihm entgegen, eine Flut aus Bildern. Mit Kopf und Herz verstand Jess Macht und Gefahr eines verdorbenen Wentals.
Die memorialen Bilder waren Jahrtausende alt und stammten aus der Zeit vor der Fast‐Auslöschung der Wentals. Jess sah einen ildiranischen Kommandanten ‐ er kannte den Rang nicht, vielleicht ein Septar? ‐, der auf einem fremden Planeten durch Zufall mit Wental‐Gischt in Kontakt geriet.
Der Wental war beim Kampf gegen einen lodernden Faeros‐Feuerball schwer verletzt worden. Der alte Krieg zwischen
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den Elementarentitäten hatte zahlreiche ildiranische Städte zerstört und Kontinente verwüstet. Ganze Planeten und Sonnen waren vernichtet worden. Der Septar wusste, dass sein Weiser Imperator nicht imsta e wa nd
r,
die Ildiraner zu schützen ‐ die Auslöschung des ildiranischen Volkes dr hte.
o
Der verzweifelte Septar stand in den qualmenden Ruinen einer einst prächtigen Stadt, als das Wasser des besiegten Wentals auf ihn fiel. Sein Wunsch, das ildiranische Reich zu retten, und die Schwäche des verwundeten Wasserwesens ermöglichten ihnen beiden die Verschmelzung, so wie bei Jess. Aus gutem Grund.
Im ildiranischen Septar wuchs eine von den anderen Wentals getrennte Kraft. Sein Körper konnte die Energie kaum im Zaum halten, aber er war auch nicht in der Lage, sie zu verteilen und damit den Wentals zu helfen.
Irgendwie gelang es dem Septar, zu seinem Kriegsschiff zurückzukehren, doch an Bord entlud sich die Energie in ihm und brachte auf einen Schlag die ganze Crew um. Miteinander verbunden flogen Wental und Ildiraner in die Schlacht. Die Energie war so enorm, dass das Schiff auseinanderbrach, aber die Stärke des verdorbenen Wentals hielt die einzelnen Wrackteile zusammen ‐ als eine Wolke der Zerstörung setzten sie den Flug fort.
Ein verdorbener Wental existiert nur, um Ordnung zu zerstören. Er zersetzt alles Feste, verstärkt die Entropie und macht das Universum ... flüssiger. Er ist
ein lebender Motor des Chaos.
Der Septar‐Wental griff die Faeros an, ließ aber auch ildiranische Schiffe zerbersten, vernichtete Städte und hohle Asteroiden, unterschied nicht zwischen Freund und Feind. Schließlich zog die vereinte Kraft von sechs Faeros‐Feuerbällen den verdorbenen Wental in eine Sonne, wo sich die Entität in ihre Moleküle auflöste. Die übrigen Wasserentitäten konnten nicht einmal über den Verlust trauern.
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Ein verdorbener Wental ist eine in fester Form gefangene Mutation, versuchten die Stimmen zu erklären. Aufgrund seiner besonderen Natur kann sich ein verdorbener Wental nicht vermehren und seine Energie nur in verheerenden Entladungen freisetzen. Er bleibt in sich selbst gefangen, getrennt vom Rest des WentalBewusstseins. Und deshalb hasst er uns
ebenso
sehr wie jeden anderen Feind.
»Wie oft geschieht so etwas? Nur eine schlechte Erfahrung ...«
Jess unterbrach sich, als er einen neuen Bilderstrom empfing ‐ diese Erinnerungen schienen noch älter zu sein. Er sah ein Geschöpf, das wie ein großer, aufrecht gehender Käfer wirkte, mit ledriger, graugrüner Haut ‐ die Brüterin eines Klikiss‐Schwarms, der gegen alle anderen Schwärme Krieg führte. Auf dem benachbarten Kontinent breitete sich ein neuer Stamm aus, dessen Sammler bereits ganze Heere aus Drohnen und Bauern verschlungen hatten. Wenn die Brüterin die Feinde nicht vernichtete, vor dem nächsten Schwärmen aufnahm und ihre chemischen Erinnerungen der eigenen Brut hinzufügte, so würde diese Schwarmlinie ein Ende finden.
Zu jener Zeit hatten die Wentals ihren Krieg gegen die Hydroger und Faeros gerade erst begonnen. Die Klikiss waren ein sonderbares neues Volk für die Elementenwesen, und das Wental‐Bewusstsein dachte daran, die insektoiden Geschöpfe für den Krieg zu rekrutieren. Die Brüterin hatte ihre Bedürfnisse übermittelt, und die Wentals wussten nichts von den Konsequenzen der Einwilligung. Von der Wental‐Kraft erfüllt verschlang die Brüterin ihre zehn Domaten, ohne auf ihre Lieder zu hören, öffnete dann den Rückenschild und ließ sich neue segmentierte Gliedmaßen wachsen, ohne eine Teilung und die Bildung eines neuen Schwarms. Mit der Energie es verdorb
ein
enen Wentals zerschmetterte sie die Brüterrivalin und verwandelte alle neuen Klikiss‐
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Türme in Staub. Ein Sturm der Vernichtung braute sich in ihr zusammen, und sie konnte sich ihm nicht widersetzen, verheerte den ganzen Kontinent.
Die anderen Wentals kämpften gegen den Verdorbenen und konnten kaum fassen, was für eine Monstrosität sie geschaffen hatten. Die unkontrollierten Entladungen von so viel Energie bewirkten im Planeten Risse, die bis zu seinem Kern reichten. Der verdorbene Wental wurde schließlich eliminiert, aber der Kampf verurteilte die Welt zum Untergang. Die Gravitation verlagerte sich, und große Landmassen versanken in Magmafluten. Alles Lebendige starb.
Das ist ein verdorbener Wental, Jess Tamblyn. So etwas könnte hier geschehen.
Jess verstand noch immer nicht. »Warum? Nur weil ich es mir so sehr wünsche? Cesca ist eine gute Person, das Oberhaupt der Clans. Wie könnte sie etwas so Entsetzliches schaffen?«
Wir kennen nur die Gefahr.
Jess traf eine Entscheidung. »Genug! Ihr lenkt mich mit esoterischer und bedeutungsloser Philosophie ab, während Cesca st
t
irb . Ich akzeptiere das
Risiko. Bringen Sie sie hierher, Nikko. Tragen
ca,
Sie Ces
wenn es sein muss.«
»Es wird ihr noch mehr Schmerzen bereiten, Jess ...«
Er hatte ihr so viel Leid beschert. »Sie stirbt.«
Als der junge Mann Cesca berührte, begann sie sich zu bewegen. Nikko legte sich ihren Arm um die Schulter und stützte sie auf dem Weg nach draußen.
Sie sah Jess und das Meer, klammerte sich irgendwie am Leben fest. Nikko ließ sie langsam auf die dunklen Felsen von Charybdis sinken.
Sie muss selbst zum Wasser kommen. Du kannst ihr nicht helfen.
Jess kniete neben Cesca, und es zerriss ihm fast das Herz. Wie sollte er ohne diese Frau leben? Er stand am Rand des
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Riffes, zwischen den glatten Steinen und dem rauschenden Meer, verfluchte die Wentals und ihre lächerlichen Regeln. »Ihr bringt sie um!«
Es muss ganz ihre Entscheidung sein, allein ihr Handeln.
»Cesca, wenn du mich liebst, so bitte ich dich um einen letzten Gefallen.
Trink dieses Wasser und lebe. Nimm die Wentals auf und werde wie ich.«
Nur einen Meter entfernt beruhigte sich der Ozean. Wentals manifestierten sich in den Wellen, und es ents
de
tan n Finger aus Wasser, die sich Cesca
entgegenstreckten. »Wenn nicht, stirbst du.«
»Aber dann ... bin ich wie ... du?«
Tausend Stimmen flüsterten im Wind um sie herum.
»Dein Körper wird voller Wental‐Energie sein, so wie meiner.« Jess brachte es nicht fertig, Cesca anzulügen. »Es bedeutet, dass du nie wieder andere Menschen berühren kannst, ohne ihnen zu schaden. Du wirst so isoliert sein t
wie ich. Es is schrecklich, Cesca, aber ich weiß nicht, wie ich dich sonst retten soll.«
»Kann ich... dich berühren?«, brachte Cesca mühsam hervor.
Er hatte nicht beabsichtigt, sie mit dieser verlockenden Vorstellung zu beeinflussen. »Wir wären zwei von einer Art, Cesca. Getrennt vom Rest der Menschheit.«
»Aber zusammen.« Jetzt zögerte Cesca nicht mehr. Jess wich beiseite, damit sie zum Wasser kriechen konnte. »Der Leitstern... ist klar.«
Er versuchte, sie zu ermutigen. Nur noch einige Sekunden. Ein letzter Met .
er
Er spürte die Sorge der Wentals.
Jess schloss die Augen und stellte sich Cesca so vor, wie er sie geliebt hatte.
Deutlich erinnerte er sich daran, wie sehr sie beide gewünscht hatten, endlich zusammen zu sein. Wie konnte eine solche Frau zu einer Gefahr den?
wer
Die memorialen Bilder verdorbener Wentals erschienen ihm fremd und unwirklich. Das wird mit ihr nicht geschehen.
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Cesca schöpfte eine Handvoll Wasser. Wie Quecksilber schimmernde Tropfen rannen zwischen ihren Fingern. Vorsichtig hob sie die gewölbte Hand zum Mund und trank von dem Wasser. Unmittelbar darauf schnappte sie nach Luft und erbebte.
Mit einem letzten Ruck schob sie sich nach vorn und fiel ins Wasser ‐ es war zur einen Hälfte wie eine Taufe und zur anderen wie Ertrinken. Cesca verschwand in den Fluten.
19 RLINDA KETT
Unter der Eisdecke von Plumas nahmen Rlinda und BeBob an der Bestattung von Andrew Tamblyn teil. Zusammen mit ihren Freunden bereiteten die drei überlebenden Brüder ernst und verwirrt die Zeremonie vor. Die wieder belebte Frau aus dem Eis war zwar im Wasser verschwunden, aber Rlinda glaubte nicht eine Sekunde lang, dass damit die Normalität zurückkehrte.
Vielleicht spielte Karla Tamblyn bereits mit den Geschöpfen, die sie tief unten am Grund des Meeres gefunden hatte. Rlinda wusste inzwischen, dass exotische Geschöpfe in dem Wasser lebten, zum Beispiel singende Nematoden und glühende Quallen. Während der letzten drei Tage hatte ein Schatten über der Anlage der Roamer gelegen. Die Arbeiter schie n
nen de
Atem anzuhalten und darauf zu warten, dass irgendetwas geschah.
Rlinda verfluchte die nervöse Wachsamkeit der Roamer, denn dadurch bekamen BeBob und sie keine Gelegenheit zur Flucht. Und zu versuchen, rend eines Bestattun
wäh
gsrituals zu entkommen ... So was war schlechter
Stil. Andererseits: Rlinda hatte es satt, die ganze Zeit über nur Däum 65
chen zu drehen, und außerdem war es hier unten immerzu kalt. Kein Wunder, denn immerhin befand sich dieser Ort unter einem Himmel, der aus kilometerdickem Eis bestand, und am Rand eines eiskalten Meers. An Bord der Unersättlichen Neugier hatte Rlinda reichlich Decken und Heizgeräte, doch ihr geliebtes Schiff stand auf der Oberfläche r k
diese leinen
Welt, unerreichbar für sie ...
