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Lindell schnellte hoch. Der Wecker zeigte auf 6:03. Sie sank auf ihr Kissen zurück. Es war noch eine halbe Stunde bis zum Klingeln.
Das Laken klebte an ihren Beinen, sie schlug die Decke mit einer schnellen Bewegung zur Seite und fing sofort an zu frieren. Sie hörte, wie windig es draußen war, und fürchtete, daß es ein ungemütlicher Tag werden würde.
Sie deckte sich wieder zu, zog die Beine an. Der Traum, der sie so unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte, hing wie Nebel in ihrem Bewußtsein. Vergeblich versuchte sie ein klares Bild zu bekommen. Sie erinnerte sich nur noch, daß es in ihrem Traum um Edvard gegangen war. Er war auf der Insel gewesen, aber in einer Umgebung, die sie nicht kannte. Es hatte dort Fischerhütten gegeben und Schilf. Edvard hatte im Schilf gestanden. Sie hatte ihn gerufen, aber seine ganze Aufmerksamkeit war auf das Meer gerichtet gewesen.
Es ärgerte sie, daß sie sich nicht genauer erinnern konnte. Wonach hatte Edvard Ausschau gehalten? Sie erinnerte sich nicht einmal mehr, was sie ihm zugerufen hatte, aber es war etwas Wichtiges gewesen.
Sie blieb im Bett liegen, und die Hand bewegte sich unwillkürlich zu ihrem Bauch. Sachte strich sie darüber, so als wolle sie sich oder das Kind, das in ihr wuchs, beruhigen. Der Wecker klingelte, und sie drückte ihn mit einer schnellen Bewegung aus.
Heute würden sie bei MedForsk alles auf den Kopf stellen. Lindell war unsicher, ob dabei etwas herauskäme. Sie hatten einfach zu wenige Anhaltspunkte. Das einzige, was sie in der Hand hatten, waren ein paar vage, unbestätigte Informationen von einem Tierschützer, zu allem Überfluß auch noch aus zweiter Hand. Das Dokument, auf das Mård sich berufen hatte, war aller Wahrscheinlichkeit nach vernichtet worden. Welchen Stellenwert hatte es? Vor Gericht würde es keinen Pfifferling wert sein, soviel stand fest. Aber als Ausgangspunkt für die Vernehmung der Angestellten von Med Forsk? Sie überlegte.
Einer, der auf jeden Fall Kenntnis davon haben mußte, war Mortensen. Sie sollte sich gemeinsam mit Berglund, der ihn verhören würde, eine Taktik zurechtlegen.
Sie quälte sich aus dem Bett und stellte sich unter die Dusche. Während sie sich einseifte, überlegte sie, ob sich die Wahrnehmung des Körpers durch die Schwangerschaft veränderte. Sie hatte eine ordentliche Figur, war zufrieden mit ihren Brüsten, Hüften und Po waren nicht zu kräftig, aber sie war auch nicht dürr. Edvard hatte sie auf seine unbeholfene Art wissen lassen, wie schön er sie fand. Anfangs hatte sie Probleme damit, dies zuzulassen, aber sie war froh, ja glücklich gewesen, als ihr bewußt wurde, wie liebevoll er sie betrachtete. Mit seinen Händen und seinem Mund hatte er dafür gesorgt, daß sie sich ihrer selbst bewußt wurde.
In Edvards Gegenwart und unter seinen zärtlichen Berührungen hatte sie sich nie wie eine Frau gefühlt, die langsam in die Jahre kam. Im Gegenteil, sie war gereift und hatte begonnen, sich selbst zu entdecken und sich und ihr Aussehen, so wie es war, zu schätzen.
Die Angestellten, die ohne Vorwarnung ihre Arbeitsplätze hatten verlassen müssen, trafen frustriert im Präsidium ein. Staatsanwalt Fritzén war mit den Polizisten bei MedForsk gewesen, so etwas hatte Lindell noch nie zuvor erlebt. Er hatte zwar nicht eingegriffen, aber seine bloße Gegenwart hatte unterstrichen, welche Bedeutung er dem Einsatz zumaß.
Einige Mitarbeiter, unter anderem Jack Mortensen, hatten protestiert, aber die Polizei hatte ihre Beschwerden ignoriert. Als schließlich alle im Pausenraum des Unternehmens versammelt waren, hatten Berglund und Haver geduldig erläutert, warum sie sich gezwungen sahen, so entschieden aufzutreten.
»Es geht um Mord«, hatte Berglund mit Grabesstimme erklärt.
Einer der Wissenschaftler wollte etwas sagen, aber der Kriminalpolizist schnitt ihm sofort das Wort ab.
»Mord«, hatte er wiederholt und den Forscher damit völlig aus dem Konzept gebracht.
Jack Mortensen starrte Lindell an, als sie das Zimmer betrat, in dem er und Berglund saßen. Der Kollege hatte die Vernehmung gerade begonnen, und Lindell blieb eine Weile an der Tür stehen, ehe sie weiterging.
Im nächsten Zimmer saß Beatrice Teresia Wall gegenüber. Lindell grüßte sie mit einem Kopfnicken. Walls Bauch war seit ihrer letzten Begegnung weiter gewachsen. Die Frau schien auffallend nervös zu sein. Lindell blieb ein paar Minuten im Raum. Sie hörte sich an, wie Beatrice ihre besten Seiten hervorkehrte, um der Frau etwas von ihrer Nervosität zu nehmen.
»Ist das Ihr erstes Kind?« fragte Beatrice.
Die Frau nickte.