Caleb, Wynn und Tor in Tamblyn hatten Andrews Leiche in einen schwimmenden Sarg aus gepresster Zellulose gelegt und ihn mit getrocknetem Eistang umgeben. Caleb beugte sich über das Sargboot und goss eine dickflüssige, durchsichtige Flüssigkeit auf den Leichnam und das ihn umgebende brennbare Material. Rlinda nahm den stechenden chemischen Geruch von Brenngel wahr.
Wynn und Torin standen nebeneinander und konnten ihre Tränen kaum zurückhalten. Sie stießen sich an, forderten sich gegenseitig auf, als Erster zu sprechen. Schließlich sagte Caleb mit kratzender Stimme: »Dies ist die zweite Roamer‐Bestattung für einen meiner Brüder. Andrew, und vor ihm Bram.«
»Und davor kamen wir alle hierher
a
und tr uerten um Ross«, fügte Wynn
hinzu.
»Verdammte Hydroger«, brummte Torin.
In dem Punkt sind wir uns alle einig, dachte Rlinda. Die Roamer hatten guten Grund, sauer auf die Hanse zu sein ‐das verstand Rlinda durchaus ‐, aber es gab keinen Anlass für sie, es an ihr und BeBob auszulassen.
Jeder der drei Brüder sprach einige gedenkende Worte, bevor sie Zünder ins Boot warfen und den schwimmenden Sarg aufs Meer hinausstießen.
Konvektionsströme trieben es von den Schollen fort. Die Zünder setzten das Gel in Brand, und Eistang und Zellulose gingen zusammen mit Andrews Leiche in Flammen auf. Ihr Schein spiegelte sich oben am Himmels aus Eis wider.
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Rlinda und BeBob standen in der Kälte und hielten sich an der Hand. Der Atem kondensierte vor ihren Gesichtern. BeBob weinte sogar. Vielleicht wäre die Angelegenheit Rlinda mehr zu Herzen gegangen, wenn man sie nicht gegen ihren Willen auf Plumas festgehalten hätte. Sie fühlten sich beide wie Außenseiter, die einen sehr privaten Moment erlebten.
Als sich das Boot weiter von den Schollen entfernte, züngelten die Flammen höher, und die Zellulose brach auseinander. Caleb wandte sich ab und wirkte mehr verärgert als traurig. Torin schluchzte leise. Rlinda hätte ihn gern umarmt und getröstet, beherrschte sich aber. Mitgefühl war e
ein
Sache, Realität eine ganz andere.
Die Roamer hielten den Blick gesenkt und warteten darauf, dass die Flammen ihr Werk vollendeten. Ernste, betroffene Stille herrschte.
Doch das Meer schien die neue Gabe nicht zu wollen. Das Wasser beim auseinandergefallenen Boot begann wie in einem Kessel zu blubbern und zu schäumen. Dampf stieg auf und bildete eine Säule, wie bei einem Tornado.
Das Brodeln wurde immer heftiger, und die Reste des schwimmenden Sargs verschwanden darin.
In der Mitte des Durcheinanders schob sich etwas Weißes und Spitzes, wie der Stoßzahn eines Elefanten, aus dem Meer. Ein Sockel aus Eis entstand und ragte empor. Wasser floss daran entlang und erstarrte wie Kerzenwachs.
Karla Tamblyn stand auf dem Sockel, mit glitzerndem Raureif auf der milchweißen Haut. Sie wirkte noch lebendiger als zuvor, sah aus wie eine zornige Göttin, die aus dem kalten Ozean gekommen war. Im Meer um sie herum erschienen hunderte sich hin und her windender Wesen: fleischige, a
sch rlachrote Röhren, die pulsierten und sich aufblähte wie Bl n
utsauger.
Karla hob die Hände. Ihr dunkles Haar bewegte sich, und 67
statische Elektrizität knisterte darin. Kaltes Feuer schien aus ihrem Mund zu kommen, als sie ihn öffnete und mit hohl klingender Stimme sagte: »Das Wasser fließt, wohin es will.« Karla krümmte die Finger und ballte die Hände zu Fäusten. Energie glühte unter ihrer Haut, doch die Augen blieben sonderbar leer. »Flüssigkeit hat keine Form.«
Dutzende von Tiefsee‐Nematoden näherten sich der Frau wie Fußsoldaten.
Ihre runden Mäuler steckten voller diamantharter Zähne, mit den en sie sich
durch Eis beißen konnten. Oder durch einen Menschen.
»Kann mich nicht ausbreiten. Sitze fest... bin hier drin gefangen.« Karla sah zur Eisdecke hoch, an der künstliche Sonnen schienen. »Wasser fließt, wohin es will!«, donnerte ihre Stimme.
Eine jähe Druckwelle ging von ihr aus. Unsichtbare Blitze zuckten durch die Luft und bohrten sich in die Eisdecke. Es knackte laut, und ein Regen aus Schmelzwasser begann. »Chaos und Zufälligkeit sind der natürliche Zustand. Ordnung ist anstößig.«
Die Kraft von Karlas Stimme genügte, um die Tamblyn‐Brüder und alle anderen wanken zu lassen. Große Eisbrocken lösten sich aus der Decke und fielen ins Meer. Hohe Wellen umgaben Karla, als wäre sie die Verkörperung eines Taifuns. »Wasser fließt, wohin es will.«
Der Sockel aus Eis setzte sich in Bewegung und glitt den Schollen entgegen, denen die erschrockene
auf
n Menschen standen. Karla kam näher und
ch
bra te Zerstörung mit sich.
67
20 WEISER IMPERATOR JORA'H
Ein Weiser Imperator sollte sein Volk schützen, doch mit jeder Täuschung verfluchte Jora'h seine Verpflichtungen mehr. Wie sollte selbst das Oberhaupt eines Reiches Wesen widerstehen, die Sonnen vernichten konnten? Jora'h fühlte sich so, als wäre er gerade auf eine Falltür getreten und stürze nun in eine bodenlose Tiefe. Wie konnte er widerstehen, ohne dass dem ganzen ildiranischen Volk Auslöschung drohte? Welche Wahl blieb ihm? Viele Male hatte er seinen Vater und alle Weisen Imperatoren vor ihm verdammt.
Vor drei Tagen waren die Kugelschiffe abgezogen, doch die Drohung der Hydroger hing noch immer in der Luft wie der letzte Klang eines Musikinstruments. Nie würde er den Ausdruck von Schmerz, Enttäuschung und Verachtung in Osira'hs Gesicht vergessen, als er vor dem Gesandten kapituliert hatte. Aber inzwischen wusste Jora'h, dass die Hydroger dem Selbst des Mädchens die Informationen entnehmen konnten, die sie brauchten, und unter diesen Umständen musste er Osira'h glauben lassen, dass er versagt hatte. Vielleicht versagte er letztendlich trotzdem, aber er wollte nicht, dass der Feind von all den Dingen erfuhr, die er vielleicht gegen ihn plante.
Insgeheim wusste der Weise Imperator, dass es noch eine letzte Chance gab, wenn er die Möglichkeit hatte, einen entsprechenden Versuch zu unternehmen. Wenn ihn sein Volk nicht enttäuschte. Der Gesandte hatte angekündigt, dass er bald zurückkehren würde, um die Forderungen der Hydroger zu überbringen und den Weisen Imperator zu zwingen, die Menschheit zu verraten. Bis dahin musste sich die Situation verändert haben.
h zuer
Doc
st musste er Osira'h fortschicken, damit sie und die mit ihr verbundenen Hydroger nicht merkten, was er machte.
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Jora'h rief seine Tochter in die private Kontemplationskammer. Das Mädchen stand gerade vor ihm, in eine Kraft gehüllt, die die Hydroger dazu gebracht hatte, nach Ildira zu kommen. »Du hast mich gerufen. Wenn du meine Dienste benötigst, so bin ich bereit, dir zu helfen.« Osi zu
ra'h schien
hoffen, ihren Vater unterschätzt zu haben.
Ihr Blick huschte zu dem theronischen Schössling, der auf einem Bord stand, ein Geschenk von Königin Estarra auf der Erde. Wenn Osira'h ihn ansah, fragte sich Jora'h jedes M
ob sie jene Art v
al,
on Ruf vernahm, den ihre
Mutter gehört hatte.
»Und wie würdest du mir helfen?«
»Indem ich deinen Plan unterstütze, Herr.« Es war keine Frage. Osira'h hatte selbst das Unmögliche geschafft, nicht mehr und nicht weniger erwartete sie auch von Jora'h. »Du hast mich aufgefordert, die Hydroger nach Ildira zu holen. Woraus folgt, dass du einen Plan hast. Du bist der Weise Imperator.«
»Ich habe getan, was ich tun musste, Osira'h. Ohne Beschwichtigung hätten die Hydroger unseren Planeten in Schutt und Asche gelegt und anschließend alle anderen ildiranischen Welten vernichtet.«
Indem er vorgab, auf ihre Forderungen einzugehen, gewann Jora'h Zeit für seinen verzweifelten Plan. Aber das durfte er Osira'h nicht sagen, denn die Hydroger hätten es von ihr erfahren. Ich habe Zeit gewonnen ... Doch nachdem wir über Jahrtausende hinweg experimentiert und geplant haben hatten wir nicht genug Zeit?
Der Gesichtsausdruck des Mädchens und seine fremdartigen Augen wiesen darauf hin, dass ihm die Antwort nicht genügte.
»Ich schicke dich fort, Osira'h. Du kehrst nach Dobro zurück.« Jora'h nahm Osira'hs Hände, und die Sehnsucht in seinen Zügen war nicht gespielt.
»Deine Mutter lebt. Der
68
Designierte Udru'h hat sie auf Dobro gefangen gehalten und sie sogar vor mir verborgen. Ich möchte, dass du mit Nira zusammen bist.«
Das Gesicht des Mädchens erhellte sich, und Jora'h bedauerte sehr, dass er seiner Tochter nicht mehr sagen konnte. Bestimmt gingen Osira'h viele Fragen durch den Kopf, aber sie verdrängte sie alle und freute sich einfach nur. Für den Moment schien sie ihre Verachtung angesichts seiner Feigheit den Hydrogern gegenüber vergessen zu haben. Ihr Glück überraschte J
'
ora h,
denn Osira'h hatte ihre Mutter nie kennengelernt.
Er blickte zum Schössling in seinem Alkoven und dachte an seine geliebte grüne Priesterin. Er vermisste Nira so sehr und fragte sich, warum Udru'h so lange brauchte, sie zu ihm zu bringen. Jetzt musste sie auf Dobro bleiben, bis das Reich wieder sicher war. Was würde sie denken, wenn Osira'h von seiner Bereitschaft erzählte, die Menschheit zu verraten? Er strich über einen Blattwedel des kleinen Weltbaums.
Osira'h verbeugte sich, doch Jora'h sah, dass sie lächelte. »Wenn das dein Wunsch ist, Herr.« Derzeit wünschte er sich, das Mädchen hätte ihn Vater genannt, aber das war wohl zu viel erwartet.
21 DESIGNIERTER-IN-BEREITSCHAFT DARO'H
Der Designierte‐in‐Bereitschaft Daro'h rekrutierte neunundvierzig Ildiraner, die ihm bei der Suche nach der grünen Priesterin auf dem südlichen Kontinent helfen sollten. Udru'h drängte ihn zur Eile. Sie hatten t
nich s mehr vom Weisen Imperator und seinen Verhandlungen mit den Hydrogern ge
69
hört, aber bestimmt war die Zeit knapp. Daro'h hatte seinen Onk zuvor
el nie
so schuldbewusst und besorgt gesehen.
»Finde sie«, betonte Udru'h noch einmal. »Finde sie, bevor noch mehr Schaden angerichtet wird.«
Eine Gruppe aus Scoutschiffen flog über den Äquator hinweg zum südlichen Kontinent, zum großen Binnenmeer mit der Insel, auf dem die grüne Priesterin gelebt hatte. Aus Satellitenbildern hatte man eine detaillierte Karte des Südkontinents erstellt, mit den kleinen Quadraten eines Suchgit‐
ters. Jedes Schiff flog auf einem separaten Kurs und scannte gründlich.
Daro'h hatte nie eine vollkommen befriedigende Antwort auf die Frage bekommen, warum sein Onkel Nira so weit entfernt gefangen gehalten und den Weisen Imperator zunächst mit der Behauptung belogen hatte, sie wäre tot. Daro'h hatte Niras Grabstein am Hang und seinen Vater davor trauern gesehen. Alles Täuschung!
Udru'h hütete seine Geheimnisse gut, und Daro'h befürchtete, dass er sich ein Beispiel an ihm nehmen musste, wenn er schließlich als Desig ierter die n
Herrschaft über diesen Planeten antrat.
Alle adligen Söhne des Weisen Imperators waren dazu bestimmt, Designierte zu werden und in der Reihenfolge ihrer Geburt Welten zu regieren. Tausende von Jahren Geschichte hatten ein klares Muster dafür geschaffen, wie ihr Leben verlaufen sollte. Der erstgeborene adlige Sohn wurde immer zum Erstdesignierten, wenn der alte Weise Imperator starb.
Der Zweitgeborene wurde der Designierte für Dobro, der Drittgeborene für Hyrillka und so weiter. Daro'h hatte sich oft gefragt, warum der zweite Sohn des Weisen Imperators für eine anscheinend so unwichtige Welt wie Dobro tän
zus
dig sein sollte. Die Antwort bestand aus dem Zuchtprogramm und seiner Bedeutung für das Überleben des Reiches. So viele Geheimnisse!
70
Daro'h blickte jetzt durch das zerkratzte Seitenfenster des schnellen Fliegers. Unten endete die braune Trockenheit übergangslos an der geschwungenen Küstenlinie eines blauen Binnenmeers. Daro'h wollte seine Suchhelfer unterschiedliche Spiralen fliegen lassen, mit der Insel als Aus‐
gangspunkt ‐ sie sollten in dieser unbewohnten Landschaft nach eventuellen Spuren der grünen Priesterin Ausschau halten. Von Udru'h stammte der sonderbare Hinweis, dass die Frau vielleicht gar nicht gefunden werden wollte. Der Grund dafür blieb Daro'h ein Rätsel.
Ildiranische Obhut war ihr bestimmt lieber, als allein zu sein. Allein!
Die anderen Mitglieder der Suchgruppe benutzten Kom‐Systeme, um miteinander in Kontakt zu bleiben, als sie über der glatten Oberfläche des Binnenmeers flogen. Wenn Nira versucht hatte, in die Freiheit zu schwimmen, so war sie zweifellos ertrunken ‐ eine so lange Strecke konnte kein Schwimmer zurücklegen. Wenn das zutraf, war Daro'hs Suche von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Er erinnerte sich daran, dass sein Vater die grüne Priesterin sehr gemocht hatte, jene Frau von Theroc, die nach Mijistra gekommen war, um ihren Schösslingen aus der Saga der Sieben Sonnen vorzulesen. Damals hatte er Jora'h und Nira oft zusammen im Prismapalast gesehen. Doch dann war sie verschwunden und angeblich bei einem Brand ums Leben gekommen.
Inzwischen wusste Daro'h, dass ein komplexer Plan dahintersteckte. Als Nira nach Dobro gebracht worden war, hatte sie bereits das Kind des Erstdesignierten in sich getragen. Ging die Verschleppung auf Jora'hs Anweisungen zurück, oder hatte er nichts davon gewusst? Konnte u
Udr 'h
eine so monströse Sache vor dem Weisen Imperator verborgen habe ?
n
Der Dobro‐Designierte hatte die Notwendigkeit des Zuchtprogramms erklärt, und Daro'h begriff, dass die Terra
70
nische Hanse nie erfahren durfte, was mit ihrem Generationenschiff Burton geschehen war. Aber warum das Geheimnis sogar vor dem Weisen Imperator verbergen? Diese Sache beunruhigte Daro'h, denn er sah keine Rechtfertigung dafür.
Die vierzehn Scoutschiffe folgten ihren Gitterlinien, und die Sucher an Bord hielten aufmerksam Ausschau. Daro'h sagte zum Piloten: »Die grüne Priesterin könnte die Insel vor Monaten verlassen ha n. Zeit g be
enug, um
weit zu kommen.«
»Dann müssen wir länger suchen«, erwiderte der Pilot.
Nach einigen Stunden empfing Daro'h eine Nachricht von einem seiner Scouts. »Designierter‐in‐Bereitschaft, wir haben interessante Objekte an der Küste entdeckt. Vielleicht eine Spur.«
Das Schiff erreichte das Ende des Binnenmeers und setzte neben dem anderen Scout zur Landung an. Vier ildiranische Sucher standen bei einem Holzhaufen hoch am Strand. Im hellen Sonnenschein bemerkte Daro'h trockene Lianen, um Baumstämme gewickelt. Jeder Stamm war etwa di
auf e
gleiche Länge zurechtgeschnitten. Ein Floß!
»Damit könnte die Frau dieses Land erreicht haben.« Daro'h sah zum Wasser zurück und stellte fest, wie hoch die Reste des Floßes auf dem Ufer lagen. »Sie muss es selbst so weit hochgezogen haben.
»Aber warum?«, fragte einer der Sucher. »Auf der Insel gab es üppige Vegetation. Hier ist alles ... öde.«
Daro'h blickte übers trockene Wüstenland, das sich bis zum Horizont und über hinau
dar
s erstreckte. »Wer versteht schon eine grüne Priesterin? Aber jetzt wissen wir, dass sie es bis hierher geschafft hat. Setzt die Suche fort.«
71
22 PATRICK FITZPATRICK III.
Die ehemalige Vorsitzende Maureen Fitzpatrick fand nichts Falsches daran, eine Nachmittagsparty zu veranstalten ‐obgleich sich die Hanse im Krieg befand und zahlreiche menschliche Kolonien isoliert und hilflos waren. Sie freute sich über die Rückkehr ihres Enkels und lud all jene ein, die sie für wichtig hielt. Und sie hatte Patrick streng aufgefordert, endli n T
ch kei
rübsal
mehr zu blasen.
Mehrmals rief er sich ins Gedächtnis zurück, dass er Schlimmeres überstanden hatte.
Als er ganz offen auf seine Rolle bei der Zerstörung des Roamer‐Frachters hingewiesen hatte, war seiner Großmutter offenbar sehr unbehaglich zumute gewesen. Doch dabei ging es nicht um das, was er getan hatte, sondern um seine Schuldgefühle. »Mach dir deshalb keine Sorgen, Patrick.
Du hast nur Befehle ausgeführt. Die Hanse hat es heutzutage mit wichtigeren Dingen zu tun.«
»Mit wichtigeren Dingen? Deshalb liefern uns die Roamer kein Ekti mehr.
Deshalb sind wir in diese Situation geraten, durch die der Krieg noch schwieriger wird.«
»Ach, Patrick«, hatte Maureen in einem herablassenden Tonfall gesagt.
»Überlass die Wirren der Politik und die Komplexitäten des Handels den Fachleuten. Ich bin selbst Vorsitzende gewesen und weiß, dass d Ding ie
e
nicht so klar sind, wie sie einem idealistischen jungen Mann ersc inen.«
he
»Früher bin ich idealistisch gewesen, Großmutter. Ich glaubte, alle Antworten zu kennen. Aber inzwischen bin ich älter und weiser.«
Zwar wussten ihre Caterer und Spezialisten genau, worauf es bei einer diplomatischen Party ankam, doch Maureen kümmerte sich trotzdem um alle Details. Musik er
72
klang, und Gäste trafen ein. Es war ein sonniger Tag. Patrick hatte dem Drängen seiner Großmutter nachgegeben und trug seine schwarze Galauniform mit den scharlachroten und goldenen Tressen, obwohl er alle notwendigen Papiere bereits vorbereitet hatte ‐ er war weiterhin entschlossen, den Dienst zu quittieren.
»Auch General Lanyan kommt«, sagte Maureen. »Er hatte immer eine Schwäche für dich.«
Patrick wanderte mit einem Teller umher, auf dem ein Salat aus Krabben und exotischen Früchten lag, lächelte Leute an, die er nicht kannte, und nahm immer wieder gute Wünsche entgegen. Als ein dickbäuchiger Geschäftsmann mit blondem Schnurrbart und dunklem Haar von den »dre‐
ckigen Roamer‐Clans« sprach, erwiderte Patrick: »Jene Leuten haben uns das Leben gerettet, Sir. Die TVF hat nicht einmal versucht, bei Osquivel Überlebende zu retten. Die Roamer nahmen uns bei sich auf und behandelten unsere Verletzungen.«
»Sie hielten Sie gefangen«, stotterte der Mann.
»Das ist immer noch besser als eine Bestattung. Ich werde den Roamern immer dankbar sein.«
Patrick sah Kiro Yamane neben einer prächtig gekleideten Shelia Andez, entschuldigte sich und trat zu seinen ehemaligen Mitgefangenen. »Das Essen ist großartig«, sagte Sheila. »Habt ihr immer so gut gegessen, als du ein Kind warst?«
Er blickte auf seine Vorspeise hinab. »Nein. Manchmal wurden vo g
llständi e
Mahlzeiten serviert.«
»Und du hast das alles für TVF‐Rationen aufgegeben.« Shelia schnaubte.
»Ich habe dich immer für dumm gehalten, Fitzpatrick.«
»Und du bist zu einem Liebling der Nachrichtennetze geworden. Ich musste mir ein Taschentuch holen, um die Tränen fortzuwischen, als ich von nem >g
dei
roßen Leid< bei den Roamern hörte. Haben sie dich gefoltert, als anderen
wir
72
nicht hinsahen? Weißt du, was die TVF mit den Stützpunkten der Roamer angestellt hat? Zum Beispiel mit Rendezvous? Wenn man das berücksichtigt, sind wir recht gut behandelt worden.«
»Du klingst wie ein mitfühlender Schwachkopf.« Shelia verzog das Gesicht.