»Ist das nicht ganz schön anstrengend, in der Sommerhitze schwanger zu sein?«
»Ach, das ist halb so wild«, erwiderte Teresia vorsichtig, so als falle es ihr schwer, sich einen Reim auf diesen Plauderton zu machen.
»Ich selber sorge immer dafür, daß ich im Winter schwanger bin«, fuhr Beatrice fort. »Was macht Ihr Mann?«
»Er arbeitet an der Landwirtschaftlichen Fakultät in Ultuna«, sagte Teresia Wall.
»Ist er auch Wissenschaftler?«
»Er ist Veterinär.«
Lindell verließ den Raum und ging in ihr Büro.
Es klopfte, und Lindell rief »Herein«. Sie wußte, daß es Ottosson war. Alle anderen im Kommissariat traten nach einem kurzen Klopfen sofort ein. Der Kommissariatsleiter wartete hingegen stets ihre Aufforderung ab.
»Wir haben ein Fax von unserem spanischen Freund bekommen«, begann Ottosson und schwenkte ein Blatt. »Aber mein Englisch ist so schlecht, daß ich nicht viel kapiere.«
Lindell überflog das Fax. Jaime Urbano war immer noch nicht gefunden worden. Die Suche nach ihm wurde fortgesetzt, teilte Moya ihnen mit. Bei der Durchsicht der Buchhaltungsunterlagen und der Korrespondenz von UNA Medico war man dagegen auf etwas gestoßen, das Moya interessant erschien. Im Herbst 1999 war ein Wissenschaftler des Unternehmens dreimal in die Dominikanische Republik gereist. Insgesamt drei Wochen hatte er dort verbracht. Moya hatte die Daten notiert.
Ottosson zupfte an seinem Bart und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Haben diese Idioten nicht jeden Kontakt mit der Dominikanischen Republik abgestritten?« fragte er.
»Ja sicher, de Soto hat erklärt, er habe dort nur Urlaub gemacht«, erwiderte Lindell. »Wir bitten Haver, die Zeiträume zu überprüfen. Vielleicht war Cederén zur gleichen Zeit da. Ich habe doch gewußt, daß da drüben irgend etwas im Gange ist, aber was?«
»Tierversuche«, schlug Ottosson vor.
»Wahrscheinlich.«
Lindell dachte an das Dokument, von dem Adrian Mård gesprochen hatte, die Beschreibung von Versuchen und die Notiz. War es Cederén gewesen, der diese Notiz hinzugefügt und von einer Fortsetzung der Versuche abgeraten hatte?
»Julio Piñeda«, sagte sie, »der Name ist auch in Mårds Dokument aufgetaucht. Er konnte sich an den Namen erinnern, als ich ihn erwähnte. Ich gehe jede Wette ein, daß er drüben in der Karibik für die Firma tätig ist.«
»Aber wie erklärt sich dann sein Brief? Er deutete doch darauf hin, daß jemand in Not war, oder wie er sich ausgedrückt hat.«
»Piñeda könnte ein Mann sein, der nicht nur an sich denkt«, spekulierte sie. »Vielleicht hat er versucht, für sich selber oder andere Vergünstigungen zu erreichen.«
Ottosson war skeptisch. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Dann hätte er sich bestimmt anders ausgedrückt. Stell dir vor, du wärst der örtliche Vertreter eines europäischen Unternehmens, dann willst du denen doch zeigen, wer du bist, und nicht als ein Nörgler dastehen.«
Lindell schwieg. Etwas, das sie vor kurzem erst gehört hatte, lenkte sie ab. Hatten Mortensen oder Teresia Wall etwas Besonderes gesagt?
»Schon möglich«, meinte sie, »wir müssen uns jedenfalls weiter mit diesem mystischen Julio beschäftigen. Haben die Nachforschungen in der Dominikanischen Republik etwas ergeben?«
»Wir haben noch keine Antwort erhalten«, erwiderte Ottosson. »Da drüben mahlen die Mühlen anscheinend ein wenig langsamer.«
Es fiel Lindell schwer, sich vorzustellen, wie die Kollegen auf der anderen Seite des Atlantiks arbeiteten. Immer Sonne und Sommer, Horden von Touristen.
»Vielleicht halten sie den größten Teil des Tages Siesta«, fuhr Ottosson fort, führte jedoch seine Analyse der Karibik nicht weiter aus, als er Lindells nachdenkliche Miene sah. »Was meinst du, bringt unsere Drohtaktik etwas?« wechselte er das Thema.
»Das wird sich zeigen«, meinte Lindell. »Ich glaube, bei Mortensen beißt man auf Granit. Einige der Wissenschaftler schienen mir auffällig nervös zu sein. Ich war übrigens in der Firma und habe mir die Mäuse angesehen, die sie dort halten. Ist bestimmt nicht toll, mit einer Kanüle im Rücken in einem Käfig zu hocken. Ich denke schon, daß diese Forscher die Notwendigkeit von Tierversuchen sich selbst gegenüber rechtfertigen können, aber sie sind sich bestimmt auch der öffentlichen Meinung zu diesem Thema bewußt.«
»Affen hast du nicht gesehen?«
»Nein, nur Mäuse und Ratten.«
Ottosson stemmte sich aus dem Sessel. Lindell sah ihm an, daß er noch etwas auf dem Herzen hatte, und ahnte, daß es um ihren Zustand ging. Sie tat nichts, um ihm zu helfen, sondern schlug eine freie Seite in ihrem Notizblock auf, so als wollte sie sich etwas notieren.
Ottosson zögerte ein paar Sekunden, bis er schließlich Lindells Büro verließ.