»Du warst nur in die Roamer-Brünette verknallt.«
Patrick achtete nicht auf den Kommentar und wandte sich an den distinguierten Kompi-Spezialisten. »Kiro, du hast sicher viel zu berichten, nachdem die Soldaten-Kompis in den Roamer-Werften verrückt gespielt haben.«
»Ja, das kleine Ablenkungsmanöver wurde weitaus spektakulärer als geplant. Wir können von Glück sagen, dass die TVF und deine Großmutter rechtzeitig eintrafen; andernfalls wäre die ganze Anlage zerstört worden.«
»Sie wurde zerstört, Kiro. Wir konnten sie lebend verlassen, aber wir wissen nicht, wie viele Roamer ums Leben kamen. Stört es dich nicht, dass du etwas in die Wege geleitet hast, das so großen Schaden anrichtete?«
»Wir mussten entkommen, Fitzpatrick«, warf Shelia ein. Sie runzelte die Stirn. »Die Roamer ließen uns keine andere Wahl. Denk nur daran, was mit Bill Stanna geschah. Sie haben ihn umgebracht!«
»Bill war nicht unbedingt der hellste Stern im Spiralarm. Die Roamer haben ihn nicht getötet. Er starb, weil er völlig planlos vorging.« Von Shelia kam erneut ein abfälliges Schnauben, und Patrick fuhr fort: »Jemand muss die Stimme erheben, als Gegengewicht zu deinen Sensationsgeschichten, Shelia.« Er lächelte, als er die Überraschung in ihrem Gesicht sah. »Ich habe beschlossen, mich an die Öffentlichkeit zu wenden und meine Erfahrungen bei den Roamern zu schildern. Ein großer Teil des andauernden Konflikts geht auf absichtlich falsche Interpretationen der Ereignisse zurück.« Er sah Yamane an. »Es würde mich 73
freuen, wenn du deine eigene Meinung hinzufügen würdest, Kiro. Wir können gemeinsame Interviews geben.«
Yamane wandte den Blick ab. »Tut mir leid, Patrick. Man hat mich gebeten, all das zu dokumentieren, was ich über die Soldaten‐Kompis herausgefunden habe, damit sie verbessert werden können. Das hat Vorrang.«
Shelia lachte. »Wenn du von mir erwartest, dass ich ein Loblied auf deine Roamer‐Freundin singe, so muss ich dich enttäuschen!«
Patrick fühlte, wie seine Wangen glühten. Er hatte gewusst, dass es nicht einfach sein würde. »Dann mache ich es eben allein. Meine Eltern sind Botschafter, und meine Großmutter war einmal Vorsitzender der H
..«
anse .
Plötzlich war Maureen da. »Verlass dich nicht darauf, dass dir das eine Bühne gibt, auf der du hübsche Bilder von den Feinden der Hanse malen kannst. Komm, Patrick, wir müssen uns unter die Gäste mischen.« Die alte Streitaxt zog ihn mit sich und flüsterte ihm ins Ohr: »Du brauchst dringend psychologische Beratung. In letzter Zeit scheinst du gr ße o n Gefallen daran
zu finden, gegen den Strom zu schwimmen.«
»Ich denke selbständig, Großmutter. Ist das schlecht?«
»Ja ‐ wenn du nicht richtig denkst. Hast du jemals vom Stockholm‐Syndrom gehört? Du zeigst klassische Symptome. Du bist ein Gefangener der Roamer gewesen, und jetzt bringst du Sympathie für sie zum Ausdruck! Es ist nicht normal. Ich fürchte, wir müssen dich hier behalten, fernab der Öffentlichkeit, bis du dich erholt hast.« Maureen klopfte ihrem Enkel auf die Schulter. »Ich werde keine Kosten scheuen, um meinen alten Patrick zurückzubekommen.«
Sie führte ihn zu General Lanyan. Der Mann hatte zugenommen, was man allem um die Augen her
vor
um sah, aber er war noch immer in eine Aura
Autorität gehüllt. »Ge
der
73
neral Lanyan, mein Enkel hat sich sehr darauf gefreut, Sie zu sehen!«
Patrick widersprach seiner Großmutter nicht. Es war die Mühe nicht wert.
Früher hatte es ihn mit großem Stolz erfüllt, Adjutant des Kommandeurs der Terranischen Verteidigungsflotte zu sein; es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, an irgendwelchen Anweisungen des Generals Anstoß zu nehmen.
Lanyan ergriff Patricks Hand und schüttelte sie energisch. »Commander Fitzpatrick, ich vermisse die Zeit, in der Sie mein Adjutant waren. Eigentlich sollte ich dies nicht sagen, aber ich bedauere, Ihnen das Kommando über einen eigenen Manta‐Kreuzer gegeben zu haben. Ohne die OsquiveK
Angelegenheit hätte ich Sie noch immer an meiner Seite. Ich möchte, dass Sie zu mir zurückkehren, sobald Sie wieder diensttauglich sind. D
ann
können Sie mir bei all den schwierigen Verwaltungsdingen helfen.«
»Tut mir leid, General, aber ich habe beschlossen, den TVF‐Dienst zu quittieren. Ich werde mich anderen Aufgaben widmen.«
Das verblüffte Lanyan. »Sie sind erst seit vier Tagen daheim ‐ kaum Zeit genug, um auszuruhen, geschweige denn für eine so wichtige Entscheidung.
Denken Sie noch einmal darüber nach. Wir sprechen darüber, wenn Sie bereit sind.«
Patrick wusste, dass er keine zweite Chance wie diese bekommen würde.
»Sir, erinnern Sie sich an den Roamer‐Frachter, dem wir während unseres
Patrouillenflugs begegnet sind?«
Das Gesicht des Generals blieb völlig ausdruckslos. »Nein, Mr. Fitzpatrick.
Ich fürchte, ich erinnere mich nicht daran.«
»Wirklich nicht? Wir haben den Frachter aufgebracht und seine Ekti‐
Ladung beschlagnahmt. Der Kommandant des Schiffes hieß Raven Kamarow und stammte aus einem bekannten Roamer‐Clan.« Patrick kniff Augen zu
die
sammen. »Sie gaben mir den Befehl, den Frachter zu nichten.«
ver
74
Ein Vorhang aus Eis schien vor Lanyans Gesicht zu fallen. »Nein, Mr.
Fitzpatrick. An derartige Dinge erinnere ich mich nicht. Und Sie auch nicht.«
Patrick fühlte, wie er zornig wurde. Er wollte die Stimme heben und den General vor all diesen Leuten bloßstellen, aber bevor er etwas sagen konnte, platzte ein Offizier in den Saal. »General Lanyan, Sie werden gebraucht!«
Lanyan richtete seine volle Aufmerksamkeit auf den Mann. »Was ist los?«
Der Offizier kam rasch näher und senkte die Stimme. »Es geht um die Soldaten-Kompis, Sir. Offenbar verursachen sie Probleme.« Er sah sich im Saal um und erkannte Yamane unter den Gästen. »Dr. Yamane! Wir benötigen auch Ihren Sachverstand. Ein Transporter steht bereit. Wenn ich die beiden Herren bitten darf, mich zu begleiten ...«
Als es bei den anderen Gästen zu einem Gemurmel kam, hob Maureen Fitzpatrick die Hände und sagte laut: »Die Pflicht ruft! Damit muss man rechnen, wenn man den Befehl über die Terranische Verteidigungsflotte hat. Kein Grund zur Sorge.«
Der General richtete einen letzten warnenden Blick auf Patrick, folgte dann dem Offizier und zog Yamane mit sich.
23 TECHNISCHER SPEZIALIST SWENDSEN
Ein militärischer Transporter landete vor dem abgesperrten Bereich mit dem kleinen Hydroger-Schiff, und Elitesoldaten sprangen heraus, jeder von ihnen bis an die Zähne bewaffnet. Der Anführer der Silbermützen rief nach Swendsen. Der große Schwede trat durch die Luke des Kugelschiffs 75
und blinzelte im Sonnenschein. »Ja?« Er streckte dem Soldaten so die Hand entgegen, als wäre er ein Freund, dem er bei einer Cocktailparty begegnete.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Der Soldat hatte ein breites Kinn und war sauber rasiert. Seine Haut glänzte feucht. Auf dem Namensschild stand ELMAN, K. »Sir, Sie sind an n,
gewiese
uns zur Kompi‐Fabrik zu begleiten. Dort wartet Arbeit auf Sie.«
Falten bildeten sich in Swendsens Stirn. »Bedauere, aber ich muss die hiesigen Untersuchungen fortsetzen.«
»Dr. Swendsen, Sie haben die Zugangskodes und die Informationen ir
, die w
für diese Mission brauchen. Es ist ein Notfall, Sir.«
Seit Monaten gab es keine Probleme in der Fabrik. Es waren nicht einmal außerplanmäßige Wartungsarbeiten nötig gewesen. »Was ist gesche
?«
hen
Die Silbermützen führten Swendsen zum militärischen Transporter.
»Überall in der TVF spielen Soldaten‐Kompis verrückt. König Pet r ha e
t
befohlen, die Fabrik stillzulegen, bevor noch mehr passiert.«
Der technische Spezialist versuchte noch immer, eine Antwort zu formulieren, als die Tür des Transporters zufiel.
Die riesige Produktionsanlage war die größte ihrer Art und für die Herstellung alltäglicher Kompis wie die Freundlich‐, Zuhörer‐, Analytischen und Gouvernanten‐Modelle bestimmt gewesen. Seit dem Beginn des Hydroger‐Kriegs dienten die meisten Fertigungsstraßen der Produktion von verbesserten Soldaten‐Kompis. Swendsen war so sehr auf das kleine Kugelschiff konzentriert gewesen, dass er die Fabrik seit Tagen nicht besucht hatte, doch die automatische Fertigung funktionierte re ng
ibu slos.
Darauf war er recht stolz.
»Oh, vielleicht hat sich bei den Modulen der Basisprogrammierung irg ndwo ein kleiner Fehler eing
e
eschlichen. Ich nehme ein paar Proben und
stelle fest, was schiefgegan
75
gen ist.« Swendsen lächelte die Silbermützen an, aber ihre Gesichter blieben ernst. »Ich habe gute Leute, die ich damit beauftragen kann. Ich ziehe sie vom Hydroger-Schiff ab.«
An diesem Morgen hatte sein Team wichtige Hinweise darauf gefunden, wie das Triebwerk der Hydroger funktionierte, doch er würde sich um diese neue Sache kümmern müssen, bevor er die interessante Arbeit fortsetzen konnte. In Hinsicht auf die Soldaten-Kompis war König Peter immer ein wenig paranoid gewesen.
Der schnelle Transporter landete, und sofort schwangen vier Luken auf, zwei auf beiden Seiten. Die Soldaten sprangen verblüffend schnell hinaus, und Swendsen folgte ihnen weitaus weniger agil. Drei weitere Transporter standen im Zugangsbereich außerhalb der weiten Produktionsanlage. Ein großes, kuppelförmiges Zelt diente als Kommandostand.
Die Soldaten brachten Swendsen ins Zelt und zu einem Tisch, an dem der Leiter des Einsatzes saß, ein Sergeant, auf dessen Namensschild PAXTON
stand - er starrte auf einen Grundriss der Fabrik, der auf einen flachen Datenschirm projiziert wurde. Als Swendsen näher kam, hob er den Blick.
»Sie sind vermutlich der für die Fabrik verantwortliche Zivilist. Wir brauchen Ihre Hilfe.«
»Natürlich, Mr. Sergeant, ich meine, Sergeant Paxton. Deshalb bin ich hier.«
Paxton deutete auf das Diagramm. Kreuzschraffuren kennzeichneten etwa die Hälfte des Gebäudes. »Von diesen Bereichen wissen wir nichts. Bisher ist es uns nicht gelungen, mit den dortigen Arbeitern Kontakt aufzunehmen.« Er scrollte mit dem Finger und fand unten die Zahlen, die er suchte. »Nach den Aufzeichnungen befinden sich hundert-achtundzwanzig Menschen in dem Gebäude.«
»Hm, das ist vermutlich richtig. Wir wollten, dass jemand die Fertigungsstraßen überwacht und täglich Bericht erstattet. Es gibt noch immer Vorurteile gegen vollautomatische
76
Produktion.« Swendsen lächelte und zuckte mit den Schultern.
»Der König hat uns befohlen, die Soldaten-Kompis zu neutralisieren. Ist Ihnen bekannt, was sie an Bord von TVF-Schiffen angestellt haben?«
Swendsen lachte nervös. »Ja, es ist mir zu Ohren gekommen. Aber da muss ein Irrtum vorliegen. Bestimmt sind die betreffenden Meldungen übertrieben.«
»Nach unseren Informationen kam es in allen zehn Gittern gleichzeitig zu einer Rebellion, Dr. Swendsen. Soldaten-Kompis haben zahlreiche wichtige Schiffe übernommen. Ganze Besatzungen wurden getötet, zehntausende von tapferen TVF-Soldaten.« Paxton sah Swendsen an. »Meine Gruppe und ich werden in die Fabrik vorstoßen und dafür sorgen, dass hier so etwas nicht geschehen kann.«
»Natürlich, natürlich. Das ist alles sehr beunruhigend. Ich kann Ihnen die Erlaubnis geben ...«
Paxton richtete einen spöttischen Blick auf ihn. »Wir handeln auf Befehl des Königs. Ihre Erlaubnis ist nicht notwendig; wir brauchen nur Ihre Hilfe.«
»Oh, die bekommen Sie selbstverständlich.«
Paxton deutete auf bestimmte Stellen des projizierten Gebäudeplans. »Hier und hier lagern Teile. Die internen Überwachungskameras zeigen nur Regale mit auf die Montage wartenden Komponenten. Dort findet keine Aktivität statt.«
»Korrekt. Einige Arbeiten geben wir in Auftrag. Bestimmte Teile werden in anderen Fabriken gefertigt und für den Zusammenbau hierhergeliefert.«
Der Sergeant strich mit dem Finger über das Diagramm. Zwei andere Silbermützen traten näher und stellten die Beleuchtung neu ein, damit sie keine Schatten warfen. »Dies scheinen die sichersten Bereiche zu sein.«
»Kalte Reinräume für das Modul-Imprinting«, sagte Swendsen.
77
»Wir haben die Evakuierung veranlasst; alle Arbeiter aus jenen Sektionen sind in Sicherheit.« Der Sergeant schüttelte den Kopf. »Aber von den Personen im Zentrum der Produktionsanlage haben wir nichts gehört.
Entweder werden sie als Geiseln gehalten, oder, was wahrscheinlicher ist, sie sind tot.«
»Soldaten-Kompis töten keine Menschen«, sagte Swendsen.
»Und die Erde ist flach«, brummte der Soldat Elman hinter ihm.
Paxton lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Diagramm. »Am Ende der Fabrik befindet sich der Programmierungskomplex mit zentralen Upload-Bänken für die Kompis.«
»Wenn die Soldaten-Kompis dort eintreffen, tragen sie bereits die Klikiss-Module in sich. Im Programmierungszentrum werden sie mit erweiterten Funktionssystemen ausgestattet, mit einer über die Basisinstruktionen hinausgehenden interaktiven Programmierung«, erläuterte Swendsen und lachte nervös. »In unserem Sprachgebrauch heißt es, dass die Kompis dort ihren Marschbefehl bekommen.«
In der Fabrik heulten mehrere Alarmsirenen. Paxton sah durch eine Öffnung des Zelts. Vier weitere Transporter mit Soldaten und Ausrüstungsmaterial setzten im leeren Zugangs- und Verladebereich zur Landung an. »Sagen Sie uns, womit wir es zu tun haben, Dr. Swendsen.«
»Die automatische Fertigung ist sehr effizient.« Swendsen kratzte sich an der Oberlippe. »Sie kann vierhundert Kompis pro Tag herstellen, bereit für den Einsatz an Bord von TVF-Schiffen.«
Paxton runzelte die Stirn. »Das habe ich befürchtet. Wie viele fertig gestellte pis be
Kom
fanden sich bei der letzten Zählung in den Lagern?«
»Ich bin nicht für den Lagerbestand zuständig. Deakti 77
vierte Kompis stehen in Reih und Glied, bis wir sie abtransportieren. Der Platz reicht für ziemlich viele von ihnen ...«
»Ich brauche genaue Zahlen«, beharrte Paxton.
»Mehrere tausend, denke ich. Kommt darauf an, wann die letzte Lieferung erfolgte. Wissen Sie, ich bin mit der Untersuchung des kleinen Hydroger-Schiffs beschäftigt gewesen.«
Paxton wandte sich an seine Leute. »Lasst uns in die Fabrik vorstoßen, bevor die Trojanische-Pferd-Programmierung bei den hiesigen Soldaten-Kompis ebenso aktiv wird wie bei denen an Bord der TVF-Schiffe.«
»Vielleicht sind wir schon zu spät dran«, brummte Elman.
Die Silbermützen eilten aus dem Zelt und nahmen Swendsen mit. Paxton setzte das Gespräch mit ihm fort, ohne außer Atem zu geraten. »Um ganz sicher zu sein, Dr. Swendsen: Können Sie im Innern des Gebäudes Ihre Managerkodes verwenden, um die Systeme stillzulegen?«
»Ja. Es dürfte recht umständlich sein, funktionierende Kompis manuell zu deaktivieren, aber die Exemplare im Wartebereich stehen einfach nur da und sollten kein Problem darstellen.«
»Gut. Damit wäre das geklärt. Gehen wir jetzt hinein.«
Die dreißig Soldaten waren mit elektronischen Impulsprojektoren und großkalibrigen Geschosswerfern ausgestattet, deren Projektile auch die Panzerung der Soldaten-Kompis durchdringen konnten.
»Ist dies wirklich notwendig?«, fragte Swendsen. »Es sind doch nur Kompis.
Bestimmt steckt nicht mehr dahinter als ein kleiner Fehler.«
»Ein verdammt tödlicher Fehler«, brummte einer der Soldaten, ohne langsamer zu werden.
Paxton richtete einen finsteren Blick auf Swendsen. »Ja, Sir, es ist we
not
ndig.«
Die große Metalltür war verschlossen. Swendsen blieb 78
verwundert davor stehen. »Der Zugang an dieser Stelle sollte eigentlich nicht blockiert sein. Seltsam. Etwas auf der anderen Seite hindert die Tür daran, sich zu öffnen.«
»Vielleicht veranstalten die Blechburschen dort drin eine Party«, brummte Elman.
Verschlossene Türen stellten für die Soldaten kein nennenswertes Hindernis dar. Ein Sprengtrupp platzierte Schaumsprengstoff am Pfosten und jagte die Tür einfach in die Luft. Kaum war der Zugang frei, liefen die Silbermützen auch schon los, mit schussbereiten Waffen. Sie stürmten in die Fabrik, leuchteten mit Scheinwerfern und hoben ihre Geschosswerfer.
Mehrere Soldaten schützten Swendsen.
Bei seinem letzten Aufenthalt in der Fabrik hatte der technische Spezialist bemerkt, wie hell es selbst in diesem Bereich gewesen war. Jetzt brannten viele der Lampen nicht mehr; eine halbdunkle Welt der Schatten erwartete sie. Und eine große Überraschung: Der große Bereich, der für die Lagerung fertig gestellter Kompis diente, war ... leer.
Swendsen verstand es nicht. »Aber ... hier sollten tausende von deaktivierten Kompis stehen.«
»Ich schätze, sie sind nicht mehr deaktiviert«, vermutete Elman.
»Verteidigungsposition!«, rief der Sergeant seinen Leuten zu. »Die Kompis könnten irgendwo auf der Lauer liegen.«
Die Soldaten setzten den Weg fort und näherten sich den Fertigungsstraßen. Von vorn kamen rasselnde, zischende und hämmernde Geräusche.
»Offenbar werden noch immer Kompis produziert«, sagte Paxton. »Mr.
Swendsen, Sie sind dran.«
»Es heißt Dr. Swendsen. Ich bin ...«
»Derzeit könnten Sie von mir aus Ihre eigene Großmutter sein, es ist mir gleich. Bewegung!«
Vorn im Produktionsbereich fiel das Licht von Spotlam 78
pen auf drei zerfetzte menschliche Leichen, die an Ketten über den Fertigungsstraßen hingen.
»Da sind einige Ihrer Arbeiter«, kommentierte Paxton. »Glauben Sie noch immer an einen >kleinen Fehlen?«
Swendsen riss die Augen auf und sah, wie Blut von den Leichen herabtropfte. »Wie schrecklich!«
Als die Soldaten an den Fertigungsstraßen vorbeiliefen, kamen Soldaten-Kompis wie ein Ameisenheer aus Produktionsstationen, Lagern, Büros und Überwachungsbereichen.
»Oh, toll... wir haben die vermissten Blechburschen gefunden«, sagte Elman. »Sergeant, wir versuchen doch nicht, sie einzeln zu deaktivieren, oder?«
»Nein. Feuer frei.«
Als sich die Kompis näherten, feuerten die Silbermützen mit Geschosswerfern und Impulsprojektoren. Von Projektilen und elektronischen Störsignalen getroffene Soldaten-Kompis gingen zu Boden.
Einige fielen auf die Fertigungsstraßen und gerieten dort zwischen Zahnräder, woraufhin die Fließbänder anhielten.
»Swendsen!«, rief Elman. »Sagen Sie mir, welchen Ort Sie aufsuchen müssen. Meine Waffen und ich begleiten Sie.«
Swendsen schob das Entsetzen beiseite und konzentrierte sich auf ihre Mission. Er deutete mit einer zitternden Hand nach vorn. »Der Kontrollturm. Von dort aus kann ich die ganze Produktionsanlage stilllegen
... glaube ich.«
Die noch funktionierenden Fließbänder trugen halb fertige Soldaten-Kompis heran: Rümpfe mit Kopf und Armen, noch nicht mit gepanzerter Polymerhaut verkleidet. Als die Soldaten weiterhin auf die Kompis schössen, gerieten die unfertigen Roboter in Bewegung. Ihre visuellen Sensoren glühten; metallene Arme streckten sich den Silbermützen entgegen und versuchten, ihre Kehlen zu packen. Die Soldaten feuerten auf sie und zerstörten die Maschinen. Andere ließen sich von den Fließbändern e
fall n
79
und krochen wie bizarre, halb gelähmte Krabben über den Boden.
Fünf Kompis kamen unter einer niedrigen Montagebrücke zum Vorschein und ergriffen eine Soldatin an den Beinen. Sie richtete ihre Waffe nach unten und schoss, aber die Roboter waren praktisch überall und rissen sie zu Boden.
Swendsen war vor Schrecken fast paralysiert und wäre vielleicht stehen geblieben, wenn Elman ihn nicht immer wieder vorwärtsgestoßen hätte.
Als sie sich dem Kontrollturm näherten, kamen dem technischen Spezialisten plötzlich Zweifel. Selbst wenn er die Produktionsanlage still-legte - auf die bereits aktivierten Soldaten-Kompis blieb das ohne Einfluss.
Paxton sprach in sein Kragenmikrofon. »Wir brauchen Verstärkung!
Blockiert die Türen mit schweren Aggregaten, damit die verdammten Blechburschen nicht nach draußen können.«
»Und wie kehren wir nach draußen zurück?«, fragte Swendsen.
»Wir sind noch nicht einmal richtig drin.« Elman schoss auf zwei Kompis, die sich vor ihm aufrichteten.
Hundert weitere Militärroboter kamen aus anderen Sektionen der Fabrik.
Die neuen Kompis umgaben den Kontrollturm mit einer undurchdringlichen Barrikade und standen so, als forderten sie die Soldaten zum Kampf heraus.
»Dies ist wie einer der alten Zombie-Vidfilme!«, rief Elman. »Nur mit Robotern.«
Swendsen sah zu den vielen Kompis. »Da kommen wir nie durch. Wir sind nur dreißig.«
Soldaten-Kompis näherten sich von den Seiten und von hinten, während die Silbermützen ständig feuerten. Bei einem Soldaten war die Ladung des Impulsprojektors erschöpft. Der Mann warf ihn beiseite und holte eine kleinere Projektilwaffe hervor. »Die Munition wird knapp, Sergeant!«
80
»Hier auch!«
Paxton schätzte die Lage ein. »Wir schaffen es nicht bis zum Turm. Nicht dieses Mal. Wir treten jetzt besser den Rückzug an und versuchen es später noch einmal, mit größeren Waffen und mehr Leuten.«
Swendsen hatte nie bessere Nachrichten gehört.
Es kam zu reger Kommunikationsaktivität, als die Befehle weitergegeben wurden. »Sammeln! Wir verlassen die Fabrik! Eine dichte Kampflinie formen!«
Die Silbermützen zogen sich zurück und feuerten noch immer.
Ein Soldat blutete stark aus einer tiefen Oberschenkelwunde. Zwei seiner Kameraden trugen ihn und eilten voraus, während die anderen ihren Rückzug deckten. Als die Silbermützen den Zugangsbereich der Fabrik erreichten, löste Paxton eine Granate von seinem Gürtel und warf sie Richtung Fertigungssektor. Ihre Explosion verwandelte die Montageanlagen in Schrott. Swendsen wusste, dass der Schaden nicht mehr bedeutete als eine kurze Unterbrechung der Produktion. Die Kompis würden die Maschinen in kurzer Zeit reparieren.
»Ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte«, sagte er, doch die Soldaten zeigten kein Interesse an einem Gespräch. Die ersten Silbermützen hasteten mit dem Verwundeten zur Tür. Swendsen lief, so schnell ihn seine Beine trugen. Bevor er nach draußen gelangte, warf er noch einen Blick über die Schulter.
Trotz der explodierten Granate und den von Handwaffen angerichteten Schäden herrschte bei den Fertigungsstraßen noch immer summende, rasselnde und hämmernde Aktivität - die Effizienz der Produktionsanlage ging weit über Swendsens kühnste Schätzungen hinaus. Die automatische Fabrik stellte weitere Soldaten-Kompis her, und er fragte sich, wie ihre Produktion jemals gestoppt werden konnte.
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24 KONIG PETER
Nachdem Nahton den König informiert hatte, dauerte es nicht lange, bis weitere Meldungen über die Kompi-Revolte eintrafen. Die TVF versuchte zu spät, eine totale Katastrophe zu verhindern. Königliche Wächter hatten Peter von der Zeremonie der Ordensverleihung in die »Sicherheit« des Flüsterpalastes zurückgebracht. Basil hatte ihm einen finsteren Blick zugeworfen, der so viel bedeutete wie: Wir sprechen uns noch.
Auf den ausdrücklichen Befehl des Vorsitzenden hin behielten die Wächter den König die ganze Zeit über im Auge, und deshalb gab es kaum Bewegungsspielraum für ihn. Peter hatte seine Grenzen überschritten, und zweifellos erwartete ihn dafür Strafe.
Aber wie konnte Basil Einwände gegen das erheben, was er getan hatte?
Kurz nach den Anweisungen des Königs war es in der Kompi-Fabrik zu Schwierigkeiten gekommen, was genau seinen Befürchtungen entsprach.
Sie bewiesen, dass es richtig gewesen war, sofort Soldaten loszuschicken.
Doch für Geistesgegenwart hatte der Vorsitzende den König noch nie gelobt. Das Treffen richtiger Entscheidung war keine ausreichende Rechtfertigung dafür, Basil Wenzeslas zuwiderzuhandeln.
Wenn der Vorsitzende früher zugehört hätte und bereit gewesen wäre, die unheilvollen Zeichen richtig zu deuten, anstatt sie zu ignorieren, nur weil die Hinweise von Peter stammten ... Dann wäre das Militär auf diese Sache vorbereitet gewesen.
Von uniformierten königlichen Wächtern flankiert hob der König den Kopf und wusste, dass er das Richtige getan hatte. Andere sahen es ebenfalls.
Würde das genügen, um ihn, Estarra und das ungeborene Kind zu schützen? Peter
81
hoffte, die richtigen Anweisungen gegeben zu haben. Vielleicht würden sie das eine oder andere Leben retten.
Im Palast führten ihn die Wächter zum Gewächshaus des Königlichen Flügels, wo sich Königin Estarra mit ihrer älteren Schwester Sarein und dem Lehrer-Kompi OX traf. Hier waren sie von der Außenwelt abgeschirmt, ahnten nichts von der Krise.
Estarras Gesicht erhellte sich, als sie Peter sah, und für einen Moment waren alle seine Sorgen wie weggewischt. Sie lächelte und deutete auf geäderte Blätter und ungewöhnliche dekorative Rüschen an fächerförmigen Blumen. »Sieh nur die neuen Exemplare, die Sarein von Theroc mitgebracht hat. Als Kind habe ich sie oft gesehen, bei meinen Streifzügen durch den Weltwald.«
Sareins Lippen deuteten ein Lächeln an. Das spitze Kinn und die hohen Wangenknochen gaben ihr ein unschuldiges, elfenhaftes Aussehen, aber Peter wusste, dass sie auch Basils gelegentliche Geliebte war. Deshalb traute er ihr nicht. »Theroc kam der Vernichtung so nahe, dass mich unser Volk bat, Exemplare besonders bedrohter Pflanzen zur Erde zu bringen.
Außerdem setzen wir Schiffe der Hanse ein, um grüne Priester und Weltbaum-Schösslinge zu möglichst vielen Kolonien zu transportieren. Der Weltwald muss auf jeden Fall erhalten bleiben.«
Nahton hatte König Peter vom zweiten Angriff der Hydroger erzählt und auch berichtet, dass sie abgewehrt worden waren, von einem phantastischen »lebenden Kometen« und mithilfe sehr wirkungsvoller Waffen, die Roamer gebracht hatten. Der Vorsitzende Wenzeslas hatte einfach nur geschnaubt und den Schilderungen keine Beachtung geschenkt. Peter sah darin ein weiteres Zeichen für seine zunehmende Irrationalität.
Bei einer der Pflanzen zeigten sich orangefarbene Beeren zwischen grünen Blättern. Peter hob die Blätter, um die klei
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nen, harten Beeren zu berühren, doch Estarra zog seine Hand fort.
»Fauldur-Beeren sind äußerst giftig. Die ersten Siedler auf Theroc lernten schnell, sie nicht anzufassen.«
»Warum hast du eine so gefährliche Pflanze hierhergebracht?«, wandte sich Peter an Sarein. Gab es nicht schon genug Gefahren im Flüsterpalast?
»Die Fauldur hat auch ihren Nutzen«, erwiderte Sarein kühl. »Ihre Blätter sind das einzige bekannte Heilmittel für eine degenerative Blutkrankheit, und die Wurzeln gelten als große Delikatesse. Ich halte es für wichtig, diese Pflanzenspezies zu erhalten.«
Peter straffte die Gestalt. »Sie ist also sowohl nützlich als auch tödlich.« Er sah OX an, und seine Zuneigung für den Lehrer-Kompi rang mit Furcht, als er daran dachte, was in diesem Augenblick mit anderen Kompis geschah.
»So wie Kompis.« OX stand neben der Königin und betrachtete ebenfalls die neuen Pflanzen. Die stillen Wächter beobachteten den kleinen Lehrer-Kompi argwöhnisch.
Peter umarmte Estarra, achtete weder auf die Wächter noch auf Sarein. Als er sie ein wenig zu fest hielt, spürte sie, dass etwas nicht stimmte. »Was ist los?«
Er erklärte es rasch. Sarein wirkte so besorgt wie ihre Schwester, sah zu den Wächtern und schien sich zu fragen, warum der Vorsitzende sie nicht sofort verständigt hatte.
Der Anführer der königlichen Wächter trat steifbeinig vor und blieb zwischen dem König und OX stehen. »Unsere Aufgabe besteht darin, Sie zu schützen, Majestät. Die Situation ist ungewiss und gefährlich. Deshalb sollten wir Sie von dieser möglichen Bedrohung trennen.«
»Von OX?«, fragte Estarra verblüfft. »Er dient der Menschheit seit der Zeit der ersten Generationenschiffe!«
»Trotzdem, wir sollten etwas vorsichtiger sein. Das haben Sie selbst gesagt, Euer Majestät.«
Peter sah den hilfreichen Kompi an, den er für einen sei 82
ner wenigen Verbündeten und Freunde im ganzen Flüsterpalast hielt.
Konnte auch OX eine destruktive Programmierung enthalten, seit Jahrhunderten? Ausgeschlossen.
Er legte dem Lehrer-Kompi die Hand auf die feste Schulter. »Captain, es war OX, der mich auf die möglichen Fehler bei den Soldaten-Kompis und die Gefahren der Klikiss-Module hingewiesen hat.«
OX wandte sich an Peter und sprach mit der ruhigen Stimme eines geduldigen Lehrers. »Frühe Entwürfe wie derjenige, auf dem ich basiere, haben sich im Lauf der Jahrhunderte als zuverlässig erwiesen. Vor dreihundertsechs Jahren diente ich an Bord der Peary. Ich habe viele Familien unterrichtet, über Generationen hinweg. Ich könnte Geschichten darüber erzählen, wie ich mit Adar Bali'nh zur Erde zurückkehrte, um für die Ildiraner und die Kolonisten des Generationenschiffes zu sprechen. Als der Alte König Ben den ersten grünen Priester empfing, befand ich mich im Thronsaal. Ich war auch dabei, als die Erde Theroc die Unabhängigkeit gewährte. Meine Speicherbänke sind bis an die Grenzen ihrer Kapazität mit Erinnerungsdaten gefüllt. Zu Feindseligkeit Menschen gegenüber bin ich nicht imstande.«
Peter bemerkte, dass der Wächter skeptisch blieb. »Meines Wissens sind nur Soldaten-Kompis betroffen, Captain. Ich glaube, die neuen Klikiss-Programmmodule sind der Grund für die Fehlfunktionen. Meine diesbezüglichen Sorgen sind seit einem guten Jahr bekannt.« Er kniff die Augen zusammen. »Wenn Sie mir jetzt bitte gestatten würden, ungestört mit meiner Frau und ihrer Schwester zu sprechen ... Wir sind hier sicher.
Es sei denn, wir haben etwas von diesen theronischen Pflanzen zu befürchten.«
Widerstrebend wichen die Wächter zurück, bis sie außer Hörweite waren.
Pe e
t r atmete erleichtert auf.
»Ich erinnere mich an die Jahrhunderte meines Dienstes 83
und die Jahre mit Ihnen, König Peter«, sagte OX. »Ich versichere, dass ich Ihnen treu ergeben bin. Sie sind der Große König der Terranischen Hanse.
Ich bin auf Loyalität programmiert. Sie haben nichts von mir zu befürchten, und ich werde Sie auf alle Gefahren hinweisen, die ich entdecke.«
Diese ebenso einfache wie glaubwürdige Erklärung des Kompis wärmte Peter das Herz. OX erschien ihm wie ein kleiner Ritter, der seinem Lehnsherr Treue schwor. »Ich vertraue dir, OX. Es ist gut, hier im Flüsterpalast wenigstens eine Sorge weniger zu haben.« Ungeduldig drehte er sich zu den Wächtern um und hob die Stimme. »Liegen bereits Berichte über die Kompi-Fabrik vor? Haben die Silbermützen dort alles unter Kontrolle gebracht?«
»Uns haben noch keine Informationen erreicht«, antwortete der Anführer der Wächter. »Captain McCammon ist derzeit beim Vorsitzenden.« Mit echtem Respekt fügte er hinzu: »Ich glaube, wir haben noch rechtzeitig gehandelt, Majestät. Ihre rasche Entscheidung hat uns alle gerettet.«
25 GENERAL KURT LANYAN
Im Gegensatz zu »Bleib-zu-Hause«-Stromo war General Lanyan stets bereit zu handeln. Er war ein echter Soldat, kein militärischer Wichtigtuer oder, schlimmer noch, Politiker. Und eine echte Krise war nicht dazu bestimmt, aus der Ferne beobachtet zu werden. Lanyan wollte mitten drin sein, was auch immer geschah.
Als er die von Maureen Fitzpatrick veranstaltete »Party« verließ, nutzte er seine Chance. Es wurde Zeit, aktiv zu werden, nicht nur irgendwelche Schreibarbeiten zu erledigen oder Galauniformen zu tragen.
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Im nächsten TVF-Büro brachte er sich auf den neuesten Stand. Als er im pastellfarbenen Zimmer eines unwichtigen militärischen Funktionärs auf und ab ging, trafen Meldungen von grünen Priestern ein. Die Revolte der Soldaten-Kompis fand in allen zehn Kampfgittern statt.
Die Verbindung mit Admiral Stromos Manta war abgebrochen, und das galt auch für vier andere Gitter-Flaggschiffe. Die Admirale Eolus, Wu-Lin und Willis führten einen verzweifelten Kampf. In der zentralen Produktionsanlage unweit des Palastdistrikts erhoben sich die Soldaten-Kompis; ein großes Truppenaufgebot aus Silbermützen hatte das Gelände abgeriegelt. Weitere Berichte wiesen darauf hin, dass es an verschiedenen Orten auf der Erde zu Zwischenfällen durch Amok laufende Roboter gekommen war.
Lanyan starrte fassungslos auf die Berichte, doch an ihrem Inhalt änderte sich nichts. »Alles geht den verdammten Bach runter!«
Es wurde höchste Zeit, diesen Unsinn zu beenden. Er dachte daran, Patrick Fitzpatrick in den Einsatz zu schicken, obwohl der junge Mann nicht mehr ganz richtig tickte, seit er Gefangener bei den Roamern gewesen war.
Lanyan brauchte alle anständigen Männer, die er bekommen konnte, auf den wichtigen Posten - aber derzeit fehlte ihm die Zeit.
»Rufen Sie das schnellste interplanetare Schiff hierher. Pronto. Ich muss zur Marsbasis, und wenn ich dort eintreffe, will ich wahrscheinlich schon zu einem anderen Ort.«
Der Funktionär war nervös. »Das nächste Landefeld ist fünfzig Kilometer von hier entfernt, General.«
»Wer braucht denn ein Landefeld? Sie haben doch ein Dach, oder?«
Gros de
Das
r Flotte von Gitter 0 blieb bei den Wartungsdocks im e
Ast roidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Die
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Kampfgruppe saß einfach da, verwundbar, wie reifes Obst, das aufs Pflücken wartete: Mantas, Waffenplattformen der Thunderhead-Klasse und der Moloch Goliath. Und wegen des Personalmangels bestand der größte Teil der Besatzungen aus Soldaten-Kompis. Gottverdammte tickende Zeitbomben!
Lanyan fürchtete, dass selbst eine Sendung mit Lichtgeschwindigkeit die Stützpunkte im Asteroidengürtel nicht rechtzeitig erreichte. Er übermittelte den Kommandanten und Kommandeuren eine dringende Warnung und forderte sie auf, die Kompis zu isolieren und weitere Anweisungen abzuwarten.
Zu spät.
Er hatte die Marsbasis fast erreicht, als eine Antwort vom Asteroidengürtel eintraf. »General, die Kompis haben bereits ein Schiff beschädigt und acht Wartungsarbeiter getötet!«, meldete ein Verwalter der Wartungsanlagen.
»Anschließend begannen sie damit, die Gitter-O-Schiffe unter ihre Kontrolle zu bringen. Es war alles so verdammt... koordiniert!«
Wenn Lanyan ein Schreibtischoffizier gewesen wäre, hätte er vielleicht auf weitere Berichte gewartet und zusätzliche Informationen angefordert. (Bei Stromo wäre das sicher der Fall gewesen.) Doch in Zeiten wie diesen lief Zögern auf Selbstmord hinaus. »Versuchen Sie, die Roboter in Schach zu halten. Ich bin unterwegs.«
Alle guten Kampfschiffe befanden sich anderenorts im Einsatz, und deshalb musste Lanyan auf die Soldaten zurückgreifen, die er bekommen konnte: Kleebs, unerfahrene Rekruten. Ihm blieb keine Wahl.
Die jungen Soldaten in der Marsbasis hielten es für eine weitere Übung, als sie den Befehl bekamen, so schnell wie möglich die Ausbildungsschiffe aufzusuchen. Lanyan hatte den schnellen Transporter von der Erde gerade e t v
rs erlas
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sen und sich noch nicht an die niedrigere Schwerkraft gewöhnt, als er auch schon die Kleebs anschrie, die zu den Truppentransportern, gepanzerten Frachtern und voll ausgestatteten interplanetaren Kanonenbooten eilten.
Immer wieder sah der General auf sein Chronometer und dachte an die Zeit, die seit dem ersten Alarm vergangen war. Er wusste, wie schnell die militärischen Roboter sein konnten. »Dies ist ein echter Notfall, verdammt!
Viele Leute hat es bereits kalt erwischt. Ihr werdet Schadensbegrenzung betreiben. Ihr seid die verdammte Kavallerie.«
Lanyan ging an Bord des ersten Transporters und scheuchte dabei die letzten Soldaten die Rampe hoch. Kurz darauf starteten die Schiffe, stiegen zum grünen Himmel empor und flogen in die Leere zwischen den Planeten.
Der General rieb sich das stoppelige Kinn und blickte zum eingeschüchterten Piloten. »Ich möchte zu unseren Soldaten sprechen, Mr.
Carrera.«
Der Pilot aktivierte die Schiff-zu-Schiff-Kommunikation, und sofort drangen Stimmen aus den Lautsprechern, obwohl die Frequenzen eigentlich frei sein sollten. Gegenseitige Vorwürfe erklangen, Warnungen und besorgte Fragen. Lanyan griff nach dem Mikrofon, und seine Stimme brachte alle anderen sofort zum Schweigen. »Schluss mit dem Geplapper!
Ich erwarte von euch Kleebs, dass ihr mehr Disziplin zeigt.« Er wartete auf eine angemessen respektvolle Stille. »Es ist mir gleich, wie grün ihr hinter den Ohren seid - von jetzt an werdet ihr euch wie richtige TVF-Soldaten verhalten. Das ist keine freundliche Bitte, sondern ein Befehl.«
Die hastig zusammengestellte Rettungsflotte holte alles und noch mehr aus den Triebwerken heraus und erreichte den Asteroidengürtel in knapp drei Stunden. Drei Stunden. Jede Menge Zeit für die Soldaten-Kompis, großen Schaden anzurichten.
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Voraus sah Lanyan die mit Lichtern bestückten Gerüste der großen Dockanlagen. Solarkollektoren glänzten, und hier und dort wies mattes Glühen auf aktive Schmelzer hin. Der General bemerkte einige Schiffe, die sich im Bau befanden, doch von der Gitter-O-Flotte war weit und breit nichts zu sehen. Sie hätte hier sein sollen: über hundert Schiffe, unter ihnen ein Moloch! Aber sie waren alle fort.
Lanyan schaltete auf einen anderen Kanal um und versuchte, einen Kontakt mit den Docks herzustellen. »Bringen Sie mich auf den neuesten Stand, damit wir wissen, wer gerettet werden muss. Wo zum Teufel ist meine Kampfgruppe?«
Der Pilot sondierte die Dockanlagen und sammelte genug Mut, um zu sagen: »Die Schiffe müssen ziemlich abrupt aufgebrochen sein, Sir! Sehen Sie sich nur die Trümmer an, die sie zurückgelassen haben.«
Lanyan empfing ein Durcheinander aus fragmentarischen Berichten und konzentrierte sich schließlich auf eine Stimme, die ruhiger klang als der Rest. Den anderen befahl er Stille. Der Mann, mit dem Lanyan sprach, war nur ein Dockaufseher, aber er hatte einen guten Überblick in Hinsicht auf die jüngsten Ereignisse.
»Die ersten Hinweise auf Probleme bekamen wir, als Meldungen von Kämpfen an Bord der Goliath, der Manta-Kreuzer und der Waffenplattformen eintrafen. Die Soldaten-Kompis rasteten überall aus, auf allen Schiffen, zur gleichen Zeit. Sie begannen damit, Besatzungsmitglieder umzubringen.«
Die schroffe Stimme einer Frau ertönte. »Mit unseren Ar-beiter-Kompis scheint alles in Ordnung zu sein, aber ich habe sie sicherheitshalber isoliert.«
»Gute Arbeit. Wo sind meine Schiffe?«
»Vor etwa einer Stunde herrschte bei der Kampfgruppe plötzlich Funkstille, und dann feuerte die Goliath auf unsere
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Schmelzer. Hat zwei von ihnen zerstört, außerdem ein Dock. Anschließend machten sich die Schiffe auf den Weg. Rissen sich von den Verankerungen los und beschleunigten.«
Lanyan knurrte leise. »Mit welchem Kurs flogen sie fort?«
»Wir haben einen vertikalen Vektor aus der Ekliptik geortet. General... ich fürchte, an Bord der Schiffe lebt niemand mehr.«
»Soll das heißen, dass die Soldaten-Kompis meine ganze Kampfgruppe unter ihre Kontrolle gebracht haben?« »So scheint es, Sir.«
Es war schlimmer, als Lanyan gedacht hatte, aber um ein Problem zu lösen, musste man nach vorn blicken, nicht zurück. Er drehte sich um und musterte die unerfahrenen Männer und Frauen, die sich an Bord des Truppentransporters zusammendrängten. Wie groß war seine Kavallerie-Streitmacht? Sie bestand aus mehr als siebzig Schiffen und etwa fünftausend Soldaten. Nicht schlecht. Er kannte die allgemeinen Fähigkeiten dieser Männer und Frauen (Wissen aus Büchern und Simulationen) sowie ihre praktischen Erfahrungen (gleich null). Auf dem Mars waren die Rekruten im Bodenkampf ausgebildet worden. Dabei hatten sie einzelne Einsatzgruppen gebildet und gelernt, taktische Probleme zu lösen. Jetzt wurde es ernst für sie.
»Die verrückt gewordenen Soldaten-Kompis sind mit jenen Schiffen aufgebrochen. Wir brauchen die Schiffe, und deshalb folgen wir ihnen.«
Lanyan öffnete die anderen Korn-Kanäle und wiederholte seine Worte für die ganze Flotte. »Sie sind noch nicht lange unterwegs. Unsere Schiffe sind leichter, wir haben genug Treibstoff, wir sind voll bewaffnet, und mit unseren leistungsstarken Triebwerken können wir ebenso schnell - oder ar noch sc
sog
hneller - fliegen wie die großen militärischen Raumer.« Er rieb sich die Hände. »Wir holen sie ein.«
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Die Rekruten fassten Mut. Einige von ihnen schienen darauf zu brennen, gegen die verräterischen Kompis zu kämpfen. Andere schätzten ihre Chancen realistischer ein. Lanyan beobachtete, wie sich die Gesichter der jungen Soldaten veränderten. Als die Schiffe dem Kurs der von den Soldaten-Kompis entführten Kampfgruppe folgten, wandte er sich mit anfeuernden Worten an seine Streitmacht. »Wir haben den Kontakt zu den anderen Gittern verloren. Die Kompis sind dabei, unsere ganze Flotte zu übernehmen. Das können wir nicht zulassen, auf keinen Fall! Wir müssen alles daransetzen, die Schiffe zurückzubekommen! Wir kämpfen Mann gegen Roboter, wenn es sein muss. Verdammt, es sind meine Schiffe«
Lanyan sah die Unsicherheit in den Mienen der jungen Soldaten.
Entschlossenheit rang mit Sorge. Sie alle wussten, dass die Kriegsschiffe des Gitters 0 ihrer eigenen Flotte an Feuerkraft weit überlegen waren. Diese Männer und Frauen glaubten, dass sie keine Chance hatten. Und sie hatten tatsächlich keine.
Aber Lanyan kannte Geheimnisse in Hinsicht auf die TVF-Schiffe, von denen diese Kleebs nichts wussten. »Man unterschätze nie die Terranische Verteidigungsflotte. Das wäre ein großer Fehler, glaubt mir.«
26 JESS TAMBLYN
Sekunden erschienen Jess wie Stunden, als er ins Meer von Charybdis starrte. Cesca war in dem Wasser verschwunden, verschlungen von den lebenden Tiefen.
Rettet sie, flehte Jess die Wentals an. Rettet sie!
Plötzlich erschien sie wieder an der Oberfläche. Umgeben 87
von einer Gischtwolke, die wie ein Nimbus wirkte, stieg sie auf. Kleidung und Haut waren nass, und die Augen leuchteten. Die Blutflecken existierten nicht mehr. Das ebenfalls nasse dunkelbraune Haar bewegte sich so, als hätte es ein eigenes Leben. Cesca stand auf dem Wasser, ohne erneut darin zu versinken.
»Du lebst«, sagte Jess, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
Cesca trat auf die Insel, und ihr Gesicht glühte von innen heraus. »Ich bin nicht nur lebendig.« Ihre Stimme war lauter, klar. »Ich fühle mich lebendiger als jemals zuvor.«
Jess näherte sich, musterte sie und befürchtete, Hinweise auf die destruktive Kraft eines verdorbenen Wentals zu entdecken, so wie er sie in den Erinnerungsbildern gesehen hatte. Aber er sah nur Cesca - nur ihr Lächeln, ihre Befreiung von den Schmerzen. Sie war geheilt.
Er hob die Hände, blickte zum lebenden Meer von Charybdis und rief:
»Danke!« Er lachte glücklich. »Habt vielen Dank!«
Die Stimme der Wentals erklang in ihren beiden Köpfen. Wir müssen immer vorsichtig sein.
»Ja, das werden wir. Aber sie lebt, und ihr seid ein Risiko für mich eingegangen. Ich danke euch dafür, dass ihr nicht nur mein Leben gerettet habt, sondern auch das ihre.«
Nikko war zur reparierten Aquarius zurückgewichen und hatte sie beobachtet. In seinem Gesicht zeigten sich Ehrfurcht und auch Unsicherheit. Jess und Cesca trugen so viel Energie in sich, dass der junge Pilot befürchtete, es könnte sich eine kritische Masse ergeben, wenn sie zusammenkamen.
Voller Aufregung schlang Jess die Arme um Cesca und berührte sie zum ersten Mal seit langer, langer Zeit. Wie sehr er sich dies gewünscht und wie se r
h er sie vermisst hatte! Er strich ihr übers Haar. »Siehst du? Es ist alles in Ordnung.«
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Die Energie in ihr ist ohne Makel. Unser Eingreifen hat keinen verdorbenen Wental geschaffen. Sie ist Teil von ans, aber auch für immer verändert.
Jess hielt Cescas Schultern und sah ihr in die Augen. Vor langer Zeit, als sie einfach nur Mann und Frau gewesen waren, hatte eine starke Verbindung zwischen ihnen bestanden. Jetzt waren sie beide mehr als nur Menschen. Dadurch veränderte sich ihre Liebe, wurde noch stärker.
Selbst der Gedanke an die Realität konnte seine Freude nicht trüben. Er wiederholte, was Cesca bereits wusste. »Von jetzt an kann deine Berührung töten. Wir sind isoliert.«
Cesca berührte Jess an der Wange. »Wir sind nicht vollkommen isoliert, Jess. Wir sind zusammen. Und das ist mehr, als ich mir erhofft habe.«
Jess richtete einen ernsten Blick auf sie. »Ob wir es wollen oder nicht, es herrscht noch immer Krieg, und die Schlachten können groß oder klein sein. Eine Aufgabe erwartet uns.«
»Ich bin noch immer die Sprecherin der Roamer-Clans und muss sie wieder zusammenbringen. Aber ich stehe auch an deiner Seite und helfe den Wentals gegen die Hydroger.«
Nikko trat näher. »Das gilt auch für mich. Die anderen Wasserträger und ich haben die Wentals im Spiralarm verteilt, damit sie wieder stark werden und gegen die Hydroger kämpfen können. Doch durch den Kometen bei Theroc ist das Geheimnis gelüftet. Die Droger wissen jetzt, dass die Wentals zurück und für den Kampf bereit sind.« Er winkte. »Es hat also keinen Sinn, noch länger hier zu bleiben, oder? Sollten wir uns nicht auf den Weg machen?«
Jenseits der Felsen wogte das phosphoreszierende Meer. Hier und dort schienen sich Köpfe im Wasser zu formen. Jess hörte das Drängen der Wasserentitäten und wusste, was sie jetzt erwartete. Ja, der Kampf muss jetzt beginnen.
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Jess legte Cesca einen starken Arm um die Taille. »Wir müssen die Wentals aus dem ganzen Spiralarm zusammenbringen, damit sie gegen die Hydroger kämpfen können. Und die Verdani sind bereit, uns zu helfen. Ich sollte bald nach Theroc zurückkehren.«
Wir sind große Völker mit großen Unterschieden. Die Verdani sind passiv und wurzeln in ihren Weltbäumen. Sie kämpfen nur, wenn ihnen keine andere Wahl bleibt. Die Wentals sind flüssig und breiten sich weit aus, Dunst zu Dunst und Wasser zu Wasser, aber wir können nicht leicht festen Widerstand formen. Die Faeros sind entschlossen und destruktiv, aber auch launisch und wankelmütig. Einmal kämpften sie an der Seite der Hydroger und heute gegen sie.
Die Hydroger sind unbeirrbar. Sie leben in ihren Gasplaneten und vergessen nie ihre Verluste während des letzten Krieges. Zehntausend Jahre lang haben sie sich vorbereitet. Es wird nicht leicht sein, sie zu besiegen.
»Wie gehen wir vor?«, fragte Cesca.
In ihren Gedanken sahen Jess und Cesca, wie die Wentals den Kampf zu den Wolken jedes Gasriesen im verborgenen Hydroger-Reich bringen wollten. Wir nutzen unsere Kraft, wir verbünden uns, wir kämpfen. Bringt uns zu HydrogerWelten. Wir werden den Feind isolieren oder vernichten.
»Wir müssen die Wentals dorthin bringen?« Nikko blickte skeptisch zur kleinen Aquarius, nachdem Jess und Cesca alles erklärt hatten. »Wie Eimer voller Wasser, das auf die Hydroger regnen soll?«
»Wie das, was ich in den Wolken von Golgen gemacht habe, damit dort gefahrlos Ekti produziert werden konnte. Aber dies findet in einem größeren Maßstab statt.«
»Wir brauchen so viele Roamer-Tanker wie möglich, um das Wental-Wasser zu den Gasriesen zu bringen«, fügte Cesca hinzu.
Nikko ging zur Aquarius. »Ich habe Karten, auf denen die 88